Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

am Ende bleibt nichts
am Ende bleibt nichts
am Ende bleibt nichts
eBook273 Seiten3 Stunden

am Ende bleibt nichts

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

So rätselhaft wie die Geschichte endet, so alltäglich beginnt sie. Zwischen Martha und Georg beginnt 1938 eine leidenschaftliche Liebe. Georg liebt auch Hanna, seine Verlobte. Krieg und Flucht trennt die Liebenden.
Ob es nach dem Krieg ein Wiedersehen gibt oder es für alle in einer Katastrophe endet, darauf darf der Leser gespannt sein.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Feb. 2018
ISBN9783742752048
am Ende bleibt nichts

Ähnlich wie am Ende bleibt nichts

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für am Ende bleibt nichts

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    am Ende bleibt nichts - Sabine Penckwitt

    Kapitel 1

    Die Zeit dieser Nachmittage in Marthas Bett war himmlisch.

    Er genoss es, wenn sie starr unter ihm lag, während des ersten Eindringens. Nur für die Dauer die Liebende erwarten, dass für sie die Welt den Atem anhält. Dann warf sie den Kopf nach hinten und gurrte: „Ich kann nicht, ich kann nicht vor lauter Wonne!"

    Die Welt holte wieder Atem und Marthas Starre wandelte sich in wunderbar sanfte Bewegungen, die in hohen Wellen über ihnen zusammenschlugen.

    Kein einziges Signal des Lebens vor Marthas Fenster, kein Ton der Weltgeschichte drang zu ihnen. Sie waren eine Seele, ein Verstehen.

    Nun spazierten sie in der Abenddämmerung im Rosengarten.

    „Kann es jemals anders sein mit uns?", fragte Georg.

    Die Rosen im Mittelfeld hielten noch immer die Wärme des Tages, um ihre Düfte in den Abend abzugeben.

    „Für mich nicht! Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe, wie sehr ich mir wünsche, dass du glücklich bist."

    „Ich bin nicht glücklich, weil ich nicht ehrlich bin zu Hanna. Mit dir ist alles so einfach, so selbstverständlich. Tief innen fühle ich, dass wir uns verstehen, ohne Worte. Es ist einfach ein Gleichklang, dem nichts hinzuzufügen ist."

    „Aber?"

    „Ich will eigentlich nicht mit dir über Johanna sprechen. Aber ich sage dir, dass ich auch sie liebe. Nur nicht mit dieser Wucht, dieser Intensität, wie dich. Sie hat sich nicht verändert, sie ist fröhlich wie immer, zu mir aufrecht und liebt mich."

    Martha blieb stehen und wandte sich Georg zu.

    „Dann bleibt nur eins. Johanna war vor mir da und wir kennen uns erst seit acht Wochen. Du wirst sie heiraten und mich lassen. So bist du unglücklich."

    Georg sah sie entgeistert an: „Das kannst du nicht wollen, Martha. Wir kennen uns nicht nur seit acht Wochen, wir lieben uns wie wahnsinnig seit acht Wochen! Warum sagst du das?"

    Sie gingen bis zu den Bänken und setzten sich.

    „Das hört sich so an, als liebte ich dich wenig. Am Anfang dachte ich, es ist deine Sache, sieh zu, wie du mit zwei Frauen zurechtkommst. Nun meine ich du musst zu Johanna zurück, um deine Ruhe zu finden."

    „Martha, so ein Gedanke würde mir gar nicht einfallen. Du bist selbstlos um meinetwillen. Es ist trotzdem keine Lösung, weil es dich gibt.

    „Du kannst dir die Qual einer Entscheidung nicht ersparen."

    Als Georg sie nach Hause begleitet hatte, stand Martha noch lange am offenen Fenster ihres Zimmers. Sie dachte, wie alles begonnen hatte und wie hoffnungslos es geworden war. Musste sie ausgerechnet Hannas Verlobten kennenlernen und ihn lieben, wie niemals im Leben erhofft, so lieben zu können?

    Acht Wochen, die das Leben von Georg und ihr, aber auch Hannas verändert hatten.

    Acht Wochen zuvor, am zweiten Juli 1938, kam Johanna Walter aus der Klinik am Bismarckplatz 20, als ein gewaltiger Platzregen einsetzte.

    Ihr erster Gedanke war, zurück in die Klinik zu gehen, als sie Edgar Schmidt vorbeifahren sah. Sie gestikulierte wild, um sich bemerkbar zu machen.

    „Hanni, rief er: „wo willst du bei dem Wetter hin?

    „Nimm mich ein Stück mit, ich will nach Hause."

    Er meinte, das träfe sich gut, er habe gerade eine Fahrt in die Arnoldstraße.

    „Hanni, dafür musst du am Sonntag mit mir ausgehen."

    „Nein, du weißt doch, dass ich verlobt bin. Gib es auf, ich bin nicht mehr zu haben!", sagte sie mit strenger Miene.

    „Georg Albrecht kann mich nicht davon abhalten um dich zu werben. Er ist sowieso nicht der Richtige für dich."

    Inzwischen waren sie an der Synagoge in der Arnoldstraße vorbei gefahren und nach kurzer Zeit in der Friedrichstraße 22 angelangt.

    „Nenn mich nicht immer Hanni, Edgar! Die Kinderzeiten sind vorbei, verstehst du!"

    Sie stieg aus und verschwand hinter der braunen schweren Holztür ihres Elternhauses. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Stolz und Ärger. Was der sich denkt, der Möbelfritze! Pah! Georg ist im Amtsgericht beschäftigt und wird bald Gerichtssekretär. Außerdem ist Georg 28 und Edgar gerade mal 19 geworden.

    Sie betastete mit beiden Händen ihre Frisur und versuchte die nass gewordenen, tiefschwarzen langen Locken zu ordnen. Ein Kämmchen hatte sie offenbar verloren.

    Dann löste sie sich von der Haustür und stieg ein paar Stufen hoch, die in die elterliche Wohnung führten.

    Ihre Mutter deckte gerade den Tisch und rief, dass Hanna und Vater sich zum Abendbrot setzen sollten.

    Die Waltersche Wohnung war klein und das schmale Zimmer Hannas war lang mit einem hohen Fenster zum Innenhof, in welchem alte Bäume standen. Alle Höfe des Karrees waren eng, sodass nicht viel Licht in ihr Zimmer drang.

    Das Bett, ein kleiner Schreibtisch und eine Kommode standen hintereinander. Ein Sessel hatte vor dem Schreibtisch Platz. Das war ihr Lieblingsplatz, an dem sie jeden Tag Briefe an Georg schrieb, die sie nie abschickte und hier arbeitete sie mit Leidenschaft an Bleistiftzeichnungen.

    „Hanna wo bleibst du? Vater und ich warten auf dich!", kam der Ruf aus dem Wohnzimmer.

    Auf dem Tisch standen Brot, ein paar Scheiben Mortadella, Leberwurst und schon wieder das „Stolper Jungchen". Sie hasste diesen Käse, eine Art Camembert, aber doch anders im Geschmack. Immerhin hatte Mutter ein Glas Sauergurken aufgemacht.

    Familie Walter lebte sehr bescheiden und Johanna beklagte sich oft darüber.

    Sie wollte ein anderes Leben und hatte eine genaue Vorstellung wie sie später ihren Haushalt führen würde.

    Ihr Vater war Kellner in „Kleins Hotel", einem stattlichen Bau am Bahntor.

    Nie war im Beisein Hannas davon die Rede, dass er Empfangschef oder wenigstens Oberkellner werden könnte.

    Sie wusste, dass es zwischen den Eltern darüber oft Streit gab. Vater meinte, Kellner sei ein guter Beruf. Sie hätten alle drei ihr Auskommen und nun, da Hanna etwas von ihrem Schwesternlohn abgebe, sehe er keinen Grund unzufrieden zu sein.

    Johanna wird eines Tages heiraten und wegziehen, argumentierte ihre Mutter regelmäßig.

    Vater lachte nur und meinte, dass sein Geld dann erst recht für zwei reiche.

    Später, beim Abwasch sagte Hanna: „Am Sonntag gehe ich mit Georg in den Waldkater zum Tanz."

    „Im Waldkater ist es zum Tanztee recht teuer. Sei froh, dass Georg so gut verdient!"

    „Ja, das finde ich auch. Ich möchte später nicht einen Haushalt führen der so schlicht und einfach ist. Vati könnte längst Empfangschef sein!"

    „Johanna!, rief ihre Mutter: „etwas mehr Dankbarkeit Vater gegenüber könntest du aufbringen. Er hat es ermöglicht, dass du eine gute Schwesternausbildung absolvieren konntest und nun die gute Stelle bei Doktor Witt hast.

    Hanna erwiderte nichts.

    Am Abend in ihrem Zimmer zeigte sich immer noch die Zornesfalte zwischen den Brauen. Sie konnte einfach nicht verstehen, wieso Vater nicht vorwärts kommen wollte, er tat sich im Hotel gar nicht hervor.

    Missmutig streifte sie sich den blauen Rock, die Bluse mit dem winzigen Blumenmuster und die Unterwäsche ab.

    Ein leise klickendes Geräusch ließ sie nach unten sehen. Ach, da lag ja das verloren geglaubte Kämmchen auf dem Linoleumboden.

    Am nächsten Morgen war schon zu spüren, dass es wieder ein heißer Julitag werden würde. Der Gewitterguss vom Vortag hatte keine Abkühlung gebracht.

    Hanna war um sechs Uhr früh aufgestanden, hatte in der Küche einen Becher Milch getrunken und ging zu Fuß um viertel vor sieben zur Klinik. Sie sah Martha Brandes gerade mit dem Rad vom Bismarckplatz in die Hindenburgstraße einbiegen.

    Sie winkte Hanna zu und rief, dass sie es schon wieder eilig habe.

    Hanna nickte grüßend und dachte, dass Martha wahrscheinlich häufig zu spät zum Dienst ins Städtische Krankenhaus kam. Sie musste noch die ganze Hindenburgstraße hochradeln und dann am Friedhof rechts abbiegen bis zur Plantage.

    Hanna war gerade achtzehn geworden und Martha ein Jahr älter.

    Die beiden hatten sich während ihrer Schwesternausbildung kennengelernt.

    Vier Minuten später betrat Johanna Walter die Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenleiden und verschwendete keinen Gedanken mehr an Martha.

    Die hingegen trat kräftig in die Pedale und schalt sich selbst, dass sie immer auf die letzte Minute aufstand. Sie wohnte in der Amtsstraße 2 zur Untermiete.

    Hedwig, wie sie ihre warmherzige und fürsorgliche Wirtin nennen durfte, stand schon vor Martha auf und brühte ihr einen Kaffee.

    „Schnell, schnell der Doktor wartet nicht!", rief sie vor Marthas Tür.

    Auch an diesem Morgen kam sie wieder zehn Minuten zu spät auf ihre Station.

    Sie wurde zur Oberschwester gerufen.

    Martha rutschte das Herz in die Hose, denn die Oberschwester hatte ihr schon zweimal gesagt, dass sie den Herrn Professor unterrichten werde, wenn sie weiterhin so oft zu spät käme.

    „Fräulein Brandes, es wird mir berichtet, dass Sie eine merkwürdige Dienstauffassung haben. Sie kommen wenigstens zweimal pro Woche zu spät.", sagte Professor Kriete, ohne dass sich Martha setzen durfte. Auch die Oberschwester stand etwas abseits vom Schreibtisch.

    „Es ist nur, weil ich immer so müde bin", druckste Martha.

    „Dann gehen Sie wohl zu spät zu Bett?"

    „Ja, sehr oft."

    „Warum?", fragten Oberschwester und Professor gleichzeitig.

    Martha schaute auf ihre Schuhspitzen und wusste nicht, was sie antworten sollte.

    „Schwester Martha!", rief die Oberschwester streng und auffordernd.

    „Ich, sagte Martha leise: „zweimal wöchentlich gehe ich abends noch zu Reinolds putzen.

    Professor Kriete kam hinter seinem Schreibtisch hervor und fragte spitz: „Bei dem Käsefritzen, am Abend? Hat die gnädige Frau Fabrikant kein Personal?"

    „Doch, aber ich putze die Büroräume."

    Die Oberschwester stellte fest, dass die Klinik nichts anginge, was die Angestellten abends täten. Morgens hätten sie pünktlich zu sein!

    „Nun, nicht so streng Oberschwester, sagte Professor Kriete und forschte nach: „Was sagen Ihre Eltern dazu?

    Er bot ihr und der Oberschwester Platz an und verschwand wieder hinter seinem wuchtigen Schreibtisch.

    Martha erzählte, dass sie seit vier Jahren allein sei. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt und ihre Mutter sei vor vier Jahren hier im Städtischen im Absonderungshaus an Tuberkulose verstorben. Die Wohnung musste sie aufgeben, hatte aber bei Frau Hedwig eine Unterkunft gefunden.

    Für die Schwesternausbildung, die sie unbedingt hatte machen wollen, lieh sie sich Geld von Frau Hedwig und daraufhin habe diese ihr die Putzstelle bei Herrn Reinold vermittelt. Herr Reinold sei sehr freundlich und gebe einen guten Lohn.

    Martha wollte im Boden versinken und Einsamkeit überfiel sie wie ein zu groß geratener schwerer Mantel.

    Sie käme in Armut, wenn sie ihre Stelle verlieren würde.

    Professor Kriete räusperte sich und sprach zur Oberschwester: „Nun, nun, ich denke wir könnten von einer Disziplinarmaßnahme absehen. Was meinen Sie, sind Sie mit Schwester Marthas Arbeit ansonsten zufrieden?"

    „Daran gibt es nichts auszusetzen. Martha ist das Herz unserer Station. In ihrem Fach ist sie gut, sie braucht natürlich noch Erfahrung, aber sie ist jung und um ihr Wissen ist mir nicht bang. Sie tut den Patienten gut, die doch oft sehr unglücklich sind und sie setzt sich mitunter auch in ihren Pausen an ein Krankenbett und hört zu, um zu trösten", war die Antwort.

    Martha sah sie staunend an. Mit solch einem Urteil hatte sie nicht gerechnet.

    Professor Kriete strich sich einige Male über das Kinn. Er trommelte verhalten mit den Fingern auf seinen Schreibtisch und schwieg.

    Das Schweigen verursachte ein Summen in den Ohren und nicht nur Martha, auch die Oberschwester sah beklommen über den Teetisch aus dem Fenster. An dem abseitigen Teetisch saßen bei Besprechungen die Assistenzärzte mit ihrem Chef in kleinen Biedermeiersesselchen.

    Martha musste doch ein wenig lächeln, als sie sich vorstellte, wie wohl der dicke Dr. Brahms in einem der Sessel Platz nahm.

    „Nun", rief Professor Kriete so plötzlich, dass die beiden Frauen aufschreckten.

    „Nun, wiederholte er: „ich denke, Oberschwester, es wird sich im Hause eine Tätigkeit finden lassen, ähnlicher Art wie bei Reinolds, die unsere Schwester nach Feierabend verrichten könnte.

    An Martha gewandt sagte er: „ Das hätte den Vorteil, dass Sie abends nicht mehr raus bis zur Fabrik müssten. Oder haben wir ein freies Schwesternzimmer? Ich würde keine Miete berechnen. Es tut mir Leid, was Sie schon so jung erleiden mussten und ziehe den Hut, dass Sie die Ausbildung ohne jede Hilfe geschafft haben und nun in allen Ehren Ihre Schulden abzahlen. Respekt!"

    Damit erhob er sich und auch die beiden Schwestern standen auf.

    „Darf ich noch etwas sagen?", fragte Martha.

    „Bitte!"

    „Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Professor. Aber ich möchte bei Frau Hedwig bleiben. Sie ist der einzige Mensch, der sich um mich kümmert."

    „Gut, dann wird die Oberschwester Ihnen eine Arbeit zuweisen, bei der Sie etwas Geld verdienen. Ich möchte unterrichtet werden", fügte er mit einem Kopfnicken hinzu.

    Martha ging zur Station zurück, wo ihre beste Freundin sie schon erwartete.

    Das Gesicht von Erika war ein einziges Fragezeichen, das sich abrupt aufhellte, als sie sah, dass Martha ihr mit einem Lächeln und einem Hüpfer entgegenkam.

    Die beiden Freundinnen beschlossen zur Feier des Tages nach Dienstschluss in der „Waldkatze" Kaffee zu trinken.

    „Komm, ich lade Dich ein. Keine Widerrede!"

    Gegen vier Uhr nachmittags radelten zwei junge Mädchen, mit im Fahrtwind flatternden Sommerkleidern, in die Petristraße und weiter in die Poststraße.

    Nun noch die Lachsschleuse bewältigen und dann waren sie bei der „Waldkatze".

    „Puh", rief Martha ihrer Freundin zu, als sie die Räder an der Hauswand abstellten.

    „Bei der Hitze den weiten Weg zu machen, verdient einen Eisbecher!"

    „Ja, du kannst alles vertragen. Aber ich kann noch so viel radeln, ich werd` nicht dünner.", erwiderte Erika.

    „Komm, dann trinken wir eben nur Limonade"

    Ein junger Mann, der gerade mit zwei älteren Herrschaften aus dem Garten des Lokals ging, kam auf sie zu: „Meine Damen, ich will nicht schuld sein, wenn Sie am Abend nicht zurück radeln können. Ihre Räder lehnen an der Hauswand und ich weiß, dass der Wirt das gar nicht gern sieht und schon manches Rad weggesperrt hat."

    Er zeigte auf ein weißes Emailleschild, auf dem stand:

    Betteln und Hausieren verboten! Räder an der Hauswand abstellen verboten!

    Martha sah auf und sah in die schönsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte.

    Sie fühlte einen Stich in der Brust, wie einen elektrischen Schlag. Ein unmerkliches Zittern durchlief ihren Körper, das sie nicht deuten konnte.

    Erika stellte übermütig fest: „Soso, das ist ja wohl Ihre eigene Erfahrung, Herr …!"

    „Georg Albrecht, stellte er sich vor und sah dabei Martha unverwandt an: „Ganz Recht, das ist meine eigene Erfahrung. Deswegen will ich Sie ja vor dem Verlust Ihrer Räder bewahren.

    „Pfs, den Rat brauchen wir ja nun nicht, aber trotzdem danke!", erwiderte Erika.

    Martha meinte: „Da Herr Albrecht uns aber so nett aufmerksam gemacht hat, frage ich mich, wie wir uns revanchieren können."

    Der antwortete abschlägig, indem er auf seine Eltern wies und erklärte, dass er jetzt mit ihnen – leider – zurückfahren müsse. Er grüßte die Mädchen und ging zum Wagen, in dem das ältere Paar bereits wartete.

    „Was war denn das Martha? Wolltest du den zum Eis einladen?"

    „Ja, sagte sie versonnen und starrte ihm nach. „Hast du die Augen gesehen und die blitzweißen geraden Zähne?

    „Natürlich! Aber auch den altmodischen braunen Anzug und dann noch eine Weste darunter, bei der Hitze.", stellte Erika pragmatisch fest.

    „Wie war sein Name?"

    „Martha, ist das wahr? Dich hat der Blitz getroffen! Oder wie sagt man? Amors Pfeil! Georg Albrecht."

    „Hast du ihn schon mal gesehen? Ob er aus Stolp ist? Und hast du auch gesehen, was er für schöne lange Wimpern hat?"

    Doch Erika zuckte mit den Schultern, sie war nur noch an der Limonade interessiert.

    Am Sonntagnachmittag holte Georg Hanna zu Hause ab. Sie wollten zur Hindenburg-Kampfbahn. Es sollte um drei Uhr einen Wettkampf geben.

    Georg war in seiner Freizeit ein guter Läufer, hatte es aber trotzdem nie so weit gebracht, wie sein Freund Paul, der ganz aktiv im Sportverein war. Pauls Verein trat heute gegen den Turnverein Lauenburg an und Georg wollte Paul natürlich vom Platz aus anfeuern.

    Hanna hatte Vorbehalte geäußert, weil an diesem Sonntag Tanztee im Waldkater wäre.

    Aber dann hatte sie sich schick gemacht und war stolz an Georgs Arm in das Menschengewühl eingetaucht.

    Fröhlich schwatzte sie auf ihn ein, sprach viel von ihrer Arbeit in der Klinik. Von ihren Eltern erzählte sie wenig, denn ein bisschen schämte sie sich, dass ihr Vater nur Kellner war.

    Georgs Vater war Apotheker und sein Stammtisch war ausgerechnet in „Kleins Hotel".

    „Aber Hanna, meine Eltern mögen dich!", wiederholte Georg zum x-ten Mal, wenn sie die sozialen Unterschiede zur Sprache brachte.

    „Und ich möchte später auch so leben, wie deine Eltern."

    Inzwischen standen sie im dichten Gewühl vor den Einlassschranken.

    Johanna nicht vom Arm lassend, sah Georg weit nach vorn. Er war groß und überragte die meisten anderen Leute.

    „Wir haben es gleich geschafft", sagte er. Sie erwiderte etwas, wiederholte es und sah zu Georg auf, weil er nicht antwortete.

    Ein paar Reihen weiter vorn sah er sie!

    Sie drängte sich mit ihrer kessen, pummligen Freundin nach vorn. Aha, sie ist sportinteressiert. Ob sie Stolperin ist?

    Er hatte sich in den vergangenen Tagen dabei ertappt, dass er an dieses Mädchen mit dem Fahrrad denken musste.

    Sie trug das halblange braune Haar an einer Seite hochgesteckt.

    Nur an einer Seite, sehr apart, dachte er. Sie hatte ein rotes Kleid an, das über und über mit weißen Segelschiffchen bedruckt war. Es war nach der neuen Mode in der Taille gesmokt, darüber eine rote figurbetont geschnittene Jacke.

    „Georg, du hörst mir ja gar nicht zu!", rief Hanna.

    „Entschuldige Hanna, ich sah gerade einen Bekannten. Was sagtest du?"

    Nachdem sie im Stadion waren und ihre Plätze auf einer der Tribünen gefunden hatten, bemerkte er, dass er im Augenwinkel die ganze Zeit das rote Kleid wahrnahm.

    Er sah Hanna bewusst ins Gesicht und drückte fest ihren Arm: „Wie sehr ich dich lieb habe, das weißt du", sagte er unvermittelt.

    Aber irgendwie kamen ihm die Worte in diesem Augenblick falsch vor. Er konnte nicht sagen woher dieses Gefühl kam. Plötzlich war es da, nur einen Herzschlag lang.

    Hanna wusste genau was sie wollte. Sie war hübsch, strebsam und temperamentvoll. Er würde Johanna heiraten!

    Und doch fühlte er sich unsicher, hatte keine Kontrolle über seine Gedanken und jetzt, ja jetzt suchte er, wo das Mädchen in dem roten Kleid geblieben war.

    Der Einmarsch der beiden Turnvereine begann, sodass sich Georg wieder besann und nun ganz Auge und Ohr für den Wettkampf war.

    Auf dem Rückweg nach dem Turnier war er in Hochstimmung. Lauenburg hatte in den ersten Runden die Nase vorn, dann hatte der Stolper Sportverein die Konkurrenten in den Schatten gestellt.

    „Hanna hat es dir auch ein

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1