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Der Mann, der einmal einen Wal gewann
Der Mann, der einmal einen Wal gewann
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eBook242 Seiten3 Stunden

Der Mann, der einmal einen Wal gewann

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Über dieses E-Book

"Was ist man, wenn man nichts mehr ist?", fragt sie.
"Weiss nicht", zuckt er mit den Achseln ."Eigentlich hat sich nichts geändert. Auch ein gewählter Mensch ist nur ein Mensch."
Ein ehemaliger Kanzler macht sich auf den Weg, um das wahre Leben, das er über Jahre regiert hat, kennen zu lernen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Jan. 2017
ISBN9783738098488
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    Buchvorschau

    Der Mann, der einmal einen Wal gewann - Ole Engelhardt

    K 一

    Ob ich mir das gut überlegt hätte? Ja, ich denke schon irgendwie. Was soll das denn überhaupt heißen, gut überlegt? Kann man sich etwas schlecht überlegen, meint das nicht einfach das Ausbleiben jeglicher Überlegungen? Und ist damit Überlegen nicht per se immer wertfrei? Überlegt euch eure Fragen erstmal gut! Was erhoffen Sie sich davon? Ich … Wollen Sie das wirklich alles weggeben? Mh … Die Ungebundenheit? Ja … Die Anonymität? Die Freiheit? Ich weiß nicht, hab ich mir das überlegt? 81:19! Eigentlich habe ich mir gar nichts überlegt und eigentlich hab ich klamm heimlich auch gehofft damit einfach so durchzukommen. Das jetzt einfach unter dem allgemeinen Glauben, dass der schon wisse, was er tue, anfangen zu können, ohne dass man nach irgendwelchen tiefenpsychologischen Beweggründen gefragt wird. Ohne dass ich hier, so kurz vor dem Ziel, da vorne ist doch schon die Tür, ich kann sie doch schon riechen, doch noch abgefangen werde. Doch noch auf die Couch zu müssen und Bericht zu erstatten.

    - So Herr Patient, jetzt erzählen Sie mal!

    - Was denn jetzt?

    - Das wissen Sie doch genau Herr Kanzler, Herr a.D.? Warum, das brennt uns doch allen auf unseren süßen Fingerchen, warum einer wie Sie, der es doch beileibe nicht mehr nötig hätte, finanziell, personell, aktuell, noch einmal in die rüde Berufswelt eintritt. Und dann auch noch, Herr Kanzler, Herr a.D. ich möchte Sie wirklich fragen, ob es ihnen noch gut geht, in so einen tristen Mittelklassejob, wie jenen, den Sie gewählt haben. Mh?

    Psychiater haben eine Gabe allen Taten einen Anschein von Perversion zu verleihen. Als sei das, was ich hier gerade mache, zutiefst abstoßend, ein Schritt in den menschlichen Abgrund, gleichzusetzen nur mit Kannibalen, Vergewaltigern oder Charles Manson. So schlimm ist es doch gar nicht Leute. So schwer ist es doch gar nicht zu kapieren. Wenn man Jahre lang da oben auf dem demokratischen Thron thront und seinen Mitbürgern und Mitbürgerinnen täglich erzählen muss, dass sie der Unterbau der deutschen Gesellschaft sind. Dass sie, der berühmte Bauchnabel der Gesellschaft, der Mittelstand sind, der quasi das Abendbrot für die Haute Couture er-malocht, dann ist es doch ganz logisch, dass man vielleicht Interesse daran hat irgendwann mal zu erfahren, was das denn eigentlich ist, diese „Mittelklasse. Das wünscht sich doch im Grunde jeder. Das, was er macht, wirklich mal greifen zu können. Wie gerne hätte ich als dummer Matheschüler in der siebten Klasse mal die Bekanntschaft mit dem fiesen „Herrn Lineare Algebra gemacht. Nach Händeschütteln und nettem Smalltalk wäre dann sicherlich alles viel einfacher gewesen. Und genau deshalb mach ich das jetzt auch, glaube ich.

    - Aber ist es nicht verrückt, Herr Kanzler, Herr a.D., die Freiheit, die Sie haben, und damit haben Sie doch nun zweifelsohne das Maximalziel, das es in diesem Leben zu erreichen gilt, erreicht, einfach so hinzuschmeißen ? Und das alles für so einen Nine to Five , unterfordert dies nicht Ihren Intellekt ?

    - Zugegeben, es war nicht einfach alles aufzugeben, die schöne gestellte Wohnung, das Büro, den Fahrer. Vor allem den Fahrer. Ich werde Igor vermissen. Jemanden zu feuern ist nie wirklich schön, wahrscheinlich nennen wir es deshalb auch feuern und nicht plantschen oder so. Aber dennoch, bei Igor war es dann irgendwie doch noch ein wenig mehr als man das vielleicht so generell erwarten würde. Obwohl man das bei ihm noch gesetzeskonform als „Außer Dienst stellen" nennen könnte. Doch manchmal sind Gesetze noch wesentlich schlimmer als Feuer.

    Wir haben ja immerhin fast 6 Jahre miteinander gearbeitet. Mein Part bei dieser Arbeit sah so aus, dass ich saß, um dann irgendwann aufzustehen und mich woanders hinzusetzen. Seine Aufgabe war es alles zu organisieren, um mir erstgenanntes Verhalten zu ermöglichen. Wenn man 6 Jahre miteinander verbringt und sich dabei weder mehr anschreit als nicht anschreit noch versucht sich gegenseitig umzubringen, dann schwingt in dieser Feststellung auch immer die emotionalisierte Annahme mit, dass man sich mag, dass man gar eine Freundschaft pflegt. Ich weiß nicht, Igor war eben mein autofahrender Kalender und viel mehr war da eigentlich auch nicht. Ich kenne ihn eigentlich auch gar nicht wirklich. Kann nicht einmal sagen, ob er eher aus Sibirien oder eher aus Moskau kommt. Oder ob er überhaupt aus Russland und nicht viel mehr aus einem dieser Länder kommt, die allgemein noch unter „Russland laufen, in Wirklichkeit aber eher „XYZ-stan heißen. Er hat es mir nie erzählt. Ich habe nie gefragt. Genau genommen gibt es gemessen an der geringen Menge, die ich von Igor weiß, überproportional viel, was ich nicht an ihm mag. Als da wäre sein Fahrstil, seine morgendliche Fahne, was Ersteres in der Regel noch verstärkt, sein Beharren auf Fahren nach seinem nicht sehr berlinkundigen russischen Navi, was uns jeden Morgen einen 20-minutigen Umweg über das Banlieue Berlins bescherte, seine nie alt werdende Ausrede dafür ( „Tschuldigung Chef, ich bin nicht von hier, muss Navi folgen ) und dass er mich jeden Morgen mit „guten Morgen mein Führer begrüßte, nachdem er einmal ein Prosawerk über das dritte Reich gelesen hatte, bei dem das Buchcover von irgendwelchen mir nicht sonderlich gut gesinnten Protestwählern mit meinem Konterfrei getauscht wurde. Aber all das war nicht wirklich schlimm. Das sind alles eher so Sachen, die man nur schlimm findet, wenn es draußen gerade regnet und nichts im Fernsehen läuft. Alles ertragbar.

    Wir haben noch einen Schnaps getrunken zusammen und dann fuhr er weg. Beziehungsweise nicht bevor er noch 3 weitere Schnäpse getrunken hatte. Ich werde seine Fahne vermissen.

    Doch ich konnte ihm diese Monotonisierung meines Alltags, der vorher niemals unter „Alltag firmieren durfte, sondern eher unter „Immer-Anders-Tag lief, nicht antun. Sahen meine Tage vorher noch exemplarisch so aus:

    (P) 4:30 ( dt. Zeit ), Aufstehen, Berlin

    (P) 5:00 ( dt. Zeit ), Briefing, Kanzleramt

    (P) 5:20 ( dt. Zeit ), Flugzeugstart, Flughafen

    (P) 14:20 ( lokale Zeit ), Verhandlung über neues Rüstungsabkommen, Regierungssitz Riad

    (P) 16:00 ( lokale Zeit ), Pressekonferenz, Hotel Riad

    (P) 17:00 ( lokale Zeit ), Flugzeugstart, Flughafen Riad

    (P) 18:30 ( lokale Zeit ), Vorbereitung Konferenz, Doha

    (P) 21:30 ( lokale Zeit ), gemeinsames Abendessen, Hotel Doha

    (W) 02:30 ( lokale Zeit ), Schlafen, Hotel

    (P)4:30 ( lokale Zeit ) , Aufstehen

    So ähnelten meine Tage nun dem Werk eines Fotografen, der so stolz ist auf sein geschossenes Bild, dass er es niemals durch ein anderes ergänzen möchte:

    (W) 10:00 Aufstehen, Zuhause

    (W) 23:59 Hinlegen, Zuhause

    Meiner finanziellen Abgesichertheit geschuldet, entfiel sogar der Wechsel von (W) Wahl und (P) Pflicht, denn mit einem fünfstelligen Einkommen wird alles zur Wahl. Der größte Unsicherheitsfaktor momentan ist, ob ich vor dem Fernseher, am Küchentisch oder tatsächlich im Bett einschlafe.

    Nein, das hat Igor nicht verdient. Und sowieso, wenn man abschließen möchte und etwas Neues beginnen möchte, dann muss eben alles weg. Nicht nur die gestellte Wohnung, das gestellte Auto, das gestellte Büro, das gestellte Lächeln. Nein, auch der gestellte Igor.

    „Tschüss mein Führer", waren seine letzten Worte. Ich bin mir sicher, irgendwo da draußen wartet jemand anderes, der einen russischen alkoholkranken autofahrenden Terminkalender gut gebrauchen kann.

    Ganz bestimmt.

    Ist es denn nun endlich genug der vielen Fragen ? Die Couch wird langsam unbequem, ich möchte anfangen.

    Beeindruckend wie der Chef, Herr Sauselhaar, diese ganze Reportermeute scheinbar allein mit der puren Kraft seines linken Armes aus der Tür drückt, diese dann mit einem Wums mit rechts zuknallt und mir dann noch Sekunden vor dem Knall wiederum seine immens starke Linke reicht. „Sauselhaar, was für eine Ehre Herr Kanzler, ehemalig, also Herr Kanzler a.D.". Ich bin noch leicht eingeschüchtert und befürchte gleich meine Hand zerquetscht zu bekommen. Auch klang sein a.D. eher wie Addi, was ihn ein wenig wie einen hitlerverniedlichenden Altnazi erscheinen lässt, doch trotzdem entschließe ich ihm meine Hand zu reichen. Und ja, sie bleibt dran.

    - Wieso eigentlich gerade diese Firma, Herr Kanzler, Herr a.D.?

    - Sind Sie immer noch hier ?? Ich zahl aber nicht mehr, die Stunde ist schon längst vorbei, das ist jetzt nur noch Ihr Privatspaß. Und sowieso, da gibt es eigentlich gar nicht viel zu erzählen. Kein Vitamin B oder so. Ganz altmodisch in der Zeitung, irgendwie hatte ich das Bedürfnis bei meiner Suche auf einen PC zu verzichten. So als sollte sich mein Neustart von ganz unten quasi evolutionsbiologisch spiegeln. Keine Elektrizität, kein Headhunter, kein gar nichts. In meinem völlig verdunkelten Appartment saß ich über der Zeitung, die nur durch ein klammes Kerzenlicht erleuchtet war und ging die Samstagsanzeigen durch. Das erste Mal in meinem Leben. Und weil ich nach 10 Minuten keine Lust mehr hatte, nahm ich mir vor, die Anzeige mit dem wenigstens Text auszuwählen.

    Sie sind: International ? Schiffe ? Versicherungen ? Englisch ? Mittelstand ?

    Dann sind Sie Lindenburg Marine - Versicherungsmakler !

    Ja ! Ja! Ja! Ja! Und verdammt Ja!

    Endlich wusste ich, was ich bin. Und schon musste ich es wieder abgeben. Denn natürlich konnte ich mich nicht unter meinem eigenen Namen bewerben. Als Kanzler kann man nicht von 0 starten. Entweder man wird geliebt , gehasst oder gelyncht. Ich möchte nichts davon. Ich möchte ausprobieren, ich möchte lernen, ich möchte wissen, was Menschsein heute heißt.

    Am nächsten Tag steckte ich die Bewerbung des netten Herrn Gunnar Ganslaars in den Briefkasten. Ich wählte extra den am weitesten von meiner Wohnung entferntesten. Ich ließ mich von Igor dort hinfahren. Es war seine letzte Fahrt. Er war sehr stark betrunken, als er wegfuhr. Ich auch. Eigentlich weiß ich auch nicht, warum er wegfuhr, ohne mich vorher nach Hause zu fahren, das war glaube ich nicht der Plan. Keine Ahnung, wie ich dann nach Hause gekommen bin. Wie gesagt, ich war durchaus betrunken.

    Und jetzt stehe ich hier. Habe überlebt, habe noch alle zwei Hände an meinen zwei Armen. Und stehe vor einem breit grinsenden Chef eines auf kommerzielle Seeschifffahrt spezialisierten internationalen Schiffsversicherungsmaklers. Vielleicht hätte ich mich vorbereiten sollen.

    Der Morgen fing schon nicht gut an. Eigentlich wollte ich hier mit meinen grünen absoluten Lieblingssocken stehen. Die hatte ich schon bei meinem Abi-, bei meinem Uniabschluss, bei meiner Aufstellung zum Kanzlerkandidaten, bei der Vereidigung und beim Angrillen letztes Jahr an. Die bringen Glück. Oder zumindest konservieren sie Glück. Aber ich habe sie nicht gefunden. Und nun stehe ich hier mit so langweiligen schwarzen Socken in noch langweiligeren schwarzen Schuhen. Und schwarzem Anzug. Und schwarzen Haaren – mein Gott, was ist bloß los mit mir, bin ich jetzt Gothic geworden?

    Und dann ist es auf einmal still. Wir, das sind 78 mit angrinsende Gesichter, Herr Strauselhaar, der schon nicht mehr nur grinst, sondern sein Gesicht so nach hintenzieht, dass es wehtun muss, und ich. Wir alle stehen in einem Kreis, so als wollten wir uns gleich die Hände reichen und anfangen zu singen. Doch das wird nicht geschehen. Herr Strauselhaar tut so als würde er mit dem hinteren Teil eines Löffels, den er nicht in der Hand hat, gegen ein Glas ticken, das er nicht in der Hand hält. Dann ist es noch stiller als es sowieso schon war. Draußen hört man Autos vorbeisausen, ich habe keine Ahnung von Autos, aber ich glaube, sie sind schnell. Herr Strauselhaar macht ein paar Schritte in den Kreis, er lässt sich Zeit, die wir mit unserem letzten Regierungsprogramm, so dachte ich, doch eigentlich wegrationalisiert haben wollten. Dann ist er angekommen. Nicht wirklich in der Mitte, aber anscheinend ist ihm das mittig genug. Er sieht mich an. Dann fängt er an zu reden. Was für eine Ehre es sei, wer hätte es geglaubt, keiner nämlich, und sowieso, schöner als ein 6er im Lotto, einen ganz großen Schritt nach vorn, Konkurrenz von einem Tag auf den anderen ausgestochen, Weltherrschaft. Nein, da habe ich mich glaub ich verhört. Kein Wunder bei dem tosenden Applaus. Ich höre die Autos nicht mehr. Ich sehne mir die Stille zurück. Dann tritt Herr Strauselhaar gefährlich nahe an mich heran. Er ist vollkommen verschwitzt, als käme er gerade aus so einem überheißen Sat1 – Spotlight oder so. Er legt seine triefend nasse linke Hand auf meine rechte Schulter und bewegt kurz seine rechte Hand zu meinem Mund. Dann fällt ihm aber doch ein, dass er kein Mikro in der Hand hält und er sagt völlig ohne akustische Verstärkung, dass nun, „meine Mitbürger und Mitbürgerinnen, dafür gibt es noch ein 30 sekundiges überlautes Kichern, „nun ist es endlich so weit, nun spricht der Kanzler persönlich, nur für Sie. Herr Kanzler, was wollen Sie hier bei uns, bei Lindenburg GmbH & Co. KG, erschaffen? Applaus. Alles ist laut und in mir drinnen ist es leise. Auch wenn nichts anderes zu erwarten war, habe ich das nicht erwartet. Ich kann keine Rede halten. Wozu gibt es Redenschreiber. Da ist es wieder. Mein Problem. Ich bin kein Kanzler, wie er im Buche stand. Also ich stehe wahrscheinlich in sehr vielen Büchern. Aber eigentlich habe ich immer nur das gemacht, was die Leute von mir erwarten. Früher waren das einfache Sachen, wie regelmäßiges Luftholen, möglichst niedrige Zahlen in den Klassenarbeiten erreichen, lachen wenn andere über einen Witz lachen. Später wurde es etwas komplizierter. Irgendwann war es dann eben, regiere ein Land. Aber das war schon okay.

    Ich habe diese Gabe genau das zu machen, was andere von mir wollen. Also, was soll ich erreichen, was soll ich jetzt sagen? Ich wünschte, da wäre jemand, der für mich spräche.

    Ich wünschte, da wäre jemand, der mir sagt, was er sieht, was hier geschieht und was das alles auf sich hat.

    Ich trete einen Schritt vor und hoffe dabei immer noch, dass ich vielleicht ja noch einmal Glück haben werde. Bitte

    H一

    Also eigentlich war sie schon echt scheiße. Wir waren uns erst nicht sicher, man vermutet bei solchen Menschen ja immer irgendwie einen tieferen Sinn, der uns dummen Menschen verborgen bleibt. Und meistens lacht man dann so, dabei möglichst wissend tuend, weil das, was gerade passiert ja vielleicht Kunst oder so sein könnte und eigentlich hat man gar keine Ahnung was grade abging. Wir haben dann viel diskutiert und mit Synonymen um uns herum geworfen, „originell wurde gemurmelt, „neu und „kreativ" hab ich gehört, aber im Endeffekt steht das alles doch für das gleiche. Scheiße. Es war ein wenig wie diesen jungen verrückten Kreativen auf Pro7, ZDF oder Neo zuzuschauen, die im Grunde dieselbe Scheiße machen, dabei nur provokant ungegelt ausschauend gegelte Haare tragen. Ich weiß, dass man in Hamburg nicht ausschauend sagt, aber ich bin nicht aus Hamburg, ich bin aus dem Süden. Und wir sind direkter, weshalb ich es auch vielleicht eher nonchalant ausgesprochen habe. Dafür wurde ich dann blöd angeguckt, gesagt hat aber keiner was. Im Geiste sind wir uns doch alle einig. Er, also der Kanzler, redete erst von A und dann von B, nach vorne sollten wir und gleichzeitig stehen bleiben. Erst, das war das beste, redete er gar nicht. Er stand einfach nur da. Erst hielten wir das für eine rhetorische Kunstpause, zeitlich ein wenig vorgezogen, aber ich glaube er hatte wirklich keine Ahnung, was er uns erzählen sollte. Er stand da in der Mitte dieses Kreises und starrte uns einfach nur an. Völlig starr und hilflos. Ich glaube, ich hab ihn da gleich verstanden und deshalb war er mir auch schon immer sympathisch. Auch wenn seine Politik vielleicht nie so grandios war und er zu Recht abgewählt wurde, irgendwie mochte ich ihn immer schon. Vielleicht gerade, weil ich wusste, dass es nicht seine Politik war. Herr Sauselhaar versteht ihn nicht und das wird er auch nie. Herr Sauselhaar glaubt an den Luxus, dass es das Ziel ist, weise und anerkannt zu sein. Und wenn man dann einmal Kanzler, CEO, König oder sonst was war, dann geht es nur noch darum zu reden, zu reden und zu reden. Anderen Menschen zu erzählen, wie es ist schlau zu sein. Sie zu belächeln, wissend, dass sie nie so schlau sein werden. Und vor allem nie mehr zuhören zu müssen. Er schätzt ihn genauso ein. Deshalb hat er ihn sofort auf die Bühne gezerrt und seinen Knopf gedrückt, mit der schier sicheren Annahme, dass dann schon das Lektionenerteilen wie von selbst kommt. Doch der Kanzler, Gunnar wie ich ihn schon gedanklich nenne, ist anders. Glaube ich. Ich glaube, er weiß wie ich, dass der wahre Luxus eines Menschen darin liegt zuzuhören. Zu lernen. Und nur in den seltenen Fällen, in denen es wirklich was zu berichten gibt, zu belehren. Gunnar wollte nicht reden, er hatte nichts zu reden. Er ist nicht hier um sich zurückzulehnen und zu sich zu sonnen, ich glaube, er will lernen. Er will wissen, wen er regiert hat und nichts anderes. Deshalb starrte er uns an, ohne Worte und mit umso größer aufgerissenen Augen. Und dann, ja dann brabbelte er halt irgendeinen Kram. Manchmal bekamen wir es ernsthaft mit der Angst zu tun, so abstrus wurde es. Er erzählte von irgendwelchen komplizierten Maschinenteilchen, die ineinander greifen müssten, die man jedoch immer gut ölen müsse und wir waren uns alle nicht sicher, ob das jetzt heißen sollte, dass wir bald alle durch Maschinen ersetzt werden sollten. Und an manchen Stellen, die sicher nicht dafür vorgesehen waren, zum Beispiel, wenn er immer so niedlich Containerboote anstatt Containerschiffe sagte, dann mussten wir ziemlich lachen. Er wirkte komischerweise so extrem nervös. Dieser Mann, der schon vor Diktatoren, vor Despoten und Königen gesprochen hatte, ja, er wirkte echt nervös vor uns, einer Gruppe Normalos. Vielleicht ist es schwerer sich von oben nach unten zu bewegen als von unten nach oben. Ein millionenschwerer Tellerwäscher ist doch wirklich noch schwerer vorstellbar als ein Tellerwäscher, der mal Millionen wiegt?

    Irgendwann war es dann Gott sei Dank vorbei. Viel Geklatsche, Herr Sauselhaar sagte noch ein paar Worte, denen keiner mehr Gehört schenkte und dann, kusch kusch, machte sich der Pöbel wieder an die Arbeit. Ich gehörte heute aus mir nicht bekannten Gründen nicht zum Pöbel. Anscheinend hatte mich Herr Sauselhaar ausgelost ihn und den Kanzler auf einer ersten Rundtour durch die heiligen Hallen unseres unheiligen Maklergeschäfts zu begleiten. Und ich sollte auch noch reden. Vielleicht wollte Herr Sauselhaar mich testen. Wir waren nie wirklich gut aufeinander zu sprechen. Lag wahrscheinlich daran, dass er ein cholerischer, selbstverliebter geerbter Firmenchef und ich ein relativ fauler Angestellter selbiger Firma bin. Wahrscheinlich wollte er nur einmal überprüfen, ob ich überhaupt eine Ahnung habe, was wir für Abteilungen haben und was diese Abteilungen so den ganzen Tag über machten. Vielleicht wollte er mich auch einfach weg haben von meinem Schreibtisch, um sicher zu gehen, dass ich keine Scheiße baue. Ich habe ihn nicht gefragt. Eigentlich reden wir auch nie miteinander.

    Wir bewegten uns dann also relativ entspannt durch unser Büro. Schon daran merkte man, wie wichtig Herrn Strauselhaar sein neuer Mitarbeiter war. Ich glaube, ihm war scheiß egal, was er wirklich leisten könnte. Er könnte selbst ein vom Container gefallener Kanzlerkrüppel sein, der an nichts mehr denken könnte als an nichts, aber auf dessen Stirn, und das war Herrn Strauselhaar extrem wichtig, eben immer noch der Banner „ICH WAR MAL KANZLER" klebt. Irgendwie hatte Herr Strauselhaar diese wahnsinnige Idee, das ein Kanzler als Mitarbeiter = Jahresprofit x 1.000 heißt. Dass uns zukünftig jedes Schifffahrtsunternehmen wie eine dauergeile Nutte ansprechen würde und wir

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