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Wenn der Selbstschutz fehlt: Im Visier des Psychoterrors
Wenn der Selbstschutz fehlt: Im Visier des Psychoterrors
Wenn der Selbstschutz fehlt: Im Visier des Psychoterrors
eBook512 Seiten8 Stunden

Wenn der Selbstschutz fehlt: Im Visier des Psychoterrors

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Über dieses E-Book

Mein Werk handelt von einer starken Frau, die mit tiefen Gefühlen durch das Leben geht und letztendlich daran scheitert, dass sie sich eben zu tief auf ihr Umfeld einlässt und somit zu wenig an sich denkt. Durch ihre Offenherzigkeit gerät sie immer wieder in die Gefahr von anderen Menschen erkannt und manipuliert zu werden, sogar von ihrer eigenen Familie.
Als sie auch noch ihre eigene Tochter zu verlieren droht, begibt sie sich in einen Kampf um sie, der die wirklichen Ursachen, die tiefgründig in ihrer eigenen Familie zu suchen sind, nicht erkennen lässt. Beschwerend kommt hinzu, dass dies alles in der Zeit der politischen Wende zwischen Ost und West geschieht, in der sich die Probleme der Menschen vorwiegend in Ostdeutschland stark zuspitzten. Vor allem drohende Arbeitslosigkeit und Drogenkonsum war etwas, das die Menschen im Osten vorher nicht kannten. Aber gerade mit diesen zwei größten Problemen hatte die Erzählerin zu tun. Und das Schlimmste für sie war, gegen den Drogenkonsum ihrer eigenen Tochter kämpfen zu müssen, woran sie fast zerbrochen ist. Die Begebenheiten, die dieser Frau widerfahren sind, spiegeln die Gesellschaft in dieser neuen Zeit wider, was auch sehr stark gefühlsmäßig zum Ausdruck kommt. Einen großen Anteil dabei nimmt die Zeit ein, die die Erzählerin im Westen des Landes erlebt hat, eine für sie damals neue und von Kälte gekennzeichnete Welt. Diese Frau empfand die Unterschiede der Menschen zwischen Ost und West nach der politischen Wende als gravierend und wusste es auf einmal sehr zu schätzen, dass sie im Osten unseres Landes aufgewachsen ist. Sie wusste, dass sie so eine unbeschwerte Kindheit und Jugend, die sie dort hatte, im Westen nie gehabt hätte. Deshalb kehrte sie nach ihrem Scheitern auch wieder in ihre Heimat zurück um dort wieder Kraft zu schöpfen.
Doch der Kampf um ihre geliebte Tochter wollte einfach nicht enden.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum13. Jan. 2014
ISBN9783847670179
Wenn der Selbstschutz fehlt: Im Visier des Psychoterrors

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    Buchvorschau

    Wenn der Selbstschutz fehlt - Linda Mohr

    Vorwort

    Der Anfang meiner Geschichte beschreibt wie ich im Osten Deutschland aufgewachsen bin. Als drittes Kind einer Arbeiterfamilie war ich von meiner Mutter nicht gewollt. Trotzdem aber hatte ich durch mein Elternhaus insgesamt so viel Geborgenheit, dass ich eine unbeschwerte Kindheit und Jugend erleben durfte. Durch mein pflichtbewusstes Auftreten und meinen Lerneifer konnte ich sogar einige Erfolge für mich erzielen. Und das, trotzdem meine Eltern mich nie gefördert haben, weil sie einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit nur ihrer erstgeborenen Tochter widmeten, deren Eifersucht auf ihre zwei Geschwister sich im Laufe der Jahre immer drastischer zuspitzte.

    Wie ein roter Faden ziehen sich deshalb die unter einem Deckmantel versteckten Verhaltensweisen meiner ältesten Schwester durch mein Leben und bestimmen lange Jahre unbewusst meinen Weg. Und sie waren es auch, die das Leben meiner zwei Jahre älteren Schwester und letztendlich unserer ganzen Familie auf dramatische Art und Weise zerstörten.

    Leider erkennt man die wahren Zusammenhänge bestimmter Begebenheiten oft viel zu spät, vor allem die Vorgänge, die sich im Hintergrund abspielen und so unser Leben negativ beeinflussen können. Aber es passiert auch, dass unser Unterbewusstsein uns manchmal vorher davor warnt, wir müssen es nur sehen. Denn ich habe erlebt, wie das Unterbewusstsein sich in meinen Träumen widerspiegelte und dass einige Träume wahr wurden, ja sogar Zukunftsvisionen waren.

    Nachdem meine Ehe mit dem Mann, den ich liebte, gescheitert war und ich mich nach dieser großen Enttäuschung in eine völlig falsche Partnerschaft hinein treiben ließ, hatte ich fast die Hälfte meines Lebens im Osten verbracht, der damaligen DDR. Einige Zeit nach der politischen Wende, der Vereinigung Deutschlands, war ich dann aufgrund meiner Arbeitssituation gezwungen in die alten Bundesländer, dem damaligen Westen, umzuziehen. Ich hatte zu der Zeit in meiner Heimat alles aufgegeben, um mit meiner geliebten Tochter Feli wieder ein besseres Leben zu haben. Die ganzen Umstände dazu, die Auswirkungen meines falschen Lebensweges und wie es mir damit im Westen erging, kennzeichnen den weiteren Verlauf meiner Geschichte.

    Meine Empfindungen in dieser für mich kalten Gesellschaft im Westen wiegen schwer, denn alles was uns früher in der Schule über dieses System erzählt wurde, erlebte ich jetzt in der Realität. Ich erlebte den Kapitalismus pur, wie die Menschen dort waren, wie die moderne Ausbeutung seit der Wende immer größer wurde und wie sich der Drogenkonsum der Jugendlichen selbst an den Schulen immer mehr ausbreitete. Und das Schlimmste war, dass meine eigene Tochter dem nicht entfliehen konnte, weil wahrscheinlich auch sie zu offen durch dieses Leben ging. Und was noch schlimmer war, in meiner starken Liebe und Hingabe für sie habe ich ihr Suchtverhalten lange nicht gesehen und merkte gar nicht, wie ich mich mitten in einem Kampf befand.

    Ich kam mir im Westen manchmal vor, wie in einer anderen Welt oder sogar auf einem anderen Planeten. Auf meiner Arbeit wurde ich nicht anerkannt, denn die Unterschiede der zwischenmenschlichen Beziehungen in Ost und West waren in der Zeit nach der Wende riesig. Als mich mein falscher Lebensweg anfing krank zu machen, trennte ich mich von meinem Partner und von meiner Existenz im Westen nach sieben Jahren, um nach Hause in den Osten zurückzukehren und in meiner Heimat wieder gesund zu werden, ohne zu fragen was danach kommt. Zuhause angekommen arbeitete ich vor allem daran, meine geliebte Tochter Feli zurück zu gewinnen, sowie meine Empfindungen und meine eigene Persönlichkeit wieder zu erlangen, eben alles, was ich in dieser Zeit verloren hatte. Ich fing jetzt an mein bisheriges Leben aufzuarbeiten und die Lügen und den Betrug um mich herum endlich aufzuklären und zu vergessen und stellte dabei fest, dass der Größte Fehler meines Lebens war, dass ich mir selber zu wenig vertraute und ich dadurch die Manipulationen vor allem mir nahestehender Personen nie gesehen habe. Ich sah jetzt diesen großen Fehler von mir als die Hauptursache für meine Lage an, in der ich mich nun wie ausweglos befand. Denn für meine Tochter Feli kam ich fast zu spät. Ich hatte bis auf mein Leben so gut wie alles verloren, worum ich immer gekämpft hatte, meine Existenz und meine Familie, ein Leben in Liebe und Geborgenheit!

    Kapitel 1

    Ich, Gerlinde, wurde 1959 als drittes Kind einer Arbeiterfamilie im Osten Deutschlands geboren, der damaligen DDR. Meine Familie lebte in einem Dorf mit etwa zweitausend Einwohnern in der Nähe eines großen Chemiewerkes. Wir hatten ein eigenes Haus. Meine Eltern sind gleich nach dem Krieg in dieses Dorf gezogen, nach dem zweiten Weltkrieg. Beide waren damals in russischer Gefangenschaft und durften nach Kriegsende unabhängig voneinander wieder nach Hause zurück kehren. Nicht alle Gefangene hatten wohl damals dieses Glück.

    Meine Mutter hat uns Kindern später oft über diese Zeit im Krieg erzählt, wie alles angefangen hat und wie es Ihnen ergangen war beim täglichen Kampf ums Überleben in der Gefangenschaft. Doch wir durften in der Öffentlichkeit nichts davon erzählen, denn im Osten war die damalige Sowjetunion unser Bruderstaat und unser Befreier und dazu passte es nicht, was im Krieg alles geschehen war. Aber wir haben uns schon manchmal zurück halten müssen, wenn die rote Armee der Sowjetunion bei uns im Sozialismus nur hoch gelobt wurde und alles so dargestellt wurde, als wäre diese Armee in der Zeit des Krieges immer nur human gewesen. Nein, im Krieg sind alle Menschen gleich, zumindest die kleinen Leute, die Soldaten, denn da geht es nur ums Überleben. Und deshalb hatten auch die Soldaten der russischen Armee in diesem Krieg Ihre Schandtaten vollbracht, die meine Eltern selbst erleben mussten. Doch auch sie haben niemand Fremden etwas davon erzählt.

    Nach dem Krieg zu Hause angekommen hat meine Mutter dann gleich meinen Vater kennen gelernt und sie haben schon bald geheiratet, denn es gab nicht mehr so viele Männer nach den schrecklichen Kriegsjahren. Und meine Mutter hat dann bald drei Kinder geboren. Wie sie mir später einmal erzählte, als ich groß war, wollte sie eigentlich kein drittes Kind. Ich glaube, das hab ich manchmal auch ein bisschen spüren müssen. Ich konnte mir nämlich im Nachhinein einige Verhaltensweisen meiner Mutter mir gegenüber erklären. Zum Beispiel, dass Sie immer um meine zwei Geschwister mehr bemüht war als um mich und in meinem Leben fast immer alles von alleine laufen musste. An mich wurden immer höhere Anforderungen gestellt als an meine Geschwister und ich bekam meist immer die Schuld, wenn etwas vorgefallen war.

    Meine Schwester Margot übrigens war sieben Jahre älter und meine Schwester Rosalie zwei Jahre älter als ich. Beide lagen fast ständig im Streit miteinander. Denn Margot hat Ihre Schwester Rosalie von Anfang an richtig gehasst, weil Sie auf die Welt gekommen ist. So jedenfalls erzählte sie es mir später einmal nach einem Ihrer streitsüchtigen Ausbrüche mit Rosalie. Sie erzählte mir nämlich, dass sie eigentlich das einzige Kind bleiben wollte, nachdem sie bereits fünf Jahre mit Ihren Eltern allein verbracht hatte, die ihr all ihre Liebe schenkten und sie verwöhnten. Vor allem deshalb, weil Margot diese Liebe und Zuneigung dann teilen musste, konnte sie ihre Schwester Rosalie nicht leiden. Aber als dann zwei Jahre später nach ihrer Geburt auch noch ich auf die Welt kam, war es ihr angeblich egal, dass sie nun noch eine Schwester mehr hatte.

    Margot benutzte mich deshalb schon in meinen frühen Kindesjahren oft dazu, um gegen unsere Schwester Rosalie vorzugehen. Zum Beispiel hob sie mich meist in den Himmel um Rosalie richtig schlecht machen zu können. Das tat sie aber nicht nur als wir noch Kinder waren, sondern auch als wir bereits erwachsen waren hörte das nicht auf. Rosalie hatte deshalb wenig Chancen voll und ganz im Leben zu bestehen, jedenfalls baute sich das im Laufe der Jahre so auf. Und obwohl sie eigentlich die Hübschere von beiden war und die besseren schulischen Leistungen und Erfolge hatte, oder gerade deswegen, hat Margot sie ständig gegängelt und verspottet. Nur wenn Rosalie sich Margot unterordnete, war alles in Ordnung. Sowie sie jedoch ihren eigenen Weg gehen wollte und etwas nicht nach dem Willen und unter der Kontrolle von Margot lief, war Rosalie der unfähigste Mensch in Margot‘s Munde. Doch angeblich wollte ihr Margot ja nur helfen, wie sie immer behauptete. Rosalie jedoch war aufgrund der ganzen Streitereien im Laufe der Jahre in all ihren Verhaltensweisen immer unsicherer geworden, was meine Eltern aber mit Schwäche von ihr deuteten. Sie traten ihr deshalb umso mehr wehleidig gegenüber, denn sie schienen nicht zu ahnen, was sich all die Jahre im Hintergrund abspielte. Margot verstand es nämlich immer wieder, sich nach außen hin als die besorgte Schwester aufzuführen, weil sie die Große war und sich in einigen Dingen ja auch um uns kümmerte. Dass sie dies aber extrem nur zu ihrem Vorteil tat, konnte anfangs noch keiner ahnen, denn das kam erst im Laufe der Jahre immer mehr zum Vorschein. Und ich denke Margot wusste selbst auch nicht was sie da tat, denn anscheinend hatten meine Eltern sie einfach zu selbstsüchtig erzogen und sie immer gewähren lassen.

    Meine Kindheit aber lief ansonsten ziemlich reibungslos ab und wenn ich daran zurück denke, war ich eigentlich glücklich.

    Nebenan in dem Haus wohnten übrigens die Mutter und die Schwester meines Vaters mit ihrer Familie. Sie hatten vier Kinder, drei Mädchen und einen Jungen und wir drei Schwestern hatten so immer jemand zum Spielen. Und ich und meine Cousine Moni waren sogar in einer Klasse. Sie war so lange meine Freundin, bis wir aus der Schule waren und in der Stadt eine Lehre aufnahmen. Von da an hatten wir nicht mehr so viel Zeit füreinander. Und außerdem ist Moni mit Ihrer Familie auch bald darauf in die Stadt in eine Neubauwohnung gezogen. Ihre Eltern hätten sonst an ihrem Haus so viel machen müssen, weil alles schon ziemlich alt war. Und für die Wohnung in der Stadt mussten sie nur wenig Miete bezahlen und hatten dafür allen Komfort. Zu der Zeit wurden nämlich bei uns im Osten viele neue Häuser gebaut,die hatten alle Zentralheizung und warmes Wasser. Es waren Blöcke aus Beton, die sehr einfach und nicht besonders schön aussahen, aber eben diesen Vorteil hatten.

    Aber in den Jahren vorher traf ich mich fast jeden Tag mit meiner Cousine Moni und in der Schule waren wir ja auch immer zusammen. In fast allen Unterrichtsräumen saßen wir nebeneinander und ich musste ihr oft helfen, da sie nicht so gut in der Schule war wie ich. Da gab es einmal eine Begebenheit, die ich bis heute nicht vergessen habe, denn ich habe mich danach immer wieder gefragt, wie ich diese Sache so schnell hingekriegt habe. Das war in der vierten Klasse. Jeder sollte als Hausaufgabe in Deutsch einen Aufsatz über ein bestimmtes Thema schreiben, welches ich heute allerdings nicht mehr weiß. Der Aufsatz sollte als Leistungskontrolle am nächsten Tag von einigen Schülern vorgelesen werden, die noch Zensuren brauchten. Es kamen also nicht alle Schüler mit Vorlesen dran. Damals wusste Moni mal wieder nicht, was sie schreiben sollte und fragte mich am späten Nachmittag ob ich den Aufsatz schon fertig hätte und ob ich ihn ihr einmal zur Anregung geben könnte. Ich ahnte ja nicht, dass ihr überhaupt nichts einfiel und sie einfach meinen Aufsatz abschreiben würde! Sie dachte wohl nicht daran, dass wir beide mit vorlesen dran kommen könnten, denn unsere Nachnamen standen im Klassenbuch genau hintereinander. So dachte sie sicher, dass das ziemlich unwahrscheinlich war. Tatsächlich kam Moni dann mit Vorlesen dran und ich fiel aus allen Wolken, als sie vom Wortlaut her genau meinen Aufsatz vorlas. Sie bekam dafür eine zwei und war überglücklich. Als jedoch unsere Lehrerin danach den nächsten Namen aufrief, dachte ich, ich höre nicht richtig! Rief sie doch tatsächlich meinen Namen auf. In dem Moment schossen mir alle Gedanken durch den Kopf. Sollte ich die Wahrheit sagen, oder was sollte ich jetzt tun? Als ich dann aber mein Heft aufschlug, las ich plötzlich wie automatisch meinen Aufsatz so vor, dass die Sätze umgestellt waren, veränderte vor allem den Anfang und fügte immer wieder andere Passagen zwischendurch ein, etwas, was mir gerade noch einfiel zu diesem Thema. Ich muss das jedenfalls so perfekt hingezaubert haben, dass der Lehrerin nicht aufgefallen war, dass eigentlich zwei die gleichen Ausätze in unseren Heften standen und bekam auch eine zwei dafür. Ich war so stolz auf mich! Abgesehen davon natürlich, dass ich auf meine Cousine total sauer war. Aber wenn ich heute daran zurück denke, frage ich mich immer noch, wie ich so schnell reagieren konnte und muss immer noch über mich selber lachen.

    Ein anderes schönes Erlebnis aus meiner Kindheit, welches ich nie vergaß, hatte ich, als ich in der fünften Klasse war. Es war kurz vor Weihnachten an einem Samstagvormittag. Wir Kinder waren gerade allein zu Hause, als die Postfrau bei uns klingelte und ein Paket brachte. Wir freuten uns jedes Mal riesig, wenn ein Paket kam, denn wir wussten ja, dass es nur von meinen Tanten aus dem Westen kommen konnte. Und da waren immer schöne Sachen für uns drin, vor allem vor Weihnachten. Aber aufmachen durften wir das Paket alleine nicht. Wir mussten also noch warten, bis unsere Mutter vom Einkauf zurück war. Und als ich so darauf schauen wollte, von welcher meiner Tanten das Paket eigentlich war, sah ich, dass es nur an mich adressiert war. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht! Und der Absender war von einem Mädchen, welches ich überhaupt nicht kannte! Was sollte das sein, dachte ich in dem Moment! Woher kam dieses Paket? Das konnte doch gar nicht meins sein? Nun konnte ich es natürlich erst recht kaum erwarten, bis meine Mutter endlich zurück war um das Paket zu öffnen. Und als es so weit war, war es so, als wäre schon Weihnachten. In dem Paket waren vor allem Dinge drin, die ich für die Schule gut gebrauchen konnte, Hefte, bunte Umschläge und eine Federmappe, die so ausgestattet war, wie es das bei uns im Osten noch nicht gab. Dann waren noch Malhefte drin, ein Füller und Filzstifte, die damals erst erfunden wurden und die man bei uns deshalb überhaupt noch nicht kannte. Und außerdem waren noch jede Menge weihnachtliche Süßigkeiten dabei und ein Brief. In dem Brief stand dann, dass das Mädchen mir dieses Paket geschickt hatte, weil sie in der Schule gerade gelernt hatten wie man ein Paket packt und dieses dann für mich zusammen mit Ihrer Klasse im Unterricht gepackt wurde. Darüber war ich sehr erstaunt und meine Freude war unbeschreiblich groß! Denn wer hatte schon das Glück so ein Überraschungspaket von fremden Menschen zu bekommen? Dieser Moment war so schön, dass ich bis heute nicht vergessen habe, welche Freude mir diese Kinder bereitet hatten. Und das Mädchen, welches als Absender auf dem Paket stand, war die Nachbarin einer Bekannten meiner Mutter, mit der sie im Krieg zusammen in Gefangenschaft war und mit der meine Mutter noch lange Jahre danach in Kontakt geblieben war. Dieses Mädchen, Christiane, erhielt meine Adresse von dieser Frau und sie war von da an meine Brieffreundin.

    Ich gehörte übrigens in der Schule immer zu den besten Schülern der Klasse und wurde jedes Jahr am Ende des Schuljahres dafür geehrt. Meist gab es als Auszeichnung ein Buch, welches mir dann am letzten Tag des Schuljahres beim Fahnenappell zusammen mit den besten Schülern aus den anderen Klassen überreicht wurde. Und außerschulisch gab es zur Freizeitgestaltung verschiedene Arbeitsgemeinschaften, von denen jeder Schüler mindestens eine besuchte. Ich war immer im Schulchor, denn das Singen machte mir großen Spaß. Wir sangen meist Heimatlieder oder Wanderlieder und Jugendlieder, aber auch Kampflieder im Sinne unseres sozialistischen Staates. Da unser Chorleiter auch der Leiter der Blaskapelle in unserem Dorf war, sangen wir bei öffentlichen Auftritten auch in musikalischer Begleitung, wie zum Beispiel am 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, der bei uns immer groß gefeiert wurde. An diesem Tag versammelten wir uns jedes Jahr zur Demonstration mit Plakaten und musikalischer Umrahmung, bei der alle Einwohner durch das ganze Dorf marschierten. Und am Schluss wurde dann immer traditionell der Maibaum gesetzt, ganz feierlich mit Vorführungen untermauert. Wir Kinder waren davor immer mächtig aufgeregt, dass auch alles glatt geht, wenn wir unseren Chorauftritt hatten. Und alle mussten natürlich ihre Pionierkleidung anziehen, weiße Bluse und blaues Halstuch, und die Jugendlichen trugen ihr Blauhemd, so wie es von unserer Schule aus generell bei feierlichen Anlässen vorgeschrieben war.

    Ansonsten war ich in meiner Freizeit noch im Geräteturnen. Hier war ich so gut, das ich bei Kreismeisterschaften einige Medaillen errang. Meine ganzen Erfolge waren mir damals allerdings nicht so bewusst, weil vor allem meine Eltern alle guten Leistungen von mir immer als selbstverständlich ansahen. Und deshalb war es wahrscheinlich auch für mich selbstverständlich immer das Beste zu geben. Wenn mir einmal etwas nicht so gelang, stürzten bei mir Welten zusammen. Ich selber stellte immer diese hohen Anforderungen an mich, ohne es zu merken. Aus diesem Grund erwartete ich das sicher von anderen genauso und es kam deshalb vor allem zwischen uns Geschwistern oft zu Streitigkeiten, so verschieden wie wir waren. Meine Mutter schlichtete diese dann immer nur mit den Worten: streitet euch nicht, ohne den Dingen auf den Grund zu gehen. Mein Vater allerdings bekam von den Streitigkeiten zwischen uns Geschwistern nicht viel mit, weil er immer viel arbeiten war. Er war so gut wie der Alleinverdiener in unserer Familie und ging deshalb noch oft nebenbei zu Leuten im Dorf privat arbeiten. Als Elektriker reparierte er defekte elektrische Geräte und Leitungen in den Häusern.

    Meine Mutter dagegen ging nur drei Stunden am Tag auf der Poststelle sauber machen. Sie war also meist zu Hause und wir Kinder hatten deshalb immer einen Ansprechpartner und unser Essen, wenn wir aus der Schule kamen. Es war also immer jemand da, der sich um uns kümmerte.

    Durch den Betrieb meines Vaters hatten wir sogar jedes Jahr einen Urlaubsplatz, denn mein Vater arbeitete in dem großen Chemiewerk, in dessen Nähe wir wohnten und in dem fast alle aus unserem Dorf arbeiteten. Großfamilien, wie wir mit drei Kindern dazu zählten, wurden damals im Werk mit Urlaubsplätzen bevorzugt. Deshalb fuhren wir fast jedes Jahr in den Sommerferien weg, meist ins Erzgebirge oder an die Ostsee. Die Zeiten an der Ostsee vergesse ich nie. Ich habe heute noch die Erinnerung an die Glücksgefühle, die wir als Kinder jedes Mal verspürten, wenn wir dort ankamen und die frische Meeresluft einatmeten. Damals war das Wasser noch tief blau und klar und der Anblick und das Rauschen des Meeres waren für uns so erhebend, dass wir das ganze Jahr davon gezehrt haben. Hier konnten wir zwei Wochen lang richtig entspannen. Und wir lernten fast immer andere Leute kennen, mit denen wir unseren Spaß hatten, denn im Urlaub waren alle immer gut gelaunt. Aber auch die Urlaube im Gebirge waren für uns jedes Mal erholsam. Denn schon allein die Waldluft dort war Balsam für unseren Körper und die Seele, da die Luft bei uns zu Hause durch das Chemiewerk nicht gerade die beste war. Und immer, wenn wir dann aus dem Urlaub wieder nach Hause kamen, konnten wir die düstere Dunstglocke über unserem Heimatort wahrnehmen, die durch die großen Schornsteine des Chemiewerkes verursacht wurde und die bei den hohem Temperaturen im Sommer richtig tief lag. Immer dann wurden wir wieder daran erinnert in welcher Luft wir eigentlich lebten und wir Kinder nahmen uns jedes Mal fest vor, dass wir einmal wegziehen würden, wenn wir groß sind. Aber es dauerte nicht lange und wir hatten uns im Alltag wieder daran gewöhnt und dachten nicht mehr daran.

    Den Rest der Sommerferien spielten wir als Kinder dann meist auf der Wiese. Wir sammelten Marienkäfer und versuchten sie in unsere Schürzentaschen zu stecken, wo sie natürlich immer wieder heraus krabbelten und wir sie wieder einfangen mussten. Oder wir pirschten als Indianer durch das hohe Gras, kletterten auf Bäume und spielten im Wald Räuber und Gendarm.

    Der Höhepunkt des Sommers in unserem Dorf aber war das alljährliche Gartenfest, bei dem man alle Leute antraf. Es begann immer Samstagabend mit Musik und Tanz und einem großen Feuerwerk. Und Sonntag war ganz zeitig der große Frühschoppen mit Musik und Bierzelt und Nachmittag war Tanz und Unterhaltung für die ganze Familie. Jeder kam auf seine Kosten und wir freuten uns das ganze Jahr darauf. Einmal hatte ich als Kind auf diesem Gartenfest ein so starkes gefühlsmäßiges Erlebnis, dass es mich all die kommenden Jahre nicht mehr losgelassen hat und in größeren Abständen immer wieder in mein Gedächtnis trat. Das war an so einem Sonntagnachmittag und wir Kinder standen immer auf der Tanzfläche ganz vorn, direkt vor der Kapelle, damit wir die Musikanten beobachten konnten. In diesem Jahr, ich muss so ungefähr zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, galt meine ganze Aufmerksamkeit dem Musikanten, der die Klarinette spielte. Nachdem ich ihn gesehen hatte, ließ mich dieser Mann nicht mehr los. Es war sein Aussehen, was mich faszinierte, obwohl er eigentlich ganz normal aussah. Aber was das Merkwürdige war, ich hatte so starke Gefühle beim Anblick dieses Mannes, dass ich diese nicht zuordnen konnte. Es waren aber weder nur Glücksgefühle als auch nur schlechte Gefühle, die meinen Körper ständig durchfuhren. Es waren eher gemischte Gefühle, die ich vorher noch nie kennen gelernt hatte und die so heftig waren, dass sie mich völlig irritierten. Irgendetwas muss mit diesem Mann gewesen sein, aber was? Ich musste ihn immer wieder anschauen, aber weshalb nur? Was war mit diesem Mann? Erst Jahre später konnte ich dieses Erlebnis zuordnen,woraus dann meine Meinung resultierte, dass es so etwas wie Schicksal oder einen vorbestimmten Weg für jeden Menschen gibt. Zumal das auch nicht mein einziges Erlebnis in Bezug auf dieses Thema im Laufe meines Lebens war.

    Wir Kinder durften übrigens immer bis nach Mitternacht auf diesem Gartenfest bleiben, denn es war ja schließlich nur einmal im Jahr. Und jedes Mal, wenn das Fest zu Ende war, freuten wir uns schon auf das nächste Gartenfest, denn dann waren wir wieder ein Jahr älter und wir wollten so schnell wie möglich auch so sein wie die Jugendlichen bei uns im Dorf.

    Aber auch im Winter gab es bei uns im Dorf Erlebnisse, die die Erinnerung an meine Kindheit prägten. Wenn es ganz kalt und eisig draußen war, fuhren wir immer auf dem Hochwasser Schlittschuh, welches sich auf der Wiese hinten am Wald bildete, wenn der Fluss über die Ufer trat. Leider hatten wir damals nur Schlittschuhe zum Anschrauben, die an einigen Schuhen jedoch nicht hielten, weil die Sohle nicht robust genug war. Wir wechselten uns deshalb auch oft mit dem Fahren ab, wenn jemand dieselbe Schuhgröße hatte. Denn nicht alle Kinder hatten Skischuhe, welche dafür am besten geeignet waren. Und wenn es mal nicht mit der Schuhgröße hinhaute, kam es auch vor, dass wir unsere Füße in eine Nummer kleiner pressten oder größere Schuhe vorn mit Papier ausstopften, damit sie einigermaßen passten. Und am nächsten Tag taten uns dann immer mächtig die Füße weh.

    Einmal ist meine Schwester Margot sogar direkt auf dem Fluss Schlittschuh gefahren und zwar ziemlich nah am Wehr. Sie ist dort mit einem Bein eingebrochen, weil das Eis an der Stelle viel dünner war. Genau in dem Moment hatte sie aber großes Glück, dass ihr Schulfreund unmittelbar in ihrer Nähe stand und sie wie automatisch gleich wieder heraus gezogen hat. Ansonsten wäre Margot vielleicht sogar ertrunken, weil die Strömung des Flusses an der Stelle so stark war, dass diese sie sofort heruntergezogen hätte. Margot traute sich danach mit dem nassen Bein nicht gleich nach Hause zu gehen und blieb noch eine Weile draußen, in der Hoffnung, dass die nassen Sachen etwas trocknen würden und keiner etwas bemerkt. Aber das klappte nicht, denn dafür war es viel zu kalt. Und meine Mutter hat natürlich gleich gemerkt was los war und ein riesiges Theater gemacht. Und Margot hat durch die Kälte einige Zeit später Rheuma im Bein bekommen und musste für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Ich erinnere mich noch genau, wie wir jedes Wochenende mit der S-Bahn ins Krankenhaus fuhren um sie zu besuchen.

    Doch viel zu schnell war meine unbeschwerte Kindheit vorbei und meine Erlebnisse waren nur noch Erinnerung. Aber ich zehre heute noch von diesen Erinnerungen an damals. Immer wenn ich daran denke oder davon träume, schöpfe ich wieder neue Kraft zum Leben. Wenn ich die Geborgenheit von Zuhause in meiner Kindheit nicht gehabt hätte, wäre ich später sicher nicht so stark gewesen und ich hätte die schweren Zeiten, die noch kommen sollten und mir so viel meiner Kraft abverlangten, nicht überstanden.

    Wir Kinder waren jetzt also langsam in dem Alter, in dem wir anfingen uns für Jungs zu interessieren. Das war nach unserer „Jugendweihe. Die Jugendweihe war bei uns im Osten in etwa das gleiche wie Konfirmation. Nur hatte das eben nichts mit der Kirche zu tun. Bei der Jugendweihe wurden alle Kinder der achten Klassen im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung mit allen Angehörigen in den Kreis der Jugendlichen aufgenommen. Der Ablauf dieser Veranstaltung wurde bereits Wochen vorher von der Schule organisiert und mit den Schülern eingeübt, denn es durfte nichts schief gehen vor den Augen unserer Eltern und Verwandten, die im Theatersaal an der feierlichen Zeremonie teilnahmen. Lange vorher hatten wir uns auch überlegt, was wir an diesem Tag anziehen wollten, denn die Kleidung musste schon festlich sein. Es war sozusagen das erste Mal, dass wir uns wie Erwachsene kleideten. Die Feierstunde war dann von einer langen Ansprache geprägt, über den Sinn des Lebens und was es bedeutete in den Kreis der Jugendlichen aufgenommen und im Sinne des Sozialismus ins Erwachsenenalter herangeführt zu werden. Und zum Schluss wurde uns dazu vom Direktor unserer Schule und von unseren Lehrern gratuliert und wir bekamen noch einen Strauß Blumen und als Geschenk das Buch „Weltall, Erde, Mensch überreicht, in welchem die Zusammenhänge des Buchtitels unter sozialistischen Aspekten erläutert wurden und welches ein Wegweiser für unsere Zukunft sein sollte.

    Das war ja alles ganz schön und wir waren auch mächtig aufgeregt dabei. Doch noch mehr interessierte uns Jugendlichen an diesem Tag das, was danach kam, die eigentliche große Feier zu Hause. Bei jeder Jugendweihe und übrigens auch bei anderen Anlässen in unserer Familie, freuten wir uns immer auf die große Feier, weil dann jedes Mal unsere ganze Verwandtschaft aus dem Westen angereist kam und Geschenke mitbrachte, die es bei uns nicht gab. Vor allem waren das modische Kleider für uns, mit denen wir natürlich im Dorf immer aufgefallen sind, wenn wir sie an hatten. Wir wurden dann immer von den anderen bewundert und gefielen vor allem unseren Jungs umso mehr. Das war natürlich jedes Mal ein erhebendes Gefühl für uns.

    Und da wir recht viel Verwandte im Westen von seitens unserer Mutter hatten, kamen auch viele Geschenke zusammen. Und alle Verwandten blieben dann immer gleich ein paar Tage bei uns, so dass wir in unserem Haus alles umräumen mussten für diese Zeit. Meistens reichten auch die Betten dann nicht aus und wir haben noch Liegen aufgestellt oder Luftmatratzen aufgeblasen. Das war manchmal ein Chaos! Und meine Mutter hat immer für alle das Essen gemacht, auch ohne elektrische Küchengeräte oder einen Geschirrspüler, denn so etwas gab es bei uns noch nicht. Und es war jedes Mal so schön, dass ich diese großen Familienfeiern von dieser Zeit, in der der Zusammenhalt innerhalb der Familie noch etwas bedeutete, heute noch so sehr vermisse.

    Aus dem Nachbardorf kamen jetzt ständig einige Jungs in unser Dorf, die bereits ein tragbares Radio hatten, ein Kofferradio, was damals bei uns der neuste Schrei war und was noch nicht viele hatten. Die Jugendlichen, die so ein tragbares Radio besaßen, waren zu der Zeit die coolsten, vor allem, wenn sie die aktuellsten Hits ganz laut drehten und so durch die Straßen liefen. Nur die älteren Leute mochten das nicht und regten sich darüber auf.

    Damals lernte ich so meinen ersten Freund kennen, er hieß Peter. Und Peter war ziemlich arm dran, weil er bei seiner Oma aufwuchs, denn seine Eltern waren schon zeitig bei einem Unfall ums Leben gekommen. Und darum hatte er auch nicht das Geld für modische Sachen und die Jungs in unserem Dorf nahmen das zum Anlass um über ihn zu lachen. Die mochten es sowieso nicht, wenn die Jungs aus den Nachbardörfern sich an die Mädchen in unserem Dorf ran machten. Aber trotz dem Peter eigentlich aus ärmeren Verhältnissen stammte, hatte er doch einige Sachen, die andere nicht hatten, wie eben dieses moderne Kofferradio. Er ging nämlich schon als Jugendlicher oft nach der Schule arbeiten und verdiente sich so das Geld für die Dinge, die er unbedingt haben wollte. Das taten zu unserer Zeit nicht viele Jugendliche, weil die meisten es nicht brauchten. Aber das war nicht das einzige, was Peter den anderen Voraus hatte. Denn für mich war er in seinem Wesen etwas ganz besonderes. Und egal was die anderen über ihn sagten, mir gefiel er. Er war immer fröhlich, sah niedlich aus mit seinen Locken, er war immer höflich und zuvorkommend und seine ganze Art war einfach lieb. Er strahlte für mich einfach Glück und Sonnenschein aus und ich wusste auch, dass er sich gleich in mich verliebt hatte. Darum verteidigte ich ihn auch immer, egal, was man über ihn sagte. Und eigentlich war auch ich gleich in Peter verliebt. Aber wegen den anderen wollte ich es nicht zugeben. Obwohl diese Leute vielleicht einfach nur neidisch auf ihn waren. Denn er hatte auch bald ein Moped und da hörte das Gelächter dann ein bisschen auf.

    Ich traf mich mit Peter bald fast jeden Abend vor unserer Haustür, denn ich durfte in meinem Alter niemanden mit ins Haus nehmen. Und immer wenn es langsam Abend wurde und ich draußen laute Musik mit den bekanntesten englischen Liedern hörte, wusste ich, Peter war endlich gekommen und ich lief sofort nach draußen um ihn zu begrüßen. Wir lernten uns dann immer näher kennen und ich habe mich mit ihm das erste Mal geküsst. Und weil es so großen Spaß machte, küssten wir uns dann jeden Abend. Es waren immer ganz besondere Küsse und ich hing jetzt sehr an ihm und er auch an mir.

    Aber als ich dann fünfzehn Jahre alt war, durfte ich am Wochenende mit meiner Cousine Moni das erste Mal zur Disco gehen. Ich freute mich riesig, als meine Eltern mir das gestatteten, denn das war meine Welt, Tanzen gehen. Das war das, was ich eigentlich schon lange wollte. Ich liebte das Tanzen. Und wir hatten beim ersten Mal natürlich auch sofort Tanzpartner und ich fand das alles einfach berauschend. Doch Peter war nicht so für‘s Tanzen gehen. Er war einfach zufrieden, dass er mich hatte. Aber jedes Mal, wenn ich jetzt beim Tanzen war, wurde ich von Peter durch das Fenster zum Tanzsaal beobachtet. Das fand ich natürlich nicht so toll, denn ich amüsierte mich dort jedes Mal prächtig. Zu der Zeit fing ich erst einmal an das Jugendleben kennen zu lernen und das war so interessant für mich, dass ich das auf keinen Fall so schnell wieder aufgeben wollte. Und deshalb ging das mit Peter auch nach fast zwei Jahren auseinander. Mir war diese Tatsache damals gar nicht so richtig bewusst, denn ich ging weiterhin am Wochenende tanzen und erfreute mich daran. Und Peter kam dann immer seltener zu mir. Aber einmal hatte er wieder versucht, sich doch noch einmal interessant zu machen um mich wiederzugewinnen. Er hatte sich jetzt sogar ein Motorrad gekauft, ein ganz schnittiges Model. Und er kam dann sofort zu mir und sagte, ich sollte einmal mitfahren. Doch ich traute mich damals nicht auf ein Motorrad, weil damit schon große Unfälle passiert waren, nach denen die Motorradfahrer dann fast immer gleich tot waren oder einen Schaden für ihr ganzes Leben hatten. Und irgendwie war das an dem Tag auch nicht so der richtige Zeitpunkt für mich. In dem Moment merkte ich gar nicht, wie enttäuscht Peter da war. Und das war auch so ziemlich die letzte Aktion, die er startete, um mich wieder zu gewinnen. Bald darauf kam er nicht mehr und ich wusste, er wird sich jetzt eine andere Freundin suchen.

    Anfang der 10. Klasse dann musste ich mich für eine Berufsausbildung bewerben. Ich wollte eigentlich immer Lehrerin werden, denn das hatten wir als Kinder schon immer bei uns auf dem Hof gespielt. Und ich hatte sogar einmal einem Jungen aus unserem Dorf eine Zeit lang Nachhilfeunterricht gegeben und daher wusste ich, dass mir das großen Spaß machte. Meine Eltern jedoch kümmerten sich nicht so richtig um mein Weiterkommen und ich verpasste dadurch die Bewerbungstermine. Und ich selber war zu der Zeit viel zu schüchtern und diesbezüglich auch etwas unselbständig um das selbst in die Hand zu nehmen. Deshalb wurde ich letztendlich Kauffrau für Bekleidung, denn ich war mit meiner Bewerbung insgesamt viel zu spät dran und die besten Stellen waren bereits vergeben. Aber meine Mutter meinte, dies wäre ja so ein schöner Beruf und dazu noch in einem Kaufhaus, in dem Bekleidung für Jugendliche verkauft wurde und welches das Einzige davon in der Stadt war. Na ja, rund um die Uhr nur im Laden stehen, obwohl damals das Angebot in unseren Geschäften überhaupt nicht der Nachfrage der Bevölkerung entsprach, das muss doch ganz schön langweilig sein, dachte ich. Aber ich hatte jetzt keine Alternative mehr und lernte somit nur diesen Beruf, den ich übrigens auch mit einem weitaus schlechteren Zeugnis hätte bekommen können, denn ich hatte die Schule schließlich mit einem Durchschnitt von 1,4 abgeschlossen.

    Als Lehrlinge im Kaufhaus veralberten wir damals oft die Kunden, die fast jeden Tag ins Geschäft kamen, um ein modisches Kleidungsstück zu ergattern. Wir bestellten sie immer wieder, indem wir ihnen Hoffnung auf neue Lieferungen von modischen Artikeln machten und amüsierten uns darüber, wie sie sich die Füße umsonst wund liefen. Denn zu der Zeit hatte der Durchschnittsbürger bei uns nicht viel andere Sorgen, als etwas Modisches zum Anziehen zu bekommen. Und so hatten wir wenigstens täglich unseren Spaß.

    Ansonsten arbeitete ich mich aber in diesen Beruf gut ein, und mir gefiel es nach einiger Zeit sogar andere Menschen anzusprechen und mich um Ihre Wünsche zu kümmern. Dadurch lernte ich auch auf andere Menschen zuzugehen, was ich bisher durch meine zurückhaltende und schüchterne Art nicht konnte. Und so wurde ich auch durch diesen Beruf insgesamt viel selbstbewusster.

    Als ich an einen Sommertag nach Geschäftsschluss nach Hause wollte und zur Straßenbahnhaltestelle lief, sah ich übrigens Peter mit seiner neuen Freundin. Ich hatte ihn jetzt über ein Jahr lang nicht mehr gesehen. Die beiden liefen Hand in Hand auf der anderen Seite des Boulevards und schienen sehr verliebt zu sein. Zum Glück hat er mich nicht gesehen. Denn mich durchfuhr in dem Moment ein Schauer von Traurigkeit. Ihn so zu sehen, mit einer anderen, das hatte ich nicht erwartet. Und ich wusste, wer Peter zum Mann hat, der konnte sich glücklich schätzen. Ich fing fast an zu bereuen, dass ich ihn nicht mehr hatte, obwohl ich mich damals mit ihm nicht mehr als nur geküsst hab. Aber ich hing trotzdem von meinem tiefen Inneren noch sehr an ihm, an seiner liebenswürdigen, zuvorkommenden Art. Und nun musste ich sehen, wie er genauso mit dieser anderen Frau erzählte und mit ihr lachte, wie er mit ihr einfach glücklich war. Ich lief dann aber einfach weiter und versuchte nicht mehr daran zu denken.

    Etwa drei Jahre später aber stellte sich dann heraus, dass Peter genau diese Frau auch geheiratet hat. Er wohnte nämlich mit einer Arbeitskollegin von mir in einem Haus. Damals hatte Bonny, so wurde meine Arbeitskollegin von allen genannt, diesem Bekannten von ihr ein paar modische Sachen besorgt, die er im Kaufhaus erst einmal an probieren sollte und sich deshalb mit Bonny verabredet hatte. Und dieser Bekannte war Peter, den ich an diesem Tag plötzlich mit seiner Frau auf Bonny und mich zukommen sah. Da haben wir beide nicht schlecht geguckt! Und er hatte sogar schon eine kleine Tochter, die er bereits auf seiner Schulter trug. Trotz allem aber freute er sich damals ganz offensichtlich mich zu sehen und kam lachend auf mich zu. Wir sprachen dann kurz darüber wie es uns inzwischen so ergangen war. In dem Moment schob ich meine Betroffenheit beiseite, dass er bereits eine Familie hatte und freute mich einfach darüber ihn wiederzusehen und mit ihm reden zu können.

    In den darauffolgenden Jahren übrigens sind Peter und ich uns in zeitlichen Abständen noch einige Male begegnet und immer ist er auf mich zu gegangen, höflich und zuvorkommend, und genau so lieb und fröhlich wie ich ihn immer in Erinnerung hatte.

    An einem Sommerabend ging ich einmal mit meiner Cousine Moni, die mir ja in all meinen Schuljahren meist eine gute Begleiterin und Freundin gewesen ist, in die Stadt auf den Rummel. Wir trafen uns zu der Zeit nur noch selten, da wir beide aus unseren eigenen Verpflichtungen heraus nicht mehr so viel Zeit füreinander hatten und sie ja schon seit einiger Zeit nicht mehr bei uns im Dorf wohnte. Aber an diesem Abend waren wir verabredet und wollten uns amüsieren. Da lernte ich meinen ersten richtigen Freund kennen, er hieß Klaus. Er war auch mit seinem Freund unterwegs und wir lernten die beiden dann näher kennen. Meine Cousine war sich gleich einig mit dem Freund von Klaus. Aber mir gefiel Klaus erst gar nicht, da er nicht viel redete. Trotzdem verabredeten wir uns wieder mit den beiden und wir vier trafen uns dann öfter zu gemeinsamen Unternehmungen. Und nach einiger Zeit verliebte ich mich dann doch in Klaus, denn er hatte von seiner Art her so etwas Geheimnisvolles an sich und eigentlich war er doch genau mein Typ. Auch er verliebte sich in mich und stellte mich auch bald seinen Eltern vor. Deshalb war ich in der darauffolgenden Zeit oft bei ihm zu Hause, denn bei mir zu Hause hing der Haussegen schief, weil ich erst siebzehn Jahre alt war und nun bereits einen Freund hatte, bei dem ich nun auch schon übernachtete. Deshalb durfte Klaus bei mir zuerst nicht über Nacht bleiben. Und später auch nur ganz selten, weil ich mir ja mit Rosalie ein Zimmer teilen und sie dann immer woanders schlafen musste. Und das passte ihr dann natürlich auch nicht. Schließlich war sie ja auch die Ältere von uns beiden. Vor allem aber war mein Vater wegen Klaus nicht gut auf mich zu sprechen. Ich nehme an, weil er sicher nicht damit gerechnet hatte, dass ich in meinem Alter schon einen festen Freund hatte. Mein Vater hat zuerst vier Wochen lang nicht mehr mit mir gesprochen und später war das Verhältnis dann auch nicht mehr so wie vorher. Bestimmt war er eifersüchtig, aber er sprach ja nie richtig darüber. Und er erteilte mir auch keine Verbote, er war nur immer so komisch zu mir und machte ab und an mal eine Bemerkung.  Na ja, schließlich war ich ja, als ich klein war, sein Nesthäkchen, so sagte er immer. Denn er hat mich immer ziemlich verwöhnt. Und später war ich dann öfter mit ihm bei den Leuten im Dorf oder hab auch manchmal die Geräte zurück gebracht, die er repariert hatte. Und ich habe mich mit ihm zusammen oft an handwerklichen Arbeiten beteiligt, denn mein Vater machte ja bei uns im Haus alles selber. So hab ich zum Beispiel die Wände mit ihm tapeziert und gestrichen, wenn es wieder einmal gemacht werden musste. Und dabei nannte mich mein Vater immer „Tapetenstift". Oder er hat mir gezeigt, wie man einen Drachen baut und eine Fußbank aus Holz und wie man ein Stück Eisen in den Schraubstock spannt und es bearbeitet. Oder ich durfte Zement zum Verputzen mit ihm mischen und er zeigte mir auch alle Werkzeuge und sagte mir wie sie heißen. Aber mir fällt jetzt gar nicht mehr alles ein, was ich mit ihm machte, eben alles was handwerklich so anfiel! Und deshalb denke ich im Nachhinein schon, dass er wegen meinem ersten Freund ziemlich eifersüchtig war, aber er sagte ja nichts.

    Mit Klaus war ich insgesamt drei Jahre zusammen. Ich war ihm zum Schluss irgendwie zu bieder, denke ich. Denn er mochte es lieber, wenn sich eine Frau schminkte und ich schminkte mich fast gar nicht. Außerdem war ich ihm insgesamt zu unauffällig und zu schüchtern von meiner Art her. Er fand die erfahrenen Frauen besser, wie ich das zum Schluss seinem Reden nach deuten konnte. Und vor allem passte ich auch nicht in seinen Karriereplan. Er hatte zwar eine Lehre als Elektriker gemacht, sagte mir aber jetzt erst, nach der langen Zeit unseres Zusammenseins, dass er nach seiner Lehre zur Staatssicherheit gehen wollte. Er ist darauf gekommen, weil er schon von Kind an bei Dynamo Handball spielte und Dynamo war der Sportverein der Staatssicherheit. Diesbezüglich hatte er also bereits einen Einblick. Einmal sagte er zu mir, ob ich vielleicht denken würde, dass er Lust hätte jeden Tag auf Arbeit zu gehen und immer wieder das gleiche zu machen. Dieser Trott käme für ihn nicht in Frage. Und bei der Staatssicherheit hätte er Abwechslung und das wäre für ihn interessant und genau das Richtige. Und aus diesen Zukunftsplänen heraus war ich auch als seine Partnerin politisch nicht tragbar, wegen unserer Verwandtschaft im Westen, die uns ja hin und wieder besuchte. Und außerdem hatte ich ja noch eine Brieffreundin im Westen, mit der ich ja schriftlich regelmäßigen Kontakt hatte. Ich sollte mich deswegen auch entscheiden, entweder er oder meine Westkontakte, was ja auch so viel hieß wie er oder meine Familie. Das wurde ihm wohl damals von der Staatssicherheit in einem Personalgespräch so angeraten, wenn er dort Karriere machen und mit mir zusammen bleiben wollte, wie er mir einmal erzählte. Eine Trennung von meiner Familie kam aber für mich überhaupt nicht in Frage. Und außerdem hatte ich das ganze damals gar nicht so für ernst genommen, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass das in unserem Fall so krass praktiziert wurde. Wir waren doch viel zu jung für diese Sachen und meine Verwandten hatten doch mit der Politik in unserem Staat gar nichts zu tun! Ich kam in dieses Thema einfach nicht rein und dachte deshalb über so eine blöde Entscheidung überhaupt nicht erst nach. Aber Klaus zog sich dafür mehr und mehr zurück von mir, bis er dann schließlich eine andere Freundin hatte, eine die sicherlich tragbarer war für seine Karriere als ich. Und außerdem war sie anscheinend auch anderweitig genau nach seinen Vorstellungen. Denn als ich die beiden einmal in der Stadt gesehen hab, sah ich ihn mit einer „Schminkpuppe", so wie es ihm wahrscheinlich gefiel. Aber trotzdem, ich war damals total unglücklich und dachte, ich komme nie darüber hinweg. Klaus war mein erster richtiger Freund, meine erste richtige Liebe und ich liebte ihn immer noch so sehr. Alles erschien mir in dieser Zeit sinnlos ohne ihn. Ich hatte nicht einmal mehr Lust mir früh die Haare zu machen, bevor ich auf Arbeit fuhr, denn ich fragte mich immer wozu! Das erste Mal in meinem Leben war ich richtig verlassen worden und das tat so weh!

    Um mich abzulenken ging ich zu der Zeit mit meiner Arbeitskollegin Bonny viel weg, denn auch sie war gerade allein, weil ihr Freund bei der Armee war. Bonny war schon verlobt, denn sie hatte ihren Freund schon sehr jung kennengelernt. Und was Bonny noch war, sie war sehr belesen. Sie wälzte mit Leidenschaft die dicksten Bücher. Und vor allem hatte sie viele Bücher von Karl Marx und Friedrich Engels gelesen und war von deren Philosophie über den Sozialismus und Kommunismus vollkommen überzeugt. Bonny wusste alles, was in diesen Büchern stand und hatte die treffendsten Argumente, wenn jemand Nachteile und Ungereimtheiten unseres Staates vor ihr aussprach. Keiner war so redegewandt und aussagekräftig wie sie. Und deshalb war sie auch gesellschaftlich sehr engagiert, führte Versammlungen durch und war innerhalb der Jugendarbeit in unserem Betrieb stark eingebunden.

    Eines Tages hieß es deshalb von der Leitung unseres Betriebes, sie sollte noch mehr ideologisch geschult und gefördert werden und aus diesem Grund die Kreisparteischule besuchen. Diese Schule war in einem anderen Ort etwas weiter weg und sie sollte dort ein viertel Jahr lang ganztags am politischen Unterricht teilnehmen. Für diese Zeit musste sie natürlich aus dem Arbeitsprozess ausscheiden und auch dort vor Ort wohnen. Bonny und ich sahen uns deshalb

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