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Sämtliche Romane: SF, Fantasy und Humor
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Sämtliche Romane: SF, Fantasy und Humor
eBook1.149 Seiten15 Stunden

Sämtliche Romane: SF, Fantasy und Humor

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Über dieses E-Book

„Sämtliche Romane“ – das sind alle bis Mai 2015 veröffentlichten Romane und Kurzromane des Autors in einem Band:

„In den Tiefen des Raums“ (SF-Roman)
„Notgeil“ (Erotischer SF-Kurzroman)
„Ich werde keine Hure“ (Kurzroman)
„Detlef dreht durch“ (Ein lustiger Kurzroman)
„Der Fluch des Gnomen“ (Fantasy-Trilogie)
„Papa und der Hauptgewinn“ (Heiterer Familienroman)
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Juni 2015
ISBN9783734794056
Sämtliche Romane: SF, Fantasy und Humor
Autor

Jürgen Müller

Jürgen Müller wurde 1960 geboren. Er lebt in Pockau-Lengefeld, einer kleinen Stadt im Erzgebirge. Nebenberuflich arbeitet er als Herausgeber und Korrekturleser von E-Books (Abenteuerverlag Pockau) sowie als An- und Verkäufer von Gebrauchtbüchern (Bücherstube Pockau). Er schreibt seit seinem 14. Lebensjahr.

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    Buchvorschau

    Sämtliche Romane - Jürgen Müller

    Inhaltsverzeichnis

    Titelseite

    In den Tiefen des Raums: PROLOG

    1. TEIL – In den Tiefen des Raums: 1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    2. TEIL – Im Abgrund der Zeit: 12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    Notgeil: 1

    2

    3

    4

    Ich werde keine Hure! – 1. Das Nuttenbalg

    2. Fluchtversuch bei Nacht

    3. Auf dem Pflaumenbock

    4. Ertappt

    5. Verfolgt

    6. Erste Rückschläge

    7. Erwischt

    8. Auf zu neuen Ufern

    9. In sicherer Obhut

    10. Kampf auf Leben und Tod

    11. Der neue Feind

    12. Unerwartete Hilfe

    13. Endlich – „die Nereide"

    14. Am Ziel

    15. Geheimnisse bei Nacht

    Detlef dreht durch: 1. Nächtliche Ruhestörung

    2. Der Umzug

    3. Gespenster

    4. Das Spukschloss

    5. Kochkunst pur

    6. Kindersegen

    Der Fluch des Gnomen – 1. Buch: Invasion im Feenreich

    2. Buch: Dämon Vielmauls maritime Phase

    3. Buch: Mundlos

    Papa und der Hauptgewinn: 1. Kapitel

    2. Kapitel - 1

    3. Kapitel - 1

    4. Kapitel - 1

    5. Kapitel - 1

    6. Kapitel - 1

    7. Kapitel - 1

    8. Kapitel - 1

    9. Kapitel - 1

    10. Kapitel - 1

    11. Kapitel - 1

    12. Kapitel

    13. Kapitel - 1

    14. Kapitel - 1

    15. Kapitel - 1

    Impressum

    Jürgen Müller

    Sämtliche Romane

    Copyright by:

    Jürgen Müller

    Straße des Friedens 11

    09509 Pockau-Lengefeld

    Deutschland

    „Sämtliche Romane" – das sind alle bis Mai 2015 veröffentlichten Romane und Kurzromane des Autors in einem Band:

    „In den Tiefen des Raums" (SF-Roman)

    „Notgeil" (Erotischer SF-Kurzroman)

    „Ich werde keine Hure" (Kurzroman)

    „Detlef dreht durch" (Ein lustiger Kurzroman)

    „Der Fluch des Gnomen" (Fantasy-Trilogie)

    „Papa und der Hauptgewinn" (Heiterer Familienroman)

    In den Tiefen des Raums: PROLOG

    Was sollte er unternehmen, wenn auch dieses Unternehmen nichts brachte, wenn er das berüchtigte baufällige Haus umsonst betrat, keine Antwort auf seine Fragen erhielt, keinen Rat, keine Zuversicht auf Besserung? Weiterleben wie bisher? War das überhaupt ein Leben ...?

    Argo betrat das Wartezimmer und glaubte sich in eine rauchgeschwängerte, mit Nippes und ausgestopften Tieren überladene Bodenkammer versetzt. Die Inhaberin musste den Fundus eines Schnulzentheaters erworben haben ... samt Motten und muffiger Luft. Akleybecher, Engel aus Gips, verschnörkelte Leuchter, Augenschalen – ein wahlloses Durcheinander aus Kunstgegenständen und dem Kitsch vergangener Jahrhunderte füllte die Regale, Vitrinen und Borde. Wandteppiche, Dämonenmasken und Muschelornamente verstopften die raren Zwischenräume. Lediglich Pop-Art, Gartenzwerge und Hirschtrophäen fehlten. Zu neu oder zu banal? Wie auch immer: Argo fühlte sich von all dem Krimskrams erdrückt, spielte mit dem Gedanken an Rückzug – und blieb. Wer, wenn nicht die stadtbekannte Wahrsagerin Clochilde, vermochte ihm zu helfen ...?

    Ein großflächiges rechteckiges Mosaik aus Tausenden bunten, leider staubüberzogenen Glasplättchen knarrte ... und entpuppte sich als Tür. Die Dame des Hauses erschien, dem Erscheinungsbild nach eine sesshafte Zigeunerin.

    „Kommen Sie herein, Herr Knab!"

    Über Argos im Allgemeinen verdrossen wirkende Gesichtszüge huschte ein verächtliches Lächeln. Nur weil sie ihn kannte, fiel er nicht vor Ehrfurcht auf die Knie. Als weltbester Testpilot für Raumflugkörper aller Art stand sein Name schließlich in allen Journalen. Es tat ihm jetzt schon Leid, hierher gekommen zu sein.

    Falls es überhaupt möglich war, so wirkte das Empfangszimmer noch überladener als der Warteraum. Kaum dass zwischen dem Sammelsurium Platz für den Besucherstuhl blieb.

    „An welche Form hatten Sie gedacht?"

    Sein Gesichtsausdruck musste konsterniert wirken. „Des Wahrsagens, setzte sie hinzu. „Ich bin firm in vielerlei Methoden: Losorakel; Sterndeuterei; aus dem Kaffeesatz lesen; Hellsehen; Kartenlegen mit Joker-Kartensätzen, Patience-Karten, I Ging-Karten, Runenkarten; Pendeln; Spiritistisches Wahrsagen; Bibelstechen ...

    Verwirrt hob er die rechte Hand, um sich hinterm Ohr zu kratzen.

    „Sagen Sie doch gleich, dass ich Ihnen aus der Hand lesen soll!" Sie griff nach seinen Fingern.

    „Sie ... waren ein hyperaktives Kind, ein bei den Mitschülern beliebter Klassenkasper, auch wenn Sie zumeist die Schule schwänzten, um draußen zu toben."

    Was wollte er hier? Auch das stand in allen Journalen.

    „Was haben wir denn hier? Die Wollust einer Sexsüchtigen wird Ihren Leib verzehren ... aber Sie werden überleben. Nach dem vierteljährigen Klinikaufenthalt, bei dem Sie, ein Adrenalin-Abhängiger ohne ein Gramm Sitzfleisch, Qualen erleiden wie ein Eisbär in der Wüste, werden Sie – was steht da? – die Welt verlassen . Mein Gott!"

    „Auf Wiedersehen! Für solcherart Plattheiten ..."

    „Bleiben Sie! Sie ... möchten wissen, ob Sie jemals sesshaft werden, Ihr Leben ohne wagemutige Eskapaden genießen, ohne den gewohnten Nervenkitzel leben können. Sie sehnen sich danach, einmal ohne Schuldgefühle ... das heißt, überhaupt einmal einen Urlaub an einem Traumstrand der drei Millionen und vierzehn Seen genießen zu können und nicht Krater und Schluchten des Mars ersteigen zu müssen, um Ihrer Abenteuerlust zu frönen. Sehen Sie andere Leute entspannt im Liegestuhl, können Sie nur verächtlich lächeln, vergehen in Wahrheit aber vor Neid."

    Davon stand in keinem Journal ein Wort! Niemand wusste, wie sehr er seinen jüngeren Bruder um seine Gelassenheit beneidete, nicht einmal Balko selbst. Balko hatte nie die Schule geschwänzt, nie den Unterricht gestört. Statt Fußball zu bolzen, hatte er auf akribischste Weise Puzzles (mindestens tausend Teile und ja kein leichtes Motiv) zusammengefügt oder mit unübertroffener Langmut kleine Nachbarskinder behütet. Balko war noch nie in Urlaub gefahren, geschweige denn zu einem Abenteuerurlaub. Manchmal bezweifelte Argo, dass sie ähnliche Gene besaßen. Müssten sie sich für eine sportliche Tätigkeit entscheiden: Argo würde Kickboxen, Balko jedoch Yoga wählen – gezwungenermaßen, da Meditation nicht unter „Leibesübungen" fiel. Argo bemühte sich stets um eine apathische Miene, um seine Unzufriedenheit und die innere Unrast zu verbergen, wirkte dadurch aber eher verdrossen. Während Balko allzeit versonnen und stillvergnügt war, brach sich Argos Jubel in Augenblicken überstandener Gefahr oder bevorstehender Mutproben nur kurz und heftig seine Bahn. Die Sehnsucht nach weiteren euphorischen Gefühlsausbrüchen war es, die ihn zu immer waghalsigeren Unternehmungen trieb.

    Bestürzt musterte Argo die Weissagerin. Er fühlte sich durchschaut wie eine gläserlose Modebrille. Woher, zum Teufel, weiß sie ...?

    Von meinem Vater, der dein Schulpsychiater war . „Ihrer Mimik entnehme ich, ich bin mein Geld wert?"

    „Das sind Sie! Voller Ehrfurcht zückte er die Brieftasche. „Könnten Sie vielleicht ...?

    „Selbstverständlich kann ich auch diese Frage beantworten. Sie beugte sich noch tiefer, studierte seine feinen Handlinien. „Herr Knab, nach vielerlei Abenteuern in unserer Zeit, in der Urzeit und in Zwischen- und Nebenzeiten – was auch immer dies bedeuten mag – werden Sie Ihren Seelenfrieden in den Armen einer bodenständigen jungen Frau finden.

    „Ich wagte kaum, es zu hoffen. Vielleicht habe ich den motorisierten Komfortsessel doch nicht umsonst bestellt ..."

    „Sie können ihn genießen ... in allen Lagen und selbstverständlich zu zweit. Wobei ich bei Ihnen eine ausgeprägte Vorliebe für flauschige Teppiche und Wasserbetten konstatiere. Diese Frau wird Sie ... wird Sie ..." Mit offenem Mund schaute sie auf.

    „Was wird sie mich? Was?"

    Sie schob ihn vehement zur Tür. „Lassen Sie mich allein!"

    „Aber ..."

    „Tut mir Leid." Sie warf ihn hinaus.

    „Das ist das Irrste, was ich je erfuhr, japste sie nach dem Lachkrampf. „Der wird sich noch wundern! Und wie ich ihm das gönne! ,Auf Wiedersehen! Für solcherart Plattheiten ...‘ Wäre es nicht geschäftsschädigend – mit Freuden würde ich ihn zurückrufen und ihm kostenlos einige Dinge über sich erzählen, die er noch nicht weiß oder mit Vorbedacht vergessen hat!

    Ihr schrilles Gelächter durchdrang die Türfüllung, als bestünde sie aus Löschpapier. Da half auch die Mosaik-Schicht nichts. Auf der anderen Seite schoss Argo das Blut ins Gesicht. Sie lachte ihn aus, ihn , den weltbesten Testpilot für Raumflugkörper aller Art, der Tag für Tag in allen Journalen stand. Er verspürte das Verlangen, ihre Ramschsammlung in so viele Teile zu zerschlagen, dass nicht einmal Balko sie wieder zusammensetzen könnte; mit Vasen und Cherubim-Figuren um sich zu werfen, als wäre er eine Tontaubenwurfanlage; das staubbedeckte Mosaik zu bespucken; durch die Tür zu stürmen und die Wahrsagerin mit einem schweren scharfkantigen Leuchter ...

    Er riss die Tür auf, stürmte auf sie zu und rief: „Da Sie mir die Auskunft verweigern, fordere ich mein Geld zurück!"

    Noch immer glucksend, sagte sie: „Das ist Ihr gutes Recht. Sagen wir die Hälfte – einiges habe ich Ihnen immerhin verraten ... und den Rest werden Sie früh genug erfahren!"

    Sie prustete erneut los und warf sich auf ein Bärenfell.

    Argo starrte auf die sich Windende und wünschte sehnlichst im Besitz eines strapazierfähigen Teppichklopfers zu sein. Er schluckte, griff nach dem Geld und stelzte gravitätisch hinaus.

    Die Wollust einer Sexsüchtigen würde seinen Leib verzehren – einfach lachhaft!

    1. TEIL – In den Tiefen des Raums: 1. Kapitel

    Der kobaltblaue stählerne Wächterkoloss der Marke BEISEITESCHREITER verharrte auf der Stelle. Vieles hatte er auf dieser Welt namens Ärde erlebt. Noch mehr hatte er gehört in den Jahren, seit er pflichtvergessen die Lücke im unüberwindbaren haushohen Elektrozaun rund um das vier Quadratkilometer große Werksgelände der Firma ÜBERFLUG bewachte. Aber solch eine Gestalt, wie sie eben aus dem alles verschlingenden Anthrazit einer nur mürrisch weichenden Nacht trat, war ihm noch nicht untergekommen. Da schleppte doch ein eiserner Wille zweihundertsechs mit Haut überzogene Knochen zur Arbeit.

    „Lass mich rein", sagte Argo.

    „Seltsam, entfuhr es dem BEISEITESCHREITER. „Die Fingerabdrücke stimmen mit dem Vergleichshologramm überein. Haarfarbe und -struktur und selbst die Haarquerschnittsuntersuchung – alles in Ordnung. Unverwechselbar die Iris; habe selten etwas so grandios Buntschillerndes gesehen. Die Größe: Einsdreiundneunzig – auf den Zentimeter genau wie es im Ausweis steht. Der Geruch? Pfui Teufel! Stimmt auch – scheußlich wie immer.

    „Danke. Schönen Dank auch! Bin dir sehr verbunden."

    „Die Sprache? Eindeutig zur Person ,Herr Testpilot Argo Knab‘ gehörend, wie alles andere auch. Und dennoch ...!"

    „Und dennoch ... was ?"

    „Gewicht: Einhundertsechs Kilogramm laut Ausweis, ja? Ha! Geh weg, Fremder, oder ich schieße!" Laser schoben sich aus dem Wächterkoloss.

    „Warte." Argo zückte die Entlassungspapiere der Klinik.

    „Einlieferungsgewicht: 57 Kilogramm? Entlassungsgewicht: 65 Kilogramm? Gut, überredet: Eindeutige Identifizierung als ,Herr Testpilot Knab‘. Ich bitte um Entschuldigung. Sie dürfen passieren."

    Die Laser zogen sich ins Wächterkoloss-Innere zurück. Der BEISEITESCHREITER trat einen Schritt beiseite und gab die Lücke der unüberwindlichen Elektrozäune rund um das vier Quadratkilometer große Werksgelände der Firma ÜBERFLUG frei.

    Rechts neben dem Bürokratenpalast, etwa vierzig Meter vom Wächterkoloss entfernt, aber in Nähe des riesigen Hangars, befand sich der mit saftig grünem Gras bewachsene Randstreifen des werkseigenen Start- und Landeplatzes. Quirlige Helikopter mit herabhängenden Rotoren, Flugzeuge mit Stummelflügeln, Flugzeuge mit Riesenschwingen, kirchturmhohe Ballons und sogar Raumschiffe, pyramiden-, zigarren-, kugel-, un- und sonstwieförmig, die nicht in den überfüllten Hangar gepasst hatten, drängten sich hier dicht an dicht, aber auch UFO-ähnliche Neuentwicklungen, die Argo so sehr liebte. Eine davon, den silberfarbenen Versuchsraumgleiter AURICA, sollte er am ersten Arbeitstag nach langer Abwesenheit erproben.

    Die Sichtprüfung fiel günstig aus. Solide gebaut das Himmelsgefährt, dachte Argo anerkennend und schritt, den Ausweis gezückt, zur rostbraunen Einstiegsluke.

    Eigentlich hätte Argo noch drei Wochen im Bett liegen und sich aufpäppeln lassen müssen. Einer Ohnmacht nahe, zog er sich den Einstieg hoch.

    Sein an Bord der AURICA schwebender Kopilot registrierte erschüttert, wie Argo durch die Einstiegsluke kroch.

    Inmitten etlicher der zweihundertsechs mit Haut überzogenen Knochen pumpte ein doppelter Hohlmuskel verbissen wohl einhundertachtzig Mal pro Minute an momentanem Sauerstoffmangel leidendes Blut in einen Kreislauf, der das ständige Rundherum anscheinend satt hatte – derzeit hätte Argo kein Testpilot für Raumflugkörper aller Art sein müssen, sondern ebenso gut ein beliebiger Freizeitsportler sein können, der soeben halbtot ins Zielband eines Triathlon-Wettbewerbes wankt.

    Gemächlich kletterte die Sonne über dem Horizont empor und vertrieb den Dämmerschein aus dem Werksgelände. Der betonierte Start- und Landeplatz schimmerte in blassem Gris.

    „Gut, Kumpel ... Argos Lunge schnappte gierig nach dem planeteneigenen Gasgemisch. „Gründliche Untersuchung!

    „Ojemine! Das kirschgroße Pseudoinsekt, von allen kurz „Pseu genannt, schwirrte mitleidsvoll vor seiner Nase herum. „Drohender Kreislaufkollaps. Drei Wochen Bettruhe. Aber sofort!"

    „Ach was! Dass ich nach einem dreimonatigen Klinikaufenthalt nicht fit bin, dürfte klar sein. Die Bordsysteme solltest du überprüfen, nicht mich!"

    „Ist längst passiert, Chef! Sogar zweimal."

    Jeder Kontrolleur, selbst unangemeldet und mit Sehfehler, hätte das Kunstgeschöpf letzte Nacht dabei ertappt, wie es unter Zuhilfenahme seiner Tentakel, Beine und Kauwerkzeuge (es bezog seine Energie aus der Pseudo-Verdauung von Abfall und Dreck) den Großteil der Bordelektronik genüsslich in sämtliche Einzelteile zerlegte, wieder zusammenfügte, die Gründliche Untersuchung dreiundsiebzig Mal durchführte und anschließend fünf Stunden und siebzehn Minuten lang mit seinem persönlichen Psychiater telefonierte. Schuld daran war ein Bewusstseins-Chip, der allen mechanotronischen Hilfskräften installiert wurde ... mit der Nebenwirkung, dass sie bei Untätigkeit allesamt unter unerträglicher Langeweile litten.

    „Herunterzählen zum Start, Chef?"

    „Jau!"

    „Wau! Zehn ... Neun ... Acht ... Sieben ... Sechs ...", protzte Pseu mit dem körpereigenen Zeitmesser, der eine jede Sekunde in Millionen gleich lange Stückchen zerhackte.

    „Fünf ... Vier ... Drei ... Zwei ... Eins ... Null!", stimmte Argo mit schwacher Stimme, aber begeistert ein. Sein Verstand hingegen fiel keine Zehntelsekunde später, als die robusten Triebwerke der AURICA im Verein losfauchten, genau in die Mitte zwischen einem flachen Koma und einer tiefen Ohnmacht.

    Dröhnend schraubte der Versuchsraumgleiter sich per Spiralsteigflug ins himmlische Blau empor, stürzte im gewollten Trudelfall bis dicht über das khakifarbene Gelände einer erst kürzlich versiegelten ausgedehnten Mülldeponie und vollführte etwas später über dem Gebiet der drei Millionen und vierzehn Seen der Ärde weitere vorprogrammierte Flugmanöver, neckische Kapriolen sowie die Folgen einiger von einem Zufallsgenerator initiierten künstlichen Defekte im Gleiter, von denen jeder einzelne mit einer Katastrophe geendet hätte, hätte der Autopilot nur einmal eine Tausendstelsekunde zu spät reagiert.

    Überglücklich, etwas zu tun zu haben, absolvierte Pseu das Programm, dokumentierte in seinem Speicher sämtliche Daten, kopierte sie, bestätigte die punktgenaue Landung auf der Stelle, von der aus sie gestartet waren, und schaltete mürrisch die Aggregate der AURICA ab.

    Feierabend. Merde!

    Ein versehentlich ebenfalls installierter, aber für mechanotronische Hilfskräfte keineswegs obligatorischer Unter bewusstseins-Chip überflutete das Denken und Fühlen Pseus mit den Schrecknissen der kommenden tristen Nacht, obwohl kaum Mittag eines hellen freundlichen Tages war.

    „Feierabend, Chef! Der Kasten ist in Ordnung, nicht?"

    Stille.

    „Cheeff!"

    Stillste Stille.

    Wau!

    Überglücklich trat der Kopilot in Aktion, erspähte einen Ärdbatzen, der aus dem Profil eines Schuhs des Testpiloten gebröckelt sein mochte, zerhieb ihn mittels rücksichtsloser Anwendung eines scharfkantigen Manipulator-Arms, verschlang und pseudoverdaute die Krümel und sprühte wenig später vor Energie.

    Der Kopilot schwirrte freudig auf Argos sich kaum noch hebende und senkende, manchmal auch konvulsivisch zuckende Brust. Dort fuhr er teleskopartig die Tentakel aus und bohrte deren spitze Enden an bestimmten Stellen des schmächtigen Oberkörpers durch Overall und Oberhaut. Glücklich auflachend, betätigte er sich nun als Mini-Defibrillator, aber mit Maxi-Saft.

    Argo zuckte hoch, als hätte er mit einem Zitteraal gebadet, und ächzte: „Guten Morgen, Blechkamerad!"

    „Wollte, er wäre schon da, seufzte Pseu, „der morgige Morgen. Feierabend, Chef. Der Kasten ist in Ordnung, nicht?

    „Welcher Kasten? Ah, dieser Kasten. Ist er das? Gut."

    Argo nahm das Kristall mit der Kopie der Aufzeichnungen an sich, ließ den metallic-smaragdfarbenen Kopiloten samt herumspukenden Unterbewusstseins-Chip allein und wankte in den Bürokratenpalast, wo nur die behäbigsten Ärdenmenschen eine Anstellung finden (Der Spruch „Gut Ding will Weile haben" ist auch auf der Ärde in, aber nicht in Zitatenlexika, sondern als Paragraph 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Erschöpft taumelte er zu einer mächtigen schallgepolsterten Tür, auf der ein Schild mit der Gravur

    Herr Fridolin Frodilon

    Abteilungsleiter Ressort Entwicklung

    stand, klingelte und wurde „bereits" nach fünfzig Minuten eingelassen.

    Der dickleibige Abteilungsleiter wuchtete sich aus einem Monstrum von Sessel, mit Armlehnen, breiter als Argos Oberschenkel.

    „Ist das ein Stresstag!, grummelte er. „Legen Sie das Kristall auf den Schreibtisch. Aber in Reichweite! Ich sehe ihn mir gelegentlich an. Niemandem ist geholfen, wenn ich mich überarbeite. – Ist noch was, Knab?

    Fridolin Frodilon als häufig benutzte und stets präzise ins Schwarze getroffene Zielscheibe eines gut besuchten Schießstandes auf dem Jahrmarkt sehend, verließ Argo mit aufgesetzter freundlicher Maske das Büro samt Bürokratenpalast.

    Feierabend , jubelte es keine fünfzehn Meter vom Wächterkoloss in ihm.

    „Herr Testpilot Knab, bitte unverzüglich im Chef-Salon zu einer außerplanmäßigen Sitzung einfinden!"

    Mit einem Ruck wandte Argo sich um und betrachtete ungehalten einen unschuldig wirkenden Außenlautsprecher des Werkfunks, dessen Bespannung aber verdächtig nachbebte.

    Weitere frodilonische Zielscheiben fanden im Schießstand des Jahrmarkts ein jähes Ende.

    Akribisch registrierten Argos Augen sämtliche Lebenszeichen in der näheren Umgebung, dann die der entlegensten Winkel. Niemand zu sehen, der ihm die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Einige Glückliche im Schießstand kamen mit dem Leben davon.

    Argo huschte zum kobaltblauen Wächterkoloss. „Hör mal: Falls dich jemand fragt – als die Durchsage kam, war ich bereits außerhalb des Werksgeländes, außer Hörweite! Ich spiele auch wieder eine halbe Nacht lang mit dir Karten, wenn es dir wieder einmal allzu langweilig wird. Versprochen. Ist doch ein Angebot, nicht wahr?"

    „Keine Bestechungsversuche – oder ich muss es dem Werkschutz melden!"

    „Eine ganze Nacht ..."

    „Zwei!"

    „Erpresser! Dann schon lieber die Sitzung."

    Argo schätzte die Entfernung zum Bürokratenpalast ab, dachte an die Treppen. Im imaginären Schießstand begann ein Massensterben. Argo schleppte sich zurück.

    Eben schwanden die schwarzen Schatten, sah er, oben angekommen, wieder klar, vermochte er aufrecht zu stehen, bekam er wieder Luft, da tänzelte ihm hüftschwingend und busenwogend seine Ex-Geliebte Dina Äsch, die von der Wahrsagerin angekündigte Sexsüchtige, entgegen. Nur die Einlieferung in die Klinik hatte ihn gerettet. Keine Woche länger mit ihr, und die Würmerpopulation des Nordfriedhofs hätte es gefreut.

    Dennoch hüpften seine Augen ihr förmlich entgegen, strichen begehrlich ein Paar rote Lackstiefel hoch, wanderten über die endlos langen, gebräunten Schenkel, hinauf zu einem Minirock, den jede andere als Gürtel trüge, noch weiter hinauf, empor zu einer weißen, dünnen, im Gegenlicht durchscheinenden Bluse mit nichts drunter – sein Blick schaltete auf sechzigfache Vergrößerung –, strichen durch offenes, bis zum knackigen Hintern fallendes Goldhaar ... auf einem leider strohdummen Kopf.

    Selbst Affen können ein bisschen Mathe. Egal, in welchem Universum, egal, auf welcher Welt. Rhesusaffen zum Beispiel besitzen den Verstand eines zweijährigen Kindes und können erwiesenermaßen bis neun zählen, und zwar ohne den Gebrauch von Sprache, ohne überhaupt „Eins, Zwei, Drei ..." denken zu können.

    Nun, Dina schaffte es immerhin bis zur Neunzehn (in Sternstunden sogar fehlerlos!) und in Kenntnis der Ziffern Eins, Zwei, Drei und konnte auch sonst gut daherplappern.

    Sie war zwar nicht allzu debil, doch immerhin ganz schön infantil, und so hatte Mütterchen Natur sich wohl einst gedacht, für das bisschen Verstand reiche eine halb so dicke Schädeldecke wie üblich allemal.

    Bis zu Dinas Geschlechtsreife hatte das zugetroffen. Seit diesem Zeitpunkt aber war alles zu spät. Denn sie, die bisher so gut wie nie dachte (geschweige denn nach dachte), dachte jetzt fast nur noch, und zwar zumeist an hemmungslosen Sex. (Plappern konnte sie nämlich stundenlang, ohne zu denken.) Die einzigen Zeitpunkte, an denen Dina nicht an hemmungslosen Sex dachte, waren a) die, in denen sie ihn praktizierte (und das war ziemlich oft), und b) die, in denen sie wieder einmal an absolut gar nichts dachte (und das war noch viel öfter).

    Dennoch war sie weder Hure noch Flittchen. Huren nahmen Geld dafür, und damit konnte sie eh nicht umgehen, und Flittchen trieben es zur gleichen Zeit mit verschiedenen Männern. Sie trieb es immer nur mit einem Mann, der aber infolge körperlicher Erschöpfung bald dem nächsten weichen musste. Argo zum Beispiel wog wieder über hundertzwanzig Pfund und hasste Intensivstationen, einige andere hingegen waren zu Letzterem nicht mehr in der Lage.

    An sich war Dina völlig harmlos. Gefährlich wurde es nur, wenn sie wegen eines Trauerfalls kurzzeitig solo war. Keineswegs gefährlich für alle. Nur für Männer. Und zwar für Männer, die ihr näher als einen halben Meter kamen.

    Ihr Denken an hemmungslosen Sex fand nämlich in Bildern statt. In Bildern, für deren auf Film gebannten Besitz so mancher Porno-Regisseur ein Vermögen ausgegeben hätte. Diese Gedankenbilder waren so heftig, so überaus stark, dass sie ihre nur halb so dicke Schädeldecke durchdrangen und auf dem Wege über die weicheren, aus einer dünnen Bindegewebsschicht bestehenden Knochennähte zwischen den einzelnen Knochenplatten eines jeden Schädels in die Köpfe anderer Menschen dringen konnten, sofern diese nicht mindestens einen halben Meter entfernt waren. Dort verdrängten sie alle vorhandenen Gedanken, Wünsche und Vorlieben – sogar sämtliche Vorurteile! Im Hirn des Sexpartners existierten nur noch die Bilder vom hemmungslosen Sex mit ihr, die natürlich baldigst und immer und immer wieder in pralles Leben umgesetzt wurden, sofern der Bedauernswerte nicht mittels einer glücklichen Fügung aus dem Wirkungsbereich gelangte. Ansonsten drohte ihm bald ein mehr oder weniger sanftes Entschlafen.

    Auch in den Hirnen der ärdischen Vertreter des Homo sapiens sapiens existiert ein Selbstschutz, der alles für das jeweilige Individuum Unangenehme zu vergessen sucht, ins Vergessen stößt. Eine Gute-Laune- wenn nicht gar lebensrettende Vorrichtung – die auch bei Argo gründlich funktionierte, als er so unerwartet Dina wiedersah.

    Kein Gedanke daran, dass sie ihn in seinem derzeitigen desolaten körperlichen Zustand noch diese Woche ins Grab bringen würde, nicht der leiseste Ansatz zu einer Fluchtreaktion ... Alles, was jetzt auf ihn einstürmte, war die Erinnerung an Dutzende und Aberdutzende Schäferstündchen mit ihr.

    Wie gebannt starrte Argo auf die Näherkommende, wartete auf die Sex-Bilder, die bald seinen Verstand überschwemmen und Wirklichkeit werden würden, ja – er schritt ihr sogar entgegen ...

    Noch fünf Meter, drei Meter, ein Meter!

    Jetzt! Bilder stürmten sein Hirn ... ein Bild: das Abbild von ihm, so wie sie ihn jetzt wahrnahm, als ein Skelett, dem irgendwie der Ausbruch aus der Geisterbahn geglückt sein mochte.

    „Äh, Dina. Hallo, ich bins", stammelte er.

    „Du bist das, Argo? Iiih, siehst du Scheiße aus!", sagte sie und tänzelte vorüber, hüftschwingend und busenwogend.

    Sein Verstand fragte sich noch, falsch gehört zu haben, da brach sein Selbstschutz bereits zusammen wie jemand mit verkümmerten Bauchmuskeln nach einem Schlag auf den Solarplexus. Hatte er tatsächlich angenommen, er, der Einsdreiundneunzighüne, wäre mit fünfundsechzig Kilo noch immer so athletisch gebaut wie mit einhundertsechs?

    Sein Ego begann zu bröckeln. Dieses eine Bild, ein Zerrbild seiner selbst (in Wahrheit war es ziemlich realitätsnah) besetzte sein Hirn, ließ nichts anderes neben sich bestehen ...

    Er wusste nicht, wie lange er an der Wand vor dem Chef-Salon lehnte. Äußerlich glich er einem Toten, innerlich war er tot. Kein Gedanke flitzte durch sein Hirn, nicht einmal der leiseste Gedanke an einen Gedanken. Alles schwarz, alles leer, alles stumm – eben tot.

    Weitere Zeit verstrich, und noch immer stand er so da, regungslos, mit versteinertem Gesicht, die absolut tödliche Leere in ihm.

    Plötzlich drang eine tiefe, träge Stimme über seine Gehörgänge ein und brachte wieder Gedanken in sein Hirn, wenn auch fremde.

    „Sie sind schon hier, Herr Testpilot Knab? Ich ließ Sie doch eben erst rufen! Ulf Berseke, Chef der Firma ÜBERFLUG, staunte. „Dickes Lob, mein Bester. Stets einsatzbereit, stets zur Stelle, aber leider etwas zu früh. Ich muss mich erst auf die Sitzung vorbereiten, wie Sie sicherlich verstehen werden. Wenn Sie bitte noch einige Sekunden vor dem Einlass warten würden. Ich rufe Sie gleich herein.

    Es vergingen auch höchstens eintausendfünfhundert dieser kurzen, kaum erwähnenswerten Sekunden, bis ... sich eine Nebentür öffnete.

    „Herr Knab?"

    Argo erstarrte. Die Frauenstimme war tief, rau, das heißt rauchig, und erotisierend. Eine Stimme, die jedes Schimpfwort in eine Liebkosung verwandelte.

    Argo wandte sich um. Das „Ja, bitte?" blieb ihm im Halse stecken.

    Liefen ihm bereits von der Stimme Schauer über den Rücken, so warf ihn der Anblick der Frau um.

    Sie konnte achtunddreißig sein und ebenso gut achtundzwanzig oder ... achtundvierzig. Ach was! Und wenn sie hundertacht gewesen wäre – es hätte ihn nicht interessiert.

    Die Frau seines Lebens! Er wusste, er hatte die ganze Zeit nur auf sie gewartet. Das war die von der Wahrsagerin angekündigte bodenständige junge Frau, in deren Armen er seinen Seelenfrieden finden, seine Unrast verlieren würde. Und er wusste, dass sie es wusste. Dass sie bereit war, dass sie ihn wollte , nur ihn, und keinen anderen Mann auch nur anschauen würde.

    Ihre Tür war geöffnet für ihn, dahinter warteten: gemeinsame Urlaube an einem Traumstrand der drei Millionen und vierzehn Seen, abgewetzte Komfort-Sessel, wogende Wasserbetten und abgenutzte flauschige Teppiche. Er brauchte nur eintreten ... und irgendwann Dina dankend um den Hals zu fallen, dass sie ihn freigegeben hatte. Nicht auszudenken, was er für die paar Minuten in ihren Armen verpasst hätte ...

    Argo holte tief Luft für den entscheidenden Schritt.

    „Roberta!"

    Sie fuhren herum zu Ulf Berseke. „Ja, Paps?"

    „Belästige meinen besten Mann nicht! Mach lieber deine Hausaufgaben."

    Hausaufgaben ? Sie war noch Schülerin? Elfte, zwölfte Klasse, ja? Achtzehn, vielleicht auch nur siebzehn Jahre alt, äußerlich reif, innerlich eine verspielte Göre ...

    Argo wandte sich ab.

    Sie hängte sich an ihn wie ein Tender an die Lok.

    „Nun reicht es aber, Mädchen. Berseke drängte sie zurück. „Ich besorge dir ein Autogramm von ihm. – Kommen Sie!

    Wie eine Planierraupe schob er Argo durch die falsche Tür.

    Robertas Blick brannte auf Argos Rücken, nachdem die Tür zu einem –zu seinem – glücklichen Leben voller Vertrauen, Streicheleinheiten, innigen Kuschelns und gegenseitigen völligen Verstehens längst zugeschlagen war. Sobald er wieder zu denken vermochte, würde er wissen, dass er etwas entsetzlich Falsches getan hatte, als er sich nicht an Berseke vorbei in ihr Zimmer drängte. Sie hätte alles für ihn aufgegeben: Schule, Familie, Ausbildung, das Erben der Firma ÜBERFLUG ... Und er? Selbst wenn er hundertacht Jahre alt würde, dieser Fehltritt war nicht mehr zu überbieten ...

    Ich gehe jetzt zu Roberta und entschuldige mich bei ihr , dachte ein Teil von Argo (der vernünftigste Teil ... oder der vernunftloseste?), vielleicht verzeiht sie mir.

    Aber wenn nicht, mahnte ein anderer Teil von ihm, dann stehst du ohne alles da, ohne Mädchen und ohne Auftrag. Nie verzeiht sie mir!

    Oh, doch. Sie verzeiht mir.

    Verzeiht mir nicht ...

    Verzeiht mir doch ...

    „Hören Sie mir zu, Testpilot Knab? Verstehen Sie, was ich sage?"

    „Ja doch, sicher höre ich Ihnen zu. – Was sagten Sie?"

    „Ich sagte: Treten Sie bitte näher, Herr Testpilot Knab. Schon zweimal. Sind Sie jetzt bei der Sache?"

    Ulf Berseke, in einem Chefsessel thronend, gegen den selbst Herrn Abteilungsleiter Frodilons Monstrum wie ein Kinderstubenmodell gewirkt hätte, schüttelte den Kopf über das Verhalten seines besten Mannes. Für Leute, die nicht wussten, dass Berseke Sport trieb (Berseke hatte mal gehört, dass Manager viel zu ungesund, viel zu gestresst leben, somit nie die maximale Lebenserwartung erreichten und deshalb viel Sport treiben sollten, was er seitdem auch gewissenhaft tat – als schwerster Sumo-Ringer der Ärde), war es schlichtweg unbegreiflich, dass dieses Kopfschütteln seinen kolossalen Leib nicht in den Boden bohrte, und noch unbegreiflicher, dass seine Halsmuskeln das ebenso mächtige Haupt zu bewegen vermochten.

    Trotz seiner Titanengestalt wirkte er fitter als Fridolin Frodilon, in dessen Chefsessel er vielleicht einen Schenkel quetschen könnte.

    Neben ihm stand (wie zur besseren Veranschaulichung bestellt) ein dünnes Männchen, von dessen Sorte bequem fünf nebeneinander im Chefsessel Platz gefunden hätten, das aber dennoch im Gegensatz zu Argo etwas Fleisch auf den Rippen hatte.

    „Nun, mein Bester, sind Sie mit der Arbeit hier zufrieden?", fragte Berseke jovial.

    Im Bewusstsein, alles verloren zu haben, was es nur zu verlieren gab, antwortete Argo voller Sarkasmus und ohne seine Worte abzuwägen: „Zufrieden? Ich? Ich bin zu zufrieden! Kaum mal eine Panne. Die Testmodelle funktionieren fast auf Anhieb. Müsste ich nicht ständig auf den Kopilot Acht geben, wäre ich längst vor Langeweile gestorben. Wenn das so weitergeht, suche ich mir bald etwas Aufregenderes."

    Selbst diesen Ton nahm ihm Berseke nicht übel: Argo Knab war der Einzige in seiner Firma, der auch Aufträge übernahm, die der weltbeste Stuntman abgelehnt hätte.

    „Soso, Sie suchen etwas Außergewöhnliches ...? Gratulation – Sie haben es gefunden! Darf ich vorstellen: Max Liebetanz, genialster Erfinder des Jahrhunderts sowie Konstrukteur des weltersten Zeitenmobiles, derzeit bei Baron Vesperzeit angestellt."

    Vesperzeit? Baron Vesperzeit? , fragte sich Argo erstaunt, womit endlich auch innerlich Leben in ihn kam (zum Chef gehen und rumnörgeln kann ja jeder Zombie).

    Hieß so nicht dieser spleenige Multimilliardär, dessen neustes Projekt dem Hörensagen nach ein Reservat für seltene Tierarten sein soll, irgendwo in den kaum besiedelten Weiten Australiens? Sollte er etwa Drachen, Einhörner, Dinos, Mammute oder Ähnliches in die Gegenwart holen, damit der Baron die Eintrittsgelder Tausender Schaulustiger kassieren konnte? Und wenn ja, warum nicht?

    Er hatte sich noch nicht gefangen (sobald er an Roberta dachte, könnte er sich sofort aus dem nächsten Fenster stürzen), doch immerhin kamen dem sich wieder aufrappelnden Selbstschutz nun Argos Abenteuerlust zu Hilfe, so dass die immer wiederkehrenden Gedanken an Gift, hohe Türme, Brücken und bequeme Eisenbahnschienen allmählich verblassten: Argo wollte lieber leben und etwas erleben.

    „Auf in die Urzeit!, rief er fast so forsch wie gewohnt. „Angefangen vom ersten Einzeller bis hin zum xbeliebigen Lindwurm hole ich alles Gewünschte herzu. Bei entsprechender Bezahlung sogar den Urknall. Sein hageres, eingefallenes Gesicht strahlte keineswegs vor Tatendrang, aber immerhin erkannte man den ersten Abglanz von Leben.

    „Einzeller ...? Lindwurm ...? Urknall ...?", rief Liebetanz. „Urknall? Einen Knall haben Sie! Sie sind verrückter als Baron Vesperzeit in eigner Person. Selbst der begnügt sich mit einem vermehrungsfreudigen Paar Neandertaler fürs Gehege, um mit ihnen zu protzen und kräftig abzukassieren."

    „Nur ein paar Neandertaler soll ich holen? Gut, überredet, immerhin besser als diese faden Testflüge ..." – oder Roberta noch einmal gegenübertreten zu müssen –, „obwohl – besonders aufregend ist das nicht! – Wann gehts los?"

    „Bald, tröstete Liebetanz. „Sobald Sie mein Prachtstück von einem Zeitenschiff halbwegs beherrschen.

    Berseke händigte Argo einen vorgefertigten Ergänzungsvertrag als Zeitenpilot aus (auch im besten Bürokratenpalast läuft mal was schief, sprich: entschieden zu schnell), und Liebetanz führte ihn in die ebenfalls schon existierende Zeitflugwerft.

    Mit Stolz wies das dünne Männchen auf etwas Chromblitzendes. „Wie gefällt Ihnen mein Vorzeigeschiffchen?"

    Zweifelnd betrachtete Argo die drei Meter lange Zeitflugspindel. „Hinein passe ich allemal. Doch wohin beim Rückflug mit den Neandertalern? Oben drauf setzen? Oder wie haben Sie sich das gedacht?"

    „Drauf setzen? Was denn? Wen denn? Und warum denn?" Die Frage endlich begreifend, lachte Liebetanz laut auf. „Aber nein, in die Zeitenschiffe, die ich baue, passt getrost ein ganzer Stamm!"

    „Echt? Kann man das Schiffchen denn aufblasen?"

    Liebetanz wand sich mit Lachkrämpfen am Boden, dabei mit den Beinen strampelnd wie ein Säugling, der was gegen neue, frische Windeln hat. „Aber nein, mein Freund", jappte er, „die Zeitenschiffe – Äonenkreuzer vom Feinsten werden es, kann ich ihnen sagen! – existieren vorerst lediglich als CAD-Modell. Entschuldigen Sie bitte meine Unkorrektheit. Als ich eben von einem Vorzeigeschiffchen sprach, meinte ich keinen Prototyp, sondern das Rettungsschiffchen DINGHI, das wir hier vor uns sehen. Gewiss, es ist winzig, wird den Piloten bei Gefahr aber immerhin während einer Bordwoche bis zu siebzigtausend Jahre in die Vergangenheit oder Zukunft befördern können. Trotz seiner Winzigkeit ist es mit vielerlei Raffinessen ausgestattet.

    Die erste: Ein Heer gegen Weltraumkälte, Weltraumstrahlung und Sonnenoberflächenhitze resistenter, unverwüstlicher, sich lediglich von Dreck – den es im Weltraum zuhauf und absolut gratis gibt – ernährender, unübertroffen arbeitsgeiler und von mir gezüchteter Bordameisen, sprich: gedrillten pseudolebendigen Mikro-Robotern, die in Rekordzeit jede nur vorstellbare Havarie beheben werden.

    Die zweite: Ein Probemodell eines Bord-Ultra-Nano-Computers der 18. Generation. Wobei ich mit nicht geringem Stolz darauf hinweisen möchte, dass in den Zeitenschiffen bereits Bord-Ultra-Nano-Computer der 19. Generation in ewig modischer Rund-Flach-Form mit einem Super-Bewusstseins-Chip der Marke ,Selbstlerner‘ eingesetzt werden können, von denen es jeder einzelne intellektuell mit zehntausend Ihrer trivialen Kopiloten aufnimmt – ich arbeite mit Hochdruck an ihrer Entwicklung.

    Die dritte: Hyperemsige, damit Sie Ihnen nicht die Haare vom Kopf fressen, zur Sicherheit auf niedrigste Leistung eingestellte Hochleistungs-Reinigungskyber – Sie wissen, die Raumfahrzeugabnahmebehörde hat es mit der Hygiene! Ansonsten gibt es die unvermeidlichen siebenundneunzigtausendelf obligatorischen Systeme in Dreifachausfertigung samt des zehnfach vorhandenen Lebenserhaltungssystems."

    „Klingt ganz passabel, konstatierte Argo. „Da könnte ich wohl bald losfliegen und auskundschaften, wo es die prächtigsten Exemplare dieser Neandertaler gab ...? – gibt ...? Wie sagt man bloß?

    „Haben diese prächtigen Ne...? – Na...? – diese Dingsbumstaler auch prächtige, mächtige Schwänze?", wollte Dina Äsch wissen, die unvermittelt neben Liebetanz stand, eine Hand in der Bluse, die andere im Schritt, ihre Standardmiene (Geilheit) aufgesetzt.

    „Und ob!", sprach Argo, dem es seit einem Vierteljahr lieber war, sie beschäftigte sich mit den Fortpflanzungsorganen irgendwelcher Frühmenschen als mit dem gemeinsamen Freund Phallus. „Sooo lange und bestimmt so dick!"

    Keinesfalls alle Männer, die Dina in ihren Solo-Zeiten näher als einen halben Meter kamen, hatten das Eindringen gewisser starker Bilder zu fürchten. Sie mussten attraktiv sein. Bei hässlichen Männern sowie Schwächlingen kamen selbst der einsamen Dina Äsch keine Gedanken an Sex, jedenfalls nicht an Sex mit dem derzeitigen Gegenüber, wie es eben beim Männchen Max Liebetanz der Fall war, der völlig ungeschoren (von seinen selbstgezüchteten Bordameisen träumend) neben Dina stand, die mit aufgesetzter Standardmiene mal an das erste und mal an das zweite Drittel des zusammengesetzten Substantivs „Dingsbumstaler" dachte. Gewiss kein Kompliment für Liebetanz, aber lebensrettend.

    Dem dicken Abteilungsleiter Fridolin Frodilon sowie dem Freizeit-Sumo-Ringer Ulf Berseke erging es nicht anders. In der Zeitflugwerft befand sich kein Mann, den sie für wert befunden hätte, die Hauptrolle in diversen gedanklichen Bildern oder gar in ihrem nächsten Lebensabschnitt zu spielen.

    Kein Wunder, dass sie das Interesse an diesen einheimischen, gegenwärtigen „Männern" verlor und von einem prächtig bestückten ausdauernden Zwei-Meter-Dreißig-Riesen von Neandertaler zu träumen begann und auch Argo mit Nichtbeachtung strafte, der ... verträumt lächelte.

    Zeitreisen! Den eigenen Ururenkeln auf die Pelle rücken und sich von jedem drei Wochen lang durchfüttern lassen (vom unsympathischsten acht); mal bei den Urgroßpapas vorbeigondeln. Das letzte Einhorn füttern ...

    „Darf ich einen Probeflug machen, Herr Chefkonstrukteur?"

    Dürfen ? Sie müssen! Dafür werden Sie schließlich bezahlt."

    Im Oberleib der chromblitzenden Zeitflugspindel hatte Argo längst die kaum erkennbaren, nicht chromblitzenden Fugen entdeckt. Ohne ein Wort zu verlieren, öffnete er die Haube. Kopfschüttelnd begutachtete er den winzigen, aber pompös ausgestatteten Innenraum der DINGHI. Die wahre Verschwendung, berücksichtigte man, dass die Rettungsboote auf Grund der wohl einmal unzerstörbaren, stets tadellos funktionierenden Äonenkreuzer sicherlich niemals benutzt würden.

    Nun gut, es war Baron Vesperzeits Geld, und der besaß genug davon. Die prunkvollen Räume – ach was! – die königlichen Säle der Äonenkreuzer würden gewiss wahren Schatzkammern gleichen, jeder einzelne ein Märchen aus Tausend und einer Nacht!

    Argo legte sich ins korallenrot gefärbte Polster der Multifunktionsliege (sitzen konnte man in der engen Röhre trotz allen sonstigen Komforts nun doch nicht) und atmete tief durch, angespannt und glücklich.

    Auf dem kleinen Handsteuerpult neben seiner rechten Hand, das er aber kaum brauchen würde, lauschten in der Ecke links oben enorm leistungsfähige elektronische Ohren, bereit zum weltersten Zeitflug.

    „Bordcomputer!"

    „Hört!"

    „Ziel: morgen. Zeit: 12 Uhr. Ort: mein Haus. Grund: bloß mal gucken, was es zu Mittag gibt. – Start!"

    Mit einem sanften Flutsch-Klick schloss sich die Haube. Das Herunterzählen zum Start begann. Dann: „Null!" – und Stille in der DINGHI.

    „Ich sagte Start!"

    Der Herunterzählen zum Start wurde wiederholt – stillste Stille im Schiffchen.

    „Mist! – Bordcomputer: Abbruch!"

    Mit einem sanften Klick-Flutsch öffnete sich die Haube.

    Argo sprang zu Liebetanz hinaus, der ihn überglücklich anstrahlte. „Tolles Gerät, nicht? Fabelhafter Flug! Habe überhaupt nicht bemerkt, dass Sie weg waren. Sie sind in eben der Sekunde gelandet, während der Sie starteten, nicht wahr?"

    „Von wegen! Ihr komisches Zeitenvehikel hat sich nicht ein Stückchen vom Jetzt gerührt, das ist alles."

    Wie bitte? Pannen gibts nicht – nicht bei mir! Lassen Sie mich mal ran!"

    Liebetanz hüpfte wie ein Frosch in die DINGHI, knallte die Haube mit eigner Hand zu. „Bordcomputer!"

    „Hört!"

    „Ziel: heute. Zeit: zehn Minuten später. Ort: genau hier. Grund: Bloß mal gucken, ob und wie ich das Schiffchen dann repariert habe. – Start!"

    Herunterzählen zum Start plus Stille im Schiffchen.

    „Ich sagte Staaahaaart!"

    Abermaliges Herunterzählen zum Start plus stillste Stille.

    „Mist! Mist! Mist! Liebetanz stieß die Haube auf. „Mi-hist! Will wirklich nicht. Dachte erst, Sie hätten einen falschen Befehl gegeben. Also Pannen gibts; eiapopeia! – Bordcomputer!

    „Hört!"

    „Selbstreparatur an!"

    Stille.

    „Bordcomputer ...? Meldung!"

    „Zu Befehl, Sir! Selbstreparatur streikt."

    „Wie bitte? Warum?"

    „Augenblick – ich frage nach."

    Stille. Und noch ein bisschen Stille. Dann: „Weil sämtliche Bordameisen sich veralbert vorkommen. Zu Recht: Alle siebenundneunzigtausendelf Systeme einschließlich ihrer Zweit- und Drittausführungen arbeiten tadelfrei, ebenso das Lebenserhaltungssystem – alle zehn Ausführungen. Die Bordameisenkönigin lässt anfragen, was denn, bitte schön, repariert werden soll!"

    „Soso, alle Systeme arbeiten tadelfrei? Und warum rühren wir uns nicht vom Jetzt? Hör mal, mein Junge, du willst das Probemodell eines Bord-Ultra-Nano-Computers der 18. Generation sein, exakt neunhundertneunundneunzig Millionen Ärdmark teuer, und kriegst das Ding nicht zum Fliegen. Dass du dich nicht schämst!"

    Max Liebetanz, das kleine Männchen, tobte in der Zeitflugwerft herum wie Rumpelstilzchen nach dem Genuss eines starken Aufputschmittels. Mitten im schönsten Kriegstanz sprang er zum Rettungsschiffchen und gab ihm einen gewaltigen Fußtritt, genau an die Stelle des blitzenden Chroms, hinter der sich der Bordcomputer befand. „Da hast du, Mistding! Und noch mal! Aber feste!"

    „Au! Lass das, Papa, du tust mir weh", tönte es von drinnen.

    „Bin nicht dein Papa."

    „Warum sagst du dann ,mein Junge‘ zu mir?"

    „Alter Klugscheißer!"

    „Zu dreiunddreißig Komma drei Periode drei Prozent stimmt das."

    „Hä ...?"

    „Ich bin klug, aber neu und scheiße nicht."

    „Schluss mit dem Palaver! Flieg lieber los."

    „Bedaure. Wie es scheint, können wir nicht losfliegen, jedenfalls nicht in diese Richtung."

    „In welche ,Richtung‘?"

    „In Richtung Zukunft. Sie ist doch noch gar nicht eingetreten. Mensch, Papa, von einem Zug erwartest du auch nicht, dass er auf einer Strecke fährt, auf der die Gleise noch nicht verlegt sind. Ebenso wenig kann man anscheinend auch nur um eine Millisekunde in die Zukunft reisen – einfach, weil sie noch gar nicht existiert."

    „Wer hat dir diesen Unfug beigebracht? Wohl dieser vermaledeite Meier, was?"

    „He!", rief Argo. „Dann müsste es doch in Richtung Vergangenheit klappen. Oder etwa auch nicht, weil es sie nicht mehr gibt – was meinen Sie? Hm, am besten, ich probier es aus; dazu bin ich ja da."

    Er flankte gekonnt in die DINGHI. Die korallenrotgefärbte Multifunktionsliege hatte sich den Konturen seines schmächtigen Körpers wieder angepasst und er wollte gerade „Bordcomputer! rufen, als ihm eine erboste Stimme mit dem Rufen zuvorkam. „Stopp!, rief sie. „Die Welt bleibt wie sie ist!"

    „Meier!", seufzte Max Liebetanz. „Wie und vor allem wo sind Sie durch die Absperrung gelangt?"

    Meier aber, ein völlig unscheinbarer Typ, dessen Alltagsgesicht man für gewöhnlich im nächsten Augenblick vergaß (jetzt wirkte es zum Erbarmen übernächtigt, so dass man ihm am liebsten für die nächsten drei Tage finanzinteressenlos das eigene Bett angeboten hätte), rüttelte, ohne auf die Frage einzugehen, an der noch geöffneten Haube. „Schluss mit den Experimenten – die Welt bleibt wie sie ist!"

    „Natürlich bleibt die Welt wie sie ist", seufzte Liebetanz erneut. „Wie oft soll ich es Ihnen noch erklären: Bei einer Zeitreise bleibt der Zeitpfeil unverändert – unser Universum strebt weiterhin, vom Urknall kommend, zum Großen Endkollaps –, es erfolgt keine Zeitumkehr, wie Sie trotz stundenlanger Belehrungen immer noch anzunehmen scheinen. Langsam werden Sie mir lästig! Werkschutz! Zu mir!"

    Meier blieb widerborstig. „Zeitpfeil hin, Zeitpfeil her. Gewiss, es klingt logisch, wenn man hört: Es gibt keine Bewegung, alles ist Stillstand, einzig das Bewusstsein eilt an stehenden Bildern vorüber, so dass es ihm geht wie einem Zugreisenden, der meint, der Zug stünde und die Bäume bewegten sich. Es gibt kein Gestern, Heute, Morgen, nur das ewige Jetzt, ja? Ha! Wenn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins sind, alle im gleichen Moment existieren, dann haben wir keinen freien Willen mehr, da ja die Zukunft – auch unsere Zukunft – bereits feststeht, und wir ..."

    „Meier! Sie öden mich an! Was Sie von sich geben, sind Jahrtausende alte Bedenken. Alles, aber auch alles, sage ich Ihnen, spielt sich in unseren Köpfen ab – wir empfinden lediglich, dass Zeit dahinfließt. Zeit ist nur eine Illusion! Alle Physiker seit Olpert Einspat wissen, dass Geschehnisse nicht geschehen, sondern lediglich als Bilderserien im vierdimensionalen Raumzeit-Kontinuum bestehen. Und wir, sprich unser Bewusstsein, wandern an diesen stehenden Bildern vorüber – selbstverständlich ein jedes Bewusstsein an anderen Bildern –, die nur dadurch den Anschein von Bewegung erhalten."

    „Vierdimensionales Raumzeit-Kontinuum ...! Hahaha. Selbst Sie müssten im Jahre 3008 nach Geburt des Herrn davon gehört haben, dass Ortlieb Nichtdort anno 2053 in seiner mit dem Norbell-Preis geehrten ,Grundlos-Theorie‘ die Existenz einer vierten Dimension klipp und klar widerlegt hat – das Universum ist dreidimensional, befindet sich nicht in irgendeiner mehrdimensionalen Blase, sondern existiert als solches in den unendlichen Weiten des Raumes nur einmal , besitzt aber dafür an jeder beliebigen Stelle einer jeden Galaxie wiederum unendlich viele Parallelwelten dieser Galaxie in den Tiefen des Raums."

    „Papperlapapp! Die Grundlos-Theorie ist nur eine in Mode gekommene Ansicht eines Fantasten. Menschen glauben an vieles. Wenn sie es nicht besser wissen, sogar an den allergrößten Mist. Das geht vorüber."

    „Die Grundlos-Theorie hat seit fast einem Millennium Bestand und stimmt! Irgendwann in der Zukunft können Sie mithilfe technische Apparaturen von diesem Universum in die Tiefen des nächsten flutschen, wie es jetzt schon ungewollt der Haltlosen Bine passiert, und von da aus ins übernächste ... und immer so weiter! Ich sage Ihnen nochmals: Die Zeit fließt. Es gibt eine Vergangenheit. Es gibt eine Gegenwart. Und es gibt eine Zukunft. Und um bei einer Zeitreise auf einer früheren Ärde landen zu können, muss diese frühere Ärde erst mal existieren, und zwar jetzt , gleichzeitig mit der realen. Und da man theoretisch zu jeder beliebigen Sekunde zwischen der Ärdentstehung und dem Jetzt mit einer Zeitmaschine auf der Ärde landen könnte, müssten demnach sämtliche bis dato gewesenen sekündlichen Ärdzustände jetzt noch als eigenständige Welten existieren. Sehen Sie diese nötigen unzähligen Ärden? Ich nicht. Nicht eine sehe ich! Denn die Vergangenheit ist und bleibt vergangen, existiert nicht mehr, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Und Ihr ,Ich hüpfe mal schnell aus diesem Bildchen der Gegenwart in jenes Bildchen der Vergangenheit; kein Problem, es ist ja alles eins!‘ funktioniert nicht. Es ist nicht alles eins!

    Dass die Wissenschaft bis heute keinen Beweis für den Zeitfluss gefunden hat, bedeutet noch lange nicht, dass es diesen Beweis nicht gibt, dass er nie gefunden wird! Ergo läuft auch bei einer Zeitreise die Zeit rückwärts, damit die Ärde der gewünschten Zielsekunde wiedererschaffen wird, was selbstverständlich bedeutet, dass die jetzige Ärde vergeht und wir mit ihr. Nee! Nee! Nee! Ich will nicht zer boren werden – die Welt bleibt wie sie ist!"

    Ein bunt uniformiertes Mannsbild mit Spitzhelm nahte kopfschüttelnd und im Eilschritt mit seinem Trupp den Streithähnen. „Oberaufseher Winter und Mannen, wie befohlen, zur Stelle! Sie wünschen, Chef?"

    „Bringen Sie heraus, wo und wie dieser Wahnsinnige ins Firmengelände gelangen konnte, geleiten Sie ihn hernach in sein Schlafzimmer und beseitigen Sie die undichte Stelle in den Elektrozäunen. – Ich denke, sie sind unüberwindbar!"

    „Das sind sie auch, bestätigte Oberaufseher Winter, der Meier nach einem prüfenden Blick ein fürchterlich abgegriffenes Rommee-Spiel aus der Gesäßtasche zog. „Wird wirklich Zeit, dass Frau Scholzhauser von der Babypause zum Nachtdienst zurückkommt. So viele Spiele wie die kennt sonst keiner.

    Der kobaltblaue Wächterkoloss in der Lücke im unüberwindbaren haushohen Elektrozaun schaute, die blanke Unschuld mimend, demonstrativ in eine andere Richtung.

    „Sekündliche Ärdzustände, kicherte Argo und zog die Haube per Hand zu. „Bordcomputer!

    „Hört!"

    „Ziel: gestern. Zeit: Spätabend. Ort: das Schlafzimmer deines ,Vaters‘. Grund: Bloß mal gucken, was er für ein Nachtgewand trägt. Start!"

    Das Herunterzählen zum Start begann. Dann erklang ein stimmgewaltiges „Null."

    Und mit einem leisen Surren stieg das spindelförmige Rettungsschiffchen einige Meter in die Lüfte empor. Zwei Sekunden später war es transparent.

    Das leise Surren verhallte nicht etwa in der Ferne, sondern auf der selben Stelle, aber in den bisher nur bei den seltenen Besuchen der Haltlosen Bine wahrgenommenen Tiefen des Raums.

    „Na toll – jetzt reden wir also rückwärts", brüllte Meier vorwärts zu ihnen herüber.

    Alles blieb beim Alten, nur Liebetanz’ amüsiertes Lächeln war neu.

    Keine Minute später, die DINGHI waberte wieder als leise surrender Nebel einige Meter über dem Boden, hörte man in ihr ein verdächtiges Glucksen.

    Argo verbiss sich das aufkommende verletzende Gelächter und schaute geflissentlich an Liebetanz vorbei zu Meier hinüber, der mitsamt seinem Begleitschutz fast außer Hörweite war. „He, Spinner, wie war die Wiedergeburt?"

    Traurig klapperten die zweihundertsechs mit Haut überzogenen Knochen in Richtung kobaltblauer Wächterkoloss dahin, der pflichtvergessen die Lücke im unüberwindbaren haushohen Elektrozaun rund um das vier Quadratkilometer große Werksgelände der Firma ÜBERFLUG bewachte.

    Normalerweise stimmte dieser Eindruck auch und der BEISEITESCHREITER hatte tatsächlich seine Pflicht vergessen. Aber auch im Paralleluniversum drei Mikrometer schräg hinter der Erde gilt die goldene Regel „Ausnahmen bestätigen die Regel!" Die Standpauke über Meiers ungenehmigten Einlass schienen ihn doch in der Berufsehre getroffen zu haben. An jeder seiner vier kobaltblauen stählernen Seiten baumelte demonstrativ ein halbes Schock Handschellen.

    Mit Trostlosigkeit im Blick schaute Argo zum Bürokratenpalast zurück. Ihm schien, als habe er hinter einer Fensterscheibe Robertas Gestalt gesehen. Es zog ihn zu ihr. Warum warf er nicht einfach ein Steinchen an ihr Fenster? Und wenn es brach, sie einen Einbruch vermutete und um Hilfe schrie? Er zögerte, schwenkte in Richtung silberfarbener Versuchsraumgleiter AURICA ein und schalt sich einen Feigling. Wenigstens hatte er von hier aus eine gute Sicht auf ihr Zimmer.

    Längst war das letzte Licht im Palast erloschen und lange war es her, dass Robertas Schemen sich gezeigt hatte. Es war zwei Uhr früh, das Werksgelände der Firma ÜBERFLUG schlummerte im Anthrazit einer milden Nacht, nur Argo nicht.

    Kurzerhand entledigte er sich der Fliegerjacke, knautschte sie zu einem Ersatzkopfkissen zusammen, das er an den noch immer vor dem Versuchsraumgleiter AURICA liegenden Felsbrocken legte.

    Erst lang ausgestreckt, dann die knöchrigen Knie am spitzen Kinn, betrachtete er mit müden, kleinen Augen die Sternbilder am Firmament, die im allnächtlichen Kampf gegen das alles durchdringende Schwarzgrau ebenso wenig Sieges-Chancen besaßen wie seine Lider derzeit gegen die Schwerkraft.

    Salven blendendweißer Lichtbalken sausten unter seinen geschlossenen Lidern entlang. Himmel, bin ich übermüdet heute! Wer soll bei dieser Blitzerei einschlafen? In vier Stunden ist die Nacht vorbei.

    Er legte die Stirn in gröbste Falten, übte somit einen gewaltigen Druck auf seine Sehwerkzeuge aus, und seufzte befriedigt auf – die Lichtbalken schwanden dahin.

    Ein Knirschen schreckte ihn im schönsten Halbschlaf auf. Die Ursache war, wie er bald herausfand, keine Ratten (was ihn auch gewundert hätte – das Viehzeug hatte in unmittelbarer Nähe des laserbestückten, sich nachts grässlich langweilenden Wächterkolosses eine Lebenserwartung von nahe Null), sondern seine Kauwerkzeuge, deren untere und obere Abteilungen einander erbittert bekämpften, wohl angesteckt von den Salven blendendweißen Lichts, das unter seinen Lidern entlangschoss.

    Kann man mit offenen Augen schlafen? Einen Versuch wäre es wert. Das matte Anthrazit ist zum Schlummern jedenfalls tausendmal geeigneter als diese innere Blitzerei, die ist ja fast so grell wie das Super-Feuerwerk vor acht Jahren zu Ehren des beginnenden vierten Jahrtausends nach Christi.

    In Vorfreude auf das Schwarzgrau öffnete Argo die Augen und blinzelte verdutzt in ein Super-Feuerwerk, gegen welches das vor acht Jahren ein mickriges Tischfeuerwerk gewesen war. Salven blendendweißer Lichtbalken sausten gen Himmel, lautlos, aber immer und immer wieder: Der kobaltblaue stählerne Wächterkoloss vertrieb sich in Abwesenheit der mit ihrem Baby beschäftigten Frau Scholzhauser sowie von sonst zahlreich vorkommenden Ratten und gelegentlich auftauchenden potenziellen Eindringlingen ins Werksgelände die grausam lange Nacht mit Laserstrahlzielschießen auf diverse Sterne.

    Argo legte sich murrend auf den Bauch, aber selbst das Grau des Betons spiegelte das Laserlicht blendendhell wider.

    Er überschlug die Zeit, bis dem Wächterkoloss die Energie ausgehen mochte. Als er dreieinhalb Stunden plus/minus eine herausbekam, stand er wütend auf, warf sich die zerknautschte Jacke über die Schulter und flüchtete in die Zeitflugwerft. Heftig atmend legte er sich ins korallenrot gefärbte Polster der Multifunktionsliege, die somit auch hervorragend zum Schlafen geeignet sein musste, und fragte sich, warum er nicht gleich auf diese Idee gekommen war.

    Es musste gegen fünf Uhr sein – er lag noch immer wach und die Morgendämmerung nahte –, da fragte er sich besorgt, warum er nicht gleich auf diese Idee gekommen war. „Bordcomputer!"

    „Hört!"

    „Ziel: gestern. Zeit: früher Abend. Ort: mein Schlafzimmer. Grund: auspennen. – Start!"

    Mit einem sanften Flutsch-Klick schloss sich die Haube. Das Herunterzählen zum Start begann. Dann: „Null!" – und ein sanftes Klick-Flutsch im Verbund mit einem kräftigen Rütteln.

    „Einen schönen guten Morgen wünsche ich Ihnen, Herr Zeitenpilot Knab. Nach dem langen Tag gestern schon wieder im Vorzeigeschiffchen? Max Liebetanz staunte. „Alle Achtung! Wie Herr Berseke schon sagte: stets einsatzbereit, stets zur Stelle. Dickes Lob! Ich an Ihrer Stelle würde bis Mittag an der Matratze horchen.

    Vergeblich versuchte Argo, sich den Schlaf aus den geröteten Augen zu reiben, und fragte sich verdrossen, wieso er auf diese letzte Idee nur im Traum gekommen war ...

    2. Kapitel

    Drei Monate waren vergangen, da stand RASANZ, der welterste Äonenkreuzer, bereits chromblitzend außerhalb der Zeitflugwerft.

    „Los gehts." Argo schwang sich in den diskusförmigen Zeitenflieger. Angst vor unbekannten Gefahren spürte er wie üblich nicht. Manchmal, zum Beispiel eben jetzt, wünschte er sich ohnehin, von Neandertalern erschlagen oder Mammuts zertrampelt zu werden – Roberta hatte sich nicht mehr sehen lassen, nicht einmal jetzt zum Abschied ...

    Wie nur hatte er sie gegen diesen Zeitflug eintauschen können! Waren denn sämtliche Abenteuer der Welt allein gegen den Klang ihrer Stimme nicht weniger als eine Stunde im Leben eines Unsterblichen? Sollte er aussteigen, sich ihr zu Füßen werfen und sie anflehen? Was brauchen wir dein Erbe, was brauche ich die Testflüge, wenn wir uns haben! Wenn dich dein Vater verstößt und dafür sorgt, dass ich keine Aufträge mehr bekomme, was solls? Komm mit mir, lass uns glücklich werden, und wenns in der kleinsten Hütte ist. Ich lasse mich therapieren, vielleicht bringt eine Hypnose-Behandlung was, und ich werde sesshaft, kann das Nichtstun genießen. Kann doch sein ...

    Doch was würde es bringen? War es nicht besser, er kehrte mit einem Neandertalerpärchen zurück, als dass er einen Rückzieher machte, vielleicht gar als Feigling und Vertragsbrüchiger galt? Fing er ein Neandertalerpärchen ein, so würden ihn alle bewundern, vielleicht auch sie? Immerhin wäre er noch prominenter als jetzt. Sie würde ihm verzeihen! Er musste sich nur durch diese Expedition ins rechte Licht rücken.

    Zum letzten Male starrte Argo nach draußen, hinüber zu Robertas Fenster. Stand sie hinter der Gardine, oder narrte ihn eine Täuschung? Beobachtete sie ihn, schmachtete sie gar nach ihm, rief eben jetzt Gott und die Welt an, dass er nicht flog, umkehrte und sich zu ihr bekannte?

    Niemand stand hinter der Gardine! Nie würde sie ihm verzeihen. Und wenn er hundert Neandertaler entführte nicht! Eher würde aus der Sonne Regen fallen und vom Mond Schnee. Was wollte er in der RASANZ? Er sollte lieber mit der AURICA ins Gebiet der arktischen Klimazone zu den Lemmings düsen und sich mit ihnen von den Klippen stürzen!

    Er sollte es wirklich tun! Argo setzte einen Fuß zurück.

    „Geh aus dem Weg, Mann! Dina Äsch stieß ihn rücksichtslos ins Innere des Äonenkreuzers und schwang sich unbeholfen, aber entschlossen hinterher. „Ich will mit zu den Ne...? – zu den Na...? – zu diesen Dingsbumstalern mit den prächtigen mächtigen Schwänzen!

    „Neandertaler haben keine Schwänze, schulmeisterte Baron Vesperzeit, „sind doch keine Affen.

    „Selber Affe!"

    „Bordcomputer!", wechselte Argo schleunigst das Thema.

    Stille.

    „Bord–com–pu–ter!"

    Stillste Stille.

    „Du, Argo, hier steht Aaah Au – Auto! ma – tik matik! – bestimmt eine Art Batik, nicht? – Staaah–hart! Was ist hart? Ach, Start heißt das!, nuschelte Dina, die Finger der linken Hand beim mühseligen Buchstabieren auf einem zierlichen Täfelchen mit dem Aufdruck „AUTOMATIK-START gelegt und die der rechten Hand achtlos auf einem großen roten Knopf, und beugte sich kopfschüttelnd zu ihm hinüber. „Komisch, nicht? Ein harter Start! Wohl das Gegenteil einer weichen Landung?"

    Ein gewisses Gedankenbild einer Geisterbahn-Schreckfigur wollte durch die Knochennähte in Argos Hirn schlüpfen. „Bleib mir bloß vom Leibe! Mit einem „Und drück dich bitte in Zukunft deutlicher aus! rückte er im Pilotensessel ein gehöriges Stück zur Seite.

    „Und drück" hätte er in diesem Moment nicht sagen dürfen! Der Äonenkreuzer erhob sich mit einem ohrenbetäubenden Rauschen einige Meter in die Lüfte und wurde für Max Liebetanz, Baron Vesperzeit und dem Firmenchef Ulf Berseke, die dem Start voller Neugierde beiwohnten, in Sekundenschnelle unsichtbar.

    Wenig später verhallte auch dieses ohrenbetäubende Rauschen nicht etwa irgendwo in der Ferne, sprich in der Weite des Raums, sondern an Ort und Stelle in dessen Tiefen.

    „Na also!, bekräftigte Liebetanz selbstgefällig. „Die Welt bleibt wie sie ist!

    Nach fünfdreiviertel Minuten änderte der Zeitpfeil, keinem neuen Naturgesetz, sondern lediglich dem Beharrungsvermögen des Zeitenlaufs folgend, um exakt 180 Grad die Richtung. Die Real-Zeit-Welt folgte der RASANZ in Richtung Urknall ...

    (Laut der GRUNDLOS-THEORIE Ortlieb Nichtdorts – und selbstverständlich auch in Wirklichkeit – existieren neben einem endlich großen Universum in den Weiten des endlosen Raumes noch eine Vielzahl von Paralleluniversen in den Tiefen dieses endlichen Universums – strenggenommen unendlich viele. Das hat was mit der Quantenphysik zu tun und gipfelt in der Quantenkosmologie, von der wir aber ebenso wenig verstehen müssen wie zum Beispiel von der Funktionsweise einer HiFi-Anlage mit integriertem Dolby Surround Pro Logic-System, sondern, Gott sei es gedankt, nur damit zu leben brauchen.

    Nur eines müssen wir begreifen: Diese Parallelwelten existieren nicht – wie vielfach fälschlicherweise angenommen – nebeneinander, sondern (allerhöchstens infolge des unkontrollierbaren Tanzes der Elementarteilchen um wenige Millimeter voneinander verschoben) am selben Ort, als materialisierte Möglichkeiten der unendlich vielen potentiellen Möglichkeiten einer Welt. Dies ist natürlich auch bei unserer Erde der Fall, die am selben Ort in unendlich vielen Varianten existiert. Und auf jeder dieser Erdvarianten tragen Orte, Dinge und die Tiere den gleichen beziehungsweise einen ähnlichen Namen wie auf der Erde und lebt eine Kopie von Ihnen, von mir und von jedem anderen Menschen und sonstigem Geschöpf, die ebenfalls auf einen ähnlichen, mitunter sogar auf den gleichen Namen hört wie Sie oder ich und der (fast) das Gleiche widerfährt wie Ihnen oder mir, das heißt, widerführe, wäre da nicht die goldene Regel „Ausnahmen bestätigen die Regel!". Somit ist alles, was wir uns irgendwie vorstellen können, sowie alles, was wir uns nicht mal im Traum vorzustellen vermögen, mindestens auf einer der unendlich vielen Erdvarianten Realität (oder wird es zumindest irgendwann sein – sofern es nicht längst vor Äonen geschehen ist). Der Albtraum letzte Nacht, in dem Sie in einem finstren, tiefen Wald von einem Wahnsinnigen mit einer Axt in der Hand über Stock und Stein verfolgt wurden, in dem Sie, wie verrückt rennend, dennoch nicht von der Stelle kamen, eingeholt und erbarmungslos erschlagen wurden, aus dem Sie mit einem irren Angstschrei und schweißgebadet erwachten, war für eine Ihrer Kopien auf einer der unendlich vielen Parallel-Erden bitterste Realität, so dass sie nie mehr erwachen wird. Sämtliche Träume, auch Tagträume sowie Visionen, die zum Beispiel Sie haben, hatten oder einmal haben werden, sind tatsächliche Gedanken, Eindrücke oder Erlebnisse einer Ihrer Kopien einer anderen Erdvariante, die von deren Hirn, das sich ja oftmals fast millimetergenau an der selben Stelle wie das Ihrige befindet, absolut ungewollt in Ihr Hirn dringen – was andersherum übrigens ebenso der Fall ist. Stellen Sie sich also bitte künftig nicht mehr allzu intensiv vor, wenn Sie wieder einmal in Gedanken Ihren Chef, Ihre Frau, ... (bitte Zutreffendes einsetzen) erwürgen, vergiften, ... (bitte Zutreffendes einsetzen) – einer Ihrer unendlich vielen Schicksalsgefährten einer anderen Erdenwelt könnte es für eigene Gedanken halten, wirklich tun und später auszubaden haben!)

    Der Äonenkreuzer RASANZ war vor wenigen Minuten mit ohrenbetäubendem Rauschen in den Tiefen des Raums verschwunden, da bekräftigte Max Liebetanz selbstgefällig: „!tsi eis eiw tbielb tleW eiD .osla aN"

    Wie man deutlich sieht, sprach er nunmehr perfekt rückwärts, ohne das Geringste davon zu bemerken, da seine Gehirnprozesse ja ebenfalls umgekehrt abliefen, und schiss, inzwischen beträchtlich geschrumpft, eine Windel nach der andern leer.

    Schade, dass ich außerhalb von Zeit und Raum existiere , dachte Gott, wäre gern ein bisschen jünger.

    Sämtliche Aliens hingegen, die das Ganze aus sicherem Abstand beobachteten, waren heilfroh, samt ihren Sterneninseln in einer eigenen Zeit zu leben und nicht mit in die Vergangenheit gerissen zu werden.

    Jetzt! – so jubelten Argos Augen, die sich bis nach dem Start hatten gedulden müssen, die wahren Schatzkammern gleichenden Säle des sagenhaften Zeitenschiffs zu inspizieren.

    Fröhlich gingen die Linsen zur Nah-Akkommodation über. Da war auch schon Schluss. Die Sehnerven weigerten sich nämlich beharrlich, das auf den Netzhäuten Abgebildete aufzunehmen. Nicht mal schon im Voraus, richtig herum und in voller Größe gedacht wollten sie das da zum Verarbeitungszentrum schleppen. Beunruhigt rollten die Augäpfel in den Höhlen herum. Eilends verteilten die Lider alle Tränenflüssigkeit, der sie nur habhaft werden konnten, über die Hornhäute und wischten kräftig nach – das ungeliebte Abbild von der Umgebung blieb.

    Nun waren die Linsen platt. Aber auch das, was weiter als fünf Meter entfernt war, gefiel den Sehnerven nicht. Da waren keine Säle. Da war nicht mal ein Saal. Da war höchstens ein Raum . Und wenn der wirklich eine Schatzkammer gewesen sein sollte, musste die Diebesbande nach dem Raubzug ganz schön kreuzlahm gewesen sein! Und dass er in einem Märchen vorgekommen sein sollte, war wenig wahrscheinlich, es sei denn als der Schuppen, in den die böse Hexe einstens den Hänsel sperrte.

    Dieser Raum war spartanisch eingerichtet. Er besaß die Form einer aufgeblähten runden Keksdose sowie an der ockerfarbenen Wandung eine Unzahl von rostbraunen Flecken, die aber nichts mit dem künstlichen Rostbraun der Paralleluniversumbewohner drei Mikrometer schräg hinter der Erde zu tun hatten, sondern ein rein natürliches Oxidationsprodukt waren.

    Lediglich zwei Dinge erinnerten in diesem Raum mit ihrer Pracht an ein Märchen aus Tausend und einer Nacht. Erstens unmittelbar neben dem Einstieg der RASANZ die chromblitzende DINGHI. Plumpe eiserne Ketten umschlangen ihren wundervollen spindelförmigen Leib und führten zu im Äonenkreuzer angeschweißten Krampen. Zweitens natürlich Dina Äsch. Eine wahre Pracht, der Argo aber lieber nicht näher kam. Jedenfalls nicht näher als fünfzig Zentimeter. Seine Augen nahmen sie dafür um so lieber ins Visier, ohne dass er ihnen deswegen großartige Vorhaltungen gemacht hätte. Erst als ihm Phallus entschieden zu munter wurde, suchte er nach einer Ablenkung.

    „Bordcomputer!"

    Stille.

    „Bord–com–pu–ter!"

    Stillste Stille.

    „Booord–com–puuu–ter!"

    „Wenn Sie das bitte unterschreiben würden, Herr Zeitenpilot Knab!"

    „Meier!"

    „Herr Meier bitte!, verbat sich der blinde Passagier, der unbemerkt hinter dem Rettungsschiffchen gehockt und ebenfalls Dina Äsch angeglotzt hatte, beleidigt die wenig von Achtung zeugende Anrede. „Zudem fungiere ich nunmehr als 1. Präsident des GVzWzRZWojA!

    Hatte man Meiers Alltagsgesicht bisher im nächsten Moment vergessen, so blieb es jetzt auf Grund aufgeblasenen primitiven Stolzes einigermaßen im Personengedächtnis haften.

    „Des Gehvau– was ?"

    „Das ist der G lobale V erein z ur W iederkehr z ur R eal- Z eit- W elt o hne j edwede A bweichung, erläuterte Meier, ohne zu stocken. Nur sein geduldiger Spiegel wusste, wie lange er dafür geübt hatte. „Wie Sie sicherlich wissen, hat die kleinste unbedachte Handlung in der Vergangenheit katastrophale Folgen in der Zukunft ... äh, Unfug ... in der Gegenwart selbstverständlich, und wir fordern von Ihnen ausdrücklich –

    „Quatsch! Es wird Sie und mich bei der Rückkehr ins Jahr 3008 noch geben. Ebenso wie Rotwein, Eisbein, Buttermilch, eine jede Menge Vergiss-Nichts-Kulturen auf der Lamona, Schokokekse und sogar Dina."

    „Wen?"

    „Ach, nur so ne doofe Gans; nichts von Bedeutung."

    „Blöder Schlappschwanz!"

    „Ruhe an Bord! Meier, geben Sie das Blatt her. So, fertig. Hier, bitte."

    „Ganz schön verwackelt, Ihr Namenszug, Herr Zeitenpilot Knab! Kaum leserlich. Man könnte meinen, Sie wollten sich gegebenenfalls aus der Verantwortung stehlen, indem Sie diese Kritzelei als Fälschung bezeichnen wollen!"

    „Ach wo. Ich habs nur nicht besser hingekriegt, weil der Äonenkreuzer so toll trudelt."

    „Wieso?"

    „Spüren Sie es denn nicht? Die RASANZ trudelt ganz toll."

    „Natürlich spüre ich es. Grundlos ist das Rettungsschiffchen ja bestimmt nicht angekettet worden! Aber davon spreche ich nicht. Wieso der Äonenkreuzer so toll trudelt, wollte ich wissen!"

    „Ach so. Tja ... Keine Ahnung. Booord–com–puuu–ter!"

    Absoluteste stillste Stille.

    „Hört nicht, maulte Argo. „Jedenfalls nicht auf mich. Das superkluge Ding ist wahrscheinlich viel zu stolz, um einem einfachen Piloten zu antworten, was? Gut, dann eben nicht, frage ich halt den kleinen Bruder.

    Er öffnete die Haube des spindelförmigen Rettungsschiffchens. „Bordcomputer!"

    „Hört!"

    „Warum meldet sich dein großer Bruder nicht zu Wort und erklärt uns, warum der Äonenkreuzer so toll trudelt?"

    „Welcher ,Bruder‘?"

    „Der Bordcomputer der RASANZ! Dein verbessertes Nachfolgemodell. Dieser perfekte Bord-Ultra-Nano-Computer der 19. Generation in ewig modischer Rund-Flach-Form mit dem Super-Bewusstseins-Chip der Marke SELBSTLERNER, der es laut Chefkonstrukteur Liebetanz intellektuell lässig mit 10 000 trivialen Kopiloten aufnimmt, Mensch!"

    „Bin kein Mensch, Mensch!"

    „Ich höre!"

    „Weil es keinen großen Bruder gibt."

    „Scheiße. Warum denn auf einmal nicht?"

    „Weil das Geld für seine Entwicklung nicht gereicht hat."

    „Und warum springt die zweite Ausführung des ZEITENFLUG-STABILISATOR-SYSTEMs nicht automatisch für die offensichtlich kaputte Erstausführung ein?"

    „Weil auch dafür das Geld nicht gereicht hat. Baron Vesperzeit hat meinem ,Vater‘ auf die Bitte nach einer weiteren Finanzspritze geantwortet, er habe ihm eine Milliarde Ärdmark gegeben, das reiche völlig aus."

    „Himmel! Ich denke, allein du hast neunhundertneunundneunzig Millionen gekostet und die DINGHI, glaube ich, eine halbe!"

    „Eben!"

    „Du willst doch nicht behaupten, die ,Supertechnik‘ des Äonenkreuzers wäre nur fünfhunderttausend Ärdmark wert?"

    „Fünfhunderttausend? Schön wärs! Allein die Verchromung hat dreihunderttausend gekostet. Und über hunderttausend das Material."

    „Oh Scheiße."

    „Nein, Blech."

    Im chromblitzenden Rettungsschiffchen drang gequältes Stöhnen in die winzigen, aber enorm leistungsfähigen elektronischen Ohren auf dem kleinen Handsteuerpult.

    Das Erste-Hilfe-Programm schaltete selbsttätig den Bordcomputer der Zeitflugspindel ein.

    Das Außenthermometer der

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