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Gene des Lichts
Gene des Lichts
Gene des Lichts
eBook717 Seiten10 Stunden

Gene des Lichts

Von Day An

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Über dieses E-Book

Was hat Nikola Tesla mit den Templern zu tun? Wu, Inkas, Dogon, Templer, was haben sie gemeinsam? Welche Geheimnisse haben sie weiter gegeben, und vor allem, an wen? Geschichten über Aliens, sind sie nur eine Erfindung des Geistes?
Weltweit kommen diverse Gruppen zusammen, Russen, Chinesen, Andere ..., bauen ihre Festungen aus und bereiten sich vor. Warum, auf was?
Auf das was uns bevorsteht …

Dies ist die Geschichte der Prophezeiten, deren Freunde, sowie der letzten Tage vor dem kommenden Krieg, welchem wir alle bereits in die Augen blicken. Werden die Prophezeiungen nun doch wahr, ist es so weit? Ist es das, was alle vorausgesagt haben ... und der Nostradamus sah? Die Wiedergeburt? Mancher wird sagen, er hat eine beflügelnde Phantasie, anderer wiederum, er kann sich gut erinnern. Nächster wird denken, er weiß zu viel, und Alarm schlagen. Zu spät!

Frankfurt am Main, direkt im Herzen seiner Feinde, wartet unerkannt der schweigsame Einzelgänger, versucht vergeblich dem Wahn seiner Gedanken und Schmerzen zu entkommen. Die Spur endet bei ihm, er wird zur Zielscheibe, denn er hat etwas was die ganze Welt begehrt. Viele sind hinter seinem Geheimnis her. Wem die Hinterlassenschaft in die Hände fällt, der wird über das Schicksal der Menschheit entscheiden.
Eine kleine Gruppe Krieger kommt zusammen, um das vermeintliche Opfer und sein Geheimnis in Sicherheit zu bringen, oder zu vernichten. Ihn auch. Aber, der Anschein trügt, das Opfer bedarf keine Hilfe: Er ist die Hilfe. Denn, er hat sich bewährt, wurde prophezeit und erwartet, erst jetzt erkannt. Nur er selbst will es nicht wahr haben, lehnt die ihm zugedachte Stellung ab. Sein Aufwachen ist belastend: Der Feind ist schlimmer als er es je vermutet hätte, ist fast so alt wie die Menschheit selbst, und nicht von dieser Welt.
Mit seinen neuen Freunden schlägt der Rächer zu, hinterläst im Herzen der Geldmacht eine unübersehbare blutige Spur.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. Juni 2014
ISBN9783847664161
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    Buchvorschau

    Gene des Lichts - Day An

    Prolog

    Es war kalt, die Nacht näherte sich langsam ihrem Ende zu. Die Jäger der Dunkelheit waren nach dem Beutezug bereits in ihren Bauten, Nestern, Lagern, die Jäger des Tages noch nicht wach. Diese einsame Stunde gehörte nur dem Tod, denn, er war immer da, allgegenwärtig. Die Stille wurde nur durch Azalas Stimme gestört.

    »Die Zeit des Todes ist die Zeit des Sehens. Mancher wird sagen: Sie haben gute Phantasie, andere wiederum: Sie können sich erinnern. Dritter wird feststellen: sie wissen zu viel, und Alarm schlagen. Dann werden sie uns beseitigen. Deswegen, seit allen Zeiten: Bleibt unsichtbar!« Azala drehte den Kopf zu seiner Tochter Inehaa, sah sie nicht. Sie saßen vielleicht nur anderthalb Meter voneinander entfernt, aber eine kleine Wolke verdeckte gerade den Mond, er sah nicht einmal ihre Umrisse. Das Feuer vor der Hütte war erloschen, die Glut am Ausklingen. Absolute Dunkelheit beherrschte alle Sinne. »Tatsachen kennen wir, sie sind etwas Handfestes, Belegbares, Nachprüfbares. Aber, was ist eigentlich eine Prophezeiung?«

    Inehaas Stimme unterbrach sein Monolog, sie antwortet an seiner Stelle:

    »Wenn ihre Zeit gekommen ist, um das zu sein, wird eine Prophezeiung zur Tatsache. Sie wird zu: jetzt!«

    »Richtig«, bestätigte ihr Azala, »die Überlieferungen der Sumerer, Schriften der Inder, vergessene und verschwiegene Legenden der amerikanischen Ureinwohner, Mythen und Gedanken der bald verschwundenen Aborigines, greifbaren Hinterlassenschaften vieler verschollenen Kulturen, all diese Tatsachen …, erzählen in ihren eigenen Sprachen und auf ihrer besonderen Art dasselbe …« Inehaa war schneller, sprach für ihn weiter:

    »… und warnen uns davor, was uns bevorsteht, erinnern uns an die Prophezeiung und den Einen …« Inehaa war nicht unhöflich, das war deren Art der Konversation. So hat sie ihr Vater das Wissen gelernt, sie sollte selbst mitdenken, nicht nur zuhören.

    »Unter den Vielen, dem Menschen bekannten Werken, werde ich nun das Bekannteste als Referenz nehmen. Nicht, weil es genauer oder konkreter über das aussagt, was jeden von uns erwartet. Es ist einfach nur bekannter als alle anderen Werke. Aber nur die genauen Übersetzungen der ersten W-Rollen sind sinngemäß und korrekt. Was man seit Jahrhunderten vorgeworfen bekommt, ist hoffnungslos verfälscht, hat den Sinn verloren. Du hast sie gelesen, wie alles Geschriebene was wir haben. Die Bibel ist in jeglicher Hinsicht ein sehr vielseitiges Buch. Es gibt keinen Menschen, welcher auf der einen, oder der anderen Seite, sich selbst nicht wiederfindet. So ist es auch mit den Geschichten und Prophezeiungen der Bibel. An die Prophezeiungen glaubt man kaum, denn diese, als solche, sind vorher natürlich nicht nachprüfbar, zudem sind sie so unglaublich, dass nur wenige sie zu glauben vermögen. Mancher dieser Prophezeiung fand in der Geschichte bereits ihren Platz, es muss in der Vergangenheit nur genauer hingeschaut werden. Als diese einstigen Voraussagen, in unserer Vergangenheit ihre Erfüllungen fanden, aktivierte der menschliche Geist alles Erdenkliche um das Geschehene negieren zu können. Oder, es sogar absichtlich zu leugnen. Die Sprache der Rollen ist die Sprache des Rätsels, nur der Kundige kann sie verstehen. Heute, wer ist das noch? Wer spricht diese alte vergessene Sprache der Rätsel, der Wahrheit?« Azala wartete auf eine Antwort.

    »Die gleichen Menschen, welche die Sprache des Nostradamus sprechen. Die Wissenden.«

    »Eine Prophezeiung findet seit Langem, direkt vor Augen aller statt, und doch will sie niemand wahr haben. Einige Wenige, erlangten die Erkenntnis der Tatsachen, wurden jedoch vor den Augen aller und von allen, zum Schweigen gebracht. Es existieren viele Bücher und Schriften, welche älter als die Bibel sind. Sie beschreiben das Gleiche, was damals davor war, was damals gewesen ist, und das, was in dem zukünftigen heute sein wird. Es ist heute. Eines der Werke, älter als alle dem Menschen bekannten Schriften, unsere Chronik der Seelen, das noch nicht zu Ende geschriebenem Buch der Wissenden, geschrieben mit dem Blut vergangener Weisen, besingt in seinen Zeilen … und Versen … Kriegsruf der Wu. Inehaa, weißt du, welchen ich gerade meine? Sing ihn mir bitte vor.«

    »Eines Tages,

    werden die Erwachten stark genug sein,

    um zurückschlagen zu können.

    Die Geister der Toten werden laut aufschreien,

    sie werden dem blutigsten Krieg beiwohnen.

    Deren Ruf wird man hören,

    und wer nicht kommt,

    der, der ist bereits tot.«

    »Ja. Der Angriff der Erwachten war für morgen prophezeit, und dieser Morgen, dieser Tag …, angesagter Tag, muss heute sein! Ich habe es gespürt, … habe deren Schreie, deren Ruf gehört …«. Azala brach ab, er fühlte sich nicht wohl. Die Zeit spielte verrückt.

    »Ich habe sie auch gehört, Vater.« Inehaa sprach langsam, versuchte ihre eigene Offenbarung zu deuten. »Es war kein Hilfeschrei, nein. Eher…. Wut. Frauenstimme, in Chinesisch. Eine Wu. Blut ist geflossen. Dann Stille. Erst … danach … deren Aufschrei. Sie hat sie geweckt.«

    »Ihren Schrei habe ich nicht gehört, nur deren. Du siehst und hörst besser als ich, sagtest, sie sprach Chinesisch? Eine Wu. Das Blut wäre geflossen …, also eine Kriegerin. Das passt.« Azala musste Inehaa seine Gedanken unbedingt mitteilen, überlegte wie. »Ihn spüre ich schon lange, den Unbekannten, aber er ruft nicht. Er ist leise, unsichtbar, unfassbar. Seine Zeit ist jetzt, die Stunde des Todes, das ist er.«

    »Ich spüre ihn auch. Ich könnte ihn aus Lehm formen, aber nicht beschreiben, so wie den Tod nicht. Er ist vor den Augen Aller, und doch wird er übersehen, so wie der Tod. Ich dringe zu ihm nicht durch. Er wird beschützt. Jemand wacht über ihn. Bestimmt hat ihn der Ruf auch erreicht, aber, … er reagierte nicht.« Inehaa wollte noch mehr hinzufügen, lies es sein, es wäre nutzlos.

    »Das hast du gut gesagt, beschrieben. So fühle ich es auch.« Azala schaute Inehaa an, sie blickte zu den Sternen, strahlte im Mondlicht.

    Man schaute ins Wasser, Feuer, verzehrte Nauacatl, Huachuma, Tarasuun, oder Honda, rauchte, trank Noha Wein oder Alkohol. Inehaa brauchte nichts. Sie stand graziös auf und senkte langsam den Kopf, bis das Kinn fast ihre Brust berührte, fing an im singenden Ton Verse zu rezitieren:

    »Was wird mir denn gesagt,

    was werde ich jetzt erkennen?

    Die Zeit wird kommen.

    Ihr werdet es sehen.«

    Azala kannte diese Verse. Sanskrit, Veda, Rishi, Saptarishi. Inehaa war weg, weit weg! Sie brauchte nur die Sterne für eine Sekunde zu sehen, um die Zeit zu lesen. Diesmal stimmte etwas nicht, es ging zu schnell!

    »… geschaffen aus Zwei,

    dem Feuer und Blut,

    wird der Eine erwachen,

    die Feinde vernichten.

    Das Leben der Zwei,

    wird die Götter stimmen,

    sie werden zu ihren Ehren,

    in diese Welt zurückkehren …«

    Auch diese Worte waren Azala bestens bekannt, die Verse aus dem geheimen Brief des Nostradamus an die Letzten.

    »Es war, es ist,

    es wird immer sein,

    was man verliert,

    kann man nicht wiederfinden,

    wenn es nicht wiedergefunden werden will,

    auch die Seele nicht,

    vielleicht im nächsten Leben,

    wenn das Versprechen eingehalten wird.

    Denn …

    das haben wir uns versprochen …«

    Azala musste nachdenken, das waren die Wu Worte. Inehaas Stimme veränderte sich, war nicht mehr die ihre, klang männlich, melancholisch, traurig:

    »Lebe, als ob es der letzte Tag deines Lebens wäre,

    sorge vor, als ob du Tausend wirst,

    bedenke alles, was du getan hast, oder tust,

    weil du Tausend wirst!«

    Azala schaute erstaunt zu Inehaa, diese geheimen Worte! Die hatte sie noch nie gehört oder gelesen! Sie konnte sie unmöglich kennen. Den Spruch hatte er einst gehört, man sagte ihm, er käme vom Pri. Das war sein Schwur Spruch!

    »Ich habe in Ehre gehandelt,

    Versprochenes gehalten,

    hatte keine Wahl,

    das Blut vergossen,

    Dank dafür ist die Qual.

    Das Letzte hast du mir verschwiegen!

    Enttäuscht habe ich dich nicht,

    oder etwa doch?

    Das wirst du mir schon sagen,

    beim Treffen aller Ahnen.

    Die Zeit ist relativ …, nicht fassbar,

    eine Sekunde wird … Ewigkeit bestehen,

    die Ewigkeit wird … in Sekunde vergehen.

    Was ist schon ein Traum?

    Was?

    Träumt der Tod?«

    Azala verinnerlichte die Verse, verstand, was gerade passiert: Jemand sprach durch Inehaa! Alles fügte sich zusammen.

    »Vater, das waren seine Worte, er … hat den Ruf erwidert. Es hat begonnen. Die Toten sind erwacht!«

    Der erneute grausame befreiende Aufschrei der Geister war für Azala und Inehaa unüberhörbar.

    Alltag

    Er lief langsam und bedacht, atmete gleichmäßig tief ein- und aus durch die Nase und den leicht geöffneten Mund. Konzentriert schaute er vor sich hin, berechnete im Voraus jeden Schritt, wo er seine Füße setzen wird. Obwohl der Weg erst vor vier Jahren asphaltiert worden war, gab es überall Löcher, glitschigen Matsch und Erdklumpen. Die Gärtner waren extrem fleißig, beim Bearbeiten der Felder fuhren sie über den Weg und brachten auf diesen mit den Rädern ihrer Landmaschinen viele Steine und feuchte Erde. Ständige Flickerei des Asphalts kam gegen die Witterung nicht an, stellte Zoran fest, die Löcher waren noch größer als letztes Jahr. Das bremste ihn nicht, im Gegenteil. Die Anstrengung der Joggerfallen zu entgehen erhöhte seinen Ansporn um so mehr.

    Die Felder um Zoran herum waren leer, Gärtner waren keine zu sehen, sogar die Vögel hielten sich versteckt. Es war Mitte September, nach Zorans Empfindlichkeit gemessen war es für die Jahreszeit recht kühl. Andere würden sagen, es war bereits recht warm. Die ganze Nacht hatte es geregnet, die Luft war feucht, roch nach Erde und Basilikum. Zoran atmete genüsslich die schweren und süßen Düfte der Natur ein. Das nächste Feld neben dem Weg war mit Schnittlauch bestellt, welcher einen Tag vorher geschnitten worden war. Die morgendliche Luft wurde durch die Ausdünstungen des Schnittlauchs schärfer. Das Schnittlauchfeld schien in Zorans Augen nie zu enden. Er mochte den Geruch vom Schnittlauch nicht, atmete nun nur durch den Mund, um den beißenden Geruch nicht mehr wahrnehmen zu müssen. Zoran befand sich in den Kräuterfeldern von Oberrad, bekannt für seine grüne Soße und deren sieben Kräuter. Oder, besser gesagt, das war es einmal. Zoran schmunzelte leicht, die Gärtner behaupteten noch immer felsenfest, alles käme von hier, alle sieben benötigten Kräuter für ihre bekannte Grüne Soße. Zoran wusste es besser. Es war ein offenes Geheimnis, dass die meisten Kräuter heute aus Marokko und Rumänien angekarrt und hier nur zusammengebündelt wurden. Bis auf Schnittlauch und Basilikum kam alles von irgendwo anders, nur nicht aus Oberrad.

    Der Himmel war noch leicht bewölkt, es wurde nur schleppend heller, was Zoran nicht im Geringsten störte. In der Ferne sah er den ersten Radfahrer an diesem Morgen. Mancher fuhr morgens, als Abkürzung nach Frankfurt oder Offenbach, mit dem Fahrrad durch die Felder. Die ganze Nacht hat es geregnet, andere Radfahrer werden diese Feldwege wegen des Matschs meiden. Es dürfte jetzt kurz vor sechs Uhr sein, stellte Zoran fest. Das ist der Italiener, identifizierte er die Gestalt. Der Italiener arbeitete in der Kleinmarkthalle, Zoran hat ihn da öfters gesehen. Kurz dachte er über die Arbeit des Italieners in der Kleinmarkthalle nach. Schwere Arbeit, den ganzen Tag auf den Beinen, Kisten hin-, und her schleppen. Zoran nickte mit Respekt dem Mann zu, obwohl ihn dieser nicht einmal hätte wahrnehmen können, er war viel zu weit weg und fuhr schnell auf seinem Fahrrad. Unweit von Zoran, vielleicht nur sechs Meter entfernt, flog wie immer in rasendem Tempo ein ICE vorbei. Der Luftzug erfasste ihn seitlich, er genoss es, was ihm deutlich anzusehen war. Zoran joggte langsamer, ließ sich von der Windböe des Zuges leiten, gleiten lassen. So fühlt sich ein Vogel, ging ihm durch den Kopf. Oberräder Felder waren etwas Besonderes, mitten in der Stadt, näher am Stadtzentrum als manche anderen Stadtviertel, welche sogar zum Stadtzentrum gehörten. Aber, Oberrad war doch das pure Land.

    Plötzlich blieb er stehen. In der Ferne sah er einen Jogger auf demselben Weg auf sich zukommen. Der Jogger war noch weit entfernt, mindestens einhundert Meter. Zoran blickte sich kurz um, auf dem Weg hinter ihm war niemand. Misstrauisch musterte er den Störenfried, schaute sich im Hintergrund des Joggers die Skyline von Frankfurt an. Die heiligen Türme der neuen Macht ragten über den Baumkronen. Alles war noch verschwommen, der Morgendunst verhinderte den klaren Blick auf das Machtzentrum und seine Symbole. Die Gestalt kam aus den Tiefen der Morgendämmerung wie ein Geist auf ihn zu, ein Gespenstbote aus dem Herzen der Weltherrscher. Nicht gut, dachte er, ein schlechtes Omen. Zoran lief nun etwas langsamer, konnte dem ihm entgegenkommenden Jogger nicht mehr ausweichen, hatte ihn leider viel zu spät bemerkt, war zu sehr in seine Gedanken vertieft und vom morgendlichen Duft betäubt. Zoran überlegte, ob er nicht zurücklaufen sollte, einen kleinen Umweg macht, oder sich der Gestallt nun doch stellt. Schließlich entschied er sich weiter zu laufen. Jogger gab es immer, stellte Zoran verbittert fest, sogar um diese Uhrzeit. Wenn es ginge, mied er sie, er mied alle: Jogger, Radfahrer, Spaziergänger, ob bekannte oder unbekannte. Zoran lief weiter. Der Jogger war sehr auffällig angezogen, das merkte er sogar aus der Ferne. Seine Bekleidung war ganz neu. So läuft keiner hier, dachte Zoran. Jetzt betrachtete er den Mann, welcher auf ihn zukam, genauer. Dabei schaute er ihn nicht direkt an, sondern mit einem weiten Blick, nahm alles um den Jogger herum wahr. Er war groß, kräftig gebaut, sein Laufrhythmus war schnell. Ein Profi, das passte nicht in die Gegend, stellte Zoran besorgt fest. Hier waren alle nur Hobbyläufer, Hausfrauen, Rentner. Dieser Mann passt nicht hierher, sein Haarschnitt war kurz, typische Erscheinung eines Soldaten, wie aus dem Kino.

    Zoran ließ den Jogger nicht mehr aus den Augen, betrachtete dessen Hände, Arme, seine Körperbewegung. In etwa zwanzig Meter Entfernung änderte Zoran seinen Blick, so als ob er schielen würde, sah durch den Jogger durch, nahm jede Einzelheit noch intensiver in sich auf. So zu schauen, das wurde ihm einst beigebracht. Obwohl der Jogger recht schnell lief, wirkte er entspannt, seinem Körper fehlte die Aura der Gefahr. Keine Gefahr, dachte Zoran beruhigt, aber er hatte trotzdem ein ungutes Gefühl bei diesem Läufer. Während des ganzen Laufs fühlte er sich unwohl, beobachtet, fast bedroht, obwohl weit und breit niemand zu sehen war. Heute stimmt etwas nicht, stellte Zoran fest, etwas ist anders. Gut, dass er heute keinen Salat und Kräuter wie üblich von den Feldern mitgenommen hatte, so waren seine Hände frei. Er fasste sich mit der linken Hand an die rechte Seite des Bauchs, unter seiner dünnen Jacke spürte er den Griff des Messers. Wimpernschlag, mehr würde er nicht brauchen, um das Messer zu ziehen. Er nahm seine linke Hand vom Bauch und dem versteckten Messer weg, lief direkt auf den Jogger zu. Zoran war Rechtshänder, benutzte für das Messer jedoch seine schwächere, die linke Hand. Mit der Rechten würde er die Pistole aus dem Holster am Rücken ziehen, so wie er es tausendfach geübt hatte.

    Der scharfe Geruch des Schnittlauchs wirkte wie ein Aufputschmittel auf ihn, seine Sinne und die Wahrnehmungen wurden intensiver. Er stufte die Menschen in zwei Kategorien ein, entweder Gefahr oder keine Gefahr. Das war schon immer so, warum, das wusste er selbst nicht, aber es war nun mal so. Dieser Jogger war keine Gefahr, nicht jetzt, aber trotzdem stimmte etwas mit ihm nicht. Auf einmal lief der Jogger grundlos schneller. Als er an Zoran vorbei lief, schaute er zum Boden, murmelte etwas vor sich hin, und war weg. Zoran sah das Gesicht des Joggers nur undeutlich. Da stimmt gar nix, das wusste er intuitiv, das Gesicht abzuwenden, das machte keiner, eher umgekehrt. Jeder der joggte, schaute direkt ins Gesicht, begrüßte offen seinen mitleidenden Kollegen. Dieser Läufer tat es nicht. Und welcher Verrückte läuft hier um diese Zeit rum, fragte sich Zoran weiter? Es war ihm egal, das Gesicht des Joggers nicht gesehen zu haben, denn er wurde ihn auch nach zwanzig Jahren, sogar von hinten erkennen. Gesicht, hin oder her. Zoran hatte die Gabe die Menschen nach Ihrem Körper, Bewegungen, oder ihrer Ausstrahlung zu erkennen, nicht nur nach dem Gesicht oder dem Namen. Die Namen konnte er sich sowieso nicht merken, wollte er auch nicht. Namen waren für ihn nicht wichtig, andere Sachen waren wichtiger. Wenn die Menschen um ihn herum nur wüssten, was in seinem Kopf vorging! Zoran hatte viele Gaben, und noch mehr Flüche, wie er selbst die ihm aufgedrückten Stempel bezeichnete.

    Entspannt genoss er die letzten Meter und ließ sich von den vorangegangenen Gedanken nicht mehr stören. Als er zur Biegung zu seinem Haus ankam, welches direkt an den Feldern lag, verlangsamte er sein Tempo, holte die Hausschlüssel aus der Jogginghose und schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um. Vor einer halben Stunde merkte er sich jedes Fahrzeug, welches in der Sichtweite stand. Manchmal blieben die Fahrzeuge über Nacht auf dem Feldweg stehen. Das waren die Autos der Bewohner aus der Wasserhofstrasse, dort gab es nicht genügend Parkplätze, oder die Fahrzeuge der Besucher der Gerbermühle. Fahrer mit zu viel Alkohol im Blut ließen lieber ihre Fahrzeuge über Nacht hier stehen, statt betrunken nach Hause zu fahren. Ein neues Fahrzeug war jetzt da, stellte Zoran fest, ein Transporter. Laut Aufschrift auf dem Wagen gehörte es irgendwelchen Handwerkern. Jemand in der Nachbarschaft hat Probleme, stellte Zoran fest, überlegte wer es sein könnte. Er kannte fast alle Nachbarn, wenn auch nur vom Sehen. So früh? Kein Handwerker kommt um diese Uhrzeit. Sehr merkwürdig. Egal. Das Verlangen nach Geborgenheit besiegte seine Gedanken, Zoran vergaß den Transporter. Für die Post war es zu früh, daher ignorierte er den Briefkasten. Zoran schloss die massive Haustür auf, betrat den breiten Eingangsbereich der ehemaligen Bahnstation, schloss die Tür hinter sich ab und ging einige Stufen hoch.

    Der Jogger, welcher vorher im Feld am Zoran vorbeilief, hatte eine Querfeldabkürzung genommen und kam zum Zorans Haus zurück. Hätte Zoran noch einmal aus der Tür geschaut, hätte er den Jogger sofort bemerkt. Der Jogger lief am abgestellten Handwerkertransporter vorbei, bog nach links ab und verschwand aus der Sicht des Hauses zehn Meter weiter hinter dem Gebüsch. In der Wasserhofstrasse stieg er in einen geparkten Kleintransporter ein.

    Zoran kamen einige Verse auf, in letzter Zeit passierte ihm dies öfters. Er wiederholte sie in Gedanken:

    »Es ist nicht ratsam,

    in meiner Nähe zu sein,

    hält euch fern,

    der Tod begleitet …

    feiert mich gern …«

    Volltreffer

    Im Raum herrschten Stille und Dunkelheit. Gardinen waren zugezogen, Rollladen vor den Fenstern heruntergelassen, die indirekte Beleuchtung reichte nur aus, um sich zu orientieren. Obwohl das leise Summen der Belüftung zu hören war, war die Luft nicht angenehm, sie roch modrig, alt, abgestanden. Das Büro war spärlich möbliert, nur ein überdimensionierter Konferenztisch mit passenden Sesseln, dem Design nach zu urteilen, wahrscheinlich aus den sechziger Jahren. Am langen hochglanzpolierten Tisch saßen zwei Männer und eine Frau, schaute bewegungslos vor sich hin. Sie waren perfekt gekleidet, die Männer trugen teuerste maßgeschneiderte Anzüge, die Frau hatte ein Designerkostüm an. Den zwei Männern sah man an, dass sie gerade aufgestanden und noch nicht ganz wach waren. Aber die Zeit für ihr Äußeres hatten sie sich genommen, waren glatt rasiert, jedes Haar ihrer Frisuren saß einwandfrei. Die Männer dürften um die sechzig sein, wirkten jedoch viel jünger, was eindeutig an deren Schönheitsoperationen lag. Die Frau war um die vierzig, recht attraktiv und sah wesentlich natürlicher aus, als die anwesenden Männer.

    Die Tür des Raumes ging geräuschlos auf, ein Mann kam herein und nahm am Kopf des langen Tisches seinen üblichen Platz. Er war über sechzig, mittleren Wuchses, von sehr gepflegter Erscheinung. Seine Haare waren dünn und schwarz, daher fiel es um so mehr auf, dass er wenige hatte. Augen waren kaum zu sehen, zusammengepresst, wirkten wie Nadelstiche. Das Atmen viel ihm schwer, wie bei einem Asthmakranken. Seiner überheblichen und theatralischen Haltung war zu entnehmen: Hier hatte er das Sagen. Die Frau stand sofort auf. schaute zuerst nach links und rechts, erst dann zu dem Mann ihr gegenüber. Sie wollte anfangen, zögerte, als ob sie Angst hätte. Abwesend richtete sie ihre langen blonden Haare mit der linken Hand, obwohl es nichts zu richten gab. Es war eine reine Verlegenheitsbewegung, denn alle Augen waren auf sie gerichtet. Die Frau hatte keine Wahl mehr, musste jetzt etwas sagen. Sie sprach sehr langsam, erst jetzt war es ihr anzusehen, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Sie wirkte so, als ob sie seit Tagen nicht mehr geschlafen hätte. Ihre, fast schwarzen Augenringe, vermöchte nicht einmal das reichlich aufgetragene Make-up mehr abzudecken.

    »Wir haben Es. Ausreichend bestätigt, wir haben die Person, welche Es hat.«

    Im Raum war keine Reaktion, keine Bewegung, kein Laut zu vernehmen. Der Mann ihr gegenübersaß schloss die Augen und fragte leise:

    »Tatsächlich? Bestätigt? Sind wir es diesmal sicher, Frau Groß? Haben wir die nötige Gewissheit?«

    »Ja, Herr Bennstein, wir sind uns sicher. Sicherer können wir nicht sein. Es dürfte in dem Besitz dieser von uns identifizierter Person sein. Es ist bestätigt, wie erwartet, ein Mann aus dem Raster. Wir haben seine Biographie fast lückenlos nachvollzogen. Jetzt haben wir ihn. Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht so wäre. Wir haben alles überprüft. Wir … er ist es. Er muss es sein und haben.«

    Herr Bennstein stand auf, öffnete die Augen und schaute jeden einzeln am Tisch lange und eindringlich an, dann konzentrierte sich sein Blick auf Frau Groß.

    »Muss er es sein, oder ist er es tatsächlich?«

    Er wollte eigentlich keine Antwort mehr. Was Frau Groß gerade gesagt hatte, war eigentlich ausreichend. Aber er war es gewohnt immer und jeden zu verbessern, nutzte jede Gelegenheit dafür und genoss innerlich solche Momente.

    Frau Groß nickte mit dem Kopf und antwortete, diesmal mit fester Stimme:

    »Ja, er ist es. Wir wissen es schon seit einigen Tagen. In der Nacht kam die endgültige Bestätigung. In diesem Augenblick wird er observiert, erste visuelle Daten und Aufnahmen werden in Kurze vorliegen«, sagte Frau Groß.

    »Ihr wisst, was dann zu tun ist. Dann tun Sie es«, zischte Herr Bennstein. Ohne sich zu verabschieden, drehte er sich langsam um, ging zur Tür, öffnete diese mit schwerer Bewegung und verschwand aus dem Raum. Die Tür ließ er offen.

    Kälte breitete sich aus, nicht weil die Tür offen stand, sondern wegen der Stimmung, welche Herr Bennstein im Raum hinterlassen hatte.

    Frau Groß setzte sich hin, fing an leicht zu zittern und sprach wie in Trance zu den zwei anwesenden Herren:

    »Wir wissen was wir zu tun haben. Ich werde umgehend alle benachrichtigen. Herr Bennstein wird heute in Frankfurt um achtzehn Uhr die Versammlung führen. Organisieren Sie bitte Ihre Flüge. Heute müssen alle hin.« Ihre Stimme brach ab.

    Die Männer standen ohne zu zögern auf und verließen zügig und ohne sich zu verabschieden wortlos den Raum. Die alleingelassene Frau lehnte sich im Sessel zurück, zog mit den Fußspitzen ihre Schuhe aus, knöpfte die Jacke auf, legte die Hände kraftlos in den Schoß und fing an lautlos zu weinen. Ihr schönes Gesicht wurde von tiefgründigen Gedanken verzerrt.

    Die alte runde Bahnhofsuhr an der Wand zeigte genau 6 Uhr 30 an.

    Refugium

    Zoran lehnte sich an die Wand am Treppenabsatz zu Hochparterre und streifte die Schuhe ab. Trotz seiner Vorsicht waren sie mit matschiger Erde verschmiert. Sein Blick fiel auf das Bild an der Wand des Hochparterreabsatzes. Dahinter war eine der Schaltungen der Alarmanlage, ein kleines Lichtchen blinkte. Das letzte Mal hat er die Alarmanlage vor über einem Jahr überholt, als er die neuesten Komponenten hinzufügte. Seit dem war sie immer an, ob er im Haus war, oder nicht. Er trug bei sich immer einen Transponder, wodurch er von der Anlage ignoriert wurde. Jede andere Person wäre sofort als Eindringling erfasst. Diese Alarmanlage war keine übliche Anlage, sie sollte ihn und das Haus beschützen, nicht nur das Haus. Mühsam lief er in den ersten Stock hoch, wo sich seine Wohnräume befanden. Heute fiel ihm das besonders schwer, die Knie taten ihm weh. Der Nacken meldete sich mit stechendem Schmerz, die Erschütterungen beim Laufen hatten immer die gleiche Wirkung: Schmerzen. Nichts Neues.

    Im Flur leerte er die Taschen auf den Louis Phillippe Sekretär aus. Viel hatte er nicht dabei gehabt, nur die Taschentücher, das Messer und Holster mit der Walther PP. Früher hat er noch einen Schalldämpfer dran gehabt, das Zeug mitgeschleppt, aber das lange Ding störte ihn beim Laufen. Abgesehen davon, falls er die Waffe einmal benutzen sollte, dann wäre es egal. Ein Schalldämpfer wird keine Rolle spielen, nichts ändern, ihn nur behindern. Zigaretten hatte er absichtlich vergessen, um nicht in die Versuchung zu kommen. Draußen wird es hell, bemerkte Zoran gleichgültig. Im Wohnzimmer drückte er auf den Knopf der Zentralsteuerung, Ergebnis waren leises Summen und Knacken, nach einigen Sekunden wurde es im Wohnzimmer vollkommen dunkel. Alle Rollladen waren unten. Zoran drehte sich um, ging in die Küche, schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein, trank es in einem Zug aus. Mit zittriger Hand stellte er das Glas neben die leere Wodkaflasche hin. Es war die Wodkawoche. Zoran lief zurück in den Flur, fing an sich im Lauf auszukleiden, ließ die Kleidung auf den Boden hinter sich fallen. Im Schlafzimmer waren die Rollläden auch schon zu, er sah nichts. Er wusste genau wo was stand, kannte die Abstände, wollte sowieso nichts mehr sehen. Im absoluten Dunkel fing er mit seinen Übungen an. Nach fast dreißig Minuten und vollkommen durchgeschwitzt ging er ins Bad. Die schwachen Sonnenstrahlen, welche aus der Küche in den Flur drangen, reichten ihm aus um sich zu orientieren. Unterwegs sammelte er seine vorher weggeworfene Kleidung ein und nahm sie mit ins Bad, stopfte in die Wäschetonne. Er putzte sich die Zähne, stieg in die Badewanne und brauste sich heiß ab, trocknete mit einem riesigen Handtuch. Das Handtuch rutschte von der Aufhängung, er fing es im Fall auf und hängte es erneut an den Haken. Dann suchte er nach seiner Zahnspange, steckte sie in den Mund und ging ins Schlafzimmer. Die Zahnspange war notwendig, im Schlaf knirschte er mit den Zähnen.

    Links neben seinem Bett waren übereinander Glasablagen in die Wand eingelassen. Zoran griff nach unten, tastete nach den gestapelten Bilderrahmen welche dort lagen, wählte eins aus. Obwohl alle Fotos in gleichem Rahmen waren, hatten diese kleine Abnutzungsspuren, welche er fühlen konnte. Er wusste intuitiv welches Bild er in der Hand hielt. Den Rahmen mit dem Foto stellte er direkt in seiner Kopfnähe auf die mittlere Glasplatte hin. Wenn er aufwacht, wird dieses Foto das Erste sein was er zu Sehen bekommt. Zoran setzte sich vorsichtig hin, hob mit beiden Armen die Beine auf das Bett, streckte sich langsam aus, zog die Decke bis zum Kinn. Im Raum waren über zwanzig Grad, für ihn jedoch zu kalt. Die Hände verstrickte er über die Brust, so als ob er beten wolle.

    Die Träume, verdammten Träume, wenn sie ihn nur eine Nacht in Ruhe lassen könnten, wenigstens eine Nacht! Und die wiederkehrenden Schmerzen. Er wollte nicht einschlafen, denn er wusste es besser. Wenn er aufwacht, dann wird er stundenlang Schmerzen haben, sich an die Träume erinnern … Wie jeden Tag, seit über zehn Jahren. Fast achtundvierzig Stunden hat er es geschafft nicht zu schlafen, um wenigstens so den Träumen vorläufig zu entkommen. Ganze Flasche Wodka, welche er in der Nacht davor getrunken hatte, wird ihm wenig zum ruhigen Schlaf helfen, höchstens die Schmerzen eindämmen. Die Träume werden auch diese Nacht, wie jede Nacht davor, ein Teil von ihm sein. Diesmal war er am Ende, sein Körper wollte und konnte nicht mehr, nach einigen Atemzügen schlief er ein.

    Digitaler Wecker auf der Glasablage neben seinem Kopf kündigte schweigsam sieben Uhr an.

    Maskenträger

    Durch die zugezogenen Vorhänge drang die Sonne nur schüchtern und andeutungsweise in die Limousine ein. Jemand der drin saß, wurde zwar nicht gesehen, aber mit dem Nachteil dass er nach außen auch nicht viel erkennen konnte. Der Passagier im Fond wollte weder das Eine noch das Andere. Er war blass, als ob er seit Jahren keine Sonne und Tageslicht gesehen hatte. Ihm war es sowieso egal ob draußen Tag oder Nacht war. Er fühlte sich sehr wohl im Fond der Limousine, abgeschirmt von der restlichen Welt. Seine eigene Welt hatte mit der Außenwelt nichts zu tun, daher wollte er sie nicht einmal sehen.

    Mit leisem Surren meldete sich das Autotelefon. Der Bodyguard, welcher gegenüber dem Herrn im Rücksitz saß, nahm das Telefon aus der Halterung und antwortete höflich: »Hallo?«, reichte ohne Zögern das drahtlose Telefon seinem Boss. Dieser hörte recht lange nur zu, sagte am Ende nur: »Ich komme.«

    Herr im Rücksitz schaltete das Telefon aus, behielte jedoch in der Hand und fing an es langsam zu zerdrücken. Das Knirschen und Platzen des Gehäuses waren überaus deutlich zu hören, Teile des Telefons fielen auf seinen dunklen gestreiften Anzug und auf die Sitze, dann auf den Boden des Maybach. Der Begleiter reagierte sofort:

    »Sir Gallmann, sie werden sich verletzen!«

    Sir Gallmann schaute sich seine Hand an, sah nicht einen einzigen Kratzer, lehnte sich von dem Vorfall unberührt in den Sitz zurück. Mit geschlossenen Augen fing er an, leise und unverständlich, vor sich hin zu rezitieren.

    Der Bodyguard versuchte die Reste des Telefons mit dem Fuß in eine Ecke zu schieben, was ihm nicht gelang, die Teile verfingen sich im Gewebe des Bodenbelags. Fragen gingen ihm durch den Kopf, denn etwas Seltsames muss passiert sein. Ein Telefonanruf mit solchen Folgen? So hatte er den Sir Gallmann noch nie erlebt. Sir Gallmann war gar nicht fähig so etwas zu tun, etwas kaputt zu machen. Jedenfalls, das dachte er. Ist der Mann verrückt geworden, was war passiert? War das, was sein Boss gerade veranstaltet hatte, aus Freude oder Zorn? Er war schon seit zwei Jahren bei ihm, Tag und Nacht, daher meinte er, er würde seinen Boss genau kennen. Das bedeutete nichts Gutes, stellte der Bodyguard nüchtern fest. Es könnte sein, dass er jetzt seinen Job tun muss , wofür er eingestellt wurde. Außerdem, er verstand kein einziges Wort von dem was Sir Gallmann vor sich sprach. Diese Sprache hat er noch nie gehört, falls es überhaupt eine Sprache war.

    Big-Ben verkündete acht Uhr. Der Bodyguard umfasste seine Pistole, das Vorhandensein der Waffe beruhigte ihn etwas. Sir Gallmann sprach unerwartet, mit noch immer geschlossenen Augen:

    »Mark, umdrehen, wir fahren zurück. Wir fliegen heute nach Frankfurt. Machen sie alles klar, so schnell wie möglich.«

    Sie saßen in einem gepanzerten Fahrzeug. Sir Gallmann hatte nun mal ein solches Fahrzeug nötig, gab Mark seinem Arbeitgeber diesbezüglich Recht. Er war schließlich der einflussreichste Finanzmanager Englands, einer der top drei der Welt. Mark gab dem Fahrer die Anweisung umzukehren und schloss seine Augen. Er wollte sich den Mann ihm gegenüber nicht anschauen. Das war nicht der Mann, für welchen er zu arbeiten angefangen hatte, dieser Mensch zeigte gerade sein Zweites Gesicht. Mark war sehr empfänglich was die Psyche des Menschen betraf, hatte so etwas wie einen siebten Sinn, irrte sich so gut wie nie. Das war auch der Grund, dass er einer der besten Bodyguards der Welt war. Ihm wurde klar: Er hatte sich in Sir Gallmann getäuscht, dieser war auf keinen Fall ein harmloses Finanzgenie. Er war der nette lächelnde Mann von nebenan, der irgendwann auf einer Titelseite steht, weil er … etwas Böses getan hatte.

    Handlanger

    Sie befanden sich im vierunddreißigsten Stock eines der Bankhochhäuser, standen dicht am Fenster und betrachteten die Skyline von Frankfurt. Unter ihren Füßen lagen die Dächer der Stadt. Der Main leuchtete trübe und teilte die Stadt in zwei Hälften. Niemand reagierte auf das leise Klopfen an der Tür. Das Klopfen wiederholte sich, wurde aber nicht lauter. Einer der Männer ging zur Tür und öffnete sie ruckartig. Die adrett gekleidete Angestellte kam einen Schritt in den Raum hinein und blieb scheu stehen. Sie hatte Bedenken weiter zu gehen, denn ihr Chef war an diesem Morgen merkbar aufgeregt, nicht gut zu sprechen. Dieser sprach sie sanft an, er merkte ihre Konfusion:

    »Ja Frau Kohlmann, was ist?«

    Die Frau wurde noch unsicherer, streckte abwehrend ihre Hand vor sich hin und antwortete:

    »Ein Bote ist für Sie da, Herr Mayer, er ist gerade gekommen.«

    »Lassen Sie ihn herein«, erwiderte ihr Herr Mayer.

    Die Sekretärin trat zurück und ließ den Boten an sich vorbei. Der Mann war unscheinbar, um die Vierzig, angezogen wie ein üblicher Büroangestellter. Bis auf seine Schuhe, er trug eine Art Sportschuhe. Der Mann übergab Herrn Mayer einen Mikrochip, drehte sich um und verließ den Raum ohne das ein einziges Wort gefallen war. Frau Kohlmann wusste, was sie zu tun hatte, sie machte die Tür hinter sich leise zu.

    Herr Mayer drehte sich um und spielte mit dem Chip zwischen seinen Fingern, holte schließlich aus seiner Jackentasche das Handy heraus und steckte das winzige Ding hinein. Er las die Nachricht, schüttelte mit dem Kopf, fing an zu grinsen, dann zu lachen, drehte sich zu seinem Besucher und sagte vorwurfsvoll:

    »Wir haben ihn. Nein, Zürich hat ihn! Hier, vor unserer Nase! Hier, in Frankfurt!« Herr Mayer wurde lauter, sein Gesicht errötete sich. Einen Teil der Nachricht las er laut vor. »Träger gefunden. Frankfurt. Bestätigt. Treffen 18:00 Uhr. Frankfurt.« Herr Mayer ging zu einem Stuhl am langen Konferenztisch und setzte sich hin. Der Besucher stand zuerst wie versteinert da, setzte sich dann ebenfalls hin.

    »Herr Mayer …«, sagte der Mann.

    »Schweigen Sie, alles ist gesagt. Das kann doch nicht wahr sein! Hier, vor unserer Nase? Er ist hier in Frankfurt. Vielleicht sind wir schon an ihm vorbeigefahren, im gleichen Restaurant gesessen? Nein, vielleicht hat er uns sogar beim Essen bedient? Oder ist er einer unserer Angestellten? Hat bestimmt sein Konto bei uns. Nicht zu glauben! Hier? Das darf doch nicht wahr sein!«

    Herr Mayer steigerte sich hoch. Die letzten zehn Jahre seiner Anstrengungen auf der Suche nach der unbekannten Person kamen ihm lächerlich vor, seine ganze Wut brach aus ihm heraus. Er sprang auf, schnappte den Stuhl, auf dem er saß, fing an gegen die Wand zu schlagen, gegen die Rollläden, den Tisch. Erst als der Metallrahmen des Stuhls komplett verbogen war, brach er ab, warf das zerstörte Möbelstück in eine Ecke, setzte sich auf einen anderen hin. Sein Anzug unter den Armen war gerissen, was er gleich bemerkte. Er zog sein Jackett aus und warf es dem Stuhl hinterher. Der Inhalt der Taschen flog durch die Gegend, Brieftasche, Zigaretten, Feuerzeug, Füller. Herr Mayer zerrte an der Krawatte und riss sie ab, rollte die Ärmel des blauen Hemdes hoch. Die sichtbaren Schweißspuren unter den Armen störten ihn nicht, für ihn war der Tag bereits gelaufen.

    »Wir haben zu tun«, sagte er zu seinem noch immer fassungslosen Besucher. »Holen Sie den Boten rein! Ich kann es noch immer nicht fassen, für wie bescheuert werden sie uns halten? Sie werden uns auslachen. Aber … für uns wird auch etwas abfallen. Jetzt werden wir alle reich, unendlich reich!«

    Kinder der Geister

    Herrscher Yi schlenderte durch die große Eingangshalle seiner Festung und inspizierte jede Kleinigkeit, Sauberkeit, Dekoration, ob die Anwesenden wie erwünscht dem Gebrauch entsprechend angezogen waren. Er würde nichts dulden, aber es gab keinen Anlass etwas zu bemängeln. Alle wussten mehr als genau was von ihnen erwartet wurde. Die Eingangshalle war mit feinstem Granit und Marmor ausgelegt, an den weißen Marmorwänden hingen, von unsichtbaren Leuchten bestrahlt, die Werke der Meister vergangener Epochen. Originale. Die Decke war seitlich mit Spiegeln umrahmt, was dem Raum zusätzliche Höhe und Eleganz verliehen. Entlang der Wände waren unzählige Menschen versammelt, Männer und Frauen, Greise und Kinder, teilweise in Dreierreihen. Die Älteren saßen vorne auf den Stühlen, die Jüngeren standen daneben oder dahinter. Mütter hielten ihre Kleinkinder in den Armen, ältere Kinder waren neben ihren Eltern und versuchten die Aufregung zu verdrängen. Die Atmosphäre war zwar allgemein angespannt, aber nicht unangenehm. Die Gespräche der Menschen klangen in der großen Halle wie das Rauschen eines Bachs, einzelne Wörter waren nicht zu verstehen. Auffallend war, dass alle Anwesenden, sogar Herr Yi, alte und abgetragene Kleidung trugen. Herr Yi schaute sich nach allen Seiten um, nickte merklich zufrieden. »Hi, hi«, als Wiedergabe seiner Zufriedenheit war nur in unmittelbarer Nähe deutlich zu verstehen. Bis auf wenige entschuldigte Ausnahmen, die gesamte Familie Yi war versammelt. Über 300 Personen reihten sich in ihren eigenen kleineren familiären Verbänden ein, um die Ehre zu erweisen.

    An der Tür zum Treppenhaus und zum wohnungseigenen Aufzug hielten Männer in schwarzen Anzügen und Sportbekleidung die Wache. Sie versuchten unschuldig auszusehen, unter ihren Jacken sah man deutliche Umrisse nicht gerade kleiner Waffen. Einer dieser Männer neben dem Aufzug kam auf den Herrn Yi zu und sagte leise:

    »Großvater, er ist da, fährt gerade hoch.« Der nicht gerade junge Mann drehte sich um und lief zum Aufzug auf seinen Posten zurück.

    Herr Yi klatschte in die Hände, worauf jegliche Unterhaltung abbrach. Die Anwesenden nahmen ihre Plätze ein und starrten erwartungsvoll zum Aufzug. Nach etwa einer Minute öffnete sich langsam die Aufzugstür und ein Mann betrat mit leichtem Schritt die Halle. Er war etwa eins achtzig groß, von mittlerer Statur, mit unauffälligem Gesicht, trug einen leichten dunkelgrauen Anzug, weißes Hemd mit Krawatte, glänzende schwarze Schnürschuhe. Abgesehen von den grauen Haaren, könnte er als etwa fünfzig Jahre alt geschätzt werden. Herr Yi rannte auf den Mann zu, blieb anderthalb Meter vor ihm stehen und beugte sich fast bis zum Umfallen dem Gast entgegen. Die Anwesenden in der Halle beugten sich, wie eben Herr Yi, ehrfürchtig vor ihrem Gast.

    »Herr Yi, bitte nicht«, sagte der Gast, ging auf Herrn Yi zu, legte ihm die Hände auf die Schulter und hob ihn hoch.

    Beide Männer klopften sich freundlich auf die Unterarme und Schultern des Anderen. Von den bisher stummen Anwesenden hörte man ein freudiges Rauschen.

    »Es ist lange her, viel zu lange«, sagte Herr Yi.

    »Ja. Ich freue mich Sie so gesund zu sehen, ehrenwerter Herr Yi«, erwiderte der Gast. Das war keine Floskel, die Freude stand ihm im Gesicht geschrieben.

    Herr Yi nahm den Gast an den Unterarm und verkündete hastig und stolz:

    »Kommen Sie, kommen Sie, ich möchte Ihnen meine neuen Urenkel vorstellen.«

    Langsam schritten sie durch die Halle. Herr Yi blieb bei jeder anwesenden Person kurz stehen, jeder der vorgestellten Anwesenden sah dem Gast in die Augen, begrüßte ihn mit einem Danke und anschließender tiefer Verbeugung. Bei den Babys blieb Herr Yi etwas länger stehen und stellte die Neulinge der Familie dem Gast genauer vor. Das waren die neuen Mitglieder, welche der Gast noch nicht kannte. Zu jedem Kind äußerte der Gast seine Glückwünsche, legte den Babys seine Hand auf den Kopf und sprach kurze unverständliche Sätze, Gebete. Die Prozedur dauerte, denn die Familie Yi war zahlreich.

    Am Ende der Halle gingen Herr Yi und sein Gast in einen kleineren Empfangsraum hinein, aus diesem Raum über eine breite Wendeltreppe eine Etage höher. Dicker Teppichboden verschlang deren Schritte. Sie durchquerten mehrere Arbeits- und Ruheräume, bis sie im Arbeitsraum von Herrn Yi ankamen. Dieser Raum war sehr gemütlich eingerichtet, fast wie ein Wohnzimmer. Die Möbel waren nicht unbedingt als modern zu bezeichnen, aber sie sahen sehr bequem aus. In der Mitte waren mehrere klassische Ledersessel mit Beistelltischen aufgestellt, die Wände waren voll mit Farbholzschnitten, sowie einigen Regalen mit Skulpturen. In einer Ecke wachte die lebensgroße Tonfigur eines Kriegers. Es war eine von nur zwei existierenden Figuren, welche sich außerhalb Chinas im Privatbesitz befanden. Die Figur war ein Geschenk des Gastes an die Familie Yi. Es war keine der bekannten Figuren aus der Ausgrabungsstätte des Königsgrabs des Ersten Erhabenen Kaisers, erklärte der Gast ausdrücklich als er damals die Figur mitbrachte. Der Krieger stammte aus dem Grab des Gelben Kaisers. Der Gast betonte, mehrere Geisterkrieger gingen mit dem Gelben Kaiser in die Ewigkeit ein, um ihre Nachkommen vor dem Bösen zu schützen. Sie waren bereits damals keine lebenden Krieger mehr, sondern auch nur deren Geister. Diese Tonkriegerfigur war einst von dem Geist besetzt, welcher der direkte Ahne der Familie Yi wäre. Der Geist war nun befreit und auf der Suche nach einem irdischen Körper. Seine alte Hülle wird ihn zu den Yi zurückführen, er wird in einem der Yi erneut geboren werden. Der Gast sagte nebenbei, diese Tonfigur wäre das einzige entsprechende Geschenk an die Familie Yi. Eine Wand des Arbeitsraumes vom Herrn Yi bestand nur aus Glas. Dem Besucher, welcher den Raum betrat, bot sich ein atemberaubender Anblick, fast ganz Hongkong lag unter seinen Füßen. Die Räume von Herrn Yi, er selbst nannte sie: die Festung, gingen über die letzten drei Etagen eines der Hochhäuser. Seines Hochhauses, er hatte es bauen lassen, er war der Eigentümer.

    Die Männer setzten sich in die bequemen Ledersessel, eine junge Frau brachte ihnen Tee und süßen Reisgebäck mit Fruchtfüllung.

    »Es ist schon so lange her, ich befürchtete bereits, wir sehen uns in diesem Leben nicht mehr wieder, mein Freund! Ich werde alt«, sagte Herr Yi und schnaufte laut auf.

    »Was denn sonst?«, lächelte der Gast, »werde ich etwa jünger?«

    »Manchmal scheint es mir so«, erwiderte ihm Herr Yi belustigt.

    Herr Yi war weit über neunzig Jahre alt, trug den klassischen langen spitzen weißen Bart. Beim Anblick des Gastes überkamen ihn die Erinnerungen, daher zupfte er leicht am Bart. Er stand in seiner ewigen Schuld, die gesamte Familie Yi tat das. Und diese Schuld wird bestehen bleiben solange es die Familie Yi gibt. Seine Kinder, Enkelkinder, die gesamte Familie war der gleichen Überzeugung, das wusste er. Deswegen war er auf sein Blut stolz, wird daher in Ruhe sterben, wenn es so weit ist. Der Vorfahre des Gastes hat einst die Familie Yi gerettet, ohne seiner Hilfe und Unterstützung gebe es heute keinen Einzigen von ihnen. Niemanden! Herr Yi konnte sich mehr als deutlich an den Tag der Rettung erinnern, die Geschehnisse von damals durchlebte er noch immer in seinen Träumen. Die Erinnerungen wurden stärker, Herr Yi hielt inne. Früher vermied er es bewusst daran zu denken, aber je älter er wurde, umso öfter beschäftigte ihn die Angelegenheit. Tagesgedanken gingen, jedoch die Nachtträume waren besonders brutal. Dreißiger Jahre, die Besetzung von Shanghai, Schreie, Schüsse, wieder Schreie, noch mehr Schüsse, Abschlachten des Volkes … Rotes Wasser, feuchte rote Kleidung. Niemand konnte solche Träume verdrängen.

    Die Besatzer hatten alle Kaufleute der Stadt gezielt gejagt und ihre Familien wie Vieh zusammengetrieben. Anschließend wurden sie gezwungen ihr Vermögen herauszugeben, Urkunden zu unterschreiben, Konten im Ausland zu offenbaren. Bei kleinstem Widerstand wurden die Familienmitglieder, nacheinander, vor den Augen aller Anwesenden bestialisch umgebracht, abgeschlachtet. Das ging so lange, bis die Kaufleute alles was ihnen vorgelegt wurde unterschrieben hatten, alles preisgaben was die fremden Männer wissen wollten. Trotzdem wurden anschließend, ohne Ausnahme, alle niedergemetzelt. Familie Yi hatte andere Bestimmung gehabt, sie wurde in einem Lagerhaus am Hafen eingesperrt. Viele fremde Männer mit Gewehren waren als Bewacher da, schlugen alle der Reihe nach, verschonten nicht einmal die Kinder. Der kleine Yi hat nichts verstanden, die Bewacher sprachen eine fremde Sprache. Auch die Chinesen, welche da waren, sprachen ein anderes Chinesisch. Er vernahm die Furcht und Angst seines Vaters, seiner Mutter, seiner Geschwister, aller Anwesenden. Mitte in der Halle lag Tante Liu in einem seltsamen roten Bach. Der kleine Yi hatte noch nie rotes Wasser gesehen. Dann fielen Schüsse. Der kleine Yi legte die Hände auf seine Ohren, die Geräusche waren unerträglich laut, tausendmal lauter als das Festfeuerwerk. Er sah wie schießende Männer in die Halle stürmten, weiße Männer, Geister. Alle bösen Bewacher lagen am Boden, noch mehr rotes Wasser. Einer der weißen Geister kam auf den kleinen Yi und seinen Vater zu, er sah furchtbar aus, hatte Haare im Gesicht. Der Geist zog ein riesiges Messer aus seinem Gürtel, der kleine Yi machte aus Angst die Augen zu und … in die Hose. Einige Sekunden später spürte er wie die Seile, mit denen seine Hände gebunden waren, durchtrennt wurden. Der kleine Yi öffnete die Augen. Sein Vater hatte das Messer des haarigen Geistes nun selbst in der Hand gehabt und schnitt den gefesselten Familienmitgliedern der Reihe nach die Seile an den Händen durch.

    Plötzlich Schreie, Rufe, Schüsse. Durch die Tür kamen zwei Bewacher herein und schossen aus ihren Gewehren. Die anderen Männer erwiderten das Feuer. Einer der Bewacher zielte auf den kleinen Yi und seinen Vater. Der haarige Geist warf sich auf den kleinen Yi, beide fielen zu Boden. Der Geist schoss aus seiner Pistole. Der kleine Yi konnte danach auf seinem linken Ohr fast einen Monat lang nichts mehr hören, die Waffe war zu nah an seinem Kopf. Nach diesem Schuss herrschte Ruhe, gespenstische Ruhe. Der haarige Geist stand auf, aus seiner Schulter floss rotes Wasser. Der kleine Yi dachte, der farblose Geist wird sich jetzt auf dem Boden neben der Tante Liu legen müssen. Der Geist blutete für ihn und für seinen Vater. Er wird seine Träume nie vergessen können, wollte er auch nicht, gab sie dem Nachkommen als Erbe.

    Familie Yi ging verließ mit den Begleitern des haarigen weißen Geistes die Lagerhalle und bestieg ein langes seltsames Boot, welches unmittelbar daneben angedockt war. Der kleine Yi erinnerte sich, die Fahrt hatte sehr lange gedauert. Wie lange, das wusste er nicht mehr, ob Tage, Wochen, Monate? Es schien ihm so, als ob die Fahrt länger als sein ganzes Leben angedauert hätte. Auf dem Boot, in der Zeit des Nichts, zeigte ihm der Geist wie das Messer in der Hand gehalten und die Pistole um zu treffen gehandhabt wird. Yi hatte Angst vom Geist, aber … er mochte ihn.

    Sie waren nun in Singapur, alle außer Tante Liu. Am ersten Abend der Ankunft gab es eine Familienversammlung. Von den fremden Männern, welche sie befreit hatten, war nur der haarige Geist anwesend. Er saß mit seinem Vater in der Mitte der versammelten Familie. Beide Männer sprachen leise, der kleine Yi hatte nichts verstehen können. Dann stand sein Vater auf und verkündete laut, dass die Familie Yi in aller Ewigkeit in der Schuld des Mannes und seiner Nachfolger stand. Dass diese Schuld mit nichts auszugleichen sei, außer mit dem eigenen Leben. Diese Schuld wäre des Lebens wert und für die Ewigkeit … endgültig. Seit diesem Tag versammelte sich die gesamte Familie Yi einmal im Jahr am Tag der Wiedergeburt. Es wurden die Geschichten der Rettung erzählt, und der haarige weiße Geist kam als Gast dazu. Wenn der weiße Geist kam, trugen alle Familienmitglieder ihre älteste und abgetragene Kleidung als Zeichen der Erinnerung und des Respekts. Während der Versammlung, welche Jahre später in eine Feier umgewandelt wurde, alsbald sie den Gast begrüßten, zogen alle neue Kleider an. Dieser Akt symbolisierte die Wiedergeburt der Familie. Das war der Tag, der heilige Tag der Yi.

    Kleiner Yi war größer geworden, es kam ein anderer Geist als Gast. Yi dachte damals, dieser Mann müsse der Sohn des haarigen Geistes sein. Als Vater Yi Jahrzehnte später verstarb, übernahm der nun erwachsene kleine Yi die Familienobhut. Er war nicht überrascht als er feststellte, dass das gesamte Familienvermögen aus den dreißiger Jahren Dank des Geistes gerettet wurde. Familie Yi hatte Handelsgeschäfte mit dem Geist gemacht, noch mehr Vermögen angehäuft. Herr Yi, als nächstes Oberhaupt der Familie, wurde am Sterbebett seines Vaters in die letzten Geheimnisse eingeweiht, erfuhr wer der Gast war, was er war.

    Nun wurde Herr Yi das Oberhaupt der ältesten Triaden- Familie, nach der Flucht aus Shanghai unbenannt in: Kinder der Geister. Der neue Name sollte die Geschichte der Familie wiedergeben. Seine Familie war in den Kreisen der Triaden nicht gerne gesehen. Yi lehnten jegliche Geschäfte mit dem Rauschgift, Menschenhandel oder der Gewalt ab. Das lag in der Familientradition. Sie machte ihre Geschäfte mit Schmuggel, später mit Raubkopien, mit dem Verkauf von Wirtschaftsdaten und Informationen. Letzteres wurde man als Spionage bezeichnen. Yi war die mächtigste aller Triaden, vielleicht eben deshalb, weil sie sich aus dem Rauschgifthandel und den begleitenden Geschäftskriegen heraushielt. Sie ließen jeden in Ruhe, taten keinem Unschuldigen oder Unbeteiligten etwas an, scheuten aber keinerlei Antwort auf Provokationen und Angriffe. Yi schreckten von nichts zurück, um Ihre Interessen zu schützen. Sie war eindeutig die einflussreichste, gefürchtetste und gefährlichste Triade, hatte die schlagkräftigste Armee. Yi wussten was sie dem weißen haarigen Geist und seinen Nachfolgern schuldeten: Alles was sie hatten, inklusive ihrer Leben, und führten diese alte Tradition aus tiefster Überzeugung fort.

    Anstelle des haarigen Geistes und seines Nachfolgers kam seit Jahren nun dieser Mann, Herr Moureu. Es schien so, als ob jedes Familienoberhaupt seinen eigenen Geist hatte. Herr Yi und seine Familie wickelten mit dem Herrn Moureu Geschäfte ab, ehrbare Geschäfte. Herr Moureu war einer der größten Kunsthändler weltweit, er handelte nicht mit Masse, sondern mit Klasse. Wenige, gute und ausgesuchte Stücke brachten unvorstellbares Vermögen ein. Herr Yi wusste genau, was Herr Moureu versilbern konnte und was seine Kunden wünschten, daher sammelten und kauften die Leute von Herrn Yi diesbezüglich alles auf woran sie kamen. Herr Moureu suchte dann die für ihn interessanteste Stücke aus und nahm sie mit. Es wurde nie darüber gesprochen was das eine oder andere Teil kostete, einbringen könnte, oder was es erzielen sollte. Herr Moureu nahm es einfach mit, später kam auf eines der Schweizer Konten vom Herrn Yi die Überweisung. Die Bezahlung war unvorstellbar, fürstlich. Am Anfang dachte Herr Yi, Herr Moureu wird in kürzester Zeit pleite sein. Dem war aber nicht so, Millionen und Abermillionen flossen.

    Er wusste Bescheid, wer dieser Herr war. Herr Moureu hatte ausgezeichnete Verbindungen nach China. Familie Yi hatte noch nie irgendwelche Probleme mit der Volksrepublik China gehabt, unterhielten dort viele Fabriken, Unternehmen, behandelten ihre Leute gut, zahlten Steuern, Gebühren, das übliche Schmiergeld. Alle waren zufrieden. Sogar die chinesische Regierung war mit den Geschäften und den Vorteilen für das Land zufrieden. Was aber Herr Yi nicht wusste, ein Teil der Antiquitäten wurde von Moureu nach China zurückgeschickt. Es waren die Stücke, welche aus den Museen und der Grabstätten bereits vorher entwendet wurden, oder unbekannte Stücke, welche nach Jahrhunderten und Jahrtausenden auf einmal und plötzlich auftauchten. Alle Kostbarkeiten, welche Moureu nach China zurück schickte, wurden den offiziellen Stellen übergeben. Es waren Gegenstände von nationalem Interesse, das Kulturgut des Landes, die Essenz des Daseins. Moureu schickte die Antiquitäten nach China als Geschenk, er hatte von der Regierung nie etwas verlangt oder erwartet. Er war ein Teil des Landes, hatte im Land der Väter eine besondere Stellung: Er und seinesgleichen müssten nicht verlangen, fragen oder bitten, sie bekamen es. Moureu gehörte der Regierung an.

    Herr Yi dachte an seine Jugendjahre, als die Familie aus Singapur nach Hongkong kam. Zuerst lebten sie auf mehreren Booten. Kurz nach dem Tod seines Großvaters zog die Familie aufs Festland. Eine Woche, nachdem der Vater starb, bezog Herr Yi das fertige Hochhaus. Der Vater hatte das leider nicht mehr erlebt. Eine einzige Woche, das Schicksal war unerbittlich, gönnte es dem Vater ebenso wenig wie dem Großvater. Herr Yi hatte die letzten drei Etagen extra für die Familie entworfen und nach eigener Vorstellung bauen lassen. Über eintausend Quadratmeter pro Etage. Der Eingang in die Festung war in der untersten Etage, nur von dort kam man weiter, entweder über der Treppe, oder mit einem der drei internen Aufzüge. Im untersten Bereich waren die Empfangsräume und die Küche, in der mittleren Etage die Arbeitsräume. Die oberste Etage war das private Reich des Herrn Yi und seiner Nächsten. Auf dem Dach protzte ein verglaster Swimmingpool, Terrasse mit Hubschrauberlandeplatz und dazugehöriger Halle. In der Stadt war der Hubschrauberflug seit Jahren eingeschränkt, es gab keine Genehmigungen für Landeplätze, die vorhandenen wurden zum größten Teil stillgelegt. Das galt aber nicht für den Herrn Yi. Es gab noch andere Fluchtwege, zwei geheime Aufzüge bis in die Tiefgarage, aus welcher ein Gang in die Tunnels der Versorgungsschächte der Stadt führte.

    Er fragte sich, als er noch jung und kein Oberhaupt war, was dahinter steckte, hinter der Macht von Moureu und der Geister der Familie. Von seinem sterbenden Vater erfuhr er die Wahrheit, sie übertraf alle seine Vorstellungen. Herr Yi wurde, ohne mit der Wimper zu zucken, für den Herrn Moureu sterben. Sofort … an Ort und Stelle.

    Herr Moureu und Herr Yi unterhielten sich eine Weile, sprachen über die Familie, Kinder, Geschäfte, tranken Tee. Wenn sie alleine waren, sprachen sie sich per du an, aber sobald jemand in der Nähe war, waren sie wieder per Sie. Nach außen sollten der Abstand und der Respekt gewahrt bleiben.

    Letzter Ausweg

    Das Lämpchen an einem der Tische leuchtete auf, kaum feststellbares Summen war zu hören. Herr Yi drückte auf einen versteckten Knopf am Tisch neben ihm, das pulsierende Lichtchen erlosch, Alarmsummen verstummte, worauf die Tür zum Arbeitsraum aufging und ein ziemlich aufgeregter junger Mann erschien. Er blieb vor den sitzenden Herren stehen, verbeugte und entschuldigte sich mehrmals für die Störung, beugte sich zum Herrn Yi und wollte gerade etwas sagen. Herr Yi winkte ihn mit der Hand ab, sein Gesicht wurde krebsrot.

    »Es gibt keinen Grund vor dem Gast der Familie zu flüstern! Das hat und wird es nie geben. Das ist eine Beleidigung, du Tölpel!«, sagte Herr Yi vorwurfsvoll.

    Der junge Mann war offensichtlich beschämt und antwortete sofort mit lauter Stimme:

    »Ein Besucher bittet um Empfang, er sagte, er wäre ein Vertreter der chinesischen Regierung. Er möchte unseren Gast sprechen. Wir halten ihn unten

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