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Heute: Zombie
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eBook538 Seiten6 Stunden

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Über dieses E-Book

Wer hier einen herkömmlichen Zombie-Roman erwartet, soll sich in die Blödi-Ecke vom Buchladen verkriechen und dort sein taubes Gehirn berieseln. Blut und Leichen gibt es hier nicht. Z., der Protagonist in Gunther Birnvogts Alltags-Persiflage, ist ein neumodischer Alltags-Hippster in der Beschränktheit seines täglichen Seins. Ein Gefangener der Überflussgesellschaft, ein Untoter im täglichen Einerlei. Er ist nichts Besonderes und tut das, was alle irgendwie tun: existieren. Sein Tag ist ein Tag wie jeder andere. Trotzdem zum Bepieseln komisch beschrieben und kritisch zerlegt vom Meister des verschachtelten Wortwitzes - Gunther Birnvogt. Zahlreiche Anspielungen, unzählige Gemeinheiten, Beleidigungen, Seitenhiebe und aktuelle Querverweise machen das Buch zu einer grausamen Wortkanone, die unbarmherzig auf das alltägliche Gedöns feuert.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Sept. 2015
ISBN9783738039658
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    Buchvorschau

    Heute - Gunther Birnvogt

    Inhaltsverzeichnis

    1. Das Grauen am Morgen

    2. Zeit des Erwachens

    3. Die grauhaarige Politesse

    4. Auf dem Weg in den Untergrund

    5. Öffentlicher Zombie Nahverkehr

    6. Kadavergehorsam

    7. The Resident Evil

    8. Rise of the Dead

    9. Rückkehr in den Kreis der Toten

    10. Frisches Fleisch

    11. Das große Fressen

    12. Wiederkehr der Totengeister

    13. Besuch im Zombiehauptquartier

    14. Kampf der inneren Verwesung

    15. Niedergang

    16. Hirnschmelze

    17. Die Nacht der Apokalypse

    Impressum neobooks

    Heute:

    ZOMBIE

    Gunther Birnvogt

    Das Grauen am Morgen

    Da liegst du also wieder.

    Zerzaust, verkrampft, leichenfahl. Durch schmale Schlitze gepresst, kitzelt das erste Licht des Tages deinen Sehnerv und pinselt ein Bild des wohlbekannten Grauens. Ein schwacher Lufthauch löst sich vom pechschwarzen Film deiner Lunge und entströmt unter Aufnahme eines bestialischen Aromas dem Mundfäulnisraum. Der Odem des Todes steht über der Bettdecke – wie morgendlicher Dunst über einem Bestattungswald. Deine Kehle ist trocken, Übelkeit umschlingt dich, Kälte erfüllt den Raum.

    Die erste bewusste Handlung des Morgens ist symptomatisch für dein tief verwurzeltes Widerstreben, in die drohende Tageskulisse einzutreten. Nicht munteres Frohlocken, angesichts der ersten zarten Sonnenstrahlen, nicht wachsames Lauschen ob des harmonisch säuselnden Vogelgezwitschers. Du streckst nicht etwa, durch Vorfreude auf den neuen Tag geleitet, alle viere behäbig von dir, vielmehr schnellt die ausgestreckte Linke durch Hass motiviert mit Nachdruck auf den Snooze-Button der blökenden Radioweckeinheit.

    Der wuchtige Schlag auf den elektrischen Hahn verschafft dir fünf Minuten Galgenfrist, kann das Unausweichliche allerdings nur um einen lächerlichen Hauch verkürzen. Jeder weiß, dass der Fünfer im komatösen Alltagspurgatorium die gefühlte Dauer eines Wimpernaufschlages hat. Ergo kräht der Plastikgockel erneut aus vollem Halse vom Kommodenmist, noch bevor du das Augenzwinkern der Blondine aus deinem kurzen Traum erwidern konntest. Einen Rundflug provozierend, krächzt der Wecker durch das Schlafgemach. Ein Fluchen, ein Scheppern, Snooze-Taste.

    Nach der dritten Wiederholung erwächst in dir die Erkenntnis, dass man den Samstag wohl nicht in das Gerät hineinprügeln kann.

    Schuld an der Misere sind andere. Die frühe Einführung des gregorianischen Kalenders war maßgebend für den Aggregatzustand des heutigen Tages. Arbeitstag statt Wochenende. Verdammt! Da kein Papst in der Nähe ist, wird der Bote zur Zielscheibe. Das Chronometer mutiert zum Sündenbock und fliegt in parabelförmiger Flugbahn durch den Ruheraum.

    »Dreckswecker!«, grollt es aus dir heraus.

    Neben dem Schiedsrichter und der Politesse gehört der Beruf des Weckers zu den meistgehassten Professionen der westlichen Welt. Während sich die Erstgenannten gegen Attacken bei der aufrechten Diensterfüllung mit bunten Karten oder blassen Knöllchen zur Wehr setzen können, bleibt dem Schlafunterbrecher einzig die Schadensbegrenzung übrig.

    In einem Anflug schöpferischer Fantasie haben die cleveren chinesischen Uhrenschnitzer zwei Gummifüße an den Hahn geklebt. Die Aufprallenergie beim Einschlag wird so teilweise absorbiert. Ein leises Knarzen verrät dir, dass die eingebaute Mechanik ihren Job weiterhin ernst nimmt.

    »Oh Mann, ich hau das Ding zum Fenster raus.«

    Zu einer lächerlichen Uhrzeit, bei der sich die Arbeitsdrohnen früherer Proletariatsgenerationen gerade zum zweiten Schichtwechsel versammelt hätten, schälst du dich aus dem warmen 7-Zonen-Atoll und verheiratest die käsigen Stumpen mit den ausgelatschten Hauspantoffeln. Voller Anstrengung komprimierst du die Fäuste, um ausreichend Vortrieb für die Belastung der Ballen zu generieren, welche fortan das Gewicht deines Kadavers zu schultern haben. Kaum aufrecht stehend gibst du Fersengeld. Die Blase schreit nach Besänftigung.

    Die nächtlich gefilterte Hopfenkaltschale vom Feierabendumtrunk durchströmt mit gefühlten zwölf Bar Nachdruck hocherhitzt und schmerzverursachend den geweiteten Harnleiter. Aufgrund morgendlicher Zielungenauigkeiten einigen sich der Porzellangott und sein ergebener Vorleger auf ein leistungsgerechtes Remis im urinalen Besudelungsduell. Fliesen und Unterbuxe teilen sich den unsäglichen Rest, der während des Abschüttelvorgangs und nach dem Einparkmanöver stilecht die Umgebung kontaminiert.

    Deckel bleibt oben, die Brühe geht ab. Der orchestrale Wasserfall des Flachspülers illustriert die Gefühlslage seines Herrn. Mit dem Andenken eines durchzechten Abends wird ein letzter Rest Zufriedenheit in den dunklen Moloch der Großstadtkanalisation gezogen. Was bleibt, sind gähnende Leere der Sterilität und die Gewissheit, dass man sich im urbanen Dschungel dem Sog der strukturellen Kanalisierung nur sehr schwer entziehen kann. Jedes Abweichen vom System würde irgendwann zwangsläufig unangenehm auffallen und stinken. Unzweifelhaft ein Zustand, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt.

    Als antiseptischer Nektar der Wahl warten einhundert Milliliter sündhaft teure Seifenlauge, deren Mehrwert gegenüber der ekelhaft günstigen Kernseife es ist, das andere Geschlecht einem Hornissenschwarm gleich aufzuschrecken und zu betören. Das verkündet jedenfalls die Buntbildadvertise im Glotzkasten. Bereit steht außerdem eine mit fiesem Schimmel besetzte quadratische Personenberegnungsanlage – Amtsdeutsch Nasszelle. Die vollgepisste Büx wird ins Waschbecken verbannt, der Schlafmantel gleitet sanft über die Klobürste.

    Ab ins feuchte Vergnügen.

    Die Drehung des Wasserkreislaufunterbrechers jagt dir einen Shower über den Rücken. Nicht nur, dass die Zapfarmatur schlimmer quietscht als die Bremsen vom Rasenden Roland, auch das Wasser, den abgestandenen Leitungsresten und der letzten Kanalreinigungssuppe folgend, verfehlt die feste Zustandsform nur knapp. Nachdem die linke Herzklappe ihre Arbeit wieder aufgenommen hat und die Lungen der Umgebung erneut Sauerstoff entziehen, beginnst du das morgendliche Reinigungsritual.

    __________

    Die Duschgewohnheiten der Menschen sind mannigfaltig und nur selten hat die Reinigungsabsicht Priorität. Wäre dem so, würde man die Kabine betreten, den Skalp benetzen, sich den Bast mit Hilfe einer beseiften Drahtbürste abkratzen, lauwarm abspülen und zusehen, dass man unbeschadet über die feuchten Fliesen in Richtung Küche verschwindet. Der Erdenbürger hasst das Wasser und meidet sein finsteres Ebenbild, so gut er kann.

    Ein steriler Nassbereich mit Spiegel an der Wand ist daher zwar gesellschaftlich verordnet, aber keinesfalls präferierter Vergnügungsplatz für menschenähnliche Geschöpfe. Zu viel Schreckliches ist hier schon passiert. Wenn Vati früher den überfahrenen Eber oder das zerschrotete Rehkitz nach Hause brachte, so wurde das leblose Aas stets in einem schlecht belüfteten und vor allem gefliesten Bereich des Heimes zu Wildgulasch zerfleddert. Diese Erfahrung wirkt nach.

    Also sucht sich der dreckige Bürger Alternativbeschäftigungen, um die unangenehme Säuberungsprozedur halbwegs menschenwürdig zu gestalten.

    – Wer frisch verliebt oder auf Dienstreise ist, verschweinkramt den morgendlichen Ritus mit Koitus. Die Vorteile liegen auf der Hand. Alles, was normalerweise in den Laken kleben würde, verdünnisiert sich innerhalb weniger Sekunden in den muffigen Abfluss. Ähnliches gilt für Zeitgenossen, die keinen Partner oder Kurschatten zur Hand haben, dessen ungeachtet aber ebenfalls von frühmorgendlicher Libido geplagt sind. Hier bewirken Duschutensilien oft Wunder. Schwamm drüber!

    – Wer ein schlechtes Gewissen hat, der singt. Ganz recht. Der Gesang, meist unvorteilhaft vorgetragen und von markerschütternder Intensität, hat mit beschwingter Laune und fröhlicher Dynamik nicht das Geringste gemein. Lautes Trällern und Pfeifen erfüllt ausschließlich den Zweck, von der Umwelt, im Speziellen dem Partner, den Mitbewohnern und/oder Nachbarn, wahrgenommen zu werden. Diese sollen wohlwollend registrieren, dass man selbst ein reinlicher Geist ist und die Pein der Waschung voller Freude auf sich nimmt. Also jodelt man verlogenerweise voller Inbrunst Singin’ in the rain, während die Klamotten und der Rest der Bude eher nach dem Flohwalzer verlangen. Egal. Hauptsache, der falsche Eindruck bleibt bestehen. Und die Hausgenossen denken sich: »Hey, die Assel von gegenüber duscht ja tatsächlich. Da haben wir uns vom Gestank seiner Kleidung wohl täuschen lassen.« Besonders kleinmütige Charaktere lassen sich gar davon hinreißen, ebenso krampfartig ein Liedchen gegenzuträllern, um dem Reinlichkeitsfanatiker von nebenan im Widerspiel mitzuteilen, man habe selbst seine Lehren aus Pest und Cholera gezogen. Das ist natürlich lächerlich.

    – Eine weitere Spezies unter den Wasserstehern sind die Dauerduscher. Bei ihnen regiert im wahrsten Sinne des Wortes die nackte Angst. Langzeitbrauser haben Schiss vor der Welt. Sie fürchten sich prinzipiell vor allem. Die Duschkabine als abgeschlossene Sphäre strahlt auf sie eine gebärmuttergleiche Geborgenheit aus und verschafft ihnen somit eine friedliche Gelassenheit voller fötaler Fantasie. Der lauwarme Fruchtwasserersatz kann sie gar nicht genug umfließen. Die aggressive Kälte und Gefährlichkeit des Alltags lauert vor den angelaufenen Scheiben. Schon der erste Schritt aus dem geschützten Fliesenbunker könnte einen komplizierten Unterschenkelhalsbruch zur Folge haben. Besser nichts riskieren. So wird Duschen zur Obsession. Nur der Blick auf die verschrumpelte Haut und der sorgenvolle Gedanke an die Wasserrechnung verstärken die Wehen und entbinden den feigen Warmduscher aus dem feuchten Elysium.

    – Besonders perverse Zeitgenossen sind die Zweckentfremder. Reinigungsfetischisten, die vergessen, dass die Dusche ursprünglich dafür erfunden wurde, den Golden Retriever rundum von angetrockneten Kotresten zu befreien. Ein Brausebad ist Versteck, Besinnungs- und Beichtkammer, Ort des Erwachens und Schimmelschmiede. Niemals sollte es reinigende Wirkung haben. Wer hygienisch leben will, geht in die Badewanne. Dem ignoranten Saubermann ist dieser Verhaltenskodex fremd. Er bestellt den Klärgang à la carte. Zottel waschen und spülen, Gebiss schrubben, Zunge abspachteln, mit Essiglauge gurgeln, rasieren, Pickel zerknautschen, Warzen entgraten, bürsten, scheuern, einseifen, auf Hochglanz polieren, Arschhaare zupfen, Nägel kappen, Sohlen abschmirgeln und die primären Geschlechtsteile mit Aloe-Vera-Plempe lackieren. Das ist krank! Wer derart sterilisiert aus der Kabine steigt, muss im besten Fall damit rechnen, sich bereits beim Griff nach dem Föhn einen tödlichen Keim einzufangen. Niemand sollte so eklatant fahrlässig mit seiner Gesundheit umgehen.

    – Nicht zu vergessen: die Geizigen. Klamotten bleiben am Körper, das spart einen Waschgang in der rotierenden Vollwaschsau. Schnell nach links und rechts geschaut, Luft geholt und die Kabine geentert. Sprudel ahoi, aber selbstredend nur kalt, weil warmes Wasser rote Zahlen bedeutet. Flott mit der Kernseife gewienert, abgetröpfelt und – ohne auszuatmen – wieder raus aus dem Loch. Das Duschwasser, welches über eine komplizierte Drainage-Eimer-Konstruktion aufgefangen wurde, kann wahlweise die Klospülung oder die Kaffeemaschine befeuern. Ein Filter hat zuvor die Seifenreste verdichtet, die nun in der Sonne wieder zu ursprünglicher Form zurecht trocknen. Die eigene Frottierung übernimmt edles Designertuch vom Pariser Luxusbadelakendealer. Man gönnt sich ja sonst nichts.

    __________

    Alles ist wie immer. Noch schlaftrunken und ohne Elan versuchst du, deinen Zustand zu analysieren. Restbrühe von gestern? Möglich.

    Ein Anflug von Grippe? Schön wär’s. Maul- und Klauenseuche? Diese Ausrede ist in der Personalabteilung noch nie auf fruchtbaren Boden gefallen. Mangelnde Motivation aufgrund der bevorstehenden Eintönigkeit eines weiteren Arbeitstages? Ja, es wird wärmer. Du drehst die Temperatureinstellung an der Armatur nach Osten. Deine Sicht auf die Dinge verschwimmt im feuchten Schimmer der Berieselung.

    Warum stehst du jeden Morgen minutenlang fassungslos in der Brause und sinnierst über Varianten deines Lebens, die gänzlich verschieden zu der einen sind, welche du durch ewiges Einweichen hinauszuzögern versuchst? Was würde denn passieren, wenn du heute mal die Arschbacken zusammenkneifen und aus dem selbst auferlegten Mitmachzwang ausbrechen würdest? Wäre das gefährlich? Oder womöglich stimulierend? Bist du wirklich so ein hasenfüßiges Weichei? Dir kommen die Tränen.

    Die Duschsuppe läuft dir vom platten Schädel direkt in die Sehschlitze. Das Ganze brennt wie Dresden 45. Ein beherzter Griff an den Hahn. Mit der zweiten Hand verstellst du die Brause. Der Strahl verdichtet sich zum Hochdruckprojektil und fräst dir die oberste Lederschicht vom Pigmentparkplatz. Trommelfeuer aus allen Rohren. Mit unermüdlichen Salven ballert dir das gnadenlose Nass gegen den Schädel. Beim Versuch, die Artillerie zu stoppen, verlierst du im eigenen Schlick den Halt und kippst nach hinten. Trotz fester Absicht bekommst du den Duschvorhang nicht zu fassen, was auf den Verlust der Hand-Auge-Koordination zurückzuführen ist. Heizkörper und Badvorleger stoppen deinen Fall im harten Duett.

    Weil die Wirbelsäule aufgrund jahrelanger Büroarbeit inzwischen einen schönen Abwärtsbogen macht, trifft dich der Einschlag punktuell. Eine ausgeprägte Rückenmuskulatur, die bei anatomisch korrekten Körperformen den Sturz fluffig neutralisiert hätte, ist schon seit vielen Jahren nicht mehr vorhanden. Als Jugendlicher verursachte jeder Horizontalabflug aus der Skateboard-Halfpipe mehr Schaden am Brett als am Steiß. Jetzt liegst du, der Wirtschaft Zyperns gleich, am Boden und bist von ähnlich viel Wasser umgeben. Das Rückgrat murrt, der angestoßene Schädel brummt. Du fühlst dich wie Charlie Brown, nachdem ihm Lucy wieder einmal den Football vor der Nase weggezogen hat.

    Die Zeit ist reif, das Sicherheitskonzept des schlüpfrigen Andachtsraumes zu überarbeiten, bevor die vollkommene körperliche Insolvenz eintritt.

    Da auf diese kurze Fallhöhe kein europäischer Rettungsschirm ausreicht, kann nur ein effizientes Hilfspaket die nächste Duschpleite verhindern. Ein Waschmoratorium darf keine Option sein, da die fristgemäße Reinigung systemrelevant ist und man als schwarzes Schaf kaum noch Kredit bei seinen Gläubigern hätte. Bevorzugter Lösungsweg ist eine umfassende Restrukturierung der Wassertransferunion. Dazu sollte zunächst die Rutschgefahr gebannt werden.

    Um die Volatilität innerhalb der Kabine zu verringern, muss eine Duschmatte als Einlagensicherung her. Haltegriffe, mit Stellschrauben an der Wand befestigt, könnten durch ihre Hebelwirkung eine Art Stabilitätsmechanismus bilden. Dazu eventuell noch eine Sitzgelegenheit, um im Ernstfall eine Bankrettung zu ermöglichen.

    Außerdem muss die Liquidität auf den Fliesen verringert werden. Ein zinsgünstiger Hochleistungsvorleger des Typs Pariser Modell aus der hiesigen Raftingagentur oder vom Gebrauchtwarenbörsenhändler würde überflüssige Nässe aufsaugen, so dass man beim Austritt aus dem Wasserkreislauf nicht mehr den Rubikon überschreiten müsste. Mehr oder weniger gute Ideen, um ein frühzeitiges Ausfallrisiko zu mindern.

    Während du darüber spekulierst, inwiefern deine Maßnahmen eine Inflation der Absturzgefahr verhindern können, wird dir etwas frisch. Du fröstelst. Dauerhaftes Herumliegen in Scheueroasen führt wohl offensichtlich zu sozialer Kälte.

    Du erhebst dich aus der Schildkrötenposition und bekleidest dich notdürftig. Eine umfassende Ausgestaltung und Maskierung des Erscheinungsbildes ist noch nicht vonnöten, denn die tägliche Initialisierungsprozedur ist mitnichten abgeschlossen. Du schleppst das schmerzende Skelett in Richtung Kombüse, um die allmorgendliche Routine durch die Einnahme der ersten Vollwertmahlzeit fortzusetzen.

    __________

    Das Nonplusultra der Sinnstiftung ist das Ritual. Nichts gibt mehr Sicherheit im permanenten Kampf ums Überleben, nichts suggeriert dem alltagsgeplagten Durchschnittstier gemeinschaftliche Teilhabe und systemrelevante Bedeutsamkeit besser als das immer wiederkehrende Gleiche und Selbe. Wie der ökologische Störenfried an die Gleise der Castor-Strecke, klammert und betoniert man sich an die strukturgebende Abwechslungslosigkeit, als wäre zukünftiges Überleben allein davon abhängig, regelmäßig sein Plaisirchen, in welcher Darreichungsform auch immer, zu pflegen.

    Pünktlich zur Vorabendseife an der Glotze hocken, einmal täglich 45 Minuten Kampf-Yoga mit indischem Tantra-Gejodel oder Sex mit Socken nach den Tagesthemen. Die zeremonielle Erledigung der Ödnis ist dabei stets generalstabsmäßig korrekt und im zeitlichen Ablauf einwandfrei zu begehen. Über Generationen überlieferte Handlungsempfehlungen wie »Kaffee – Kippe – Klo« sind in keinster Weise fakultative Verlaufsoptionen, sondern besitzen eine unabänderliche Verbindlichkeit.

    Rituelles Vorgehen ist klassenfrei und altersunabhängig. Es ist ein wechselseitiges Geschenk vom stumpfen Fleisch an seine Psyche und zurück. Getreu dem Motto:

    »Hier, lieber Dickschädel, es ist Sonntag, da hast du deine Sonntagszeitung.«

    »Danke, lieber Körper, nett von dir. Zum Ausgleich musst du dich nicht mit ungeplantem Beischlaf herumplagen.«

    So wirft der vermummte Schwarzblocker ebenso mechanisch notgedrungen zum 1. Mai mit Flaschen auf die bereitgestellte Ordnungsmacht wie der Dauercamper allmorgendlich die Markise auf Sichtschutzlevel B leiert. Die fies geföhnte Wohlstandsblondine kommt nicht umhin, sich bei der turnusmäßigen Coiffeuraudienz den weichen Keks massieren zu lassen. Ebenso unvermeidlich füttert der neureiche Bonusadel beim frühjährlichen Aufgalopp im Kleppermotodrom zwanghaft den Wettonkel mit Devisen. Und während die schnöde Bildungselite mit Cicero in der Hand und Wagner auf dem Ohr nach den Tagesthemen geiert, leckt sich der Gamer-Nerd die invalid geklickten Kalkfinger nach dem nächsten Multiplayer-Deathmatch aus der Ballerorgienkonserve.

    Hauptsache, es kommt nichts dazwischen und es unterbricht keiner den kategorischen Trott. Falls doch, rollen Köpfe.

    Bekanntermaßen war die römische »Brot und Spiele« – Kultur blutiger als das Durchschnittssteak eines adipösen Texaners. Trotzdem sind wahrscheinlich schon mehr bedauernswerte Gesellen bei der Unterbrechung der lieb gewonnenen Routine eines Mitmenschen tödlich verunglückt, als Lungenflügel bei antiken Gladiatorenkämpfen von rostigen Mistgabeln durchbohrt wurden.

    Blödsinn?

    Von der Theorie zur Praxis:

    Setze dich doch mal am Sonntagabend in eine Tatort-Runde und beginne ein angeregtes Gespräch über Wellblechhütten. Schnell wirst du bemerken, dass der liebe Gott die Halsschlagader nur halbherzig gegen Brotmesserattacken abgesichert hat.

    Dein Vorarbeiter nimmt auf der Fahrt zur Baustelle gerne noch eine Mütze Schlaf mit? Verblüffe ihn spaßeshalber einmal mit dem Höhlengleichnis und Schlussfolgerungen, welche sich daraus hinsichtlich seines Medienkonsums ergeben. Der Referent der Betriebsunfallversicherung wird sich bedanken.

    Deine Großeltern beten gerne vor dem Essen? Überrasche sie doch ausnahmsweise zum Abschluss mit einem satanischen Verslein. Das Fachwissen aus der SS-Vergangenheit des Großvaters wird eine ungeahnte Renaissance erleben.

    Unfälle geschehen und Mord war in der Menschheitsgeschichte schon immer ein legitimes Mittel, um nervende Mitmenschen frühzeitig in den ohnehin unausweichlichen Limbus zu verschicken. Das alles ist human und vom Grundgesetz gedeckt. Hässlich wird es erst, wenn du die Mutter aller Angewohnheiten, quasi die Marotte Grande, den Ritus Pontifex unter den Ablaufmacken störst. Sabotiere niemals die sakralen Minuten vom ersten Hahnenschrei bis zum schwarzgoldinduzierten Koffeinblitz! Hier hört der Spaß nämlich auf.

    __________

    Du schlürfst auf direktem Weg zum Kaffeeautomaten. Da dir übermäßige Arbeitsbelastung vor Sonnenaufgang ein besonderer Graus ist, hast du dir für die Zubereitung deines Wachmachers einen neuartigen Apparat zugelegt.

    Der frisch gepresste Bohnensaft wird heutzutage längst nicht mehr über den Durchlauf gebrühter Flüssigkeit durch ein mit Arbeiterkoks befülltes, trichterförmiges Papiertütchen hergestellt.

    Nein, das ist Achtziger. Der Mehraufwand, welcher durch Einlegen und Befüllen des Trichters sowie die Betankung des H2O-Speichers entstehen würde, ist in der modernen Leistungsgesellschaft nicht mehr zu rechtfertigen. Effizienz ist das Gebot der Stunde.

    Wie der pflichtbewusste Taliban seine schultergestützte Luftabwehrrakete lädt, munitionierst du das Patronenlager deines Kapselkaffeegeschützes auf. Die peruanische Mokka-Suppe liegt nämlich inzwischen nicht mehr halbkiloweise in der Vorratsdose oder gar als ungemahlener Köttelhaufen in der Frischetüte im Regal, sondern wird zu Kleinstmengen in handliche Aluminiumhülsen gepresst.

    Bleibt die Aufgabe, das Projektil aus dem Haufen zu ziehen und in die entsprechende Vertiefung des Automaten zu stöpseln. Dann noch Knöpfchen drücken – fertig. Wer nicht vergessen hat, seine Tasse unter dem Abflussrohr der Maschine zu parken, erhält binnen weniger Sekunden eine frische, koffeinhaltige Industriebrause.

    Die Erfindung dieser Gerätschaft ist eine Erlösung für sämtliche Praktikanten. Niemand kann mehr behaupten, der Aushilfspfuscher sei zu dämlich zum Kaffeekochen. Kapseln kann jeder Vollidiot.

    Und so ist es kaum verwunderlich, dass überwiegend Einfaltspinsel zur Anschaffung solcher Wunderwaffen neigen.

    Man muss schon mächtig einen am Kürbis haben, wenn man:

    1. Auf die herkömmliche Art und Weise keinen Kaffee kochen kann.

    Hallo!? Wir reden hier nicht von Molekularbiologie oder der Konstruktion einer Urananreicherungszentrifuge. Das Rezept befiehlt, heißes Wasser durch braunes Pulver zu leiten. Schon die Osmanen im 16. Jahrhundert beherrschten diese Disziplin. Dabei hatten die noch keinen elektrischen Hilfssheriff zur Verfügung.

    2. Das finanzmathematische Verständnis eines Elektrozauns besitzt.

    Während man sich lauthals darüber echauffiert, dass das Pfund Gesichtsbeschleuniger im Konsum sechs Maak fuffzig kostet, schlackert man beim Erwerb eines Patronengurtes Kaffeehülsen freudig mit den Ohren und blättert aufs Kilo hochgerechnet achtzig Euro hin. Von den Anschaffungskosten der Mokka-Flak mal ganz abgesehen. Angesichts dieser Tatsache sollte jeder Käufer mit der Hans Eichel – Ehrenplakette ausgezeichnet werden.

    3. Sich freiwillig tonnenweise Müll ins Haus holt.

    In Sachen Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit kann man es locker mit jedem Betreiber einer indonesischen Sulfurmine aufnehmen.

    Wenn Tante Erna und Onkel Helmfried auf einen sonntäglichen Klatsch vorbeischauen, hat man danach mehr Leichtmetall im gelben Sack, als in einem VW Golf verbaut ist.

    4. Diese Variante als effizient und komfortabel erachtet.

    Ach, ist das einfach. Torpedo rein und Feuer. Und bei vielen Gästen: Dauerfeuer. Die zwei Stunden, die ich zuvor vor dem Rechner verbracht habe, um den günstigsten Waffenhändler zu suchen? Die halbe Stunde bei der Post, um die Munitionskiste abzuholen? Sich zu Hause ein separates Regal mit eigenem Ordnungssystem für die verschiedenen Geschmacksvarianten bauen? Ständig zwischen Wohnzimmer und Kaffeemaschine rotieren, weil man nicht auf Vorrat kochen kann? Alle vier Minuten den Müll raus bringen, weil sich die Projektile türmen? Lächerlich! Ich muss doch nur einen Knopf drücken.

    5. Darin auch noch eine Innovation der Kaffeekultur erkennt.

    »Eva, meine Teuerste. Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Möchtest du nicht auf eine Tasse Kaffee hereinkommen?«

    »Aber gerne, liebe Hiltrud.«

    Räum, stell, gieß, löffel, steck, drück. Palaver, Palaver.

    »Oh, riecht das gut. Neue Sorte?«

    »Ja, aus Guatemala. Hat mir die Verkäuferin empfohlen.«

    »Eine tolle Note. Meine Kinder waren übrigens letztens auch in Südamerika.«

    »Ich glaube, das ist in Mittelamerika.«

    »Ach was?«

    Palaver, Palaver, duft, duft.

    »Außerdem waren sie bei den alten Maya-Tempeln.«

    »Von der Biene?«

    »Haaa, haaa!«

    Räum, stell, einschenk.

    »Milch und Zucker?«

    »Sehr gern.«

    Palaver, Palaver.

    »Ein Hochgenuss, dein Kaffee.«

    »Danke, sehr nett.«

    Palaver, lach, freu.

    »Noch ein Tässchen?«

    »Unbedingt.«

    »Wie geht’s eigentlich deinem Mann?«

    »Oh, sehr gut, der schneidet gerade die Gurken.«

    Palaver, Palaver.

    »Und deshalb sitzen wir sehr oft im Garten. Komm doch mal mit deinem Männchen vorbei.«

    »Das machen wir gern.«

    Palaver, lach, herzl.

    »Ein Schnäpschen?«

    »Aber hallo! So jung kommen wir nicht mehr zusammen.«

    vs.

    »Eva, meine Teuerste. Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Möchtest du nicht auf eine Tasse Kaffee hereinkommen?«

    »Aber gerne, liebe Hiltrud.«

    Peng, drück, wusch.

    »Fertig. Milch und Zucker ist schon drin.«

    »Wäh, was für eine Brühe.«

    »Ist aber schön einfach.«

    __________

    Kleiner Zwischenruf:

    Die Bewohner der Osterinseln konnten von der Tapete zur Wand denken und sind zwischendrin noch drei Mal falsch abgebogen.

    Deshalb sind sie auch ausgestorben.

    __________

    Du schiebst einen Böller in das Brühaggregat. Deine »Same Shit,

    Different Day« – Tasse steht schon unter der Abtropfeinrichtung. Begleitet von einem spukhaften Gurgeln tröpfelt der Capriccio Intenso Ultracaffeinato in den Porzellankübel. Nach 50 Sekunden ist dieser randvoll und bereit, seinen heilbringenden Inhalt in deinen Schlund zu ergießen.

    Doch halt! Etwas Wichtiges fehlt noch. Nicht nur das Koffein muss in den Leib, auch die gute Laune soll parallel dazu ins Hirn gequetscht werden. Für diesen Zweck gibt es nichts Besseres als das Frühstücksradio.

    Mit einem gezielten Knopfdruck aktivierst du den Volksempfänger.

    __________

    Hätte man die Terrorverdächtigen in Guantanamo zwischen dem Waterboarding, statt mit stundenlangem Hardrock – Geschrammel, einfach mal zehn Minuten mit dem Vormittagsprogramm von Radio Energy beschallt, so wäre die gesamte Führungsriege von al-Quaida in Rekordzeit verpfiffen worden. Was hier allmorgendlich durch den Äther geblasen wird, ist selbst für stocktaube Klapperschlangen kaum zu ertragen. Ein hochverdichteter Soundbrei aus ultrabelanglosem Gequatsche, völlig fehlgeleitetem Gekichere, wild zusammengemischten Toneffektschnipseln und bis zur Unkenntlichkeit zerstückelten Melodiefetzen wird im Schnellschnittverfahren Übelkeit erregend zerhackt und portioniert, dass man den Marmeladentoast in den Lautsprecher erbrechen möchte.

    Moderiert – oder besser zerredet – wird die akustische Hetzjagd von mindestens zwei sprudelnd aufgeregten Dauerspaßmachern mit kindlicher Begeisterungsfähigkeit und klaftertiefem Qualitätsanspruch. Als hätte man ihnen vor Dienstbeginn teelöffelweise Amphetamine in den kokaingeschwängerten Whisky-Cola-Energie-Drink geschaufelt und sie anschließend dazu verdonnert, auf einem elektrifizierten Stuhl sitzend, vier Dutzend Ritalin mit einer Kanne schwarzem Kaffee herunterzuspülen, hasten und hetzen die Ansager durch die konzeptlose Beschallerie.

    Alles, was nicht wert ist, gesagt zu werden, wird stundenlang gebetsmühlenartig herunter exerziert. Die Nebenhöhleninfektion des Aufnahmeleiters ist mindestens so wichtig wie die neue Buxenkollektion von David Beckham. Falsch entsorgte Tetra-Behälter, Unterleibsschmerzen der Herzogin von Kent, die Knappheit an Mantelschellen im Südsudan. Hat sich der Weltraumpapst an einer Überdosis Wurstwasser vergiftet? Sendet es! Alles ist relevant und billig, den Gehörgang des Konsumenten zu verkleistern.

    Natürlich wird auch der ehrenwerten Meinung des Hörers reichlich gespielte Beachtung geschenkt. Der Repräsentant des gemeinen Volkes wird zu seinem Senfkonsum oder dem Fliegen-Schaben-Verhältnis auf dem elterlichen Lokus befragt. Brav darf er seine rechtschaffende Arbeitnehmermeinung ins Telefon gurken und sich für Sekundenbruchteile als Sprachrohr der wehrlosen Unterschicht verstehen. Man fühlt quasi das simultane Nicken der Meinungskameraden an den Rundfunkschüsseln im Lande. Das ist gelebte Demokratie. So nah am Gesinde war nicht mal Robin Hood.

    Aber schon Mao Zedong wusste, dass es nicht ausreicht, seinen schmalzlosen Jüngern allein das Gefühl der Teilhabe an der revolutionären Öffentlichkeitsarbeit zu vermitteln. Man muss dem Reissack schleppenden Pöbel auch ab und an mal ein Gerstenkorn vor das Auge werfen. Dieses Leckerli der Kundenbindung wird dem Rundfunkteilnehmer in Form von Gewinnspielen dargereicht. Vom Fass ohne Boden bis hin zu hundert Millionen Pfennig kann alles Mögliche gewonnen werden. Die Verlosung der Kostbarkeit erfolgt dabei in gewohnter Call-In-Manier, damit sich der Rezipient erlernter Dumpfheit bedienen kann.

    Entweder ist die Quizfrage idiotisch einfach und von jedem Rasenmäher zu beantworten (der Hauptpreis ist ein Gummihuhn) oder eindeutig zweideutig, um möglichst viele Zuhörer in die kostenintensive Telefonsackgasse zu ködern (fette Beute). Daraus leitet sich auch die Dauer der Lotterie ab. Entweder ist der Spuk nach zwei Stunden vorbei oder man hört sich auf der Suche nach dem 100.000 € – Pups über viele Monate die Ohren weich.

    Irgendwann ist es dann soweit. Soundeffekte, Geraschel, die Antenne vibriert vor lauter Dramatik. Gewonnen! Ein Freudenschrei am schmalen Ende der Leitung. Der Traum wird wahr. Das Moderatorenteam jubelt und frohlockt. Man freut sich für die arme Bettelseele gleich einen Eimer voll mit. Hat man ihm doch, stellvertretend für alle anderen Hörer, ein leckeres Sedativum ins Hirn gerührt.

    Radioansager sind die aufgeregte Vermischung aus Thomas Gottschalk und Daniela Katzenberger. Nur stumpfer. Nur redseliger. Nur etwas kaputter.

    Und lustig sind die heiteren Recken. Alle Furz lang wird gefeixt und geprustet. Zwischen humorvoller Anekdoterei und frotzelndem Jux wird wahnwitziger Schabernack verulkt. Der Frohsinn kennt keine Grenzen. Selbst scheinbar banale Ausdrücke wie Klempner oder verallgemeinern werden mit schallendem Gelächter quittiert.

    Als wolle man mit aller Macht die gute Laune ins Hörervolk pressen, geben sich flache Witze und humoristischer Bodensatz die phonetische Klinke in die Hand. Wer hier nicht mit lacht, ist selbst Schuld.

    Bevor man sich, von dermaßen viel zwang- und hirnlosem Frohsinn zermürbt, mit dem Eierpiekser die Trommelfelle perforiert, wird das stumpfe Büttengewäsch durch neumodischen Singsang unterbrochen.

    Seltsam, denkt sich der geneigte Zuhörer. Das hast du doch schon irgendwann mal gehört. Irgendwoher kennst du diese unbeschwerte Trällerei.

    Richtig. Irgendwo ist das Radio. Irgendwann ist immer.

    Im Laufe der Musikgeschichte, angefangen vom beschwerlichen Jauchzen eines qualvoll verendenden Triceratops bis hin zum bulimischen Schluchzen einer leidvoll quäkenden Lady Gaga, hat sich gesangsevolutionär nicht allzu viel getan. Dennoch haben in der Zwischenzeit diverse Barden, Sänger und Kapellen milliardenfach Liedgut produziert.

    Mit der gesellschaftlichen Neuordnung zu Beginn des Känozoikum, durch die streitbaren Reformen Martin Luthers, in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges und mit der Einführung des Frauenwahlrechts sind viele wertvolle Stücke verloren gegangen. Alle eigens aufgeschriebenen Meisterwerke von klassischen Stümpern wie Basti Bach oder Felix Bartholdy fallen ebenfalls weg. Hier fehlen die Originalaufnahmen, da die Rock’n’Roller aus Barock und Romantik zu blöd waren, im Proberaum ein Doppeltapedeck mitlaufen zu lassen.

    Zwar existieren reichlich Coverversionen für Klavier, Holzstreicher oder Gartenzaun, doch sind die Künstler, abgesehen vom deutschen Ausnahmeviolinisten mit der blonden Raubtiermähne, Christian

    Cannabich, meist nicht pseudopopulär genug, um im Privatradio verwurstet zu werden.

    Bleiben summa summarum circa acht Millionen Chansons, die irgendwann einmal hinter Panzerglas oder im Freiluftraum unter den klapprigen Krallen eines Tontechnikers in die Konserve gepresst wurden. Vom elektronischen Einheitsbeatgegängel über magenverdrehende Schlager-Folklore, Hip-Hop-Hurra und Reggae-Lala, vom anarchischen Blues-Gejammere zum Sekundenschlaf provozierenden Weltmusikgeleiere, extravagantem Jazz und überlang toleriertem Synthie-Pop, vom Neureichen-Punk über Schluckauf fördernden Dubstep bis hin zum geistesgestört geröcheltem Death-Metal existieren allein in der Poprockwelt mehr Musikstile als deutsche Vornamen. Da sind katholische Kirchenlieder und brasilianischer Bossa Nova noch nicht mal eingerechnet.

    Die Fülle an spielbarem Musikmaterial ist schier unendlich, nur scheinen gerade die Menschen dies nicht zu wissen, die sich von Berufs wegen damit beschäftigen. Vor 20 Jahren enthielt der Beifahrerfußraum eines handelsüblichen Opel Kadett mehr magnetisch gespeicherte Musikinformation als die MP3 – verseuchten Serverfarmen moderner Rundfunksendezentralen heute. Tagein und tagaus hört man die penetrant gleiche Litanei an chartrelevanter Superstarmukke aus den Reflexboxen dröhnen. In verlässlicher Regelmäßigkeit vernimmt man bekannte Gassenhauer, die von Media Control ersonnen wurden, ins Kaufgedächtnis des Musikkonsumenten gepresst zu werden. Im Radio ist jeder Tag Murmeltiertag.

    Und so schwebt der Hörfunkkasten wie der Nürnberger Trichter über dem Kopf des Ohrenzeugen und induziert ihm unaufhörlich identisches Gesülze. Ergo fiept selbst das hartgesottenste Randgruppenauditorium früher oder später mit pawlowscher Automation Lena Meyer-Unstrut durch die gepressten Lippen. Wie übel diese Art der Schallindoktrination ist, wird erst beim Sekundärkontakt deutlich.

    Ob im Büro, in der U-Bahn, an der Methadonausgabestelle oder beim Hasenzüchterverband, überall und immer gibt es einen Pfeifenkopf, dessen musikalisches Kleinhirn bereits weichgekocht ist und der es deshalb nicht lassen kann, permanent Jennifer Lopez oder Bruno Mars zu flöten. Selbst gestandene Motörhead-Fans ertappen sich bisweilen dabei, den Dreck unter den musikalischen Fingernägeln zu identifizieren.

    »Ey Tölle, den Song kenn’ ich doch. Ist das Manowar?«

    »Das ist DJ Antoine.«

    »Wer?«

    »Keine Ahnung.«

    Wenn dann noch die Männers von der Kanalreinigung an der Kotpumpe den Wendler intonieren, wird schlagartig klar, wie vielfältig die Auswüchse menschlicher Exkremente sein können.

    Die omnipräsente Verkleisterung mit simplifiziertem Chart-Material schafft vor allem eins: Standardisierung. Die hochkomprimierte, radiokonforme Musikkonserve klingt nicht nur auf jedem Endgerät gleich, sondern ist inzwischen auch von der musischen Ausdrucksform entkoppelt.

    Noch vor 10 Jahren lagen zwischen den Toten Hosen und Coldplay stilistische Welten. Heute rennen die gleichen, plattgebügelten Musik-Konformisten sowohl zu Chris Martin als auch zu Campino. Klingt eh alles gleich. Trifft man den 30 Jahre älteren Chef beim Underground-Hopping im örtlichen Elektroschuppen oder jodeln sich Oma und Enkelin zu Heino gegenseitig die verpfropften Ohren klebrig, läuft etwas prinzipiell schief.

    Der Clash der Generationen beruhte schon immer auf einer gegensätzlichen Kultur. Nur so war Fortschritt möglich. Die Jugend erschuf den Radau, um nicht in die Lethargie der alten Schmolllappen zu verfallen. Stillstand in Schlagerform.

    Und so dröhnt ununterbrochen zermürbende Copy-and-Paste-Dudelei aus den iPods, Baustellenradios, Taxi-Plärren und Einbaulautsprechern. Im Baumarkt, beim Friseur, im Wartezimmer, beim Klamottenkauf und als Hintergrundberieselung im Fernsehwerbeblock. Nirgends ist man sicher.

    Dabei versucht man, die Klientel auch poetisch möglichst nicht zu überfordern. Lyrisch inhaltsloses Gedöns und schöpferisch geistloser Unfug geben sich die Klinke in die Hand:

    »Hey I just met you and this is crazy, but here’s my number, so call me maybe. It’s hard to look right at you baby, but here’s my number, so call me maybe."

    Dagegen ist Sag mir, wo die Blumen sind ein Kandidat für den Literaturnobelpreis. Zum Glück wird ein Großteil des Lärms auf Englisch vorgetragen. Nicht auszumalen, was passieren würde, wenn die Hörerschaft die Texte auch noch verstehen könnte.

    Womöglich würden wir es den Rednecks gleich tun und Großkaliberwaffen an Kindergartenkinder verschenken.

    Tagtäglich aural weichgespült, macht der hirnseitig Gelähmte selbstredend keinerlei Anstalten, Musik als tonale Ausdrucksvariante geistreicher Ergüsse wahrzunehmen. Er wird nicht über den Chartrand hinausblicken, um politisch Unkorrektes und sozial Anrüchiges zu vernehmen. Das schafft Ruhe im Verkehrsstau. Like a rolling stone in der Rush Hour oder eine Dosis Public Enemy im Shoppingtempel? Reiner Zynismus.

    Die Volksseele will durch schöpferische Gleichschaltung beruhigt werden.

    Zeit des Erwachens

    Während du benommen vor dich hinstarrst, sickert die schwarze Bohnenbrause in die ausgedörrte Magenschleimhaut. Sämtliche Lebens-geister erwachen wie Popeye nach der Dose Spinat. Eine liebliche Sprechstimme krächzt trübe Wetteraussichten in dein Ohr. Die astrologische Bevormundung durch das allwissende Horrorskop verspricht wieder einmal eine unverhoffte Begegnung zur Mittagszeit.

    Prompt rufst du dir die letzte Weissagung des Radioorakels ins Gedächtnis. Damals bestand die überraschende Wendung des Plots in einer überfallartigen Magen-Darm-Verirrung infolge einer missglückten Imbisskettenwahl. Auf die prophezeite halbe Stunde über dem besudelten Porzellangott in der versifften Bahnhofstoilette hättest du gern verzichtet. Noch heute klebt dir zertretenes Spritzbesteck im Schuhprofil.

    Stecker aus der Dose, Tasse in die Spüle.

    Gestreifter Morgenmantel wird durch gestreiftes Hemd ersetzt. Socken an die Stumpen. Eine samtweiche Stoffhose mit frisch gebügelter Bundfalte rundet den Zweiteiler ab. Mit reichlich Pomade wird das garstige Haar businesskonform auf Richtschnur geölt. Beide Gebisslinien freuen sich über einen kurzen Beitrag aus der Zahnhygieneabteilung. Den Lecklappen schabt ein ovales Plastikkonstrukt ab. Geruchsintensive Bakterienbildung soll so verhindert werden. Ein kleiner, brummender Taschenkobold kürzt die wuchernden Bartstoppeln auf erträgliche Länge. Mundwasser, Rasierwasser, Eau de Toilette.

    Alle Handgriffe sitzen. Jahrelange Wiederholung hat dich zu einem Meister der rasanten Metamorphose gemacht. Derart verwandelt würde dich selbst deine Mutter für ein kompetentes und leistungswilliges Mitglied der Gesellschaft halten.

    Jetzt noch flott die Lederlatschen angeschnallt und die sportlich coole Jack Wolfskin – Outdoorjacke übergeworfen.

    Eine clevere Kleidungswahl kann Karrierefaktor sein. Man benötigt Optionen, um jedwede Speichellecksituation gewinnbringend ummünzen zu können.

    Folgende Szenarien sind denkbar:

    Unterhaltung mit dem Chef:

    »Z.! Sie sind ein guter Mann. Leute wie Sie brauchen wir in unserer Abteilung.«

    »Danke, Chef.«

    »Dreck! Ich bin in Dachrattenkot gelaufen. Ah, zum Glück gibt’s die Niedriglohnsklaven aus dem Ostblock. Hey, Schuhputzer! Wiener mir mal die Krokodilsgaloschen! Aber ich will danach meine Poren drin erkennen. Wollen Sie auch, Z.?«

    »Oh, ähh, nein danke. Ich trage doch Turnschuhe.«

    »Sie sind entlassen.«

    Desaströs. Nur blutige Karriereanfänger schießen den kapitalen Bock und ziehen sich bequeme Schuhe auf Arbeit an.

    Umgedreht darf man natürlich auch nicht zu sehr an der Etikette suckeln, schließlich will man im kollegialen Umfeld nicht zum Mobbing-Sandsack werden. Besser man kommt obercool daher. Schon in der Grundschule wurden die lässigen Blender trotz ihres beschränkten Intellekts stets ehrfurchtsvoll gepriesen.

    Tratsch der verschworenen Kübelkollegen am Kopierminister:

    »Pah, guckt euch mal den feigen Franitsch an. Wie rum der läuft. Pullover und Lederjacke. So hat mein Onkel immer seine Vogelscheuchen ausstaffiert.«

    »Aber der Z., alle Achtung. Das ist doch so eine Survival-Jacke aus dem Outdoorshop. Kostet übel viel Kohle und hilft bei Bärenübergriffen.«

    »Ich wette, der macht am Wochenende solche Extremwanderungen, bei denen zehn Mann loslaufen und nur sieben zurückkommen. Oder war es umgekehrt? Na ja, egal.«

    »Auf jeden Fall ein gefährlicher Typ.«

    Die Kleiderwahl des einfachen Büroangestellten kann über Gedeih und Verderb seiner gesamten Laufbahn entscheiden.

    Nach dem stofflichen Behäng kommt das elektronische Interieur. Nur hoffnungslose Nostalgiker betreten den öffentlichen Raum ohne technische Gadgets oder digitalen Klimbim.

    – Smartphone Check!

    – Tablet Check!

    – Notebook für die Arbeit Check!

    – E-Reader, falls der Akku vom Pad röchelt Ok!

    – Elektronischer Schrittzähler fürs Fußgelenk Check!

    – Digitalkamera, um für die Olympiade der BILD-Leser-Reporter gewappnet zu sein Check!

    – Dazu noch alle Ladekabel und Adapter, Speicherkarten und Sticks,

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