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Im Schatten der Erinnerung
Im Schatten der Erinnerung
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eBook322 Seiten4 Stunden

Im Schatten der Erinnerung

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Über dieses E-Book

Drei Freundinnen kämpfen sich durchs Leben. Luisa hat einen sicheren Job an der Uni und ist seit fünfundzwanzig Jahren glücklich mit Carl verheiratet, ihre ungewollte Kinderlosigkeit kompensieren sie mit Reisen. Eines Tages wendet sich das Schicksalsblatt. Luisa hat eine neue Chefin die sie schikaniert, und ihr Mann hat sich unbemerkt zu neuen Ufern aufgemacht. Als sie unverhofft dem Trennungsgrund gegenübersteht, begeht sie einen folgenschweren Fehler. Verzweifelt bittet sie ihre Freundin Carin um Rat, denn sie ist eine lebenserfahrene und weltoffene Frau, die gerade ihre neue Zukunft in Afrika plant. Auch die Dritte im Bunde, die mollige Pauline, nimmt ihre Ratschläge gerne an, denn sie hat nicht nur Probleme mit ihrer kranken Mutter, sondern auch ein Händchen für die falschen Männer. Letztendlich und nach vielen Turbulenzen, kommt alles anders als geplant.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Feb. 2021
ISBN9783752934823
Im Schatten der Erinnerung

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    Buchvorschau

    Im Schatten der Erinnerung - Rose Hardt

    Kapitel 1

    ***

    Keine Schuld ist vergessen,

    solange noch das Gewissen um sie weiß."

    (Stefan Zweig)

    ***

    Die Gedanken sind frei

    Das Leben ist nicht immer eitel Sonnenschein. Oftmals steht das Barometer auf Sturm, dunkle Wolken trüben dann unser Gemüt und die Gegenwart ist alles andere als berauschend. Es gibt weder eine Garantie auf Glück, noch auf bunte Träume. Liebesbeziehungen gehen immer wieder in die Brüche, langjährige Ehen scheitern und geliebte Menschen verlassen uns oder sterben. Letztendlich hat der vom Schicksal Gebeutelte nur die Wahl zwischen Resignation oder hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.

    Luisa, Carin und Pauline trafen sich wöchentlich im Philosophen-Café auf dem Uni-Campus, meist saßen sie im hinteren Teil des Cafés, weil es dort ruhiger war und sie in aller Ruhe und über alles reden konnten. Irgendwann hatte der Besitzer die wahnwitzige Idee das Café zu modernisieren, und ausgerechnet im hinteren Teil des Cafés kürzte er Tischbeine und tauschte Stühle gegen bunte Poufs aus.

    „Oha", bemerkte Luisa als sie sich auf einem der Poufs niederließ, „bequem ist anders."

    „Sicherlich Absicht, wir sollen ja keine Wurzeln hier schlagen, sondern Umsatz bringen", bemerkte die mollige Pauline.

    Pauline war Mitte vierzig, hatte Journalismus studiert und arbeitete seither als freie Journalistin für den Stadtanzeiger. Nach mehreren gescheiterten Beziehungen war sie schließlich bei ihrer kranken Mutter wieder eingezogen – was sich recht bald als Fehler herausstellte. Pauline tröstete seither ihr Seelchen mit Schokolade und träumte von einem starken Ritter der sie endlich aus dieser Situation befreien würde.

    Carin schien das alles nichts auszumachen, mit sichtlichem Vergnügen beobachtete sie die beiden Freundinnen und lachte, „also ich weiß gar nicht was ihr habt, ich finde die Sitzkissen ganz okay", wobei sie auf ihrem Pouf, wie ein Teenager, auf und ab hüpfte.

    Carin war Anfang fünfzig, schlank, gutaussehend und stammte, wie sie selbst zu scherzen pflegte, aus einem guten Stall. Sie hatte einige Jahre in London gelebt, war mit einem Rechtsanwalt verheiratet und Mutter zweier Söhne. Nach ihrer Scheidung ist sie nach Deutschland zurückgegehrt, seit dieser Zeit arbeitete sie als Sekretärin an der gleichen Fakultät wie Luisa.

    „Verflucht, warum können wir uns nicht auf die Stühle setzen, empörte sich Luisa nach einer Weile des unbequemen Sitzens, „meine Beine sind schon eingeschlafen und mein Hintern schmerzt wie sonst was.

    „Fünf Kilo mehr auf den Rippchen und der Schmerz wäre nicht vorhanden", murrte die schlechtgelaunte Pauline.

    Carin klatschte in die Hände, „also gut, meine Damen, dann lasst uns dort drüben an den Tisch, mit den schönen bunten Polsterstühlen, wechseln – vielleicht hebt das ja eure Stimmung", fügte sie kopfschüttelnd an.

    Pauline verdrehte genervt die Augen und kämpfte sich mit ihrem Übergewicht von dem tiefen Sitzkissen hoch.

    Carin nützte die Gelegenheit und klopfte spaßeshalber auf ihren Allerwertesten, legte den Kopf in den Nacken und lachte dabei vergnügt auf.

    „Ich hasse dich, wenn du so bist", bemerkte Pauline und ließ sich auf den Stuhl mit dem türkisfarbenen Polster fallen.

    „Wie bin ich denn?", hakte Carin nach und kniff dabei freudig in Paulines Hüftspeck.

    „Autsch, quietschte Pauline auf, „genau das meine ich. Du bist eine ekelhafte Sadistin!

    Luisa warf Carin einen strafenden Blick zu, „muss das denn sein?"

    „Hey, keep cool, Mädels", versuchte Carin nun die beiden mürrischen Freundinnen zu besänftigen, „lasst uns einen Secco trinken, danach könnt ihr mir erzählen was denn so schlimm in eurem Leben ist."

    Und noch bevor Carin weiter ihre überschüssige Energie an der molligen Pauline auslassen konnte, zischte sie ihr entgegen: „hör auf! Ich warne dich!"

    „Also wirklich, Carin, bemerkte Luisa, „da stimme ich mit Pauline vollkommen überein, du hast schon eine sadistische Ader!

    „Und weil ich so ein Scheusal bin, lachte Carin, „geht der Prosecco heute auf mich, anschließend schnippte sie nach dem Kellner, um die Bestellung aufzugeben.

    „Bist du ja auch", knurrte Pauline beleidigt.

    „Jetzt ist’s aber mal gut", lenkte Luisa ein und trat Pauline unterm Tisch ans Bein.

    Kurz schien die Stimmung unter den Dreien zu kippen, doch als der gutaussehende Kellner mit der Flasche und den klirrenden Gläsern auf den Tisch zusteuerte, war plötzlich Ruhe – alle sahen mit verzückter Miene dem Kellner entgegen.

    „Oh, ein neuer Kellner? Passend zu der neuen Einrichtung!, flüsterte Carin hinter vorgehaltener Hand, „charmant, charmant!

    Bei seinem Anblick kippte Paulines Kinnlade sogleich nach unten – ganz offensichtlich sah sie in ihm mal wieder den starken Ritter, der sie aus ihrem tristen Leben befreien würde.

    Luisa drückte mit dem Zeigefinger diskret Paulines Kinnlade wieder hoch.

    Der Kellner, der sich seines guten Aussehens bewusst war, hatte sofort auf die Blicke der Damen reagiert und machte den Weg unter seinen Füßen zum Catwalk. Tänzelnd, das Serviertablett auf seiner rechten Hand balancierend, steuerte er breit grinsend auf die drei Freundinnen zu. Das Schauspiel ging am Tisch dann weiter. Während er den Korken bewusst langsam aus der Flasche zog, sah er die Damen der Reihe nach an, mit einem anzüglichen Grinsen ließ er schließlich den Korken knallen, dieser schoss zur Decke, dann zurück und landete direkt in Paulines Schoß.

    Pauline wurde rot bis über beide Ohren, blitzschnell entfernte sie den Korken aus ihrem Intimbereich.

    „Hm … war das nun ein Zufalls- oder Schicksalstreffer?", scherzte Carin und lachte sich einen Ast darüber.

    Der Kellner fühlte sich sogleich animiert und zwinkerte der molligen Pauline zu.

    „Oha", meinte Carin augenzwinkernd.

    Paulines Gesicht war mittlerweile purpurrot und auf ihrer Stirn stand geschrieben: seht mich bitte nicht so an!

    Als der Kellner seine Arbeit verrichtet hatte, schlenderte er, wohlwissend, dass alle Augen auf seinen knackigen Hintern stierten, zum Tresen zurück.

    „Irgendwoher kenne ich den Kellner, bemerkte Luisa und zog dabei die Stirn nachdenklich in Falten, „ich weiß nur nicht woher.

    „So ein Angeber", kommentierte Pauline naserümpfend seinen Abgang.

    „Na, von der Bettkante würde ich ihn jedenfalls nicht stoßen, schmunzelte Carin, und als sie Paulines Augenrollen bemerkte, erhob sie ihr Glas, prostete ihr zu und sagte: „Brave Mädchen kommen in den Himmel und böse, ja, liebes Paulinchen, die kommen überall hin!

    „Ich hoffe, du bist bald dort wo der Pfeffer wächst", entgegnete Pauline und leerte ihr Glas in einem Zug.

    „Der wächst auf Madagaskar", korrigierte Carin, „ich reise jedoch nach Namibia."

    Carin hatte irgendwann auf ihren Reisen nicht nur die Liebe zu Afrika entdeckt, sondern auch die Liebe ihres Lebens dort kennengelernt.

    „Ah, sieh an, wann geht’s denn zu deinem Freund auf die Farm?", fragte Luisa das Thema wechselnd – wobei sie Carin insgeheim um ihren Mut, ihre Weltoffenheit und überhaupt ihre Lebenseinstellung beneidete. Ja, bei ihr schien das Leben so leicht, so unkompliziert zu sein.

    „Jaaa, jubelte Carin, „wenn alles nach Plan läuft, in sechs Monaten, und ich kann euch gar nicht sagen wie sehr ich mich darauf freue, dann lehnte sie sich zurück, verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf und seufzte: „nie mehr nervige Studenten, nie mehr Stress mit der Verwaltung und nie mehr am Morgen in der Rush Hour stehen."

    „Dafür musst du dich dann aber mit Schlangen, riesigen Spinnen und wilden Tieren herumplagen", muffte Pauline.

    Carin umarmte Pauline, drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange und sagte: „wenn wir, Billy und ich, unsere Lodge aufgebaut haben, seid ihr – du und Luisa – herzlich eingeladen, doch Vorsicht, sagte sie mit tiefer Stimme und entsprechender Mimik: „denn du musst wissen, dass Löwen eine Vorliebe für mollige und schlechtgelaunte Weibsbilder haben.

    „Ha, ha … sehr witzig", gab Pauline zurück – worüber Carin erneut lachte.

    Luisa erhob ihr Glas und sagte: „Nun, dann wünschen wir dir, wobei sie Pauline, mit einem sanften Fußtritt unterm Tisch, miteinbezog, „viel Erfolg beim Aufbau deiner neuen und abenteuerlichen Zukunft – und deine Einladung nehmen wir natürlich gerne an! Nicht wahr Pauline!

    Doch Pauline spielte die beleidigte Leberwurst, sie streckte ihre Nase in die Luft und warf den Kopf zur Seite.

    Erneut hatte der Kellner seinen Auftritt, dieses Mal brachte er Knabbereien, „Nüsse sind gut für die Nerven", bemerkte er, und schob das Schälchen, langsam und genüsslich schmunzelnd in Richtung Pauline – sie dankte es ihm mit einem hochrotem Kopf.

    Nichtsdestotrotz griff Pauline sofort zu und fing auch gleich zu knabbern an, Luisa und Carin langten ebenfalls zu.

    Nach einigen Schweigeminuten fragte Carin, „na, ist das Nervenkostüm wieder geglättet?"

    Pauline stoppte kurz ihren Kauvorgang, schenkte ihr ein aufgesetztes Lächeln und stopfte dann weiter Nüsse in sich hinein.

    Carin wandte sich nun Luisa zu, „und, wie geht’s dir so?", fragte sie.

    Während Luisa ihren Frust still an den Erdnüssen ausließ und sie ausgiebig zwischen ihren Zähnen zermalmte, antwortete sie: „nun, eines Tages werde ich sie lynchen!"

    „Wen? Deine Chefin!", hakte Carin neugierig nach.

    „Ja! Wen sonst? Ich weiß nicht was sie gegen mich hat – nichts, aber auch gar nichts kann ich ihr recht machen, antwortete sie kopfschüttelnd, „dabei habe ich sie von Anfang an gemocht, ja, sie sogar bewundert für das was sie beruflich erreicht hat! Ha … und manchmal hätte ich gerne mit ihr getauscht.

    „Dann wären wir aber nicht befreundet und würden hier nicht so gemütlich beisammensitzen", kommentierte Carin und zwickte Pauline in den Arm.

    „Menno, jetzt lass das endlich!", fluchte Pauline.

    „Wie alt ist sie eigentlich?", hakte Carin nach.

    „Wer?"

    „Na, deine Chefin!"

    „Zwei Jahre jünger als ich. Tja, nicht zu glauben, sie steht auf der Sonnenseite des Lebens und merkt es nicht einmal. Was will sie eigentlich?, echauffierte sich Luisa, sie hat promoviert, habilitiert und sieht auch noch recht passabel aus – mal abgesehen von ihrer Kleidung.

    „Naja, du siehst halt besser aus, zu gut für ihr Vorzimmer offensichtlich", bemerkte Carin.

    Die Schönheit ist vergänglich, die ihr doch allein zu ehren scheint. Was übrig bleibt, das reizt nicht mehr, und was nicht reizt, ist tot", warf Pauline kauend und mit einem unterschwelligen Zynismus versehen dazwischen. Als sie die fragenden Blicke ihrer Freundinnen bemerkte, sagte sie: „meint Goethe."

    Carin schüttelte den Kopf über ihr Zitat und schob das Schälchen mit den Knabbereien noch etwas näher zu Pauline hin, „hier, sagte sie, „gib der Schlechtgelaunten mehr Futter, anschließend gab sie Luisa ein Zeichen weiterzuerzählen.

    „Nun, allem Anschein nach ist ihr die Position, als neue Lehrstuhlvertretung, zu Kopf gestiegen, fuhr Luisa fort, „heute Morgen, zum Beispiel, bat sie mich zu einem Gespräch in ihr Büro, und wisst ihr was sie als erstes tat?

    Beide sahen sie erwartungsvoll an.

    „… sie erhöhte ihren Bürostuhl, sodass sie auf mich herabblicken konnte."

    „Naja, damit hat sie dir ihre Macht demonstriert", gab Carin zum Besten.

    „Tsss, Psychologen, sage ich da nur, entfuhr es Pauline zwischen ihrem Kauen, „es heißt, dass viele nur Psychologie studieren, um sich endlich einmal selbst zu verstehen.

    „… oder um ihre Minderwertigkeitskomplexe in den Griff zu bekommen", ergänzte Carin.

    „Ach, Frauen sind generell zickiger, bemerkte Luisa, „sobald sie solche Positionen beziehen kommt ihr wahrer Charakter zum Vorschein.

    „Ah, zum Glück habe ich einen männlichen Prof zum Vorgesetzten, sagte Carin, „Männer sind im allgemeinen besser zu händeln – so jedenfalls meine Erfahrung.

    „Nicht immer", warf Pauline mit erhobenem Zeigefinger dazwischen, „ich könnte euch da ganz andere Geschichten erzählen. Puhhh, wenn ich da an mein Volontariat und an den damaligen Chef-Redakteur zurückdenke … oha, das war vielleicht ein Möchte-gern-Hengst, der hatte seine Finger überall, nur nicht dort, wo sie gebraucht wurden … aber, sorry, Luisa, ich wollte dich nicht unterbrechen. Um was ging es denn bei eurem Gespräch?"

    „Hm", grübelte Luisa, „eigentlich ging es um nichts Besonderes, es war nur die Art und Weise wie sie mir zu verstehen gab, wer die Chefin hier ist."

    Carin lachte und sagte: „ist ihr Mann nicht dieser Doppel-Doc, der Kardiologe an der Uni-Klinik, der, der auf die Chefarztstelle spekulierte und dem man dann eine junge ausländische Ärztin vor die Nase pflanzte?"

    Luisa nickte, „ja, junge ausländische Ärzte sind halt nicht so anspruchsvoll!", kopfschüttelnd fügte sie an: „ihr müsstet erst einmal sehen wie sie reagiert, wenn Holger – ihr Mann – anruft, dass sie am Telefon nicht salutiert ist alles. Tsss … am Lehrstuhl lässt sie die Chefin raushängen und bei ihrem Mann kuscht sie."

    „Sag ich doch: Psychologen!", bemerkte Pauline, „die sind nicht wie normale Menschen!"

    „Na, sicherlich ist er auch der Grund, warum sie so ist, wie sie ist", kommentierte Carin, „Druck von oben, meine liebe Luisa, wird immer nach unten weitergegeben. Ich, an deiner Stelle, würde mir da keinen Kopf machen, sie ist nur die Vertretung – und Lehrstuhlvertretungen bleiben in der Regel nicht lange", versuchte sie die Unglückliche zu trösten.

    „Du hast gut reden, wer weiß, wer nach ihr kommt! Außerdem hat nicht jeder so viel Glück wie du, mit deinem Chef", fügte Luisa überspitzt an.

    „Man muss sich eben seine Chefs richtig erziehen", lachte Carin und prostete den beiden zu.

    „Ha, ha, werde heute Abend drüber lachen", bemerkte Luisa.

    Carin musterte neugierig Pauline, die immer noch eifrig Nüsse am Knabbern war, „und welchen Frust stopfst du wieder in dich hinein?", fragte sie.

    Wie auf Knopfdruck hörte Pauline auf zu kauen, da erst bemerkte sie, dass sie fast alle Nüsse alleine vertilgt hatte. „Wenn du meine Mutter hättest, würde dir das Scherzen auch vergehen", gab sie bissig zurück.

    „Warum suchst du dir nicht eine eigene Wohnung? Und überhaupt, warum bist du eigentlich wieder bei ihr eingezogen?"

    „Weil ich, im Gegensatz zu dir, ein Verantwortungsbewusstsein habe", zischte Pauline zurück.

    „Quatsch, jeder ist für sich selbst verantwortlich", winkte Carin mit einer lapidaren Handbewegung ab.

    „Ahhh, verstehe, deshalb hast du auch deine Kinder in London bei ihrem Vater zurückgelassen!" – Das saß. Pauline hatte genau Carins wunden Punkt getroffen.

    „Das war jetzt unfair, sehr unfair", entgegnete Carin verärgert, dann stand sie abrupt auf, ging schnurstracks zur Theke, beglich die Rechnung und verließ wortlos und ohne sich nochmals umzudrehen das Café.

    „Meine Güte, Pauline, musst du immer so unsensibel und direkt sein?, kritisierte Luisa ihre Freundin, „du weißt schon, dass damals ihr Ex-Ehemann – als bekannter Anwalt – bei dem englischen Vormundschafts-Gericht seine Beziehungen hat spielen lassen! Daher hatte Carin absolut keine Chance ihre Kinder mit nach Deutschland zu nehmen – mal davon abgesehen, dass der älteste Sohn bereits kurz vor der Volljährigkeit stand, und glaub mir, sie leidet noch heute darunter.

    „Jaaa, entgegnete Pauline, „ich mag halt ihre affektierte Art und das ganze Getue nicht, und heute ging mir das absolut nicht ab.

    Luisa legte ihre Hand auf ihre und fragte: „Was ist denn bloß los mit dir?"

    „Ach, seufzte sie, „es ist wegen Mutter. Sie ist unausstehlich, ungerecht und undankbar, dabei mache ich alles was in meiner Macht steht, um ihr das Leben so erträglich wie nur irgend möglich zu machen.

    „Vielleicht hat Carin Recht. Vielleicht solltest du sie mal vor vollendete Tatsachen stellen und dir wirklich eine eigene Wohnung suchen!"

    „Weiß nicht, entgegnete Pauline achselzuckend, „ich kann sie doch nicht einfach im Stich lassen! Nein, nein, das kommt gar nicht in Frage!

    „Das sollst du auch nicht! Du suchst dir eine Wohnung, ihr eine Betreuerin und dann kannst du sie so oft besuchen wie es dir genehm ist – aber du, Pauline, hast endlich wieder dein eigenes Leben."

    „Ja, ja, seufzte Pauline, „wenn das alles so einfach wäre, dann sah sie Luisa mit großen traurigen Augen an und sagte: „Weißt du, dass ich manchmal Angst vor mir selber habe?"

    „Wie meinst du das?"

    „Nun, wenn ich am Abend die Medikamente für sie zusammenstelle, kommt mir manchmal der Gedanke, einfach die Dosis zu erhöhen – ich meine viel zu erhöhen", wobei sie vor Scham ihre Augenlider senkte.

    „Ach, mein armes Paulinchen", sagte Luisa milde lächelnd und legte tröstend den Arm um sie.

    Pauline fühlte sich von Luisa verstanden und plapperte sogleich drauf los: „Stell dir vor, letzte Nacht, ja, da hatte ich einen furchtbaren Traum, ich habe davon geträumt, dass ich meine eigene Mutter getötet habe, danach bin ich schweißgebadet aufgewacht. Der Traum war so real, dass ich mich in ihr Zimmer schleichen musste, um nachzusehen, ob sie noch lebt!"

    „Kann ich gut nachvollziehen, kommentierte Luisa mit einem verstehenden Kopfnicken, „und wie, zeitgleich erinnerte sie sich an ihre Meuchel-Gedanken bezüglich ihrer Chefin.

    Wie oft hatte sie in den letzten Wochen daran gedacht sie zu lynchen, wobei ihre Fantasie geradezu grenzenlos war. Ja, mitunter konnte sie sich regelrecht in die Meuchel-Lust hineinsteigern, sodass sie dann völlig verkrampft dasaß, bis irgendwann ihr nüchterner Verstand ihr zu verstehen gab: hey, wach auf, das bist nicht du!

    „Doch zum Glück, seufzte Pauline, „sind das nur wirre Träume. So etwas könnte ich niemals tun.

    „Wie? … Was?", fragte Luisa, und fühlte sich sogleich ihrer dunklen Gedanken ertappt.

    „Na, zum Glück sind das alles nur Hirngespinste die zu solchen Träumen führen", antwortete Pauline.

    „Ja, ja, zum Glück, kam es Luisa befreit über die Lippen, „alles nur dunkle Fantasien.

    Gedankenversunken umklammerten beide ihre Sektgläser, erst als der Kellner ein weiteres Schälchen mit Nüssen auf den Tisch stellte, er seinen Zeigefinger kreisend darin bewegte und ihn danach mit einem lüsternen Blick – der Pauline galt – abschleckte, waren sie wieder im Hier gelandet. Sprachlos sahen sie ihn an. Daraufhin wandte er sich frech-grinsend um, und wohlwissend, dass ihre Blicke ihm wieder folgen würden, schlenderte er zum Tresen zurück.

    „Igitt, was war das denn?", fragte Luisa während sie ihm fassungslos nachsah.

    „Ferkel", bemerkte Pauline und rümpfte die Nase dabei.

    „Ach, du liebes Bisschen", amüsierte sich Luisa, „er hat’s auf dich abgesehen", dann hielt sie die Hand vor den Mund und giggelte wie ein Teenager.

    Paulines Seelchen fühlte sich plötzlich geschmeichelt, „glaubst du wirklich?", hakte sie vorsichtig nach, wobei sie verstohlen zu dem gutaussehenden Kellner hinter dem Tresen linste – der Gedanke schien ihr jedenfalls zu gefallen, denn ihre Gesichtszüge wurden weich und in ihren Augen war bereits ein winziges Funkeln zu erkennen.

    Wie schön sie mit einem Male war, dachte Luisa vergnügt. „Na, er ist zwar kein Ritter auf einem weißen Ross, bemerkte sie, „aber er hat es immerhin geschafft dich zum Lächeln zu bringen.

    Mit einem kleinen Herzensseufzer stützte Pauline ihren Ellenbogen auf den Tisch, legte das Kinn in ihre Handinnenfläche und sah zu ihm hin. „Wenn er ja nicht so ein verdammter Macho wäre, seufzte sie, „tja, dann könnte er mir vielleicht gefallen.

    Luisa lachte und folgte ihrem Blick, „hm … allem Anschein nach scheinst du jedenfalls genau sein Typ zu sein."

    Und plötzlich fiel Luisa wieder ein woher sie den Kellner kannte, vor nicht allzu langer Zeit war ein Artikel, mit Bild von ihm, in der Tageszeitung! Aber warum? Nein, das wollte ihr partout nicht einfallen.

    „Ach ja", stöhnte Pauline, „mit molligen Frauen vergnügt Mann sich gerne mal, geht aber nicht mit ihnen aus."

    „Na, mit der Einstellung, liebe Pauline, wird das nie etwas mit deinem Ritter!"

    „Was ist eigentlich mit dir?", fragte Pauline mit einem leicht provokanten Unterton in der Stimme.

    „Was meinst du?", stutzte Luisa.

    „Wie läuft’s denn in deiner Ehe so? Früher hast du öfter über Carl und eure Reisen berichtet!"

    „Gut!", antwortete Luisa achselzuckend – und insgeheim musste sie ihr zustimmen! Sie und Carl waren schon lange nicht mehr verreist!

    „Gut!, kommentierte Pauline, „bedeutet so viel wie: abgehakt, erledigt oder es könnte besser sein!

    „Es läuft", entgegnete Luisa knapp – sie hatte jetzt keine Lust über ihre Ehe zu reden.

    Pauline schüttelte den Kopf, „wohin läuft’s denn?", stänkerte sie weiter.

    „Pauline, es reicht. Du bist heute wirklich ungenießbar. Ich würde sagen ich fahre Nachhause", mit Blick zum Kellner hinterm Tresen gerichtet, ergänzte sie: „gönne dir einen Snack und werde wieder normal", dann stand sie auf und ging.

    „Entschuldigung, war nicht so gemeint", rief Pauline ihrer Freundin nach – doch zu spät, vor ihrer miesepetrigen Laune hatte auch Luisa die Flucht ergriffen.

    Während der Heimfahrt dachte Luisa über Paulines Frage nach, dabei musste sie sich selbst eingestehen, dass ihr Eheleben bereits im Dämmerschlaf lag.

    Sie und Carl waren seit fünfundzwanzig Jahren zusammen, am Anfang liebte sie ihn wie man einen Kometen liebt, doch die Intensität dieser Art von Liebe wurde zusehends von Alltagsproblemen, langweiligen Fernsehabenden und einem überfüllten Terminkalender – von Seiten ihres Mannes – überschattet, und wenn sie nicht aufpassen würden, würde ihre Ehe bald in einem abgestandenen Fahrwasser enden.

    „Nein, das muss sich ändern", murmelte sie, und da Carl gute Essen liebte, er ein Gourmet war, beschloss sie kurzerhand zum Feinkostenladen zu fahren – früher hatten sie dort gemeinsam und auch regelmäßig eingekauft. Während sie durch den Laden schlenderte hatte sie ihr Verführungsmenü für den Abend bereits zusammengestellt: als Appetizer sollte es ein Lachstatar mit Avocado geben, danach ein Steinbutt-Filet auf Fenchelgemüse, sowie Carls Lieblingsdessert: Mousse au Chocolat, dazu einen kühlen Sauvignon Blanc.

    Zuhause angekommen bereitete sie alles vor, sie deckte den Tisch hübscher als sonst ein und gönnte sich danach ein ausgiebiges Bad. Gegen zwanzig Uhr saß Luisa, bei Kerzenschein und zu allem bereit, am Tisch. Es wurde einundzwanzig Uhr und von Carl noch immer keine Spur – keinen Anruf und keine SMS – nichts, auch ihre Versuche ihn erreichen zu wollen blieben erfolglos. „Okay, knurrte sie, „eine Viertelstunde gebe ich dir noch, dabei schnippte sie ihre unbequemen Pumps schon mal von den Füßen, öffnete den Reißverschluss ihres enganliegenden Etuikleides und legte die Beine über die Tischkante, enttäuscht griff sie nach der Weinflasche und füllte ihr Glas randvoll auf. Während sie nun das Glas, Schluck für Schluck, leerte, checkte sie immer wieder ihr iPhone – nichts. Carl schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. „Wo bist du?, zischte sie, „die Viertelstunde ist längst vorbei, verärgert über ihn und überhaupt ihren Ärger im Büro, begann sie den Tisch abzuräumen, unsanft und fluchend verstaute sie alles im Kühlschrank dabei entdeckte sie die Mousse au Chocolat: Carls Lieblingsdessert, sie griff nach einem großen Löffel und stopfte die süße Köstlichkeit hastig in sich hinein, und während sie das tat, kam ihr wieder Paulines Dementi über ihre Ehe in den Sinn: abgehakt, erledigt, oder es könnte besser sein – jetzt war ihr übel. Sie ließ das Kleid über ihre Schultern gleiten und setzte sich, mit einem Cognac zur besseren Verdauung der Mousse, sowie ihrem ganzen unnützen Gedankenwirrwarr, auf die Couch. Nach einigem Grübeln, aber auch um sich selbst zu beruhigen, sagte sie: „Ach was, ihre Ehe ist in Ordnung – Punkt!" Carl wird bald Nachhause kommen, sich mit irgendwelchen Entschuldigungsfloskeln und einem Gute-Nacht-Küsschen neben sie ins Bett legen und einschlafen, am nächsten Morgen würde der ganz normale Alltag seinen Lauf nehmen.

    Kurzentschlossen rief sie Carin an, um nachzuhören wie es ihr geht.

    Sie war auch gleich an der Strippe. „Was gibt’s?", fragte sie mit leicht gereizter Stimme.

    „Ich wollte nur mal nachhören, wie es dir geht?", hakte Luisa vorsichtig nach.

    „Das Beleidigt-Sein überlasse ich Pauline", antwortete Carin knapp.

    „Es tut mir leid, aber du kennst sie ja, sie hat das nicht so gemeint."

    „Hör auf sie immer wieder in Schutz zu nehmen. Pauline ist ein Trampel und das wird sich auch nicht ändern, solange sie ihr eigenes Leben nicht in den Griff bekommt."

    „Du solltest nicht so hart mit ihr ins Gericht gehen, sie hat zurzeit erhebliche Probleme mit ihrer kranken Mutter …"

    „Ja, und vor lauter Frust futtert sie sich kugelrund und kehrt dann die Schlechtgelaunte hervor."

    „Komm, gib deinem Herzen einen

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