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Daimonion
Daimonion
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eBook864 Seiten12 Stunden

Daimonion

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Über dieses E-Book

Armon, ein Vampir und Erster seiner Art, steht vor dem Hohen Gericht. Das Urteil scheint festzustehen. Doch so leicht gibt der Engel Ambriel seinen Schützling nicht auf. Die Konfrontation mit Armons Schicksal, seiner seltsamen Verwandlung und seiner zerrissenen Existenz zwingt das Gericht dazu, die gewohnten Kategorien in Frage zu stellen.
Diese Geschichte erzählt von Leben und Tod, Gut und Böse, Liebe und Hass und insbesondere von den Facetten dazwischen...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum4. Juni 2014
ISBN9783847682097
Daimonion

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    Buchvorschau

    Daimonion - Daniela Hochstein

    Bemerkung

    Daimonion: griech.; Bedeutung: Schicksal oder Gewissen, das den Menschen jederzeit unsichtbar begleitet.

    In der griechischen Mythologie sind Dämonen den einzelnen Menschen zugesellte Geisterwesen, welche dieselben auf allen ihren Lebenswegen begleiten. Die Einwirkung dieser Dämonen äußert sich einmal zum Schutz und Heil, aber auch zum Schaden der Menschen. Daher nahm man später auch zwei Dämonen für jeden Einzelnen an: einen guten und einen bösen.

    Das Hohe Gericht

    „Was ist das?" Die Worte des Engels erfüllten den Raum, als seien sie aus der alles umgebenden Luft geboren worden, während seine Lippen sich nicht einmal bewegt hatten. Der Blick seiner fluoreszierend blauen Augen richtete sich dabei auf einen komplett verkohlten Körper, den man vor dem Richterpult niedergelegt hatte und der sich wie ein dunkler Schandfleck von dem leuchtenden Weiß des Gerichtssaals abhob.

    „Warum ist diese Seele noch mit ihrem irdischen Körper verbunden?"

    „Nun, Ambriel, der fürsorglich neben dem verbrannten Wesen kniete, wirkte gequält, als er antwortete, „es ist ein Sonderfall, Euer Ehren.

    Für einen kurzen Moment schienen die Augen des Richters noch blauer zu leuchten.

    „Könntest du das näher erläutern?"

    Ambriel räusperte sich verlegen, kam jedoch nicht dazu, zu antworten, denn ein weiterer Engel trat hervor und sprach an seiner statt: „Es ist kein gewöhnlicher Mensch..."

    Der Richter betrachtete den Sprecher.

    „Was genau willst du damit sagen, Cheriour?"

    Cheriour versah Ambriel mit einem Blick, der nur all zu deutlich ausdrückte, was er von Schutzengeln hielt. Hatte Cheriour sich seine Stellung durch einen stets redlichen Lebenswandel auf Erden verdient, so versuchten die Schutzengel hingegen, sich von ihren irdischen Sünden frei zu dienen, indem sie sich für ihre Schützlinge einsetzten. Es war ihnen gegönnt. In diesem Fall allerdings kam dieser Versuch einer bodenlosen Frechheit gleich.

    „Das bedeutet", fuhr Cheriour fort, „dass diese Kreatur nicht nur eine menschliche Seele beherbergt, sondern auch einen blutgierigen Dämon, der unlösbar mit dieser Seele verbunden ist... Man nennt solche Wesen Vampire!"

    Der Richter nickte und seine schimmernde Erscheinung materialisierte sich für einen Augenblick, so dass er beinahe menschlich wirkte.

    „Ich habe so ein Wesen noch nie zu Gesicht bekommen. Gibt es ihrer noch weitere?"

    „Ja, es gibt noch mehr von ihnen, wobei sie erst seit wenigen Jahren auf Erden existieren. Sie gehen alle aus dem gleichen Dämon hervor. Er breitet sich aus wie eine Seuche, die Menschen in Blut trinkende Untote verwandelt."

    „Untote... Der Begriff schwebte durch den Saal wie eine düstere Wolke. „Sie sind demnach nicht sterblich?

    „Sie sind fähig, ewig zu leben, ja. Aber auch sie können getötet werden."

    Neugierig geworden, musterte der Richter den verbrannten Vampir nun etwas eingehender.

    „Wie kommt es aber, dass mir bisher noch keiner von ihnen vorgestellt wurde?"

    Cheriour senkte demütig seinen Blick.

    „Verzeiht, Euer Ehren! Gemäß Ioelets Urteil heißt es, dass dieser Dämon nicht mehr von der betroffenen menschlichen Seele gelöst werden kann. Das Erste Gericht, dem ich vorsitze, hat daraufhin befunden, dass diese infizierten Seelen auf keinen Fall in den himmlischen Seelengarten Einzug halten dürfen. Andernfalls droht die Gefahr einer Verseuchung oder gar Zerstörung seiner Reinheit und seines Friedens! Wir haben diese Kreaturen bisher direkt an die Unterwelt übergeben, ohne dass sie dem Hohen Gericht vorgestellt wurden."

    Wieder beäugte der Richter den verkohlten Vampir, und diesmal schien die Luft in dem Saal von einem leisen Vorwurf zu knistern.

    „Und warum erscheint nun doch ein Vampir vor diesem Gericht?"

    Cheriour sah mit einer bedeutungsvollen Miene zu Ambriel und der Richter folgte diesem Blick.

    „Nun, Ambriel? Kannst du mir dazu Auskunft geben?"

    Ambriel erhob sich und reckte seine Schultern, sodass sich seine großen, weiß gefiederten Flügel aufspreizten. Dann faltete er sie wieder zusammen und warf einen liebevollen Blick auf die Gestalt zu seinen Füßen.

    „Mein Schützling...", wollte er sagen, wurde aber von einem anschwellenden Raunen aus der Menge der Zuschauer unterbrochen.

    „Mein Schützling..., fuhr er fort, nachdem es dank eines rügenden Blicks des Richters wieder still geworden war, „ist dem Ersten Gericht gar nicht vorgestellt worden, weil sein Körper noch nicht gänzlich gestorben ist.

    Wieder wurden die Stimmen der anwesenden Engel lauter. Aufgebracht riefen sie durcheinander, bis diesmal Cheriour sie durch eine beschwichtigende Geste zur Ruhe brachte. Dann wandte er sich selbst an den Richter.

    „Verzeiht, Euer Ehren, dass ich unterbreche, aber ich habe den Eindruck, Ambriel hat einen ganz besonderen Grund, diesen Vampir vor Euch zu verteidigen. Immerhin ist er der einzige Schutzengel, der seinen Schützling nicht verlassen hat, als dieser sich mit dem Dämon verband."

    Der Richter ließ seinen Blick nachdenklich zwischen Ambriel und Cheriour hin- und herschweifen. Zuletzt verharrte er auf Ambriel.

    „Also gut, Ambriel, dann erkläre uns dein Handeln!"

    Ambriel warf Cheriour einen dankbaren Blick zu, obwohl er wusste, dass hinter Cheriours Einsatz nicht die Absicht steckte, ihm zu helfen. Vielmehr schien er zu ahnen, welchen Anteil Ambriel an der Geburt des ersten Vampirs gehabt hatte. Aber der Schutzengel war nicht bereit, sich und seinen Schützling kampflos der Unterwelt zu übergeben. Manchmal mussten Gebote eben auch gebrochen werden. Einfach um des Guten willen.

    Mit sorgenvoll zusammengezogenen Brauen sah er zu dem Richter hinauf.

    „Bitte habt noch einen Moment Geduld! Ich möchte, dass mein Schützling an der Verhandlung teilhaben kann."

    Nach einem knappen, zustimmenden Nicken des Richters, kniete sich Ambriel neben der bewusstlosen Gestalt nieder und legte seine durchscheinend weiße Hand sanft auf ihre Schulter. Gebannt waren die Augen der übrigen Engel auf den Vampir gerichtet und es war so still, dass nur das Rasseln seiner schwachen, von langen Pausen unterbrochenen Atemzüge zu hören war.

    Zunächst schien sich durch Ambriels Berührung nichts zu verändern, aber schon kurze Zeit später begann sich - anfangs zwar kaum merklich, doch dann immer deutlicher - die verkohlte Haut des Vampirs aufzuhellen und zu straffen. Die verbrannten Augenlider verheilten und glitten wieder über die grauen, verdorrten Augäpfel, welche nun gleichfalls an Form und Farbe in ihren ursprünglichen Zustand zurückfanden. Ebenso füllten sich die zusammengeschrumpften Lippen und bedeckten wieder die zuvor freigelegten, raubtierartigen Eckzähne. Stück für Stück verwandelte sich auf diese Weise jene entsetzlich entstellte Gestalt, bis sie zu einem zunehmend menschlich anmutenden, sogar wohlgeratenen Körper geworden war.

    Noch waren die Augen des Vampirs wie zum Schlaf geschlossen und das faltenlose, feingeschnittene Gesicht entspannt. Seine dunklen, widerspenstigen Haare waren zerzaust und vereinzelte Strähnen hingen ihm wirr über die Stirn. Dann aber beugte sich Ambriel über sein Ohr, um ihn mit beruhigend zugeflüsterten Worten behutsam zu wecken, und schließlich begann der Vampir, sich langsam zu bewegen. Ein benommenes Stöhnen entrang sich seiner Kehle, während er erwachte, und dann, plötzlich, riss er erschrocken die Augen auf, wohl wissend, dass irgendetwas nicht stimmte. Als er daraufhin Ambriels Gesicht unmittelbar über sich erblickte, wollte er hastig aufspringen, um zu fliehen, doch Ambriels Hand hielt ihn sanft zurück.

    „Bleib ruhig! Es wird dir nichts geschehen", sagte er mit leiser, sonorer Stimme, und der Vampir gab seinen Widerstand zögerlich auf.

    „Wo bin ich?", fragte er ebenso leise, während er sich langsam aufsetzte und staunend umschaute. Noch nie zuvor hatte er etwas Vergleichbares gesehen.

    „Du bist vor Gericht. Aber sei ohne Sorge! Ich werde für dich sprechen."

    Verwundert betrachtete der Vampir seine bleichen Hände, als seien sie ihm auf einmal eigentümlich fremd. Dann sah er wieder zu Ambriel auf und musterte ihn von oben bis unten.

    „Sag mir, wer bist du und vor welchem Gericht befinde ich mich? Es ist so hell hier und doch sind meine Augen nicht geblendet. Ebenso verbrennt meine Haut nicht... Gerade noch ging die Sonne auf und..."

    Der Vampir hielt inne und verzog schmerzlich das Gesicht, wobei er abermals ungläubig seine Hände betrachtete.

    „Ich bin dein Schutzengel. Und jetzt steh auf. Du stehst vor des Himmels Hohem Gericht, vor dem deine Seele gerichtet wird." Ambriel fasste dem Vampir unter den Arm, um ihm aufzuhelfen. Ängstlich blickte sein Schützling sich dabei um und wandte sich schließlich erneut an Ambriel.

    „Sag mir, Engel, was wird mit meiner Seele geschehen?", flüsterte er besorgt, sodass nur Ambriel ihn verstehen konnte.

    „Schsch. Wir müssen die Verhandlung abwarten! Sieh, der Richter wird jetzt das Wort ergreifen." Ambriel zeigte mit seiner Hand auf das Pult, hinter dem der Engel aufmerksam die wundersame Heilung des Vampirs beobachtet hatte. Mit einem Nicken signalisierte ihm Ambriel, dass er nun bereit war und der Richter gab sein Einverständnis. Doch bevor Ambriel endlich zu sprechen begann, sah er noch einmal zu dem Vampir, der nun in seiner unversehrten Gestalt neben ihm stand. Noch immer ruhte seine Hand auf der Schulter seines Schützlings, und solange sie dort blieb, würde sie ihn vor Schmerz und Furcht bewahren.

    „Dies ist mein Schutzbefohlener seit dem Tag, an dem sein Herz im Leib seiner Mutter zu schlagen begonnen hat. Ich kenne seine Seele besser als irgendwer sonst! Ich habe gesehen, wie er geboren wurde, heranwuchs und zu einem Mann heranreifte. Stets war ich schützend an seiner Seite als er seine Welt entdeckte und für sich zu nutzen begann. Ich weiß, welche Einflüsse auf ihn wirkten und wie sie ihn prägten. Ich war auch in jener schicksalshaften Nacht an seiner Seite und musste mit ansehen, wie er zu dem gemacht wurde, was er seither jede Nacht ist: ein Vampir. Und gerade deswegen habe ich keinen einzigen Tag an seiner Seele gezweifelt! Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, ihn zu verlassen!" Ambriel machte eine Pause und warf einen Seitenblick auf Cheriour. Gerade wollte der Richter ihn auffordern, fortzufahren, da sprach er schon weiter.

    „Ich weiß, wie mit Seinesgleichen nach ihrem Tod verfahren wird. Selbst die Gründe kann ich nachvollziehen. Aber dennoch denke ich, dass mein Schützling es ebenso verdient hat, dem Hohen Gericht vorgestellt zu werden, wie jede menschliche Seele auch. Es muss doch ein Urteil zu finden sein, das ihm gerecht wird. Zumindest sollte sein Fall Anlass geben, danach zu suchen... Ambriel verbeugte sich, ohne dabei die Schulter des Vampirs loszulassen, und schloss mit den Worten: „Dies ist mein Anliegen, Euer Ehren. Und nun ist es an dem Gericht, darüber zu entscheiden.

    Der Richter betrachtete Ambriel schweigend. Dann ließ er seinen Blick zu dem Vampir gleiten, der ihn aus seinen schwarzen Augen erwartungsvoll und nicht ganz ohne Sorge ansah.

    „Also gut, Ambriel, der Vampir soll seine Chance bekommen. Du wirst ihn verteidigen. Ob es jedoch ein neuartiges Urteil für ihn geben wird, kann erst im Anschluss abgewogen werden... Wer führt die Anklage?"

    Cheriour hob ohne zu zögern seine Hand und der Richter ließ ihn mit einem zustimmenden Nicken hervortreten.

    „Bitte, Cheriour! Du darfst beginnen."

    Cheriour ging ein paar Schritte, bis er unmittelbar vor dem Vampir wieder stehen blieb. Abschätzend betrachtete er ihn von oben bis unten, als wolle er einen Makel an ihm suchen. Fast schon herausfordernd hielt der Vampir diesem Blick stand, Ambriels Zuversicht spendende Hand dabei auf der Schulter.

    „Nun, Vampir, beginnen wir mit der einfachsten Frage: Wie viele Menschenleben hast du getötet?"

    Verunsichert sah der Vampir zu Ambriel herüber, der ihm jedoch mit einem wissenden Nicken bedeutete, ruhig der Wahrheit gemäß zu antworten. Dadurch bestärkt wandte sich der Vampir wieder an Cheriour. Trotzig hob er sein Kinn und sagte schließlich mit fester, überraschend wohlklingender Stimme: „Es werden wohl tausende gewesen sein. Genau kann ich es leider nicht sagen, denn ich habe sie nicht gezählt..."

    Laute der Empörung erhoben sich raunend aus der Schar der Engel und Cheriour drehte sich mit einem siegessicheren Lächeln wieder zu dem Richter um.

    „Ich denke, ich benötige wohl kaum weitere Fragen, Euer Ehren. So hat der Vampir eben gestanden, allein tausendfach gegen das dritte Gebot verstoßen zu haben."

    Doch noch bevor der Richter das Wort ergreifen konnte, fiel Ambriel ein: „Nein, so kann er nicht befragt werden! Euer Ehren, gestattet, dass ich spreche!"

    Erschrockenes Schweigen unter den Versammelten folgte Ambriels Einwand. Selbst der kleinste Laut erstarb.

    „Ich bitte Euch!", setzte Ambriel flehend nach.

    Die Augen des Richters bohrten sich in die des Schutzengels, der dem Blick schließlich betreten auswich.

    „Also gut, Ambriel, doch treibe es nicht zu weit. Merke dir für das nächste Mal: Du hast erst zu sprechen, wenn das Wort an dich gerichtet wird!"

    Ambriel senkte demütig sein Haupt.

    „Ich danke Euch vielmals! Doch ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass die Natur des Vampirs nun einmal die ist, sich von Menschenblut zu ernähren. Er hat keine andere Wahl! Kein Mensch würde dem Wolf eine Sünde vorwerfen, wenn er das Lamm reißt."

    Der Richter nickte zustimmend.

    „Dem Einspruch wird stattgegeben, sagte er und wandte sich damit wieder an Cheriour: „Cheriour, bestehen noch weitere Fragen?

    Mit einem nicht zu leugnenden despektierlichen Gesichtsausdruck wandte Cheriour sich abermals an den Vampir.

    „Also gut, verallgemeinern wir die Sachlage also! Demnach formulieren wir das Gebot so, dass es fordert, nicht innerhalb der eigenen Art zu töten. Die Menschenleben scheiden damit aus. Wie aber steht es mit anderen Vampiren? Hast du Wesen deiner eigenen Art getötet oder ihren Tod verschuldet, Vampir?"

    Der Vampir starrte Cheriour lange an. Dann senkte er betrübt den Kopf.

    „Ja.", antwortete er kleinlaut.

    „Wie viele?"

    Der Vampir zögerte. Doch schließlich flüsterte er: „Dutzende..."

    „Danke, das reicht mir jetzt, Euer Ehren. Keine weiteren Fragen."

    Damit drehte sich Cheriour um und ging mit selbstzufriedener Miene zurück an seinen Platz.

    Ambriel suchte derweil ungeduldig den Blick des Richters, der jedoch gerade über den derzeitigen Tatbestand nachzudenken schien. Seine Gestalt wurde dabei so durchscheinend, dass sie sich beinahe verlor. Dann aber, endlich, erwachte er aus seinen Gedanken, nahm wieder feste Konturen an und sah zu Ambriel herüber.

    „Was hat die Verteidigung dazu zu sagen?"

    „Euer Ehren, ich weiß, die Lage erscheint klar und eindeutig. Doch das ist sie ganz und gar nicht! Gott hat die zehn Gebote den Menschen gegeben. Doch für einen Vampir, der sich in einem Zustand zwischen Mensch und Dämon befindet, kann dieses Richtwerk nicht angewendet werden. Wie aber soll ich das alles erklären? Es ist viel zu komplex und daher bitte ich darum, seine Geschichte erst genauer zu betrachten, bevor ein Urteil über die Güte seiner Seele gesprochen wird."

    „Hm..." Wieder ließ der Richter sich Zeit mit einer Antwort. Sein Blick kroch langsam an dem Vampir rauf und runter und verharrte zuletzt bei dessen Augen, die derweil hoffnungsvoll an den Seinen hafteten.

    „Also gut, Vampir. Wir werden uns darauf einlassen. Zeige uns deine Seele! Möge Ambriel Recht behalten und sie uns eine neue Perspektive eröffnen."

    Der Vampir streckte seinen Rücken und nickte sichtlich erleichtert.

    „Ich danke Euch, Euer Ehren! Doch dürfte ich vorab eine Bitte äußern?"

    „Um was geht es dabei?"

    Der Vampir verneigte sich höflich vor dem Richter.

    „Ihr nennt mich stets Vampir. Das bin ich zwar, doch fühle ich mich vielmehr meinem Namen verbunden, der mich stets daran erinnert, als Mensch geboren worden zu sein. Daher bitte ich Euch, nennt mich bei diesem Namen: Armon."

    Der Richter schwieg eine Weile und nickte dann.

    „Gut, Armon, so soll es sein."

    Armon verneigte sich noch einmal als Zeichen seines Dankes. Dann drehte er sich zu den anderen Engeln herum und betrachtete sie. Er spürte, wie sich ihrer aller Blicke auf ihn richteten. Tief drangen sie in ihn ein, warm wie Lichtstrahlen. Ohne es willentlich steuern zu können, geriet er plötzlich in einen Strudel aus Worten und Bildern, gespeist aus seiner Vergangenheit, und die Zeit verlor ihre Bedeutung. Er begann zu erzählen und vermochte dabei nicht einmal zu sagen, ob seine ersten Worte auch schon seine letzten waren.

    Die Verwandlung – Kapitel 1

    „Der Tag, an dem es geschah, begann mit einem wunderschönen Herbstmorgen im Jahre 1722.

    Ich schaute aus dem Fenster des elterlichen Anwesens, auf dem ich als dritter Sohn einer landadeligen Familie aufgewachsen war. Meine Gemächer lagen im zweiten und damit obersten Stockwerk des östlichen Flügels unseres bereits vor Generationen errichteten Schlösschens, welches auf einer kleinen, grün bewachsenen Anhöhe thronte. Von hier aus hatte ich einen phantastischen Ausblick auf die Ländereien, Felder, Wiesen und Wälder, die uns damals gehörten.

    An diesem Morgen, ich sehe es noch genau vor mir, tauchte die aufgehende Sonne die Landschaft in außergewöhnlich leuchtend rotgoldene Farben, sodass ich noch eine Weile am Fenster verharrte, um diesen atemberaubenden Anblick so intensiv wie möglich auszukosten... Als hätte ich bereits den finsteren Schatten wie ein Unwetter heraufziehen gespürt, obgleich der Himmel sich von einem Horizont bis zum anderen in strahlendem, wolkenlosen Blau präsentierte.

    Es war noch früh, doch die Bediensteten eilten bereits geschäftig über den Hof und gingen emsig ihrer Arbeit nach. Die frische Luft, die durch das geöffnete Fenster in mein Zimmer strömte, wurde begleitet von dem Schallen schneller Schritte, dem metallenen Schaben einer Mistgabel, den barschen Rufen des Stallmeisters sowie dem Schnauben der Pferde, die bereits ungeduldig mit den Hufen scharrten, in freudiger Erwartung, bald auf die saftig grüne Weide geführt zu werden.

    Doch nicht nur draußen herrschte Betrieb. Auch im Hause waren die Dienstmädchen bereits damit beschäftigt, den Tisch für das Frühstück der Herrschaften einzudecken. Die Köchin – eine füllige, manchmal äußerst launische Frau – hatte schon längst Herd und Ofen angeheizt, Teig geknetet und das Fett in der Pfanne geschmolzen, sodass nun ein herrlicher Duft nach gebratenem Schinken, Eiern und frischem Brot durch sämtliche Ritzen des Gemäuers zog und schließlich auch meine hungrige Nase erreichte.

    Ausgeruht und voller Tatendrang fuhr ich mir hastig mit einer Handvoll Wasser aus der bereitstehenden Waschschüssel durch mein Gesicht und kleidete mich in meine Reiterkluft, denn ich gedachte, noch vor dem gemeinschaftlichen Frühstück der Familie einen kleinen Ausritt zu unternehmen. Vorher wollte ich allerdings noch meinen knurrenden Magen besänftigen und schlich mich hinunter in die Küche, wo ich mir, von der Köchin unbemerkt, ein kleines Frühstück zusammenstahl.

    Mit vollem Mund, aber wieder leeren Händen, betrat ich wenig später die Waffenkammer. Zielstrebig steuerte ich auf die breite Glasvitrine zu, die eine beachtliche Auswahl an Schusswaffen beherbergte. Den dazugehörigen Schlüssel fingerte ich aus seinem Versteck, einer flachen, unscheinbaren Schublade am Sockel der Vitrine, und öffnete die Tür. Ich brauchte nicht lange zu überlegen, für welche Waffe ich mich entscheiden sollte, bevorzugte ich doch für die Jagd – und wer weiß, vielleicht ergab sich auf meinem Ausritt ja die Gelegenheit dazu - eine schlicht gearbeitete Steinschlossbüchse, nach der ich direkt griff. Dazu versorgte ich mich noch mit der passenden Munition, einem kurzen Dolch und begab mich dann auf den Weg zu den Ställen.

    Bei meinem ersten Schritt hinaus auf den Hof, wurde ich von einer erfrischenden Brise feuchter, von dem Schein der Sonne bereits angenehm erwärmter Morgenluft begrüßt, was meine Vorfreude auf den kleinen Ausflug noch steigerte; ich konnte ja nicht im Ansatz ahnen, wohin er mich letztlich führen würde... Gemächlich schlenderte ich über den kopfsteingepflasterten Hof zu den Ställen hinüber. Die ersten Tiere befanden sich schon auf der Koppel und Carl, der Stallknecht, war damit beschäftigt, die verlassenen Pferdeboxen auszumisten. Er schob gerade einen Karren voll Mist über den Hof, als ich unbedarft vor ihn trat und damit beauftragte, mein Pferd zu satteln. Mit der Miene eines nachsichtigen Vaters stellte er den Karren ab und kehrte in den Stall zurück, um meinem Wunsch nachzukommen. Währenddessen lehnte ich mich lässig mit gekreuzten Beinen an das Stalltor, um dort auf ihn zu warten und mir mit genießerisch geschlossenen Augen von den Sonnenstrahlen das Gesicht wärmen zu lassen.

    Ich war damals 28 Jahre alt und lebte auf unserem Anwesen noch zusammen mit meinen Eltern, meiner jüngeren Schwester und einer Reihe von Bediensteten.

    Meine beiden deutlich älteren Brüder hatten das Gut schon vor Jahren verlassen, um sich am Königshof – ehrgeizig wie sie waren – empor zu dienen. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie sie alles daran setzten, um sich dabei gegenseitig auszustechen.

    Wie dem auch war: mittlerweile hatten sie ihre Positionen errungen, ja sie waren sogar mit eigenen Ländereien ausgestattet und es zog sie glücklicherweise nur noch selten zu dem heimatlichen Anwesen.

    Ich möchte hier anmerken, dass ich nie ein besonders gutes Verhältnis zu ihnen gehabt hatte. Sie selbst waren in kurzem Abstand hintereinander geboren worden und standen sich damit auf ihre ganz eigene Art und Weise sehr nahe. Ich dagegen war bloß der kleine Nachzügler gewesen, den niemand ernst nehmen konnte - oder wollte. Obwohl meine Brüder schon als Kinder stets ihre bisweilen bösartigen Kämpfe untereinander auszufechten pflegten, so hatten sie es dennoch vermocht, sich bestens miteinander zu vertragen, wenn es darum ging, sich gegen mich zu verbünden. Daher muss ich ehrlich zugeben, dass ich nur froh gewesen war, als sie das Elternhaus endlich verließen, und ich vermisste sie seither nicht im Geringsten. Ebenso wenig interessierte mich ihr Vorankommen in der Ferne, und es ihnen womöglich irgendwann einmal nachzutun, kam mir schon gar nicht in den Sinn. Zu gut ging es mir zu Hause, und da ich der letzte verbliebene Sohn auf dem Anwesen war, blieb es ohnehin an mir, es eines Tages als rechtmäßiger Erbe zu übernehmen.

    Bei meiner Schwester, Elisabeth, hingegen verhielt es sich vollständig anders. Ihre Geburt war zwar für meine Eltern wohl eher ein Versehen gewesen, doch für mich war es das Größte, was mir hätte widerfahren können. Ich weiß noch, wie mein Vater mir meine kleine, frisch geborene Schwester behutsam in den Arm legte, während meine Mutter noch erschöpft in ihrem Bett lag... Elisabeth war nur kurz gebadet und dann in ein weißes Leinentuch gewickelt worden. Ehrfürchtig schaute ich auf dieses kleine, unschuldig schlummernde Wesen herab, das sich so warm anfühlte und so eigenartig süß duftete, und das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich wichtig. Von nun an sollte es jemanden geben, der noch kleiner war als ich und auf den es aufzupassen galt. Eine große Aufgabe!

    Im Nachhinein muss ich darüber schmunzeln, aber damals hatte ich mich mit meinen knappen fünf Jahren auf einmal so unglaublich erwachsen gefühlt und dementsprechend meine Aufgabe sehr ernst genommen. Bis zu der Zeit, wo auch Elisabeth größer geworden war und sie von meinem Schützling vielmehr zu meiner Spielkameradin wurde.

    So blieb es eigentlich, bis wir erwachsen waren und ich konnte mir nicht vorstellen, irgendwann ohne Elisabeth zu sein. Daher kam es mir sehr gelegen, dass meine Eltern - nicht zuletzt dank des Einsatzes meiner Mutter - so liberal waren und meiner Schwester ein Mitspracherecht bei der Auswahl ihres zukünftigen Gatten zustanden. (Auch wenn es der damaligen Sitte, die Tochter meist ungefragt an einen vielversprechenden Mann gleichen oder womöglich höheren Standes zu verheiraten, nicht entsprach.) Dies führte nämlich dazu, dass Elisabeth auch mich bei dieser Entscheidung stets mit einbezog und ich auf diese Weise bereits so manche Heirat hatte verhindern können; mit dem Ergebnis, dass sie mit ihren 23 Jahren – obgleich unzweifelhaft von reizvoller Gestalt – noch unverheiratet und kinderlos war und die Unzufriedenheit unserer Eltern darüber wuchs. Damals hatte mich das allerdings nur wenig gekümmert, und welche unseligen Konsequenzen meine Eltern zuletzt darauf hatten folgen lassen, sollte ich erst Jahre später erfahren.

    Von den Schuldgefühlen allerdings, die ich seither deswegen empfinde, werde ich mich wohl niemals lossagen können. Denn wenn ich nicht so egoistisch und eifersüchtig gewesen wäre, hätte Elisabeths Leben wahrscheinlich einen ganz anderen Lauf genommen und ich hätte sie am Ende nicht auf so abscheuliche Art verlieren müssen. Doch dazu später.

    Das Schnauben meines Pferdes erklang auf einmal unmittelbar neben mir, sodass ich aus meinen dahinwandernden Gedanken wieder auftauchte. Ich öffnete meine Augen und blickte direkt in Carls belustigt schmunzelndes Gesicht, während er mir die Zügel entgegenhielt. Ich lächelte ertappt, bedankte mich und während er zu seinem Mistkarren zurückkehrte, verstaute ich das Gewehr, das ich solange an meiner Seite abgestellt hatte, in der eigens dafür gefertigten Satteltasche. Dann schwang ich mich behände auf den Rücken des Tieres und trieb es mit einem leichten Fersendruck in die Flanken an. Tänzelnd setzte es sich in Bewegung und das ungeduldige Klappern seiner Hufe auf dem Pflaster hallte über den ganzen Hof. Ich spürte, wie es nur darauf drang, endlich davon zu galoppieren, doch ich zügelte es noch so lange, bis wir den Hof durch das Tor verlassen hatten. Erst dann ließ ich es gewähren, worauf es übermütig lospreschte.

    Ich liebte das kraftvolle Spiel seiner Muskeln, die sich dabei an meinen Unterschenkeln rieben, und hatte bald das Gefühl mit dem gleitenden Rhythmus des Tieres zu verschmelzen, während es mühelos über den Pfad dahinjagte. Die Geschwindigkeit versetzte mich schon bald in einen regelrechten Rausch und ich trieb es unermüdlich in wildem Galopp quer über die Felder und zuletzt auf den angrenzenden Wald zu. Ungebremst ritt ich noch ein Stück hinein, bis der Pfad zunehmend von Gestrüpp überwuchert wurde und uns damit zwang, langsamer zu werden.

    Schließlich zog ich die Zügel an und stieg ab, um mir – das Pferd hinter mir herführend - mit Händen und Füßen einen Weg durch das Dickicht zu bahnen. Dabei hielt ich Ausschau nach möglichen Spuren von Rehen, Wildschweinen oder was sich sonst noch zur Jagd anbot. Und tatsächlich war ich noch gar nicht so tief in den Wald vorgedrungen, da stieß ich auf eine Fährte, welche die ganze Angelegenheit deutlich spannender gestalten sollte, als ich mir erhofft hatte.

    Es handelte sich um den typischen Abdruck einer Wolfstatze, der sich frisch auf der feuchten Erde abzeichnete.

    Ein wohliges Schauern lief mir über den Rücken. Etwas Besseres als ein Wolf hätte mir gar nicht passieren können... Zudem schien er nicht im Rudel unterwegs zu sein, da ich nur diese einzelne Spur fand. Was also sprach dagegen, mir dieses Tier noch heute morgen zu schnappen, auf dass es im Winter eine Bestie weniger gab, die – vom Hunger getrieben – sich in die Nähe der Menschen wagen und unser Vieh gefährden könnte.

    Von dieser Idee angespornt folgte ich der Fährte eine ganze Zeit lang, ohne jedoch das Gefühl zu haben, meinem Ziel dabei nennenswert näher zu kommen. Die Enttäuschung begann langsam vor sich hin zu brodeln und sich ihren Weg an die Oberfläche zu bahnen, da spürte ich, wie sich mein Pferd plötzlich dem Zug an seinem Zügel widersetzte. Ein Blick über die Schulter auf seine angelegten Ohren und aufgerissenen Augen bestätigte meine Vermutung, dass irgendetwas das Tier nervös machte.

    Abrupt blieb ich stehen.

    Der Wolf musste nun ganz in unserer Nähe sein. Vermutlich beobachtete er uns sogar aus einem sicheren Versteck heraus. Suchend schaute ich mich um, kniff die Augen zusammen und versuchte, auch die leiseste Bewegung im Unterholz zu erfassen, die ihn hätte verraten können. Doch zunächst blieb alles still.

    Ich war nah daran, meinen Weg fortzusetzen und zog erneut an dem Zügel. Doch mein Pferd rührte sich keinen Deut mehr von der Stelle. Stattdessen riss es bloß unruhig seinen Kopf in die Höhe, sodass ich letztlich gebannt dort verharrte, wo ich war.

    Wieder tat sich nichts. Kein Geräusch, außer dem Zwitschern der Vögel und dem hin und wieder aufkommenden Rascheln, wenn eine Maus unter den abgefallenen, vertrockneten Blättern nach Bucheckern oder dergleichen suchte. Kein Zweig, der verräterisch schwankte und darauf hindeuten könnte, dass dort soeben noch ein Wolf hindurch geschlüpft war. Nichts.

    Und so kam es schließlich völlig unerwartet, dass ich, nachdem ich bloß für einen kurzen Moment über meine Schulter nach hinten gesehen hatte, wieder nach vorne schaute und mich plötzlich unmittelbar vor ihm fand: Dem Wolf!

    Wie vom Donner gerührt starrte ich das Tier vor mir an. Der Wolf war von beeindruckend großer, muskulöser Statur mit glänzendem, pechschwarzen Fell und wilden, ungewöhnlich schwarzen Augen, aus denen er mich neugierig beobachtete. Es war eine ganz und gar absurde Situation, in der sich wohl jeder die Frage hätte stellen können, wer hier nun gleich Jäger und wer Gejagter sein würde. In diesem Moment allerdings befand sich die Waage noch im Gleichgewicht. Weder der Wolf, noch ich rührten sich. Ein jeder stand bloß reglos da und betrachtete sein Gegenüber wie vor einem anstehenden Kampf, wartend auf die Reaktion des Anderen.

    Doch nichts geschah. Der Wolf ergriff weder die Flucht, noch griff er mich an – was mich zugegebener Maßen äußerst erleichterte, denn ich war mir nicht sicher, ob ich den Dolch so schnell zur Hand gehabt hätte, um mich damit verteidigen zu können. Also machte zuletzt ich den Anfang, trat vorsichtig einen Schritt zurück, hoffend, den Wolf dadurch nicht aufzuschrecken, und zog mein Gewehr ganz langsam aus der Satteltasche heraus. Der Wolf reagierte nicht.

    Ebenso langsam hob ich das geladene Gewehr auf Augenhöhe, legte den Kolben an meiner Schulter an und zielte unverwandt auf die Stirn des Tieres. Der Wolf rührte sich noch immer nicht und ich konnte kaum glauben, dass er es mir tatsächlich so leicht machen sollte.

    Ich legte den Finger auf den Abzug und drückte ihn behutsam durch, bis ich den Widerstand des Anschlags spürte. Dabei blieben meine Augen fest auf die Stirn des Wolfes gerichtet, der noch immer reglos dasaß. Doch gerade als ich den Druck meines Fingers verstärken und endlich schießen wollte, sprang er - als hätte er es geahnt - auf und lief davon. Allerdings nur ein paar Schritte. Dann hielt er wieder an und beobachtete mich erneut.

    Ich nahm das Gewehr herunter in dem sicheren Glauben, er würde jetzt jeden Augenblick endgültig die Flucht ergreifen, doch er verharrte still auf seinem Platz. Also legte ich die Waffe abermals an und zielte wieder auf ihn. Und auch diesmal wartete er genau so lange, bis ich beinahe schoss, bloß um just im letzten Augenblick wieder aufzuspringen und ein Stück davonzulaufen.

    Dieses Spiel wiederholte sich noch ein weiteres Mal und langsam wurde ich skeptisch. Was bewog diese Bestie bloß dazu, sich derart seltsam zu verhalten?

    Entschlossen trat ich schließlich auf das Tier zu, das Gewehr jetzt in der linken Hand, während ich mit der Rechten den Griff des Dolches umschloss, den ich in einer Scheide an meinem Gürtel trug. Doch auch davon blieb der Wolf unbeeindruckt und harrte weiterhin aus, wo er war. Geradewegs ging ich auf ihn zu und beschleunigte sogar meine Schritte, wissend, dass dies ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen war. Aber meine Erregtheit ließ mich alle Vorsicht vergessen und als der Wolf auch dann noch keine Anstalten machte, zu fliehen, warf ich schließlich das Gewehr zur Seite und zog den Dolch aus der Scheide, um ihn damit anzugreifen.

    Tatsächlich ließ er mich sogar so nah an sich herankommen, dass ich ihn beinahe hätte berühren können, und ich machte mich schon bereit zu dem entscheidenden Sprung. Da aber rannte er los, wenn auch wieder nur so weit, dass er in etwas größerer Entfernung abermals auf mich warten konnte.

    Konsterniert blieb ich stehen und überlegte, ob ich diese aberwitzige Jagd nicht einfach abbrechen sollte, doch mein Ehrgeiz war bereits entfacht und Aufgeben kam für mich nicht mehr in Frage. Also spielte ich dieses Spielchen weiter, wobei ich dem Tier nun zunehmend aggressiver folgte.

    Auf diese Weise trabte der Wolf eine ganze Weile munter vorweg, während ich ihm blindlings hinterher rannte, bis er schließlich plötzlich in einer kleinen Höhle verschwand, deren spaltförmiger Eingang sich unverhofft hinter einem umgestürzten Baum auftat. Verdutzt blieb ich stehen.

    Warum lief der Wolf in diese Höhle hinein? Bis hierhin hatte ich eigentlich den Eindruck gehabt, dass er über eine außergewöhnliche Intelligenz verfügte. Wie aber konnte er dann jetzt auf einmal so dumm sein, sich unweigerlich in eine Falle zu begeben?

    Oder konnte es sein, dass der Wolf mich absichtlich hier her gelockt hatte und gar nun ich drohte, in eine Falle zu tappen? Nein, bei aller Eigenart, die meine Jagd bis jetzt zwar an sich gehabt hatte, aber ein solches Denken traute ich dieser Kreatur dann doch nicht zu.

    Hin- und hergerissen blickte ich noch einmal zurück und stellte dabei fest, dass ich mein Pferd sowie mein Gewehr einfach ungeachtet zurückgelassen hatte. Aber im Grunde kümmerte mich das in diesem Moment nur wenig, denn ich war der Überzeugung, dass ich nun leichtes Spiel haben würde und sich die Jagd damit endlich dem baldigen Ende näherte.

    Also wandte ich mich wieder dem Höhleneingang zu und trat näher an ihn heran. Ein kühler Modergeruch schlug mir wie eine Warnung daraus entgegen und weckte in mir unweigerlich einen gewissen Widerwillen. Allerdings reichte dieser noch lange nicht aus, um mich davon abzuhalten, die Höhle in leicht geduckter Haltung und mit angriffsbereit vorgestreckter Waffe zu betreten.

    Im Eingangsbereich sorgte das Tageslicht noch für genügend Helligkeit, um gut sehen zu können. Aber je tiefer ich in die Höhle vordrang, desto dunkler wurde es. Bei jedem weiteren Schritt, den ich auf dem zunehmend schlüpfrig feuchten Boden tat, wurde das Gefühl einer nicht fassbaren Bedrohung stärker, wobei ich noch nicht einmal genau erklären konnte, warum das so war. Handelte es sich doch lediglich um einen einzelnen Wolf, dem ich da auf den Fersen war...

    Heute verfluche ich diesen Moment immer und immer wieder, und ich wünschte mir nichts mehr, als dass ich damals auf dieses Gefühl gehört hätte. Aber ich tat das Gegenteil.

    Die unaufhaltsam an mir heraufkriechende Furcht ignorierend, die Sinne auf das Feinste geschärft und die Muskeln bis auf den Kleinsten angespannt, ging ich unbeirrt weiter. Nervös umklammerte ich den Dolchgriff mit meiner feuchten Hand und blickte mit schnellen Kopfbewegungen mal nach rechts, mal nach links, um möglichst keinen Winkel außer Acht zu lassen, in dem sich der Wolf möglicherweise verkrochen und auf die Lauer gelegt haben könnte. Glücklicherweise gewöhnten sich meine Augen bald ein wenig an die Dunkelheit, sodass ich mich ihm, den ich nach wie vor nicht entdecken konnte, wenigstens nicht mehr so blind ausgeliefert fühlte. Aber wo zum Teufel steckte er?

    Plötzlich hörte ich, nicht weit von mir, ein kurzes, schnaubendes Geräusch. Schlagartig fuhr ich herum und hob den Dolch, bereit mich im Falle eines Angriffs sofort zu verteidigen. Unvermittelt begann mein Herz zu rasen, so dass der Pulsschlag wild in meinen Ohren pochte. Kalter Schweiß brach mir aus und ließ mich unwillkürlich erschauern. Auf einmal hatte ich das Gefühl, viel zu weit gegangen zu sein! Wie sehr ich allerdings Recht damit hatte, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt bei Weitem noch nicht.

    Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich mühsam, die Finsternis zu durchdringen, bis ich darin endlich die schemenhaften Konturen einer Gestalt wahrnehmen konnte. Ich war mir sicher, dass es sich dabei um den besagten Wolf handeln musste. Erschrocken wich ich ein Stück zurück und verstärkte reflexartig den Griff um meinen Dolch. Ich rechnete eigentlich fest damit, jeden Moment von dem Tier angesprungen zu werden, doch überraschender Weise verhielt es sich vollkommen ruhig. Sofort nutzte ich dieses Zögern zu meinem Vorteil und sprang mit vorgestreckter Klinge auf den Wolf zu. Dieser aber duckte sich bloß unter meinem Angriff und wich kriechend vor mir zurück. Unnachgiebig setzte ich ihm nach, doch er brachte sich bloß abermals durch ein paar Schritte rückwärts vor mir in Sicherheit. Dabei knurrte und winselte er, als mache ihm etwas große Angst.

    Verwundert hielt ich inne, denn im Vergleich zu vorhin schien sich das Tier nun beinahe gegensätzlich zu verhalten. Durch diese Tatsache stutzig geworden, betrachtete ich es mir daher etwas genauer und dabei fiel mir auf, dass dieser Wolf hier deutlich kleiner und zierlicher war. Zudem schien er ein helleres Fell zu haben, ja, es war fast weiß und wenn man genau hinschaute, dann fiel sogar ein eigenartiges Leuchten auf, das von ihm auszugehen schien.

    Fasziniert starrte ich auf den schimmernden Wolf und merkte dabei nicht, wie ich, ganz in seinen Bann geschlagen, einen weiteren Schritt auf ihn zutrat. Erneut wich er ein Stück vor mir zurück. Doch dies schien das entscheidende Stück zu viel gewesen zu sein, denn plötzlich ertönte ein gewaltiges, anschwellendes Grollen, welches fortwährend von den Höhlenwänden reflektiert wurde und sich dadurch spiralartig steigerte, bis es zuletzt schmerzhaft in meinen Ohren dröhnte. In demselben Moment, ganz unvermittelt, verschwand der Wolf vor mir, als habe der Erdboden ihn einfach verschluckt.

    Bis aufs Mark erschüttert blickte ich wild um mich, um zu erfassen, was da gerade in der Höhle vor sich ging. Doch mir blieb keine Zeit mehr, es recht zu begreifen, denn nur einen Bruchteil von Sekunden später verlor auch ich den Boden unter den Füßen und stürzte haltlos einen Hang aus spitzem Geröll herunter, hinab in eine dunkle, undurchdringliche Tiefe.

    Meine Erinnerung daran ist zwar bloß noch sehr bruchstückhaft, aber das Letzte, was ich spürte, war ein harter Schlag gegen meine Schläfe, womit schlussendlich mein Bewusstsein erlosch.

    Kapitel 2

    Wie lange ich dort ohnmächtig gelegen hatte, konnte ich nicht einschätzen. Sofern es noch Tag war, wusste ich es nicht, denn diesen düsteren Ort vermochte kein Tageslicht mehr zu erreichen. Ich hätte ebenso gut blind sein können.

    Geweckt wurde ich von Schmerzen; zum einen in meiner Kehle, die so ausgetrocknet war, als bestünde sie bloß noch aus heißem Staub, und zum anderen an meiner rechten Schläfe, die bei näherem Betasten eine Platzwunde aufwies. Blut war mir über die rechte Wange gelaufen und dort angetrocknet, sodass es nun unter meinen Fingern abbröselte.

    Damit hatte ich wenigstens eine Erklärung für den gemein pochenden Schmerz, der meinen ganzen Kopf ausfüllte und sich in Form einer hartnäckigen Übelkeit in meinen Magen fortpflanzte. Ein Zustand, in dem ich mich nach nichts mehr sehnte als nach frischer Luft! Jedoch vergeblich, denn wie das Sonnenlicht, hatte wohl auch kein einziger Windhauch je diese Grotte erreicht. Ich hatte den Eindruck, ein schwerer Ring läge um meine Rippen, gegen den ich stetig anatmen musste.

    Das brennende Stechen oder Zwicken, das mich immer wieder befiel, konnte ich mir hingegen nicht erklären. Es trat jedes Mal an einer anderen Körperstelle auf, einmal am Arm, dann an der Hand und kurz darauf wieder an den Beinen, so dass ich vermutete, es könne etwas Lebendiges sein, was mir da zusetzte. Vielleicht Insekten oder gar Ratten?

    Plötzlich spürte ich einen Biss an meinem Hals und zuckte unvermittelt zusammen. Hastig versuchte ich mich aufzusetzen, aber selbst schon der Versuch führte dazu, dass ich glaubte, mein Kopf müsse jeden Augenblick zerbersten. Würgend ließ ich mich zurück auf den Boden sinken, bloß bestrebt, den Schmerz rasch wieder unter Kontrolle zu bringen, ohne dabei auf der Stelle erbrechen zu müssen.

    So lag ich mit geschlossenen Augen da, bemüht, nur auf die Kälte des Bodens unter mir zu achten, um für einen Moment alles andere vergessen zu können, was mich umgab und langsam begann, meinen Verstand gefährlich ins Wanken zu bringen.

    Sobald ich den ersten Anfall von Übelkeit niedergerungen hatte, streckte ich – möglichst ohne dabei den Kopf zu bewegen - vorsichtig meine Hand aus, um nach meinem Peiniger zu tasten. Ich musste wissen, was mich da stach. Ich musste es unbedingt wissen! Doch gleich, wo ich auch hinlangte, dieses Wesen wich mir stets erfolgreich aus und piesackte mich dafür an anderer Stelle weiter. Dabei hinterließ es, wie ich fühlen konnte, blutige Wunden auf meiner Haut... Es waren also gar keine Stiche, nein es waren Bisse! Dieses Wesen fraß mein Fleisch! Oder trank es gar mein Blut?

    Diese Erkenntnis brachte mich nun vollkommen aus der Fassung. Hektisch schnappte ich nach Luft und mein Herz hämmerte bis in meinen Hals hinauf, als wolle es gleich davon springen. Schweiß rann mir kalt die Achseln hinunter und ich fühlte bloß noch den drängenden Impuls, von hier zu fliehen. Ich wollte aufstehen, wurde aber auf halber Strecke von meinem Schwindel eingeholt, der mich dazu zwang, inne zu halten und mich bloß auf alle Viere zu stellen.

    Zitternd stand ich da und versuchte in meiner Hilflosigkeit, mich wenigstens umzusehen. Ich weiß nicht, was ich mir in der hier herrschenden Finsternis überhaupt davon versprach, aber manchmal zahlt es sich eben aus, die Hoffnung nicht zu verlieren. So war es auch diesmal, denn zu meiner größten Erleichterung konnte ich nun einen seichten Lichtschimmer erkennen. Allerdings handelte es sich dabei nicht um das Tageslicht, das sich über irgendeine ungeahnte Lücke im Gestein einen geheimen Weg hierher gebahnt hatte. Nein, es war jenes eigentümliche Leuchten, das ich zuvor schon an dem weißen Wolf wahrgenommen hatte.

    Ohne lange nachzudenken, biss ich mir auf die Unterlippe und krabbelte schwankend auf das Licht zu. Und in der Tat, als ich nah genug herangekommen war, konnte ich in seinem Zentrum die Umrisse des Wolfes erkennen. Reglos lag er da und ich konnte nicht einschätzen, ob er womöglich ernsthaft verletzt war oder bloß schlief. Aber gleich, wie es war, je näher ich ihm kam, desto mehr erfüllte mich das warme Gefühl von Trost und Hoffnung.

    So kroch ich immer weiter an das Tier heran, so nah, dass ich schließlich, einem plötzlichen Wunsch gehorchend, sein schimmerndes Fell berühren konnte. Und als hätte ich den Wolf dadurch aus einem Traum gerissen, hob er überrascht seinen Kopf. Er sah mich aus seinen ungewöhnlich blauen Augen an und leckte zu meiner Verblüffung mit seiner weichen Zunge über meine Hand. Ein sanftes Kitzeln zog dabei über meine Haut, kroch mir leise den Arm hinauf und legte sich wie eine schützende Decke aus Zuversicht über meine schlotternde Seele.

    Seltsam berührt von dieser Geste, die ich als Zeichen unserer eigenwilligen Verbundenheit verstand, drückte ich mich eng an sein wärmendes Fell. Wäre ich nicht so taub vor Angst gewesen und hätte den Ernst meiner Lage auch nur ansatzweise begriffen, so wäre mir in diesem Moment wohl bloß zum Schreien zumute gewesen.

    Nach einer Weile aber bewirkte die tröstliche Nähe dieses eigentümlichen Wolfes, dass meine Furcht auf ein erträgliches Maß zusammenschrumpfte, während mein Puls sein erschöpfendes Tempo langsam drosselte. Zudem schien der Wolf eine abschreckende Wirkung auf jene blutsaugende Kreaturen zu haben, denn zu meiner Erleichterung hatten sie aufgehört, mich mit ihren Bissen weiter zu traktieren.

    Gegen die schrecklichen Kopfschmerzen allerdings, welche nun die eingekehrte Ruhe nutzten, um sich gleich wieder mit neu erwachender Vehemenz hinter meiner Stirn einzunisten, konnte auch der Wolf nichts ausrichten. Ich schloss die Augen und versuchte, mir mit den Fingerkuppen die Schläfen zu massieren. Doch der Erfolg war leider äußerst gering, weswegen ich irgendwann aufgab und mich bemühte, die Schmerzen so gut es ging zu ignorieren. Schließlich galt es, mir so rasch wie möglich einen Ausweg aus dieser Grotte zu suchen und mich endlich aus ihr zu befreien.

    Mit der Zeit gewöhnten sich meine Augen noch etwas besser an die Dunkelheit, sodass der matte Schein des Wolfes schließlich genügte, um in meiner unmittelbaren Nähe weitere Umrisse und Strukturen erkennen zu können. Wie erwartet, befand sich um mich herum nichts als loses Geröll und Felsen. Ich musste wohl in eine Spalte gerutscht sein, die in diese Höhle hier mündete, soviel konnte ich mir zusammenreimen. Das allerdings war auch schon alles. Die eigentliche Größe der Höhle vermochte ich in der Dunkelheit von meinem Platz aus nicht zu ermessen. Also beschloss ich, mich durch die Grotte zu tasten, bis ich einen Ausweg gefunden hatte.

    Mit neuem Mut richtete ich mich auf und stellte dabei erfreut fest, dass der Schwindel deutlich nachgelassen hatte, sodass er mich nicht mehr so zu beeinträchtigen vermochte. Entschlossen streckte ich beide Hände nach vorne aus und setzte vorsichtig, nahezu blind einen Fuß vor den anderen, bis ich auf eine der Wände traf, an der ich mich weiter entlang tastete. Ich ging fest davon aus, auf diese Weise zwangsläufig irgendwann auf einen Haufen Geröll zu stoßen, den ich empor hätte klettern können. Aber gleich, wie lange ich die Wand auch verfolgte, sie blieb durchgehend senkrecht und es fand sich nicht einmal ein kleines Gefälle, geschweige denn eine Böschung, die mich in die ersehnte Freiheit hätte führen können.

    Schließlich war ich einmal im Kreis gegangen, was ich dank des Wolfes, dessen Licht mir als Orientierung diente, mit Gewissheit sagen konnte. Doch stets hatte ich die unverändert gerade, kalte Felswand unter meinen Händen gefühlt, ohne irgendeine Unterbrechung.

    Wie konnte das sein? Bisher war ich der festen Überzeugung gewesen, durch einen Erdrutsch abgestürzt zu sein, aber nun fand ich keinen Hinweis mehr darauf...

    Ungläubig versuchte ich immer wieder mein Glück, wobei ich nicht mehr sagen kann, wie oft ich die eigentlich kleine Höhle noch umrundete. Es endete dennoch immer mit dem gleichen Ergebnis.

    Zunächst verfluchte ich die Dunkelheit in dem festen Glauben, dass ich bei nur ausreichend vorhandenem Licht den Hang sofort gefunden hätte. Aber bald schon spürte ich, wie sich langsam die Verzweiflung in meine Gedanken schlich. Was würde mit mir geschehen, wenn ich keinen Ausgang fand? Es gab weder Wasser noch Nahrung, und sicherlich verirrte sich kein Mensch hier her, der meine mit der Zeit schwächer werdenden Hilfeschreie hören würde.

    Würde meine Familie den gesamten Wald nach mir durchsuchen lassen, während ich hier unten unentdeckt verdurstete und verhungerte? Hier unten, gefangen in der ewigen Finsternis, angezapft von irgendwelchen blutgierigen Kreaturen... Oder würde der Wolf, selbst hungrig, mir vorher den Garaus machen?

    Betroffen hielt ich inne.

    Ich wollte - nein - ich durfte diesen Gedanken keinen Raum geben! Ich musste einen klaren Kopf bewahren, musste eine Lösung finden! Und noch während ich so dastand und mir nachdenklich auf den Fingernägeln kaute, mich immerwährend ermahnend, bloß ruhig zu bleiben, schien sich plötzlich in der Höhle etwas zu verändern.

    Anfangs konnte ich nicht genau sagen, was es eigentlich war. Ich meinte, hohe, stoßartige Laute hören zu können, ganz leise anfangs. Doch als ich mich darauf konzentrierte, merkte ich, dass sogar die ganze Höhle von ihnen erfüllt war. Stetig wurden sie lauter und zu allem Überfluss auch noch von den Felswänden reflektiert, bis sie sich zu einem anhaltenden Ton vereinten, der schrill in meinen Ohren klingelte. Irritiert schaute ich mich um, ohne jedoch etwas erkennen zu können.

    Dafür spürte ich jedoch plötzlich, wie mich ein kühler Lufthauch streifte. Hektisch flatternde Geräusche erhoben sich wie ein unterschwellig aufkommender Sturm, begleitet von einem vibrierenden Knistern, das sich zitternd auf meine Haut legte und mit Gänsehaut überzog.

    Unsicher blickte ich mich nach dem Wolf um und zog es schließlich vor, mich schnellstens wieder an seine Seite zu flüchten. Doch als ich ihn erreicht hatte und mich schutzsuchend an seinen Körper lehnte, stellte ich beunruhigt fest, dass die Muskeln unter seinem weichen Fell bis aufs Äußerste gespannt waren.

    Was auch immer gerade in dieser Höhle vor sich ging, ich hatte zunächst geglaubt, der Höhepunkt müsste längst erreicht sein. Doch ich hatte mich geirrt. Der unangenehm hohe Ton wurde zunehmend schriller, das Schwirren um mich herum gehetzter. Selbst der Wolf neben mir begann nervös zu zittern. Und wenn ich seine Anwesenheit bis dahin noch als beruhigend empfunden hatte, so genügte nun allein dieses Zittern, um auch den letzten Damm gegen die auf mich zurollende Panik gefährlich zu untergraben. Ja, es erforderte meine größte Selbstdisziplin, nicht einfach meinen bebenden Muskeln nachzugeben, aufzuspringen und bar jedweder Kontrolle in blinde Raserei zu verfallen. So verharrte ich stattdessen starr auf meinem Platz und presste meine Hände auf die Ohren, um diesem nervenzerrenden, mittlerweile bohrenden Ton nur irgendwie zu entgehen und mich bloß auf das Schnaufen meiner Atemzüge zu konzentrieren.

    Da plötzlich war es still. Totenstill.

    Skeptisch nahm ich meine Hände wieder herunter. Doch es blieb dabei: Nichts rührte sich mehr; nicht das leiseste Geräusch war noch zu vernehmen, sodass mir selbst das leise Rascheln meiner Kleidung während des Auf und Ab meines Atems wie ohrenbetäubender Lärm vorkam.

    Ich war wie gelähmt.

    Was hatte das alles zu bedeuten?

    Da!

    Ich hörte ein Schnauben. Nur kurz, aber dafür bedrohlich nah. Angestrengt starrte ich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war und versuchte, dort etwas zu erkennen. Doch trotz des schwachen Lichtscheins des Wolfes, herrschte so tiefe Dunkelheit, als würde irgendetwas jegliches Licht unmittelbar verschlingen.

    Der Wolf seinerseits schien allerdings mehr zu wissen als ich, denn mit eingezogenem Schwanz duckte er sich tief auf den Boden und stierte knurrend nach oben, während sein gesamter Körper vibrierte. Ratlos folgte ich seinem Blick und da sah ich es endlich!

    Das Wesen befand sich direkt über mir. Ich konnte seinen kalten Atem auf meinem Gesicht spüren, und bei seinem Anblick gefror mir das Blut in den Adern.

    Ich schaute direkt auf einen farblosen, riesenhaften Kopf, dessen hervorstechende Schädelknochen von durchscheinender Haut überspannt waren. Beidseits der zwei länglichen Krater, die sich in das Gesicht gruben, wo man sonst die Nase erwartet hätte, lauerten tief in ihren runden Höhlen zwei schwarze, unergründliche Augen. Ein rotes Licht glomm in ihnen und ich glaubte, durch diese Augen unmittelbar in die Hölle blicken zu können. Gerne hätte ich mich von ihnen abgewandt und wäre geflohen, doch ein hypnotischer Sog übermannte mich und machte es mir unmöglich. Stattdessen saß ich willenlos da, ausgeliefert, des sicheren Verderbens harrend, das sich unentrinnbar vor mir auftat.

    Fauchend riss die Kreatur ihr lippenloses Maul auf und entblößte eine Reihe spitzer Zähne, an Grausamkeit nur noch übertroffen von zwei langen, messerscharfen Reißzähnen, von denen der Speichel troff. Sie allein genügten, mir des sicheren Todes gewiss zu sein.

    Gleichzeitig aber packten mich zwei knochige Klauen mit blitzartiger Geschwindigkeit an Haaren und Brust. Wie geschliffene Messer bohrten sich die spitzen Krallen in meine Haut. Überrascht keuchte ich auf und trotz der entsetzlichen Schmerzen, die meinen ganzen Körper mit einem Mal durchfluteten, schien mein Wille plötzlich zurückgekehrt zu sein. Mit verzweifelter, aus Todesangst geborener Kraft versuchte ich mich aus diesem unnachgiebigen Griff zu befreien. Allerdings führte dies bloß dazu, dass die Kreatur ihre Klauen noch fester um mich schloss, bis mir fast gänzlich die Luft wegblieb und ich mich kein Stück mehr bewegen konnte. Wehrlos war ich diesem Ungeheuer nun ausgeliefert und es zögerte nicht lange. Mit einem Ruck zerrte es an meinen Haaren, sodass mein Kopf knirschend nach hinten gerissen wurde. Tausend Nadeln schossen mir in die Glieder. Schnell wie eine Schlange zuckte sein nackter Schädel hervor und seine scharfen Zähne schnitten wie Eiszapfen in meinen Hals, während sich sein Kiefer gnadenlos um ihn schloss.

    Das vernichtende Reißen in meinem Nacken, der plötzliche, wie Feuer brennende Schmerz an meiner Kehle und das anschließende Gefühl, in rasender Geschwindigkeit meiner gesamten Lebenskraft beraubt zu werden, war das Letzte, was ich noch bewusst wahrnahm. Den Rest des Geschehens konnte ich dagegen nur noch schemenhaft verfolgen, als hätte sich ein bleicher Schleier über meine Sinne gelegt, um den unfassbaren Schrecken und die todbringenden Schmerzen für meinen geschundenen, menschlichen Körper auf ein erträgliches Maß zurecht zu stutzen.

    Dennoch nahm ich mit überraschender Klarheit wahr, wie dieses Wesen gierig mein Blut aus mir heraus sog; und mit jedem Schluck, den es von mir nahm, hatte ich das Gefühl, ein Teil meines Selbst gehe dabei unaufhaltsam mit zu ihm hinüber. Mehr und mehr verlor ich mich in einem Strudel aus Besinnungslosigkeit, sodass ich bald nicht mehr in der Lage war, auch nur einen Gedanken vollständig zu Ende zu bringen; und zuletzt hatte ich gar den Eindruck, ich schwebte bar jeglicher Orientierung in einem richtungslosen Nichts aus Finsternis...

    Doch dann musste irgendetwas geschehen sein.

    Denn kurz bevor mein Bewusstsein vollständig zu erlöschen drohte, ertönte ein wütendes Knurren und Bellen; dann ein schriller, markerschütternder Schrei.

    Als würde ich plötzlich von einer hohen Klippe stürzen, wurde ich jäh in meinen Körper zurückgesogen. Unwillkürlich wollte ich Luft holen, doch eine schwere Last schien auf meiner Brust zu liegen und machte mich unfähig, auch nur einen Atemzug zu tun. Verzweifelt versuchte ich mit meinen Armen die Last von mir zu stoßen, aber ich hatte einfach nicht mehr genügend Kraft, mich davon zu befreien. Japsend rang ich nach Luft und wand mich unter dem Gewicht sinnlos hin und her, wie ein Fisch, der elendig an Land verreckte.

    Dann aber, gerade als erneut die Dämmerung einer Ohnmacht über mich hereinzubrechen drohte, spürte ich eine heiße, brennende Flüssigkeit, die mir zähflüssig auf meine Lippen tropfte. Aus einem mir fremden, unbegreiflichen Instinkt heraus, öffnete ich meinen Mund, um sie aufzufangen. Dabei dachte ich nicht darüber nach, was ich da eigentlich trank. Ja, es war mir gar nicht einmal möglich zu denken, denn eine wachsende Gier breitete sich auf einmal in meinem Körper aus. Eine alles bestimmende Gier nach eben dieser Flüssigkeit.

    Über alle Maßen durstig suchte ich die Quelle, wie ein hungriger Säugling die nährende Brust. Und genauso sicher fand ich sie. Hastig, als hinge mein nacktes Leben davon ab, umschloss ich sie mit meinen Lippen und sog mit aller Kraft daran. Dabei nahm ich fasziniert wahr, wie dieser Saft bei jedem weiteren Zug, den ich davon nahm, köstlicher, reichhaltiger, facettenreicher und betörender schmeckte. Gleichzeitig wurde das Gewicht auf mir leichter und leichter.

    Ich hätte erwartet, durch dieses seltsame Getränk langsam Befriedigung zu finden. Doch das Gegenteil war der Fall. Mein Verlangen wurde sogar noch größer. Wie besessen trank ich, immer und immer mehr, bis diese lustvolle Quelle schließlich versiegte und ich dann endlich erschöpft, aber glücklicherweise wieder frei atmend in den Schlaf fiel, gefüllt mit eigenartigen, düsteren Bildern.

    Dieser Schlaf währte allerdings nicht lange, denn wie aus dem Nichts heraus erfüllte mich plötzlich ein tosender, richtungsloser Schmerz. Wie ein Sturm tobte er durch meinen Körper und trachtete dabei alles, was sich darin befand, zu verwüsten. Mir war, als würden mir die Gedärme bei lebendigem Leibe aus dem zerschnittenen Bauch herausgerissen und ich krümmte mich mit einem Schrei zusammen, in der Hoffnung, dieser schrecklichen Qual dadurch die Schärfe zu nehmen. Jedoch vergeblich. Wild wand ich mich auf dem Boden wie eine sterbende Schlange, ohne jedoch eine Position zu finden, die mir Erleichterung verschafft hätte. Zudem wurde ich von einer widerlichen, ja regelrecht imperativen Übelkeit übermannt, die sich bis ins Unerträgliche steigerte, sodass ich mich schließlich schwallartig zu übergeben begann. Dabei blieb mir kaum noch Zeit, Luft zu holen, was dazu führte, dass ich mich verschluckte und zuletzt, geschüttelt von einem furchtbaren Hustenanfall, nach Atem rang.

    Und als gelte es, mich dabei zusätzlich bis in die letzte Faser meiner Existenz zu demütigen, entleerten sich darüber hinaus auch noch alle anderen erdenklichen und unaussprechlichen Körpersekrete aus den dazugehörigen Körperöffnungen. Schlussendlich hatte ich das Gefühl, mein gesamtes Innenleben würde sich unaufhaltsam nach außen kehren, um von mir am Ende lediglich einen Haufen stinkender Exkremente übrig zu lassen. Am liebsten wäre ich auf der Stelle tot gewesen, doch es gab kein Erbarmen. Ich musste dieses unerbittliche Wüten meines Körpers erdulden, bis es irgendwann endlich vorüber war. Und gerade als ich glaubte, die Quälerei sei nun glücklicherweise überstanden, folgte zuletzt noch der krönende Abschluss.

    Ich hatte soeben ein paar tiefe Atemzüge der Erholung getan, da wuchs plötzlich ein Schmerz in meinem Oberkiefer, der an das stetig anschwellende Grollen eines gewaltigen Donners erinnerte. Er wuchs und steigerte sich, bis ich schon fürchtete, mein Kopf müsse jeden Moment zerplatzen; und dann entlud er sich wie ein greller Blitz, der sich am Horizont in tausend Äste zerteilt. Er zerstob wie Glassplitter in alle Richtungen und war dabei so vernichtend, dass ich mir nur noch beide Hände gegen den Kopf presste und schrie, schrie und schrie. Ohne diesem Prozess auch nur irgendwie Einhalt gebieten zu können, spürte ich voller Entsetzen, wie mir meine Eckzähne mit einer ungeheuerlichen Gewalt aus dem Kiefer gesprengt wurden; und unmittelbar darauf bohrten sich zwei messerscharfe Reißzähne wie frisch geschmiedete Dolche von innen heraus durch mein Zahnfleisch, begleitet von dem eisernen Geschmack nach Blut, der sich wie ein Film über meine Zunge legte.

    Dann folgte nur noch Leere...

    Gepeinigt, verzweifelt und bis an meine äußersten Grenzen erschöpft versank ich in einen unruhigen, gespenstischen Schlaf."

    ***

    Stille herrschte im Gerichtssaal. Der Blick der Richters haftete an den Lippen des Vampirs, der in seiner Erzählung inne gehalten hatte. Ambriel war sich bewusst darüber, dass er gleich Stellung beziehen müssen würde. Es war zu offensichtlich, was er getan hatte. Und als habe der Richter diesen Gedanken aufgeschnappt, wandte er sich an den Schutzengel.

    „Ambriel. Wie einen zornigen Donner fühlte der Schutzengel seinen Namen auf sich niederfahren. Er streckte die Schultern und machte sich bereit. „Du hast das Recht, die Gedanken eines Lebewesens anzustoßen, auf Wind, Regen, Sonne und Wolken in geringem Maß Einfluss zu nehmen, du darfst Gefühle leiten, verstärken oder schwächen. Niemals aber darf ein Engel, gleich welchen Ranges, leiblich in das Geschick der Menschen eingreifen! Auch nicht in der Gestalt eines Wolfes. Du weißt das, Ambriel.

    Der Schutzengel senkte sein Haupt. Er wusste wohl, welche Strafe ihn erwarten würde. Es wäre keine Bessere als jene, der auch Armon noch entgegensah. Doch in seinem Herzen spürte er bloß Aufbegehren. Es gab nichts mehr zu verlieren. Für Armon nicht und auch für ihn nicht. Allein seinem Mut, seiner Kraft würde es obliegen, sie beide vor dieser Strafe zu bewahren. Entschlossen hob er wieder seinen Kopf und stellte sich den glimmenden Augen des Richters.

    „Ich weiß wohl von dem Gesetz. Doch war es nicht Satan, der die Gesetze zuerst gebrochen hat? Er wollte sich die unschuldige Seele meines Schützlings rauben, ohne ihn verführt zu haben, ohne einen Handel mit ihm abgeschlossen zu haben, in dem diese Seele ihm freiwillig gezahlt wurde. Soll ich mich mit diesem Wissen heraushalten, während mein Schutzbefohlener in die ewige Verdammnis entführt wird? Was wäre ich für ein Schutzengel, wenn ich ihn nicht mit meinem ganzen Einsatz vor der schlimmsten Gefahr zu schützen versucht hätte, die einem Menschen widerfahren kann! Ich bitte Euch noch einmal, Euer Ehren: hört Euch die ganze Geschichte an, bevor Ihr das Urteil sprecht. Über meinen Schützling, ebenso wie über mich."

    Wieder herrschte Schweigen. Da trat Cheriour hervor.

    „Verzeiht, dass ich mich ungefragt zu Wort melde. Doch es ist nicht so, dass Ambriel bloß seinen Schützling vor dem Teufel bewahrt hätte. Mit seinem Eingreifen hat er zwar den Körper des Dämons zerstört, hingegen nicht seinen Geist. Vielmehr hat Ambriel dadurch eine Waffe der Finsternis geschaffen, im Raub um Seelen noch viel ergiebiger, als es der leibhaftige Dämon in seiner dunklen Höhle nur sein konnte. Er hat nicht eine einzige Menschenseele gerettet, nein, vielmehr hat er bereits Dutzende an die Unterwelt ausgeliefert!"

    Ein zustimmendes Raunen floss durch die Schar der Engel. Um den Richter verdichtete sich eine blau schimmernde, beinahe blendende Aura, als er seine Worte verlauten ließ, schneidend wie Glas.

    „War dir in jenem Moment bewusst, Ambriel, welche Konsequenzen dein Tun haben würde?"

    Ambriel blickte in die Augen des Richters, durchdrungen von dem Wissen über seine Unschuld, angefüllt mit Hoffnung.

    „Nein, Euer Ehren."

    Der Richter nickte, sehr zum Missfallen von Cheriour, der gehofft hatte, die Verhandlung schon bald mit einem Sieg über das Böse beenden zu können.

    „Nun, ich werde mir mein Urteil bis zum Schluss aufheben, sagte der Richter. „Cheriour, hat die Anklage noch etwas beizutragen?

    Cheriour nickte. Er war nicht unvorbereitet geblieben.

    „Euer Ehren, erlaubt, dass ich nun meine erste Zeugin vortreten lasse."

    Mit einer Geste signalisierte der Richter sein Einverständnis, worauf eine einfach gekleidete, magere Frau in den Saal geführt und auf ihren Platz im Zeugenstand gewiesen wurde. Cheriour trat vor sie.

    „Marianne, erkennen Sie diese Kreatur dort?", fragte er sie und zeigte auf den Vampir. Die Frau starrte in die Richtung und ihre Augen weiteten sich.

    „Ja", flüsterte sie mit zittriger Stimme.

    „Was hat er Ihnen angetan? Können Sie es den Anwesenden hier schildern?"

    Die Frau warf Cheriour einen furchtsamen Blick zu. Dann begann sie zu erzählen, stockend, auf der Hut, der Vampir könne sich ein weiteres Mal an ihr vergreifen.

    „Er... er ist in unsere Hütte eingedrungen. Wie von dem Teufel besessen hat er uns angestarrt... und dann... dann hat er meinen Mann angefallen. Eine wilde Bestie, die ihm an den Hals gesprungen ist. Er hat seine Kehle aufgerissen... Das ganze Blut... Es spritzte und er labte sich daran, wie ein diabolischer Unhold... Die Frau rang nach Atem. „Dann kam er auf mich zu... Seine Augen... sie waren so seltsam, sie glühten. Ich sah seine Zähne, lange Eckzähne. Blut klebte noch an ihnen. Dann hielt er mich fest und... und... Lieber Engel, sagt mir: was ist mit meinen Kindern? Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Hat er sie auch...? Die Frau brach ab. Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Ein lauter Schluchzer löste sich aus ihrer Brust und sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

    „Vielen Dank, Marianne. Das genügt. Sie dürfen gehen." Sanft ergriff Cheriour den Arm der Frau und geleitete sie zum Ausgang. Beruhigend sprach er dabei auf sie ein und übergab sie zuletzt einem anderen Engel, der sie hinaus führte.

    Betroffenheit erfüllte den Saal, greifbar, drückend. Selbst der Vampir blieb vor ihr nicht verschont. In seinem Gesicht spiegelte sich Schmerz wieder. Kurz hatte seine Hand gezuckt von dem Impuls, sie nach der Frau auszustrecken, als sie an ihm vorbei geführt wurde. So viel hätte er ihr gerne gesagt. Gerade ihr, der Mutter jener Kinder... Hannahs Mutter!

    Ambriel war sich der Wirkung dieser Zeugin bewusst. Dennoch war es an ihm, Armon zu verteidigen. Er musste die Herzen für ihn gewinnen und den Richter überzeugen, auch wenn es nicht leicht sein würde. Ungeduldig wartete er, bis der Richter das Wort wieder an ihn reichte.

    „Euer Ehren, ich möchte meinen Schützling gerne weiter berichten lassen. Ihr werdet sehen, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte. Bosheit war dabei am wenigsten im Spiel."

    „Bitte, gestattete der Richter. „Er soll fortfahren.

    Armon versuchte, in den Augen des Richters zu erkennen, wie es um seine Seele stand. Welch aussichtsloser Kampf da vor ihm lag... Und doch, der Glaube seines Schutzengels

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