Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Narben aus der Vergangenheit: Teil 3 Hoffnungsvolles Leben
Die Narben aus der Vergangenheit: Teil 3 Hoffnungsvolles Leben
Die Narben aus der Vergangenheit: Teil 3 Hoffnungsvolles Leben
eBook500 Seiten7 Stunden

Die Narben aus der Vergangenheit: Teil 3 Hoffnungsvolles Leben

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Erik sieht in Carolin seinen ganzen Halt, aber auch eine erschreckende Bürde, weil sie in einer ständigen Gefahr zu schweben scheint. Die Aussagen einer Wahrsagerin lassen ihn tief fallen, und er fühlt sich dem Kampf gegen das Drogenmilieu und gegen die alchemistischen Vereinigung, die Carolin von seiner Seite reißen will, kaum gewachsen. Alles wird für Erik zu einer kaum bezwingbaren Bedrohung.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Juni 2020
ISBN9783752902280
Die Narben aus der Vergangenheit: Teil 3 Hoffnungsvolles Leben

Mehr von Sabine Von Der Wellen lesen

Ähnlich wie Die Narben aus der Vergangenheit

Titel in dieser Serie (4)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die Narben aus der Vergangenheit

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen

    Julian

    Das ist ein rabenschwarzer Tag für mich. Meine Freundin Carolin will heute Abend mit ihren Freundinnen ausgehen. Ich bin dagegen und habe ein echt schlechtes Gefühl dabei. Aber Carolin macht einfach dicht und lässt sich nicht auf eine Diskussion mit mir ein.

    Ich telefonierte mit Marcel, der mir eine Gefahr durch Carolins Bruder Julian weder bestätigen noch dementieren konnte. Carolins Vater rief an und versicherte uns, dass Julian völlig harmlos und wieder normal ist und ihr durch ihn angeblich keine Gefahr mehr droht. Und von Sam und Teddy, meinen Ziehbrüdern aus dem Milieu, hörten wir auch nichts mehr.

    Ich habe demnach nichts in der Hand, was mich berechtigt, ihr einen Abend mit ihren Freundinnen zu verbieten. Zumal auch meine Schwester Ellen fest dahintersteht und mir immer wieder versichert, dass sie schließlich nicht von Carolins Seite weichen wird.

    Aber in mir löst es eine Lawine von erschütternden Gefühlen aus.

    Während ich die ganze Zeit vorschob, dass ich sie nicht wegen Julian und den beiden Maas gehen lassen möchte, muss ich mir nun eingestehen, dass ich überhaupt nicht will, dass sie ohne mich irgendwohin geht. Sie gehört mir und ich finde es unerträglich, dass jemand mir das streitig machen könnte. In meinem tiefsten Inneren lebt eine beständige Angst, dass jemand kommt und mit ihr das macht, was ich mit ihr machte, um sie für sich zu gewinnen. Es war nicht einfach … aber ich habe sie bekommen. Genauso könnten das auch andere schaffen und der Gedanke macht mich ganz fertig.

    Ich bin schließlich kein Traummann und jeder andere ist wahrscheinlich besser als ich. Und mit meiner Vergangenheit, meinen Narben und meiner bisherigen Lebensweise …

    Ich glaube, umso mehr sie von mir weiß, umso klarer wird ihr werden, dass ich eigentlich eine Zumutung für diesen Engel bin. Wie lange wird es dauern bis sie das begreift?

    Daniel holte Carolin vom Cafe ab, weil er sowieso gerade in der Nähe etwas erledigen musste und ich noch für Walter unterwegs war. Jetzt stehe ich im Wohnzimmer ans offene Fenster gelehnt und rauche schon meine dritte Zigarette.

    Vorher war ich nervös durch die Wohnung getigert und Carolin musste mir immer wieder ausweichen, wenn ich ihr auf dem Weg zwischen Schlafzimmer und Badezimmer in die Quere kam. Aber sie beschwerte sich nicht und ihr Blick sagte mir, dass ihr meine Not bewusst ist. Dennoch lässt sie sich nicht erweichen und bleibt zuhause.

    Nun ist sie zum Aufbruch bereit und sieht mich immer wieder mit dieser Mischung aus Beunruhigung und Mitleid an. Sie weiß, dass ich nicht akzeptiere, dass sie heute mit ihren Mädels die Stadt unsicher machen will. Aber Daniel hatte mir mehr als einmal ins Gewissen geredet, dass ich sie gehen lassen muss. Alles andere würde nur einen Keil zwischen uns treiben.

    Ellen kommt, um Carolin abzuholen und wirft mir auch einen mitleidigen Blick zu. Ich möchte nicht wissen, was sie sehen, wenn sie mich ansehen. Gebe ich ein so erschreckend mitleiderregendes Bild ab?

    Ellen kommt zu mir und legt ihre Hand auf meinen Arm. „Ich passe auf sie auf. Mach dir keine Sorgen. Keiner wird ihr zu nahekommen."

    Sie weiß, dass es nicht die Angst wegen Julian oder den Maas ist, die mir so zusetzt, sondern meine Eifersucht, die mich fast ins Grab bringt.

    Ich nicke nur, als Carolin aus dem Badezimmer schießt und gut gelaunt ruft: „Wir können los!"

    Ich folge Ellen zur Tür, an der Carolin auf mich wartet. Wieder wird ihr Blick weich und ihre Hand streicht über meine Wange. „Bis später, Schatz. Mach dir keine Sorgen. Mach dir auch einen schönen Abend."

    Wie soll dieser Abend aussehen? Sie hatte mir schon einmal gesagt, ich soll mir einen schönen Abend machen und mich amüsieren. Das war, als Marcel sie wenig später vom Alando abgeholt hatte. Selbst da war mir das nicht mehr möglich gewesen … ohne sie. Und da gehörte sie mir nicht mal. Und heute …?

    Zumindest funkelt etwas in ihren Augen auf, das meine Gefühle widerspiegelt. Und als sie leise raunt: „Aber brav bleiben!", weiß ich, sie ist auch nicht ganz frei von einem Gefühl, das sich Eifersucht nennt. Das lässt mich ein wenig aufatmen.

    Kurz schießt mir durch den Kopf ihr zu sagen, dass ich ihr das nicht versprechen kann, um sie vielleicht doch daran zu hindern, zu gehen. Aber seltsamerweise hatte Daniel im Vorfeld genau das schon als falschen Weg bezeichnet. „Komm ihr nicht damit, dass du fremdgehst, wenn sie meint, den Abend durchziehen zu wollen. Das ist das Schlimmste, was man tun kann. Dann ist alles Vertrauen weg und man erreicht nur, dass sie sich denkt: Okay, wenn das so ist …"

    Daniel ist so viel schlauer in solchen Dingen als ich.

    Auf Carolins „Brav bleiben murre ich: „Das gleiche gilt für dich, und kann nicht verbergen, wie aufgebracht ich bin.

    Sie schiebt sich auf die Zehenspitzen und bietet mir ihre Lippen zum Abschiedskuss an.

    Ich lege meine Hand in ihren Nacken und küsse sie ungestüm.

    Ellen sagt diesmal nichts und wartet geduldig. Aber sie geht nicht zu Daniel, der unten bei seiner Wohnungstür wartet, als befürchtet sie, Carolin sonst nicht mitzubekommen.

    Ich schaffe es kaum, sie loszulassen und weiß, ich muss es dennoch tun. Als sie hinter Ellen die Treppe hinuntergeht, dreht sie sich noch einmal um, als Ellen sich einen schnellen Abschiedskuss von Daniel abholt. Unsere Blicke treffen sich noch einmal und es ist Daniel, der an Carolin vorbei zu mir hochkommt und unseren Blickkontakt unterbricht.

    „Nah komm, lass uns einen Kaffee trinken und sehen, was wir mit unserem mädelfreien Abend anfangen", sagt er und schiebt mich in die Wohnung zurück.

    Ich knurre nur ungehalten: „Das du Ellen so losziehen lässt. Die sieht aus, als wolle sie auf den Strich gehen."

    Daniel lacht laut auf und antwortet kopfschüttelnd. „Erik, sie hat sich nur schick gemacht."

    Ich kann ihn nur verdattert ansehen. Diese hohen Schuhe, ihre Klamotten und die hochgesteckten Haare … Das Einzige, was mich ein wenig beruhigt ist, dass ich genau weiß, wo die beiden hingehen werden und ich eigentlich jederzeit nachsehen kann wie es so läuft.

    „Komm, bleib locker. Lass denen jetzt etwas Freiraum und später schauen wir mal nach den beiden", meint Daniel beschwichtigend und ich nicke viel zu schnell. Er lacht wieder und sein Gesichtsausdruck sagt mir, dass er mich für völlig durchgeknallt hält. So versuche ich den coolen Gangster nach außen zu kehren - und mache uns einen Kaffee.

    Daniel geht schon durch die Tür in den Tanzschuppen, in dem ich gleich Carolin finden werde. Länger hatte ich es nicht ausgehalten, den Ort, an dem sie sich befindet, zu stürmen. Aber vor der Tür fängt mich Ulf mit einigen Freunden ab.

    „Ah Erik, dich brauche ich! Wann können wir mal wieder bei dir in der Villa abfeiern? Wir wollen mit ein paar Freunden ordentlich Party like Erik machen", sagt er grinsend.

    Ich will schnell Daniel folgen und habe gar keine Lust, mich mit Ulf auseinanderzusetzen. „In nächster Zeit nehme ich keine Partys mehr an", murmele ich ausweichend.

    Ulf stößt einen seiner Kumpels an und meint wichtig: „Siehste, der ist schon voll ausgebucht! Dann wendet er sich an mich. „Aber für einen guten Kunden?

    Ich schüttele den Kopf. „Nein, keine Chance." Ich kann ihm schließlich nicht sagen, dass es sich ausgefeiert hat und ich da auch gar nicht mehr wohne. Es fällt mir sowieso schwer, eine passende Ausrede zu finden, warum ich keine Partys mehr organisiere.

    Ulf kramt eine Karte aus seiner Jackentasche und gibt sie mir. „Aber den nächsten freien Termin bekomme ich, ja?"

    Was soll ich dazu sagen? Ich nehme die Karte entgegen und nicke nur.

    „Super! Und umso früher, desto besser", meint Ulf noch und schlägt mir freundschaftlich mit der Faust gegen meine Schulter, als wären wir Freunde.

    Ich überlege kurz, ob ich ihm eine reinhauen soll. Aber ich habe keine Zeit. Ich will jetzt endlich ins Alando gehen und sehen, was Carolin und ihre Mädels machen.

    „Gut, also bis dann", sagt Ulf etwas zurückhaltend, weil mein Killerblick kurz durchblitzte. Es ist erfreulich, dass der wesentlich noch Eindruck schindet.

    Ich gehe an ihm vorbei zur Eingangstür ins Alando und einer der Typen raunt zu Ulf: „Der ist aber unfreundlich!"

    Das lässt mich zufrieden Grinsen und ich schiebe mich durch eine Gruppe junger Männer zur Kasse und kurz darauf in den großen Raum, in dem ich bestimmt Carolin finde.

    Mein Blick gleitet durch die Menge, während ich mich zwischen den Körpern hindurchschiebe.

    Ich sehe zur Theke, an der ich Ellen und Daniel stehen sehe. Auf einem Hocker, mir mit dem Rücken zugewandt, sitzt ein blondes Mädchen mit locker hochgesteckten Haaren und es dauert eine Sekunde, bis mir klar ist, dass das Carolin ist, die nicht mehr so aussieht, wie sie bei uns aus dem Haus gegangen war. Eine weitere Sekunde verstreicht, bis ich peile, dass ein ausgesprochen gutaussehender Typ neben ihr steht und gerade seinen Arm um sie legt. Er hat dunkelbraunes, welliges Haar und eine schlanke Figur mit breiten Schultern. Als er den Kopf etwas neigt, sehe ich die Silhouette eines feingeschnittenen Gesichts mit dunklen Augenbrauen.

    Daniels Hand greift nach ihm und ich sehe, dass Daniel wütend ist. Sein Blick gleitet an dem Typ vorbei in mein Gesicht und er lässt seine Hand wieder sinken. Auch Ellen sieht mich an und ich schiebe die letzten Hindernisse, die mich daran hindern, an die Theke zu gelangen, energisch zur Seite. Ich stürme regelrecht auf Carolin und den Typ zu, packe seinen Arm mit einer Hand und reiße ihn von Carolin runter, die sich nicht weniger energisch des aufdringlichen Typs zu entledigen versuchte.

    Ich drehe ihm wütend seinen Arm auf den Rücken und er verzieht erschrocken und vor Schmerzen das Gesicht. Gnadenlos und von einer unbändigen Wut getrieben, drücke ich seinen Arm noch höher, was ihn fast in die Knie gehen lässt und fauche: „Alter, such dir eine andere. Die gehört mir!"

    Ich nehme am Rande Michaela wahr, die mich anstarrt. Aber sie hat mittlerweile wohl geschnallt, dass unsere gemeinsame Nacht keine Bedeutung hatte und sie nicht dazu berechtigt, sich einzumischen.

    Carolin lässt sich von ihrem Hocker rutschen und greift nach meiner Hand, die den Typ unerbittlich in die Knie zwingen will. Ihr Blick trifft meinen und sie brüllt gegen die Musik an: „Das ist Julian - mein Bruder!"

    Langsam erfasse ich ihre Worte. Der Typ soll Julian sein?

    Nur widerwillig lasse ich den Arm los und Daniel, sowie Ellen starren Carolin fassungslos an.

    Der Kerl richtet sich auf und reibt sich die Schulter. Sein Blick aus tiefdunkelbraunen Augen trifft mich und ich kann diesen Enrique Iglesias Verschnitt an Carolins Seite kaum ertragen.

    „Das soll dein Bruder sein?", frage ich aufgebracht.

    Carolin nickt. „Das ist Julian. Mein und Tims Bruder", erklärt sie eindringlich, als müsse ich ihr jetzt unbedingt glauben. Und tatsächlich, mit Tim hat er eine gewisse Ähnlichkeit.

    „Oh Mann! Verdammte Scheiße!, flucht Daniel in dem Moment und Ellen fragt ihn verdattert: „Kennst du ihn?

    Carolin ist blass und schiebt sich mit unsicheren Bewegungen auf den Hocker zurück.

    Julian reibt sich immer noch den Arm und sieht sie mit einem Blick an, als solle sie ihn trösten.

    Ich kann nur fassungslos von diesem Schönling in Dunkel auf meinen hellen Falter starren. Und Carolin sieht mich an, als hätte ich ihr den Arm umgedreht.

    Daniel antwortet Ellen gerade: „Aus der Uni. Er sprach mich an, ob ich ihm sagen kann, wo wir immer zum Feiern hingehen, weil er sich hier nicht auskennt. Poor, es tut mir leid!", höre ich Daniel zerknirscht antworten.

    Julian richtet sich zu seiner ganzen Größe auf und sieht Daniel verächtlich an. „Hat ja auch gut geklappt. Ich habe auf deine Empfehlung hin auch gleich gefunden, was ich gesucht habe. Ich hatte gar nicht erwartet, meine Schwester so schnell hier in der Stadt zu finden."

    Carolin wird eine Nuance blasser und ich starre Julian wütend an. Er ist fast so groß wie ich, hat aber bestimmt nicht meine Kraft. Er ist allerdings weitaus durchtrainierter als Tim, was wohl auf seine Zeit im Knast zurückzuführen ist. Ich weiß nur zu gut, dass man dort zum Liegestützenjunkie wird, um die Zeit totzuschlagen und um sich abzureagieren.

    „Was willst du von Carolin?, brumme ich und weiß, ich habe meinen Killerblick drauf. „Halt dich von ihr fern! Du tust ihr nicht noch einmal etwas an.

    Carolins Bruder wirkt erschrocken. „Habe ich auch nicht vor! Ich will nur, dass sie mir verzeiht und dass wir wieder wie früher Geschwister sein können und ich sie sehen kann. Mehr will ich nicht. Ehrlich!" Seine Stimme klingt mit jedem Satz flehender.

    „Das sollen wir dir glauben? Du hast sie das letzte Mal schlimm verletzt, knurre ich aufgebracht. Mein Blick gleitet von dem Iglesias-Gesicht in Carolins, als sie mit unsicherer, dumpfer Stimme raunt: „Julian …!

    Alle Blicke richten sich auf sie. Auch Julian sieht sie verunsichert an.

    „Julian, wie stellst du dir das vor? Du kannst nicht einfach wieder in mein Leben platzen und so tun, als wäre nichts gewesen. Du hast mich unter Drogen gesetzt, dass ich dachte, ich muss sterben, und das zweimal. Du hast Tim vor meinen Augen übel zugerichtet und uns beide glauben lassen, dass du uns umbringen wirst. Außerdem hast du mir mit einem Messer in den Hals geschnitten, dass ich fast dabei draufgegangen bin. Und jetzt tauchst du hier auf und meinst, ich muss dich als deine Schwester in die Arme schließen und es ist alles vergessen?" Carolin klingt erschreckend aufgebracht und Tränen laufen ihr über die Wangen. Ihre Hände zittern und auch ihr ganzer Körper beginnt zu vibrieren.

    Ich schiebe Julian unsanft aus dem Weg und schlinge meine Arme um ihren zitternden Körper. „Beruhige dich. Es kann dir nichts passieren. Komm, ich bringe dich nach Hause. Atme tief ein und versuche dich auf deine Atmung zu konzentrieren", raune ich ihr eindringlich zu und hoffe, sie beruhigt sich und driftet nicht erneut in einen Zusammenbruch.

    Sie sieht mich nur aus ihren tränenverschleierten Augen hilflos an, dass es mir einen Stich versetzt.

    Ellen kommt an unsere Seite und legt Carolin ihre Hand auf den Rücken. Sie sieht genauso besorgt aus, wie ich mich fühle

    „Ganz ruhig", raunt auch sie aufgebracht und wirft mir einen verunsicherten Blick zu.

    „Was ist mit ihr?", höre ich Julian hinter mir fragen und würde ihn am liebsten mit einem Faustschlag ins Jenseits befördern. Aber dafür müsste ich Carolin loslassen.

    Ellen sieht ihn mit wütendem Blick an und brüllt: „Sie steht wegen dir ständig kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Also lass sie in Ruhe!", und Daniel schubst Julian noch weiter von uns weg.

    Der steht nur da und starrt uns an.

    Sabine und Susanne fragen, was los ist und das kleine Dickerchen taucht neben Ellen auf und flüstert: „Gibt es Stress wegen diesem Typ?"

    „Komm, wir gehen", sage ich und nicke Daniel zu.

    Als ich Carolin vom Hocker ziehe, merke ich, dass sie kaum stehen kann. Ich greife fest um ihre Taille und bringe sie zum Ausgang, ohne großes Aufsehen zu erregen. Nicht, dass noch jemand die Polizei verständigt.

    Daniel folgt uns und hält die Tür nach draußen auf.

    „Hol das Auto", sage ich und er sprintet los.

    Ellen taucht an Carolins anderer Seite auf und schiebt ihren Arm um sie, um sie zu stützen. „Nicht schon wieder! Soll ich Dr. Bremer anrufen?", fragt sie.

    „Nein, ich denke, das kriegen wir allein hin. Sie muss bloß nach Hause", antworte ich ihr und Daniel kommt mit dem Mustang vor uns zum Stehen.

    Ich bin froh, als ich endlich mit Carolin im Auto sitze und Daniel uns nach Hause fährt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Carolin lehnt mit blassem Gesicht an meiner Brust und noch immer laufen ihr Tränen über das Gesicht. Aber sie scheint das gar nicht wahrzunehmen.

    Daniel lenkt den Wagen auf unseren Hof und lässt den Motor ausgehen.

    „Erik, hey, sie wird schon wieder!", versucht Ellen mich zu beruhigen.

    Ich schüttele nur mit diesem schrecklichen Gefühl der Hilflosigkeit den Kopf. „Ich kann nichts tun! Gar nichts! Ihr Bruder wird sie niemals in Ruhe lassen und irgendwann bricht sie ganz zusammen. Und dann?", antworte ich ihr und sehe in Carolins blasses Gesicht.

    Ellen zieht nur die Schultern hoch und steigt aus, um uns herauszulassen.

    Ich ziehe Carolin aus dem Auto. Sie scheint aller Kraft beraubt zu sein und von Ellen und Daniel flankiert, trage ich sie in unsere Wohnung hoch und lege sie ins Bett.

    Ellen zieht ihr die Stiefel aus und ich hülle sie in die Bettdecke ein. Carolin öffnet nicht mal mehr die Augen.

    Ich streiche ihr die Haare zurück und hauche ihr einen Kuss auf die Wange. Ihr Gesicht verliert alle Anspannung und sie scheint zu wissen, dass ich da bin. Die Decke noch ein Stück höher ziehend, lasse ich sie schlafen, etwas dadurch beruhigt, dass sie zumindest meine Nähe als beruhigend empfindet.

    Ellen und Daniel warten in der Küche auf mich. Daniel kocht uns einen Kaffee und Ellen steht an den Küchenschrank gelehnt. Sie sieht mir entgegen und ich raune: „Sie schläft. Das ist gut. Auch ohne Beruhigungsmittel." Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen.

    „Dass das Carolins Bruder ist, meint Daniel fassungslos. „Und ich habe ihm auch noch gesagt, wo wir immer hingehen. Ich habe keine Sekunde damit gerechnet, dass der Carolins Bruder sein könnte.

    „Wie solltest du das auch wissen? Der sieht Carolin überhaupt nicht ähnlich", versucht Ellen ihn zu beruhigen und ich kann das nur bestätigen. Ich hatte mich schon einmal gefragt, wie Carolin an Tim geraten konnte. Er ist mit seinen schwarzen Haaren und dunklen Augen so ganz anders als Marcel … und ich. Aber jetzt wird mir klar, dass sie mit diesem dunklen Typus aufgewachsen war. Mit diesem Schönlingsverschnitt.

    Ich sehe Ellen an und würde sie gerne fragen, wie sie Julian findet. Aber das kann ich natürlich nicht machen, wo Daniel neben uns sitzt. Und es gibt weitaus Wichtigeres. Wie kann ich Carolin vor ihm beschützen?

    Wir trinken unseren Kaffee und Daniel erzählt uns genau, wie Julian ihn in der Uni ansprach und mir noch, wie Julian sich plötzlich Carolin auf der Tanzfläche gegriffen hatte und sie sich versuchte, aus seinem Griff zu winden. Ich kann fast fühlen, wie sie sein plötzliches Auftauchen erschreckt haben muss und wie entsetzt sie gewesen sein muss, als er sie an sich zog. Mir stellen sich die Nackenhaare bei dem Gedanken auf, dass sie völlig in Panik gewesen sein muss. Und ich hatte mich draußen von diesem Blödmann aufhalten lassen.

    Ich bekomme von Ellen und Daniel auch noch den weiteren Verlauf des geschwisterlichen Zusammentreffens geschildert, bis zu dem Punkt, als ich Julian ausbremste … und bis drei Uhr am Morgen besprechen wir, wie wir Carolin am besten vor ihm beschützen können. Dann verabschieden sich Ellen und Daniel, und Ellen drückt mich sogar. „Ruf an, wenn du uns brauchst. Jederzeit."

    Ich nicke nur und hoffe, das wird nicht notwendig werden.

    Alle Lichter löschend, gehe ich zu Carolin, ziehe meine Hose und mein T-Shirt aus und schiebe mich vorsichtig unter die Decke. Ich will sie auf keinen Fall wecken. Sie muss schlafen, bis all ihre Ängste und ihr Kummer an Kraft verloren haben.

    Das Wetter schlägt um und es beginnt zu regnen. Ich höre das Prasseln der Regentropfen an der Fensterscheibe und bin müde. Aber immer wieder schieben sich die Ereignisse des Abends in meinen Kopf und lassen mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Und zu diesen Gedanken gesellen sich auch noch die an Sam, Teddy und Walter und wie ich einen Moment glaubte, sie würde mich wegen denen verlassen, und dass ich vorher tagelang von einer Unsicherheit getrieben mir nicht sicher war, ob ich überhaupt bei ihr bleiben möchte. Und irgendwo dazwischen gab es auch noch so etwas wie eine Einsicht, dass ich, weil ich sie aus ihrem alten Leben riss, um sie an mich zu binden, eine Verantwortung für sie habe.

    Carolin ist sechs Jahre jünger als ich. Ich muss sie beschützen und meine Verantwortung für sie ernst nehmen. Und ich werde das auch. Sie zu verlieren ist für mich erneut undenkbar und ich spüre nun, dicht an ihren warmen Körper gedrängt, dass ich Julian eigenhändig den Hals umdrehe, wenn er ihr noch einmal zu nahekommt oder sie wegen ihm ganz zusammenbricht.

    Vielleicht war ich zwischendurch weggenickt. Aber ich habe das Gefühl, gar nicht geschlafen zu haben, als Carolin neben mir erwacht. Sie hatte sich in der Nacht immer wieder aus meiner Umarmung gestohlen und war auch immer wieder dorthin zurückgekehrt, ohne wirklich wach zu werden. Sie hatte sich dann an mich geschmiegt und einmal hörte ich sie ganz deutlich meinen Namen raunen. Es war kein Rufen, sondern ein Seufzen, als wäre mein Name für sie wie ein Segen. Das hatte mein Herz erwärmt.

    Fast die ganze Nacht ließ ich mein Leben Revue passieren und wog es mit meiner Zeit mit ihr auf. Daniel hat recht, sie ist das Beste was mir je passiert ist.

    Jetzt dreht sie sich zu mir um, sich leicht aus meiner Umarmung windend und sieht mir direkt ins Gesicht.

    „Hey, wie geht es dir?", frage ich sie beunruhigt.

    „Ich bin in Ordnung, antwortet sie mir und ich weiß nicht, wie weit ich ihr glauben kann. „Aber ich bin ganz nassgeschwitzt. Poor, die Hose ist so warm, murmelt sie.

    „Ich wollte dich auf keinen Fall wecken. Ich war so froh, dass du geschlafen hast."

    Carolin lässt ihre Hand über meine Wange gleiten und sie sieht mich besorgt an. „Hast du gar nicht geschlafen?", fragt sie.

    Ich schüttele den Kopf: „Kaum."

    Sie schlägt die Decke zurück, deckt mich aber wieder fürsorglich zu und beugt sich in das Bett zurück, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben. „Schlaf ein bisschen. Mir geht es wirklich gut. Ich gehe duschen und komme dann wieder zu dir. Bleib einfach liegen, raunt sie und ich sehe sie unsicher an. „Komm, schlaf. Du hast über meinen Schlaf gewacht und wenn ich gleich wieder da bin, wache ich über deinen Schlaf. Das nennt man Arbeitsteilung, sagt sie grinsend und will mir ein gutes Gefühl vermitteln, das sich bei mir nach dieser Nacht aber nicht so einfach einstellen will. Aber ich bin erschöpft und spüre jetzt, wo es ihr scheinbar bessergeht, die Müdigkeit und Erschöpfung durch meine Adern kriechen. Ich lasse mich wieder ins Kissen fallen und sie verlässt das Schlafzimmer. Doch ich will nicht schlafen. Besorgt lausche ich auf die Geräusche in der Wohnung. Und dann ist sie wieder da. Ihre Haare sind noch feucht und sie ist nicht mehr so blass. Scheinbar geht es ihr wirklich gut.

    Meine Sorge um sie legt sich noch ein klein wenig mehr und gibt meinem Inneren noch ein wenig mehr Ruhe.

    Sie schiebt sich nackt unter die Decke und ich schließe sie in meine Arme. Sie küsst meine Narben und flüstert: „Ich bin wieder ganz in Ordnung. Komm, schlaf, mein Schatz."

    Ich schließe die Augen und lasse mich in die Wärme ihres Körpers fallen, was mein Herz immer mehr beruhigt.

    Sie legt ihre Hand auf meine Brust, als wolle sie meinen Herzschlag so zur Ruhe zwingen und flüstert erneut: „Schlaf!" und ich lasse mich ganz fallen.

    Wärme zieht mich aus einem traumlosen Schlaf. Sie breitet sich wie ein Feuer in mir aus und ich spüre meinen Körper reagieren, bevor ich weiß, was das auslöste.

    Ich werde vollends wach und spüre Carolins warmen Körper an meinem Rücken, ihre Hand auf meinem Bauch und ihre weichen Lippen zwischen meinen Schulterblättern. Durch meine Lenden rauscht ein Ziehen, als die heiße Hand über meine Hüfte meinen Oberschenkel hinunterwandert und an der Innenseite wieder hochklettert. Nur die Fingerspitzen wandern über meine empfindliche Leiste weiter nach oben und streichen durch meine Haare unter meinem Bauchnabel.

    Ich wage kaum zu atmen und eine Erregung packt mich, die mir alle Müdigkeit aus dem Körper zieht.

    Die Finger gleiten über meinen Freund, der sich ihnen erwartungsvoll entgegenstreckt. Als sie ihre Hand darum schließt, bin ich verloren. Ich drehe mich stöhnend zu ihr um und raune: „Hey, was machst du mit mir?"

    Ich sehe in unschuldige Augen und auf einen schmunzelnden Mund. Nichts zeigt etwas von der Schwäche, die sie gestern noch überrollt hatte. Ihre Lippen senken sich auf meine Brustwarze und ihre Zunge spielt mit dem kleinen, harten Knopf. Ich schließe die Augen und gebe mich den Gefühlen hin, die sie in mir auslöst, während ihre Lippen sich langsam zu meiner Taille hinabküssen und bis zu meinem Bauchnabel wandern.

    Meine Bauchmuskeln spannen sich erwartungsvoll an und ich spüre meine Erregung wachsen. Ihre Lippen fangen meinen Freud ein, der sich ihr gierig entgegenstreckt und ich atme hektisch die Luft ein. Meinen Arm über meine Augen legend, versuche ich mich zur Ruhe zu zwingend. Aber alle meine Sinne sind auf ihre Zunge gerichtet, die meine Eichel liebkost.

    So geweckt zu werden ist mit keiner Droge der Welt zu vergleichen und ich lasse mich in diesen Strudel aus Gefühlen sinken, die mich erbarmungslos überrollen.

    Es ist schon Nachmittag, als ich mich neben sie fallen lasse. Es ist unglaublich, wie sie mich immer wieder hochbringt und mit welcher Intensität wir uns lieben können. Alles ist dann vergessen. Nichts Schlechtes kann mich dann erreichen. Ich bin dann völlig in einer anderen Dimension gefangen. Und das Unglaubliche daran ist, dass dies eine Welt ist, die nur Carolin und mir gehört. Es ist wie eine einsame Insel, zu der wir uns flüchten und auf der es nur uns beide gibt und nur unsere Gefühle. Nichts anderes kann uns dort erreichen.

    „Du machst mich fertig", stöhne ich und sehe in ihre mich mit dieser Zärtlichkeit musternden Augen. Diesen Blick möchte ich niemals mehr missen, denn er versetzt Berge und schließt Tiefen.

    Ich ziehe sie dicht an mich heran und gebe mich der Müdigkeit hin, die mich mittlerweile auch immer wieder ausknockt, seit ich ohne Drogen zu leben versuche.

    Es ist scheinbar schon Nacht, als ich wieder wach werde. Draußen tobt ein Gewitter, und der prasselnde Regen an der Fensterscheibe riss mich offensichtlich aus meinem Traum. Ich lenkte darin ein Schnellboot über himmelblaues Wasser auf eine kleine Insel zu. Mein Blick fiel hinter mich auf Carolin, die sich in der Sonne rekelte und mich mit diesem Blick ansah, der mich den Gasknüppel noch weiter nach vorne treiben ließ. Auf der Insel wird sie mir gehören …

    Zu schade, dass ein Blitz sogar durch meine geschlossenen Augenlieder drang und mich das Donnergrollen des Gewitters weckte.

    Mein Magen grummelt und ich stöhne auf: „Ich habe Hunger wie ein Bär!"

    Carolin sieht mich an und antwortet mit sanfter Stimme: „Du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen."

    „Du denn?", frage ich sie.

    Sie schüttelt den Kopf und ich sehe auf meine Armbanduhr. Es ist kurz vor zweiundzwanzig Uhr.

    Mit einem Ruck erhebe ich mich. „Komm, wir beide gehen etwas essen."

    Carolin verzieht das Gesicht und kuschelt sich noch tiefer unter ihre Decke.

    Ich ziehe ihr lachend die Decke weg und greife nach ihrem Arm, um sie aus dem Bett zu treiben. „Komm jetzt! Oder soll ich verhungern?"

    „Natürlich nicht", antwortet sie resigniert und schleppt sich zum Kleiderschrank.

    Mir kommt eine Idee, und ich gehe ins Wohnzimmer. Vielleicht bringt uns noch jemand Essen?

    Tatsächlich habe ich beim Chinesen sofort Erfolg und bestelle uns leckere Entenpfanne mit süßer Soße, Morcheln und Bambussprossen und einen Wein dazu.

    Als ich ins Schlafzimmer zurückkehre, steht Carolin immer noch unschlüssig und mit Büßermiene vor dem Kleiderschrank.

    Ich greife um ihre Taille und katapultiere sie ins Bett zurück, was sie erschrocken aufschreien lässt.

    „Hey!", murrt sie vorwurfsvoll.

    Ich drücke sie auf den Rücken und sehe sie an. „Ich möchte nicht, dass du dich anziehst."

    „Was? Aber ich kann doch nicht nackt gehen!", brummt sie entsetzt.

    „Doch, das Essen wird gebracht. Wir bleiben hier und stellen uns ein paar Kerzen auf und machen es uns urgemütlich … und essen so wie wir sind."

    Carolins Augen leuchten auf und sie meint verwegen: „Gute Idee!"

    „Und dann …", raune ich süffisant grinsend und streiche ihr eine Strähne aus dem Haar.

    „Und dann?", fragt sie genauso lächelnd.

    „Und dann machen wir Musik … Blueneck. Und wir schließen die Schalosien und löschen alle Lichter …"

    „Ja?", kommt es fast schon wie ein Stöhnen über ihre Lippen.

    „Und dann möchte ich dich so fühlen wie an unserem ersten Abend", sage ich und spüre ein Kribbeln im Bauch.

    „Ja", antwortet sie und ihre Augen versenken sich in meine und eine Leidenschaft flackert darin auf, die mich sofort reagieren lässt.

    Ich atme tief durch und bremse uns aus. „Aber erst Essen wir ganz romantisch. Komm, ab in die Küche und Tisch decken. Wir brauchen Weingläser und Kerzen. Ich will das volle Programm. Und weißt du weshalb?"

    Sie schüttelt den Kopf.

    „Weil ich dich liebe und ich so froh bin, dass du wieder einmal eine Hürde genommen und erneut alles überstanden hast. Du bist so unglaublich stark und ich so unglaublich stolz auf dich."

    Meine Worte scheinen sie zu verwirren. Verlegen sieht sie an mir vorbei und schiebt sich aus dem Bett. Carolin hat immer noch nicht gelernt Komplimente von mir anzunehmen.

    Ich ziehe mir ein T-Shirt und eine Boxershort an, bevor das Essen geliefert wird. Aber als die Tür hinter dem Lieferanten ins Schloss fällt, steht Carolin schon hinter mir und zieht mir alles wieder aus. Sie wartet nicht mal ab, bis ich die Packungen mit dem Essen und den Wein irgendwo abstellen kann und ihr Blick läuft über meinen Körper, als ich mich abwende und auf die Küche zusteuere.

    In der Küche erhellen etliche Kerzen den Raum, es läuft ein Trance Musikmix von You Tube und der Tisch ist schön gedeckt. Das Essen verströmt einen betörenden Duft, als ich die Verpackungen öffne und Carolin schenkt den Wein ein, der gelb leuchtet.

    Alles ist perfekt, als sich plötzlich ein Gedanke durch meinen Kopf schiebt, der die Perfektion augenblicklich in sich zusammenfallen lässt.

    Carolin kommt zu mir und ihr Blick gleitet erneut über mein Gesicht und meinen Körper.

    Ich sehe nichts von einer Unzufriedenheit oder sogar Ekel und doch drängt sich diese alles vernichtende Frage in meinen Kopf. „Sag mal, stören dich meine Narben eigentlich gar nicht?"

    Carolin lässt ihren Blick erneut über meine Brust gleitet, diesmal aufmerksam und beurteilend. Sie tritt dicht an mich heran und ihr Zeigefinger streicht ohne Scheu über meine Narbenwölbungen. Ich fühle das wie beim ersten Mal, als sie auf der Tanzfläche im Alando meinen Narben mit dem Finger nachgeforscht hatte.

    „Ich habe deinen Körper, so wie er ist, von Anfang an geliebt. Ich glaube schon vom ersten Mal an, als du mir einen Blick auf deinen Oberkörper gestattet hast", raunt sie ernst und ihre Augen leuchten im Kerzenlicht.

    Ich schüttele ungläubig den Kopf. „Wie kann man so etwas lieben?", frage ich verständnislos.

    „Wie kann man so etwas nicht lieben? Er ist wunderschön und deine Narben machen dich zu etwas Besonderem und zu dem, was du bist. Und ich liebe dich, so wie du bist und möchte nichts an dir verändert wissen, außer …" Sie stockt und sieht zum Tisch, als könne sie so das letzte Wort ungehört machen.

    Ihre Worte nehmen mich gefangen, obwohl ich sie keinesfalls nachvollziehen kann. Niemals hätte ich gedacht, dass jemand meine Narben „lieben" könnte. Für meine Eltern waren sie so schlimm, dass sie sie nicht mal ansehen konnten. Und wenn Eltern den Makel an einem Kind nicht lieben können, wie soll das dann ein Außenstehender? Und die Narben waren mit mir mitgewachsen, als wollten sie niemals das Größenverhältnis verändern, um ihre Intensität nicht zu verlieren.

    Dennoch gibt es etwas, das sie nicht an mir mag, und das versetzt mir einen Stich in den Magen. Was ist schlimmer als diese Narben?

    „Außer?", frage ich nach und lege meine Hände auf ihre Oberarme, weil sie einen Moment Anstalt macht, zum Tisch zu fliehen.

    Es dauert, bis sie antwortet und ich sehe ihr an, dass sie es auch lieber nicht tun möchte. Aber mein durchdringender Blick lässt ihr keine Wahl. Nun ist es angesprochen worden und muss ausgesprochen werden. Was mag sie an mir nicht?

    Leise murmelt sie, ohne mich anzusehen: „Ich möchte, dass ich für dich wichtiger bin als deine Drogen, und dass du mich mehr brauchst als sie."

    Fassungslos starre ich Carolin an. Das übersteigt alles, was mir vielleicht noch selbst eingefallen wäre, und ich muss das erst mal verkraften. Ich lasse sie schnell los und beginne das Essen auf Teller zu verteilen.

    „Komm!, locke ich sie, und möchte dieses Thema lieber vertagen. Darüber muss ich erst mal nachdenken, denn das war eine Antwort, die ich noch weniger verstehen kann als die, dass sie meine Narben liebt. „Und bring deinen Teller mit, sage ich noch und lächele sie zurückhaltend an.

    Wir verschlingen das Essen, weil wir so hungrig sind und es so wahnsinnig gut schmeckt. Dazu gibt es Wein, der eher wie Meet schmeckt. Total lecker und süß. Trotz, dass Carolin hungrig war, schafft sie ihre Portion nicht und füttert mich mit ihrem Essen noch mit. Als ich die Lippen zusammenpresse, um sie etwas zu ärgern, klatscht sie es mir trotzdem an den Mund.

    Ich lache und lecke mir über die süßen Lippen. Sie zieht mich zu sich heran und leckt mir über das Kinn, über das die süße Soße läuft.

    Das ist der Auftakt zu einer Essenschlacht. Wir schmieren hemmungslos rum und ich vergesse sogar meine Narben und diesen seltsamen Umstand, dass Carolin möchte, dass sie wichtiger als die Drogen für mich ist. Wie kommt sie nur darauf, dass sie das nicht schon längst ist?

    Sogar den Reis essen wir auf, bis auf den, der auf uns und auf dem Tisch verteilt ist. Nichts bleibt übrig. Nicht mal ein Tropfen Wein, bis auf den, der auf Carolins Stuhl und auf dem Fußboden gelandet ist, als ich versuchte, ihn aus ihrem Bauchnabel zu trinken. Alles klebt. Carolin, ich, die Stühle, der Tisch und der Fußboden.

    Lachend ziehe ich sie vom Stuhl mit der Aufforderung, im Badezimmer schon mal unter die Dusche zu springen. Dabei drücke ich ihr zwei Kerzen in die Hand und raune verschwörerisch: „Wir haben keinen Strom, verstanden? Das ist alles an Licht, was du mitbekommst."

    Sie lacht verwegen und geht mit den flackernden Kerzen Richtung Badezimmer. Ich wische schnell das Gröbste vom Fußboden und mache alle Kerzen aus, außer zweien, die ich mit ins Wohnzimmer nehme. Eine stelle ich bei Carolins Laptop auf und eine auf dem Tisch. Blueneck ist auch schnell gefunden und ich lasse alle Schalosien in der Wohnung herunter.

    Endlich kann ich ihr folgen und finde sie mit geschlossenen Augen unter dem heißen Wasserstrahl stehend.

    Schnell steige ich zu ihr in die Dusche und flüstere: „Ich habe die Kerzen in der Küche noch ausgemacht. Sonst brennt es nachher noch", um mein langes Ausbleiben zu erklären.

    Wir seifen uns gegenseitig ein und Carolin versucht mich immer wieder mit sehnsuchtsvollen Küssen zu locken. Aber ich weiß, ich darf nicht zu hochfahren. Ich habe noch viel vor und will in dieser Erwartungshaltung noch einige Zeit verharren. „Warte", hauche ich deshalb und kann über ihren Schmollmund nur lächeln. Selbst beim Abtrocknen muss ich sie ein wenig zurückweisen und dann, als ich sie ins Wohnzimmer ziehe, sieht sie, was ich vorbereitet habe. Ihre Augen funkeln in freudiger Erwartung, als ich Blueneck anstelle. Ich puste eine Kerze aus und decke das Display mit einem Handtuch ab.

    Die Wohnung wird nur noch vom Schein einer Kerze erhellt. Langsam drehe ich mich um und sehe Carolin an, die dasteht, als wäre sie festgewachsen. Ihre Augen funkeln.

    Ich gehe langsam auf sie zu und meine innere Anspannung steigt. Mir ihre Konturen einprägend, trete ich an den Tisch heran.

    „Erik?", haucht Carolin verunsichert.

    Ich bücke mich und puste auch das letzte Licht aus.

    Mich packt sofort die Erregung und als meine Hände sich auf ihre Arme legen, ist alles wie an dem Abend, als ich sie zu diesem Deal nötigte, der der Anfang von allem war. Jede meiner Berührungen entlocken ihr ein Seufzen und ich erforsche ihren Körper in dieser Dunkelheit und erinnere mich daran, wie es beim ersten Mal war. Bloß diesmal ist meine Anzahl an Küsse nicht begrenzt und ich schiebe ihr meine Zunge zwischen die Lippen, wann immer ich sie treffe.

    „Komm!", locke ich sie und lege ihre Hände auf meine Brust. Auch sie beginnt mich zu streicheln, zu fühlen, zu genießen … mit allen Sinnen, die die Dunkelheit bis ins Unermessliche steigert. Selbst unsere Küsse werden zu einem Erlebnis der besonderen Art. Wir streicheln uns und küssen uns mit einer Leidenschaft und Hingabe, als wäre es wirklich das erste Mal und doch mit der Intensität, die man nur in einer längeren Beziehung erreicht. Wir lassen nichts aus und in mir tobt das Verlangen wie ein Buschfeuer. Irgendwann ziehe ich sie durch die Dunkelheit ins Schlafzimmer.

    Carolin lässt sich ins Bett fallen und zieht mich mit.

    Auch diesmal erobere ich sie so wie beim ersten Mal, als sie selbst unseren Deal ausbaute und mir ihr Ja gab, sie ganz besitzen zu dürfen. Und die Erinnerung daran lässt mich kurz das Atmen vergessen.

    Was mir damals als ein Erfolg der besonderen Art erschien, den ich erst nicht glauben konnte und daher fast panisch umsetzte, lasse ich jetzt mit allen Sinnen mich noch einmal erleben. Und mir wird zum ersten Mal bewusst, was dieses Ja von ihr wirklich bedeutet hatte. Ich besaß sie damals schon so viel mehr, als mir bewusst war.

    Und Carolin ist diesmal nicht zurückhaltend und wird diesmal nicht von einem schlechten Gewissen gequält. Sie erwidert meine Liebe mit einer Hingabe, die ich damals nur erahnen konnte. Jetzt weiß ich um diese Stärke und fordere diese komplett für mich. Carolin gehört jetzt mir und das darf sich niemals ändern.

    Am Montagmorgen habe ich Schwierigkeiten, sie in die Welt zu entlassen. Sie wirkt blass und müde und auch mir gibt die Zeitumstellung, die an diesem Wochenende erfolgte, ein Gefühl der Müdigkeit und Unzulänglichkeit mit.

    Sie an mich ziehend, raune ich ihr mit belegter Stimme ins Ohr: „Ich lasse dich so ungern gehen. Am liebsten würde ich mit dir für immer hier in dieser Wohnung bleiben." Dabei schweift mein Blick durch unsere vier Wände, die für mich durch Carolin wieder zu einem Zufluchtsort wurden und mit denen ich mittlerweile die schönsten Zeiten meines Lebens verbinde. Hier und bei ihr geht es mir gut.

    „Das würde ich mit dir auch lieber, antwortet sie. „Aber wir müssen los und auch das Leben da draußen meistern. Sie sieht mir ins Gesicht und ich weiß, was sie meint. Ich hatte

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1