Falsche Jungs, echte Küsse
Von Emma Winter
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Buchvorschau
Falsche Jungs, echte Küsse - Emma Winter
15
Kapitel 1
Marie
Schnell husche ich in die Küche und entfliehe für einen kurzen Moment den vielen neuen Gesichtern. Ich öffne den Kühlschrank und summe die Melodie von Bruno Mars´ „Just the way you are" mit, die gerade leise aus dem Wohnzimmer herüberdringt. Eigentlich ist das nicht meine Art, fremde Kühlschränke einfach so zu plündern. Aber Lu sagte zu uns, dass wir uns wie zu Hause fühlen sollen.
Ich finde es echt witzig, dass ihr älterer Bruder heute auch Freunde eingeladen hat. Aber in diesem großen Haus verläuft sich das. Als ich vorhin mit Henny gekommen bin, habe ich drei Jungs und zwei Mädchen in der Mitte des Wohnzimmers auf der großen Couch sitzen sehen. Ich habe mich geärgert, weil ich keinen Fotoapparat mehr habe. Es sah so gemütlich aus und ich hätte dieses Bild gerne eingefangen. Die drei Typen könnten nicht unterschiedlicher sein. Ich weiß nicht, wer von denen Lu´s Bruder ist. Auf jeden Fall sehen sie alle total niedlich aus. Vor allem der Eine mit den schwarzen Haaren. Der hat so eine ausgeflippte Frisur und ein Stirnband drum. Aber auch die anderen beiden wirken sympathisch, einer so rothaarig wie Pumukel und der andere strohblond. Wahrscheinlich ist der Blonde Lu´s Bruder, weil sie auch so helle Haare hat. Sie lachten ausgelassen und der Schwarzhaarige schaute gerade in meine Richtung.
Soll ich mir eine Cola oder lieber nur ein Wasser nehmen, überlege ich. Entschlossen greife ich mir schließlich doch eine Coke Zero und richte mich auf. In diesem Moment spüre ich einen warmen Atem genau in meinem Nacken und alle meine Sinne sind aufs Äußerste gespannt. Ein kribbelndes Gefühl macht sich auf meinem ganzen Körper breit und ich stoße ein kurzes Keuchen aus. Der Raum ist plötzlich wie elektrisiert, so etwas habe ich noch nie erlebt. Aus Reflex lasse ich die Coke los. Eine Hand schnellt hervor und verhindert so einen Aufprall der Flasche auf dem Boden.
„Hey, Kleine. Nicht erschrecken!"
Langsam drehe ich mich um und schaue in ein frech grinsendes Gesicht. Zwei dunkle Augen funkeln mich belustigt an. Die Hand an der Cola trägt ein schwarzes Bandana. Schwarzes T-Shirt mit Hemd, eine schwarze Kette, dessen Anhänger ich nicht sehen kann. Kurze strubbelige Haare, natürlich in Schwarz stiebeln in x-beliebige Richtungen. An der Stirn ebenfalls ein Bandana und im linken Ohr einen Stecker aus Silber mit einem undefinierbaren Zeichen. Das ist der Schwarzhaarige von der Couch.
„Bist du mit deiner Musterung fertig?"
Seine Augen sehen mich immer noch belustigt an. Ich merke gerade, dass mein Mund offensteht und schließe ihn augenblicklich. Ich bin völlig perplex und meine Wangen fühlen sich hitzig an. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie ich gerade purpurrot anlaufe. Schnell senke ich meinen Blick und versuche mich an ihm vorbeizuschieben. Seine andere Hand streicht zart über meinen Arm und mir ist als hätte ich einen Stromschlag abbekommen. Abrupt sehe ich zu ihm auf, denn er ist mindestens einen Kopf größer als ich. Seine Augen scheinen noch dunkler geworden zu sein und der belustigte Ausdruck ist verschwunden. Er wirkt erstaunt.
„Hey Niklas, wo bleibst du?", höre ich eine weibliche Stimme von der Küchentür. Eine große Blondine, auffällig geschminkt steckt in einem schwarzen Minikleid.
„Was willst du mit diesem Küken? Komm Ole erzählt gerade von eurer letzten Klettertour."
Damit hakt sie sich bei Niklas ein und zieht in zur Tür. Dieser folgt erst, löst sich aber noch einmal und kommt zu mir zurück. Ich kann ihn nur anstarren.
„Hier deine Coke."
Er macht die Flasche kurzer Hand am Tisch mit einem geübten Schlag auf und reicht sie mir. Stumm greife ich danach und sehe, wie er mir wieder belustigt zuzwinkert. Damit ist er verschwunden.
Ich weiß nicht wie lange ich noch so dastehe, aber plötzlich kommt Henny in die Küche und sagt:
„Da bist du ja. Wir haben dich schon vermisst. Ist irgendetwas passiert? Du guckst so komisch?"
Sie bleibt vor mir stehen und schaut mich kritisch an.
„Ist dir schlecht?"
Sie nimmt meine Hände und drückt sie. Ich muss mich wieder einkriegen. Da war nur ein ganz normaler Junge und ich bin erschrocken. Zaghaft lächele ich sie an.
„Es ist alles gut. Ich weiß auch nicht. Ich brauchte einen Moment für mich."
„Gut. Gehen wir wieder zu den anderen? Thomas ist aufgetaucht. Ich möchte ihn dir vorstellen."
Ich nicke und wir gehen gemeinsam in das Wohnzimmer zurück. Dies ist das Haus der besten Freundin meiner Cousine Henny. Sie heißt eigentlich Luise, also die Freundin meiner Cousine, aber alle nennen sie nur Lu. Das Haus ist wirklich riesig und ich bräuchte wahrscheinlich einen Plan, um mich nicht zu verlaufen. Im großen Wintergarten sitzen Lu und ihre engsten Freunde lustig beisammen.
Auf dem Weg zurück traue ich mich nicht, einen Blick Richtung Couch zu werfen, da ich diesem Niklas nicht noch einmal begegnen möchte. Ich bin also ein Küken laut dieser Blondine. Soll mir recht sein.
„Thomas, das ist Marie. Marie - Thomas."
Henny schaut mich freudig an und ich reiche Thomas die Hand.
„Nett dich kennenzulernen. Henny lobt deine Zeichenkünste in den höchsten Tönen. Bei Gelegenheit würde ich gerne mal ein paar deiner Arbeiten bewundern."
Thomas ist sichtlich verlegen. Er ist ziemlich groß, hat blonde Haare und ein schmal geschnittenes Gesicht. Um Mode scheint er sich nicht allzu sehr zu scheren. Er trägt einen schwarzen Hoodie und legere Jeans. Seine zurückhaltende Art gefällt mir. Er reibt sich den Nacken.
„Naja so toll sind die gar nicht. Mal sehen."
Er schenkt mir ein kurzes Lächeln und setzt sich zu Lu. Meine Augen bleiben an diesem hübschen Gesicht hängen. Als Henny sie mir vorhin vorgestellt hat, habe ich an eine kleine Elfe gedacht. Ich war der Meinung ich bin klein und zierlich, aber Luise passt wahrscheinlich noch in Kindergrößen. Sie hat ein wahnsinnig offenes Lachen und man muss sie einfach gern haben. Ich habe mich jedenfalls gleich mit ihr verstanden und es ist glasklar, wieso Henny und Lu so gut befreundet sind.
Henny plappert gerade pausenlos auf mich ein, aber ich kann mich nicht konzentrieren, weil ich mich von meiner unheimlichen Begegnung in der Küche noch nicht erholt habe.
„Spielen wir eine Runde Billard? Der Tisch ist gerade frei geworden", fragt Michael. Ich schaue Henny erst jetzt wieder an und sie verstummt neben mir. Alle stehen plötzlich auf und bewegen sich in den entgegengesetzten Teil des großen Wohnzimmers. Ich schließe mich langsam der Gruppe an und hoffe, dass ich dabei nicht über unfreiwillige Bekannte stolpere. Allein der Gedanke bringt meinen Herzschlag zum Rasen. Ich kann bereits verschiedene Stimmen aus der Mitte des Raumes hören. Sie unterhalten sich angeregt. Ich erkenne die Tonlage der Blondine und senke augenblicklich meinen Kopf. Die Berührung einer Hand unterbricht meinen Weg und ich blicke erschrocken auf.
„Geht es dir wirklich gut? Du bist auf einmal so still."
Henny hat mich direkt vor der Couch zum Stillstand gebracht und ich würde am liebsten im Erdboden versinken. Knallrot nicke ich und will Henny vorwärts schieben, da höre ich diese Stimme und schließe die Augen.
„Henny Süße, willst du uns deine neue Freundin nicht vorstellen. Ich meine wir sind uns schon vorhin in der Küche begegnet, aber sie hat mir leider ihren Namen nicht verraten."
Henny blickt mich forschend an und ich schüttele unmerklich meinen Kopf.
„Tja Niklas Süßer, sie betont jedes einzelne Wort, „da wirst du sie schon selber fragen müssen. Dir als Supercasanova dürfte das doch sicher nicht schwerfallen, hm?
Ich werfe einen vorsichtigen Blick in seine Richtung und sehe ihn vergnügt schmunzeln. Als er meinen Blick sieht, wackelt er mit den Augenbrauen. Nahezu vor ihm flüchtend gehe ich zügig zum Billardtisch und Henny folgt mir stumm. Als wir dort sind, zieht sie mich schnell in eine Ecke.
„Was hat er gemacht? Bist du deshalb so durch den Wind? Ich sage dir nur eins. Nimm dich vor Niklas in Acht. Kein Rockzipfel ist vor ihm sicher. Klar er sieht super aus und ist auch echt lustig, aber er hält nichts von Freundschaften die länger dauern als eine Woche!"
Na prima, das hat mir gerade noch gefehlt.
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich war nur so überrumpelt. Er stand auf einmal vor mir und ich konnte kaum atmen. Ich weiß auch nicht. Aber danke für deine Warnung. Glaube mir, von Liebesbeziehungen habe ich im Moment genug. Die Kerle können mir alle gestohlen bleiben."
Henny schmunzelt mich an.
„Na auf diese Geschichte bin ich gespannt, aber jetzt lass uns Billard spielen."
Wir sind zu fünft. Zwei Mannschaften zu bilden ohne sechsten Mann ist einfach zu blöd. Deshalb fragt Lu in die andere Runde:
„Wir brauchen einen sechsten Mitspieler, hat wer Lust?"
„Eine meiner leichtesten Übungen", sagt Niklas sofort und erhebt sich rasch.
„Ach komm schon Niklas, was willst du denn bei diesen Küken. Wir haben doch hier unsere eigene Runde", mault die Blondine.
„Was willst du immer mit Küken, Julie? Du bist gerade ein Jahr älter, macht dich das zu einer Henne oder was?"
Ich kann nicht anders, aber ich muss lachen. Auch die anderen kichern über diese Bemerkung, allerdings muss ich feststellen, dass Niklas mich genau beobachtet.
„Ph, geh doch dieses blöde Spiel spielen. Ich bin dann mal weg!"
Sie macht eine dramatische Pause und hofft wahrscheinlich, dass Niklas es sich anders überlegt. Leider hat sie sich da verrechnet und Julie zieht wütend ab. Oh je, wenn ich mir damit nicht gleich eine Feindin gemacht habe!
Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, steht mein größeres Problem bereits neben mir. Mein Pulsschlag schnellt in die Höhe und ich versuche krampfhaft diese Nervosität unter Kontrolle zu bekommen. Niklas hat sich genau neben mich gestellt.
„In welchem Team bist du?", fragt er an mich gewandt.
„Sie spielt bei mir", ruft Thomas eifrig dazwischen. Erleichtert gehe ich an seine Seite, kann aber das belustigte Lachen von Niklas hören.
„Niki, du spielst mit Lu und Michael", ruft Henny.
Niki? Ist das sein Kosename? Mein Mund verzieht sich zu einem Grinsen. Das ist echt süß.
Das Spiel geht los. Das Blöde daran ist nur, dass ich Billard erst zweimal gespielt habe. Somit ist alles Glückssache und ich hoffe, dass die anderen mir nachher nicht böse sind, wenn wir verlieren. Als Niklas mit seinem ersten Stoß dran ist, fixiert er die Kugel. Doch bevor er den Queue schwingt, gleitet sein Blick zu mir und wir sehen uns für einen kurzen Moment in die Augen. Sein Mund verzieht sich zu einem Grinsen und dabei lässt er den Queue nach vorne schnellen. Die Kugel rollt, trifft perfekt und versenkt eine andere. Punkt für ihn. Ich muss schlucken.
Als ich an der Reihe bin, stelle ich mich natürlich besonders unbeholfen an. Thomas gibt mir Tipps von der Bande aus, aber ich weiß nicht so recht wie ich diese umsetzen soll. Plötzlich beugt sich jemand von hinten über mich und hält mit mir gemeinsam den Queue fest. Er legt meine Hände an die richtigen Positionen und schiebt den Queue durch die Finger meiner linken Hand. Mein Herz bleibt fast stehen und ich vergesse für einen Augenblick zu atmen. Was tut er da?
„Du musst die linke Hand schön lockerlassen, genau so. Mit der rechten Hand führst du den Queue in Richtung Ball. Fixiere die weiße Kugel und wenn du dir sicher bist, stößt du zu."
Sein warmer Atem streift über mein rechtes Ohr. Er riecht nach Bier. Mein Magen zieht sich zusammen und mein ganzer Körper scheint in einen Schwebezustand überzugehen. Mit leicht geöffnetem Mund drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Für den Bruchteil einer Sekunde liegt er genau über mir und ich spüre seinen Körper. Hitze bricht aus all meinen Poren. Seine Augen sind scheinbar rabenschwarz und ernst.
Mit einem Ruck lässt er mich los, räuspert er sich und tritt nach hinten.
„Tja, das ist das ganze große Geheimnis."
Irgendwie schaffe ich es meinen Blick von ihm loszureißen und ich konzentriere mich so gut es geht auf dieses blöde Spiel. Die Kugel rollt und verfehlt natürlich die avisierte Kugel.
„Naja vielleicht beim nächsten Mal", sagt Thomas aufmunternd. Ich nicke ihm dankend zu und stelle mich neben Henny. Die sieht mir direkt in die Augen und ich könnte schwören, sie weiß wie aufgewühlt ich gerade bin.
„Ich geh mal auf Toilette", flüstere ich ihr zu.
Damit drehe ich mich um und gehe eine Etage nach oben. Als ich die Badezimmertür hinter mir schließe, lehne ich mich dagegen, schließe die Augen und atme hörbar aus. Was ist nur mit mir los? Abrupt öffne ich die Augen wieder, gehe zum Waschtisch und schaue mich im Spiegel an. Sieht man meine Erregung? Mein Blut rast durch meinen Körper als hätte ich einen Zehntausend Meterlauf hinter mir. Ich schüttele mit dem Kopf. Noch nie hat ein Junge solche Ausstrahlung auf mich gehabt. Gerade hat mein Freund mit mir Schluss gemacht. Er wollte mehr und ich war noch nicht soweit. Wieso reagiere ich auf diesen Niklas so extrem? Ich sehe mich an, meine braunen Augen, meine schmalen Wangenknochen, meine dunkelbraunen Haare, alles nichts Besonderes. Ich weiß, andere sagen ich hätte besonders große Augen. Wie ein Reh. Ich glaube, im Moment kann jeder sehen, was mit mir los ist.
Du musst dich beruhigen und diesem Kerl aus dem Weg gehen, sage ich ernst zu meinem Spiegelbild. Dann drehe ich den Wasserhahn auf und lasse eine Weile kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen. Nach ein paar Minuten fühle ich mich besser und gestärkt, um zu den anderen zurückzugehen. Als ich die Tür jedoch öffne, steht Niklas genau vor mir und meine guten Vorsätze schwinden im Nu. Wir sehen uns an und meine Erregung kehrt sofort zurück. Schnell versuche ich mich an ihm vorbeizuschieben, da stützt er einen Arm gegen die Wand, so dass ich nicht weitergehen kann.
„Was willst du?", frage ich wütend. Langsam reicht mir seine aufdringliche Art.
„Nur deinen Namen, schöne Maid."
Er strahlt mich an und kommt mir noch ein Stückchen näher. Dabei nimmt er eine Haarsträhne zwischen seine Finger und rollt sie langsam auf.
„Wenn ich ihn dir sage, lässt du mich dann in Ruhe und verschwindest?"
„Oh so sauer, Küken?"
Als ich ihn weiter nur anstarre, nickt er langsam.
„Marie – ich heiße Marie."
Er neigt sein Gesicht zu mir, so dass ich denke, dass er mich jeden Moment küssen wird. Ich versinke in seinen nahezu schwarzen Augen und mein verräterischer Körper will doch tatsächlich nichts anderes, als sich an ihn schmiegen. Doch da dreht er seinen Kopf und berührt beim Sprechen mit seinen Lippen mein Ohr.
„Das ist ein sehr schöner Name, Marie."
Er flüstert es so leise, dass ich es kaum hören kann. Umso mehr verwirrt es mich. Von dieser ganzen Situation und seinen Berührungen überfordert, schlüpfe ich unter seinem Arm hindurch und flüchte hinunter ins Wohnzimmer. Ich gehe nicht zu den anderen zurück, sondern schnappe meine Jacke und schließe die Haustür hinter mir.