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Die Verwandlung der Liebe
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eBook227 Seiten3 Stunden

Die Verwandlung der Liebe

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Über dieses E-Book

Fast unmerklich haben sich die Rollen vertauscht: Jetzt ist es der Sohn, der den schwereren Ruckack trägt und größer und stärker ist als die Mutter. Unmissverständlich sind die Zeichen, die auf Veränderungen deuten. Eine gemeinsame Wanderung im rumänischen Hochgebirge bestätigt es: Die Loslösung des Sohnes hat begonnen. Und ist es an ihr, der Mutter, ihn freizugeben aus der engen Bindung, die ihr Schutz war gegen Ängste und Einsamkeiten. Sie glaubt, keine Furcht zu haben vor dem Moment, in dem der Sohn beginnen würde, Wege zu gehen, die ihn von ihr wegführen. Aber später dann, im Alltag, erlebt sie die Trennung voller Konflikte und Verletzungen. Und brüchig geworden ist auch ihre frühere Sicherheit, die sie solange trug, wie sie eigene Lebenswünsche verleugnete. Sie wehrt sich, wenn wieder Rücksicht von ihr verlangt wird und Einsicht im Namen der Vernunft und der Verantwortung. Sie übt: sie trainiert den Ungehorsam.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Aug. 2014
ISBN9783847607632
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    Buchvorschau

    Die Verwandlung der Liebe - Christa Müller

    I

    So war es nicht!

    So war es nicht?

    Er war gerade achtzehn geworden. Wir brachen im Regen auf. Es war ein gewittriger Juli. Als wir nebeneinander zur Straßenbahn liefen, fiel mir ein, dass sein Lehrmeister damals gesagt hatte: Er wird ein breites Kreuz und ein paar ordentliche Schultern kriegen ... Ich drückte Julian den Schirm in die Faust, deren Bräune wie immer mit Gips gesprenkelt war, und hing mich an seinen Arm. Mein Kopf reichte knapp an seine Schulter. Sein Rucksack war schwerer als meiner. Das hinderte ihn nicht, auszuschreiten.

    Julian war groß und kräftig geworden.

    Als er noch ein Knabe war, der unter meine Achsel passte, trug ich den schwereren Rucksack. Auf Wanderungen, bei denen man nicht zum Ausgangspunkt zurückkehrt, sondern seine Schlafstatt jede Nacht an anderer Stelle richtet und so Tag für Tag, Schritt für Schritt einem weit gesetzten Ziel sich nähert.

    Die Zugfahrt nach Schönefeld überstanden wir im tropischen Klima eines mit durchfeuchteten Menschen überfüllten Wagens. Kein Fenster ging zu öffnen. Durch trübes Glas stach die Julisonne vom aufgerissenen Himmel.

    Der Flug nach Bukarest dauerte eine Stunde und achtunddreißig Minuten. Anderthalb Stunden lang sahen wir aus dem Bullfenster strahlend blauen Himmel und eine gleißende Sonne. Unter uns türmten sich Wolkengebirge von weißer bis blauschwarzer Färbung. Die letzten acht Minuten vergingen im Blindflug durch undurchdringliche Schwärze, in der die Maschine geschüttelt wurde wie im Windkanal beim Test, bis sie doch die Landebahn in Otopeni traf und aufsetzte, ohne zu straucheln, begleitet von Blitz und Donner.

    Wir wussten, dass wir am Gebirge entlang fuhren. An den Haltepunkten stiegen durchweichte Wanderer in den Zug. Nebel stand zwischen Himmel und Erde, so gleichmäßig, dass er Erde als auch Himmel hätte sein können.

    Ich hatte Julian überredet hierher zu fahren. Das war nicht schwer gewesen. Der Fogarash gehört zu den Karpaten, deren westlichen Teil, die Tatra, wir neun Monate lang durchwandert hatten: einen Monat pro Jahr. Es war längst Zeit, ihr östliches Gegenstück zu erkunden.

    So sagte ich.

    Und hatte doch einen anderen Grund.

    Spät am Abend langten wir in Sibiu oder Hermannstadt, wie Georg seine Geburtsstadt nannte, an. Es goss noch immer.

    Ich war froh, dass er mir die Adresse des Hauses gegeben hatte, in dem seine Mutter und seine Schwester mit ihrer Familie wohnten.

    Sie nahmen uns freundlich auf.

    Das Haus seiner Kindheit! Über diese Treppe schlich er hinab vor Morgengrauen, über den knirschenden Kies des Gärtchens, mit bloßen Füßen, die Schuhe in Händen.

    Im vergangenen November saß er mit mir in einer Reihe im Zuschauersaal des Leipziger Capitols, drei leere Plätze von mir entfernt. An jenem ersten Vormittag der Dokumentarfilmwoche lief auch dieser Film: In einem rumänischen Bergdorf errichtete ein junger Bursche auf einer grünen Wiese ein hölzernes Tor, reich mit Schnitzerei verziert, versehen mit einem Dach.

    Wer hier ein Haus baut, sagte der Kommentar, baut seit Jahrhunderten zuerst das Hoftor. Denn durch das soll man eintreten, zuerst und immer.

    Der Mann, drei Plätze entfernt von mir, wischte sich mit der Hand übers Gesicht.

    Im "Thüringer Hof' aßen wir zufällig am selben Tisch. Ich fragte, was an jenem Film ihn so berührt hatte.

    Schwer, sich abzureißen, sagte er.

    Er lebte seit ein paar Jahren in München.

    Nun blickte seine Mutter mich mit Augen an, die wie seine waren. Noch ähnlicher sah ihm seine Schwester. Sie hatte seinen Mund, sein Lachen.

    Der Regen stürzte über die Stadt und das Haus, hinter dessen Tür wir die Schuhe und Regenumhänge ausgezogen und die Rucksäcke abgestellt hatten.

    In solches Wetter jagt man keinen Hund hinaus, sagte Georgs Schwester. Bleibt aber weg vom Fenster, die Nachbarn müssen euch nicht sehen!

    Zwei kleine Mädchen blickten verstohlen auf Julian, um dann miteinander zu tuscheln.

    Julians schwarze Locken kringelten unter dem weißen Filzhut hervor, den er nicht abgesetzt hatte. Seine Wangen, noch rund wie in der Kinderzeit, zeigten ihre Grübchen, wenn er lächelte. Das Kinn war noch nicht so spitz wie heute, am Hals der Adamsapfel noch nicht ausgebildet. Auf seiner bronzefarbenen Haut krausten sich die allerersten Härchen des noch heute schütteren Bartes, Erbteil seines Vaters, der ein Halbblut und fast bartlos war. Seinen Mund hatte noch niemals Bitterkeit verschlossen, und er lachte die Kinder an. Seine Augen, in grenzenlosem Vertrauen auf das eigene Vermögen, leuchteten golddunkel. Dass wir nicht in den Regen hinausmussten, sondern über Nacht dabehalten wurden, denke ich, war auch und zumeist eine Folge dieses Leuchtens.

    Die Mädchen baten ihre Großmutter, die Nacht bei ihr schlafen zu dürfen, damit Julian und ich in ihren Betten liegen konnten, so sehr wir beteuerten, der Fußboden genüge uns.

    Anderntags erledigten wir das Notwendige, das zu tun blieb, ehe wir ins Gebirge aufstiegen. Wir kauften Benzin für den Kocher, suchten nach sicher schließenden Plastflaschen, trieben keine auf und füllten es in eine Glasflasche, für die Julian einen Korken passend schnitzte. Ich misstraute dem Provisorium, deshalb nahm er sie selbst in Obhut. In den Buchhandlungen suchten wir nach einer Wanderkarte, und währenddessen hielt der Himmel alle Schleusen offen.

    Wir sahen die Störche in ihren Nestern auf den Biberschwanzdächern der mittelalterlichen Häuser. Und hörten auf, sie zu zählen, als wir in den verwinkelten Gassen und Gässchen den Überblick über die Lage der Dächer verloren.

    Vor dem Regen retteten wir uns in die Kathedrale gegenüber dem Deutschen Gymnasium. Was in ihr geschrieben stand, war in deutscher Sprache, und die dort beteten, sagten laut und deutlich: Vater unser, der du bist im Himmel!

    Das Deutsche Gymnasium bereitete seine 400-Jahr-Feier vor. Die Mädchen, Georgs Nichten, besuchten es im ersten und vierten Schuljahr. Georg hatte dort sein Reifezeugnis bekommen. Es war ein großes, weißes, fast schlossartiges Gebäude mit kolonnadenartigen Fensterbögen. Den Platz zwischen Kirche und Gymnasium füllte Katzenkopfpflaster, in dessen Zwischenräumen Gras und Moos wuchs.

    Ganz plötzlich hörte der Regen auf. Gewaltig brach die Sonne durch die Wolken, und die Nässe verdampfte. Einen Augenblick lang spürte ich das Verlangen, mich niederzulegen, meinen Leib gegen dieses Pflaster zu drücken, das Moos zu berühren, das Gras, die Stätte der Kindheit eines Mannes, der sie aufgegeben hatte. Aufgegeben. So sah ich es. Sich abgerissen. So hatte er gesagt. Und: Das ganze Leben ist ein sich abreißen. Abgerissen werden und Festgehalten sein. Festhalten und Abreißen.

    Ich sah Julian mit hellen Augen zum Himmel blicken und hörte seine Freude: Wir können heute noch losgehen!

    Georgs Schwager brachte uns in ein entlegenes Tal, in dem die asphaltierte Straße in einen schlammigen Holzweg endete. Die Mädchen schwirrten wie zwei Schwalben aufgeregt um Julian, der wie ein exotischer Vogel zwischen ihnen stand, mit rotem T-Shirt, weißem Hut, dunkelblauen Kniehosen, braunen Waden und mit der riesigen und schweren kornblumenblauen Kraxe auf dem Rücken. Sie verlangten, ihn zum Abschied zu küssen, und verlegen beugte er sich hinab und bot ihnen seine Wange. Aber die Kleinere küsste seinen Mund. Seine Augen wurden schwarz und seine Stirn dunkel. Abrupt wandte er sich um und stapfte los. Wir lächelten uns an, der Mann und ich, mit der törichten Abgeklärtheit Erwachsener. Ich streichelte die Kinder, bedankte mich und folgte meinem Kinde.

    Der Versicherung, dass von diesem Tal her der Aufstieg zum Kamm sanfter sei als von der Suruhütte oder zu ihr hin, glaubten wir nur die ersten zwanzig Minuten. Der Weg endete vor einem Steilhang.

    Es war sechs Uhr abends. Spätestens in vier Stunden mussten wir einen Platz gefunden haben, auf den wir das Zelt stellen konnten.

    Julian trat zwischen die jungen Buchenstämme, die nicht stärker als seine Fußknöchel waren und nur zweimal so groß wie er, aber sie standen so dicht, dass er sich zwischen den Stämmen hindurchschlängeln musste, indem er sie wegen der Breite seiner Kraxe mit den Armen auseinanderbog und tief hängende Zweige aufhob. Dabei versank er bis an die Knie im Laub vergangener Jahre, das nach den Regengüssen den Hang in eine glitschige, abschüssige Bahn verwandelte.

    Ich folgte ihm. Nach zehn Minuten waren wir schweißgebadet, und Myriaden winziger Fliegen stürzten sich auf uns. Wir atmeten sie mit offenen Mündern ein und fühlten sie in unseren trocken werdenden Rachenhöhlen. Das Gezweig peitschte meine nackten Arme, schrammte die Haut. Ich fluchte. Julian blieb stehen, wartete auf mich, bog mir an besonders filzigen Stellen ritterlich die Stämme oder Zweige zur Seite und zog mich mit seinen Händen ein Steilstück hinauf. Seine gute Laune blieb unverändert. Ungefähr nach einer Stunde, er befand sich ein paar Meter über mir, hörte ich ihn lachen. Er stand auf einem ausgetretenen Pfad, der sich in sanfter Steigung den Hang hinaufzog. Wir hatten ihn unten verfehlt. Hundert Meter weiter rasteten wir. Auf einem gestürzten Stamm, mannsdick und so verwittert, dass wir in ihm den Stammvater dieses jungen Waldes sahen.

    Jemand kam. Rasch, trotz der Steigung. Ein weißes Jersey leuchtete vor dem dämmrigen Wald. Zehn Schritte vor uns erkannte ich: Er war in Julians Alter.

    Die braunen Wangen und sein Kinn noch gänzlich bartlos. Sein dichtes Haar, kurz geschnitten und glatt, lag den Schläfen an, ließ die Ohren frei und die Stirn zur Hälfte, weil es seitlich gescheitelt war. Er blieb vor uns stehen und lächelte mit zwei Reihen kräftiger Zähne, und seine Augen blieben sofort bei Julian und die Julians bei seinen. Er fragte rumänisch. Julian lachte ihn an und sagte: Wir sind Deutsche. Germans. East-Germans.

    You speak English? fragte der Junge.

    Little, antwortete Julian.

    Ein Dialog begann. Ich verstand, dass Mihai, so hieß er, die gleiche Tour vorhatte wie wir, dass er fast zur selben Zeit wie wir seinen Aufstieg begonnen hatte, dass er sagte, es werde bald dunkel, und man müsse schauen, vor Einbruch der Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben. Julian stimmte ihm zu, und Mihai bedeutete ihm, er werde vorausgehen, eine Schäferhütte ausfindig zu machen. Plötzlich besann sich Julian, wies auf mich und sagte: My mother. Montag, sagte ich, und Julian übersetzte: Monday! Unser Name, setzte er englisch hinzu und lachte. Monday? Mihai vergewisserte sich. Montag! sagte ich. Dorothea!

    Mihai verbeugte sich artig.

    Wir gelangten zur Baumgrenze. Ich fühlte das Blut in meinen Schläfen hämmern und den wohlbekannten, gefürchteten Druck im Schädel, der mich die ersten Tage in solcher Höhe immer heimsucht.

    Julian, als er mich hinter sich her schleichen sah, war im Bilde. Er rief mir zu, dass er vorausgehe, um das Zelt aufzustellen und Wasser zu suchen. Das war vernünftig und fürsorglich und nicht zum ersten Male so.

    Aber es drängte sich ein Unbehagen in mein Gefühl, als er weit oberhalb von mir in den Wellen der hinaufstrebenden Alm noch einmal sichtbar wurde - als Schattenriss gegen den violett werdenden Himmel - und ohne sich umzublicken, weitereilte. Ich hatte das Empfinden, er renne, dem Fremden zu folgen, und vergäße, auf mich zu achten, die ich kommen würde, wenn der Himmel nachtdunkel war. Es packte mich eine verzweifelte Angst. Ich schrie seinen Namen. Die Luft verschluckte ihn wie das Tageslicht.

    Der Pfad verlor sich zwischen Gras und Gestein, und ich dachte, dass es ein Fehler war, die Taschenlampe unten im Rucksack zu haben, sodass ich Julian kein Lichtsignal senden konnte.

    Ich bemühte mich, trotz des Dampfhammers in meinem Schädel, voranzukommen. Der Kopfschmerz trieb mir Tränen in die Augen.

    In jenem Moment, als ich glaubte, Julian nicht mehr finden zu können, stieg der halbe Mond über den Bergrücken. Und ich sah, nur zwanzig Schritte von mir entfernt, unser Zelt, seine gelbe Seide vom Monde durchleuchtet. Ich hörte Schritte hinter mir. Sie kamen rasch. Julian hatte Wasser geholt. Na? sagte er und nahm mir meine Kraxe vom Rücken, huckte sie sich auf und trabte, den Wasserkanister in der Hand, zum Zelt.

    Als mein Rücken frei war von der Last, spürte ich, dass ich mit ihr keinen Schritt mehr hätte tun können. Mein Kopf schien die Dimension des Mondes anzunehmen, um zu zerspringen.

    Als ich am Zelt anlangte, hatte Julian schon unsere Matten ausgelegt, die Schlafsäcke ausgerollt.

    Mach dich lang! sagte er.

    Ich schloss die Augen. Die Geräusche, die hinter meine Stirn drangen, während der Schmerz verebbte, gaben Kunde von Julians Tun.

    Die Gasflamme fauchte kräftig. In diesem Geräusch versammelten sich Erinnerungen an die glücklichen Abenteuer mit Julian, einen langen Zeitraum fassend, mit dem genauen Empfinden, geborgen zu sein. Das kleine Ding aus Blech, kaum größer als Julians Faust, das einen rauschenden blauen Flammenkranz um seinen Brenner legte, machte den Ort heimisch.

    Ich hörte Julian hantieren. Er riss die Schachtel mit dem Würfelzucker auf. Der Topfdeckel klapperte. Hinter geschlossenen Augenlidern sah ich ihn Zuckerstücken in das perlende Wasser zählen, das sich von den Teebeuteln dunkel färbte.

    Der Kocher verstummte.

    In der Stille klang etwas. Ich fühlte es im Körper, noch ehe sich die Ohren damit füllten.

    Die Erde erzitterte unter einem raschen, leisen, stetig anschwellenden Trommelwirbel, in den sich ferne, helle Glocken mischten, die lauter wurden, je dröhnender die Trommeln kamen. Beunruhigt richtete ich mich auf. Julian stand draußen und blickte gespannt über das Zelt. Wir vernahmen Rufe aus rauen Kehlen und wildes Hundegekläff.

    Ich kroch ins Freie.

    Über den Berg zog mondbeglänzt eine riesige Herde Schafe. Unser winziges Zelt stand nur wenig entfernt von ihrer gewaltigen Trift. Eine Gestalt kam mit ausgreifenden Schritten und wehendem Mantel zu uns her.

    Wir verstanden kein Wort und versuchten, keine Furcht zu haben. Das Mondlicht zeigte mir ein bartloses Jungengesicht mit starken Jochbeinen, die schwarzen Augenbrauen wie ein mächtiger, durchgängiger Balken von Schläfe zu Schläfe gesetzt und unter ihnen helle, genaue Augen, die alles wahrnahmen an uns und die doch pechfarben waren. Seinen Krummstab schwingend, umkreiste er das Zelt, befühlte den Stoff. Wir waren gebannt. Der Teekessel erregte seine Neugier und dessen Hitze sein Erstaunen. Er redete laut auf uns ein, und weil er begriff, dass wir nichts verstanden, gestikulierte er wild, warf die Arme zum Himmel, ließ sie herabfallen, tat Schritte, die waren wie Tanz, deutete mit der Geste seiner unter die Wange gelegten Hände Schlaf an.

    Jemand rief ihn, barsch und keinen Widerspruch duldend. Er sprang sofort der Herde nach, die inzwischen vorübergezogen war und deren Trommeln und Läuten nun abschwoll, sich verlor, bis die Nacht hell und still um uns lag.

    Wir setzten uns nieder, spürten, dass Tau gefallen war - ein gutes Zeichen für den kommenden Tag, tranken Tee und aßen von dem Schwarzbrot, das wir von zu Hause mitgebracht hatten. Die Kerze brannte, ohne zu flackern.

    Mein Kopf war leicht geworden. Ich fühlte mich, als könnte ich, wenn ich es nur wollte, fliegen.

    Ich war glücklich und müde und freute mich auf das Atmen Julians neben mir.

    Über die Alm kam eine helle Gestalt. Gleichzeitig erkannten wir Mihai.

    Er kauerte sich bei uns nieder, überbrachte die Einladung der Hirten, bei ihnen zu schlafen. Unter einem Dach vor dem Regen, mit einem Feuer gegen die Kälte. Und es gäbe Milch und Käse.

    Der junge Hirt hatte es uns schon zu sagen versucht.

    Wollen wir? fragte Julian mich. Ich hörte, dass er Lust hatte.

    Nein! sagte ich.

    Okay, sagte Julian und erklärte Mihai, dass unser Zelt gut sei für diese Nacht und dass wir danken und bitten, sie möchten es uns nicht verübeln.

    Ich träumte von einem Glockenspiel. Hell, glitzernd und sehr fern. Erwachte, und es war dunkel. Schafe blökten. Dringlich. Zudringlich, Unablässig. Ich lag und wartete auf das Trommeln ihrer Füße - aber es stellte sich nicht ein.

    Mit der Taschenlampe leuchtete ich das Zifferblatt an: vier Uhr. Ich wand mich ins Freie.

    Der Mond war untergegangen. Groß und nah blinkten die Sterne. Die Aufregung in der Herde nahm zu. Eimer schepperten, Hunde kläfften. Alles in ziemlicher Entfernung. Gott sei Dank, dass wir nicht dort genächtigt hatten. Julian schlief fest.

    Als ich zum zweiten Mal erwachte, erblickte ich durch den offenen Zelteingang die im blauen Morgendunst verschwimmenden Seitenkämme des Fogarash, sanft abfallend, bewaldet und dahinter in erstarrten Riesenwellen das Sibingebirge.

    Der Tau auf den Gräsern blitzte auf, und wie ein Signal fuhr dieses Licht in meine Glieder.

    Im Nu stand ich draußen. Die Sonne blinzelte, weißglühend schon um sechs Uhr morgens, hinter der mit Milliarden Tropfen besetzten Bergweide herauf.

    Ich holte meine Sonnenbrille. Julian lugte mit einem Auge aus dem Schlafsack. Der Tag ist da, und was für einer! sagte ich. Julian öffnete sein zweites Auge auch. Lauschte dem Geblök der Schafe, das noch immer dauerte, stieß einen zufriedenen Seufzer aus: 0 Mann! streckte und rekelte sich. Er brauchte dazu die gesamte Länge des Zeltes (ich sah es zum ersten Male) und schlüpfte dann aus seiner Schlafhülle wie

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