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Der männliche Baum: Ein Leben zwischen zwei Kulturen
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Der männliche Baum: Ein Leben zwischen zwei Kulturen
eBook141 Seiten1 Stunde

Der männliche Baum: Ein Leben zwischen zwei Kulturen

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Über dieses E-Book

Nam-Sig bedeutet "männlicher Baum". Doch diesen Namen trägt eine Frau, die uns in diesem Buch ihre Geschichte erzählt: Ihre Wurzeln entspringen zwar in Südkorea, im Laufe ihres Lebens erstreckten sich die Zweige jedoch weit über die Kontinente. Mit 19 Jahren kam sie als examinierte Krankenschwester nach Deutschland – das Ziel Musik zu studieren fest im Blick. Sie verwirklichte ihren Traum mit Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit. Nicht nur als Musikpädagogin, sondern auch als dreifache Mutter inzwischen erwachsener Kinder, schildert Nam-Sig Gross ihren Lebensweg mit allen Hindernissen und Erfolgserlebnissen so spannend wie ein Roman - erschütternd und amüsant zugleich. Die Autorin nimmt uns mit auf eine Reise in ihre Vergangenheit. Wir lernen sie kennen als eine starke Persönlichkeit, die mit ihrer Liebe zur Musik und einer großen Portion Mut in einer fremden Kultur Fuß fassen konnte, ohne ihre Heimat aus den Augen zu verlieren.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum14. Sept. 2016
ISBN9783741849992
Der männliche Baum: Ein Leben zwischen zwei Kulturen

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    Buchvorschau

    Der männliche Baum - Nam-Sig Gross

    1. Ein dritter Raum

    Einen dritten Raum soll es geben.

    Einen vertrauten, eigenen.

    Ein solcher Raum entsteht aus einer Mischung des Fremden, das im Laufe der Jahre zu etwas Vertrautem wurde, und des angeborenen Vertrauten, das zu Fremdem wird. Eingravierte Überzeugungen werden von Neuem überschrieben. Vermeintlich Verstandenes wird von unvorhergesehenen Ereignissen des Lebens wieder in Frage gestellt.

    Ein Fluss kehrt nie wieder zurück zur Quelle, sagte ein alter Mann, sein Lebensende ahnend. Doch am Ende trägt jeder Fluss unzählige Erfahrungen mit sich, gewonnen im kurvenreichen Verlauf seines Weges. Und es lohnt sich, diese noch einmal zu reflektieren, bevor sie mit dem großen Meer verschmelzen.

    Ich spürte solch einen dritten Raum, der nur mir zugänglich war. Eigentlich von Anfang an.

    Bereits als ich ein kleines Kind war und unsere acht Familienmitglieder mit zwei Zimmern auskommen mussten, besaß ich meine eigene Ecke. Als ich meine Ecke dann doch mit anderen teilen musste, wich ich über eine Holztreppe in einen Zwischenraum aus, eine Art Einbauschrank. Er hatte ein kleines Fenster, das Tageslicht spendete. Dort stellten wir tagsüber unsere Schlafmatten ab, wenn unser Schlafzimmer in ein Wohn-, Arbeits- oder Esszimmer umgewandelt wurde. Wir mussten unsere Schlafmatten mit einem aus Baumwolle fest gesteppten unteren Teil und einer etwas lockerer gesteppten Decke ordentlich falten, damit alle Matten in diese schmale Nische passten. Dann kamen noch die länglichen Kopfkissen darauf, aus Baumwollstoff genäht und mit verschiedenem Getreide gefüllt. Da jeder ein Kissen besaß, kam doch einiges zusammen, das den Lagerraum füllte.

    In diesem Raum konnte man nicht aufrecht stehen. Selbst ich als kleines Mädchen musste mich im Sitzen bewegen. Ich schob dann die Matten etwas beiseite, soweit es der Raum erlaubte und stellte einen kleinen alten Esstisch, der keine Verwendung mehr fand, nachdem eines der Beine abgebrochen war, als Schreibtisch dort hinein. Das fehlende Tischbein konnte ich durch meine alten Bücher ersetzen, so hoch gestapelt, bis der Tisch eine einigermaßen ebene Fläche zum Schreiben ergab. So war mein geliebter Schreibtisch, mit alten Büchern repariert, etwa vierzig Zentimeter hoch. Unsere Tische waren immer so niedrig, denn damals saßen wir im Schneidersitz auf dem Boden.

    Ich stellte meinen Schreibtisch neben das Fenster, um das Tageslicht zu nutzen und meine müden Augen nach draußen richten zu können. Das Fenster war so klein, dass ich es mit meinen beiden Händen völlig verdunkeln konnte. Es war jedoch immer noch groß genug, um meinen Namen vollständig darauf schreiben zu können. Ich atmete ganz tief ein, hauchte warme, feuchte Atemluft an die Scheibe, schrieb ganz eilig mit den Fingern meinen Namen und beobachtete, wie schnell die Buchstaben wieder verschwanden.

    Mein Name mit Atemluft geschrieben.

    Wenn ich über die Holztreppe, die aus drei Querhölzern zwischen langen Holzstangen rechts und links bestand, mein Zimmer betrat, die Schiebetür hinter mir schloss, war ich ganz mit mir allein und es störte niemanden, wie viele Male ich meinen Namen schrieb. Ich konnte auch viele Decken zu mir holen, wenn mir im Winter kalt wurde. Zwischen den gelagerten Schlafmatten der ganzen Familie und meinem Schreibtisch waren gerade mal zehn Zentimeter Abstand. Das war viel Platz in meinen Kinderaugen.

    Ich habe immer auf meinem Schreibtisch geschrieben. Ich weiß gar nicht mehr, was ich geschrieben habe. Meistens Tagebücher vermutlich. Ich unterhielt mich, wie ich es immer noch tue, mit mir.

    Fünfzig Jahre später.

    Gestern habe ich wieder mein eigenes Schreibzimmer eingerichtet. Ein Zimmer in der Nähe des Waschraums, in dem unsere Waschmaschine fleißig ihre Arbeit verrichtet, neben ihr sogar ein Trockner, der unabhängig von der Wetterlage unsere Kleidung wieder schrankfertig trocknet. Eine Etage höher habe ich ein Musikzimmer, in dem ich an meinen beiden Flügeln arbeite. Dort bringe ich meinen Schülern bei, wie man Klavier spielt. Unsere Küche daneben, mein anderes Arbeitszimmer, ist auch ein wichtiger Lebensraum, den ich mehrmals täglich betrete. Noch eine Etage höher befinden sich unsere Schlafräume. Inzwischen schlafen unsere erwachsenen Kinder in ihren eigenen vier Wänden, doch ihre Sachen liegen noch erkennbar in den Kinderzimmern. Ich glaube, die Kinder als Gäste sind froh, dass der vertraute Zimmergeruch noch immer da ist. Sie kommen häufig mit ihren Partnern und schlafen gerne in ihren eigenen engen Bettchen.

    Ich gehe noch oft in ihre Zimmer und denke, dass sie gleich um die Ecke kommen und dass ich sie ermahnen muss ihre Sachen endlich aufzuräumen.

    Wir haben noch ein Wohn- und Esszimmer, das man nicht zum Schlafen umräumen muss, wie ich es von früher kenne, und das zum Garten führt, wo mein Kaki-Baum wächst.

    Ich kann durch all diese Räume auch als Erwachsene aufrechten Ganges schreiten und die Zimmer bieten ausreichend Platz für die großen Kronleuchter aus dem Nachlass der deutschen Großeltern meiner Kinder.

    Solche Räume waren mir fremd, als ich klein war. Mein innerer Raum aber ist geblieben, sowohl in Korea als auch in Deutschland. Ich fange wieder an zu schreiben, auf meinem Schreibtisch, der viel höher ist als damals in meinem Zwischenraum neben den Schlafmatten.

    Mal koreanisch.

    Mal deutsch.

    Die äußeren Begebenheiten sind nicht die, die mich verändern. Meine eigene Wahrnehmung ist es, die mich verändert in meinem Denken.

    Egal wo.

    2. Schreiben

    Ein gelebtes Leben zu reflektieren ist einfacher als sich auszumalen, wie es werden könnte. Der Zeitpunkt des Reflektierens bestimmt die jeweilige Sichtweise. Es wird gefiltert, was einem wichtig erscheint. Vieles ist in Vergessenheit geraten, weil es für das weitere Leben keine Rolle spielt. Manches vergisst man einfach.

    Dankbar nehme ich an, was geblieben ist in meinem Gedächtnis, was die eigene Auswahl bewahrt hat. Es ist nicht immer die leichte Seite des Lebens, an die man sich erinnert, aber überwundenen Schmerz fühlt man meistens als Erleichterung. Die vergangene Zeit kehrt zurück durch Ereignisse, die mit der Vergangenheit noch in Verbindung stehen und man erlebt sie deshalb sehr nah. Manchmal so lebendig, dass das Leben im Zeitraffer einem erschreckend kurz vorkommt.

    Die Frage nach dem Sinn des Lebens kommt auf. Die Zeitspanne, die Farbigkeit und die Bewegtheit der Gefühle werden wieder ins Bewusstsein geholt.

    Tief atmen.

    Das Leben spüren.

    Die Gefühle werden wieder lebendig.

    Schreiben ist rein menschlich. Einzig darin unterscheidet sich das Tier Mensch von anderen Tieren. Den übrigen Tieren genügt es einfach zu leben und sie folgen ihrem Weg.

    Ich beschreibe mich mit Buchstaben. Ich spiele mit ihnen, seit ich schreiben gelernt habe. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Ich betrachte mich in meinem jetzigen Zustand. Welche Lichtverhältnisse der jeweiligen Zeit haben meine Erscheinung beeinflusst, welche Erlebnisse mein Denken?

    Meine Gefühle durch die Musik auszudrücken kam später. Das Erlernen eines Instruments bedarf viele Jahre Beschäftigung mit den motorischen und geistigen Fähigkeiten. In jedem Moment des Musizierens sucht man die Übereinstimmung mit sich selbst und mit dem Klang. Ein ganzes Leben lang eine Bemühung mit sich ins Reine zu kommen.

    Betrachte ich ein Bild, richte ich mein Auge auf das, was ich sehen will oder auch nicht. Aber der Klang durchdringt uns, und es ist nicht möglich meinen Körper der Bewegung der Schallwellen zu entziehen. Ich bin selber ein Teil der Resonanz. Schreiben ist viel intimer.

    Meine Gedanken kann ich selbst heimlich zurechtschneiden, wie ich es für richtig halte. Geschriebene Buchstaben kann man wieder löschen, wenn sie für einen selbst keine Bedeutung mehr haben.

    So spiele ich immer mit meinen Buchstaben. Zuerst auf koreanisch, später auch auf deutsch. Und inzwischen auch viele Male in beiden Sprachen, mit kleinen Zeitverschiebungen. Ich übersetze die beiden Sprachen von der einen in die andere, um den Sinn in der anderen Kulturebene wiederzuerkennen.

    Dort treffe ich meistens mich selbst.

    Es gibt bei bestimmten Wörtern, wie Geburt, Leben, Freude, Trauer, Abschied und Tod, kein Missverständnis der richtigen Übersetzung. Es gibt nur einen Unterschied in der Intensität der Gefühlsebene. Geschriebene Wörter helfen, unsere Erinnerung wieder ins Leben zu holen.

    Meine viel zu früh verstorbene Schwester gab mir von ihr geschriebene Zeilen als Abschiedsgeschenk, als sie wieder nach Korea flog, nachdem sie mich in Deutschland besucht hatte.

    Diese Zeilen trage ich immer und überall bei mir. So lebt meine Schwester in mir, ganz lebendig.

    „Dort, wo wir verweilten"

    Wir sprachen nur mit unseren Augen.

    Es war trotzdem so warm, wie ein kommender Frühling.

    Am Ende der kalten Wintertage

    grüssen uns Forsythienblümlein.

    In uns den Abschied tragend,

      nahmen wir das Lachen der Kinder auf.

    Wir teilten unsere Haut und unser Blut,

           deshalb wagten wir nicht zu sprechen.

    Um die schlaflose Nacht des Reisenden

           kreist die Liebe ganz zäh –

    Wie der ruhig fließende Fluss hinter dem Haus      

      schreiten Du und Ich weiter unsere Wege.

    Manchmal gewollt gegen die Strömung,

         manchmal gewollt festhaltend die

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