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Gummifisch zum Frühstück: Ein Roman für Männer, Angler, angelnde Männer...
Gummifisch zum Frühstück: Ein Roman für Männer, Angler, angelnde Männer...
Gummifisch zum Frühstück: Ein Roman für Männer, Angler, angelnde Männer...
eBook278 Seiten4 Stunden

Gummifisch zum Frühstück: Ein Roman für Männer, Angler, angelnde Männer...

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Über dieses E-Book

Freddie, leidenschaftlicher Angler, ist ziemlich durch den Wind. Seiner Frau Babs zu verklickern, dass der nächste Urlaub Richtung Polarkreis gehen soll ist eine Sache, nun muss er sich aber einem ganz anderen Thema stellen: seiner Vergangenheit! Didi und Pocke, zwei alte Schulfreunde haben sich zu einem Besuch angekündigt. Das Besondere hierbei: Pocke, einst seiner bester Kumpel, verschwand einfach so aus seinem Leben...
Für Freddie beginnt eine aufregende Zeit, Erinnerungen werden wach an vollgekotzte Turnschuhe, beschwipste Volleyballerinnen und Nasenschmidt, der wandelnden Hasenscharte aus der Goethepark-Realschule...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Nov. 2013
ISBN9783847658849
Gummifisch zum Frühstück: Ein Roman für Männer, Angler, angelnde Männer...

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    Buchvorschau

    Gummifisch zum Frühstück - Freddie Torhaus

    Prolog

    Es brennt. Es brennt höllisch. Schweiß in den Augen ist an sich schon eine Tortur. Schweiß in Verbindung mit Salzwasser ist ein Fall für Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ein Mix aus Schweiß, Salzwasser, Restbeständen an Sonnenmilch, Fischblut und Leberwurst in die Augen gerieben, noch dazu selbst verursacht, ist indes der Inbegriff an Eigenverstümmelung und gehört mit Psychoanalyse nicht unter sieben Jahren bestraft. Ich Idiot hatte nichts besseres zu tun, als mit meinen kontaminierten Fingern in den Augen rumzureiben, Augen, die jetzt brennen, die jetzt schmerzen, die jetzt tränen. Um meinen Therapiebedarf muss ich mich jedoch ein andermal kümmern. Was bleibt mir auch anderes übrig? Seit Stunden bin ich auf dem Wasser, sitze im Boot, um mich herum die Zeichen von Kampf und Tod. Statt es mir im Warmen bei einer Tasse Tee gut gehen zu lassen, friere ich mir hier draußen den Arsch ab. Wieso bin ich noch hier? Was erwarte ich eigentlich noch? Was hat das alles noch mit Leidenschaft zu tun? Heute morgen, ja, da zeigte sich das Wetter noch gnädig. Eine leichte Bewölkung umgarnt von einer milden Brise sorgten für beste Bedingungen. Voller Vorfreude machten wir uns auf den Weg. Wir, weil ich den ersten Teil des Tages in Begleitung von Thorben und Steffen war. Später fraß die Sonne eine Wolke nach der anderen auf, von da an brannte sie uns gnadenlos auf die Köpfe. Anfangs, als uns die Sonne schien, waren wir noch fit. Und wir waren zuversichtlich. Selbst an Sonnenmilch war gedacht. Die Schirmmützen tief ins Gesicht gezogen saßen wir im Boot und angelten, angelten, bis uns erfolgreich die Arme abfielen. Genauer: Thorben und Steffen waren erfolgreich, mir fielen die Arme ab. Denn wie sich zeigte, hatte ich die berühmte Seuche am Knüppel. Zwei kleine Seelachse hatte Neptun für mich übrig. Pfannengröße. Es soll ja diese kleinen Pfannen geben, in denen Erdnüsse angebraten werden. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass es meine Kumpels nach Stunden zurück in die Hütte zog, ihre Kisten waren schließlich gut gefüllt. Ich hingegen wollte, ja musste was tun, ich war noch heiß, wollte mein Angelfieber weiter abangeln. Etwas mehr als Erdnusspfannenseelachse musste heute doch noch drin sein. Kaum war ich allein machte die Sonne Feierabend. Typisch war, dass das Wetter erneut ins andere Extrem umschlug, mir sein hässliches Gesicht zeigen musste. In diesem Land werden keine halben Sachen gemacht. Diese Erkenntnis blieb mir nicht erspart. Von Stund an war es diesig und klamm. Die Temperatur fiel um gefühlte zwanzig Grad, feiner Nieselregen benetzte mich, das Boot, alles, was mich umgab, alles und jeden, der dämlich genug ist, sich bei solch einem Wetter draußen rumzutreiben. Noch dazu auf dem Wasser, noch dazu in Norwegen. Um den inneren Ofen ein wenig anzufeuern erinnerte ich mich eines zur Geburt des Tages geschmierten Wurstbrotes. So aß ich, lecker Leberwurst, mit leichtem Fischaroma. Schließlich der Blackout, der mich dazu trieb, die juckenden Augen mit meinen besudelten Fingern zu reiben. Jetzt sitze ich da. Habe einen der Erdnussfische an eine selbstgeknüpfte Montage getackert, wenigstens als Köderfisch soll er heute noch gut sein. Tief unter mir flattert er in der Dunkelheit vor sich hin, mir bleibt die Hoffnung, dass sich doch noch einer der großen Räuber seiner und letztlich meiner erbarmt. Habe die Rute vor mich auf den Bootsrand abgelegt, mich eingerollt in meinen Anzug, sitze da wie ein Rollmobs. Regenwasser tropft vom Rand meiner Kapuze auf die Multirolle, die stumm auf ihre Arbeit wartet. Überlege, was ich mit meinen ehemals juckenden, nun brennenden und tränenden Augen machen kann. Um mich herum ist alles verschwommen. Schließlich versuchen meine Augen, einen halben Supermarkt aus sich rauszuspülen. Und dann sollte es beginnen. Für Dinge, die wir uns nicht erklären können, haben wir eine Menge mehr oder weniger intelligente, anschauliche, nachvollziehbare, aber auch vollkommen sinnfreie Erklärungen zurecht gelegt. Instinkt, Intuition oder Eiweißmangel sind nur einige davon. Ob mich eine jener Kräfte befähigte, ausgerechnet in diesem erbaulichen Moment als durchweichte, bibbernde Heulsuse das leichte Nicken der Rutenspitze wahrzunehmen, wird sich mir nie erschließen. Dem ersten Nicken folgte ein zweites. Sofort war sie wieder da, die innere Erregung, die so gar nicht zu dem übrigen müden Körper passte. Ich knickte beide Hände nach vorne ab und wischte mir mit den Handballen ein weiteres Mal über meine malträtierten Sinnesorgane. Ich musste was sehen können, richtig sehen können, irgendwie. Und ich sah. Da war wirklich ein Nicken, ein Zupfen, deutlich, da, und noch eins. Schließlich geschah, wovon ein jeder Meeresangler träumt: die Rutenspitze verneigte sich langsam nach unten. Ich hielt es für angebracht, den Anschlag zu setzen. Ich umklammere meine Rute, spüre den von Nässe und Kälte durchdrungenen Griff, den Schmerz, der sich durch meine klammen Finger bahnt. Erst die Augen, jetzt die Finger, im Grunde genommen tut mir alles nur noch weh. Aber darauf nehme ich keine Rücksicht. Dazu bin ich nicht hier, um jetzt aufzugeben. Ich muss ihn überwinden, diesen Schmerz, der danach ruft, die geschundenen Hände in die wärmenden Taschen zu stecken, die Glieder zu massieren. Ich muss ihn überwinden, diesen Wunsch nach der Tasse mit heißem Tee. Nein, um ihn muss ich die Hände legen, um diesen kalten starren Kohlefaserstock. Er wird zu meinem kalten, müden Arm, ihn reiße ich mit einem kräftigen Ruck nach oben. Rrrrumms....der sitzt! Nur den Bruchteil einer Sekunde später verneigt sich der Blank meiner Bootsrute endgültig Richtung Boden, nur, das dort kein Boden war. Fürs erste zumindest nicht, dazu muss erst ein Weg von zweihundertachtzig Meter Meereswasser durchkreuzt werden. Zweihundertachtzig Meter tiefer war jemand gar nicht darüber erfreut, diesen Weg in die genau umgekehrte Richtung antreten zu müssen. Rrrummmms, da wieder, ein Schlag in der Rute, noch fester greife ich zu, der Kreuzschlitz am Rutenende steckt sicher im Gimbal. Eine wunderbare Erfindung um einem das Angeln auf dem Nordmeer etwas zu erleichtern, etwas den Rücken zu schonen. Aber wo ist da noch der Unterschied, nach sechs Stunden auf der See, nach sechs Stunden kurbeln und pumpen, sitzend auf einem Kunststoffbrett. Das ehemals der Bequemlichkeit dienende Kissen längst von diversen organischen Materialien durchtränkt in der Fischkiste wähnend. Ich lehne mich langsam an die Bordwand, um meinem neuen Freund etwas Widerstand zu bieten. Vorsichtig, nicht zu weit, jetzt das Gleichgewicht zu verlieren wäre fatal. Ich bin allein auf dem Boot, habe mich entgegen aller Vernunft noch einmal auf den Fjord begeben, wollte es wissen, es musste unbedingt sein. Ich hatte noch nicht genug und das Schicksal hatte noch eine Karte für mich im Ärmel. Eine gewaltige Karte. Dieser Karte, dieser Fisch zieht und zerrt und ich stemme mich dem gewaltigen Zug entgegen, allein, von Wind und Wellen und Regen umgeben. Allein, allein mit ihm.

    Ein Rrrrumms in der Angelrute darf man sich natürlich nicht im phonetischen Sinn vorstellen. Wer aber jemals eine Angelrute in der Hand hielt, als ein Monster von Fisch den Köder nahm, sich die Hakenspitze in sein Fleisch bohrte und er im selben Moment alle Sinne seines Wesens nur darauf ausrichtet, sich dieses lästigen, schmerzhaften Etwas zu entledigen, wer das einmal erlebt hat – die Rute in der Hand, nicht den Haken! – der weiß, dass man diesen Augenblick nur mit einem lautmalerischen Rrrrummms beschreiben kann.

    Jetzt heißt es, einen einigermaßen klaren Kopf zu bewahren. Der Fisch versucht, wie verrückt Schnur von der Rolle zu ziehen. Das zu gestatten wäre fatal. Ich habe eine Ahnung, mit wem ich es hier zu tun habe, und sollte ich richtig liegen, wird dieser Kamerad alles daran setzen, sich in einer der unzähligen Felsspalten festzusetzen. Ist die Bremse meiner Multirolle richtig eingestellt? Hätte ich vergessen, sie zu lösen, wäre mir längst die Schnur, wenn nicht gar die ganze Rute um die Ohren geflogen. Kurzer Prozess, kurzes Knack. Die Bremse darf aber auch nicht zu weich eingestellt sein. Soll es ihm doch Arbeit bereiten, mit dem Schlepptau seine Bahn zu ziehen. Ich fingere kurz an dem Rädchen, eine kurze Umdrehung nach vorne stellt sie fester, nein, war es eine kurze Umdrehung zu mir? Ich starre ungläubig, erregt – von wegen klarer Kopf – schwitzend und bangend auf die Spule. Er kämpft und windet sich mit schier unbändiger Kraft in dem Wunsch, auf das die Rolle Meter für Meter Schnur von sich wirft, auf die Reise schickt, hinab in die Tiefe, hinab zu ihm.

    Als Angler fängt man in seinem Leben Fische. Dies sollte man zumindest annehmen dürfen. Vielfach besteht die Realität am Wasser daraus, die Kopfrute anzuheben um ein handlanges Rotauge in die handlange Hand gleiten zu lassen. Doch irgendwann wird der Fisch dabei sein, von dem man schon immer träumte, auf den man mehr oder weniger geduldig wartete. Nur wenige dürfen ihn erleben. Wer in seinen Genuss kommt, in seinen Bann genommen wird, muss erfahren, dass dieser Fisch seine eigenen Gesetze entwickelt. Diese Gesetze wollen gekannt, wollen erkannt, wollen erfühlt werden. Fatalerweise hat man kaum die Möglichkeit, sich auf dieses, meist vollkommen unerwartete Ereignis vorzubereiten. Seelisch kaum, moralisch, vergiss es, technisch vielleicht – kurz, wenn der beschuppte D-Zug erst mal in Fahrt ist, ist alles zu spät. Dann heißt es nur noch genießen. Und sich kräftig in die Hose scheißen. Ist es doch ein Fisch, dessen Konterfei auf Hochglanzpapier im Vierfarbdruck verewigt im Spind gleich neben dem der drallen Susie aus Oberstdorf hängen wird. Und man erlebt diese Auseinandersetzung, diesen Kampf, diesen ultimativen Drill. Eine anglerische Klimax, vielleicht einmalig im Leben eines Anglers und schon gar nicht beliebig reproduzierbar. Kein Replay, keine Fernbedienung.

    Langsam wird der Schmerz in den Fingern unerträglich, die Muskeln im Oberarm pochen, lehnen sich auf gegen diesen letzten Akt aus Kraft und Lust und Wut.

    Eines dieser besonderen Gesetze ist das Erleben der Zeit. Echtzeit fünfzehn Minuten, gefühlte Zeit drei Stunden. Ein anderes Gesetz ist das der Panikattacke. Sie springt einen Angler mitunter wie ein hospitalisierter Zirkuspuma von hinten an. Kommt genauso plötzlich, wie zwanzig, dreißig, zweihundertachtzig Meter entfernt am Ende der Angelschnur der Tanz der Tänze beginnt. Hat man den Panikpuma erst einmal im Genick, ist es meist zu spät. Er hat sich längst im Nacken festgekrallt, reingebissen in den Hinterkopf, sitzt mit seinem fetten Hinterteil auf den schmerzenden Schultern und sabbert einen mit seinem Panikspeichel voll. Es ist verflucht schwer, ihn wieder los zu werden, während sein Gesabber langsam aber sicher das eigene Denken infiltriert: »Habe ich auch die Knoten überprüft?!«, »Habe ich die richtige Schnurstärke gewählt?«, »Habe ich heute morgen die Kaffeemaschine ausgeschaltet?!«

    Der Wind hat ein wenig zugenommen, ich schätze sechs, sieben Meter pro Sekunde. Hätte mir noch gefehlt, ich bin hier mit meinem Freund beschäftigt, während mal eben das Wetter umschlägt. Wind, Sturm, Monsterwellen. Noch gelingt es mir, mich zu beruhigen. Ich befinde mich mitten auf dem Fjord, besser, im Fjord. Inshore, wie es unter den Experten heißt. Von mir aus sind es noch gute drei, vier Seemeilen bis zur Fjordmündung, der offenen See mit dem davor gelagerten Schärengürtel.

    Die Schärengürtel Norwegens. Dutzende kleine Inseln, hinter denen man sich als Angler samt Boot bei aufkommenden Wind verstecken kann. Kleine Buchten aufsuchend, um vielleicht doch noch den ein oder anderen Seelachs zu überlisten. Von hier aus erstreckt sich die weite, freie See. Die See, das Meer, »la mer.« Spätestens seit der Titanic ist es eine weit verbreitete Erkenntnis, das mit der See im allgemeinen nicht zu spaßen ist. Dazu muss man sich aber nicht auf halben Weg nach Amerika befinden. Schon die See, wie sie sich in küstennahen Gebieten darstellt, hat durchaus ihre Tücken. Das ist umso bedauerlicher, wird man doch angesichts des nahen Ufers nur allzu schnell in mitunter tödliche Sicherheit gewogen. Dies trifft auch für die Küstengewässer Norwegens zu. Hier sind es die aus den Fjorden heraustretenden Wassermassen, welche abhängig von Wind und Tide angesichts der an eine Mondlandschaft erinnernde Bodenbeschaffenheit sowie den ihnen im Weg stehenden Inseln immer wieder umgelenkt werden und somit für manch nasse Turbulenz sorgen. Verstärkt wird dieser Effekt durch die für den gemeinen Bootsangler unangenehme Eigenschaft der Fjorde, dass ihr Grund sehr schnell aus mehreren hundert Metern Tiefe bis auf wenige Meter ansteigt. Diese Strömungen treffen nun mit der See von der Felsenküste zusammen. Die auf der Wasseroberfläche erzeugten Wellenbilder stoßen wie der Bangkoker Feierabendverkehr mit voller Wucht aufeinander. Es entstehen sogenannte Kreuzseen, die jedem Seebär den Angstschweiß in den Rollkragen laufen lassen. Diese Kreuzseen sind tückisch, sie sind gefährlich. Innerhalb kürzester Zeit können ihre Wellen Höhen von bis zu drei, vier Metern aufweisen. So erzeugen beispielsweise die Strömungsverhältnisse im Skagerak schon bei mittleren Windstärken im Handumdrehen Wellen, die einem vom rauhwassergeeigneten Kutter aus betrachtet ein müdes Grinsen ins Gesicht zaubern. Befindet man sich zu diesem Zeitpunkt allerdings in der kleinen Schwester vom Kutter, vergeht einem das Grinsen ganz schnell. Kreuzseen verlaufen extrem unregelmäßig, was ein sicheres in die Welle stellen der kleinen Schwester fast unmöglich macht. In ihrer Gier nahm die See schon allzu oft kleine, meist von unerfahrenen oder allzu risikofreudigen Angeltouristen besetzte, untermotorisierte Boote als Appetithappen in sich auf. Das eigene Boot wäre nicht das erste, das nach Tagen hoffnungsvollem Wartens einer Nussschale gleich auf die Felsen aufschlägt, bisweilen sogar bis an die dänische Küste gespült würde. Selbst im scheinbar sicheren Fjord ist Vorsicht geboten. Immer wieder werden Angler beobachtet, die ohne Schwimmweste bekleidet auf einem vierzehn Fuß langen Böotchen stehend mit 700g schweren Pilkern um sich schleudern. Schlägt jetzt innerhalb von Minuten das Wetter um, kann sich auch hier eine biestige Welle aufbauen, in deren Folge es allzu häufig zu bösen, nassen und im Extremfall tödlichen Überraschungen kommen kann. Wie der Angelausflug in einer solchen Situation ausgeht, hängt nicht selten vom jeweiligen Angstpegel der Protagonisten ab. Ist man, während sich über einen dunkle unheilverkündende Wolkenberge auftürmen, gerade mit dem Drill eines kapitalen Fisches beschäftigt, reicht es bei niedrigem Pegel meist aus, die Ruhe zu bewahren. Ist der Pegel indes hoch, bietet es sich an, seinem Angelkumpel die Rute in die Hand zu drücken, sich auf dem Boden des Bootes zusammenzukauern und drei »Ave Maria« zu beten. Gerne wird hierbei auch Daumenlutschen zur Hilfe genommen. Eine ganz feine Erfahrung ist es auch, macht die Reißleine des Außenborders ihrem Namen auf unvorteilhafte Art alle Ehre, noch dazu in der Stunde eines Wetterumschwungs. Dann hat auch der Unerschrockenste guten Grund, nervös zu werden. Gesteigert kann der Blutdruck eigentlich nur noch durch die anhängige Erkenntnis, dass man zu alledem auch noch die Ruder am Steg hat liegen lassen. Dann hilft oft nur der Griff zum Handy. Vorausgesetzt, diese kleine Errungenschaft leistet nicht den Rudern auf dem Steg Gesellschaft. Ist dem so haben sich Beten und Daumenlutschen bewährt. Am fatalsten kann sich aber auswirken, kam es, während sich der Wind noch vor Grönland rumtrieb, zur schlimmsten Todsünde auf dem Meer. Stichwort: Hoch die Tassen. Prosit. Skol. Alkohol an Bord ist Mord. Mord an sich und Mord an anderen. Ein Mord auf Raten. Häufig geht es gut, aber oft genug spielt auch das Wetter mit. Dann befinden wir uns in der Kategorie Dummheit. Dreht jedoch der Wind auf, rutscht man genauso schnell in die Kategorie Sünde, in deren Folge man beduselt zwischen leergesoffenen Bierdosen auf dem Boot umherstolpert um noch schnell den Driftanker einzuholen. Da zischen Pilker wie Mörsergranaten durch die Luft, wird sich beim entwaiden gleich noch der Zeigefinger abgehackt, landen Drillinge statt im Wasser in der Unterlippe. Wie im Straßenverkehr sind es auch beim Bootsangeln oft genug die Nüchternen, die auf diese Weise unfreiwillig zu Schaden kommen. Richtig gruselig wird es auf Booten, auf denen es niemanden mehr gibt, der sich guten Gewissens nüchtern nennen dürfte. Ihren Witwen kann man zum Trost höchstens mitgeben, dass ihre Mannen im Fall der Fälle mit einem lustig´ Lied auf den Lippen abgesoffen sind. Vorausgesetzt, der Drilling ließ das singen zu.

    Allein im Jahr 2000 sind vor der dänischen Insel Ærö zehn Angler tot aus dem Wasser des Kleinen Belt gezogen worden. Acht von ihnen hatten Alkohol im Blut, von diesen acht hatten sieben einen offenen Hosenschlitz...

    Ich versuche, die Gedanken an Wind, Wellengang und die Kraft der Tide wegzuschieben und will mich wieder auf die unter mir tobende fischige Naturgewalt konzentrieren. Wenn ich es zuließe hätte er mir mittlerweile einhundert Meter Schnur von der Spule gezogen. In diesem Fall wäre mir nichts anderes übriggeblieben, als dem gleichmäßigem Surren der arbeitenden Mechanik zu lauschen. Diesen Triumph darf ich ihm nicht gönnen, hier ist gegenhalten angesagt. Die Bremse der Rolle gibt kaum Schnur frei und so stemme ich mich nach wie vor dem Druck entgegen, und er übt Druck aus, oh ja. Ich versuche, die Rute aufrecht zu halten, während sich der Blank ehrfurchtsvoll gen Wasser neigt. Dadurch bleibt die Schnur straff, was in diesen Sekunden, Minuten, Stunden entscheidend für den Ausgang des Schauspiels ist. Hängt die Schnur durch, reicht ein Köpfschütteln meines Kontrahenten und zurück bleiben ein mit dem Schrecken davon gekommenes Wirbeltier und ein dem Herzinfarkt sehr nah kommender Wirbelmensch.

    Täusche ich mich? Nein, der Zug wird schwächer, ja, jetzt ist es ganz deutlich zu spüren, seine Reise beginnt. Viel hätte er auch nicht mehr an Schnur, Rute und Mensch zerren und ruckeln dürfen. Eine einzige Schwachstelle würde ausreichen um dem Spiel ein Ende zu bereiten. Ich müsste mit Entsetzen auf die verstummende Rolle starren, während er für den Rest seines Lebens mit dem längsten Stück Zahnseide der Welt von dannen schwimmt. Noch aber hält das Material. Im Gegenteil. Der schwächer werdende Zug zeigt mir, dass der Zeitpunkt gekommen ist, wieder Schnur aufzunehmen. Schließlich gilt es ihm zu beweisen, an wessen Rute er hängt. Einfach mit meiner Schnur abhauen wollen. Dir werd ich es zeigen! Meine rechte Hand fühlt sich an, als sei sie schon am Rutenblank festgefroren. Ich verstärke nochmals den Druck. Ich befürchte, dass es wehtun wird, aber der erwartete Schmerz bleibt diesmal aus. Die Befeuerung bleibt in meinem neuronalen System auf halben Weg stecken, die große Murmel hat sich um Wichtigeres zu kümmern!

    Nein, für Schmerzempfinden scheint nicht der richtige Zeitpunkt, jetzt muss gekurbelt werden, gezogen, gestemmt, gehalten. Sollen mir die Finger doch abfallen. Pah, zur Not beiße ich in die Rute, halt sie mit den Zähnen fest, und wenn es das letzte wäre, was sie zu tun bekämen. Dich gebe ich nicht mehr her, nicht weil so ein paar lächerliche Finger nach »Aufhören, aufhören« rufen. Eiswürfel pinkeln kann jeder, der lange genug die Klöten in den Wind hält, aber dich zu bändigen, dich zu kriegen, das ist eine ganz andere Geschichte! Der Griff der Rollenkurbel liegt gut in der Hand, der linken, die auch nach Aufhören schreit, unerhört schreit. Langsam senke ich die Rute und kurbele die dabei frei werdende Schnur auf, Stück für Stück, Zentimeter um Zentimeter. Noch eine Umdrehung, so ist es gut. Schon durchschneidet die Rutenspitze die ersten Wellen. Nun kommt es darauf an. Wird er den kommenden Zug spüren? Ich hebe die Rute, sachte, gleichmäßig. Ich rede mit mir, bleib cool, das machst du gut. Ich halte die Rute fest, erwarte jeden Moment eine erneute Explosion. Doch er bleibt ruhig. Schließlich senke ich die Rute und kurble dabei die ersten Zentimeter Schnur auf. So geht es weiter, Meter für Meter. Hoch die Rute, runter die Rute, Schnur aufkurbeln, hoch die Rute, runter die Rute, Schnur aufkurbeln. Die Rolle läuft rund, das ist ein gutes Zeichen. In meinem Kopf herrscht nur noch gefühlte Zeit. Ich spiele in meinem eigenen Film mit. Ein Film, komplett gedreht in Zeitlupe, abgespielt in Zeitlupe. Ich werde zur Zeitlupe. Ich spüre die Schwere, die sich langsam, unendlich langsam zu mir erhebt, ein Meter, zwei, drei, zehn. Da plötzlich ein Schlagen, die Rute erzittert, meine Hand verkrampft, hat sich in diesen Knüppel gekrallt. Ich halte inne, warte ab. Er versucht, den Haken abzuschütteln, hat er neue Kraft getankt? Ihn zieht es wieder nach unten, hinab, zurück in die sichere Tiefe. Doch dieser zweite Fluchversuch ist nicht mehr so vehement wie sein erster. Kann ein Fisch Verzweiflung spüren? Dort unten, in der alles umschließenden Dunkelheit? Wenn ja, wird er dieser sehr nahe sein. Er kämpft und ruckelt, aber die Muskeln lassen ihn langsam im Stich. Der Haken sitzt tief und er sitzt sicher. Wieder steige ich in den Rhythmus ein - hoch die Rute, runter die Rute und kurbeln - so gleichmäßig wie möglich, wie es meine Anspannung nur irgendwie zulässt. Ich fange an zu singen. »Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste, johooho, und die Buddel voll Rum....«. Ich sitze da, versuche diesen ungeheuren Fisch zu mir zu ziehen – hoch die Rute, runter die Rute und kurbeln - bin verschwitzt, von beiden Schläfen fließt mir in feinen Rinnsälen erneut Körperwasser in die Augen, entfachen das Brennen zu neuer Stärke. Diese Marter nehme ich auch noch hin. Ich bin am zittern, ziehe und kurble und singe einen alten Chanty aus Kindertagen. Aber das singen hilft. Hilft, meine Gedanken zu

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