Zweihundert Meter noch
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Zweihundert Meter noch - Tobias Tattermusch
Tobias Tattermusch
Zweihundert Meter noch
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VerlagslogoInhaltsverzeichnis
Titel
Zweihundert Meter noch
Impressum neobooks
Zweihundert Meter noch
Tobias Tattermusch
Zweihundert Meter noch
Roman
Zweihundert Meter noch, zweihundert lächerliche Meter, die schaffen wir jetzt auch noch. Na also, schon sinds keine zweihundert mehr, auf geht’s, jetzt vielleicht noch hundertfünzig. Alles klar langsam wird’s unschön, kann das nicht endlich zu Ende sein? Ok hundert noch, komm die schaffen wir jetzt in fünfzehn Sekunden, dann wird’s eine gute Zeit. Gleich da, gleich da, gleich da, yes! Geschafft! 12 Minuten, 58 Sekunden, verdammt gute Zeit….Verdammt geht’s mir jetzt schlecht!
Es ist schon verrückt, wie viele Gedanken einem auf zweihundert Metern noch so durch den Kopf gehen können. 1200 Meter legt ein Mensch heutzutage im Schnitt täglich zu Fuß zurück. Vor hundert Jahren waren das noch 20 Kilometer! Verdammt müssen die viel gedacht haben! Aber wenn ich ehrlich bin, bin ich wohl zur Zeit kein Durchschnittsmensch mehr. Gezwungenermaßen leider. So ein Sportstudium ist eine harte Sache, wenn schon die Aufnahmeprüfung so verrückt ist. Laufen, Sprinten, Schwimmen, Turnen und so weiter und so weiter. Aber immerhin kommt man ganz gut in Form. Dadurch kann man besser bei den Mädels landen und so ist das alles in allem doch eine gute Sache. Aber pscht, so was darf ich ja gar nicht sagen, bin ja schließlich vergeben. Glücklich vergeben. Überglücklich! Nein, Spaß beiseite, kann mich eigentlich echt nicht beschweren. Tolle Freundin, tolle Familie, Abitur in der Tasche, seit zwei Jahren am Faulenzen und jetzt endlich wieder ein Ziel vor Augen. Sport studieren, auf Lehramt. Das Hobby zum Beruf machen. Ist das nicht etwas, was sich jeder wünscht? Und genau das werd ich auch machen. Seit vier Monaten bereite ich mich jetzt schon vor. Fünf mal die Woche Joggen gehen, fünf mal die Woche pumpen gehen, pardon Krafttraining, zweimal Schwimmen und zweimal Basketball. Mit der Turnerei wird später angefangen, wird ja wohl nicht allzu schwierig sein. Hört sich jetzt erst mal alles nach recht viel an aber die erste Hürde auf meinem Weg zum Traumberuf hat es nun mal schon ganz schön in sich. Eignungstest der bayerischen Hochschulen. Ja man hat es nicht leicht, wenn man im schönsten Bundesland lebt. Aber mal ganz ehrlich, wer hat sich diese Prüfung ausgedacht? Sechzig Meter sprinten mit fliegendem Start? Wobei der fliegende Start einen Anlauf von sage und schreibe einem Meter beinhaltet. Hundert Meter Schwimmen in maximal einer Minute und fünfzig Sekunden? Reckturnen? 3000 Meter laufen wie ein Verrückter? Ja, das sind schon alles Dinge, die definitiv dazu qualifizieren, später mal ein guter Sportlehrer zu werden. Egal, muss man durch und am Ende ist man dann umso stolzer, wenn man es geschafft hat! Hoffe ich zumindest.
Ach, ich bin übrigens Patrick, und das hier, ist meine Geschichte!
,,Patrick! Paaatrick!, schallt es wieder einmal von unten in dieser ganz besonders liebreizenden Stimme, ,,es ist neun Uhr! Aufstehen!
Um neun Uhr aufstehen. Für einen Ex Abiturienten und Student in spe, wie mich, eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Was soll`s, Augen nochmal schnell zu machen, wird schon keiner merken.
,,PATRICK!"
Alles klar, alles klar bin schon wach.
Eigentlich bin ich meiner Mutter dankbar dafür, dass sie für mich Wecker spielt. Ansonsten würde ich es wahrscheinlich nie aus dem Bett schaffen. Besonders nicht um neun Uhr. Neun Uhr, also quasi gerade wenn im Sommer die Sonne aufgeht, wenn die Vögel anfangen aus ihren Nestern zu kriechen und in den Tag zu starten. Wenn…wenn Menschen einfach noch in ihren Betten liegen sollten. Aber naja, von nichts kommt nichts. Der frühe Vogel fängt den Wurm! Irgendwas muss an dem bescheuerten Satz ja dran sein.
,,Schatz, aufstehen", flüstere ich meiner Freundin zu, die noch neben mir liegt und in ihrem meditationsähnlichen Schlaf nichts von meiner Mutter mitbekommen hat.
,,Schatzi, komm schon, neun Uhr, aufstehen. Nichts. Außer einem Grummeln, das mir wahrscheinlich sagen soll ,,schleich dich, ich will noch nicht aus meiner Traumwelt gerissen werden
.
Da kommt mir eine Idee, die Idee. Was Mutti kann, kann ich schließlich auch. Ich stehe auf, vorsichtig muss ich dabei nicht sein, aus der Totenstarre erwacht sie so leicht nicht. Gehe raus in den Flur und schreie:
,,Caaro!"
Und siehe da, es funktioniert!
Während dem Frühstück sind alle noch neben der Spur, ich, Caro, mein Bruder Nik. Kein Wunder, man muss nur mal auf die Uhr schauen! Bei Nik war das allerdings so eine Sache. 24 Jahre alt, Student. Jura, sechstes Semester. Man könnte meinen, der müsste viel zu tun haben, mir kommt es aber eher so vor als bestünde die größte Arbeit während eines solchen Studiums aus Feiern und verkatert aus dem Bett schleifen. Immerhin noch etwas, worauf man sich freuen kann!
Nach dem Frühstück erst mal Schuhe an, raus und loslaufen. Man sagt, es gäbe Menschen die gehen Joggen als Ausgleich zu ihrem sonstigen alltäglichen Stress. Eine Sache, die ich niemals verstehen werde. Joggen wäre wohl so ziemlich das letzte, was ich als Ausgleich bezeichnen würde. Für mich ist das Stress pur. Psychisch, wie physisch. Hilft aber nichts, muss sein. Immer das Ziel vor Augen haben, sonst wird das nicht mit dem entspannten Studentenleben und späterem Traumberuf nichts. Nach acht nervenaufreibenden Kilometern ist Schluss. Ganz ehrlich, kurzzeitig hab ich mir echt Gedanken gemacht, ob mich jemand findet, wenn ich mittendrin im Wald umkippe. Aber das gehört dazu. Ich glaube fast, ich brauch diese negativen Gedanken um überhaupt weiterlaufen zu können. Joggen, grauenhaft.
Zwölf Minuten und dreißig Sekunden darf ich brauchen für 3000 Meter. Für 8000 Meter habe ich jetzt 45 Minuten gebraucht. Reicht das? Bestimmt! Ne, tut´s nicht! So schaff ich das nicht! Aber hab ja noch zwei Monate Zeit, das wird schon. Jaa das wird schon.
Alltägliche Gedanken eines angehenden Studenten, der im Moment eigentlich wirklich alles hat, was er sich wünschen kann. Naja, außer einem Studienplatz.
Caro und meine Eltern erzählen mir dann immer, dass das schon gut gehen wird. Ich hätte ja noch Zeit und außerdem sei das ja auch gar nicht so schwierig. Letzteres sagt eigentlich nur mein Vater. Den würde ich wirklich mal gerne sehen, wie er versucht seine 120 Kilo überhaupt 3000 Meter weit zu bewegen, ohne dabei Räder unter sich zu haben. Wäre bestimmt ein super Anblick. Aber Ahnung hat er ja, meint er zumindest. Bin ihm da aber nicht böse. Irgendwo meint er das sicher auch nur gut. Kommt zwar nicht so rüber, aber doch ist bestimmt so.
Nach der Lauferei erst mal Pause machen. Dann Mittagessen, dann gegebenenfalls noch Schwimmen oder Basketball. Und so läuft das jeden Tag in der Woche. Bis, ja bis zum Wochenende. Da vertrete ich die Ansicht, wer hart arbeitet, der hat sich ein bisschen Feiern schon verdient.
Wieder Montag. Mutti schreit wieder, ich schrecke auf und quäle mich aus dem Bett. Aber irgendwas ist anders. Ich stehe auf, muss mich aber direkt wieder hinsetzen. Man, denke ich mir immer noch der Kater? Ja ich geb´s zu, Samstag wurde dann doch etwas über die Stränge geschlagen. Der Sonntag fiel daher für mich einfach mal komplett aus. Ich würde nicht sagen, dass ich da was verpasst habe. Ich nenne es einfach mal ausreichende Erholungsphase. Aber gerade scheint es so, als wäre diese dann doch gar nicht mal so ausreichend gewesen. Schwindel, Müdigkeit, das mit dem Aufstehen wird sich wohl noch ein wenig verzögern. Auch der zweite Schreiangriff von Mama hilft nichts. Naja gut, dann also doch nochmal aufs Ohr hauen. Aber da höre ich sie schon. Wie sie die Treppe nach oben stampft als wolle sie mich jetzt gewaltvoll aus dem Bett zerren und vor den Frühstückstisch schmeißen. Immer näher kommen die Schritte. Ich verkrieche mich immer weiter unter meiner Decke und versuche mein Bestes zu geben, einen Tiefschlaf zu imitieren, aus welchem sie mich schon alleine, weil sie meine Mutter ist, nicht reißen wird. Sie ist da! Öffnet die Tür, erblickt wohl ihren Sohn, glücklich träumend, in seinem warmen Bett eingemümmelt. Und sagt trocken und gelassen: ,,Saufkopf." Schließt die Tür und tritt den Rückzug an. Geschafft!
Ein paar, viel zu kurze Stunden später dann der nächste Angriff. Erneut die Schreie, erneut mein Versuch, guten Willen zu zeigen und in den Tag zu starten. Um 13:00 Uhr. Also immer noch vormittags. Ich erhebe mich wieder langsam und merke schon beim Aufsetzen, dass mein Körper noch immer nicht genug vom Ruhen hat. Ich denke jeder kennt das, die Augen tun einem weh, jedes Geräusch nervt, ganz egal was für eins, und der Sinn des Aufstehens scheint so weit entfernt wie nie zuvor. Aber dieses Mal muss es klappen. Schließlich muss auch wieder trainiert werden. Joggen, super Sache, verstehe eigentlich gar nicht, warum ich nicht schon gleich heute früh aus dem Bett gesprungen bin, wo die Aussichten für den Tag doch so gut stehen.
Ich stehe also auf, und da ist er wieder. Der Kater. Aber, nein, das kann doch überhaupt nicht sein. Ist ja nicht so, dass ich mich in die Besinnungslosigkeit gefeiert habe und die Nachwirkungen jetzt noch zu spüren sein dürften. Komische Sache, aber ist ja auch egal. Das einzige was ich weiß, ist, dass wenn ich jetzt nicht endlich aufstehe, meine Mutter schon einen Weg finden wird, mich dazu zu bringen. Und das möchte ich einfach nicht riskieren. Also auf!
Nach dem Mittagessen, erst mal noch kurz vor den Fernseher aber dann raus. Schuhe an, jetzt wird gejoggt.
Geht verdammt schleppend heute, aber es wird. Da zeigt sich immerhin mal der einzige Vorteil, den diese Lauferei mit sich bringt. Wenn man mit seinem Kreislauf am Ende ist, einfach losrennen, nach ein paar Minuten geht’s einem wieder gut. Trotzdem bleibt die Zeit unterirdisch. Aber wenigstens ein bisschen was geleistet. Später dann noch pumpen gehen und mal schauen, wie ich dann drauf bin. Vielleicht ist ja auch noch ein bisschen Schwimmen drin.
War es natürlich nicht.
Macht ja nichts, auf Dienstag verschoben und einfach weiter machen. Und so wieder die ganze Woche weiter. Grauenhaft. Ich weiß, dass mich wohl furchtbar viele berufstätige Menschen für meine Jammerei an die Wand klatschen würden. Aber auch, wenn es sich möglicherweise einfach anhört, jeden Tag laufen zu gehen und jeden Tag zu versuchen, seine Muskeln aufzupumpen, nur um bei einer einzigen Prüfung dann nicht zu versagen, der Druck dahinter ist schon enorm. Besonders wenn sich nichts mehr verbessert. Ich meine, seitdem ich angefangen habe mit dieser bösartigen Beschäftigung, die sich joggen nennt, hat sich wirklich schon einiges getan. Aber derzeit stagnieren meine Leistungen schon wirklich enorm. Und das schlaucht. Da hilft mir auch das ,,wird schon, war halt heute ein schlechter Tag, oder ,,bei der Prüfung schaffst du es dann eh
von meinen Eltern und Freunden nicht mehr weiter. Klar, nett gemeint, aber hilft nichts.
Eineinhalb Monate sind es jetzt noch