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Liebe-VOLL AUSGENOMMEN: Das goldene Geschäft mit den Gefühlen der Menschen
Liebe-VOLL AUSGENOMMEN: Das goldene Geschäft mit den Gefühlen der Menschen
Liebe-VOLL AUSGENOMMEN: Das goldene Geschäft mit den Gefühlen der Menschen
eBook418 Seiten6 Stunden

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN: Das goldene Geschäft mit den Gefühlen der Menschen

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Über dieses E-Book

Wenn Enkeltrick- oder Internetbetrüger Erfolg haben, ist zwar das Geld weg, aber die Familienverhältnisse bleiben intakt. Was aber passiert, wenn sich Abzocker und Erbschleicher in Familien einschleichen, denen man zu Beginn vertraut, weil man diese mit Gesicht und Namen kennt? Die Antwort darauf finden Sie in diesem Roman. Auf spannende und gefühlvolle Weise wird erzählt, wie es einer Familie ergeht, die plötzlich einer Abzockerin gegenüber steht, die nur ein Ziel vor Augen hat, nämlich die Ersparnisse des betagten Familienvaters. "Böses geschieht nur im Film", nicht im wahren Leben, dachte diese Familie, reagierte deshalb viel zu spät auf das skrupellose Vorgehen dieser Abzockerin und musste sich danach durch die tragischen Konsequenzen dieser Geschichte neu orientieren. Wer diesen Roman liest, ist eher gewappnet, nicht selbst Opfer dieser Betrugsmasche zu werden.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Feb. 2019
ISBN9783742706188
Liebe-VOLL AUSGENOMMEN: Das goldene Geschäft mit den Gefühlen der Menschen

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    Buchvorschau

    Liebe-VOLL AUSGENOMMEN - Heidy Fasler

    Vorwort

    Heidi Fasler

    Liebe-VOLL AUSGENOMMEN

    Das goldene Geschäft mit den Gefühlen der Menschen

    Roman

    Namen, Personen und Handlungen sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen, Orten sowie reale Handlungen, sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Die erste Print-Ausgabe mit dem Titel

    „Ungewollte Grenzerfahrung"

    ist unter einem Pseudonym, im Oktober 2016 erschienen.

    E-Book: ISBN 978-3-7393-6656-2

    Neuerscheinung November 2018

    Liebe-VOLL AUSGENOMMEN

    © Heidi Fasler, CH-Pratteln

    Text: © Heidi Fasler, alle Rechte vorbehalten

    Satz und Layout: Heidi Fasler, CH-Pratteln

    Umschlaggestaltung: © Patrik Brunner, CH-Oberwil

    Erhältlich in jedem Buchhandel

    ISBN 978-3-033-0671-8

    www.abzockerpraevention.ch

    Liebe-VOLL AUSGENOMMEN

    Das goldene Geschäft mit den Gefühlen der Menschen

    Liebe gegen Geld. Geld gegen Liebe.

    Dieser Handel ist so alt, wie die Menschheit, und lässt sich auf jeder Gesellschaftsebene finden. Jüngere gutaussehende Frauen lassen sich auf ältere und wohlhabende Männer ein, weil sie sich davon großzügige Geschenke, Reisen und ein luxuriöses Leben versprechen, was sie aus eigenem Antrieb nicht erreichen würden. Heiraten sie einen Millionär, werden sie in eine Gesellschaft eingeführt, zu der sie sonst keinen Zugang hätten und sie haben für den Rest ihres Lebens ausgesorgt. Umgekehrt profilieren sich die reichen Männer mit ihrer jungen und schönen Vorzeigefrau.

    Als Rita Elsino sich Anfang Dreißig scheiden ließ, lag es ihr fern, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen, zumal ihr der Lohn, den sie für ihre Qualifikationen erhalten würde, nur einen bescheidenen Lebensstil erlaubt. Ein solches Leben zu fristen entsprach weder ihren Erwartungen noch ihren Wünschen und sie suchte nach einem Weg, der ihr ohne großen Aufwand ein bequemes Leben ermöglichen wird. Einen reichen Mann zu angeln, bleibt ihr verwehrt. Dazu fehlen ihr das Aussehen, das Benehmen und die Intelligenz. Sie weiß aber, dass es viele ältere Menschen gibt, die zwar nicht wohlhabend sind, aber so viel auf die Seite gelegt haben, dass es sich lohnt, ihnen die Ersparnisse abzuknöpfen.

    Sie baut trickreiche Lügengebilde auf, verfälscht Informationen, setzt bei Männern ihre sexuelle Anziehungskraft ein, treibt Situationen auf die Spitze und schafft bewusst falsche Voraussetzungen, damit ihr die Opfer bereitwillig unter die Arme greifen.

    Ältere Männer haben für sie den Vorteil, dass sie nicht mit ihnen ins Bett steigen muss, weil sich bei den meisten sexuell nichts mehr regt. Trotzdem erlischt im Alter die Erotik nicht und Liebe kennt keine Altersgrenzen, man muss nur auf die richtigen Tasten drücken. Genau das weiß Rita auszunutzen, um Kapital daraus zu schlagen. Wehe dem, der sich ihr entgegenstellt, sie kennt weder Skrupel noch Moral. Am Anfang machte sie ein paar Fehler, die sie bei der Polizei aktenkundig werden ließen. Doch sie lernte dazu und beherrscht heute ihr Handwerk besser denn je.

    1

    Wir schreiben das Jahr 2005.

    Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Corinne Miller, geborene Graf, war mit Zwanzig das, was man eine flotte Biene nennt, bin mittlerweile fünfzig Jahre alt und seit fast dreißig Jahren glücklich mit meinem Mann David verheiratet. Zusammen haben wir eine Tochter, die inzwischen selbst eine Familie gegründet und eine kleine, süße Tochter hat. Es geht uns allen gut und ich fühle mich auch sonst vom Leben privilegiert. Wir sind nicht wohlhabend, kommen aber gut über die Runden. Meinen Reichtum empfinde ich durch meine Familie. Ich hatte eine liebevolle, fürsorgliche Mutter, habe einen inzwischen betagten, aber immer noch rüstigen Vater und pflege mit meinen drei Geschwistern einen regen freundschaftlichen Kontakt. Keiner von uns hat ein besonderes Talent, oder einen akademischen Titel. Kurz, wir sind eine ganz normale Familie. Wir haben einen starken Zusammenhalt, für den wir, je nach Betrachtungsweise, bewundert, oder beneidet, werden. Es hat sich so ergeben, dass ich, seit dem Ableben unserer Mutter vor fünf Jahren, ein bisschen in ihre Rolle geschlüpft und zum Dreh- und Angelpunkt für die Familie geworden bin. Wer mir zum ersten Mal begegnet, erkennt meine emotionale Energie und meine Zielstrebigkeit nicht auf Anhieb. Lernt man mich aber näher kennen, werden meine intensiven Gefühle und Fürsorge ersichtlich, vor allem für Menschen, die mir nahestehen. Zu meinen Schwächen gehören Ungeduld und dass ich vieles hinterfrage.

    In diesem Jahr verspricht die Wetterprognose für den heutigen Sonntag, Mitte Juli, einen schönen Sommertag und es soll sogar 32 Grad heiß werden. Nichts deutet darauf hin, dass ich in eine Geschichte hineingezogen werde, die mein Leben nachhaltig verändern und mich in den Grundfesten erschüttern wird. Auch meine Familie wird danach nie mehr dieselbe sein.

    Kein Wölkchen ziert den blauen Himmel, als ich am Vormittag fröhlich und unbeschwert mit unserem Hund Struppi eine kurze Runde drehe. David und ich wollen danach zu unserer Tochter Kelly fahren, die heute Geburtstag hat.

    Nachdem Kelly ausgeflogen ist, sind wir von Kaltbad, einem kleinem Kaff auf dem Lande, weg ins Nachbardorf und dort in einem Mehrfamilienhaus in eine Mietwohnung gezogen. Dann haben wir uns einen Hund angeschafft. Weil David sein männliches Ego nicht mit einer speziellen Hunderasse aufpolieren muss, haben wir uns in einem Tierheim umgesehen und uns für einen zweijährigen, mittelgroßen Mischlingshund entschieden, den wir sofort ins Herz geschlossen haben. Wegen seinem dreifarbigen, in alle Richtungen abstehenden Fell, taufte Lynn, Kellys Tochter und unsere mittlerweile sechsjährige Enkelin, ihn um und gab ihm den Namen Struppi.

    David verstaut gerade einen Korb mit bunt verpackten Geschenken in den Wagen, als ich zurückkomme. Er lässt Struppi im Wagen in die Boxe springen, ich hole in der Wohnung die restlichen Sachen, schließe die Haustüre und setze mich neben David auf den Beifahrersitz. Wir fahren zuerst nach Kaltbad, weil wir meinen Vater abholen wollen, der mit uns zu Kelly fährt. Mein Vater ist Wittwer, neunundachtzig Jahre alt, vierfacher Vater, mehrfacher Groß- und einfacher Urgroßvater. Dazu gehören zwei Schwiegersöhne, einer davon ein Ex-, und zwei Schwiegertöchter, eine davon in spe.

    Er wohnt in einem Außenquartier in einem Wohnblock, der in den fünfziger Jahren erbaut worden ist. Früher gab es an dieser Straße noch einen zweiten identischen Block, ansonsten war alles von grünen Matten und Obstbäumen umgeben. Heute ist alles verbaut. Mein Vater wohnt in einem dieser Blöcke im zweiten Stock und noch immer in der Vierzimmerwohnung, in der ich zusammen mit einer Schwester und zwei Brüdern aufgewachsen und groß geworden bin. Mit diesem Ort verbinde ich viele schöne Erinnerungen, an meine Kindheit, an meine Jugendzeit und an meine Eltern.

    2

    Um meine Familie zu verstehen, muss ich in die Vergangenheit schweifen und beginne dabei mit meiner Mutter. Meine Mutter ist mit zwei Geschwistern bei liebevollen Eltern, aber in großer Armut aufgewachsen und fand, als blutjunge Frau, Arbeit als Hausmädchen bei einer reichen Familie. Auch wenn sie im Dienstbotenzimmer schlafen und dem bequemen Leben ihrer Herrschaft zudienen musste, eignete sie sich den Anstands- und Höflichkeitsstil ihrer Arbeitgeber an und verbesserte damit ihre Stellung. Sie durfte diese Familie auf zahlreichen Reisen begleiten, lernte eine Fremdsprache, und wurde in Sachen Bildung von ihrer Herrschaft unterstützt und gefördert.

    Auf einer Reise lernte sie meinen Vater kennen und besuchte ihn, nach einem Briefwechsel, in seinem Heimatdorf. Er hatte ihr verschwiegen, dass er geschieden und Vater eines Sohnes ist. Darum schenkte sie dem dreijährigen Kind, namens Frank, das in der Wohnung von Vaters Mutter hemmungslos auf dem Küchentisch tanzte und sich weigerte, ihr die Hand zu geben, keine große Beachtung.

    Nach einer großen Verlobungsfeier im Beisein beider Familien, mit Geschenken und allem Pipapo, gingen meine Mutter und mein Vater aufs Standesamt, um das Aufgebot für ihre Eheschließung zu bestellen. Erst dort, erfuhr meine Mutter, dass ihr zukünftiger Mann geschieden und an das Kind gebunden ist, welches sie in der Wohnung ihrer zukünftigen Schwiegermutter angetroffen hat. Durch die damaligen gesellschaftlichen Gepflogenheiten wäre eine abgesagte Hochzeit einer großen Schande gleichgekommen. Meine Mutter entschied sich gegen die Schande und fügte sich in ihr Schicksal. Pflichtbewusst, wie sie es ihr Leben lang war, nahm sie den vierjährigen Buben mit der Heirat in ihr Leben auf.

    Leicht hatte sie es nicht. Jedes Mal, wenn Frank von einem Besuch bei der Großmutter zurückkam, musste sie mit ihrer Annäherung wieder von vorne beginnen. Als Franks Benehmen im Beisein der Großmutter wieder mal aus dem Ruder lief, wandte sie sich an seinen Vater und bat ihn, sich erzieherisch einzubringen. Darauf zog die Großmutter eine Hand auf und richtete diese, zum Erschrecken meiner Mutter, nicht gegen Frank, sondern gegen seinen Vater. Meine Mutter verlangte darauf den Wegzug, möglichst weit weg von seinem Heimatdorf. Nach dem Krieg boomte die Wirtschaft und mein Vater fand rasch eine neue Stelle. So verschlug es die junge Familie nach Kaltbad, ein wachsendes Dorf in der Nähe einer mittelgroßen Stadt.

    Nachdem sich die junge Familie dort niedergelassen hatte, kam nach einem Jahr Antonia zur Welt, die von allen nur Toni genannt wird, fünf Jahre später wurde ich geboren und nach weiteren zwei Jahren machte Robert, das Nesthäkchen, die Familie komplett.

    Unsere Mutter verstand es hervorragend, keines von uns vier Kindern zu bevorzugen, oder zu benachteiligten. Frank wurde für uns von Anfang ein vollwertiger Bruder, auch auf der emotionalen Ebene. Der einzige bemerkenswerte Unterschied zwischen uns bestand darin, dass Frank von der Großmutter väterlicherseits mehrmals pro Jahr, ein an ihn persönlich adressiertes Paket mit Süßigkeiten erhielt, und Mutter uns Franks Vorzugsbehandlung seitens der Großmutter erklären musste. Deshalb war es nie ein Geheimnis, dass wir vier denselben Vater, aber nicht dieselbe Mutter haben. Weil Frank uns von den Süßigkeiten immer etwas abgeben musste, blieb für uns die Welt in Ordnung. Die Geschichte interessierte uns auch deshalb nicht weiter, weil die Pakete das Einzige waren, das uns Geschwister differenzierte. Behütet wuchsen wir in einer recht harmonischen Familie auf, in der unsere Mutter das Zepter führte und unser Vater für den Unterhalt sorgte. Die Autorität ging aber eindeutig von unserer Mutter aus.

    3

    David hat inzwischen auf der Straße vor Vaters Wohnblock angehalten. Ich steige aus, laufe neben der Rasenfläche hinüber zum Eingang und drücke neben dem Namensschild ‚Walter Graf‘ zweimal kurz auf den Klingelknopf. Es ist das mit Vater vereinbarte Zeichen, dass ich es bin. Kurz danach erscheint er auf dem Balkon, winkt mir zu, geht zurück ins Wohnzimmer, schließt die Balkontüre und zieht schwungvoll den Vorhang vor das Fenster. Als er den Eingang seines Blocks verlässt, wirft er aus lauter Gewohnheit einen Blick in den Briefkasten.

    Er trägt der Jahreszeit angepasste lockere luftige Kleider und einen geflochtenen Strohhut, der ihm einen vornehmen Anstrich verpasst. Er ist, außer einem kleinen Wohlstandsbäuchlein, von schlanker Statur, besitzt noch immer volles, inzwischen weißes Haar und sieht jünger aus, als er effektiv ist. Vom Aussehen her vergleichen wir ihn mit dem Schauspieler Spencer Tracy, auch wenn wir ihm nicht die gleichen Charakterzüge, wie sie dieser Star in den Filmen verkörpert, zuschreiben können. Trotzdem haben wir ihn gern und er nimmt einen wichtigen Stellenwert in der Familie ein. Allein die Einladungen zu allen Geburtstagen innerhalb der Familie füllen einen großen Teil seines Terminkalenders. Familientraditionen sind in unserer Familie nicht nur obligatorisch, sie sind heilig. Dazwischen treffen wir uns zu Picknicks und Ausflügen, an denen Vater immer teilnimmt. Weil er überall dabei ist, kennt er auch die meisten unserer Freunde. Er kann sich nicht beklagen, dass er einsam ist. Als Wittwer allein, ja, aber nicht einsam. Dazu ist er zu gut in seine Familie eingebunden und integriert.

    Zur Begrüßung streckt er mir seine leeren Hände entgegen, denn er bringt nie etwas mit, wenn er eingeladen ist. Im Vergleich zu Mutter, die in Sachen Mitbringsel sehr großzügig war, ist er das pure Gegenteil. Dafür kennt er sich in elektrischen Dingen aus. In unseren Haushaltungen brachte er jede Lampe zum Glühen, defekte Maschinen zum Laufen, oder zog eine neue Steckdose, wenn wir eine brauchten. Jetzt, da er älter ist, hat das Werken etwas nachgelassen und er verbringt lieber Zeit in der freien Natur, als in seinem Bastelzimmer.

    Ich weiß nicht wieso, aber heute bin ich nicht mit ihm einverstanden, dass er Kelly nichts mitbringen will. Ich helfe ihm auf der Beifahrerseite beim Einsteigen und bemerke, wie er umständlich in der einen Hosentasche ein Portemonnaie und in der anderen eine Zigarrenschachtel zur Seite schiebt, bevor er sich hinsetzt. Den Umstand, dass er eine Geldbörse auf sich trägt, will ich nutzen.

    Als ich wieder hinter David auf dem Rücksitz sitze, flüstere ich ihm zu, dass er zum Bahnhof fahren und dort anhalten soll. Dann lehne ich mich nach vorne und frage Vater: »Hast du kein Geschenk dabei?«

    »Nein. Weshalb?«, fragt er erstaunt.

    »Weil Kelly heute Geburtstag hat und sie sich auch sonst viel um dich kümmert. Sie ist immerhin dein Enkelkind und Lynn ist dein Urenkelkind. Du könntest ihnen wirklich einmal etwas schenken. Es muss nichts Großes sein. Es geht um ein Zeichen der Wertschätzung. David fährt zum Bahnhof. Dort haben die Geschäfte am Sonntag geöffnet und ich kaufe für dich eine Kleinigkeit ein. Aber ich möchte, dass du es bezahlst, damit es ein Geschenk von dir ist! Zwei Tafeln Schokolade kosten nicht alle Welt.«

    »Wieso jetzt plötzlich?« fragt er, dazu neigend, den Pfennigfuchs in sich zu übertreiben.

    Ich gehe nicht darauf ein, denn inzwischen sind wir am Bahnhof angekommen und David ist mit dem Wagen in eine Parkbucht gefahren.

    Ich steige aus, laufe um den Wagen herum zur Beifahrerseite, öffne die Türe und schaue Vater von oben herab erwartungsvoll an. Als er merkt, dass ich es ernst meine, zögert er einen Moment, zieht sein Portemonnaie hervor und klappt es auf. Von oben sehe ich einen Zehner, zwei Zwanziger und einen Hundert-Euroschein darin stecken. Er zieht den Zehn-Euroschein heraus und streckt ihn hoch. »Wenn du meinst«, brummt er, nicht sehr erfreut.

    »Ja, ich meine!«

    Ich schnappe den Geldschein und verschwinde im Laden. Dort entscheide ich mich für eine kleine Schachtel Pralinen und eine Tüte Bonbons und achte darauf, dass beides nicht mehr als zehn Euro kostet, denn heute habe ich keine Lust, selbst noch etwas beizusteuern.

    Letztes Jahr habe ich mich im Dezember bei Vater erkundigt, ob er im Sinn hätte, Helene Kramer, seiner Haushaltshilfe, etwas zu Weihnachten zu schenken. Da er verneinte, habe ich ihm eine Flasche Champagner besorgt und ihn, da ich ihn kenne, gebeten, diese mit einem Batzen - aus seinem Sack - an Frau Kramer zu verschenken. Später antwortete er auf meine Nachfrage, dass er ihr nur den Champagner übergeben hat, weil man, wie er mit einem Augenzwinkern meinte, nicht alles auf einmal verschenken soll. Das war sehr schlau von ihm und gegenüber Frau Kramer hat er bestimmt nicht erwähnt, dass der Champagner auf meine Kosten ging. Diese und ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich in der Schlange vor der Kasse stehe und hoffe, dass es bald vorwärtsgeht. Hier im Laden ist es angenehm kühl, aber David, Vater und der Hund sind draußen der Hitze ausgesetzt. Endlich bin ich an der Reihe, bezahle rasch, eile zurück zum Wagen, drücke Vater die Süßigkeiten und die paar Cents vom Wechselgeld in die Hand und steige hinten ein. David startet den Motor und lenkt den Wagen zur Autobahn.

    Nach einer halben Stunde treffen wir bei Kelly ein. Sie wohnt in einem kleinen Dorf und besitzt, zusammen mit ihrem Mann, in einer gepflegten Einfamilienhaussiedlung ein kleines, schmuckes Häuschen. Heute haben sie auf der Rasenfläche im Garten, zusätzliche Sitz- und Tischgarnituren mit Sonnenschirmen aufgestellt und die Tische festlich gedeckt. Wir treffen als letzte ein. Vater gratuliert Kelly zum Geburtstag, drückt ihr die Mitbringsel in die Hand und läuft mit mir und David in den Garten, wo wir fröhlich empfangen werden. Weil Vater ein gutes Gedächtnis hat, nennt er bei der Begrüßung jeden beim Namen. Nebst ein paar Verwandten von unserem Schwiegersohn, ist meine Familie fast vollzählig vertreten.

    Meine ältere Schwester Toni ist mit ihrem Exmann und ihren beiden erwachsenen Töchtern Sandra und Nicole mit deren Partnern anwesend. Toni ist trotz ihrer modernen Aufgeschlossenheit eine mütterliche Erscheinung und manchmal etwas blauäugig.

    Mein jüngerer Bruder Robert ist in Begleitung seiner langjährigen Partnerin da. Er hat als einziger die schwarzen Haare unserer Mutter geerbt und war mit seinen blauen Augen schon in der Schule der Schwarm aller Mädchen.

    Nur mein ältester Bruder Frank und seine Frau Lore fehlen, weil Kelly sie dieses Jahr nicht eingeladen hat. Weil die beiden bisher an jedem Fest von Kelly dabei gewesen sind, sich ihr gegenüber aber nie revanchiert haben, hat Kelly beschlossen, diese einseitige Sache zu beenden.

    Es ist so heiß, dass zuvor alle unter den Schatten spendenden Sonnenschirmen nah zusammengerückt sind, aber jetzt für Vater den besten Platz frei geben.

    Kelly und unser Schwiegersohn tischen Getränke und Kuchen auf und sind besorgt, dass jeder auf seine Kosten kommt. Die Zeit plätschert dahin und es geht lustig zu und her. Vater, der mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck inmitten dieser fröhlichen Schar sitzt und sich eine Zigarre angesteckt hat, pafft genüsslich vor sich hin und hört der Unterhaltung zu. Wir genießen den schönen Tag, das gemütliche Beisammensein, stoßen mit Sekt auf Kellys Geburtstag an und sind froh, dass die kleine Lynn mit Struppi beschäftigt ist. Sie hat die Aufgabe übernommen darauf zu achten, dass der Hund nicht ins Haus flitzt, denn er und ihre Meerschweinchen sind nicht die besten Freunde, und dummerweise fühlt sich Struppi von diesen angezogen, wie ein Bär vom Honig. Vater drängt sich selten auf, wenn er ein Bedürfnis hat und da das alle wissen, kümmern sich alle fürsorglich um ihn. Am Austausch der Neuigkeiten und Nettigkeiten nimmt er nur wenig teil und wirkt irgendwie abwesend. Will man etwas von ihm wissen, muss man ihn direkt ansprechen. Weil man mit den neusten Informationen durch ist und somit alle wieder auf dem aktuellsten Stand sind, wendet sich Sandra, die jüngere Tochter meiner Schwester Toni, an ihn.

    »Großpapa, geht es dir gut?«, fragt sie.

    »Bestens. Kürzlich haben mich Frank und Lore zu einem Ausflug an den Rennsteig mitgenommen. Franks Patentochter war auch dabei. Das ist eine sehr nette Person.«

    »Frank hat eine Patentochter?«, fragt Sandra verwundert. Sie dreht sich um und ruft über den Tisch: »Weiß jemand von euch, dass Frank eine Patentochter hat?«

    Alle sehen sich fragend an und zucken ahnungslos mit den Schultern. Niemand hat eine Ahnung. Wie auch. Wir haben in der Familie einen engen Kontakt und wissen deshalb fast alles voneinander. Zudem hätte es Lore, seine Frau, bestimmt schon früher erzählt, wenn sie diesbezüglich etwas gewusst hätte. Sie ist in dieser Hinsicht ein kleines Plappermaul. Andererseits gibt es auch für Zweifel keinen Anlass, wir sind immer ehrlich zueinander.

    »Doch«, erklärt Vater. »Frank war mit ihrer Familie befreundet, hat aber nach der Taufe den Kontakt verloren. Kürzlich hat er Rita aus purem Zufall getroffen und beim Gespräch mit ihr festgestellt, dass er ihr Patenonkel ist.«

    »Ist sie nett?«, fragt Sandra

    »Sehr. Ich habe mich ein bisschen in sie verliebt.«

    »Oh je! Jetzt bürdest du dir in deinem Alter Liebeskummer auf«, versucht Sandra ihn zu trösten. Sie hat sich ausgerechnet, dass diese Frau, als Franks Patenkind, einiges jünger, als ihr Opa sein muss und sie ihm deshalb kein Interesse entgegenbringen wird, das über diese zufällige Begegnung hinausgeht.

    »Nein, nein«, strahlt Vater. »Es ist nicht einseitig. Sie hat sich auch ein bisschen in mich verliebt und will in Zukunft viel Zeit mit mir verbringen.«

    Er ist ganz aus dem Häuschen und wir freuen uns für ihn. Ein hohes Alter bedeutet nicht die Endstation der Gefühle und er sehnt sich bestimmt wieder nach einer liebevollen Partnerin. Die Männer ziehen ihn auf, weil er in seinem Alter noch auf Freiersfüßen steht, nennen ihn, wegen seiner Vorliebe für die Berge, Alpen-Casanova und klopfen ihm gratulierend auf die Schulter. Vater lacht stolz bei jedem Spruch mit und ist sichtlich erfreut, dass man ihm sein neues Glück gönnt.

    Wir Frauen sind erpicht, mehr über diese Frau zu erfahren, die sein Herz erobern konnte, denn er war noch nie ein Draufgänger, macht keine Komplimente, jedenfalls haben wir nie eines von ihm gehört, und ist mittlerweile etwas langsam geworden. Wir sind uns einig, dass wir jede Frau akzeptieren, solange sie unserer Mutter das Wasser reichen kann. Sollte sie ein altbackenes Mutti sein, das keinen anderen Gesprächsstoff kennt, als ihre Kochrezepte, oder darüber diskutieren will, was sinnvoller ist, die Bettwäsche, oder die Hemden zuerst zu bügeln, würde sie definitiv nicht in unsere Familie passen. Daher sind wir sehr gespannt, was Vater über sie erzählt und wie er sie beschreibt.

    Kelly, die mit einer Getränkeflasche um den Tisch gelaufen ist und die Gläser nachgeschenkt hatte, bleibt bei Vater stehen. Sie weiß, dass wir ihn gleich mit Fragen überhäufen werden. Das ist in unserer Familie üblich, wenn etwas Neues, oder etwas Außergewöhnliches passiert.

    »Wie heißt sie?«, frage ich ihn.

    »Rita. Rita Elsino.«

    Der Name sagt uns nichts. Da Vater von sich aus nichts mehr preisgibt, bohren wir weiter und hoffen, dass wir ihm nicht alles aus der Nase ziehen müssen.

    »Und wie alt ist sie?«, will Toni wissen.

    »Fünfundvierzig. Und sie sieht super aus.«

    Beinahe hätte ich auf die Gabel gebissen, die ich mir in diesem Moment mit einen Stück Kuchen in den Mund gesteckt habe. Der Altersunterschied ist eindeutig zu groß. Vater ist alles andere, als wohlhabend, das kann nicht der Grund für ihr Interesse an ihm sein. Entweder ist diese Frau abgrundtief hässlich, oder sie findet aus einem anderen Grund keinen Mann.

    »Was? Und die hat sich in dich verliebt?«, frage ich hustend, weil mir der Bissen im Hals stecken geblieben ist.

    »Ja, ein bisschen. Hat sie jedenfalls gesagt«, schmunzelt er, und zieht eine neue Zigarre aus der Schachtel, die vor ihm auf dem Tisch liegt.

    »Du bist Neunundachtzig. Sie ist mehr als die Hälfte jünger als du, sogar jünger als ich und Robert«, erwidere ich lauter, als beabsichtigt.

    Am Tisch ist es mucksmäuschenstill geworden und alle richten ihren Blick auf Vater, der die Zigarre mit einem Streichholz ansteckt und sich damit viel, sehr viel Zeit lässt. Er weiß, dass wir nicht dumm sind und deshalb ein objektives Urteil fällen können. Unter seinen halb geschlossenen Augenlider blinzelt er in die Runde und versucht die Stimmung abzuwägen. Kaum macht er den ersten Zug, fallen alle mit Fragen über ihn her.

    »Ist sie hässlich? Hat sie einen Buckel, oder sonst einen Makel?«

    Frohgelaunt bläst er den Rauch aus dem Mund.

    »Sie sieht blendend aus und sagte, dass sie auch mich sehr attraktiv findet.«

    »Und das glaubst du?«, frage ich stirnrunzelnd, während sich die anderen skeptische Blicke zuwerfen.

    »Warum nicht? Ich kann doch nichts dafür, dass sie sich in mich verliebt hat«, antwortet er trotzig.

    »Vielleicht ist sie eine Abzockerin. Man liest das jetzt oft in der Zeitung«, wirft Sandra ihre Bedenken ein.

    »Vielleicht ist sie harmlos und Vater überschätzt ihre Komplimente«, ergreift Toni für Vater Partei.

    »Nein, sie findet mich interessant und will so oft wie möglich bei mir sein. Das hat sie mir versprochen«, wehrt Vater sich gekränkt. Er ist enttäuscht, dass sich unsere anfängliche Freude in ein Misstrauen umgeschlagen hat.

    Wir finden keinen Grund, der das Interesse dieser Frau an Vater erklären könnte und löchern ihn weiter mit Fragen. Nur ich werde immer stiller und nachdenklicher. Manchmal habe ich einen siebten Sinn und kann über Menschen in meiner Umgebung prophetische Aussagen machen. Da wir bisher noch nie von dieser Frau gehört haben, schrillen jetzt meine Alarmglocken und lösen in mir ein mulmiges Gefühl aus.

    Munter reden alle auf ihn ein. Vater zieht bei jeder Frage und bei jedem Einwand beide Hände in die Höhe, zuckt mit den Schultern und setzt eine ‚ich habe keine Ahnung um was es geht' Gesichtsmiene auf. Ich kenne das. Diese nonverbale Kommunikation setzt er ein, wenn er Kritik befürchtet, oder wenn man ihn für etwas zur Verantwortung ziehen will. Jetzt unterbindet er auf diese Weise die Fragen. Sandra lässt sich nicht so leicht abwimmeln und gibt ihm zu verstehen, dass er nicht zu gutgläubig sein darf, weil viele jüngere Frauen, die sich älteren Herren an den Hals werfen, es oft nur auf deren Geld abgesehen hätten.

    Vater hört ihr eine Weile zu und erwidert dann heftig: »Das trifft bei Rita nicht zu. Geld spielt keine Rolle, sie hat selbst genug davon. Ich verstehe euch nicht. Sie hat sich doch an mich herangemacht, nicht ich mich an sie.«

    »Gerade das ist suspekt. Mir gefällt das nicht. Pass auf, diese Person führt vielleicht nichts Gutes im Schilde und obwohl sie Franks Patentochter ist, habe ich kein gutes Gefühl«, warne ich ihn.

    Vater zieht die Hände hoch. Für ihn ist das Thema erledigt. Kellys Mann hat inzwischen den Grill angeworfen. Die Männer gesellen sich zu ihm und sind froh, dem Thema zu entkommen, das uns Frauen noch beschäftigt, als wir Kelly beim Aufbau des Buffets helfen. Als ich mich später am Salatbuffet bediene, stellt sich mein Bruder Robert an meine Seite und flüstert mir zu: »Nimm diese Frau mal unter die Lupe.«

    »Mach ich«, verspreche ich, und gehe mit dem gefüllten Teller an meinen Platz zurück.

    4

    Außer in der Natur ist mein Vater ein unsicherer Mensch. Zumindest ist das unser Eindruck, weil er oft, wie jetzt, Mühe hat, die Sache mit Rita richtig einzuschätzen. Ich schreibe diese Unfähigkeit seiner Kindheit zu, obwohl es durchaus ein paar Dinge gab, die sein Selbstbewusstsein hätten stärken können.

    Er ist als uneheliches Kind bei seiner Mutter aufgewachsen, die Zeit ihres Lebens ledig geblieben ist. Seinen Vater, obwohl bekannt, hat er nie kennen gelernt. Nur ein einziges Foto ist Zeugnis seiner Existenz und zeigt das Portrait eines jungen flotten Soldaten, der durch den ersten Weltkrieg in das Heimatdorf seiner Mutter gespült wurde. Der junge Soldat und Vaters Mutter wurden ein Liebespaar und wollten, da sie schwanger war, heiraten. Doch bevor sie die Verbundenheit amtlich besiegeln lassen konnten, wurde er an die Front berufen und kam dort vermutlich ums Leben, denn obwohl er versprach zurückzukommen, hat man nie mehr etwas von ihm gehört. Um sich und ihr Kind – unseren späteren Vater - durchzubringen, verdiente sich die junge Mutter - unsere spätere Großmutter – ihren Lebensunterhalt in der nahen Fabrik. Sie lebte bis kurz vor ihrem Tod in der spartanisch eingerichteten Wohnung, die ihr von der Fabrik zur Verfügung gestellt und für die ihr die Miete vom Lohn abgezogen wurde. In seinem Umkreis galt Vater als schönster Knabe weit und breit, und auch als schnellster, weil er jeden Wettlauf gewann. Später wurde er in der Leichtathletik ein As und hätte es weit gebracht, wenn nicht der zweite Weltkrieg seiner sportlichen Karriere ein Ende gesetzt hätte. Dafür entwickelte er im Krieg, er war in der Gebirgsinfanterie, die Leidenschaft zum Klettern und bestieg, Jahre später, fast alle Viertausender in der Schweiz.

    Schon in seiner Kindheit hielt er sich am liebsten in der freien Natur und bei den Tieren auf. Einer seiner Onkel sorgte dafür, dass er nach der Schulzeit eine Lehre absolvieren und ins Berufsleben einsteigen konnte. Im zweiten Weltkrieg lernte er auf einem Heimurlaub seine erste Frau kennen. Die beiden heirateten und Frank kam im letzten Kriegsjahr zur Welt. Um besser über die Runden zu kommen, vermieteten sie in ihrem Haus ein Zimmer. Mit dem letzten Untermieter machte sich seine Frau auf und davon und überließ Mann und Kind ihrem Schicksal. Frank war damals zwei Jahre alt. Mein Vater verlor nie ein Wort über seine Kindheit, selten über seine Jugend und schon gar nicht über seine erste Ehe. Alles was ich weiß, hat mir meine Mutter erzählt.

    Niemand in der Familie traute unserem Vater das selbständige Leben zu, das er nun als Witwer führt. Er ist trotz seinem hohen Alter kerngesund, braucht keine Medikamente, aber zum Lesen eine Brille. Wir empfinden es als großes Glück, dass er so rüstig ist. Seinen Haushalt besorgt er nahezu allein, nur alle vierzehn Tage sieht eine Haushalthilfe, zum Rechten.

    Von unserer Mutter ließ er sich, kurz bevor sie starb, erklären, wie man eine Waschmaschine bedient, Einzahlungen tätigt und Rechnungen bezahlt. Wir haben uns gewundert, dass er das in seinem Alter noch gelernt hat und jetzt alles selbstständig alles auszuführen weiß. Wir müssen uns um ihn auch keine finanziellen Sorgen machen. Soviel wir wissen, fließt auf ein Konto auf der Dorfbank eine Altersrente, mit der er seinen Lebensbedarf deckt und die regelmäßig anfallenden finanziellen Verpflichtungen, werden im Lastschriftverfahren jeden Monat von einem Konto abgebucht, das er auf der Citybank eingerichtet hat und auf das die Rente seiner Pensionskasse eingeht. Er profitiert heute davon, dass die Firma, bei der er bis zu seiner Pensionierung angestellt war, das Pensionskassensystem sehr früh eingeführt und er zusammen mit dem Arbeitgeber über Jahrzehnte in diese Kasse eingezahlt hat.

    Für unsere Bedenken, was seine Selbständigkeit betrifft, hatten wir gute Gründe. Unsere Mutter ließ selten, aber doch ab und zu die Bemerkung fallen, dass sie fünf Kinder großziehen musste. Damit traf sie den Nagel auf den Punkt, denn sie musste unseren Vater gelegentlich an einfache Anstandsregeln mahnen, die wir seit unserer Kindheit intus hatten. Ich habe nie verstanden, weshalb sich Vater diese nie merken konnte. Und Mutter hielt sich immer an die Sache. Nie hörten wir sie ein wüstes Wort aussprechen, so wie sie auch uns verboten hat, Schimpfwörter in den Mund zu nehmen, wenn wir Kinder uns gestritten haben. Hin und wieder deutete Mutter an, dass unser Vater und sein Sohn Frank dem Schicksal dankbar sein können, dass die beiden unter ihre Fittiche gekommen sind, denn ohne sie hätten die Zwei mit größter Wahrscheinlichkeit ein Leben am Rande der Gesellschaft gefristet. Damit konnten wir nicht viel anfangen. Wir gingen davon aus, dass sie Vaters fehlendes Rückgrat meinte, das sie oft bemängelte, oder weil sie bei ihm stets mit den Benimmregeln missionieren musste. Solche Sachen halt. Auch bei Frank gab es keine Anhaltspunkte, außer vielleicht, dass er jeweils liebend gern seine Auslagen anderen aufbürdet. Hatten er und Lore bei sich zu Hause Besuch erwartet, rief Frank immer unsere Mutter an und jubelte ihr unter einem Vorwand seine Gäste unter. Nachdem sie nicht mehr da war, versuchte Frank mir, oder meinen Geschwistern, seine Gäste aufzudrücken, aber wir wiesen seine Selbsteinladungen immer öfters ab. Worüber wir uns aber ärgern und dem Frieden zuliebe nichts sagen, ist, wie er sich bei gemeinsamen Restaurantbesuchen die Bezahlung der Zeche vorstellt. Er bestellt immer den teuersten Wein und die besten Gerichte, während wir uns nach der Decke strecken. Geht es ans Bezahlen, besteht Frank auf die Teilung der Rechnung durch die Anzahl Personen am Tisch, wobei er sich und Lore jeweils als eine Person rechnet. Zähneknirschend dulden wir das, weil es das einzige ist, das uns an ihm stört. Ansonsten haben wir ihn gern, finden seinen Humor toll, er ist immer freundlich und, das muss man ihm lassen, immer zur Stelle, wenn man ihn braucht. Und schließlich haben wir alle einen Makel.

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    Am Montagmorgen bin ich um sieben Uhr die erste, die in der Agentur eintrifft. Normalerweise komme ich nie so früh ins Büro, weil ich zuvor mit Struppi einen Abstecher in die Umgebung mache, aber heute kann ich es kaum erwarten, etwas über diese Frau in Erfahrung zu bringen.

    Zusammen mit meinem Geschäftspartner Marc, führe ich in Kaltbad eine Treuhandagentur. Marc ist fünf Jahre jünger, als ich und wir haben uns bei einem Expertenweiterbildungskurs kennen gelernt. Er sieht sehr gut aus - sein Studium hatte er sich mit Modeljobs finanziert – ist überzeugter Single, trotzdem sehr umgänglich und verfügt über

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