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Dämon der Spiegelkrieger: Spiegelkrieger-Trilogie Band III
Dämon der Spiegelkrieger: Spiegelkrieger-Trilogie Band III
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eBook539 Seiten7 Stunden

Dämon der Spiegelkrieger: Spiegelkrieger-Trilogie Band III

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Über dieses E-Book

Seine Armee ist pervertiert.
Aus Spiegelkriegern werden Dämonen.
Sie kennen weder Heimat noch Gnade.
Nur ein Bündnis kann sie aufhalten.

Das Kind des pictischen Druiden und der ehemaligen Römerin ist der dunklen Macht der Tafel verfallen. Aus dem Kind wird ein Dämon, der sich nicht mit Britannien zufrieden geben will. Seine Rache- und Eroberungsgelüste führen nach Rom ...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Jan. 2016
ISBN9783738053647
Dämon der Spiegelkrieger: Spiegelkrieger-Trilogie Band III

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    Buchvorschau

    Dämon der Spiegelkrieger - Werner Karl

    Vorwort

    Früher oder später wird jedem Autor die Frage gestellt, woher er seine Ideen nimmt und was er bei Schreibblockaden macht. Sicher hat jeder seine eigenen Methoden, um mit Letzterem umzugehen. Ich pflege hier verschiedene Tricks und einer davon ist folgender: Ich bin fasziniert von Nebel. Er hat zugleich etwas Romantisches, Geheimnisvolles, Mystisches, Bedrohliches und noch viel mehr. Nebel ist wahrlich ein flüchtiger Deckmantel für allerlei Geheimnisse, die sich dahinter verbergen und nur darauf zu warten scheinen, dass er sich lüftet … oder sie sich langsam aus ihm herausbewegen.

    Immer dann, wenn ich im Schreiben innehalten muss – und das kommt gottlob nur sehr selten vor -, stelle ich mir dichten Nebel vor. Ich schließe die Augen und schon wallt er langsam auf. Schemen bilden sich, vage Bewegungen sind mehr zu erahnen als zu sehen. Und dann schälen sich allmählich Wesen hervor. Je nach Stimmung, Tageslicht und realer oder imaginärer Umgebung entsteht daraus eine Szene, die ich nur noch niederschreiben muss.

    Natürlich gibt es außer Nebel noch andere Methoden, um über leere Blätter zu siegen. Aber die mit Nebel ist für mich die Schönste.

    Werner Karl, 2015

    Kapitel I

    A. D. 194, Dezember

    Der Gefangene

    Es war dunkel und jegliches Gefühl für Zeit war Cumail längst verloren gegangen. Zu Beginn seiner Gefangenschaft hatte er noch versucht, die Tage mittels in die Wand geritzter Striche zu zählen. Aber seine Kerkermeister nahmen ihm alles weg, was dazu dienlich sein konnte, kaum dass sie Cumails Markierungen entdeckten. Auch die Abstände, in denen man ihm Wasser und Dinge brachte, die er essen sollte - zu Beginn seines Aufenthaltes aber nicht hinunterbrachte -, halfen ihm nicht, die verstrichene Zeit zu messen. Mit perfidem Vergnügen kamen seine Wächter zu den unterschiedlichsten Zeiten und warfen ihm das Essen vor die Füße. Mittlerweile aß er auch das, was er auf Ynys Môn niemals über die Lippen gebracht hätte. Trotzdem litt er ständig Hunger. Lediglich den Krug mit Wasser stellten sie ab. Widerwillig wie ihm schien. Mehr als einmal stieß einer der Wächter ganz zufällig dagegen und er musste zu dem Krug eilen, um wenigstens den Rest zu retten, der sich noch darin befand.

    Cumail verfluchte sich, dass er so dumm gewesen war zu glauben, er könne aus dem Sohn der Königin einen anständigen Picten machen. Ein wenig tröstete ihn der Gedanke, dass er nicht der einzige Druide war, der sich etwas vorgemacht hatte. Jahrelang hatte er mit bewundernswerter Geduld die ständigen Obszönitäten ignoriert, die ihm sein Schüler an den Kopf geworfen hatte. Auf Beleidigungen antwortete er mit Wissen, höhnisches Gelächter erwiderte er mit leiser, betonter Stimme und bösartiges Grinsen vergalt er mit freundlichen Worten. In all den Stunden seiner Lehrtätigkeit war er immer zu der Einsicht gelangt, dass sein Schüler jedes seiner Worte aufsog wie trockener Boden die lang ersehnten Regentropfen. Das Gesicht seines Schülers mochte bei aller äußerlichen Schönheit noch so abstoßend verzerrt gewesen sein, die Augen jedoch ließen eine unendliche Neugier und permanente Wachsamkeit erkennen, die ihn erfreute und erschreckten zugleich.

    In Diskussionen mit Yan mac Ruith und Púca wurde lange darüber debattiert, wo sie die Grenze ziehen sollten zwischen dem Wissen, dass sie Brannon mac Ruith, ihrem Schutzbefohlenen, angedeihen lassen wollten und dem Wissen, dass er nie erfahren durfte. In vielen Details waren sie sich uneins gewesen und stets hatte am Ende Yan mac Ruith, der Vaterbruder Brannons, entschieden. Doch in einem Punkt waren sich alle Druiden einig gewesen:

    Brannon mac Ruith durfte niemals erfahren, dass sein Vater ein Druide gewesen war und seine Mutter die aktuelle Königin aller Cruithin.

    Und kein einziges Wort über die Tafel.

    Niemand von ihnen ahnte damals, dass er dieses Wissen längst besaß.

    Cumail wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war, als man ihn wieder einmal aus dem Schlaf riss, mit harten Griffen auf die Beine half und ihm die Augen verband. Sie kamen immer zu dritt und er fühlte sich durch diese Zahl tatsächlich geschmeichelt. Zeigte es ihm doch, dass sie es immer noch für nötig befanden, einem alten Druiden wenigstens drei ausgewachsene Krieger gegenüberzustellen. Natürlich war er längst so abgemagert und entkräftet, dass auch ein einziger Krieger vollauf genügt hätte, um ihn zu bändigen.

    Er lachte bei diesem Gedanken auf und dachte an die Zeiten zurück, als die zehnfache Menge an Kriegern nicht ausgereicht hätte, um ihn und seine Kräfte auszuschalten. Doch die miserable Ernährung, die ständige Kälte, der Hunger und nicht zuletzt die Folterungen machten aus ihm ein wandelndes Skelett. Der unregelmäßige Schlaf, ständig unterbrochen und die fast permanente Dunkelheit zehrten an seinen inneren Kräften und verweigerten ihm jedweden Zugriff auf druidisches Wissen und die dafür zwingend notwendige Konzentration. Er fühlte sich wie ein leerer Eimer, der sich daran erinnerte, wie es einmal war, mit frischem Wasser bis an den Rand gefüllt zu sein. Im Grunde sehnte er sich längst nach dem Tod. Seine lang gehegte Ahnung wurde von Tag zu Tag stärker, dass es ein Gnadenakt wäre, würde er einfach an Entkräftung sterben und zu Boden stürzen. Doch genauso ahnte er, dass ihm diese Gnade vorenthalten bleiben würde.

    Wie sehr habe ich versagt?, dachte er und nahm den Schlag des Wärters hin, der sein Auflachen missverstand.

    »Halt´s Maul, alter Sack!«

    Er kannte längst den Weg zu der Kammer, in der ihn Brannon verhören würde. Oder auch Alain, dessen Sklave. Mit Schock und allergrößter Bitterkeit hatte Cumail reagiert, als er in einer der Stimmen seiner Bewacher die des Sohnes von Fionnghal mac Carnonacae, des Fürsten des Bärenclans, erkannt hatte. Er fragte sich ununterbrochen, wie es Brannon geschafft hatte, aus diesem Bär von einem Mann einen gehorsamen Schoßhund zu machen. Es erschreckte ihn, dass ein Mann, nein, im Grunde ein Kind - ohne jegliche druidische Ausbildung - sich eines ausgewachsenen Pictenkriegers bemächtigen konnte.

    Seine Gedanken wurden von der Erkenntnis unterbrochen, dass sie nicht den üblichen Weg nahmen. Anstelle zwei Mal links, dann geradeaus und anschließend rechts abzubiegen, waren sie nur einmal links, dann geradeaus und wieder links gelaufen. Er erhielt mit einem erneuten unerwarteten Richtungswechsel die Bestätigung, dass sie tatsächlich nicht den üblichen Verhörraum zum Ziel hatten, als ihm klar wurde, was das bedeuten konnte.

    Heute werde ich sterben.

    Ein Teil von ihm erschrak. Die Furcht vor Schmerzen schwappte an die Oberfläche seines Bewusstseins, sodass er strauchelte und ihm die Gänsehaut aufsteigen ließ. Ein anderer Teil begrüßte sein kommendes Ende mit Erleichterung.

    »Reiß dich zusammen!«, fuhr ihn einer der Männer an und schlug ihm die Faust in den Rücken. Er torkelte blind durch den Gang und musste sich mit den Händen an den rauen Wänden abfangen. Schon einmal hatte er versäumt, sich vor den nur sehr grob behauenen Steinen zu schützen und sich das Gesicht daran aufgerissen. Die Wunde hatte lange geblutet, blieb natürlich unbehandelt und war sogar jetzt noch nicht richtig verheilt.

    Wahrscheinlich bleibt mir nicht mehr die Zeit, dass sie sich wieder schließt, dachte er und wurde von einem anderen Mann am Genick gepackt und nach vorn gestoßen.

    »Bleib dort stehen!«

    Er befolgte den Befehl und hörte mit einem dumpfen Schlag eine offensichtlich massive Tür hinter sich zufallen. Die Schritte seiner Eskorte entfernten sich und Cumail stand ein wenig zittrig in einem kalten Raum. Zumindest vermutete er, dass es ein Raum war, denn die Geräusche seiner Bewegungen wurden von nahestehenden Wänden zurückgeworfen. Er hatte schon immer ein ausgezeichnetes Gehör besessen.

    Eine kleine Zelle ...

    Als einige Zeit nichts geschah, wagte er es, eine Hand an die Binde zu heben, die man ihm über die Augen gebunden hatte. Fast zögerlich berührte er das dreckige Gewebe.

    »Nur zu, Cumail«, drang die Stimme Brannon mac Ruiths plötzlich auf. Cumail hasste diesen süßlichen Ton.

    Glaubt er, mich damit einlullen zu können?, dachte er und schob den einfachen aber dicht gewebten Stoff von den Augen. Doch es blieb dunkel. Er ließ die Binde einfach fallen und hob den Kopf. Konnte es sein, dass die Stimme seines obersten Wärters ein wenig von oberhalb gekommen war? Cumail hob den Kopf etwas höher und drehte ihn nach links und rechts.

    »Streng dich nicht an, alter Mann, ich bin hier«, kam es im gleichen Tonfall von rechts über ihm.

    Cumail blinzelte in diese Richtung und konnte immer noch nichts sehen.

    Mein Augenlicht ist trotz meines Alters noch sehr gut und bei den bisherigen Folterungen hat man fast peinlich darauf geachtet, dass meine Augen unversehrt blieben.

    Nicht das Cumail sich über dieses Vorgehen beschwert hätte. Aber es war ihm klar, dass Brannon eine entsprechende Anweisung ausgegeben und er die Verschonung der Augen aus einem ganz bestimmten Grund befohlen hatte.

    Er will mir etwas zeigen oder mich mit dem Anblick von etwas gänzlich Schrecklichem besonders quälen. Nur mit was?

    Plötzlich wurde eine Kerze entzündet und ihre kleine Flamme erschien ihm wie ein glühendes Eisen, das in seine Augen stach. Sofort schloss er die Lider und erinnerte sich nur zu gut echter erhitzter Eisen, die man ihm mehrfach in die Haut gedrückt hatte. Es erstaunte ihn noch jetzt, dass er diese Marter lediglich mit grässlichen Schreien und Herzrasen überstanden hatte und nicht zusammengebrochen oder einfach gestorben war.

    Die Kunst des Foltermeisters ist es, das Opfer so lange am Leben zu lassen, wie es ihm befohlen wurde. Oder bis man jede Information aus ihm herausgepresst hatte, die man haben wollte.

    »Soll ich die Kerze wieder löschen, Cumail?«, kam es von oben und der Angesprochene empfand die gespielte Besorgnis genauso abstoßend wie diese ekelhafte Süße in Brannons Stimme. Er erwiderte nichts auf die Frage, sondern senkte einfach den Arm, den er zusätzlich vors Gesicht gehoben hatte. Er blinzelte ein paar Mal, dann konnte er das Licht der Kerze ertragen, ohne weiße Flecke auf seiner Netzhaut tanzen zu sehen.

    »Du fragst dich sicherlich, warum du heute in diesem Raum befragt wirst und nicht in deiner gewohnten Zelle.«

    Als ob man sich an Folter gewöhnen könnte, dachte der Druide und sah sich in der Kammer um. Alle vier Wände des rechteckigen Raumes waren mit Regalen bedeckt, nur von der massiven Tür unterbrochen. Doch in den Regalen stand kein einziger Gegenstand, außerdem waren die Bretter nach vorn mit dichten Gittern versehen.

    Was soll ein Regal, in das man nicht hineingreifen kann, um dessen Inhalt in die Hand zu nehmen? Und als Schutz für wertvolle Gegenstände scheint mir der ganze Raum nicht gedacht, überlegte er und versuchte die weiteren Worte Brannons von sich zu drängen. Gänzlich unhörbar machen konnte er sie leider nicht.

    »Weißt du, Cumail, heute ist ein besonderer Tag«, schwatzte die klebrige Stimme weiter. »Ich habe die Zeit mir dir genossen, wirklich. Und ich bin dir sogar dankbar für deine Ausbildung.«

    Oh ja, zuckte es durch Cumails Kopf und beinahe hätte er seine Nichtbeachtung seines Gastgebers fallen lassen. Wie falsch lagen wir? Wir dachten, dass man mit Lehre und Wissen einen verderbten Geist heilen könnte. Nun haben wir aus einem dummen Mörder einen gelehrten Mörder gemacht!

    »Ich habe mich entschlossen, deinen Aufenthalt hier zu beenden.«

    Cumails Kopf ruckte nach oben und im gleichen Augenblick ärgerte er sich, dass er sich nicht besser in der Gewalt hatte. Seine Wut auf sich selbst half ihm jedoch den Anblick zu ertragen, den er im schwachen Licht der einzigen Kerze deutlicher sah, als ihm lieb war.

    Brannon stand an der Kante einer der Wände, die sich nun als Bestandteil einer kleinen Grube erwiesen. Mit einem schnellen Blick erkannte Cumail, dass die Grube die Mitte eines größeren Raumes darstellte.

    Wie eine Galerie mit Sitzplätzen für Zuschauer, zuckte es durch sein Hirn. Er will meinen Tod zu einem Schauspiel machen. Genügt es ihm nicht mehr, sich selbst an Perversitäten zu ergötzen? Braucht er nun schon ein Publikum um sich zu erhöhen?

    Aber außer Brannon schien sich niemand weiter auf der Galerie aufzuhalten. Vielleicht standen sie aber auch reglos im Schatten und würden erst zu Beginn der Folter nach vorne treten. Cumail verlegte sich wieder auf die Musterung der Grube, in der er stand.

    Der Boden war festgetretene Erde, durchsetzt mit kleinen Steinchen und allerlei Flecken, von denen er überzeugt war, dass sie getrocknetes Blut waren. Die Gitter überzogen tatsächlich alle Wände. Nun, da er genauer hinsah, sah er an manchen Stellen kleine Scharniere, die jeweils einen handgroßen Teil der Gitter in kleine Öffnungen verwandelte. Wieder kam ihm die ganze Konstruktion sehr befremdlich vor. Er konnte sich keinen Zweck vorstellen, der Öffnungen erklärte, die einen begrenzten Zugriff – auch mit dünnen Armen – in die Regale erforderte.

    »Ich sehe, du machst dir Gedanken um mein kleines Spielzeug hier.«

    Hätte Cumail irgendeinen Gegenstand besessen, hätte er ihn mit aller verbliebenen Kraft der Quelle der pappig-ätzenden Stimme entgegengeschleudert. Stattdessen hob er den Kopf und blickte seinem Widersacher endlich in die Augen.

    »Ich bin nicht zu Spielen aufgelegt, Jungchen!«, donnerte er. »Sag, was du sagen musst und dann mach ein Ende. Von mir wirst du niemals das Versteck der Tafel erfahren.«

    Dabei musste er sich wirklich zusammenreißen, um den Anblick des jungen Mannes zu ertragen, zu dem Brannon geworden war: mindestens zwei Meter groß, wenn nicht sogar ein wenig mehr. Dabei nach dem Alter immer noch ein Jüngling von nicht einmal 14 Jahren!

    Ein blutjunger Dämon im Körper eines erwachsenen Mannes.

    Cumail fand immer noch keine Erklärung für dieses enorm beschleunigte Wachstum. Alle, die Königin, ihr Schwager und der gesamte Druidenorden auf Ynys Môn, rätselten seit Brannons Geburt über dessen rapide Entwicklung. Und was sie alle noch mehr erschreckte, war die unverhohlene Bosheit, Aggressivität und Perversion des Jungen. Cumail schüttelte - wie er glaubte unmerklich - den Kopf, aber Brannon sah die Bewegung sehr wohl.

    »Schüttelt es dich bei meinem Anblick? Gefällt dir etwa meine neue Haut nicht?«, sagte er provozierend und bewegte seine Arme in den Lichtschein der Kerze.

    Cumail fühlte weiteren Ekel in sich aufsteigen, als er die Haut- und Fellfetzen an Brannon kleben sah. Plötzlich nahm er den Geruch frischen Blutes wahr, der durch die Bewegung scheinbar zu ihm herunterdringen konnte. Die meisten Teile waren Stücke von Tieren, doch andere waren eindeutig menschlichen Ursprungs. Als wären sie besondere Trophäen, präsentierte Brannon ihm Hautstücke mit weiblichen Brustwarzen, die nun seine starken Oberarmmuskeln zierten. Auf seiner breiten Brust pappten mehrere Nasen und Ohren, großzügig umgeben von der Gesichts- und Kopfhaut der Opfer. Als Cumails Blick auf die Bauchmitte Brannons fiel, würgte er hart. Doch in seinem Magen befand sich nichts, was er hätte herauskotzen können. Der Anblick sich in raschem Takt vor- und zurückziehender Bauchmuskeln - und der darauf mit Blut befestigten Vagina - färbte sein Gesicht grünlich. Er spuckte verächtlich aus und wandte sich ab.

    »Oh, freut dich dieser Anblick nicht?«, höhnte Brannon. »Ich wollte dir zum Schluss eine Freude machen, alter Mann. Ich glaube nämlich, dass es schon sehr lange her ist, seit du eine feuchte Fotze so pulsieren gesehen hast.« Dann wandelte sich die süße Stimme plötzlich in ein eiskaltes Knirschen.

    »Oh doch, du wirst mir das Versteck der Tafel verraten, alter Mann. Ich habe viele Freunde, die mir dabei behilflich sein werden. Und ein paar – zumindest am Anfang – wirst du sogleich kennenlernen.«

    Mit einer raschen Bewegung löschte Brannon das spärliche Licht der Kerze und nur Augenblicke später knirschte es metallisch an mehreren Stellen rings um Cumail.

    Die Scharniere, blitzte es durch den Druiden.

    Dann hörte Cumail zunächst ein leises Fiepen, gefolgt von zwei, drei antwortenden Pfiffen. Und bald darauf das leise Rascheln und Trappeln vieler Füße. Mit einem Mal war Cumail klar, wofür die vergitterten Regale dienten.

    Es waren Lauframpen.

    Sie dienten allzu bekannten Tieren, die nun auf ihn zu rannten.

    Ratten.

    Kapitel II

    A. D. 195, Januar

    Die Hüter des Steins

    Yan mac Ruith führte die kleine Gruppe Druiden an, die wortlos durch den Wald schritt. Weit hinter ihnen sorgte eine große Abteilung Pictenkrieger dafür, dass niemand den Männern folgen konnte. Es war noch früh am Morgen und die Fünf schienen froh, den kalten Wind mit dem Eintreten in den Wald hinter sich lassen zu können. Zwar stand die Sonne schon ein Stück über dem Horizont und der Himmel war wolkenfrei - was selten genug vorkam -, doch ohne die reflektierende Wirkung des Schnees hätten sie sich schwerer getan, ihren Weg zu finden. Sie marschierten in einer Reihe und nicht umsonst stapfte der Kräftigste von ihnen voran, um den anderen in der wadenhohen Schneedecke eine bequeme Spur vorzutreten.

    Cathbad und Miach waren einige Jahre älter als Yan. Ersterer war klein und ein wenig füllig um die Hüften. Letzterer genauso groß wie ihr Anführer, aber eher das, was man als dürren Pfahl bezeichnen könnte.

    Die Frau zwischen ihnen wirkte daher wie ein doppelter Kontrast mit ihrer perfekten Figur und eben der Tatsache, dass sie eine Frau war. Airmed war nur zu gut bewusst, welche Ausnahme sie darstellte: Eine der wenigen Druidenfrauen zu sein und dazu zum erlauchten Kreis der Hüter des Steins zu zählen.

    Der letzte Druide in der Reihe war Gwyddyon. Noch recht jung an Jahren, gerade einmal 17, doch unter den Adepten des gesamten Ordens schon jetzt ein herausragender Kandidat für besondere Aufgaben.

    Yan mac Ruith hätte Gwyddyon gerne noch einige Jahre der Ausbildung gegönnt - und nach der vor ihnen stehenden Aufgabe würde er persönlich dessen weitere Schulung übernehmen. Aber der vermutliche Verlust eines früheren Mitgliedes der Hüter zwang ihn dazu, Gwyddyon vorzeitig in diesen Kreis aufzunehmen. Der Gedanke an den immer noch verschwundenen Cumail verfinsterte Yans Gesicht noch mehr und er beschleunigte seine Schritte.

    Unangenehme Dinge sollte man nicht vor sich herschieben.

    Yan hatte nach Sétantas Tod – und damit den Besitz des Steins – den Jahresbeginn als Zeitpunkt für ein Ritual gewählt, dass sie nun schon zehn Mal vollzogen hatten. Und genauso oft gescheitert waren.

    Der Stein mit dem Rezept des Bluttrankes – die Unheilige Tafel, wie er von allen Druiden mittlerweile genannt wurde – musste vernichtet werden. Solange er mit der Kraft vergossenen Blutes förmlich mit Macht vollgesogen war, war er schier unzerstörbar. Die scheinbar einzige Methode, ihn vernichten zu können, bestand darin, dass der Stein ausgehungert wurde. Wenn ihm nicht mit neu vergossenem Blut seine Kraft und Macht erhalten blieben, sondern er verdorrte, wie ein Grashalm unter sengender Sonne.

    Zehn Jahre!, dachte Yan und seine Miene wurde um einige Stufen dunkler, als sie ohnehin schon war. Zehn Jahre ist er nun in unserem Besitz. Seit dieser Zeit wurde kein einziger Trank gebraut, kein einziges Mal die verdammten Worte gesprochen, kein einziger neuer Spiegelkrieger erweckt. Ein alter, aber nichtsdestotrotz angenehmer Gedanke, ließ ihn seinen mürrischen Ausdruck ein wenig milder werden, obwohl niemand seiner Gefährten die Auflockerung seines Gesichtes sehen konnte. Kein feindlicher Römer hält sich mehr in Breith auf. Wir haben keinen weiteren Bedarf an unheimlichen Kriegern.

    »Von denen wir aber noch Tausende haben«, murmelte er leise.

    Cathbad hatte angehalten und einen Schluck aus seinem Wasserschlauch genommen. Airmed schritt an ihm vorbei, lief nun direkt hinter Yan und bemühte sich, in seine Spuren zu treten. Sein leises Gemurmel war ihr nicht entgangen.

    »Was sagst du, Meister?« Ihre Stimme war dunkel wie ihr Haar, ein sattes tiefes Rot, dass Yan immer an kräftigen Rotwein erinnerte.

    »Wir sind gleich da«, versuchte er abzulenken.

    »Ich weiß, ich war schon einige Male hier«, antwortete sie ruhig.

    Yan fragte sich wie jedes Mal bei solchen Märschen, ob seine Entscheidung richtig war. Die ersten Jahre hatten Púca, Cumail, Cathbad, Miach und er die fünf Hüter gestellt. Doch ihre fehlgeschlagenen Versuche hatten ihn zur Einsicht gebracht, dass es vielleicht gut wäre, ab und an andere Druiden einzuweihen und sie ihr Glück versuchen zu lassen.

    Mehr Köpfe haben mehr Ideen.

    Außerdem wollte er die Tatsache der tödlichen Wirkung der Unheiligen Tafel unter allen Druiden verbreiten. Die Gefahr, dass wieder einer von ihnen – so wie Sétanta und schlussendlich auch Túan – der Macht des Steines erliegen könnte, sah er wohl. Gleichzeitig hoffte er, dass die Nichtbenutzung und auch der fehlende körperliche Kontakt einen ausreichenden Schutz darstellten.

    Mehr unbewusst, vielleicht auch wegen einiger vertrauter Wegmarken, hob er den Kopf und sah, dass sie ihr Ziel erreicht hatten.

    Der Eingang zu einem weitverzweigten Höhlensystem lag vor ihnen. Der Berg und die Höhlen waren den Cruithin seit Generationen bekannt. Doch Yan war sich sicher, dass niemand das gesamte Ganggeflecht erkundet hatte und jede einzelne Abzweigung im Gedächtnis behalten konnte. Er selbst hatte damals Wochen damit verbracht, einen dünnen, ständig abfallenden Spalt zu erforschen, der keinerlei Spuren von Menschen oder größeren Tieren gezeigt hatte. Bei seiner ersten Begehung hätte er im Licht der rauchenden Fackel beinahe übersehen, dass das scheinbare Ende des Ganges keine Sackgasse bildete, sondern einen sehr scharfen Knick, den man leicht für einen gezackten Vorsprung halten konnte. Jeder arglose Mensch hätte kehrt gemacht und sich die letzten Meter des offensichtlich blinden Ganges erspart. Doch Yan hatte sich die Mühe gemacht und war die kurze Strecke gegangen. Um dann umso überraschter zu sein, als ein starker Luftzug seine Fackel beinahe gelöscht hätte.

    Nun schritten sie in diesen Berg hinein und orientierten sich an geheimen Wegmarken, die für Uneingeweihte wie Fledermauskot aussahen, in Wahrheit aber von den Hütern stammten. Mehr als einmal mussten sie anhalten und mit ihren Fackeln nah an die Zeichen herangehen, um sie selbst von echter Tierlosung unterscheiden zu können.

    War es draußen schon kalt gewesen, so war die Kälte im Berg noch viel eisiger.

    Gut, dachte Yan, vielleicht wird dann Gwyddyons Idee umso besser funktionieren.

    Er hoffte, dass das Holz, das sie über viele Tage in die Höhlen geschleppt hatten, immer noch trocken war und gut brennen würde. Sie marschierten fast eine Stunde, bis sie den schmalen Gang erreichten und eine weitere Stunde, bis dieser sie in eine flache, aber weite Höhle entließ, in der die Holzstapel unberührt bereitlagen.

    Cathbad und Miach schienen seine Sorge stumm geteilt zu haben, denn sie gingen jeweils auf einen Stapel zu und griffen zwischen die Stämme. Mehrmals wiederholten sie ihre Prüfung und richteten sich dann mit zufriedenen Gesten auf. Ihre Gesichter konnte Yan im Licht der beiden Fackeln, von denen eine er und die andere Gwyddyon trug, nicht besonders gut erkennen.

    »Das Holz ist trocken wie Zunder, Meister«, sagte Cathbad.

    »Dieser Ort ist wie geschaffen für unser Vorhaben«, bestätigte Miach und sog die trockene Luft ein. »Dieser Teil des Berges muss von verschiedenen Seiten frische Luft erhalten. Die sonst übliche Feuchtigkeit von Höhlen fehlt hier völlig.« Er wandte sich um und wies in Richtung des unterirdischen kleinen Flusslaufes, der in der Nähe rauschte.

    »Selbst dieses Wasser kann der Trockenheit hier nichts anhaben.«

    Er ging die rund fünfzig Schritte zum Durchgang der Haupthöhle. Fast schien er gehemmt, seine kräftigen Füße an den Ort zu bewegen, in dem die Unheilige Tafel auf ihre nächste Prüfung wartete.

    Yan folgte Miach und trat an dessen Seite. Beide blickten im wechselhaften Schein seiner Fackel auf die kleine Erhebung, auf der der Stein ruhte. Für einige Zeit sagten sie nichts und hörten nur die drei anderen hinter ihnen die letzten Vorbereitungen treffen. Ihre leisen Geräusche kündeten von deren Gefühlen, die sie diesem Ort, dem Stein und ihrer Aufgabe entgegenbrachten.

    »Nun, es wird Zeit«, sagte Yan mac Ruith und klopfte Miach auf die Schulter. »Wollen wir den anderen nicht die ganze Arbeit überlassen, mein Freund.«

    Miach nickte nur und sie wandten sich den anderen zu. Diese hatten bereits Öl und trockene Fetzen, die sie aus ihrem Gepäck genommen hatten, in und um den größten Holzstapel geschüttet, bzw. gesteckt. Eine zufällige Steinformation bildete drei schiefe aber gangbare Stufen, mit deren Hilfe man an die Oberseite des Stapels gelangen konnte.

    Yan wandte sich dem hölzernen Wasserlauf zu, der die fünfzig Schritte zur Haupthöhle und noch weiter zum Fluss überbrückte. Er prüfte noch einmal das Gefälle und die Verbindungen von Brett zu Brett. Sicher waren sie nicht völlig dicht, aber dicht genug, um die Masse des eiskalten Wassers ohne große Verluste transportieren zu können. Und vor allem schnell genug.

    Noch ist es nicht soweit, dachte er und ermahnte sich selbst zur Geduld. Es hat keinen Sinn, das Wasser frühzeitig fließen zu lassen.

    Dann seufzte er und drehte sich seinen Begleitern zu. Sie alle waren mit ihren Arbeiten fertig und warteten ruhig auf seine Anweisungen. Mit übermäßiger Sorgfalt überreichte ihm Airmed zwei lederne Handschuhe, deren Handflächen dicht mit Metalldornen versehen waren. Nach dem dritten Jahr – und dritten Misserfolg – hatte Púca den Vorschlag gemacht, fortan jeden körperlichen Kontakt zu der Tafel zu vermeiden. Dies bedingte die Benutzung irgendeiner entsprechenden Vorrichtung und diese speziell dafür gefertigten Handschuhe erschienen allen als die praktischste Lösung. Yan zog sie an und gleichzeitig kam ihm der Gedanke, dass sie perfekt für seine Hände gemacht waren. Für alle anderen wären sie entweder zu groß oder zu klein gewesen.

    Es ist meine Aufgabe, den Stein zu bewegen. Wenn ich von dieser Welt gehe ohne meine Aufgabe erfüllt zu haben, wird mein Nachfolger eigene brauchen.

    Wieder seufzte er leise und schritt dann entschlossen in die Haupthöhle. Nur einen Lidschlag zögerte er, bis er mit festem Griff die Tafel nahm und zurück zum Holzstapel schleppte. Die anderen rückten in alle Himmelsrichtungen auseinander, als er die wenigen Stufen nach oben nahm und den Stein in die Mitte des Scheiterhaufens platzierte. Er rückte den Stein fest und stieg dann wieder hinunter.

    Wenn das Holz um ihn verbrennt, bleibt er auf dem abgebrochenen Sockel liegen. Die Flammen werden um ihn lodern und ständig von uns mit neuem Holz genährt werden. Wir brauchen so viel Hitze wie nur möglich, wenn wir Erfolg haben wollen.

    »Gwyddyon«, rief er verhalten und winkte den jungen Druiden zu sich. »Es ist deine Idee und ich halte sie für sehr hoffnungsvoll. Es ist also dein Anrecht, das Holz zu entzünden«, forderte er ihn auf.

    Der Adept warf einen Blick auf die Tafel, die nur mit ihrer Kante zu sehen war und plötzlich hatte Yan den Eindruck, als zögere der junge Druide. Tatsächlich senkte Gwyddyon die Hand mit der Fackel und trat sogar einige Schritte zurück!

    Cathbad, Airmed und Miach gaben erstaunte Laute von sich, sagten aber nichts.

    Auch Yan mac Ruith blieb still, beobachtete aber genau Gwyddyons Augen.

    »Meister«, begann dieser leise und zeigte dabei einen fast schon verzweifelten Ausdruck in den Augen, »ich weiß, die Tafel hat fürchterliche Dinge ausgelöst und viele Menschen mussten wegen ihr sterben, aber …« Er blickte zu den drei anderen und schien sie um Beistand bitten zu wollen, doch keiner gab auch nur einen Laut von sich. »Aber ohne ihre Hilfe würden jetzt noch immer die Römer unser Land in großen Teilen beherrschen.« Er blickte wieder zu Yan und schien ihn um Verzeihung bitten zu wollen. »Aber sie ist auch eine mächtige Waffe! Können wir es uns leisten, auf sie für alle Zeiten zu verzichten … und sie unseren Nachfahren vorenthalten? Auch wenn wir vielleicht nie mehr mit einer römischen Invasion rechnen müssen, so gibt es doch andere Feinde. Und Zeiten, in die wir nicht sehen können.« Seine Stimme war selbstbewusster und sicherer geworden und zu ihrer aller Überraschung lächelte Yan und nickte zaghaft.

    »Diese Fragen habe ich mir schon mein ganzes Leben gestellt, junger Druide«, begann er und bedeutete ihnen allen, sich zu setzen. Er steckte seine Fackel neben sich in einen Riss, setzte sich ebenfalls und Gwyddyon tat es ihm gleich.

    »Es ehrt dich, dass du dir Sorgen um die Zukunft und unsere – auch deine – Nachkommen machst.« Plötzlich verschwand der freundliche Ausdruck in Yans Lächeln und seine übliche Distanziertheit, ja, von Menschen die ihn nicht kannten sogar vermutete Gefühlskälte, erfasste seine Augen. Gepaart mit dem schlechten Licht der kleinen Fackeln wirkte sein Ausdruck bedrohlicher, als er eigentlich war.

    »Cathbad und Miach kennen dies schon, was ich nun auch dir verraten werde. Sogar Airmed hat es schon von mir erfahren. Es schadet aber nichts, wenn wir uns die Tatsachen wieder und wieder vor Augen führen … und konsequent danach handeln!« Seine letzten Worte färbte eine unnachgiebige Härte, die einen wesentlichen Bestandteil seines Charakters ausmachte. Alle wussten dies und werteten es nicht als Zurechtweisung, sondern als wohlgemeinten Rat.

    »Es gab einst einige Druiden, die genau so dachten wie du jetzt … und auch ich.« Überrascht fuhren Cathbad, Miach und Airmed zusammen; dieses Detail hatten auch sie noch nicht gewusst. »Kennaigh – der Meister meines Bruders Túan mac Ruith - brachte die Unheilige Tafel als junger Druide vom Festland auf unsere Insel. Woher er sie hatte, das ist in den Schleiern der Zeit vergessen worden. Im Grunde tut es nichts zur Sache, woher er sie hatte. Einzig wichtig ist zu wissen, dass sie von schwarzen Mächten erschaffen wurde, um die Menschen zu knechten, ihr Blut zu vergießen und für alle Zeiten zu bestehen. Ständig eingesetzt, würde sie die Welt in Finsternis werfen …«

    Er verstummte für einige Momente, als könne er in einer Vision in solch eine erschreckende Epoche blicken. Dann sprach er weiter.

    »Kennaigh setzte die Tafel wohl mindestens einmal, wahrscheinlich eher einige Male ein, um eine römische Legion zu vernichten, die damals Breith bedroht hatte. Die Römer nennen sie noch heute hinter vorgehaltener Hand die verlorene IX. Legion. Währenddessen - oder vielleicht erst danach -, erkannte Kennaigh ihre verhängnisvolle Wirkung auch auf den Besitzer und beschloss, sie nicht mehr einzusetzen. Er spürte am eigenen Leib ihre Macht und hat wohl gerade noch so viel Abstand zu ihr wahren können, dass er weitgehend von ihrem schädlichen Einfluss verschont blieb.« Wieder machte Yan eine Pause und blickte nacheinander allen in die Augen.

    »Ein anderer Druide namens Sétanta«, fuhr er fort, »damals noch ein Freund Kennaighs, sah das anders. Er und Kennaigh gerieten darüber in Streit. Es kam zu einem todernsten Kampf … Druide gegen Druide … bei der Kennaigh mit einer für ihn ungewöhnlichen Aggressivität mit Sétanta um die Tafel kämpfte und sie mit unmenschlicher Kraft an einen Felsen schlug. Trotz dieses wuchtigen Schlages brach nur ein winziger Teil der Tafel ab.«

    Mit einer beiläufigen Bewegung deutete Yan in Richtung der Tafel, die auf dem Holzstapel drohte und jedes seiner Worte aufzusaugen schien. Zumindest kam es ihnen allen so vor, auch wenn niemand ein entsprechendes Wort von sich gab.

    »Die beiden trennten sich im Streit und waren fortan erbitterte Feinde. Um die Tafel vor Sétantas Zugriff zu schützen, verließ Kennaigh mit dem Einverständnis des damaligen Oberen den Orden auf Ynys Môn und ging in die einsamste Gegend, die er kannte. Er wählte ein Leben als Eremit, um die Tafel vorsichtig zu erforschen und nach Wegen zu suchen, sie irgendwann zu vernichten. Sétanta jedoch nahm den Splitter an sich und trug ihn von da an als Amulett um seinen Hals.« Yan warf einen düsteren Blick in die Runde und seine Augen leuchteten wie kleine Feuer aus den Höhlen. »Was keine gute Idee war …«

    Für einen Augenblick hatten seine Zuhörer den Eindruck, als schüttele sich ihr Oberhaupt vor Grauen, dann fuhr Yan in seiner Erzählung fort.

    »So klein dieser Splitter auch war, er genügte, um aus einem anständigen Mann, einem Druiden, einen boshaften, gewalttägigen, rücksichtslosen Verbrecher zu machen, der auch vor seinem eigenen Volk keinerlei Skrupel mehr hatte. Sein Leben lang suchte Sétanta nach dem Versteck Kennaighs und der Tafel und fand beide trotzdem nie. In all den Jahren wirkte jedoch das Stück, das er um den Hals trug, auf ihn ein und veränderte schleichend seinen Geist. Seine ursprüngliche Absicht, mit der Tafel und dem Bluttrank eine Armee gegen die Römer aufzustellen, wandelte sich. Er hatte zwar immer noch den Plan eine Armee zu erschaffen, doch sollte diese nun seinen eigenen Zwecken dienen. Zu Sétanta komme ich gleich noch einmal«, fuhr Yan fort und legte eine Hand auf die Schulter Gwyddyons.

    »Dann spielten die Götter oder … andere Mächte dem Schicksal einen Streich. Mein Bruder Túan stieß als Junge zufällig zu Kennaigh und wurde von diesem als sein Schüler aufgenommen. Ich kann nur vermuten, dass Kennaigh ihm nichts von der Tafel und ihren Gefahren erzählte. Vielleicht hielt er ihn noch für zu jung, vielleicht wollte er ihn aber auch nur vor ihr beschützen. Leider verstarb Kennaigh, bevor er seinen Schüler aufklären konnte. Túan fand schließlich in dessen Hinterlassenschaft die Tafel.«

    Sein Blick verdüsterte sich erneut und man sah Yan an, dass er sich wünschte, er wäre Kennaighs Schüler gewesen und hätte die Tafel mit dem Wissen des Ordens behandeln können.

    »Und so wie es Arianrhod uns geschildert hat, muss Túan von selbst auf einige Geheimnisse der Tafel gestoßen sein und sie ausprobiert haben. Er wanderte durch das Land und erweckte Gefallene wieder zum Leben. Er erschuf die Armee, welche die Römer letztendlich vernichten konnte. Auch wenn er da schon selbst nicht mehr am Leben war. Leider wusste mein Bruder längst nicht so viel über die Tafel wie der Orden oder ich. Niemand warnte ihn davor, dass die Tafel auch den Besitzer unter ihren Einfluss zwingt. Túan hatte sie zwar nur wenige Jahre, dafür hat er sie aber intensiv genutzt und sein Hass auf die Römer vernebelte ihm zusätzlich seinen Verstand. Er übersah offensichtlich die Warnsignale – den Blutzoll, den er leistete, seine Bereitschaft zu Massenmord, auch wenn es Gegner waren. Vor allem konnte er nicht wissen, dass die Tafel auch seinen Samen veränderte. Die Unheilige Tafel - nein, ihre Schöpfer, die Dämonen – wollen sich die nächste Generation an Spendern und Braumeistern erhalten!«

    Wieder hielt Yan mac Ruith inne und man sah ihm an, dass er mit den nächsten Worten kämpfte.

    »Und wie wir alle erleben müssen, hat dies auch hervorragend funktioniert: Brannon – das Kind Túans und Arianrhods – ist das Resultat dieses schädlichen Einflusses. Brannon ist völlig gewissen- und skrupellos, dazu krankhaft pervers. Ich weiß nicht, ob es uns gelingt, ihn zu heilen.«

    Er sah allen nacheinander in die Augen und holte tief Luft, so als müsse er Kraft sammeln, für das, was er ihnen noch sagen wollte.

    »Noch ein Wort zu Sétanta: Ein Druide kann sich unter guten Umständen eines langen Lebens erfreuen. Länger, als es ein Nichtdruide je zu erreichen vermag. Sétanta war am Ende über 140 Jahre alt und unter der Wirkung der Unheiligen Tafel wäre er sicher noch viele Jahre über die Welt gestreift und hätte nur Tod und Verderben verbreitet. Was glaubt ihr, wie lange ein Mensch leben kann, der unter dem Einfluss der Tafel geboren wurde …?«

    Nun war nicht nur Gwyddyon bleich geworden, sondern auch Airmed, sogar Miach. Nur Cathbad stand mit steinerner Miene bei ihnen und schien langsam ungeduldig zu werden. Yan erhob sich wieder und alle anderen folgten seinem Beispiel. Er wandte sich direkt an Gwyddyon, doch jedem war klar, das seine Worte für sie alle galten.

    »Du siehst also, junger Druide, dass es unsere wichtigste Aufgabe ist, diesen verdammten Stein zu vernichten. So bald als möglich. Und mir ist dazu jedes Mittel recht, das uns zur Verfügung steht. Sein Verlust als Waffe scheint mir ein kleiner Preis zu sein. Denn die Welt ist geschwätzig. Die Nachricht, dass unser kleines Volk das mächtige römische Imperium in die Knie gezwungen und von dieser Insel vertrieben hat, dürfte sich in der Welt verbreiten.« Er lächelte ein wenig schief. »Und wir werden unser Bestes tun, um diesen Ruf durch unser Tun zu untermauern.«

    Gwyddyon schien ausreichend überzeugt zu sein, doch immer noch zögerte er, den Stapel in Brand zu setzen.

    »Du hast noch etwas einzuwenden?«, fragte Yan mac Ruith gelassen und sah den Jungen wohlwollend an.

    »Ich … und die Königin? Sie scheint von der Macht des Steins völlig unbeeinflusst.«

    Yan lächelte anerkennend.

    »Gut beobachtet«, lobte er. »Sie hatte nie Hand an die Tafel gelegt, nie von ihrem Fleisch und Blut gegeben – wenn man von Brannon einmal absieht. Und es scheint mir ein bösartiger Umstand zu sein, dass die Mutter des Verderbten unbehelligt bleibt. Vielleicht soll dies Beobachter und Misstrauische beruhigen und die Macht des Steins tarnen und klein erscheinen lassen. Mir kommt es jedoch so vor, dass dies eine der ekelhaftesten Bosheiten ist. Denn es könnte bewirken, dass eine Frau weitere verderbte Kinder gebärt, ohne zu wissen, welcher Art die Kinder sind, die sie in die Welt setzt.«

    Er behielt für sich, dass Arianrhod schon während der Schwangerschaft gespürt hatte, dass etwas mit ihrem Kind nicht stimmte. Sie hatte ihm von dieser Zeit erzählt und er hatte sehr schnell begriffen, warum sie nie ein inniges und herzliches Verhältnis zu ihrem Sohn entwickeln konnte. Yan verspürte Mitleid mit ihr und hatte später sehr wohl die Erleichterung in ihren Augen gesehen, als er die Verantwortung und Ausbildung des Jungen auf seine Schultern und des Ordens lud. Er hoffte inständig, dass sie mit dem Germanen Swidger weitere Kinder bekam, die ihre Sehnsucht nach einer intakten Familie erfüllen könnten. Sie hatte bisher alles verloren, was sie gehabt hatte: ihr Volk, ihre Heimat, ihren Vater, ihren Ehemann und wahrscheinlich auch ihren bisher einzigen Sohn. Yan betete zu den Göttern, dass sie in Breith, in den Cruithin und in Swidger das Verlorene wiedergefunden hatte.

    Cathbad riss sich als Erster wieder zusammen und konnte kaum mehr an sich halten. »Los schon, Junge, setz den Stapel in Brand! Und wir werden das Feuer schüren, bis alles Holz verbraucht ist.«

    Der Scheiterhaufen stand in hellen Flammen und Yan mac Ruith dankte ihrer Umsicht und dem Wirken der Götter, dass das Holz trocken geblieben war. Und auch, dass sich die Höhle so weit in die Höhe streckte, dass sich der erfreulich geringe Rauch weit in den Spalten über ihnen verlor. Ihre Holzvorräte waren rapide geschwunden, aber immer noch legten sie nach, auch wenn die enorme Hitze des Feuers sie zwang, die Scheite und kurzen Stämme hineinzuwerfen, anstatt sie gezielt zu platzieren.

    Yan achtete darauf, dass sich die Hitze ständig steigerte und sie das Holz nicht einfach nur verbrauchten. Gwyddyon hatte ihm genau die Anweisungen seines Vaters, eines hervorragenden Schmiedes, erläutert und Yan verstand, dass der Schock nur dann ausreichend sein würde, wenn allergrößter Hitze sehr rasch die größtmögliche Kälte folgte. Nur dann würde der Stein brechen können.

    Während die anderen sich abmühten, von allen Seiten die Flammen in Gang zu halten, stieg Yan auf eine nahe Erhebung und versuchte im Lodern des Feuers den Stein auszumachen. Auch hier dankte er der Tatsache, dass trockenes Holz sauber und beinahe rauchfrei verbrannte und ihm ab und an Blicke in die Glut ermöglichte.

    Und ja, da war er. Ein wenig abgerutscht, so wie sie es erwartet hatten. Der Stein war schließlich auf dem abgebrochenen Sockel liegen geblieben. Die Unheilige Tafel hatte zu Yans Freude zu glühen begonnen, leider nur ein mittleres Rot.

    Schade, ich dachte, wir könnten ihn in helle Glut, vielleicht sogar zu weißer Glut erhitzen, dachte er und musste erkennen, dass ihr Vorrat an Holz jetzt rasch zur Neige ging. Schon zogen sich Cathbad und Miach zurück und überließen es den Jüngeren, die letzten Holzstücke mit gezielten Würfen in das Feuer zu schleudern. Langsam nahm der Stein die Farbe von mit Milch verdünntem Blut an, aber leider nicht weißglühend.

    Es wird nicht reichen … trotzdem müssen wir es versuchen!

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