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Gesichter der Vergangenheit
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eBook153 Seiten1 Stunde

Gesichter der Vergangenheit

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Über dieses E-Book

Lenas Leben könnte ganz in Ordnung sein, wäre sie nicht eines Tages über eine alte Frau gestolpert, die sich nicht erinnert, wer sie ist und wohin sie gehört. Lena kann diese Frau unmöglich sich selbst überlassen. Also beschließt sie, sich um sie zu kümmern und - als wäre es nicht genug - den größten Wunsch der Dame zu erfüllen. Dass dieses Unterfangen völlig unmöglich scheint, interessiert Lena erst an zweiter Stelle. Mit Hilfe ihres Vaters macht sie sich auf eine schwierige Suche.
Zu all dem taucht auch noch ein längst vergessener Mann auf. Was will er von Lena?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Aug. 2015
ISBN9783738038125
Gesichter der Vergangenheit

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    Buchvorschau

    Gesichter der Vergangenheit - Dana Liebetreu

    Eins

    Als Lena am Morgen dieses sonnigen Märztages vor die Haustür tritt, sieht sie eine alte Frau am Straßenrand stehen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Doch diese Dame trägt keine Jacke. Das ist dumm, denn obwohl die Sonne es gut meint und vom Himmel lacht, ist es doch immer noch ziemlich kalt. Zu kalt jedenfalls, um ohne Jacke draußen rumzulaufen. Lena bleibt stehen und schaut sich die Frau genau an. Graue Haare zu einem Knoten am Hinterkopf gebunden, ein türkisfarbener Pullover mit kurzen Ärmeln und eine schwarze Stoffhose. Dazu braune Schuhe.

    Lena hat eigentlich keine Zeit, sich um fremde Menschen zu kümmern. Sie will in den Supermarkt, und das so schnell wie möglich, denn sie muss sich unbedingt um die Artikel kümmern, die sie in dieser Woche abgeben muss.

    Außerdem soll sie ihre monatliche Kolumne schreiben, die in einer Woche fällig ist. Das Thema behagt ihr gar nicht. Warum wollen die Leser immer irgendwas über Liebe wissen? Und das von Lena? Die davon überhaupt keine Ahnung hat. Und auch nicht haben will.

    Mist, denkt sich Lena und geht auf die Frau zu, die sich keinen Zentimeter von der Stelle rührt und unschlüssig auf die vorbeifahrenden Autos starrt.

    „Hallo, sagt Lena. „Haben sie sich verlaufen?

    Einen Schritt weiter und die Frau würde vor ein Auto laufen. Lena unterdrückt den Impuls, sie zurückzuziehen.

    Die alte Dame dreht sich um. „Was willst du denn von mir?"

    Ach je.

    Lena überlegt, was sie tun soll. Die Polizei verständigen? Vielleicht wird sie ja irgendwo vermisst. Ist vielleicht ein voreiliger Entschluss. Eigentlich sieht diese Frau völlig normal aus. Ziemlich alt und ohne Jacke zwar, aber normal.

    „Wohin wollen Sie denn?", versucht Lena es erneut.

    „Was geht dich das an?"

    Normal, aber biestig.

    „Entschuldigen Sie, aber Sie laufen hier ohne Jacke durch die Gegend. Sie müssen doch frieren und wollen sicher schnell wieder nach Hause. Kann ich Ihnen helfen?"

    Der Gesichtsausdruck der alten Dame ändert sich. Auf einmal sieht sie eher ratlos als angriffslustig aus, und Lena bekommt Mitleid mit ihr.

    „Frieren?, murmelt sie vor sich hin und schaut an sich hinunter. Verwundert sieht sie dann Lena an. „Nein. Ich friere nicht. Ist das nicht seltsam?

    „Ja, das ist es in der Tat. Lena berührt die Hand der Frau und erschreckt über die Kälte, die sie ausstrahlt. „Um Himmels willen! Sie brauchen dringend eine Jacke. Und etwas Warmes zu trinken. Kommen Sie mit mir. Bitte.

    Was tue ich, denkt Lena? Hat sie tatsächlich gerade angeboten, eine Fremde in ihre Wohnung mitzunehmen?

    „Ich kenne dich doch gar nicht." Schon ist dieser misstrauische Ausdruck wieder da.

    „Das stimmt. Aber ich kenne Sie auch nicht. Leider hab ich mein Handy nicht dabei. Sonst würde ich telefonisch um Hilfe bitten. Hören Sie, ich wohne gleich hier. Lena zeigt hinter sich auf das Haus, in dem bis eben die Welt noch in Ordnung war. „Ich mache Ihnen etwas Warmes, gebe Ihnen eine Decke und rufe Ihre Verwandten an, damit sie Sie nach Hause bringen.

    „Ich habe keine Verwandten."

    „Jeder hat Verwandte", rutscht es Lena raus.

    „Ich bin nicht Jeder."

    „Das ist wahr." Lena weiß nicht weiter. Warum hat sie auch ihr Handy in der Wohnung gelassen? Doch zum Einkaufen braucht man das ja normalerweise nicht. Lena konnte ja nicht ahnen, dass sie heute so eine seltsame Begegnung haben würde. Außerdem hatte sie vor, in spätestens zwanzig Minuten wieder zu Hause zu sein und mit einem Kaffee an ihrem Laptop zu sitzen, um sich irgendetwas Banales über die Liebe auszudenken.

    „Bitte, fleht Lena die alte Frau an, „kommen Sie mit mir. Ich helfe Ihnen. So hilfsbereit kennt sie sich selbst gar nicht. Lena hat es sich abgewöhnt, ihre Hilfe anzubieten. Ja, sogar aufzudrängen. Zu oft ist sie damit auf die Nase gefallen. Zu oft hat sie hinterher Vorwürfe gehört, wenn jemand sagte: „Du bist Schuld. Du hast gesagt, das Beste wäre…" Blablabla.

    Die Dame schaut von Lena auf die stark befahrene Straße und wieder zurück zu Lena. „Gut."

    Oh, das ging jetzt aber leicht, denkt sich Lena und lächelt. „Eine gute Entscheidung."

    „Das werden wir erst noch sehen."

    Das ungleiche Paar überquert den schmalen Gehweg, und Lena schließt die Haustür des alten Mehrfamilienhauses auf, wohl bedacht, die fremde Frau nicht zu berühren. Sie fühlt sich wirklich ziemlich kalt an und irgendwie komisch. Sie steigen die Treppen in die zweite Etage herauf. An einigen Stellen blättert die Farbe von den Wänden und Putz rieselt von der Decke. Die alte Frau sieht sich naserümpfend um. „Was ist das hier für eine Absteige?"

    „Das sieht nur auf dem ersten Blick schlimm aus, meint Lena, „die Wohnungen sind sehr hübsch. Und das stimmt. Lena liebt dieses Haus und ihre Wohnung mit den zimmerhohen Fenstern und dem kleinen Balkon an der Südseite. Sie wohnt nun schon fünf Jahre hier und will nicht wieder weg. Okay, das Treppenhaus ist grottig, und in die winzigen Keller, die jeder von den sechs Mietparteien hat, bekommt man gerade mal ein Fahrrad und einen größeren Karton hinein - doch wer wohnt schon im Keller oder im Treppenhaus?

    Unter dem Dach angekommen, steckt Lena den Schlüssel in das Schloss ihrer Wohnungstür, und einen Augenblick später stehen beide in dem schmalen Flur. Die alte Frau sieht sich um. „Ist das dunkel hier. Nun ja, das stimmt. Lena hatte die Zimmertüren geschlossen, bevor sie losging. Deshalb dringt jetzt natürlich kein Licht auf den Flur. Sie öffnet ein paar Türen, und schon wird es heller. Die Märzsonne bahnt sich ihren Weg durch Wohnraum und Küche. „Besser?, fragt sie ihre Besucherin.

    Lena geht ins Wohnzimmer. „Kommen Sie. Sie nimmt die orangefarbene Decke vom Sofa und hält sie bereit. Die alte Frau, die ihr gefolgt war, sieht sich auch hier neugierig um. „Kannst du dir keine anständigen Möbel leisten?

    Was?

    „Was stimmt mit meinen Möbeln nicht?"

    „Die haben keinen Stil."

    Ach?

    „Mir gefallen sie. Setzen Sie sich hierher. Ich mache Tee. Oder möchten Sie lieber etwas anderes? Heiße Milch? Kakao?"

    „Ich will nichts trinken."

    „Sie müssen wieder warm werden. Sie bekommen sonst eine schreckliche Erkältung." Oder eine Lungenentzündung. Doch das will Lena nicht sagen.

    Widerwillig setzt sich die alte Frau auf das cremefarbene Sofa. Ihr Blick verrät beinahe so was wie Ekel, was Lena kränkt. Ich hätte sie stehen lassen sollen, denkt sie.

    Lena legt ihrer unfreiwilligen Besucherin die Decke auf die Beine, nimmt eine zweite, die sie ihr über die Schultern legt.

    „Zupf nicht so an mir rum."

    Meine Güte, was für eine garstige Alte.

    In der Küche, Lenas Lieblingsraum, füllt sie den Wasserkocher, hängt Teebeutel in zwei große Tassen, holt Zucker aus dem knallgelb gestrichenen Schrank und stellt alles auf ein Tablett. Während sie das fertiggekochte Wasser in die Tassen schüttet, überlegt sie sich, wie sie diese Dame schnellstens wieder loswerden könnte. Natürlich so, dass sie kein schlechtes Gewissen bekommt. Lena legt noch ein paar Kekse auf einen Teller und trägt das Tablett ins Wohnzimmer. Der Platz auf dem Sofa ist leer.

    „Hallo? Wo sind Sie denn?" Lena hatte keine Geräusche gehört. Sie schaut in ihr Schlafzimmer - das ungemachte Bett starrt sie vorwurfsvoll an - und ins Bad. Auch im Gästezimmer, das Lena ursprünglich als Arbeitszimmer dienen sollte, sie es in der Küche aber viel gemütlicher findet, ist niemand. Keine Spur von der alten Dame. Schnell schaut sie aus dem Fenster, um die Straße, auf der sie vor wenigen Minuten noch gestanden hatten, zu überblicken. Nichts. Die Frau ist wie vom Erdboden verschwunden.

    Auch gut, denkt Lena. Allerdings nur für den Bruchteil einer Sekunde. Was mache ich jetzt, fragt sie sich dann, geh ich sie suchen, oder bin ich froh, sie vom Hals zu haben? Lena mag fremde Menschen nicht besonders. Also nicht, dass sie gar keine neuen Kontakte knüpft. Das verlangt ihr Job in der Redaktion schon. Aber Fremde sind ihr relativ egal. Was Lena nicht egal ist, ist, dass eine alte Frau wegen ihr ohne Jacke in der Kälte herumirrt und womöglich noch erfriert. Oder von irgendwelchen Möchte-gern-Halbstarken blöd angemacht wird. Also nimmt Lena widerwillig ihr Handy, steckt es in die kleine schwarze Handtasche und verlässt zum zweiten Mal an diesem Tag ihre warme Wohnung.

    Draußen, vor der Haustür, schaut sie sich nach allen Seiten um. Wo kann sie nur hingegangen sein? Lena spricht Passanten an: „Haben Sie eine alte Frau gesehen? Türkisfarbener Pullover, schwarze Hose, keine Jacke?"

    „Nein, tut mir leid", ist jedes Mal die Antwort. Lena läuft die Straße entlang. An diesem Mittwochvormittag sind zwar nicht viele Fußgänger unterwegs, aber eine Menge Autos. Sie vermeidet es, die Straßenseite zu wechseln. Irgendeine innere Stimme sagt ihr, dass die alte Frau sich nicht traut, über die Straße zu gehen. Schließlich hatte sie sie mit ängstlichem Blick an der Straße gefunden. Sie läuft den Bürgersteig entlang, schaut sich suchend um. Doch sie findet niemanden, der aussieht wie ihre verlorene gegangene alte Frau.

    Das gibt es doch nicht, denkt Lena, irgendwo muss sie doch abgeblieben sein.

    Hinter der nächsten Häuserecke, ungefähr zweihundert Meter von Lenas Wohnung entfernt, gibt es einen kleinen Park. Hier geht Lena oft hin, um dem Lärm der Stadt zu entfliehen und ihren Kopf freizukriegen. Am Rand des Parks befindet sich ein See. Oft füttert sie die Enten, von denen es reichlich auf diesem See gibt. Das beruhigt Lena. Sie findet es lustig, wie sich die Schwimmvögel um die Brotstückchen streiten. Dabei hat Lena immer genug dabei, dass es für alle reicht.

    Die Hundebesitzer nutzen den Park für ihre Vierbeiner. Leider vergessen die meisten, deren Hinterlassenschaften einzusammeln. Lena hatte nicht nur einmal geflucht, weil sie in irgendwelche Haufen getreten war.

    In den Park gelangt man nur über einen einzigen Eingang, es sei denn, er klettert über die hohen Hecken, was total bescheuert wäre, denn einige von denen haben fiese Dornen. Lena denkt immer an Dornröschen, wenn sie an diesen Hecken vorbeiläuft. In Gedanken ruft sie immer: ‚Hey, Prinz, bezwinge die Hecke! Du schaffst das! Tschakka!!‘ Natürlich soll der Prinz die Hecke erst bezwingen, wenn sie, Lena, schon wieder weg ist. Lena hat es nicht so mit Prinzen. Nicht mehr.

    „Hi Emma", ruft Lena schon von weitem, „hast du eine alte Frau ohne

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