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Erlös mich, wenn du kannst
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eBook285 Seiten4 Stunden

Erlös mich, wenn du kannst

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Über dieses E-Book

Stella ist mit Visionen aufgewachsen und hat gelernt damit umzugehen. Doch ein Traum von einem Haus verändert ihr Leben. Wie durch eine unsichtbare Hand wurde sie dahin geführt und hat es am Ende zusammen mit ihrem Mann gekauft.
Dieses Haus verbirgt jedoch Geheimnisse und sie merken schnell, dass sie nicht allein sind. Schon viele Jahre lebt dort ein Engel und er legt Stella eine große Last auf die Schultern.
Kann Stella dem Engel, der das Haus seit langer Zeit behütet, helfen?
Wer ist dieser Engel und was hat er mit dem Leben von Stella zu tun?
Bekommt sie all ihre Fragen beantwortet? Besteht sie die Herausforderung und gibt es eine Möglichkeit, den Engel wirklich zu erlösen?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum8. Juli 2021
ISBN9783754140628
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    Buchvorschau

    Erlös mich, wenn du kannst - Angela Zimmermann

    Angela Zimmermann

    Erlös mich,

    wenn du kannst

    Roman

    Engel sind unsere ständigen Gäste,

    also lasst die Tür zu eurem Herzen

    stets offen.

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Über die Autorin

    Kapitel 1

    Ich steige aus dem Auto und spüre, wie sich ein zufriedenes Lächeln über mein Gesicht ausbreitet. Ich schaue an dem Haus vor mir hinauf und bin glücklich, endlich hier zu sein. Es ist zwar klein, aber sehr schön und am Rande einer Stadt gelegen. Eine kleinere Kreisstadt, die wir bis jetzt nicht einmal kannten, aber wo es alles geben soll, was man zum Leben braucht und so genau richtig für mich und meinen Mann Manuel ist.

    Seit unserer Hochzeit vor zwei Jahren sind wir auf der Suche nach einem Haus. Wir wollten eigentlich das vertraute Heim, eine Wohnung in der Stadt, wo ich aufgewachsen bin, nicht verlassen. Aber dann sah ich diesen Flyer, der eines Tages in unserem Briefkasten lag und es war um mich geschehen. Ich habe sehr lange von genau diesem Haus geträumt, es jedoch immer als belanglos abgetan. Jetzt sah ich es auf einem Stück Papier und verliebte mich noch mehr, als wie es sich schon im Traum angefühlt hatte. Einen Zusammenhang schob ich beiseite, stattdessen zog es mich vom ersten Augenblick magisch an.

    Unsere Immobilienmaklerin mit der wir schon länger nach einem passenden Haus gesucht haben bestritt jedoch, dass wir den Flyer von ihr bekommen haben, was mir am Ende ebenso vollkommen egal war. Dass es etwas mit meinen Träumen zu tun hatte, kam mir auch da nicht in den Sinn. Die Maklerin kümmerte sich sofort darum, dass wir uns das Haus ansehen durften. Zudem wickelte sie den Verkauf ab, obwohl sie es hätte nicht machen müssen und es auch nicht bei ihr gelistet war. Die Gemeinde war froh, endlich jemanden für das jahrelang leerstehende Haus gefunden zu haben und dankte ausdrücklich unserer Maklerin für ihre Bemühungen. Warum es so lange leer stand, konnte oder wollte uns keiner sagen. Es ist mir unbegreiflich, aber ich kümmerte mich nicht weiter darum und außerdem sollte ich es ja anscheinend auch bald erfahren.

     Vor einem halben Jahr haben wir es dann endlich gekauft, waren jedoch seitdem nur zwei Mal hier. Einmal, um es uns anzuschauen und den Kaufvertrag zu unterschreiben und das zweite Mal, um die Firmen für die Renovierung einzuweisen. Sehr viel war eigentlich nicht zu machen, aber frische Farbe sollte dann doch an die Wände. Das Haus war in einem auffallenden guten Zustand, obwohl es angeblich über zwanzig Jahre unbewohnt gewesen sein soll, was ich irgendwie nicht glauben wollte.

    Wir haben uns entschieden die Möbel, die im Haus waren, zu behalten. Sie waren ordentlich in Tücher eingehüllt und die Küche war ebenfalls vollkommen in Ordnung. Ich könnte mir vorstellen, dass die Vorbesitzer das alles selbst nicht lange genutzt haben und mitgenommen wurde auch nichts. Das Einzige, was wir von uns mitbringen, ist das Schlafzimmer. Das haben wir erst vor kurzem gekauft und ich wollte es unbedingt mitnehmen. Ein Verkauf kam für mich nicht in Frage. Das alte Bett und die Schränke haben die Handwerker entsorgt, so wurde uns die Arbeit abgenommen. Heute muss jedoch unseres aufgebaut werden und deshalb sind zwei Freunde von uns als Unterstützung mitgekommen.

    „Schatz, bist du dort angewachsen?", ruft mir Manuel zu und reißt mich aus meinen Gedanken.

    „Ich komme ja schon", antworte ich ihn und löse widerwillig den Blick, der an dem Haus geheftet ist.

    Ich nehme noch meine Tasche aus dem Auto und gehe die kleine gepflasterte Auffahrt hinauf. Bevor ich die drei Stufen zur Eingangstür empor gehe, schweift mein Blick durch den winzigen Blumengarten vor dem Haus. Wir haben einen Gärtner beauftragt, wenigstens die Ansicht, von der Straße aus, in Ordnung zu bringen. Er hat wirklich gute Arbeit geleistet. Es sind verschiedene Blumenarten, die alle in wunderschönen Farben blühen. Zusätzlich hat er einen Weg aus unterschiedlich großen Feldsteinen angelegt, der zu einer Gartenbank führt, die zwischen den Blumen direkt unter einem Fenster platziert ist. Da kann man sich abends ausruhen und hat einen freien und überragenden Blick auf die Stadt, die uns hier förmlich zu Füßen liegt.

    Das Haus ist ganz am Ende in dieser Siedlung und steht auf einer kleinen Anhöhe. Ich kann immer noch nicht glauben, dass es keiner haben wollte. Und jetzt gehört es uns. Die Maklerin, die sich umgehört hat, so gut es ihr möglich war, konnte uns auch nicht sagen, warum die Situation so ist. Manuel meinte, dass hier vielleicht etwas passiert ist, aber ich wollte darüber einfach nicht spekulieren. Er hat manchmal viel Fantasie. Ebenso kann ich mir nicht vorstellen, dass so ein schönes Haus böse Geheimnisse haben soll.

    „Entschuldigung", sagt Nico, einer unserer Freunde, der mich im Vorbeigehen anrempelt.

    „Was ist denn mit dir los?", fragt Manuel fast gleichzeitig und steht jetzt ganz nah vor mir.

    „Ich habe mir nur den Garten angeschaut", antworte ich ihn etwas mürrisch, denn ich will mich nicht hetzen lassen.

    „Drinnen ist alles sehr schön geworden, Schatz. Gehe hinein und schaue dir das an", lächelt Manuel mich an und hat mein Murren einfach überhört.

    Ich lächele zurück und gehe die Stufen hinauf. Kurz darauf trete ich durch die Haustür in den Flur. Der war vorher schon groß und der neue Anstrich mit weißer Farbe macht ihn noch gewaltiger. Ich laufe weiter und stehe nun in unserer Küche. Vor Erstaunen steht mein Mund offen und ich bin einfach nur sprachlos. Zusätzlich zu der Malerfirma und den Gärtner haben wir eine Reinigungsfirma beauftragt, alle Möbel wieder auf Hochglanz zu bringen. Und das haben sie. Ich mag eigentlich keine hellen Küchenmöbel, aber diese ist wunderschön geworden. Das Weiß der Schränke lässt den Raum freundlicher wirken und die zarte grüne Farbe an den Wänden passt wahrhaftig gut dazu. Die Küche ist mit allem ausgestattet, was man sich denken kann. Einige Geräte waren noch da und andere haben wir einbauen lassen. Das wurde von uns nur telefonisch organisiert und ich hatte schon etwas Angst, dass das schiefgeht, aber das Ergebnis überrascht mich vollkommen. Alles Geld, was wir hier hineingesteckt haben, hat sich absolut gelohnt. Als Nächstes schaue ich mir das Wohnzimmer an und habe da ebenfalls nichts auszusetzen. Die Couchgarnitur haben sie gereinigt und schaut wirklich wie neu aus. Die Wohnwand und der schöne Tisch haben weder einen Kratzer, noch sieht man ihnen an, wie lange sie hier gestanden haben. Manuel war dagegen, dass wir alles behalten, aber ich wollte diese Möbel nicht hergeben. Warum konnte ich nicht sagen, jedoch habe ich gleich im ersten Moment eine angenehme Verbindung zu ihnen aufgebaut. Und jetzt bin ich einfach nur froh, mich in dieser Sache gegenüber meinem Mann durchgesetzt zu haben.

    „Wir bauen dann gleich das Schlafzimmer auf", kommt leise von Manuel, der hinter mir steht und ganz vorsichtig die Arme um meinen Körper legt, damit ich mich wahrscheinlich nicht erschrecke. Ich lasse meinen Kopf auf seine Schulter fallen und spüre, dass er sich genauso wohl fühlt wie ich.

    „Wir sind angekommen. Meinst du nicht auch?", wende ich mich Manuel zu und schaue in sein zufrieden strahlendes Gesicht.

    „Ja, Schatz, das sind wir", antwortet er, senkt sich zu mir herunter und gibt mir einen zärtlichen Kuss.

    „Wo sollen denn all die Kisten hin?" Nico steht auf einmal neben uns und grinst uns breit an.

    Am liebsten würde ich ihn davonjagen, aber lasse Manuel los, denn schon heute Abend werden wir die Möglichkeit haben, da weiter zu machen, wo uns Nico jetzt gestört hat.

    „Auf den Kisten steht doch drauf, wohin sie sollen", sage ich forsch, mit in den Hüften gestemmten Händen.

    „Schon gut. Ich wollte euch nicht stören, aber wir sollten etwas schneller machen, sonst müsst ihr heute auf dem Fußboden schlafen", erwidert Nico, schaut auf die Kiste und verschwindet mit ihr in die Küche.

    Manuel schüttelt nur mit dem Kopf und folgt nach einem weiteren Kuss Nico, der schon wieder an uns in Richtung Auto vorbeiläuft. Es sind nicht viele Kisten, die sie noch herein räumen müssen, denn wir haben bisher in einer sehr kleinen Wohnung gelebt.

    Um den Männern nicht im Wege zu stehen, gehe ich in die Küche und beginne dort die erste Kiste zu leeren. In der zweiten stoße ich auf die Kaffeedose und befülle sofort eine Maschine damit. Während der Kaffee durchläuft, verschwindet das Geschirr in den Schränken. Nach ein paar Minuten stehe ich mit einer Tasse heißen Kaffee an der Terrassentür. Ich öffne sie und trete hinaus. Mein Blick fliegt über den großen Garten, der sich vor mir erstreckt. Hier wurde noch nichts gemacht, denn das wollen wir selbst in die Hand nehmen. Und erst, wenn wir eingezogen sind. Bei dem, was ich aber hier erblicke, scheine ich mich wohl geirrt zu haben, es schnell allein schaffen zu können. Was meine Augen sehen, macht mir irgendwie Angst. Das Gras ist so hoch, dass es sogar einen Rasenmäher schwerfallen wird, durchzukommen. Dann stehen Bäume da, die wohl kaum noch Früchte tragen werden. Da sollten vermutlich einige gefällt werden. Auch die Terrasse, auf der ich mich momentan befinde, muss neu gemacht werden. Die Sandsteine, die hier verlegt wurden, sind das ganze Gegenteil von gleichmäßig. Ich glaube hier stände kein Tisch gerade. Etwas enttäuscht darüber, den Garten und die Terrasse nicht gleich benutzen zu können, wie ich es mir vorgestellt habe, gehe ich zurück in das Haus.

    „Wo hast du denn dein Arbeitszimmer?", fragt Tim, ein weiterer Freund von Manuel, der mitten im Wohnzimmer steht und krampfhaft eine Kiste hält.

    „Komm mit, ich zeige es dir", zwinkere ich ihm zu und wir gehen gemeinsam in das Obergeschoss.

    Hier ist das Schlafzimmer, ein Badezimmer, ein Gästezimmer und mein Arbeitszimmer. Das ist eigentlich als Kinderzimmer geplant, aber dafür hat es noch etwas Zeit. Alle Türen stehen offen und es sind schon jede Menge Kisten in den Zimmern verteilt, bis auf die Letzte.

    Tim stellt diese mitten in den Raum und ist kurz darauf wieder auf den Weg nach unten. Ich schaue mich erst einmal um und überlege, wie ich mein Arbeitsdomizil einräumen sollte. Schnell ist eine Entscheidung getroffen, den Tisch vor das Fenster zu stellen. Da habe ich während der Arbeit einen wunderschönen Ausblick auf die kleine Stadt. Ich kann von hier aus sogar den Markt mit der großen Kirche sehen.

    So eine Aussicht wird mich bestimmt auch inspirieren. Ich bin Schmuckdesignerin und verkaufe meine Sachen meist über das Internet. Ich lasse bei der Arbeit meiner Fantasie freien Lauf und die Verkaufszahlen zeigen mir jedes Mal, dass ich mit den Ideen nicht falschliege. Ich habe mich daran gewöhnt, zu Hause zu arbeiten und mir die Zeit so einteilen zu können, wie ich möchte. Manuel ist dagegen Lehrer und liebt es, ständig unter Menschen zu sein. Er hat auch schon eine Stelle hier an der Schule. In zwei Wochen sind die Ferien zu Ende und er kann sofort anfangen. Bereits in den nächsten Tagen beginnen die Schulvorbereitungen, bei denen er dabei sein muss. Also bleibt uns kaum eine Woche, um uns hier richtig einzurichten. Geschweige den Garten auf Vordermann zu bringen. Aber wir werden es schon schaffen. Zuerst sollte im Haus alles fertig werden, dann kann ich mich wieder voll meiner Arbeit widmen und so nebenbei werde ich wohl doch noch einmal einen Gärtner zurate ziehen.

    Hinter mir höre ich gequälte Stimmen, die mich aus den Gedanken holen und ich schaue genüsslich zu, wie drei kräftige Männer, die sonst mit ihren Muskeln prahlen, versuchen unser schweres Bett in das Obergeschoss zu bekommen. Ich muss mir ein Lachen verkneifen, denn ich möchte ihren Stolz nicht verletzen. Das machen sie schon selbst. Nach weiteren zehn Minuten und ständigen Absetzen steht das Bett an seinen vorgesehenen Platz und alle drei fallen erschöpft daneben nieder.

    „Ich hole euch erst einmal ein Bier. Ich glaube, das habt ihr euch verdient", will ich sie aufmuntern, denn auch der Schrank muss ebenso nach oben. Da gibt es jedoch einen Vorteil, der ist in Einzelteile zerlegt.

    „Eine gute Idee, mein Schatz", höre ich noch von Manuel, während ich schon die Treppe hinunterlaufe.

    Wie erwartet, befinden sich die Flaschen nicht mehr in dem Korb, den ich auf die Spüle gestellt habe, sondern im Kühlschrank. Ich nehme drei heraus und bringe sie den Männern, die inzwischen auf der Terrasse stehen und sich genauso ungläubig den Garten ansehen wie ich vorhin. Aber wie schon gesagt, der muss noch etwas warten.

    Ich lasse die Jungs allein und ziehe mich zurück in die Küche. Hier wartet genug Arbeit auf mich und damit will ich auch schnellstens fertig werden, denn ich möchte heute noch mit dem Einräumen meines Arbeitszimmers beginnen. Morgen sollte ich zumindest wieder im Netz sein, wenn es auch nur kurz sein wird, um die aktuellen Aufträge und Bestellungen zu überprüfen. Wir benötigen jetzt wirklich jeden Cent und wenn keine Werbung für die Produkte gemacht wird, verkaufe ich am Ende nichts.

    Nach einer halben Stunde falte ich den letzten Karton von der Küche zusammen und bringe ihn wieder zum Auto. Das hat sich ja schon fast geleert. Nur noch ein paar Dekorationssachen und Pflanzen sind auf dem kleinen Laster. Ich quäle mich hinauf und hole meine Stehlampe aus der Ecke heraus. Ich ziehe sie bis an den Rand und springe wieder hinunter. Bevor ich sie herunterziehen kann, steht Manuel neben mir und reicht sie mir mit einem Lächeln. Ein Kinderspiel für ihn und ich bedanke mich mit einem Küsschen. Schnell laufe ich mit der Lampe zurück in das Haus und platziere sie neben der Couch. Jetzt doch etwas erschöpft lasse ich mich auch gleich auf sie fallen und spüre, wie meine Augenlider immer schwerer werden. Ich ergebe mich dem Müdigkeitsgefühl und schlummere ein.

    Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen habe, werde jedoch unsanft von einem lauten Poltern geweckt. Augenblicklich sitze ich aufrecht und lausche in das Haus hinein. Aber es bleibt noch einen Moment still.

    „Du hast meinen Fuß gerade so um einen Zentimeter verfehlt", brummt Tim.

    „Tut mir leid", entschuldigt sich Manuel schnaufend.

    Ich laufe die Treppe hinauf und stehe jetzt im Schlafzimmer, wo die drei mit dem Kleiderschrank kämpfen. Also Kraft haben sie zwar, aber Möbelbauer könnten sie wohl nie werden. Mit verschränkten Armen postiere ich mich am Türrahmen und schaue zu, wie sie versuchen, die Türen in die dafür vorgesehenen Schienen einzuhängen. Es dauert ein paar Minuten, aber sie schaffen es. Sichtlich geschafft stehen sie da und klopfen sich gegenseitig auf die Schultern. Ich denke mir meinen Teil und widme mich umgehend den großen Plastiktüten. Darin sind unsere Zudecken und Kissen und ich beginne sofort alles herzurichten, damit wir schon heute in dem Bett schlafen können. Die Männer lassen mich allein zurück und räumen die letzten Sachen ins Haus. Eine halbe Stunde später verabschieden wir Tim und Nico und schließen die Tür unseres Heimes, das erste Mal von innen. Im selben Moment nimmt mich Manuel auf den Arm und läuft mit mir ins Wohnzimmer. Zusammen fallen wir lachend und glücklich auf die Couch und vergessen für einige Sekunden alles um uns herum.

    Kapitel 2

    Ich liege regungslos in meinem Bett und starre an die weiße Decke. Die Sonne ist schon aufgegangen, aber wir müssen nicht aufstehen. Heute ist Ausschlafen angesagt und so lasse ich Manuel noch schlummern. Sein leiser und gleichmäßiger Atem ist für mich beruhigend. Ich denke derweil daran, was heute alles nötig ist gemacht zu werden. Es sind noch einige Kartons auszupacken und mein Arbeitszimmer ist auch noch nicht fertig eingeräumt. Gestern Abend sind wir nicht mehr dazu gekommen. Es war sehr spät geworden und wir waren einfach nur zu müde. Also sind wir ins Bett gegangen und sofort eingeschlafen. Leider habe ich nichts geträumt und bin etwas enttäuscht darüber. Immerhin soll das in Erfüllung gehen, wenn man die erste Nacht in einem neuen Heim schläft. Aber was würde es ändern? Ich bin überglücklich, dieses Haus endlich mein Eigen nennen zu dürfen.

    „Hast du gut geschlafen?", fragt Manuel, der seine Augen noch nicht richtig auf bekommt, dreht sich zu mir und legt seinen Arm auf meinen Bauch. Ein wunderschönes Gefühl von Vertrautheit macht sich in mir breit, die Wärme seiner Haut auf meiner zu spüren.

    „Ja, wie ein Murmeltier", lächele ich ihn an.

    „Hast du was geträumt?"

    „Nein, leider nicht", sage ich mit einem traurigen Unterton.

    „Vielleicht ist es auch besser so." Manuel zieht seinen Arm zurück, setzt sich etwas auf und sieht mich von der Seite an.

    „Es könnte doch sein, dass das hier alles aufhört", meine ich leise, obwohl ich sofort merke, wie falsch die Worte klingen.

    „Du hast von diesem Haus ständig geträumt und nun ist es unser. Ich denke, es ist ein Puzzlestück in deinem Leben." Manuel sagt es sehr nachdenklich und ich kann ihn innerlich nur zustimmen.

    „Was sollte das Haus zu meiner Veranlagung beitragen?", frage ich immer noch so leise, dass man vermuten könnte, ich will nicht, dass es jemand hört, obwohl wir allein sind. Ich denke es zumindest.

    „Das kann ich dir nicht sagen. Ich bin fast davon überzeugt, dass deine Visionen und Träume zusammenhängen." Manuel wird nun auch merklich leiser. Aber warum, vermag keiner von uns beiden zu sagen.

    Er beugt sich zu mir herunter, haucht einen Kuss auf meine Stirn und steht auf. Er dreht sich noch einmal zu mir um, bevor er das Zimmer verlässt und sein Blick sagt mir, dass er genau weiß, dass es nicht vorbei ist.

    Ich lasse meinen Kopf in das Kissen fallen und mit geschlossenen Augen haben die Gedanken, wie auf Abruf, freien Lauf.

    Ich habe eine Gabe, wenn man das so nennen kann, mit der ich schon seit meinem zehnten Lebensjahr versuche zu leben. Es sind Visionen von bevorstehenden Unfällen und bis heute ist niemand in der Lage mir zu sagen, warum gerade ich diese Bestimmung habe.

    Sie kommen am Tag sowie in der Nacht, aber ich bin dabei immer munter. Also Träume sind es wirklich nicht und sie sind so real, als wäre ich stets mitten drin und würde sie direkt mit erleben. Es begann wie gesagt, als ich zehn Jahre alt war. Sie kamen in der Schule und der Freizeit und ich hatte nie irgendeine Vorwarnung. Sie überfielen mich und ich war immer für mehrere Sekunden abwesend und nicht ansprechbar. Es beginnt mit einem Dröhnen im Kopf, dann kommen unbeschreibliche Kopfschmerzen dazu, danach erscheinen Lichtblitze vor meinen Augen und zum Schluss sah oder sehe ich Unfälle und Verletzte, auch tote Menschen waren schon dabei. Am Anfang verstand ich überhaupt nicht damit umzugehen. Ich war jedes Mal vollkommen durcheinander. Erst mit der Zeit begann ich zu begreifen und realisierte, was da mit mir passiert.

    Irgendwann kam ich einmal aus der Schule und da lag eine Zeitung bei uns zu Hause auf dem Tisch. Mir stockte der Atem, denn ich sah genau das, was ich am Tag vorher als Vision gesehen habe. Die Bilder schockierten mich fast noch mehr als das dazu Geschriebene. Ab diesem Moment stöberte ich jedes Mal nach einer Vision in Zeitungen, versuchte im Fernseher etwas zu erfahren und belauschte die Gespräche meiner Eltern. Wie sie ja mal so sind, halten sie solche schrecklichen Nachrichten möglichst von ihren Kindern fern.

    Mit der Zeit machte es mir immer mehr Angst und ich sprach mit meiner Mutter darüber. Ich nahm allen Mut zusammen und habe mich ihr anvertraut, stieß aber nicht gerade auf Verständnis. Im Gegenteil, sie organisierte sofort eine Therapeutin. Diese unternahm alle möglichen Tests mit mir und am Ende hatte auch sie keine Erklärungen für die Vorfälle, wie sie die Visionen nannte. Es wurde sogar eine Computertomographie von meinem Kopf gemacht, um einen Tumor auszuschließen. Letztendlich wusste kein einziger von den Experten, was in meinem Kopf abgeht. Organisch war aber zum Glück alles in Ordnung, was mir jedoch nicht weiter half.

    Von da an sprach ich mit niemandem mehr darüber, sondern verschloss mich und zog mich immer mehr in meine unnatürliche Welt zurück. Ich versuchte, für die Bilder einer Vision, nicht sofort nach Beweisen zu suchen, dass ich richtig lag, aber es gelang mir kaum bis nie. Meine Schuldgefühle stiegen fast ins Unermessliche, weil ich den Betroffenen nicht geholfen habe.

    In der Schule war ich indessen schon längst ohne Freunde. Sie dachten, ich wäre verrückt. Ich habe kaum noch etwas mit meinen Schulkameradinnen unternommen, weil ich immer damit rechnen musste, dass ich durch eine Vision kurz wegtreten würde. Die anderen nannten es Anfälle und hatten am Ende mehr Angst davor als ich selbst. Sie verstanden es nicht, damit umzugehen und mir zu helfen, war ja ihrerseits kaum möglich.

    Ich habe gelitten und an meinem Leben gezweifelt. Warum wurde mir so eine Last auferlegt? Ich wollte ein ganz normales Kind sein wie alle anderen, aber so wurde ich ungewollt zum Außenseiter. Zum Einzelgänger. Ein bemitleidenswertes Mädchen. Ein Kind was ständig neben sich stand und krank zu scheinen schien. Was natürlich nicht so war, aber das konnte keiner wissen und meine Eltern wollten auch nichts anderes glauben oder akzeptieren. Therapien, ja das war das Ziel. Nur ich allein wusste, dass sie nie helfen würden.

    Meine Mutter drang darauf, dass ich ständig Medikamente einnehme, die die Therapeutin mir trotz keiner genauen Diagnose verschrieben hat.

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