GMO China
Von Andreas Zenner
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Buchvorschau
GMO China - Andreas Zenner
I
Denn so wenig wie ein Baum
Weißt du vom Menschen wenn du ihn in seiner Dauer
ausbreitest
und ihn nach seinen
Unterschieden einteilst
Mitnichten ist der Baum zuerst
Same, dann Sproß,
dann biegsamer Stamm
dann dürres Holz
Man darf ihn nicht zerlegen
wenn man ihn kennenlernen will.
Der Baum ist jene Macht,
die sich langsam dem Himmel
vermählt.
Antoine de Saint Exupéry
Großvater Chuang saß auf einem dreibeinigen Schemel vor dem Haus und saugte genüsslich an seiner Pfeife. Die von der Feldarbeit müden Beine von sich gestreckt, lehnte der Rücken an der sonnenwarmen Lehmmauer. Nach dem schweren Tageswerk kehrte Ruhe ein im Dorf Roter Pfeffer. Vom Hofplatz her klang das aufgeregte Gackern der Hühner, die seine Enkelin Hsien mit sanften Lauten anlockte und fütterte. Im Schweinekoben grunzte ein, jetzt im Frühjahr, noch recht mageres Schwein. Die umlaufende Mauer schützte den Alten vor den kalten Nordwinden. Langsam senkte sich die Dämmerung über das Land. Die Pappeln warfen lange Schatten, die wie die Finger einer Riesenhand über die Lehmwände strichen. Die Sonne stürzte dem Horizont zu, tauchte das Dorf in ein mildes rötliches Licht, ließ den Himmel ein letztes Mal golden aufflammen, um dann zu verlöschen. Die Nacht senkte sich rasch; der alte ausgemergelte Mann schauderte in der Kälte. „Hsien, rief er „Zeit für das Abendessen und dann ins Bett mit dir.
Ein kleines Mädchen mit geröteten Wangen und dicken schwarzen, geflochtenen Zöpfen sprang um die Ecke. „Nur noch einen Augenblick, bettelte sie. Sie hockte sich still neben dem Großvater auf die Fersen; umfasste die kleinen Knie. Gemeinsam betrachteten sie die letzten verlöschenden Strahlen am Himmel. „Großvater,
– Hsien zupfte den Alten am Kittel – „was tun Mama und Papa jetzt? Ob sie auch dem Sonnenuntergang zuschauen? Chuang nahm die Pfeife aus dem Mund und stieß ein Rauchwölkchen in die Luft. Er wiegte den Kopf. „Sicher
, murmelte er bedächtig. „Sicher sind sie so müde wie wir."
„Wie ist es am Gelben Fluss auf der Baustelle?"
„Da arbeiten tausende von Menschen. Sie errichten den größten Staudamm der Welt. Er wird uns mit Elektrizität versorgen, die jährlichen Überschwemmungen verhindern und uns zu neuem Wohlstand verhelfen."
Er hatte dies in einer Wandzeitung am Haus des Dorfvorstehers gelesen, konnte sich aber unter den propagandistischen Schlagworten nichts vorstellen.
„Was ist Elektrizität?", wollte die Kleine wissen.
„Nun, versuchte der Alte zu erklären, „das ist…
– er suchte nach Begriffen, fand keine. Schließlich sagte er: „Das ist, wenn du in das Haus gehst, einen Schalter umlegst und plötzlich wird es in einer Lampe hell. Heller als in einer Petroleumlampe. Du kannst damit ein Radio zum Klingen bringen und…" Ihm fielen keine weiteren Beispiele ein, denn er hatte das Wunder des Stroms nur ein einziges Mal in der fernen Provinzhauptstadt gesehen. Die lag zwei Tagesreisen entfernt am Li-Fluss und Hsien war niemals dort gewesen. Bis in ihr Dorf waren die Segnungen der Zivilisation nicht vorgedrungen. Der Wissensdurst der Enkelin schien mit dieser einfachen Erklärung befriedigt zu sein.
„Schön, meinte sie altklug, „dass meine Eltern bei einem so wichtigen Projekt mithelfen.
Eine kleine Stille stand zwischen ihnen. Verstohlen suchte das Mädchen die Hand des Großvaters, schob ihre Rechte in die raue, abgearbeitete Hand des Alten. Schließlich flüsterte sie leise, mehr zu sich selbst: „Sie fehlen mir. Eine Träne kullerte aus ihrem Auge, rollte über die Wange und tropfte in den Staub. Der Großvater drückte die kleine Hand leicht. „Es gibt zu wenig Arbeit, in unserem Dorf. Viele Menschen müssen weit entfernt von hier arbeiten und ihr Brot verdienen. Du wirst es verstehen, später.
Sie nickte tapfer.
„Lass uns nach drinnen gehen, mir wird kalt." Hand in Hand gingen sie ins Haus. Chuang zündete die Petroleumlampe an und augenblicklich erhellte ihr milder Schein den kargen Raum. Der Großvater machte sich am Herd zu schaffen, er stocherte mit dem Schürhaken in der Glut, blies in die halbverloschene Asche und legte einige Scheite nach. Wohlige Wärme breitete sich in der Stube aus und bald köchelte der Reis mit ein wenig Gemüse auf der gusseisernen Herdplatte. Schweigend nahmen sie das karge Nachtmahl zu sich. In den papiernen Fenstern verfing sich knisternd der Nachtwind.
„Nun geh zu Bett." murmelte der Alte schließlich. Hsien verschwand gehorsam in ihrer Schlafkoje, drückte dem Großvater einen Kuss auf die faltige Stirn.
„Großvater, tönte es aus der Koje. „Ich vergaß zu erzählen, morgen kommt eine Arbeitsbrigade in unser Dorf. Was sie machen, habe ich nicht richtig verstanden.
Der Großvater hatte den Anschlag gelesen und wusste Bescheid.
„Bäume wollen sie pflanzen, viele Bäume. Das soll den Wind abhalten, der uns die Erde wegbläst, und im Frühjahr die Flut eindämmen. knarzte der Alte. „Jetzt schlaf.
„Ich schicke Mama und Papa schnell noch ein paar liebe Gedanken, damit sie spüren, dass ich an sie denke."
„Tu das…, stimmte der Großvater zu und kaum hörbar „…meine arme Kleine.
Als Hsien am anderen Morgen erwachte, werkelte der Großvater am Herd. Es rauchte fürchterlich und die grauen Schwaden bissen Hsien in den Augen. Sie musste husten. Besorgt sah sie der Alte an.
„Es wird gleich besser", entschuldigte er sich zärtlich. Hsien hustete in letzter Zeit häufiger und Chuang machte sich Sorgen um die Gesundheit der Enkelin, die ihm die Eltern anvertraut hatten, als sie zur Baustelle am Drei-Schluchten-Staudamm aufbrachen. Es war nicht einfach für ihn, auf das kleine quirlige Mädchen aufzupassen, das wilde Spiele so mochte. Auch bei den Schulaufgaben konnte er ihr nicht helfen. In seiner Jugend musste Großvater Chuang hinaus aufs Feld, da blieb keine Zeit, Lesen und Schreiben zu lernen. Nun war er ein alter Mann mit gebeugtem Rücken, den bei jedem Wetterwechsel die Knochen schmerzten. Er ließ sich die Schmerzen nicht anmerken, wollte Hsien nicht beunruhigen, allein sein Leben wurde von Tag zu Tag beschwerlicher. Vor Jahren schon war ihm die Frau weggestorben, einfach so, über Nacht. Seitdem fühlte er sich sehr alleine. Da war es gut, die Enkeltochter bei sich zu haben, die mit ihm sprach, die ihn freilich mit ihrem unaufhörlichen Geplapper auch des Öfteren nervte. Großvater Chuang klagte nie. Er tat sein