Fremde Landschaften
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Über dieses E-Book
Die Erzählhandlung begleitet den Hauptdarsteller durch die verschiedenen Entwicklungsphasen beginnend mit seiner Auferstehung als alter Mann auf einem nächtlichen Friedhof, gefolgt von seinem provisorischen Wohnaufenthalt beim Freund und der Zeit als Kriegstourist in einem Land, dessen Name aufgrund von Datenschutzgeheimnissen nicht verraten wird bis hin zu seiner Kindheit im Armutsviertel. Statt in die Zukunft führt dieses Buch in die Vergangenheit des Hauptprotagonisten. Die Erzählhandlung erschafft somit eine Welt außerhalb unseres herkömmlichen Zeitempfindens. Der Roman endet damit, dass Sillas im Moment der Zeugung als ungeborener Fötus beim Orgasmus seiner Eltern stirbt. Der Tod im Augenblick seiner Zeugung kennzeichnet zugleich auch die Neugeburt von Sillas. Im darauffolgenden Epilog wird als Nachwort beschrieben, wie das Leben eines frisch geborenen Säuglings in dem Moment beginnt, als Sillas im Mutterleib stirbt. Es stellt sich heraus, dass der Neugeborene das Bewusstsein des verstorbenen Sillas in sich trägt. Daraus folgt, dass der Hauptprotagonist als neugeborener Säugling in einem Paralleluniversum weiterlebt.
Alexandra Caragata
In ihren Büchern behandelt die Autorin zeitkritische Themen auf Grundlage der eigenen Lebenserfahrung und der Begegnung mit Personen aus unterschiedlichen Kulturen. Für mehr Informationen besuchen Sie den Blog der Autorin: https://acaragata.wixsite.com/blogkreative 12/2020 Gedicht: Der Schmetterling im freien Friedensflug Abdruck des eigenen Gedichtes in der klassischen Edition der FRANKFURTER BIBLIOTHEK Externe Veröffentlichungen: https://kunstkulturliteratur.com/2022/01/22/stelle-dir-vor-jeder-moment-als-gottliche-verwandlung/ https://liegener.jimdofree.com/bubenreuther-literaturwettbewerb/ https://www.youtube.com/channel/UCfIBA4vrD8uAgKWEzEfIXtg
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Buchvorschau
Fremde Landschaften - Alexandra Caragata
Fremde Landschaften
Titel Seite
Prolog
Verlassene Hirsche auf industriellem Parkplatz
Von der Polizei festgehalten
In der Fremde
Kriegstourismus
Eine zeitliche Bleibe
Unerwünscht
Seelisches Erfrieren
Rückkehr ins mütterliche Heim
Zusammenkunft der Eltern
Zeugung und Tod
Epilog
Fremde Landschaften
Von Alexandra Caragata
Prolog
Die Hände rissen sich sanft aus dem Herzen der Erde und fremde Landschaften begrüßten den Neuling wieder ins alte Heim. Um ihn herum senkte die Dunkelheit ihren tiefen Schatten. Die Gräber verneigten sich vor dem Auferstandenen und die Erde gewährte freien Lauf.
Im Tod gab es die Stille. Aber die Stille verschwand, sobald es Leben gab. Daran dachte Sillas, als sich das Gefühl seiner wühlenden Hände dem Körper bemächtigte. So verschwand die Stille, als wäre sie nie dagewesen.
Der Lärm schien betörend. Nicht unweit waren Menschen zu hören. Um späte nächtliche Uhrzeit. Unterhaltungen, Gekicher, böse, belustigte Worte. Alleine die Musik der Natur konnte ihn daraus retten. Zum ersten Mal seit undenkbarer Zeit konnte Sillas wieder den Gesang der Eule hören, ihre tiefen verschreckten Schreie als nächtliche Hymne.
Sillas spürte seine Hände, er fühlte die alten, heraustretenden Adern, er strich sich über die faltige rissige Haut, die wie Schleifpapier kratzte. Immer höher streckten sich diese alten Hände empor und gruben sich den Weg nach draußen. Ins Freie. Bis das Gesicht und der Körper frei wurden. Nun konnte Sillas seine Umgebung erkennen. Ein Friedhof. Rund um ihn nur die Trauerlandschaft der Gräber und Bäume und Bänke.
Die Erde fühlte sich sandig, körnig und bitter auf seiner Zunge an. Gierig saugte Sillas die freie Luft in sich auf, ausgehungert setzten sich seine Schritte in Bewegung. Sillas hatte nichts mehr zu verlieren – außer sich selbst. Aber: Wer war er selbst? Ein leerer Name ohne Erinnerungen. Bei diesem Gedanken betrat er die Reise ins Ungewisse. Seine Beine fühlten sich schwer an, von der Last der Zeit getragen. Die Schritte zitterten bei jedem Anlauf. Befremdlich und ungewöhnlich war das Gehen für ihn.
Sillas hatte ein zweites Leben erhalten. Eine zweite Chance. Er kam als alter Mann zur Welt und sollte als Baby beim Orgasmus seiner Eltern sterben. Diese Geschichte, Sillas Geschichte bildet zugleich das Fundament für diese Erzählung.
Mit langsamen, wackeligen Schritten machte sich Sillas auf den Weg in die Freiheit. Es war ihm klar, dass diese gewonnene Freiheit ihm Ungewissheit schenkte. Ungewissheit für den Faden der Zukunft, der sich aus der Vergangenheit nährte.
Verlassene Hirsche auf industriellem Parkplatz
Sillas verabschiedete sich vom Friedhof der verlassenen Existenzen und betrat bald ein Wäldchen. Er nahm einen langen Fußmarsch auf sich und gewann allmählich wieder das Körpergefühl über seine laufenden Beine. Sillas marschierte vorbei an den Ruinen der Vergangenheit. Geschlossene Fabriken. Verlassene Hotels. Überbleibsel aus der Geschichte einer Nation.
Aus den Ruinen dieser Vergangenheit tauchte Sillas in die Gegenwart des Industriegebiets ein. Lange marschierte er durch das unbekannte Industriegebiet, das sich in der Nähe der verlassenen Ruinen befand.
Während dieses langen Fußmarsches machte Sillas eine seltsame Entdeckung. Zwei Hirsche mitten im Industriegebiet. Ungewöhnlich-zutrauliche Wildtiere, verirrt in der menschlichen Zivilisation. Nicht unweit von der Schnellstraße.
Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen beobachtete der auferstandene Greis die verirrten Wildtiere entlang der Schnellstraße. Zwei Hirsche, ungestört vom tobenden Verkehrslärm der rasenden Autos. Sich selbst überlassen. Sillas konnte nur staunen. Die verlassenen Hirsche weideten auf dem Parkplatz eines Wäschereiunternehmens, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. Hin und wieder liefen die Wildtiere auch zwischen den geparkten Fahrzeugen herum.
Sillas fing an, sich Fragen zu stellen: Was hatten diese Wildtiere im Industriegebiet zu suchen? Normalerweise seien Hirsche menschenscheu. Reine Waldtiere. Das wusste der auferstandene Greis instinktiv aus dem früheren Leben. Deshalb lag die Vermutung nah, dass die Hirsche auf der Flucht vor Jägern seien; schließlich hatte Sillas während seines Fußmarsches zahlreiche Jägersitze in den umliegenden Wäldern gesehen.
Aus Angst vor den Jägern hatten sich die beiden Hirsche vermutlich vor ihrem natürlichen Dasein, dem Wald entfernt und waren mitten auf dem Parkplatz eines Industrieunternehmens gestrandet, denn dort mussten sie nicht um ihr Leben bangen.
Auf der Flucht vor den Menschen und schließlich unter den Menschen gestrandet. Ein unauflöslicher Widerspruch, der Mensch sein alleiniger Verursacher.
Zugleich ließen die in der Zivilisation gestrandeten Hirsche eine Vorahnung zu – die Vorahnung, dass der Platz fehlte. Für die Natur. Für das Allein-Sein. Für die Harmonie. Für die Gesundheit. Für die Privatsphäre.
Sillas betrat eine zugebaute Gesellschaft, die stets nur auf Fortschritt bedacht war. Eine modernisierte Gesellschaft, wo sich der Mensch alles nahm, was im Weg stand.
Gedankenverloren marschierte Sillas weiter. Bis ihm ein Streifenwagen entgegenkam. Der Lärm der Polizeisirene pochte in seinen Ohren. Erst dann bemerkte Sillas, dass er mitten auf der Verkehrsstraße lief.
Von der Polizei festgehalten
Es gäbe keine Zeit für Ausreden. Er sei mitten auf einer belebten Verkehrsstraße gelaufen. Ob er denn ein Zuhause habe, wollte der Polizist wissen. Sillas antwortete nicht. Es schien, als ob er die Sprache verlernt hätte. Schweigend, mit dem Kopf nach unten gerichtet, so saß er da im Verhörzimmer der Polizei. Drei Polizisten waren anwesend, zwei Männer und eine Frau.
Ob er ein Zuhause habe, so die wiederholte Frage des Polizisten. Ein stilles, schüchternes Nein, die Antwort von Sillas. Bei dieser Antwort schlug der Polizist hart auf den Tisch des Verhörzimmers. Sillas wurde nach draußen in die Sperrzone des Polizeireviers eingeladen.
In der Sperrzone präsentierte der Polizist ihm ein fremdes, unbekanntes Auto. Ob er dieses Auto kenne, so die Frage des Polizisten. Sillas schüttelte schweigsam den Kopf. Mit diesem fremden Auto sei er aber gefahren, beharrte der Polizist.
Sillas wurde verwirrt, man habe ihn doch angehalten, weil er mitten auf der belebten Verkehrsstraße lief. Ja, aber zuvor sei er mit diesem fremden Auto gefahren, dann ausgestiegen und angehalten, so die weitere Aussage des Polizisten.
An seinem unangemessenen Fahrstil hatten die Polizisten erkannt, dass etwas nicht stimmte. Zudem wurden überhaupt keine gültigen Dokumente für das Auto gefunden, scheinbar befand sich das Fahrzeug nicht im Besitz des Festgenommenen. Auch den Sicherheitsdreieck gab es in diesem Fahrzeug nicht.
Sillas wurde zunehmend verwirrter. Dieses Auto meinte er zum ersten Mal zu sehen. Damit sei er noch nie gefahren, sagte er zu den Polizisten. Er käme vom Friedhof, daraufhin sei er durch den Wald zur Schnellstraße gewandert, wo er auf Wildhirsche traf und von der Polizei festgehalten wurde. Die Polizisten sahen ihn ungläubig an, offenbar fühlten sie sich betrogen.
„Bitte lassen Sie mich gehen!", flehte Sillas die Polizisten an.
„Sie müssen für Ihre schlechten Taten geradestehen", so die Aussage des jungen Polizisten.
„Na gut, ich wusste nicht, was es für Folgen haben könnte", erwiderte Sillas.
„Dummheit bestraft das Leben", entgegnete die Polizistin, die den Fall am Computer protokollierte.
„Raus mit den Namen, wem gehört das Auto wirklich?", brüllte der Polizist im Raum.
Für Sillas wurde die Situation immer auswegloser. Er musste raus, die stickige Luft des kleinen Verhörzimmers benebelte seine Sinne. Bei diesem Gedanken fiel ihm auch eine passende Ausrede ein.
„Ich habe starke Halsschmerzen und muss dringend raus", klagte Sillas.
„So schnell kommen Sie hier nicht weg", schrie der Polizist.
„Ich sterbe vor Halsschmerzen!", rief Sillas und fasste sich am Hals.
„Dann haben wir keine andere Wahl, als den Krankenwagen zu holen, wir wollen ja schließlich niemanden quälen", erwiderte die protokollierende Polizistin und lächelte heimtückisch.
Der zweite Polizist ging in das benachbarte Dienstzimmer, um den Notdienst anzurufen, während der andere Polizeibeamte im Verhörzimmer blieb und weiterhin auf Sillas einredete.
„Raus mit den Namen!", so die wiederholte Forderung des Polizisten.
„Offenbar hat das gestohlene Fahrzeug ein polnisches Kennzeichen, gehört es dann einem Polen?"
„Ich weiß es nicht, bitte lassen Sie mich raus,