Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Chefsessel: Kosmetikkonzern ohne Chef - Sex und kriminelle Machenschaften
Der Chefsessel: Kosmetikkonzern ohne Chef - Sex und kriminelle Machenschaften
Der Chefsessel: Kosmetikkonzern ohne Chef - Sex und kriminelle Machenschaften
eBook455 Seiten6 Stunden

Der Chefsessel: Kosmetikkonzern ohne Chef - Sex und kriminelle Machenschaften

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Aus den kleinsten Anfängen heraus entwickelt sich eine Kosmetikfirma zum Global Player. Mit dem plötzlichen Tod des Firmenchefs bricht eine heile Welt zusammen. Zuerst ringen die Familienangehörigen um die Macht, dann die Leitenden Angestellten.
Die Talfahrt der Firma scheint vorprogrammiert zu sein. Auch die junge Witwe entdeckt ihre wiedergewonnene Freiheit und macht ausgiebig davon Gebrauch. Dabei geht es nicht immer ganz standesgemäß zu.
Ein Manager nach dem anderen nimmt in dem Chefsessel Platz. Die Firma würde unweigerlich untergehen, wenn da nicht die alte, schrullige Firmengründerin wäre.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum12. März 2013
ISBN9783844251081
Der Chefsessel: Kosmetikkonzern ohne Chef - Sex und kriminelle Machenschaften

Ähnlich wie Der Chefsessel

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der Chefsessel

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Chefsessel - Phil Lister

    Impressum

    Der Chefsessel

    Phil Lister

    Copyright: © 2013 Hermann Mezger

    published by: epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    ISBN 978-3-8442-5108-1

    Die Handlung dieses Buches ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen, – lebend oder verstorben, – Firmen und Institutionen wäre rein zufällig. Das Buch ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Vervielfältigungen aller Art, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    1. Kapitel

    Selbst jetzt noch, nach all den Jahren, nach all den Erfolgen, machte es Claudio Caprese einen beinahe kindlichen Spaß, seinen Namen auf einem Plakat zu lesen. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, als er zu der Litfaßsäule hinüberschaute, die sich nur wenige Meter entfernt befand. CCC - Claudio Caprese Cosmetics stand dort in fetten Lettern. CCC. Früher hätte man bei diesen Lettern an Kinofilme gedacht. Heute dachte man dabei an Schönheit, an Jugend, Makellosigkeit und Erfolg. Die CCC zählte zu den erfolgreichsten Kosmetikkonzernen der Welt. Das war doch etwas. Darauf konnte man schon mehr als nur ein bisschen stolz sein. Sein Blick schweifte herüber zu den Bannern, die sich über ihm im lauen Wind leicht blähten. Auch sie stammten von der CCC, und man sah sie überall in der Stadt.

    „Ein Cappuccino, der Herr." Die Serviererin stellte eine große Tasse vor ihm ab, auf deren Untertasse ein Keks lag, und lächelte ihm zu.

    „Danke sehr." Claudio lächelte zurück. Ein apartes Mädchen mit schlanken Beinen, von denen der knappe Minirock nur wenig verbarg. Unter der dünnen weißen Bluse zeichneten sich zart knospende Brüste ab. Die Kleine kannte ihre körperlichen Vorteile nur zu gut und wusste sie geschickt zu betonen. Allein das Gesicht wirkte vielleicht eine Spur zu herb, um als schön gelten zu können. Ein bisschen Schminke, sparsam eingesetzt, könnte es weicher wirken lassen.

    Lass das, schalt er sich. Du bist hier, um abzuschalten... Aber so einfach ist das wohl nicht. Irgendwie bist du immer im Einsatz. Die CCC ist nun mal dein Leben. Wenn es anders wäre, würde die Firma nur eine von vielen sein. Sie braucht dich, mit deinem ganzen Einsatz. Und, auch das ist wahr, du brauchst sie genauso.

    Claudio sah der Serviererin nach, wie sie durch die Tischreihen des Straßencafés vor dem Hotel Haus Reichert ging und schließlich im Inneren des Hotels verschwand. Sie schien sich seines Blickes bewusst zu sein und schwang graziös die Hüften. Claudio lächelte. Ganz sicher hoffte die Kleine darauf, dass sie irgendwann einmal jemand aus ihrem Dasein als Serviererin herausholte und in ein schöneres Leben entführte. Ob sie ihn wohl erkannt hatte?

    Unwillkürlich wanderte Claudios Blick wieder zu der Litfaßsäule hinüber. Claudio Caprese Cosmetics - Beauty Contest – Girl of the Year 1990 – Endausscheidung 30. April 2008, 20 Uhr – Kurhaus Baden-Baden.

    Claudios Blick glitt hinab zu dem riesigen Farbfoto, dem unübersehbaren Blickfang des Plakats. Und was das für ein Blickfang war! In bunter Reihe präsentierten sich sieben bildhübsche und gutgewachsene Mädchen, drei in eleganter Abendrobe, weitere drei in knappsten Bikinis, die eigentlich nur aus ein paar Bändern bestanden, und in der Mitte befand sich ein offenbar völlig nacktes Mädchen, das bezaubernd lächelte und seine Blößen in charmanter Frivolität hinter einem riesigen Rosenstrauß nur unzulänglich versteckte. Die blutroten Rosenköpfe bedeckten nur die beiden Brustwarzen, und die Stiele der Rosen hielt das Mädchen so geschickt vor ihre Blöße, dass nur noch eine Andeutung übrig blieb. Claudio liebte diese Pose, die er sich selbst ausgedacht hatte. Er liebte die Andeutung, dieses kleine Spiel, das die Phantasie beflügelte. Und ihm gefielen Kontraste. Auch die Idee, die Mädchen auf diese Art zu präsentieren – immer eines im Abendkleid neben einem im Bikini, die ihre Nacktheit hinter Rosen verbergende Schöne in der Mitte – stammte von ihm. Es war so etwas wie ein Gemälde der Lebensfreude, dachte er. Schön und aussagekräftig.

    Dass er sich in alles einmischte, selbst der Kreativabteilung seiner Werbeagentur gelegentlich hineinredete, passte so manchem nicht, weder in der Werbeagentur, noch in der Firma oder zu Hause. „Musst du dich denn immer um alles kümmern, Claudio?, hatte ihn Astrid mehr als einmal vorwurfsvoll gefragt, wenn er wieder einmal ein Wochenende für die CCC opferte. „Du solltest einfach mehr delegieren. Gib den anderen auch mal eine Chance. Sie verstand es einfach nicht, obwohl er es ihr immer wieder zu erklären versucht hatte. Er gab anderen eine Chance. Mehr als das. Er delegierte nach Kräften, ließ seinen Mitarbeitern die lange Leine, entfachte ihre Kreativität, lockte Ideen hervor und hörte auf gute Ratschläge. Aber das alles hieß doch nicht, dass er die anderen einfach gewähren ließ und sich selbst um nichts mehr kümmerte. Das Gegenteil war der Fall, und es konnte aus seiner Sicht auch gar nicht anders sein. Er war der Operateur einer gut geölten Maschine. Er musste jedes Detail der Maschine kennen, um eingreifen zu können, wenn es zu Betriebsstörungen kam. Er musste das Leistungsvermögen der Maschine kennen, um sie optimal einzusetzen und bis an ihre Grenzen hochzufahren, musste ihre Leistungsfähigkeit stetig erhöhen, um schneller zu sein als die Konkurrenz. Er war die CCC, er verkörperte das Ganze. Und das Ganze war eben mehr als die Summe der Teile. Die anderen brachten sich engagiert ein, trugen zum Erfolg des Konzerns bei – Claudio hatte eine hohe Meinung von seinen Mitarbeitern und viel Mühe darauf verwendet, gute Leute um sich zu scharen. Die aber blickten manchmal nicht über den Tellerrand, sahen nur ihren eigenen Bereich. Da bedurfte es eines Mannes, der alles überschaute und mit Herzblut bei der Sache war. Diese Einschätzung basierte nicht auf übertriebenem Selbstbewusstsein und nur zu einem ganz kleinen Teil auf Eitelkeit. Die Erfolge gaben ihm ganz einfach recht.

    Claudio rührte seinen Cappuccino um, umkoste mit dem Löffel den weißen Schaum, knabberte an dem süßen Keks und nahm einen kleinen Schluck. Er lehnte sich auf dem Bistrostuhl zurück, blinzelte mit halb geschlossenen Augen eine Weile in die Sonne und betrachtete dann müßig das Treiben in der Fußgängerzone. Hier schlug das Herz von Baden-Baden. Luftig gekleidete junge Mädchen flanierten gelangweilt umher. Mit dem Wetter hatte die CCC wieder einmal Glück gehabt. Es war erst Ende April, aber so warm wie sonst erst Ende Mai. Das richtige Wetter für sommerliche Phantasien, für Träume von Schönheit, für Genüsse aller Art.

    Wenn er der einen oder anderen besonders Hübschen ansichtig wurde, die das gewisse Etwas hatte, fragte er sich, ob er sie wohl am Abend wiedersehen würde, wenn die CCC im Großen Kurhaus ihren auf dem Plakat angekündigten Schönheitswettbewerb zelebrierte und das Girl of the Year gekürt wurde. Unwahrscheinlich war dies nicht. Der CCC-Beauty Contest war ein Magnet für die jungen Schönen – und jene, die sich dafür hielten. Sie kamen aus ganz Europa und sogar von Übersee nach Baden-Baden, wenn die CCC für ihre Veranstaltung die Werbetrommel rührte. Die Zahl der Bewerberinnen stieg unaufhaltsam von Jahr zu Jahr, und manche waren noch halbe Kinder, auch wenn man es ihren Körpern nicht ansah. Claudio liebte die Jugend, und die CCC war mit einer speziell auf die Bedürfnisse sehr junger Mädchen abgestimmten Produktlinie Cool Young Lady immens erfolgreich. Gleichzeitig wusste Claudio jedoch, dass es vor allen Dingen Frauen zwischen 25 und 45 waren, die Kosmetikartikel der CCC kauften. Diese Frauen konnten sich mit einem frischen, jugendlichen, aber voll erblühten Girl of the Year identifizieren oder ihm nacheifern, einem Mädchen von vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahren – nicht aber einem, das erst fünfzehn war. Aus diesem Grunde und um generell die Flut der Bewerbungen zu reduzieren, hatte er vor zwei Jahren die Notbremse gezogen. Seitdem wurde die Teilnahme am Beauty Contest davon abhängig gemacht, dass die Kandidatinnen das siebzehnte Lebensjahr vollendet hatten und dies mit einwandfreien Papieren auch belegen konnten. Um sich auch vor jenen zu schützen, die sich Jahr um Jahr immer wieder aufs neue bewarben, hatte er zugleich eine Altersobergrenze eingeführt: Keines der Mädchen durfte älter als zwanzig sein. Die CCC suchte Mädchen, die zwischen siebzehn und zwanzig waren, Mädchen, die frisch, natürlich und unverbraucht waren. Und die bekam seine CCC. Hunderte, Jahr für Jahr, die sich den Vorausscheidungen stellten. Übrig blieben am Ende zwölf Bewerberinnen für die Endausscheidung, ein weiteres Dutzend erhielt eine kostenlose Eintrittskarte für das große Ereignis im Kurhaus. Selbst das zweite Dutzend hatte noch gute Aussichten, den einen oder anderen Werbe-, Repräsentations- oder TV-Vertrag zu ergattern, denn im Publikum wimmelte es nur so von Talentsuchern der Medienwelt und der Werbung, ganz obenan die Castingdirektoren der erfolgreichsten Model-Agenturen.

    Die Konkurrenz unter den Mädchen war erbittert. Kein Wunder, es ging ja auch um einiges. Immer wieder gab es Neid, giftige Blicke, abfällige Bemerkungen und Tränen. Auf der Bühne merkte man davon nichts, aber hinter den Kulissen kam es manchmal zu weniger schönen Szenen, bisweilen sogar zu handfesten Raufereien. Mädchen zerrten sich wütend an den Haaren und mussten gewaltsam getrennt werden. Und doch waren es die gleichen Mädchen, die bei anderer Gelegenheit mit großen, unschuldigen Augen dreinschauen konnten oder sich hilflos an ein Stofftier klammerten, das fast jedes von ihnen als Talisman dabei hatte.

    Der Beauty Contest war ein Selbstgänger geworden, das Interesse der Medien am Girl of the Year wuchs und wuchs. Selbst für die Bevölkerung war diese Veranstaltung zu einem festen Begriff geworden, und der Volksmund erfand sogar einen speziellen Ausdruck dafür: „Kalbfleisch-Derby". Der Claudio Caprese Cosmetics konnte dies nur recht sein. Die Marketingstrategie war voll aufgegangen und zeigte keine Abnutzungserscheinungen. Claudio war seiner Sache sicher, dass dies auch in den kommenden Jahren so bleiben würde, solange ihm und seinem Team immer wieder etwas Neues einfiel.

    Schöne Mädchen, die sich zeigen und bewundern lassen wollten, würde es immer geben. Tatsächlich wurden es in einer Welt der Massenmedien und Selbstdarsteller immer mehr. Mädchen, die eine Chance suchten, irgendwie nach oben zu kommen, und sei es nur, um die eine oder andere Einladung zu einer VIP-Party zu erhalten. Besonders viele Mädchen reisten in den letzten Jahren aus Osteuropa an. Als hätten sie etwas nachzuholen. Wie viele von ihnen mochten davon träumen, dass ein reicher Märchenprinz im Publikum saß, der sie in ein Leben von Sorglosigkeit und Reichtum entführte? Einige von ihnen würden vielleicht in einem Hotelzimmer hier in Baden-Baden nur eine Nacht lang in den Armen eines Verehrers diesen Traum träumen, der danach zu der mehr oder minder schalen Erinnerung an einen One-Night-Stand verpuffte. Aber vielleicht sprang dann wenigstens ein Vertrag als Model dabei heraus.

    Einige der Mädchen würden, leider, von anderen gewissen Herren im Publikum ausgeguckt werden, den Männern mit der Rolex am Handgelenk und den schweren Goldringen an den Fingern, Männer, die Claudio zutiefst hasste, aber leider nicht immer von der Veranstaltung fernhalten konnte. Man sah ihnen ihre Profession ja nicht unbedingt an. Wenn die Mädchen zu leichtgläubig waren und sich von ihnen umgarnen ließen, landeten sie vielleicht in einem sogenannten Club oder, wenn sie etwas mehr Glück hatten, ergatterten sie einen Vertrag als Fotomodell für ein Herrenmagazin.

    Claudio zuckte die Schultern. So sehr er solche Mädchen auch bedauerte: Jeder war seines eigenen Glückes Schmied. CCC bot nur den Griff zu den Sternen. Zupacken mussten die Mädchen schon selbst. Oder zurückzucken, bevor sie sich die Finger verbrannten, wenn die Sterne sich als zu heiß erwiesen oder aus Katzengold bestanden.

    Er trank wieder von seinem Cappuccino, nicht geistesabwesend, sondern voller Genuss. Er ließ den Geschmack auf der Zunge zergehen. Dazu war er bei allem Stress immer noch fähig. Und weil dies so war, wusste er, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Ja, genießen konnte er schon immer, auch und vor allem weibliche Schönheit. Er liebte sie alle, die blutjungen, erblühenden Mädchen ebenso wie die etwas reiferen Frauen, wenn sie einen schönen Körper und das gewisse Etwas besaßen. Personality. Ausstrahlung. Charisma. Sinnlichkeit. Das ewig Weibliche. Dafür hatte er sich trotz seiner achtundvierzig Jahre den Blick bewahrt.

    Wieder fiel sein Blick, wie magisch angezogen, auf das Plakat. Die kleine Nackte in der Mitte des Fotos war die Vorjahressiegerin gewesen. Wie hieß sie noch gleich? Miriam... nein, Nicky aus Wien. Dieses Mädchen war genial in ihrer Präsentation gewesen. Sie hatte sich kokett geziert, als er sie bat, sich später für das Plakat so zu zeigen und ablichten zu lassen. Er hatte ihr recht gegeben: In den Teilnahmebedingungen war nicht davon die Rede, dass die Siegerin sich splitternackt ausziehen musste. Er war ihr gegenüber völlig ehrlich gewesen und hatte ihr gesagt, dass ihm der Gedanke erst beim Anblick ihres perfekten Körpers im Bikini und ihrer Art, sich zu bewegen, gekommen war. Das schmeichelte ihr. Er betonte, dass es ihr freistand, seinen Vorschlag abzulehnen, ohne einen Nachteil zu erleiden. Oder ihn anzunehmen – für zusätzliche zweitausend Euro aus seiner eigenen Tasche. Und für den Ruhm, den es bringen würde, wenn das Foto „CCC-Girl of the Year: die Nackte mit den Rosen" um die Welt ging. Denn das würde unausweichlich der Fall sein, dafür verbürgte sich Claudio. Schließlich hatte sie mit einem bezaubernden Lächeln zugestimmt – und es nicht bereut. Das Foto war um die Welt gegangen, hatte Nicky zahlreiche Werbeverträge und einen kleinen Filmvertrag eingebracht.

    Claudio seufzte. Bei Nicky hatte er sich damals noch ernsthaft beherrschen müssen. Gern hätte er die Rolle des Rosenstraußes gespielt, schon in der Umkleidekabine, als sie die Szene ohne die Anwesenheit von Dritten probten und Nicky sich wie selbstverständlich ausgezogen hatte. Aber das wäre ohnehin nicht sein Stil gewesen. Dann schon eher später auf seiner Segelyacht Cecilia oder in seinem Haus in Spanien. Und er sah an ihrem halb fragenden, halb lockendem Lächeln, dass sie sich ihm nicht versagt hätte, ein solches kleines Abenteuer sogar als unausgesprochenen Teil des Deals akzeptierte. Aber Claudio blieb seinen Prinzipien treu: Keine Affären mit Angestellten, keine Affären mit den Mädchen, die an den CCC-Beauty Contests teilnahmen. Letzteres galt auch für alle Angestellten der CCC, die mit dem Contest zu tun hatten. Aber für ihn galt dies in besonderem Maße. Eine Liebesnacht mit einem Girl of the Year oder auch nur einem der anderen Mädchen, das sich dem Wettbewerb gestellt hatte, würde alles zerstören. Wenn die Medien so etwas herausbekamen – und sie würden es herausbekommen!, war der Zauber der Wahl zum Girl of the Year dahin, das Ganze kam in den Ruch, käuflich zu sein, der Firmeninhaber geriet ins Zwielicht, und das Image der CCC würde schwer beschädigt werden. Und die Liebe zur CCC zählte für Claudio nun mal mehr als alle Liebesnächte mit allen schönen Frauen der Welt zusammen.

    Nur einmal hatte Claudio eine Ausnahme von dieser Regel gemacht, aber in aller Ehre und in aller Öffentlichkeit, als er das allererste Girl of the Year zu seiner Frau machte. Es war damals Liebe gewesen, aber ungewollt hatte er mit dieser Heirat zum Mythos des CCC-Beauty Contest beigetragen, der sich in den folgenden Jahren aufbaute. Wer wagte es schon, der CCC zu unterstellen, dass ihr Schönheitswettbewerb einzig und allein geschäftlichem Kalkül unterlag, wenn Claudio Caprese höchstpersönlich die erste Gewinnerin zu seiner Herzensdame gemacht hatte?

    Claudio lehnte sich zurück, ließ den Kopf in den Nacken fallen und genoss die warmen Strahlen der Frühlingssonne. Er war hierher geflüchtet um abzuschalten, und um sich auf das am Abend stattfindende große Ereignis vorzubereiten.

    Sein Büro glich an diesem Morgen einem Irrenhaus. Seine Sekretärinnen bestürmten ihn mit tausend Belanglosigkeiten und zu allem Überfluss hatte ihm Proll, sein Produktionsleiter, die Ohren vollgeblasen, die Firma müsse unbedingt an eine Osterweiterung denken. Ein Joint Venture mit einer russischen Kosmetikfirma wäre dringend erforderlich. Dabei geht Proll der Vertrieb überhaupt nichts an. Überhaupt ist dieser Proll in letzter Zeit etwas aufmüpfig und penetrant geworden. Und nicht genug damit: Es kam auch noch ein Krankenwagen mit Sirenengeheul angebraust, weil eine der Teilnehmerinnen, die an einer Betriebsbesichtigung teilgenommen hatte, umgekippt war. Vermutlich hatte das arme Ding seit Tagen nichts mehr gegessen, um die letzten paar Gramm abzuhungern, die ihrer Traumfigur noch im Wege standen. Sofort stand das Mädchen Nummer 13 bei ihm auf der Matte und machte sich Hoffnungen, als Ersatz einspringen zu dürfen. So sind sie nun mal. Keine gönnt der anderen etwas. Jede lauert auf eine Schwäche der anderen.

    Einer der Passanten winkte Claudio zu, und er grüßte mit einer leichten Handbewegung zurück, obwohl er den Mann nicht kannte. Das kam häufig vor. Vielleicht hatte der Mann Claudios Bild in der Presse gesehen oder ihn bei einem Empfang kennengelernt. Claudio besaß ein gutes Personengedächtnis, aber all die Namen und Gesichter, mit denen er konfrontiert wurde, konnte er sich beim besten Willen nicht merken.

    Wo sich wohl seine Frau in diesem Moment herumtrieb? Sicher war sie bei ihrem Friseur, um sich ihre naturblonden Haare stylen zu lassen. Oder bei der Schneiderin. Ja, sie wird bei ihrer Schneiderin sein, um wieder einmal ein Kleid abzuholen, das nach ihren Vorstellungen angefertigt wurde. Geld spielte dabei ja keine Rolle. Und Astrid hatte zum Glück einen sehr guten Geschmack.

    Claudio umgab sich gerne mit schönen Dingen und er hatte einen Hang zur Perfektion. Er verlangte auch von seinen Mitarbeitern, die sich der Öffentlichkeit präsentierten, ein gepflegtes Aussehen. Aber das hielt er bei einem Unternehmen, dessen alleinige Botschaft die Schönheit war, für selbstverständlich. Und es stimmte auf keinen Fall, dass er seine Mitarbeiter oder gar seine Frau als Inventar betrachtete. Er verlangte lediglich, dass sie sich den Interessen der Firma unterwarfen.

    Na ja, dachte Claudio, wenn er ehrlich war, dann verlangte er von Astrid doch etwas mehr. Aber schließlich repräsentierte sie die Firma als eine Art Botschafterin der Schönheit. Sie konnte sich wirklich nicht beklagen. Er verwöhnte sie. Materiell fehlte es ihr an nichts. Er sah durchaus, dass Astrid für dieses sorglose Leben ein paar Opfer bringen musste. Wo in der Welt gab es schon etwas umsonst?

    Sicher, von ihm selbst hatte sie nicht viel. Die Firma und die Niederlassungen im Ausland forderten den ganzen Mann. Dass er nebenbei noch Präsident eines Golfclubs war, in den Vorständen mehrerer Wirtschaftsverbände wirkte, und im Aufsichtsrat eines Chemieunternehmens und einer großen Versicherung saß, konnte man an dem dicht gedrängten Terminkalender ablesen. So gesehen lebte seine Frau in einem goldenen Käfig. Vielleicht lag es auch an diesem unsteten Leben, dass er nur noch sporadisch und in immer größer werdenden Abständen sexuelles Verlangen verspürte. Oder stumpfte der ständige Umgang mit der weiblichen Schönheit mit der Zeit ab?

    Claudios Interesse an schönen Frauen reduzierte sich auf die pure Ästhetik. Die Frage, wie man große Augen noch leuchtender, volle Lippen noch sinnlicher machen konnte, waren für ihn viel wichtiger als die Vorstellung, was man mit einer Frau alles anstellen kann.

    Zugegeben: Auch Astrid ist mit der Zeit spröde geworden. Sie gibt sich genau so, wie sich Lehmann von nebenan eine Schwedin vorstellt: Groß, blond und kaltherzig. Claudio machte keine Anstalten, das Gefühlsleben seiner Frau näher zu beleuchten. Solange der Schein nach außen gewahrt blieb, hatte er keinen Grund zu einer Beanstandung.

    Er schaute auf die Uhr. Kurz vor 14 Uhr. Es wurde Zeit, in die Büroräume zurückzukehren, die von der CCC wie jedes Jahr für die Vorbereitung der Veranstaltung im Kurhaus angemietet worden waren. Es war von hier aus nur ein kurzer Weg, den er wie den Hinweg zuvor rasch zu Fuß zurücklegen würde. Er wollte bei seinem Team sein, wenn es galt, die letzten Hindernisse für einen vollendeten Ablauf der Abendveranstaltung, die unausweichlich noch auftreten würden, aus dem Weg zu räumen. Später, so gegen 18 Uhr, würde er nach Hause fahren und sich umziehen. Was für seine Frau und seine Mitarbeiter galt, hatte auch für ihn oberste Priorität: Perfektion in der äußeren Erscheinung. Oder zumindest das allerbeste Streben danach.

    Zuvor allerdings blieb ihm noch eine Pflicht, die er niemals versäumte, wenn wieder einmal die Wahl zum Girl of the Year anstand: die Verwandtschaft zu mobilisieren. Das war ein Ritual, eigentlich unnötig, weil natürlich weder seine Geschwister noch seine Mutter daran erinnert werden mussten. Aber er konnte nicht davon ablassen. Mama wartete förmlich auf diesen Anruf, nahm ihn als liebevollen Beweis dafür, dass ihr Sohn sie als Seniorchefin auch wirklich noch immer dabeihaben wollte. Was hingegen Claus und Sabine anging... Nun, Claudio musste sich eingestehen, dass er nicht ganz frei von einer gewissen Boshaftigkeit war, wenn er seine Geschwister an diesem Tag anrief und sie an ihre Pflichten gegenüber der Firma erinnerte. Sie taten sonst nichts, absolut gar nichts für die Firma, hielten nur die Hand auf und lebten gut davon. Sie wussten, dass er ihre Anwesenheit an diesem Abend verlangte – und sie fügten sich.

    Er wandte sich dem Telefon zu und wählte die erste Nummer.

    2. Kapitel

    Seit ihr Mann gestorben war, lebte Anna Caprese allein in der alten Jugendstilvilla, die wegen des königsblauen Außenanstrichs in der Firma nur das Blaue Haus genannt wurde. Nach Marios Beerdigung hatte sie das Haus als leer und öde empfunden, und sie sah Mario noch immer, wie er tot im Bett des Schlafzimmers gelegen hatte. Sie überlegte kurzzeitig, das Haus zu verkaufen und in ein komfortables Appartement zu ziehen. Aber mit dem von den Eltern geerbten Haus waren zu viele Erinnerungen verbunden. Sie hatte in diesem Haus ihre Kindheit verlebt. Hier war sie mit Mario glücklich gewesen, hier waren die Kinder groß geworden. So etwas zu verkaufen hieß, ein riesengroßes Stück eigener Identität zu verkaufen. Sie verwarf ihren Plan. Stattdessen ließ sie das Haus gründlich renovieren, räumte um, degradierte das einstige Schlafzimmer zum selten genutzten Büro und richtete sich ein komplett neues Schlafzimmer in einem der Gästezimmer ein.

    Genau genommen lebte sie nicht völlig allein in diesem Haus, zumindest tagsüber nicht. Dann ging ihr Elli Reincke zur Hand, die selbst immerhin schon zweiundsechzig, aber immer noch putzmunter war, und seit Jahrzehnten für die Familie Caprese als Köchin und „Mädchen für alles" Hand anlegte. Und dann gab es noch die Szymaniaks im Haus nebenan, alte Bekannte und Freunde, die den Garten versorgten, sich um kleine Reparaturen kümmerten und abends oft zu einem Plausch vorbeischauten. Anna war vor zwei Monaten siebzig Jahre alt geworden, empfand sich aber keineswegs als alte Frau, der gefälligst Pflege anzugedeihen hatte. Im Gegenteil, sie fühlte sich kräftig genug für die Hausarbeit – dass Elli kochte, lag mehr daran, dass Anna selbst stets eine widerwillige und miserable Köchin gewesen war und auf ihre alten Tage daran auch nichts mehr ändern wollte, machte ihre Einkäufe und nahm am gesellschaftlichen Leben regen Anteil. Mit ihrem BMW besaß sie einen flotten Wagen – und sie fuhr ihn noch immer so, dass der Motor weiß Gott keinen Grund hatte zu versauern.

    Anna war eben alles andere als ein Großmuttertyp, wie sogar schon ihr Enkel Carlo anerkennend festgestellt hatte. Das hieß aber keineswegs, dass sie sich krampfhaft der Jugend anbiederte. Sie war eine gestandene, selbstbewusste Frau, die niemandem nach dem Mund redete, auch den eigenen Kindern und Enkeln nicht, ihnen am allerwenigsten. Sie war sehr eigenwillig und hatte ihre Marotten. Ihr war durchaus bekannt, dass es Leute gab, die sie hinter ihrem Rücken als ein bisschen schrullig bezeichneten. Das war ihr völlig egal. Dies offen herauszusagen, traute sich allerdings niemand.

    Anna hatte ihre in Jahrzehnten gewachsenen Vorlieben, etwa die für alte klassische Musik. Sie schätzte Bach und Mozart, Verdi und Vivaldi, und sie besaß eine umfangreiche Sammlung an Langspielplatten – darunter sogar einige Schellackraritäten – und CDs mit klassischen Aufnahmen aus den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren. Oldtime-Jazz war ihre andere große Leidenschaft. Erst kürzlich hatte sie zum Entsetzen der ganzen Familie an einem Oldie-Dixieland-Tanzmarathon teilgenommen. Eines der Fotos von der Veranstaltung, das sie in einem hoch geschlitzten lila Fummel, einer Federboa und knallrot gefärbten Haaren zeigte, hatte ihr so gut gefallen, dass sie hundert Abzüge davon machen ließ und diese an alle Bekannte und Freunde der Familie verteilte.

    Sie hegte und pflegte ihre Erinnerungen und die Dinge, die damit verknüpft waren und das Haus vom Keller bis zum Dach zierten. Dezent und sparsam, versteht sich, hier und da ein Stück, denn sie hasste andererseits auch den Gedanken, in einem Museum leben zu müssen. Die Dinge selbst mussten aber nicht unbedingt dezent aussehen. Sie durften auch schrill sein. Wie etwa die schon erwähnte Federboa aus dem Dixieland-Marathon, die seither als eine Art Trophäe über der Tür zum Wohnzimmer hing. Nur Marios Zimmer, das „italienische Zimmer", war so geblieben, wie Mario es damals verlassen hatte, mit all dem gemütlichen Chaos und den Mitbringseln aus den vielen Italienreisen, die sie gemeinsam unternommen hatten. Manchmal, wirklich nur manchmal, wenn ihr danach war, ging sie hinein, setzte sich eine Weile stumm in den Schaukelstuhl, in dem Mario so gern gesessen hatte, und unternahm eine Zeitreise in die Vergangenheit.

    Auch die meisten Erinnerungsstücke, die über das Haus verteilt waren, hatten Mario und ihr zu gleichen Teilen gehört, waren Souvenirs von Reisen, Aufmerksamkeiten von Freunden, Geschenke, die sie einander gemacht hatten, Bilder und Bastelarbeiten von den Kindern, als diese noch klein gewesen waren. Einzelne Stücke schätzte Anna besonders, etwa die einen halben Meter große Statue eines lachenden Buddha aus massiver Bronze, die aus Taiwan stammte und eine echte Antiquität darstellte. Sie beide hatten sie im Verlauf einer Ostasienreise bei einem Trödler in Taipeh erstanden und im Flughafen über die Diskussionen mit dem Zoll das Flugzeug verpasst. Der Bumerang, der im Treppenhaus an der Wand hing, erinnerte an eine Reise nach Australien, an eine Fahrt im Range Rover quer über den Kontinent und an ein Pokerspiel mitten in der Wüste mit vier rustikal aussehenden Australiern, bei dem Mario eben jenen Bumerang gewann. Und sie liebte den wunderschönen alten Wiener Regulator von Gustav Becker, der im Esszimmer hing und fast so genau lief wie eine Quarzuhr. Mario hatte ihn kurz nach dem Krieg, in der „Schlechten Zeit", wie die Leute damals sagten, auf dem Schwarzmarkt als Naturalie gegen Schönheitssalbe eingetauscht, die Uhr später aber schweren Herzens einem Bauern für etwas Butter und Schinken verkauft, als die Familie hungerte. Anna erfuhr von dem erneuten Tausch erst, als Mario stolz mit den Esswaren nach Hause kam. Da sie wusste, wie sehr er an der Uhr gehangen hatte, entlockte sie ihm den Namen des Bauern, kaufte den Regulator nach der Währungsreform heimlich zurück und schenkte ihn Mario zum Geburtstag. Er hatte sich wie ein kleines Kind darüber gefreut. Und Anna liebte die Uhr, weil Mario sie geliebt hatte. Und es war wirklich ein schönes, schellackpoliertes, tadellos erhaltenes Stück aus der Gründerzeit um 1890.

    Mindestens genauso liebte sie das, was sich in einer Nische des Salons befand: einen Mörser aus inzwischen rissig gewordenem weißen Porzellan mit einem Stößel aus dem gleichen Material. Das war eines der wenigen Stücke, das sie an ihren Vater erinnerte, und stammte aus der Alten Hirschapotheke ihres Vaters. Angeblich war in genau diesem Mörser die erste Schönheitssalbe angemischt worden, die in gewisser Weise den Grundstein der CCC darstellte. Aber das interessierte Anna nicht besonders. Allein die Tatsache, dass sie als Kind ihren Vater oft dabei beobachtet hatte, wie er diesen Mörser und diesen Stößel benutzte, machte die Gegenstände kostbar.

    Gerade jetzt ruhte Annas Blick auf der bewussten Nische. Sie saß in ihrem bequemen hochlehnigen, dunkelblauen Ledersessel und rauchte ein Zigarillo, was sie zwar selten, dann aber mit großem Genuss tat. Sie hatte das Buch, eine Bach-Biographie, aus der Hand gelegt. „Können Sie sich eigentlich noch an Paps erinnern, Elli?, fragte sie ihre Haushälterin, die gerade schwarzen Tee und Gebäck aufgetischt hatte, jeweils zwei Teelöffel Kandiszucker in zwei Tassen gab und die Tassen mit heißem Tee aus der bauchigen Kanne auffüllte. Der Kandiszucker knisterte. Elli stellte die Kanne auf ein Stövchen, in dem sie zuvor eine Kerze entzündet hatte, damit der Tee heiß blieb. „Sie waren doch damals schon bei uns, oder? Nach dem Krieg, in den späten Vierzigern, als Paps noch lebte? Entschuldigen Sie bitte, wenn ich frage, aber manchmal lässt mich mein Gedächtnis doch ein wenig im Stich.

    Elisabeth Reincke, eine rundlich-gedrungene, bäuerlich und gesund wirkende Frau, gab je einen Löffel Sahne in den Tee, reichte Anna ihre Tasse und setzte sich ihr gegenüber auf das Dreiersofa. Sie nickte. „Ich war einundzwanzig, als ich zu Ihnen kam. Mein Gott, ist das lange her. Natürlich erinnere ich mich noch an Ihren Vater, obwohl ich ihn nur kurz gekannt habe. Er war schon ganz weißhaarig und sehr krank, als ich meine Stellung bei Ihnen antrat. Ein freundlicher Mann, der wenig sprach. Er trank immer einen guten Cognac zum Kaffee. Der Cognac wurde dort drüben in der Vitrine aufbewahrt... Sie zeigte hinüber. „...und ich musste mir vorher immer erst den Schlüssel von Ihnen oder Herrn Caprese geben lassen, denn die Vitrine war abgeschlossen.

    „Ja, stimmt, sagte Anna. „Das war mir gar nicht mehr so gegenwärtig. Einen französischen Cognac zum Kaffee, natürlich, obwohl er sonst kaum Alkohol trank. Es war damals gar nicht so einfach, an französischen Cognac zu gelangen, vor allem nicht kurz nach dem Krieg, vor der Währungsreform. Da halfen nur gute Beziehungen. Aber irgendwie haben wir es immer geschafft, für ihn eine Flasche aufzutreiben.

    Später war alles leichter geworden, schon im Juni 1948, gleich nach der Währungsreform, als all die gehorteten Vorräte der Kaufleute wieder in den Läden aufgetaucht waren. Damals hatten sich auch schnell erste geschäftliche Erfolge bei Mario Caprese eingestellt. Anna war Mario in der Firma zur Hand gegangen, und jemand musste die Kinder betreuen. Paps war zu krank gewesen, um dies zu übernehmen, und Mutter war schon vor ihm dahingegangen, schwer verletzt bei einem Tieffliegerangriff in den letzten Kriegstagen und Monate später daran gestorben. Sie hatten hin und her gerechnet, ob sie sich eine Hausangestellte leisten konnten, und schließlich Elli eingestellt. Es war die richtige Entscheidung gewesen – sowohl in bezug auf Elli als auch zum Wohl der Firma, die ohne Annas Organisationstalent kaum so schnell aufgeblüht wäre. Das sah Anna ganz nüchtern und ohne Eitelkeit. Sie wusste, was sie konnte und was sie nicht konnte. Und organisieren konnte sie.

    Anna legte das Zigarillo im Aschenbecher ab und nahm einen Schluck von dem Tee, ohne ihn umzurühren. Er schmeckte noch angenehm bitter, mit nur einer Spur Süße und einem Hauch von Sahne. Später, wenn der Zucker und die Sahne sich weiter ausbreiteten, würde er süß und sahnig schmecken, und das war auch etwas Feines.

    „Paps war damals schon sehr krank, der Arme, fuhr sie fort. „Leukämie. Man kann bis heute nicht viel dagegen tun, und damals konnte man es erst recht nicht. Er war noch nicht sehr alt, als er starb. Nur fünfundfünfzig. Aber das mit den weißen Haaren hatte nichts zu sagen. Schauen Sie sich meine Haare an. Sie sind auch ganz weiß. Ein Erbe meiner Familie. Die Gene. Alle Weselohs bekommen schon in frühen Jahren weiße Haare und sicher auch einige von den Capreses. Sie sehen es an Claudio und auch an Sabine. Die ersten Strähnen sind schon da. In zwei bis drei Jahren sind sie auch weißhaarig. Nur Claus schlägt aus der Art und scheint bei seinen dunklen Caprese-Haaren zu bleiben.

    „Die anderen werden sie sich einfach so färben, wie es ihnen passt, meinte Elli. „Macht ja heute jeder, auch die Männer. Und schließlich kriegen sie die Mittelchen von der eigenen Firma sogar umsonst.

    „Nicht Claudio, entgegnete Anna. „Ich bin sicher, er findet weiße Haare attraktiv und lässt sie. Er tut auch jetzt nichts gegen die Strähnen.

    „Warten wir’s ab, meinte Elli. „Männer über fünfzig, und das ist er ja bald, wollen heute um jeden Preis jünger aussehen.

    Anna lächelte nur. Elli, die nie geheiratet hatte, war nicht gerade eine Expertin, wenn es um Männer ging, aber sie war eine aufmerksame Beobachterin. Trotzdem glaubte sie, dass Claudio das Erbe seiner Familie anzunehmen und mit Würde zu tragen wüsste – wie er auch das Firmenerbe der Familie angenommen, sich dessen würdig erwiesen und es beträchtlich vermehrt hatte.

    Es klingelte, und Elli erhob sich, um zur Tür zu gehen.

    „Das wird die Journalistin sein, sagte Anna und schaute auf ihre Armbanduhr. „Genau halb zwei. Sie ist wirklich pünktlich, das muss man ihr lassen. Sie strich sich den eleganten königsblauen Hosenanzug glatt und straffte die Schultern.

    Sie hörte Stimmen an der Tür, und wenig später führte Elli eine junge Frau in den Salon, die eine dunkelrote Lederumhängetasche trug. Sie war noch blutjung, wohl Anfang Zwanzig, klein und zierlich, hatte keine Schminke und keinen Lippenstift aufgelegt und machte einen natürlichen und dabei knabenhaften Eindruck. Mit ihrem schmalen Gesicht und der vielleicht etwas zu kleinen Nase war sie keine Schönheit im klassischen Sinne, aber doch ausgesprochen hübsch und sehr apart. Sie besaß große, neugierig blitzende Augen, und die brünetten Haare waren ihrem Typ entsprechend sehr kurz geschnitten. Mit Bluse, Jeans und Pumps war sie leger, aber durchaus korrekt gekleidet. Sie besaß zarte, sehr kleine Brüste, deren Warzen sich andeutungsweise unter der Bluse abzeichneten. „Guten Tag, Frau Caprese, sagte sie und blieb in der Tür stehen. „Mein Name ist Arabella Niehausen vom Forum Verlag in Hamburg, Wir haben miteinander telefoniert, und Sie waren so freundlich, mir diesen Termin für ein Gespräch einzuräumen.

    Anna wies mit der Hand zu dem Zweiersofa zu ihrer Rechten. „Treten Sie doch näher, Frau Niehausen, und setzen Sie sich. Meine Haushälterin Frau Reincke haben Sie ja bereits kennengelernt. Wir haben unsere Teestunde ein wenig vorverlegt. Mögen Sie Schwarzen Tee

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1