Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Barberyn: Der Duft des Ayurveda
Barberyn: Der Duft des Ayurveda
Barberyn: Der Duft des Ayurveda
eBook335 Seiten5 Stunden

Barberyn: Der Duft des Ayurveda

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Carine bricht nach einem schockierenden Erlebnis spontan nach Sri Lanka auf, ungeplant und ihrer Intuition folgend landet sie im Land des Tees und der Elefanten. Dort begegnet sie nicht nur den Schatten ihrer Vergangenheit, sondern findet am Ende auch ihre große Liebe. Sie erlebt eine wunderschöne Reise voller Abenteuer durch traumhafte Landschaften in der zum Teil noch unberührten Schönheit der singhalesischen Wildnis. Allerdings hat sie mit noch viel mehr zu kämpfen. Was sie erlebt und empfindet und wie sie damit umgeht beschreibt die Autorin mit viel Gespür und verbindet Kultur mit universellem Bewusstsein.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum18. Feb. 2018
ISBN9783742749987
Barberyn: Der Duft des Ayurveda

Ähnlich wie Barberyn

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Barberyn

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Barberyn - Kaja Drenhaus

    Prolog

    Die Strahlen fielen schräg durchs Fenster und brachen sich auf der Fensterbank. Der Vollmond schickte sein Licht über das Meer und ließ es glitzern. Unablässig brachen sich die Wellen an der Küste, ein nicht gleichmäßiger Ton der Brandung, es hatte was Kraftvolles und doch auch Beruhigendes. Carine saß auf dem Bett ihres Hotelzimmers und blickte aus dem Fenster dem Mond ins Gesicht, als wollte er ihr etwas sagen. Was machte sie eigentlich hier? Was war bloß in sie gefahren? War sie noch von allen guten Geistern verlassen? Ihr Kopf schwirrte, an Schlaf war nicht zu denken. Sicher tat die Zeitverschiebung das Ihrige dazu, aber das war nicht der eigentliche Grund, das wusste sie. Der Mond schien so hell und klar, als wüsste er immer, was richtig ist. Tat sie das richtige? Was ist überhaupt richtig? Wer beurteilt das? Liegt es nicht auch hier im Ermessen des Betrachters? Sie würde darüber nachdenken, nicht alles auf einmal, Stück für Stück, denn schließlich war morgen auch noch ein Tag. Lieber Mond, lass uns morgen weiterreden und bewahre dir deine Gedanken auf, ich höre dir zu.

    Carine saß an dem kleinen Holztisch auf der Terrasse ihres Bungalows. Ihr Blick fiel aufs Meer und die Wellen, die sich am Riff brachen. Ab und zu entdeckte sie einen Kormoran oder Reiher auf der Suche nach Fisch, der mit der Flut über das Riff gespült wurde. Sie ließ den Blick schweifen und fragte sich erneut, was hatte sie dazu bewogen hier anzukommen? War sie angekommen? Noch immer beunruhigte sie das stetige Hämmern der Wellen in der Nacht, die Erlebnisse steckten einfach zu tief. Das Geräusch von Wasser, das sich in den Wellen bricht oder als prasselnder Regen aufs Kunststoffdach fällt. Sie liebte das Wasser, es war ihr Element und sie wusste gleichzeitig jedoch um seine Kraft und Macht. Einzelne Angler versuchten ihr Glück und zogen den einen oder anderen Trompetenfisch an Land. Keine wirkliche Ausbeute, um damit vielleicht sogar eine Familie zu ernähren, dachte sie sich. Aber vielleicht taten sie es ja auch nur zum Spaß. Nach einem kurzen tropischen Regen frischte der Wind auf und die Sonne ließ einzelne Strahlen hinter dicken Wolken erkennen. Carine liebte das Meer, den frischen Duft und das Gefühl von Salz auf der Zunge. Die frische Brise, die sich im Haar verfängt und es so schönmacht. Sie ließ ihren Gedanken freien Lauf, wie die Palmblätter, die im Wind hin- und herschwanken. Zunächst darf der Geist sich erstmal beruhigen, bevor das wirklich Wahre zum Vorschein kommt.

    Sie hatte einen schönen großen Bungalow bekommen, direkt am Meer, obwohl sie bei der Ankunft um ein Zimmer im ersten Stock gebeten hatte. Sie konnte froh sein, überhaupt noch ein Zimmer bekommen zu haben, denn das Ayurveda Resort war ausgebucht und so blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit dem Zimmer anzufreunden. Jeder andere wäre beim Anblick des Zimmers in Freudenschreie ausgebrochen, nicht aber Carine. Sie erinnerte sich noch gut an die Erlebnisse vor zehn Jahren, wie die Erde sich aufgebäumt und ihre ganze Macht preisgegeben hatte.

    26. Dezember 2004

    07.58 Uhr (ICT) irgendwo fern draußen im Indischen Ozean bäumt sich die Erde auf. Sie ächzt und krächzt und will sich bewegen, will ihre Glieder strecken, sich schütteln und geraderücken, was nicht mehr zusammenpasst. Langsam bewegt sich die Australische Erdplatte und schiebt sich weiter unter die Eurasische. Ein Ruck geht durch die Welt. 85 km vor der Nordwestküste der indonesischen Insel Sumatra atmet sie ein, um sich dann mit einer unvorstellbaren Wucht zu entladen. Mutter Erde hat keinen leichten Husten, sie hustet heftig, ihr Körper bebt mit einer Magnitude von 9,1. Sie möchte nicht husten, aber der Husten ist schlimmer geworden, sie kann nichts dagegen tun. Sie schleudert Wasser an die Oberfläche, das sich wellenförmig in alle Richtungen ausbreitet. Zunächst in Wogen, aber je mehr die Wellen sich dem Land nähern, desto größer werden sie. Sie gewinnen an Kraft und werden größer und größer. Mit einem tiefen Grollen und einer Größe von bis zu 10 Metern rasen sie mit einer zerstörerischen Geschwindigkeit von 650 Stundenkilometern auf die Küste zu und reißen alles mit sich, was sich ihnen in den Weg stellt.

    Carine saß mit ihrer Freundin Gabriella beim Frühstück und blickte über das Meer. Es versprach ein herrlicher Tag zu werden und sie war mehr als einmal dankbar, an diesen wunderschönen Ort zu sein. Auch wenn es früher noch schöner gewesen sein musste, gefiel es ihr doch sehr gut. Das Frühstück schmeckte köstlich. Ein Ananas Bananen Kokos Shake begleitet von einem Teller mit frischen Früchten, Spiegelei und Toast. Neben den ganzen exotischen Düften roch es verführerisch nach frisch gebrühtem Kaffee. Die Gastgeber hatten erzählt, dass sie den Kaffee selbst rösten. Thailand ist bekannt für seinen guten Kaffee. Trotz des Gewichts hatte Carine sich entschlossen, die große Kamera mit Teleobjektiv mitzunehmen, eine weise Entscheidung, wie sie fand. Vom Restaurant aus hatte man einen schönen Blick über den Strand. Der war noch recht leer, die meisten Urlauber waren wahrscheinlich ebenfalls beim Frühstück. Sie hing ihren Gedanken nach, schob sich genüsslich ein Stück Banane in den Mund und blickte erneut auf den Strand. Komisch, war da nicht vorhin noch mehr Wasser gewesen? Ich wusste gar nicht, dass hier in Thailand die Gezeiten so stark sichtbar sind. Dann hörte sie ein Grummeln und erblickte in der Ferne eine Welle, eine wunderschöne Welle. Sie schraubte das Objektiv auf die Kamera und hielt diese Surfwelle für alle Ewigkeit fest. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Ihre Gastgeberin schrie die Gäste an „go, go, go, Tsunami go" und wies alle wild gestikulierend an, sofort das Restaurant zu verlassen und wegzurennen. Carine bewegte sich zunächst nicht. Wie erstarrt blickte sie noch immer auf die sich nahende Welle. Dann nach einer gefühlten Ewigkeit reagierte ihr Körper und sie lief los. Seitdem schlief sie unruhig in der Nacht, es sei denn, sie war weit genug weg vom Meer, das sie ja eigentlich so liebte. Vielleicht sollte es so sein und sie hatte aus einem bestimmten Grund genau dieses Zimmer bekommen. Heißt es nicht, dass man sich der Angst stellen soll, ihr entgegenblicken, sie wahrnehmen, sich aber nicht von ihr einnehmen lassen. Sie würde lernen, dem Leben wieder zu vertrauen und den Aufenthalt im Barberyn genießen. Was sollte schon groß passieren, die Erde wird bestimmt nicht genau an derselben Stelle noch einmal beben. Sie schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Ihrem Atem folgend spürte sie, wie sie sich langsam entspannte. Es wird ein fantastischer Urlaub werden, da war sie sich sicher. Er hatte schon so schön begonnen, warum sollte es jetzt anders sein? Vor gut einer Woche war sie überstürzt aufgebrochen, hatte nur schnell das Nötigste in den Rucksack gestopft und war zum Flughafen gefahren. Sie wollte weg, einfach nur weg. Ihr wurde jetzt noch schlecht, wenn sie daran dachte, was der Grund dafür gewesen war.

    1

    Sie wollte Philipp überraschen und das Angebot feiern, das sie soeben bekommen hatte. Es war zwar noch nicht zu Hundertprozent fixiert, aber die Wahrscheinlichkeit war sehr groß, dass alles klappte. Auch wenn sie wusste, dass Philipp nicht gerne Champagner trank, kaufte sie trotzdem eine Flasche, denn sie hatte jetzt Lust auf Champagner und ein Gläschen würde ihr Freund jawohl mit ihr trinken. Seit zwei Jahren waren sie ein Paar und es lief gut zwischen ihnen. Natürlich gab es auch mal kleine Streitereien, aber nichts worüber man sich Gedanken machen müsste. Sie liebte Philipp, glaubte sie zumindest. Er hat ihr das zwar nie gesagt, aber so sind die Männer eben.

    Voller Vorfreude klemmte sie sich die Flasche unter den Arm, warf ein letztes Mal einen Blick in den Spiegel und machte sich auf den Weg. Philipp rechnete nicht mit ihr, da sie eigentlich etwas anderes vorgehabt hatte und so ist die Überraschung sicher umso größer. Bestimmt würde er sich für sie freuen, ein so tolles Jobangebot, darauf hatte sie lange gewartet. Draußen war es kalt für diese Jahreszeit, es war März und vom Frühling keine Spur. Sie klappte den Kragen ihres Mantels hoch und lief durch die von Straßenlaternen beleuchteten Straßen.

    Philipp wohnte nur ein paar Straßen weiter, in einer schönen Altbauwohnung mit Balkon. Normalerweise mochte sie keine Altbauwohnungen, sie waren meist dunkel, feucht und ohne Balkon oder Garten. Aber Philipps Wohnung gefiel ihr. Es gab sogar einen Aufzug, der direkt in seiner Wohnung endete. Trotzdem nahm Carine meist die Treppe, denn Aufzüge machten ihr Angst und außerdem konnte ein bisschen Training nicht schaden. Aber heute entschied sie sich für den Aufzug, sie wollte so schnell wie möglich zu Philipp und ihm die tolle Nachricht überbringen. Ping, vierter Stock, die Aufzugtüren öffneten sich und gaben den Weg frei in die große lichtdurchflutete Diele. Sie liebte diesen Raum, er war perfekt, um jeden Gast in der Wohnung willkommen zu heißen. Philipps Wohnung war im vierten Stock und gleichzeitig die Dachgeschoßwohnung im Haus. Um mit dem Aufzug in den vierten Stock fahren zu können, brauchte man einen Zahlencode. Hatte man den nicht, stoppte der Aufzug im dritten Stock und man war gezwungen, die letzte Etage über die Treppe zu erklimmen. Den Code hatte Philipp ihr schon am zweiten Abend, nachdem sie sich kennengelernt hatten, gegeben. Sie war überrascht, wie vertrauensvoll und offen er damit umging, immerhin kannten sie sich damals gerade mal eine Woche. Philipp war ein sehr gutaussehender Mann, einer von der Sorte, denen die Damen im Café schmachtend hinterher blickten. Umso erstaunlicher, dass er ausgerechnet mit ihr zusammen war, er hätte sicher jede Frau haben können, aber nein, er wollte sie.

    Auf dem flauschigen weißen Teppich in der Diele lagen Jeans und Socken sowie ein Gürtel. Carine schmunzelte und sammelte kopfschüttelnd die Sachen auf. Konnte es ihm wieder mal nicht schnell genug gehen. Sie schlich auf Zehenspitzen Richtung Wohnzimmer, in der Annahme ihn dort mit einem Glas Bier in der Hand vor dem Fernseher vorzufinden, aber von Philipp keine Spur. Stattdessen nahm sie Geräusche aus dem Schlafzimmer war. Ah, vielleicht holte er sich seine Lümmelhose, wie er sie immer nannte, denn er mochte es nicht, zu Hause in der engen Jeans rumzulaufen, wenn es viel bequemer ging. Langsam schlich sie zum Schlafzimmer. Vor der Tür blieb sie stehen und überlegte kurz, ob sie sich nicht lieber zu erkennen geben sollte, denn schließlich wollte sie ihn ja nicht zu Tode erschrecken, überlegte es sich aber anders. Langsam schob sie die Tür mit der linken Hand auf, denn in der rechten hatte sie noch immer die Champagnerflasche, die sie vorher aus dem Eisfach genommen hatte, damit sie auch wirklich richtig kalt und direkt trinkbar war, denn es gibt ja wohl nichts Schlimmeres als warmen Champagner. Die Tür öffnete sich erst einen Spalt breit, dann ganz und plötzlich stand sie im Zimmer. Was sie dann sah, verschlug ihr schier den Atem. Mit einem lauten Krach fiel die Champagnerflasche zu Boden und zerschellte in tausend Stücke. Carine blieb der Mund offenstehen. Der Anblick, der sich ihr bot, war entsetzlich. Philipp lag nackt mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett. Allerdings war er nicht allein, unter ihm lag ein Mann auf dessen Hintern er sich rhythmisch hin- und her bewegte. Das war zu viel für Carine. Wie angewurzelt starrte sie auf das Sexspiel der beiden Männer. Durch das Geräusch der aufprallenden Champagnerflasche wurden die Männer in ihrem Liebesspiel gestört. Philipp drehte sich um und riss die Augen auf. Auch er wusste im ersten Moment nichts zu sagen. Er sprang auf, wickelte sich ein Laken um die Hüften und wollte schon etwas sagen, als Carine mit einem lauten Schrei aus ihrer Starre erwachte und fluchtartig das Weite suchte. Philipp lief hinter ihr her, „Carine, bitte warte doch, es ist nicht, wie es aussieht, ich kann dir das erklären. Der Satz hatte ihr gerade noch gefehlt, ihr wurde schlecht, kotzübel. Sie lief so schnell wie es eben ging die Treppe hinunter und raus aus dem Haus. Draußen angekommen konnte sie nichts mehr bei sich behalten und übergab sich noch vor der Haustür. Eine Nachbarin lief mit ihrem Hund kopfschüttelnd an ihr vorbei, dass die Jugend auch immer so viel trinken muss. Mit vierzig noch als Jugendliche bezeichnet zu werden schmeichelte Carine, allerdings hatte sie für Komplimente im Moment wirklich nicht den Sinn. Ihr war schwindelig und sie wollte so schnell wie möglich weg. Nicht dass Philipp noch auf die Idee kam ihr nachzulaufen. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Nicht nur dass Philipp sie betrog, nein, dazu noch mit einem Mann. Wenn es eine Frau gewesen wäre, hätte sie sicher damit umgehen können, aber ein Mann? Dagegen war sie machtlos. Aber wieso hatte sie nichts gemerkt oder hatte Philipp seine Neigung erst kürzlich entdeckt? Sie wollte es gar nicht wissen, am liebsten nicht darüber reden und alle Bilder aus ihrem Gedächtnis verbannen. Wenn das nur so einfach wäre. Was sollte sie tun? Nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte, lief sie so schnell wie möglich nach Hause. Kaum dass sie ihre Wohnung betreten hatte, schnappte sie sich ihren Rucksack, der immer griffbereit auf ihrem Kleiderschrank bereitlag und stopfte willkürlich alle Klamotten hinein, die sie greifen konnte. Im Bad lagen ihre heiß geliebten Havaianas aus Brasilien, die durften auf keinen Fall fehlen, auch wenn sie noch nicht wusste, wo sie hinwollte. Das Reisenecessaire war immer mit dem Nötigsten bestückt und lag ebenfalls griffbereit im Regal. Aus ihrer Reisekiste schnappte sie sich noch das kleine Fernglas, man weiß ja nie, und zum Schluss noch ihren Reisepass und das wichtigste aus ihrer Handtasche, Sonnenbrille inklusive. Moskitonetz, Hängematte, Seidenschlafsack und Baseball Capy gehörten zur Grundausstattung im Rucksack. Sie tauschte ihren Mantel gegen die leichte Trekkingregenjacke und ihre Stiefel gegen leichte Turnschuhe. Immer wieder stiegen die Bilder in ihrem Kopf hoch und sie beeilte sich, denn Philipp war sicher schon auf dem Weg zu ihr und er war der letzte, den sie jetzt sehen wollte. Sie schnappte sich den Wohnungsschlüssel, zog noch den Stecker des Wasserkochers aus der Wand und schaltete die Sicherungen des Herds aus. Dann zog sie die Tür hinter sich zu, schloss ab und verließ durch die Hintertür das Haus. Vorne hörte sie schon jemanden heftig klingeln und ihren Namen rufen, „Carine bitte mach auf, ich will dir das erklären. Da gab’s nichts mehr zu erklären, Tränen strömten ihr übers Gesicht und sie merkte noch nicht einmal den Regen, der eingesetzt hatte. Wie in Trance lief sie zur U-Bahn. Am Marienplatz folgte sie wie ferngesteuert dem Weg zur S-Bahn und stieg in die S8 zum Flughafen.

    2

    Am Flughafen angekommen atmete sie erstmal tief durch. Ihre Augen waren ganz verquollen vom vielen Weinen. Sie hatte die ganze Fahrt über geweint. Dass andere Fahrgäste sie dabei anstarrten, war ihr egal. Noch immer hatte sie dieses Bild der zwei nackten Männer vor Augen und ihr wurde schon wieder schlecht. Was machte sie hier eigentlich, war sie noch bei Trost? Noch ganz wackelig auf den Beinen betrat sie das Terminal 1, hier war es wenigstens warm und trocken. Intuitiv lief sie weiter auf die Ebene vier und stand plötzlich vor dem Emirates Check-in Schalter. Sie hatte ja noch gar kein Ticket mit dem sie hätte einchecken können. Sie drehte sich um und ihr Blick fiel auf den Reservierungsschalter der selbigen Airline. Schnurstracks lief sie zum Schalter. „Wohin und wann bitte geht der nächste Emirates Flug? Die Dame am Schalter starrte sie an. „Wie bitte? „Ich möchte wissen, wohin der nächstmögliche Emirates Flug geht. „Emirates fliegt weltweit über 140 Ziele an, Miss, woher soll ich denn wissen, wohin der nächste Flug geht? „Sie müssen doch gucken können, zu welchem Ziel die nächste Maschine vom Flughafen München abhebt. Die Frau am Schalter traute ihren Ohren nicht, war das Mädel verrückt. „Warten Sie bitte einen Moment, ich bin gleich wieder da. Carine verstand nicht, was daran so schwierig sein sollte. Sie hatte doch eine ganz normale Frage gestellt. Kurze Zeit später kam die Dame wieder, einen Kollegen im Schlepptau. Dieser wand sich freundlich an Carine und sagte: „Was bitte kann ich für Sie tun, Miss? Carine wiederholte ihre Frage: „Ich möchte gerne wissen, welches Flugziel die Maschine der Fluggesellschaft Emirates ansteuert, die als nächste diesen Flughafen verlässt. Ungläubig blickte der Mann Carine an, so eine Frage war ihm noch nie untergekommen und er arbeitete immerhin schon fünf Jahre hier. Er setzte sich vor den Computer und tippte etwas ein. „Die nächste Emirates Maschine hebt in einer Stunde, also um genau 21:40 Uhr, ab. „Und wohin? „Miss, bitte entschuldigen Sie, aber nach Dubai natürlich. Alle Ziele dieser Airline werden über Dubai angeflogen. Carine lief rot an, natürlich, wie hatte sie nur so doof sein können? „Dann möchte ich bitte ein Ticket für diese Maschine. Der Herr am Schalter sagte: „Da haben Sie aber Glück, es ist genau noch ein Platz frei, die Maschine ist sonst restlos ausgebucht. Es dauerte nicht lange und sie hatte ihr Ticket in der Hand. Es war gar nicht mal so teuer, wie sie angenommen hatte, 560,- € mit Steuern. Sie bedankte sich und stellte sich in die Schlange für den Economy Check-in. Plötzlich hörte sie die Frau am Business Schalter rufen, „gibt es hier noch Alleinreisende? „Hier ich rief Carine und winkte mit ihrem Ticket. Die Frau deutete ihr an, zu ihr zu kommen. „Sie haben Glück, sagte sie, „die Maschine ist in der Economy überbucht und so kann ich Sie in die Business Class upgraden. Sind Sie schon mal Business Class geflogen? Carine traute ihren Ohren nicht, war das ein Scherz? Davon träumte sie schon so lange. Sie schüttelte den Kopf. Die Frau am Schalter freute sich für sie. „Haben Sie nur ein Gepäckstück? Wieder nickte Carine, sie war unfähig etwas zu sagen. Ihr Rucksack wog dreizehn Kilo, na wenn das mal kein freundliches Reisegepäck war. Noch immer leicht benommen schlenderte sie zum Security Check und war Minuten später bereits im Innenbereich auf dem Weg zu ihrem Gate.

    Das Boarden hatte bereits begonnen und eher Carine es sich versah, stand sie auch schon in der Business Class der Boeing. Sie verstaute ihr Handgepäck im Gepäckfach und ließ sich in den breiten Sitz fallen. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. Sie schloss für einen Moment die Augen und gab sich ganz dem Gefühl hin. Saß sie tatsächlich in der Business Class einer Boeing auf dem Flug nach Dubai? Vor ein paar Stunden war sie noch himmelhochjauchzend mit einer Champagnerflasche unter dem Arm auf dem Weg zu Philipp gewesen. Nachdem alle Gäste geboarded hatten und die Maschine wirklich bis auf den letzten Platz besetzt war, begann der Film mit den Sicherheitsinstruktionen und das Flugzeug bewegte sich langsam auf die Startbahn. Wenige Minuten später waren sie in der Luft. Für Carine immer noch unglaublich, die Vorstellung, dass sich ein Flugzeug dieser Größe bei einer Geschwindigkeit von 300 Stundenkilometern so einfach in die Luft hebt. Die Lichter der Stadt unter ihr wurden immer kleiner und schon bald hatten sie die Flughöhe erreicht. Der Captain begrüßte die Passagiere und informierte die Gäste über einige Eckdaten wie Flugzeit, Ankunftszeit und Streckenverlauf.

    Carine atmete noch einmal tief durch und konnte es immer noch nicht fassen, dass sie tatsächlich in diesem Flugzeug saß. Sie war ganz in Gedanken als die Stewardess sie plötzlich fragte, was sie denn trinken möchte. Erst jetzt bemerkte Carine, dass sie schon lange nichts mehr getrunken, geschweige denn gegessen hatte. Sie bestellte sich nicht den obligatorischen Tomatensaft, der scheinbar nur in Flugzeugen getrunken wurde, sondern einen Gin-Tonic. Den hatte sie sich wirklich verdient. Er schmeckte köstlich. Langsam begann sie, sich zu entspannen. Der Gin tat ihr gut und sie orderte direkt noch einen. Wenn sie so weitermachte, würde sie gleich betrunken sein bei ihrem leeren Magen. Aber dem Duft nach zu urteilen würde es bald Essen geben. Normalerweise vermied sie es, so spät noch was zu essen, aber dies hier war schließlich eine Ausnahme und sie konnte das Essen weiß Gott gut vertragen. Obwohl sie nicht behaupten konnte, großen Hunger zu verspüren, genoss sie das leckere Abendessen in vollen Zügen. Den nach dem Essen angebotenen Kaffee lehnte sie allerdings dankend ab. Stattdessen fuhr sie ihre Rückenlehne zurück, während das Fußteil gleichzeitig nach oben ging, deckte sich zu, streckte sich aus und schlief innerhalb von Sekunden ein.

    Erst der verführerische Duft nach frisch gebrühtem Kaffee und aufgebackenen Croissants weckte sie. Sie reckte und streckte sich und war überrascht, wie gut sie geschlafen hatte. Sie stellte ihren Sitz wieder gerade, legte die Decke zusammen und schlug den Weg zur Toilette ein. Im Flugzeug war wirklich an alles gedacht, sogar für Zahnbürsten war gesorgt. Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, bürstete sich mit einer der angebotenen Zahnbürsten die Zähne und probierte das Flugzeug Eau de Toilette aus, es roch gar nicht schlecht und gab einem zumindest annähernd das Gefühl von Erfrischtsein. Zurück auf ihrem Platz freute sie sich schon auf das Frühstück. „Möchten Sie Tee oder Kaffee, Miss? „Kaffee bitte, danke. Für einen Flugzeugkaffee schmeckte er erstaunlich gut. Carine lehnte sich zurück, lauschte dem gleichmäßigen Brummen des Triebwerks und blickte aus dem Fenster. Was sollte sie eigentlich machen, wenn sie gleich landete? In Dubai bleiben wollte sie nicht, aber wohin sollte sie gehen? Sie überlegte kurz und entschied sich für die gleiche Vorgehensweise, die sie auch schon in München angewandt hatte. Hatte doch gut geklappt, warum sollte es nicht noch mal funktionieren? Sie griff in die Tasche ihres Sitzes und zog eines der Emirates Magazine hervor. Irgendwo war bestimmt eine Seite mit allen Destinationen, ah hier, wusste sie’s doch. Oh Mann, das waren aber viele Flugziele, vor lauter weißen Linien konnte man ja kaum noch was erkennen. Sie schlug das Heft wieder zu und dachte, ich lasse es einfach drauf ankommen, wird schon passen. „Könnte ich bitte noch einen Kaffee bekommen? Danke. Auch das Croissant schmeckte besser, als es aussah. Carine liebte die französische Variante und stippte das Hörnchen in ihren Kaffee. Ihr fiel auf, dass sie die letzten Minuten gar nicht an Philipp gedacht hatte. Aber kaum hatte sie den Gedanken zu Ende geführt, kamen die Bilder der zwei nackten Männer wieder hoch. Sie fröstelte. Was tat sie eigentlich hier? Sie muss verrückt gewesen sein, einfach so wegzurennen. Aber was soll’s, sie hatte intuitiv gehandelt und glaubte eh, dass alles seinen bestimmten Sinn hat, auch wenn wir ihn jetzt noch nicht erkennen. Ihre liebe Hausärztin hatte ihr im Zuge einer Homöopathischen Behandlung mal einen Spruch mitgegeben: „Der Verstand ist nicht alles, was den Menschen ausmacht! Vertrauen zum Leben entwickeln, nicht alles planen wollen. Delegieren lernen. Man muss nicht alles steuern. Dinge geschehen auch so - und sie alle haben ihren Sinn. Und genau das tat sie jetzt auch. Sie wollte versuchen, einfach mal dem Prozess des Lebens zu vertrauen. Sich führen lassen und voller Achtsamkeit die Dinge wahrnehmen, die ihr begegnen. Sie schloss erneut für einen Moment die Augen und folgte gedanklich ihrem Atem. Ich vertraue dem Prozess des Lebens, alles ist gut, nur Gutes widerfährt mir, für mich ist immer gesorgt, ich bin in Sicherheit. Danke. Sie war ein großer Fan von Louise L. Hay und versuchte, so oft wie möglich ihre positiven Affirmationen anzuwenden. „Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir befinden uns im Landeanflug auf Dubai. Ich bitte Sie, sich wieder anzuschnallen, alle elektronischen Geräte auszuschalten und ihren Sitz wieder in die senkrechte Position zu stellen. Dubai empfängt uns mit wunderbarem Wetter, es sind 25°C und es ist sonnig bei einem leichten Wind. Wir bedanken uns bei Ihnen, dass Sie mit Emirates geflogen sind und würden uns freuen, Sie wieder einmal an Board begrüßen zu dürfen. Bitte bleiben Sie angeschnallt sitzen, bis die Anschnallzeichen erloschen sind und das Flugzeug seine Parkposition erreicht hat."

    Carine blickte sich um, es ist doch immer wieder erstaunlich, wie abhängig die Menschen von ihren elektronischen Geräten sind. Was würden die bloß alle ohne ihr Handy machen? Auch sie besaß ein Handy, allerdings ein ganz altes Modell, das noch nicht einmal eine Worterkennung beim smsn hatte. Aber dafür konnte es Fotos machen und hatte laut Liste die geringste Strahlung überhaupt. Das war Carine am wichtigsten gewesen, sie hatte das Handy damals über ebay gebraucht ersteigert und freute sich, dass es ein Klapphandy war, denn so eines wollte sie schon immer haben. Langsam verloren sie an Flughöhe und die Boeing setzte zur Landung an. Unter ihr wurde ein Meer von Wolkenkratzern sichtbar, was für eine verrückte Retortenstadt, denn anders konnte man es fast nicht mehr bezeichnen. Das Fahrwerk wurde ausgefahren und die Maschine setzte sanft auf der Landebahn auf. Sie erinnerte sich noch gut an den Horrorflug von Guatemala nach Mexico City. Der Blitz hatte ins Flugzeug eingeschlagen und um sie herum nur grün schwarze Wolken, egal aus welchem Fenster man schaute. Der Pilot hatte sich eine Wolke ausgesucht und war hindurchgeflogen. Die Maschine hatte gerappelt und geklappert als würde sie gleich auseinanderfallen. Aber alles war gutgegangen und sie meinte sich zu erinnern, dass die Passagiere nach erfolgreicher Landung sogar geklatscht hatten. Nie wieder Mexicana Airlines, hatte sie sich damals geschworen.

    Kaum war das Flugzeug gelandet, sprangen schon die ersten Passagiere auf und öffneten das Gepäckfach. Carine schüttelte den Kopf, ist doch immer wieder dasselbe, können die Menschen eigentlich nicht zuhören? Und vor allem, was soll das bringen? Raus können wir sowieso noch nicht, wieso also im Gang stehen und rumdrängeln? Sie lehnte sich lieber entspannt zurück und beobachtete das verrückte Treiben. Sie hatte ja keine Eile, wusste sie doch eh nicht, wohin es weitergeht. Die Türen öffneten sich und die ersten Gäste strömten hinaus. Draußen wurden sie von einem warmen Wind begrüßt. Auch im Flughafengebäude konnte man trotz der Klimaanlage erahnen, dass man sich in einem Wüstenstaat befand. Carine stopfte ihre Jacke ins Handgepäck und marschierte los auf der Suche nach dem nächsten Emirates Ticketschalter. Sowas blödes, sie hätte in München besser direkt einen Weiterflug irgendwohin gebucht, dann wäre sie durchgecheckt worden und müsste jetzt nicht ihr Gepäck einsammeln, um es dann anschließend direkt wieder aufzugeben. Wahrscheinlich hätte sie dann auch in der Business Class weiterfliegen können und das Ticket wäre um einiges günstiger gewesen. Was war sie doch für ein Idiot. Na ja, nützt ja nichts, glücklich ist, wer

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1