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Soladum - Suche des Sonnenpatrons: Roman
Soladum - Suche des Sonnenpatrons: Roman
Soladum - Suche des Sonnenpatrons: Roman
eBook368 Seiten5 Stunden

Soladum - Suche des Sonnenpatrons: Roman

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Über dieses E-Book

Thomas Ortwig steht vor dem Abiturabschluss. Kurz davor verübt er ein schweres Verbrechen. Bei seiner anschließenden Verhaftung verhilft ihm ein Schamane in die Anderswelt 'Soladum' zur Flucht.
Dort soll er das verödete Land nach dem Sonnenpatron durchsuchen. Allein dieser mächtige Schamane kann die herrschenden Unterdrücker des Landes vertreiben und es in die alte Pracht zurückverwandeln.
Thomas versucht sich der Bestimmung zu widersetzen. Aber er kann nicht zurück, da auch seine Freundin nach Soladum entführt wurde und in größter Gefahr schwebt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum3. Jan. 2022
ISBN9783754937150
Soladum - Suche des Sonnenpatrons: Roman

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    Buchvorschau

    Soladum - Suche des Sonnenpatrons - Danny Fränkel

    Danny Fränkel

    Soladum

    Die Suche des Sonnenpatrons

    Zum Autor

    Danny Fränkel liest und schreibt seit seiner frühesten Jugend leidenschaftlich gerne Fantasy- und Alltags-Geschichten. Nach einer mehr als zweijährig währenden Wanderung durch Europa, auf der nur der Rucksack und einige Recherchenbücher seine ständigen Begleiter waren, legt Danny Fränkel hiermit sein Zweites Werk vor, dessen letzte Redigierung nach einer Odysee als Selbstversorgerbauer im Balkan Osteuropas erfolgte.

    Heute ist er leidenschaftlicher Landschaftpfleger in Oberfranken.

    Soladum

    Die Suche des Sonnenpatron

    Eigenverlag Danny Fränkel

    Genehmigte E-Book-Ausgabe No. 1

    Alle Rechte vorbehalten bei Danny Fränkel

    1. Auflage 2020

    E-Mail: danny-fraenkel@web.de

    Widmung

    Für mich

    Soladum – Die Suche des Sonnenpatrons

    Prolog:

    Er verwandelte sich. Seine Lunge füllte sich mit der umgebenden Kälte. Er blieb ruhig, doch seine Gedanken rasten! Er begann zu schweben. Sein Gesicht verschmolz mit der Krähenmaske, die sich wie Lava gegen die Haut brannte. Er wollte schreien.

    Plötzlich spürte er einen kräftigen Ruck, als sause er mit einer Achterbahn hinab. Magensaft benetzte seine Zunge.

    Thomas atmete tief durch bevor er seine Krähenaugen öffnete.

    Er erschrak. Nicht weil ihn das welke Grasland vor sich und der schwefelige Gestank irritierten, sondern die schiere Weite aus Bächen und Wegen unüberwindbar schien. In einem Gebiet so groß wie Deutschland, fand er die Hilfsgeister nie!

    Wütend spreizte er seine Krähenschwingen, sah zum sonnigen Himmel und hob ab. Er schrie, statt des Vogelgesangs zu lauschen. So überschlug er sich, prallte in einen Baumwipfel und brach sich einen Flügel. Während der überschattenden Ohnmacht hörte er den Bach unter sich plätschern, fiel in die kalte Strömung und ertrank.

    Thomas erwachte aus der Trance. All seine Glieder schmerzten. Nach Luft schnappend riss er sich mit der Linken die hölzerne Krähenmaske ab und warf sie davon. Während sie in der Dunkelheit der Höhle schepperte, biss er sich auf die Lippen: Sein rechter Arm lag an der Taille und rührte sich nicht – außer unter höllischen Schmerzen. Er muss ihn sich in der Unterwelt gebrochen haben.

    Bevor er vorwerfend knurren konnte, schrie jemand. „Du Narr! Das Echo hämmerte unbarmherzig in seine Ohren. „Wie willst du deine Schutzgeister finden, wenn du dich selbst verstümmelst?!

    Derart zornig hat Thomas den Alten noch nie erlebt. Er begann zu zittern, als es auf dem Pfad im Höhlensee raschelte, der zu seinem Liegestein führte.

    „Denkst du, die Götter machen es dir einfach?, rief der alte Mann, der in völliger Finsternis auf ihn zumarschierte. „Da bin selbst ich besser als du, trotz meiner dreihundert Jahre!

    Thomas begann zu keuchen.

    Die Schritte wurden lauter, bis sie plötzlich verstummten. Thomas konnte den heißen Atem des Alten spüren. Plötzlich umfassten zwei Hände seine Achseln und hievten ihn hoch.

    Er unterdrückte einen Schrei, als die kräftigen Arme abließen und er vor Schmerz in das schwarze Nass zu fallen drohte. Der Alte erhob stattdessen die Stimme: „Wärst du mit deinem Schädel gegen den Baum geprallt, hätte sich deine Freiseele gelöst. Weißt du, was das heißt?"

    Thomas schwieg und trat einen Schritt zurück.

    „Dein Krähenkadaver wäre jetzt Frischfleisch für die Dämonen!"

    Obwohl der Konflikt einseitiger nicht sein konnte, knirschte Thomas die Kiefer. „Lass’ mich in Frieden", und trat am Mentor vorbei, verfehlte beinahe den Pfad und stürmte blindlings aus der Höhle.

    Trotz der Bewölkung, die ihn begrüßte, blendete ihn das Licht. Er hatte sogar mit dem Gleichgewicht zu kämpfen. Sein Arm hing schlaff hinab. Er verlangsamte seinen Schritt und betrachtete die wirbelnden Sanddünen um ihn herum. Hitze – wie in der Kalahari – trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er stampfte weiter über aufgerissenen Sandboden. Alles wirkte tot und ohne Leben.

    Endlich erreichte er sein Zelt. Es bestand ganz aus zottig-braunem Lamafell. Als er die Plane aufschlug, atmete er tief ein. Rechts neben einem aufrecht stehenden Breitschwert, das am Innenzelt lehnte, verteilten sich zwei schmucklose, okerfarbene Holztruhen. In denen befanden sich Kleidung und Fachbücher. Fachbücher über die Zauberkunst dieses Reiches.

    Vor den Truhen lag ein zwei Meter langer Teppich mit blau, schwarz und orange gestickten Reliefs. Hierauf schlief, saß und studierte er die Bücher des Mentors.

    Rasch stülpte er sich die dreckige Kutte ab und setzte sich halbnackt auf den Teppich. Als er die Beine kreuzte und die Augen schloss, strömte wohltuende Wärme vom Boden auf. Thomas versank in tiefer Meditation.

    Zog nicht plötzlich jemand die Zeltplane zur Seite? Thomas wagte nicht die Augen zu öffnen, als die Stimme des Mentors erklang: „Es tut mir Leid. Ich darf wirklich nicht zu viel von dir verlangen. Selbst ich habe zehn Jahre gebraucht, bis ich den ersten Grad der Erleuchtung errang. Dennoch bleiben ‚dir’ nur wenige Monate – wenn überhaupt."

    Thomas schnaufte ohne aufzusehen. „Eure Anforderungen sind verrückter als die in meiner Welt."

    „Ich weiß, dass dir dein Reich am Herzen liegt. Aber wenn du zurückkehrst, sperren sie dich ein."

    „Wessen Schuld ist das wohl?"

    Die Stimme des Alten dämpfte sich: „Es war deine Entscheidung. Und du hast die Macht ausgekostet, egoistisch wie du bist!"

    Thomas wollte erwidern, schnitt ihm nicht der Mentor das Wort ab: „Wenn ich könnte, würde ich mein Land selbst retten. Doch die Tyrannen sind zu schnell und gewitzt für mich."

    Thomas wollte nichts mehr hören und versank in seinen Erinnerungen. Wäre dieser alte Mann nicht in sein Leben getreten, hätte er eine bessere Zukunft angestrebt, wäre sein eigener Herr geblieben und mit Achtung behandelt worden. Vor allem dachte er an ein Mädchen, das er seit Kleinauf kannte und dessen Herz er zurückerobern wollte.

    Er öffnete seinen verklebten Mund und flüsterte tief und innig: „Christine." Ein Engel mit wachen Augen und blondem Haar, das wie das Fell einer Gazelle im Sonnenschein schimmerte.

    Kapitel 1

    Alte und neue Wunden

    „Thomas, fang!", rief Sasha ihm zu. Er sah zu spät, wie der Basketball auf seine verträumten Augen zuflog. Sein Nasenbein knackte, worauf der Ball achtlos auf den Boden hüpfte.

    Er blickte seinen Freund Sasha verwirrt an. Der Sportlehrer pfiff dagegen in die Halle: „Vier zu Drei für die Mädchenmannschaft. Fünf Minuten Pause!"

    Thomas war leider nicht in der Mädchenmannschaft. Sie haben fast verloren. Als wäre das das Ende des Welt stürmte Sebastian Schulz – der Klassenheld und Neonazi der 12b – auf Thomas zu. „Hast wohl wieder geträumt, Ortwig? Er packte Thomas am durchnässten T-Shirt, zog ihn hoch sodass sich ihre Blicke kreuzten. „Wenn wir wegen dir verlieren, schlage ich solang auf dich ein, bis du Hundefutter bist!

    Thomas’ Wut loderte auf. Doch blieben seine Lippen geschlossen. Er betrachtete den schwarzen Seitenscheitel, der noch perfekt auf dem neonazistischen Kopf saß.

    Zu Schulz gesellten sich zwei halbstarke Glatzköpfe, die ihn anfeuerten: „Mach’ ihn fertig."

    Schulz presste Thomas’ Hals zusammen. Er sah plötzlich kantige Punkte und hörte kaum noch Sashas Ausruf: „Hört auf damit!", und wie die Glatzköpfe ihn wegstießen.

    „Lass ihn in Ruhe, Basti, schien das Letzte, was er wahrnahm. „Es ist bloß ein Spiel.

    Thomas’ Atemwege öffneten sich wieder. Er registrierte alles um sich in solcher Intensität, dass er erstarrte: Sämtliche Schatten, Umrisse und der Glanz der an den Seiten stehenden Geräte; das Quietschen zwischen Parkett und Sohlen der herumalbernden Schleizer Gymnasiasten; der bittere Geschmack von Galle, die seine Speiseröhre hinaufschoss; und Christines Anblick in ihrem gelben und voll geschwitzten Trainings-Shirt sowie den haselnussbraunen Augen. Diese wechselten den Blick zwischen ihm und Sebastian Schulz, als könne sie sich nicht für einen der beiden entscheiden. Bis sie sich plötzlich an Schulz’ Taille schmiegte. „Er ist es nicht wert. Sie sah lächelnd auf. „Ich aber umso mehr – oder Basti?

    Thomas hörte Schulz’ Schlucken und konnte sich vorstellen, was dieser sich für heute Nacht ausmalte.

    „Nur weil ihr gewonnen habt?" Schulz’ böses Funkeln wich der Vorfreude.

    Gegen Thomas’ Kehle drückte ein Kloß. Was Frauen nicht alles für eine ansehnliche Zukunft gaben? Schulz’ Vater war eben der Chef eines renommierten Waffenhandels in Westdeutschland.

    Aber war Thomas aus dem Martyrium heraus. Er sah Sasha an und winkte ihm hektisch in Richtung Umkleide.

    Obwohl Thomas nach der Pause den Ball fing und sogar den Korb traf, verlor die Jungenmannschaft. Die Spieler vergaßen ihre Niederlage schnell als sie ausgelassen ihre Tagespläne austauschten. Allein Sebastian Schulz kochte vor Wut.

    Es war später Nachmittag, als sich die Zwölft-Klässler– umgezogen – vom Sport verabschiedeten. Schulleiter, Lehrer und Schüler waren längst daheim.

    Thomas und Sasha durchquerten gerade das Haupttor. Da aber saß Schulz mit den Glatzköpfen auf dem Bürgersteig. Sie hielten Bierflaschen in der Hand und rülpsten. Schulz grinste Thomas zu. „Was glotzt du so? Hast wohl Langeweile? Die treiben wir dir schnell aus!" Zum Glück waren diese Drei die einzigen Neonazis der Stadt, dafür umso skrupelloser.

    Alarmiert begannen die beiden schneller zu laufen. Schulz’ Konvoi setzte nach. Sie rannten nicht den Hauptweg hinunter, sondern die Nebengasse zur Bushaltestelle. Dort würden sie die fünfhundert Meter zur nächsten Haltebucht fahren und hätten die Neonazis abgehängt.

    Der Rucksack scheuerte an Thomas’ Schultern. Er hörte die Sprünge der Springerstiefel lauter werden. Sasha keuchte, während er Thomas einholte: „Der nimmt die Niederlage ernst!"

    Sie stürmten vorbei am abgerissenen Regelschulgelände, an Parkverbotsschildern, Gartenzäunen und Hecken. Da war die Hauptstraße. Sasha sprang durch eine Verkehrslücke. Vor Thomas aber rauschten dutzende Klein- und Lastwagen vorbei, deren mitgezogener Wind ihn zurücktaumeln ließ.

    Sasha rannte in den wartenden Bus und bat die Fahrerin zu warten. Die tippte auf ihr Armaturenbrett. „Wir haben einen Zeitplan, Junge", und fuhr an.

    Thomas versucht krampfhaft über die Straße zu kommen, da rissen ihn nicht kräftige Hände zurück. „Das war’s, Blindschleiche, rief Schulz, der seine Schultern fast zerdrückte. „Jetzt wirst du büßen.

    Er sah nur noch den Bus davon rauschen, während sie ihn zu dritt zurück zerrten; Richtung Schule. Was hatten sie mit ihm vor? In einen Spint sperren? Thomas wusste zu gut, dass ‚dieser’ Neonazi nicht mit solchen Spielen scherzte. Spürte es zugleich: Ein Nasenhaken und Thomas schleppte sich benommen hinterher. Er nahm bloß wahr, wie sie ihn unter eine abgesperrte Terrasse – über dem der Sportplatz lag – zerrten. In den schattigen Winkeln, die kaum sichtbar waren, warfen sie ihn hin. Er prallte gegen scharfe Metallteile. Überall lagen Berge aus Schrott und Sperrmüll, den nie jemand entfernt hat.

    Abrupt packte Schulz ihn am Kinn und quetschte daran. Er wollte sich wehren, doch versagten seine Kräfte.

    „Du hältst dich für besonders schlau – was? Schulz verpasste ihm eine Ohrfeige. „Lässt dich von Christine beschützen. Ich weiß, dass du es mit ihr treiben willst. Sie gehört mir, klar!, und schupste Thomas erneut in den scheppernden Schrotthaufen.

    Als er sein zerkratztes Gesicht erhob, stieß Schulz’ Stiefel gegen seine Brust und presste solang darauf, bis er ohnmächtig wurde.

    Trotz der Genugtuung spuckte Schulz auf sein Gesicht: „Du und Christine habt meine Ehre verletzt! Dafür wird auch sie bezahlen." Noch ein kräftiger Hieb gegen seine linke Schulter und Schulz wandte sich der leblosen Gestalt ab. Hier sollte er bleiben, bis die Ratten an ihm nagten oder er in der spätherbstlichen Nachtluft erfror.

    Doch ließ ein Nerv in Thomas’ Hirn nicht los. ‚Christine.’ Er musste ihn aufhalten, und keuchte: „Du und Ehre! Du hattest nie welche, feiges Schwein!"

    Kaum fiel er wieder ins Halbdunkel zurück, rissen ihn zwei Hände hoch. „Was? Willst du mich provozieren?!"

    Thomas lächelte nur. Da brodelte etwas in ihm, was stärker war als Wut: Ein Gefühl der Verantwortung. Er musste Christine vor einer Vergewaltigung bewahren. Wie viele Gräuelgeschichten hatte er über Schulz’ frühere Freundinnen gehört.

    Abrupt hob er Schulz das Knie in die Hoden. Er schien ihn loszulassen, stöhnte vor Schmerz, wurde kreidebleich … und stieß Thomas in die Eckwand. Sein Kreuz knackte. Schulz holte aus, schlug ihm ins Gesicht, immer und immer wieder. Er wollte nicht umfallen. Schulz schlug ihm in den Bauch, trat gegen die Knie und seine Kehle. Schließlich sank Thomas ohnmächtig zusammen.

    Schulz wollte weiter auf ihn einprügeln, zerrten ihn nicht die Glatzköpfe weg. „Es reicht, Basti. Er merkt eh nix mehr."

    „Das Schwein hat mich verstümmelt!"

    „Leg’ was Kühles drauf. Die Kleine kann doch bis morgen warten."

    So ließen sie Thomas im Schrotthaufen zurück. Keiner ahnte, was die Drei im toten Winkel der Terrasse getan haben. Nur eine wurde stutzig.

    Ein dumpfes Pochen ließ ihn erwachen. Sofort brannten die Schmerzen in Gesicht, Bauch und Knie auf. Dennoch fröstelte ihn in der Dunkelheit.

    Wie durch einen Reflex griff er nach der Decke und zog sie hoch. „Was?" Sofort riss er die Augen auf. Obwohl sie schmerzten, als hätte Säure seine Tränen ersetzt, sah sich der Achtzehnjährige um. Was er sah, erkannte er nicht als Krankenhauszimmer oder Schrottplatz wieder. Es war ein Zimmer, an dessen Wänden Grönemeyer, Stürmer und andere Poster deutschsprachiger Charaktere hingen. Auf einem kleinen Tisch am Fenster stand ein Notebook sowie verstreute Musik-CD’s. Auf der Decke, die Thomas umhüllte, waren buddhistische Mandalas eingestickt. Dieses Zimmer kam ihm bekannt vor.

    Er entsann sich, dass ihn jemand abgestützt hat und er zu kämpfen hatte, nicht tiefer in Ohnmacht zu sinken, während sie liefen.

    Bloß: Wo war er? Er versuchte sich aus dem Bett zu stemmen. Doch fiel er zurück. Wogen aus Muskelkatern jagten durch seinen Leib. Er unterdrückte einen Schrei. ‚Wer hält mich in dieser Welt gefangen?!’

    Plötzlich öffnete jemand die Tür. Eine verschwommene Gestalt trat herein. Als sie sich näherte, stockte ihm der Atem: Er lag in Christine Munzes Reich. Vor ihm stand sie, mit ihrem warmen Lächeln und den lehmbraunen Augen. Sie gebot ihm mit der Hand, liegen zu bleiben.

    Zu spät. Er spürte Schmerzen durch seinen Rücken hinabfahren, als wären einige Rippen geprellt. Sein gesamter Körper fühlte sich wie zerhackt an. Schließlich gelang es Thomas zu stottern. Seine Zunge war trocken und verklebt. „Was … ist passiert?"

    Christine antwortete mit schierer, wutverzerrter Miene: „Sebastian und seine Clique haben dich verprügelt. Ich sah sie von der Sportterrasse weggehen. Darunter habe ich dich gefunden und mitgeschleift. Wie viel wiegst du eigentlich?"

    Beide begannen zu lachen. Thomas vergaß das Martyrium. „Siebzig Kilo. Mehr ist an mir nicht dran."

    Doch legte Christine ihr Grinsen rasch ab. „Geht es dir etwas besser?"

    „Keine Ahnung. Alles ist taub. Er betrachtete kurz seine aufgeschürften Hände. „Hast du einen Spiegel?

    Sie zuckte zusammen, bis sie nickte und aus dem Schrank einen Handspiegel nahm. Um den Moment zu verkürzen, drückte sie ihn Thomas rasch in die Hand.

    Auch er sog tief Luft ein und betrachtete sein Gesicht so genau, als würde er noch stundenlang darauf starren: Sein Kopf war vom roten Haupthaar bis zum Kinn mit Schrammen und blutigen Schwellungen versehen. Der Kontrast zwischen Lila und Blau ekelte ihn. Seine starken Wangenknochen knackten wie Mühlsteine. Genauso schmerzte es auch in seinem Kopf. Er betastete einige Kratzer. Seine Haut war ein Gebilde aus Hügeln.

    Er hatte Schulz provoziert, um Christine vor Schaden zu bewahren. Auch wusste er, dass Christine danach tagelang nicht zur Schule gekommen wäre. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit.

    „Wenn ich früher gekommen wäre, unterbrach sie seine Gedanken, „hätte ich das verhindern können. Tut mir Leid.

    Thomas schüttelte barsch den Kopf: „Es ist nicht deine Schuld. Eigentlich sollte sich jeder um seinen eigenen Kram kümmern."

    Sie schien ihn nicht gehört zu haben. „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte …"

    „… wäre das Sackgesicht nie in unser Leben eingedrungen. Aber das kann man nicht. Man muss die Welt nehmen wie sie ist."

    Christine nickte nur. „Kommst du allein nach Hause oder soll ich helfen?"

    „Das schaff’ ich schon. Ich bin in wenigen Tagen wie neu."

    Als er mit Schwung aufstand, knackte sein Rücken. Ein Schmerzensschrei und er fiel zurück.

    „Wirklich nicht?"

    Er sah sie grimmig an. Ihm wurde schwummrig und er verlor das Gleichgewicht. Christine umklammerte ihn, bis er sich fing. Am liebsten hätte sie ihn noch länger umarmt.

    Da drückte Thomas sich von ihr ab und musterte sie grimmig. „Den Rest mache ich allein. Kümmere dich um dich … und pass mit Schulz auf. Er hat Andeutungen gemacht." Thomas schnappte seinen Rucksack neben dem Bett, hinkte mit den pochenden Knien zur Tür hindurch.

    Christine folgte ihm, doch war er bereits im Treppenaufgang. Sie rief über ihm über das Geländer gute Besserung zu.

    Thomas lächelte hinauf und verschwand auf dem Gehweg des Wohnblockgebietes Am Oelschweg. Durch ein Aufgangsfenster seufzte sie ihm nach. ‚Ein Danke wäre das einzige, was ich erwartet hätte.’ Sie wusste jedoch, dass mit Schulz’ Erscheinen vor fünf Jahren, Thomas’ Temperament keine Achtung mehr geschenkt wurde. Seither verbarg er seine Gefühle und Hilfsbereitschaft.

    Vorbei an einigen Einbiegungen, einem Elektrowerk und über einen Feldweg gelangte er zur Schleizer ‚Glücksmühle’ – seinem Familienhaus. Von außen ‚wirkte’ es wie ein einigermaßen hergerichteter Bauernhof mit Pferdeweide.

    Hinkend trat er durch die Tür. Der Weg war schmerzhafter, als alles, was er je erlebt hat. Nach den ersten Metern des Marsches warf er sich vor, Christines Hilfe nicht angenommen zu haben. Jetzt war es neun Uhr abends und morgen stand eine Klassenarbeit an. Er stöhnte, beugte sich vornüber und stürmte aufs Klo, um sich zu übergeben.

    Als er erleichtert auf den Flur trat, hörte Thomas laute Knallereien aus der Wohnstube. Er wollte in Deckung springen. Da merkte er, wie sein Vater ein James-Bond-Video ansah. Neben dem Sessel türmten sich Bierflaschen in die Höhe.

    „Schon zurück, Söhnchen?, rief Thomas’ Vater mit kratzender Stimme, ohne sich umzudrehen. „Sei so lieb und hol’ mir noch eine Flasche.

    Thomas roch die saure Bierfahne, ohne näher zu kommen. „Hol’ sie dir selber, Saufbold!"

    Dieser drehte sich verdutzt um und beugte sich über die Lehne. „Hast gefälligst zu tun, was ich sage, sonst …", und stürzte auf die scheppernden Bierflaschen.

    Thomas winkte nur ab und torkelte die Treppe hinauf.

    So tief war die einst so ehrbare Bauernfamilie gesunken. Statt ihr Feld zu bestellen, Kühe zu melken und Pferde als Geldeinnahme (für einen Reithof) aufzuziehen, verwahrlost alles auf dem Hof. Selbst das Gemäuer bröckelte bereits.

    Seit sein Vater vor einigen Jahren wegen eines Wutausbruches im Agrarbetrieb entlassen wurde, trank er täglich in der Kneipe, und abends daheim. Thomas’ Mutter ging ihm meist aus dem Weg. Deshalb hat sie die Stelle als Reinigungskraft angenommen. Sie arbeiteten meist nur in Spätschichten, und trat so der unerträglichen Zeit mit Thomas’ Vater aus dem Weg.

    Allein konnte er die Arbeiten auf dem Hof nicht übernehmen. Genauso fehlte ihm die Bezugsperson, mit der er einst über alles (sogar über die Pubertät) reden konnte. Seine Mutter sah er nur ab und zu, wenn er nachts zur Toilette musste und sie am Kühlschranke kauerte. Wo sollte das hinführen? Sein eigenes Leben geriet nun ebenso aus den Bahnen: Er stand kurz vor der Abiturprüfung, aber war zu unkonzentriert beim Lernen. Aussichten auf einen interessanten Beruf hat er nicht. Zum Studieren fehlt ihm Geld und Geduld.

    Während des Duschens bemerkte er weitere Druckstellen, die schlimmer schmerzten als sein Gesicht. Alle offenen Wunden brannten unter dem Wasser.

    Den Rucksack in die Ecke geworfen, setzte Thomas sich – im finsteren Zimmer – aufs Bett. Sein Kopf qualmte; der Körper schmerzte. Er stand vor einem Wutausbruch, setzte die Hände auf die zerzausten Haare und wollte sie raufen! Stattdessen atmete er tief ein ‚Eins, Zwei, Drei, Vier’, hielt die Luft an ‚Eins, Zwei, Drei, Vier’ und atmete aus ‚Eins, Zwei, Drei, Vier’ – und immer wieder. Seine Muskeln entspannten sich. Er konzentrierte sich nur auf das Zählen. Der Schmerz und alle Sorgen schoben sich weit vom Bewusstsein fort. Er fühlte sich leichter, entspannter und allein auf die Meditation bedacht.

    Keine Viertelstunde später schlief er ein.

    Kapitel 2

    Flucht

    Thomas erschrak. Allein in Unterhosen stand er auf derbem Boden. Er hat nicht gemerkt, wie er aufgestanden war. Um ihn erstreckte sich eine Ebene aus umherwirbelndem Sand. Darüber schwelte nicht die Sonne, sondern eine dunkel schattierte Wolkenbank. Sie plusterte sich auf. Es war heiß.

    Obwohl er sich umgeblickt hat, erspähte Thomas plötzlich drei wankende Palmen und einen glitzernden Teich in der Mitte. Seine Kehle wurde trocken und er stampfte zwanzig Meter zur Oase hin. Seine Füße brannten mit jedem Schritt. Ein kräftiger Windstoß drückte ihn nach hinten.

    Am Rand der sich kräuselnden Nässe ließ er sich nieder. Er wollte hinein springen und trinken, als er plötzlich sein Gesicht spiegeln sah. Er betastete die Schwellungen und blutigen Abschürfungen. Sie brannten, als züngelte das Höllenfeuer daran; und er verfluchte ihren Verursacher: Sebastian Schulz. Dieser sah das Leben als Spiel – er war der Spielmeister. Jeder hatte ihm zu huldigen. Nur Thomas widersetzte sich seit jeher, zollte ihm weder Respekt und winkte ab.

    Wie oft wünschte Thomas sich, dass Schulz sich das Genick brach.

    Plötzlich knurrte etwas vor ihm. Er blickte auf und sah zwei Kröten, die nebeneinander quakten. Dann aber sprachen sie abwechselnd zu ihm: „Du hasst ihn. „Willst du Genugtuung? „Willst du Respekt? „Willst du das Mädchen? „Willst du Schamane werden, Thomas Ortwig?"

    Genau das waren seine Sehnsüchte. Die letzte Frage ignorierte er: Bereits vor seiner Pubertät hatten sich ihm Eulen, Hirsche, einmal sogar ein verstorbener Verwandter gezeigt, die ihm ähnliche Fragen ins Ohr hauchten. Jedes Mal war er schweißgebadet aus dem Bett hoch geschreckt. Warum heute nicht?

    Er legte seinen Kopf in den Nacken und brüllte: „Ja! Das alles steht mir zu! Und ich will es!"

    Wie zur Bestätigung quakten die Kröten und sprangen ins kalte, glitzernde Nass.

    In Thomas loderte die Wut auf und er presste die Finger gegen seine Wange. Er spürte weder Schmerz, noch die Wellen, die über den Rand auf seine Füße schwappten. Dann brüllte er aus aller Inbrunst!

    Plötzlich stiegen Blasen aus dem Wasser. Er schrie weiter und schlug seine Fäuste in den Sand. Über dem Teich sammelte sich heißer Dunst, der zu brodeln begann. Hitze schlug in sein Gesicht.

    Endlich hielt er inne. Ein Anflug von Panik überrannte ihn. Heißes Wasser schwappte auf seine Füße. Vor Schmerz hätte er flüchten sollen. Doch beobachtete er weiter, wie sich die Wellen ballten, höher stiegen und immer höher. Was geschah hier?!

    Eine der Wellen verschlang die andere und peitschte auf Thomas zu. Da riss die siedende Flutwelle ihn bereits mit. Er schluckte Wasser und fürchtete zu ersticken. Statt zu kochen, wurde er eins mit dem Element. Er konnte sich frei bewegen und fühlte, wie das Wasser seinen Leib rein wusch.

    Dann zerschellte die Welle auf dem Sand.

    Keuchend schrak er hoch. Er lag auf seinem Bett. Einzelne Sonnenstrahlen wanderten über den Horizont und die letzte Wolke löste sich am Himmel auf.

    Jetzt erst bemerkte er den Wecker, der unentwegt schellte. Hektisch schlug er ihn aus und sprang auf: Sieben Uhr. In dreißig Minuten begann die Schule und in zwanzig fuhr der Bus ab!

    Während er seine Sachen überstülpte, stoppte er und trat an den Spiegel. Was er sah, verwirrte ihn: Sein Antlitz war mit Rissen und Beulen übersät. Bloß glänzte bereits wieder gesunde Haut darauf. Hat ihn der Schlaf derart geheilt?

    Egal; er musste sich beeilen!

    Nach aller Hast erreichte er den Bus. Auch Christine saß darin, betrachtete ihn kurz, sah aber wieder weg. Thomas setzte sich vor sie und bemerkte ihre Blicke, die sich auf ihn legten.

    Als Thomas in den Klassenraum marschierte, vernahm er allerhand Gequassel: „Guckt mal, was ich gestern gekauft habe." Übertriebenes Staunen auf eine Halskette folgte bei den Mädchen. Allein Christine, die sich an Thomas vorbeizwängte, interessierte das nicht.

    Oder: „Habt ihr vom Rohrbruch auf dem Neumarkt gehört? Da entsteht zurzeit ein Tümpel."

    Sein Blick fiel auf Sebastian Schulz, der mit hochgelegten Beinen am hinteren Tisch saß. Dieser flüsterte zu seinen Glatzkopf-Nachbarn: „Ortwig müsste im Krankenhaus liegen."

    Thomas setzte sich grinsend neben Sascha, der ihn beunruhigt musterte. „Die haben dich ja zugerichtet." Er begann sich zu entschuldigen, da er Thomas nicht helfen konnte. Er selbst verfiel in seine Tagträume.

    Die Geografie-Stunde begann. Der Lehrer kam grüßend herein, knallte den Koffer auf den Tisch und rief ebenso launisch: „Zettel raus. Heute nun die Arbeit über die endogenen und exogenen Vorgänge Japans."

    Kaum war die Stunde um, skizzierte Thomas mit Bleistift eine 6 auf die Unterkante seines Blattes. Der Lehrer sammelte alles ein und verschwand.

    Keine Minute später nahm Thomas einen Schluck Wasser. Es schmeckte wie das, an dem er heute Nacht fast erstickt wäre. Er schüttelte den Kopf.

    Der Albtraum folgte, als sich plötzlich Schulz neben ihn stellte. „Du müsstest aussehen, wie eine gerupfte Gans – oder hast du einen Zwillingsbruder?" Thomas nahm ungestört einen zweiten Schluck.

    Schulz aber packte seinen Arm und drückte ihn zusammen. „Das holen wir hinterm Schulhof nach. Mitkommen!"

    Er riss Thomas vom Stuhl. Der wollte sich losreißen, lähmte ihn nicht das Zerren im linken Arm. Christines Aufruf betäubte den Schmerz. „Hör auf, Basti! Du übertreibst langsam!"

    Die Wasserflasche fiel zu Boden und lief aus. Schulz war abgelenkt, und Thomas riss sich los.

    Schulz stampfte auf ihn zu: „War wohl gestern nicht genug? Heute bestelle ich dir persönlich den Sarg."

    Thomas versuchte an Schulz vorbei zu springen. Hektisch ballte er seine Fäuste und verpasste ihm einen Kinnhaken. Schulz taumelte zurück, stieß aber sein Knie in Thomas’ Magen. Er fiel zu Boden und prallte mit dem Kopf gegen eine Tischkante.

    Schulz wankte zornig auf ihn zu. Neben Thomas lief das Wasser aus der Flasche. Es plätscherte, als flute neue Kraft seine Seele. Die braunen Augen wurden von einem Orange aus Flammen übertüncht.

    Thomas kam Schulz zuvor, schwang sich auf und packte ihn am Kragen. Sein Kopf dröhnte vor Schmerz. Heute musste er dem Irrsinn ein Ende setzen. „Entschuldige dich oder ich bestelle ‚dir’ einen Sarg … Richtung Hölle."

    Schulz zischte: „Du wirst dir wünschen, gestern gestorben zu sein."

    Der Hass vermehrte sich. Er erinnerte sich an seine Wunden. Erinnerte sich, wie er im Traum geschrieen hat. Und spürte die Hitze des Wassers.

    Abrupt warf er Schulz zu Boden. „Nie wieder!!"

    Der grinste und wollte sich hoch stemmen – begann nicht plötzlich die Luft vor ihm zu flimmern. Ein eigenartiges Pochen drang durch den Raum, wie Trommelschläge. Es wurde heiß. Thomas stieß seine Faust vor. Ein Hitzeschwall packte Schulz und katapultierte ihn wie einen Kanonenschuss gegen die Tafel. Sie brach aus der Schiene und schrammte Schulz’ Schädel. Schlagartig verklang das Pochen.

    „Oh Gott", rief jemand. Keiner rührte sich.

    Christine löste sich als erste und rannte zum steifen Sebastian. Sie

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