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Böse Welt: Kurzgeschichten
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eBook171 Seiten2 Stunden

Böse Welt: Kurzgeschichten

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Über dieses E-Book

Ob es nun ein von unserer gottähnlich-weißgewandeten Heilerfront vollends ganz verhunztes Raucherbein ist – die ungeheuerlich-legale Abzocke von publikationswütigen Möchtegernautoren durch perfide Pseudoverlage – die undurchschaubaren Machenschaften unserer Politiker – die offensichtlich unaufhaltsame Rückkehr kackbraunen Gedankenguts in alle Bereiche der Gesellschaft – oder auch der viel zu frühe Tod eines bewundernswert tapferen Mädchens – das Leben hält so manches Ungemach bereit. Man muss es nicht erfinden.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum29. Juli 2013
ISBN9783847646303
Böse Welt: Kurzgeschichten

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    Buchvorschau

    Böse Welt - Charles Keller

    Das Raucherbein

    „Mann, Mann, was ist denn das jetzt wieder für eine gottverdammte Scheiße!"

    Ein stechender Schmerz hatte sich peu à peu – ohne Vorwarnung, ohne Verknacksen, Vertreten oder Verrenken – in Gregors Fuß eingenistet, knapp über dem Knöchel. Durch nichts – kein Schütteln, Massieren, Ändern der Gangart – ließ der sich wieder verscheuchen oder wenigstens lindern. Nur, wenn er stehen blieb – und das auch für mindestens vier, fünf Minuten – dann wurd’s besser.

    Lange, sogar sehr lange war er keine solch weite Strecke mehr gelaufen. Die Woche zuvor hatte er seinen alten Spritfresser, einen VW-Bulli, verkauft und wollte sich mit dem Kauf eines anderen, günstiger zu unterhaltenden Fahrzeugs Zeit lassen – zumal er gerade keinen Job hatte und demzufolge auch nicht zwingend eines brauchte.

    Ein Mal noch – einfach weil er’s wissen wollte – war er in die Stadt gelaufen, und tatsächlich – der gleiche Scheiß, derselbe Schmerz. Danach hatte er nurmehr den Bus genommen oder sich fahren lassen und nach Erhalt des nächsten Arbeitsvertrags umgehend einen hübschen kleinen Jahreswagen erstanden.

    Das seltsame Fußweh verdrängte er in der Folge ganz un-hypochondrisch und beileibe nicht ineffizient. Jedenfalls machte es sich erstmals wieder bemerkbar, wie er auf einer Straßenbaustelle – für eine läppische Unterschrift – dem Polier einige Hundert Meter hinterherlaufen musste.

    Bald ereilte es ihn bereits auf kürzeren Wegen, und – Rennen ging gar nicht mehr. Immer länger wurde zudem der Zeitraum, den der böse Haxen brauchte, um sich wieder zu erholen – bis er’s letztlich nur noch über Nacht tat.

    „So ein Mist aber auch, kommentierte Gregor den Anschlag auf der verschlossenen Türe seines Hausarztes, „immer, wenn man den Arsch mal dringend braucht, dann ....! Verdammte Kacke!

    Zum Glück lag die Praxis seiner Vertretung gerade mal so weit entfernt, dass es sich nicht lohnte, den Wagen zu nehmen, wohl aber reichte für eine frühmorgendliche Erweckung des Grunds der Konsultation.

    Äußerlich geduldig verharrte er – für die komplette, aber wenig nachhaltige Lektüre einer uralten Stern-Ausgabe – im vollbesetzten Wartezimmer, bis er endlich an der Reihe war.

    Nach einer ganzen Reihe von höchst suspekten Turnübungen, die er zu vollführen hatte, und die in einer nahezu perfekten Kerze auf dem papierbezogenen Schragen gipfelte, setzte der altgediente Mediziner eine süffisante Miene auf und referierte adäquat:

    „Tja, mein guter Mann, sie dürften’s wohl geschafft haben, .... können nun getrost aufhören mit dem Rauchen! Sie haben ihren Raucherfuß – ganz zweifellos! Schauen sie her!"

    Sichtlich stolz auf seine diagnostische Meisterleistung zeigte und erklärte er dem perplexen Patienten die unterschiedliche Färbung und Temperatur der beiden gen Plafond aufragenden Füße.

    Für den nächsten Tag schon machte er ihm einen Termin beim Radiologen – selbstverständlich nicht ohne den akademischen Hinweis, dass er den einzig seinen großartigen Beziehungen zu verdanken habe.

    Zumindest einmal fühlte sich Gregor jetzt richtig krank – und der gelbe Schein in seiner Hand hatte damit sicherlich am wenigsten zu tun.

    Der Radiologe – gut, den hatte er gar nicht zu Gesicht bekommen – aber dessen entlarvende Bildchen bestätigten denn auch die unerfreuliche, so überaus unerquicklich-pseudohumoristisch verabreichte Erstdiagnose des Feld-, Wald- und Wiesendoktors. Jedenfalls saß Gregor eine gute Woche später bereits im Wartezimmer der gefäßchirurgischen Abteilung einer Steinheimer Klinik – und freute sich, wie toll das doch alles flutsche im deutschen Gesundheitssystem – wie zackig-reibungslos und unumständlich da ein heilendes Rädchen ins andere greife.

    Aufs Allerfreundlichste, wenngleich hart an der Grenze zur Überheblichkeit, verklickerte ihm ein Doktor Irgendwie, wie die ganze Chose vonstatten gehen solle. Da der Gute eine gewisse Ähnlichkeit mit dem seligen Rudolph Mooshammer hatte, musste das wohl so sein – und Gregor ließ es ihm durchgehen. Auf dessen Frage nach dem Wie-lange kulminierte die Gelehrten-Hybris gar in der puren Schwadronade:

    „Eine zweite Unterhose brauchen sie nicht mitzubringen; am Tag drauf sind sie ja wieder zu Hause!"

    Vielleicht war es ja eine göttliche Eingebung – wer weiß – aber am ehesten noch die ganz profane Erinnerung daran, was seinem Vater (Nichtraucher übrigens!) ein paar Jahre zuvor, an gleicher Stelle, mit haargenau dem gleichen Leiden widerfahren durfte. Den wollte man nämlich auch eben wieder in die eine mitgebrachte Unterhose steigen lassen und nach Hause schicken, wie man feststellte, dass ihm diese idiotensichere Minioperation zu einer ausgewachsenen Sepsis verholfen hatte. Aber – läppische drei Wochen und nicht einmal zwanzig nachgelieferte Unterhosen später – war er ja wieder zu Hause! – Jedenfalls packte Gregor, er wollt’s ja nicht übertreiben, Klamotten für eine gute Woche in sein Köfferchen.

    „So, dann wollen wir mal!", brachte der junge, bleibeschürzte Mediziner – ein ganz anderer nun – seine morgendlich-gute Laune abermals zum Ausdruck.

    Der Zugang zu seiner Arteria irgendwasia war bereits zotenreich gelegt – wie auch immer, Gregor hatte nicht hingesehen – und die Assistentin reichte den jungfräulich seiner Verpackung entschlüpften Katheter.

    „Wenn sie wollen, können sie ja derweil fernsehen, flachste Dr. Lustig unbeirrt weiter und zeigte auf den integrierten Monitor, „.... zusehen, mein ich natürlich!

    Schon bald jedoch durchfurchten tiefe Falten das Chefarzt-Antlitz, die eben noch bestenfalls ansatzweise zu erkennen waren. Mit jeder neuen Injektion des gewisslich nicht allzu gesunden Kontrastmittels wurden es mehr.

    Gregor sah einzig, wie das auf dem Bildschirm noch dünner erscheinende Drähtchen – nach wenigen Zentimetern, lange nicht am Ziel der blutigen Reise – immer an der gleichen Stelle stoppte, wieder Anlauf nahm und wieder stoppte und .... und .... und .....

    „Bring mir einen neuen!", kam es nach einer Weile verhältnismäßig humorlos, und der Gepiekste meinte, dass es nun besser sei, sich zurückzulehnen und die Äuglein zu schließen – ganz so, wie er es auch beim Zahnarzt zu tun pflegte, wenn’s beim Bohren eilends auf den Nerv zuging.

    Lange gab’s – außer defätistisch angehauchten Interjektionen – nichts zu hören, bis er schließlich aufgefordert wurde, sich auf die Seite zu legen, und hierfür die Augen wieder aufschlug. Ein ganzes Heer von glänzenden Schweißperlen lauerte an hoher, intelligenter Stirn darauf, den bereits abgegangenen über das gesunde Naturrouge folgen zu dürfen.

    „Ich hab nämlich den Verdacht, dass da ....", orakelte der Schwitzende indes – aber Gregors Neugier hielt sich in Grenzen. Schicksalsergeben verlegte er sich wiederum auf die alleinige Benutzung der Sinne, die nicht so mir nix, dir nix abzustellen waren.

    „Dacht ich’s mir doch! .... können sich wieder umdrehn!"

    In der Folge faselte er noch etwas von einem bislang unentdeckten, nahezu kompletten Gefäßverschluss, einem sogenannten Stent, den er dort einsetzen und einem kleinen Umweg, den er danach mittels einer weiteren Punktierung zu diesem vergleichsweise mickrigen Gerinnselchen im Fuß nehmen wolle. – Gregor war’s längst Jacke wie Hose.

    Telefonisch wurde das Malheur fix übermittelt – an wen auch immer – die weitere Anlieferung von thrombotischem Gammelfleisch um den geschätzten Zeitfaktor 15 nach hinten verschoben.

    Das Knistern der dritten Katheter-Schutzhülle vernahm er noch – und irgendwann spürte er, wie der forsch an seiner Gefäßwandung entlangschrubbte – dem lästig-bösen Stöpselchen entgegen. Als äußerst hilfreich erwies sich jetzt sein immenses Talent zur fantasiegesteuerten Realitätsflucht. Im Nu entbrannte ein launig-mentaler Widerstreit von gleichermaßen wichtigen Dingen, die er – nach seinem Ableben – unbedingt als Erstes tun müsse.

    Als ob’s ihn gar nichts angehe, eher wie ein Außenstehender, ein zufällig anwesender Zuschauer, realisierte Gregor erst wieder die ultimativen Erklärungen und Verhaltensmaßregeln des sichtlich gestressten Stocherers.

    „Dann sehen wir uns morgen wieder – zur Kontrolle!"

    „Jawoll, großer Meister! Einen schönen Tag noch!"

    Die beiden riesigen Druckverbände in seiner malträtierten Mitte und die nochmalige oberschwesterlich-strikte Auflage, sich keinesfalls allzu sehr zu bewegen, waren auch unausgesprochen durchaus zureichend, an keine frühzeitige Entlassung mehr zu glauben. Nichtsdestotrotz riss er sich mächtig zusammen, rührte sich nur etwas beim Essen und Trinken, schlief auf dem Rücken liegend ein und wachte auch so am Morgen wieder auf – allerdings nicht ganz freiwillig.

    Die junge Schwester brachte ihm gleich sein Waschzeug, eine Schüssel mit lauwarmem Wasser, gemahnte ihn noch zur Eile – „Frühstück gibt’s später – danach!" – und huschte wieder hinaus.

    Schlaftrunken beließ er es bei einer halbherzig-lustlosen Katzenwäsche, schrubbte gerade einmal so lange auf seinen Schneidezähnen herum, dass er anständig nach Zahnpasta roch.

    „Fertig?"

    Aber ja doch!"

    Sein Krankenblatt legte sie ihm auf den Bauch, löste die Bremsen des Betts und abging’s mit Karacho zum Aufzug, hinab ins Untergeschoss, eine lange Gerade noch – und schon parkierte er vor der Radiologie. Sie verschwand kommentarlos hinter einer der vielen Türen.

    Keine fünf Minuten später kam die Assistentin, dieselbe wie am Vortag, durch eine andere – „..... Morgen!" – und schob ihn nicht weniger zackig in den fensterlosen Raum mit der wohlbekannten blitzblanken Hightech-Apparatur.

    Die Stimmung beim Doc war wohl gut, schien dieses Mal aber doch ein Stück weit aufgesetzt zu sein, und Gregor fragte sich, ob’s möglicherweise etwas mit ihm .....

    „Dann schwingen sie sich mal rüber!", forderte er ihn resolut auf und nickte zum Bettgalgen.

    „Ich – soll – selbst ....?", stotterte Gregor einigermaßen verwundert, aber gewaltig grinsend, dachte dabei an die gestrige, so überaus ernstlich-doppelt gemoppelte Einforderung seiner partiellen Unbewegtheit.

    „Die Kollegin hilft ihnen mit den Beinen", lächelte der Spiritus Rector nun reichlich süffisant – mehr zur attraktiven Handreicherin als zu seinem humanmedizinischen Werkstück.

    „Okay, wenn sie meinen!", verscheuchte Gregor den letzten intuitiv-penetranten Anhauch von Bedenken und ergriff mit beiden Händen die baumelnde Aufrichthilfe.

    Der angiologische Akkord-Rohrreiniger fummelte unterdessen bereits diensteifrig am einen Druckverband.

    „Au, au, au ! Ich glaub, jetzt ist aber was ...."

    „Was denn?"

    „.... geplatzt oder so!"

    Die begreiflich-überzeugende Antwort schrieb sich in Sekundenschnelle – ganz von selbst, mit dickem roten Tintenstrahl – an die blütenweiße Decke der klinisch-subterranen Räumlichkeit. Gregors Wahrnehmung wechselte unverzüglich in den schockbedingten Slowmotion-Modus – worauf die knapp handtellergroße Pfütze am Plafond eine ganze Ewigkeit brauchte, den physikalisch angedachten Weg zu nehmen und sich über die staunenden Protagonisten zu ergießen. Die letzten Tropfen landeten auf dem ärztlichen Handy und der gummibewehrten Hand, die es hielt. Die andere drückte mit brachialer Gewalt auf das zerfetzte Gefäß, verhinderte die weitere Entleerung.

    „Ich brauch schnell einen Gefäßchirurgen im OP – aber ganz schnell! – augenblicklich!", brüllte er am Ende gar.

    Gregor schmiedete derweil schon wieder in fatalistischer Ruhe Pläne für ein ergötzlich-himmlisches Nachleben.

    Alsbald erstürmte ein ganzes Geschwader von professionellen Hektikern den noch eben so friedlichen Ort der neuzeitlich-intrakorporalen Minimalinvasion.

    Ein großgewachsener Pfleger in den Dreißigern mit serienmäßig eingebautem Lächeln – wahrscheinlich der Gute-Laune-Beauftragte der Klinik – kümmerte sich umgehend und einzig um das schwerst gepeinigte Auslaufmodell – also in psychischer Hinsicht.

    „Das wollen wir doch aber alles gar nicht sehn, was die da ....!", referierte er in fast hypnotischem Tonfall und hielt ein Tuch zwischen Gregors neugierig linsende Äuglein und die notfallmedizinisch-turbulenten Machenschaften.

    Allein die gewisslich satte Monatsration an gepflegter Verzweiflung auf dem blutbefleckten

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