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BonJour Liebes Leben
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eBook317 Seiten4 Stunden

BonJour Liebes Leben

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Über dieses E-Book

Eine traumhafte Villa, eine Witwe in den besten Jahren, eine demenzkranke Schwiegermutter, ein (selbst)verliebter Schwager und eine geldgierige Stieftochter – alles ist so ziemlich normal! Doch was geschieht, wenn die Witwe auf dem Friedhof auf ihre erste große Liebe trifft und sie ein neues Leben beginnen will? Und wie reagiert wohl ihre Familie, als ihre beste Freundin, eine Immobilienmaklerin, ihr anbietet ein Objekt in Südfrankreich zu besichtigen? – Das Chaos ist vorprogrammiert! Während die Witwe mit dem Verliebtsein bereits auf Du und Du steht, ihr ein charmanter Franzose (endlich) das liebe Leben erklärt, wird ihre Existenz von der eigenen Familie demontiert.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum3. März 2022
ISBN9783754186688
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    Buchvorschau

    BonJour Liebes Leben - Rose Hardt

    Prolog

    ***

    Ob das Glück wohl vor uns niederkniet,

    wenn wir zu blind sind es zu beachten?

    Nein, das tut es nicht!

    Wir sind für unser Glück selbst verantwortlich!

    ***

    Ein Jahr ist nun vergangen, dass ihr geliebter Ehemann – nein, wir wollen schon bei der Wahrheit bleiben und ihn nicht übermäßig mit Worten loben oder ihn gar auf ein Podest stellen das ihm nicht zusteht – also, da ihr angetrauter Mann, dem sie die kostbarste Zeit ihres Lebens schenkte, das Zeitliche segnete, und an dieser Stelle überkommt Charlotte ein Verlustschmerz, nicht der Verlust seines Lebens, sondern ihres eigenen.

    Fast drei Jahrzehnte war sie die Frau an seiner Seite, die Frau, die ihm den Rücken stärkte, sodass er einen Erfolg nach dem anderen an seine Fahnenstange heften konnte – nein, sie war nicht unglücklich, sie war ja die Frau an seiner Seite, die Ehefrau, die bei öffentlichen Empfängen ihres Mannes mitbedacht und bei jeder Belobigung im Nachsatz mit erwähnt wurde, zwangsläufig musste sie glücklich sein; sie war die treusorgende Seele, die sowohl Haus und Hof versorgte, als auch seine Koffer packte; sie war die modebewusste Frau, die seine Hemden kaufte und darauf achtete, dass die Socken zum Anzug passten – aber wie gesagt: sie möchte sich keinesfalls beklagen! Auch möchte sie sich nicht darüber auslassen, wie sie sich fühlte, wenn mal die eine oder andere Hotelrechnung irrtümlich an seine Privat-Adresse ging, auf der wiederum versehentlich – wie er immer behauptete – Doppelzimmer abgerechnet wurden, nein, auch darüber zu jammern gab es keinen Grund. Was sie jedoch aus tiefstem Herzen berührte, war, mitansehen zu müssen, wie die Demenzkrankheit ihrer Schiegermutter, mit der sie über all die Jahre einen freundschaftlichen Umgang pflegte, Geist und Körper zerstörte. Ach ja, und da gab es noch eine Stieftochter aus erster Ehe mit seiner verstorbenen Frau, deren Erziehung ganz nach dem Motto: „Das Beste ist gerade gut genug" verlaufen war, und so war es nicht verwunderlich, dass sich daraus ein egoistisches Biest entwickelte – aber dazu später mehr.

    Kapitel 1

    Charlotte Grafenberg hatte ihren Wagen in einer Seitenstraße des Waldfriedhofs geparkt, genau an der Stelle, wie sie es nun schon seit einem Jahr tat, seit dem Tag als Gustav Grafenberg hier beerdigt wurde. Es war ein lauer Frühlingstag und es dämmerte bereits. In den Händen hielt sie eine Kerze und eine Streichholzschachtel, es war schon fast zum Ritual geworden, dass sie jeden zweiten Tag eine Kerze an sein Grab brachte. Doch heute stellte sich ihr die Frage warum sie das eigentlich tat. Ja, warum? Unvermittelt blieb sie stehen, sie wusste nicht wieso, aber sie war plötzlich der Routine müde geworden. Gleich neben dem Eingangsportal zum Friedhof entdeckte sie eine Holzbank mit einem kleinen Messingschild auf dem in schwungvoller Schrift geschrieben stand: „Ich habe gelebt und den Lauf, den das Schicksal gegeben, vollendet" (Lucius Annaeus Seneca). Sinnierend, wie sie das Zitat wohl interpretieren sollte, setzte sie sich seitlich auf die Kante der Bank – wobei ihr das Schild mit dem Spruch nicht ganz geheuer erschien. Im nächsten Moment ging eine ältere Dame ganz nah an ihr vorüber, in ihren Händen trug sie ebenfalls eine Kerze. Die Dame grüßte sie und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, wobei in ihrem Gesicht eine eigenartige Mischung aus Demut, Bitternis und Zufriedenheit lag. Warum lächelt sie dir zu?, ging es Charlotte durch den Kopf. Nur weil ich hier sitze? Oder weil ich wie sie Witwe bin? Erneut las sie das Zitat. Klar!, kam es ihr ernüchternd in den Sinn. Wir führen das gleiche Schicksal mit uns und sie, sie fühlt sich mit dir solidarisch. Nachdenklich sah sie der alten Dame nach und jetzt erst bemerkte sie ihren schleppenden, leicht gebeugten Gang. Mit Sicherheit lastet noch immer ihr ganzes Eheleben: das jahrelange Schuften im Haushalt, Job, Kindererziehung und weiß Gott was noch alles auf ihren Schultern und nur, weil sie vielleicht ihrem Mann, über den Tod hinaus, noch Dankbarkeit zu schulden glaubt, stellt sie ihm tagtäglich eine Kerze auf sein Grab.

    Mit bestürzender Deutlichkeit wurde ihr mit einem Male ihr eigenes Leben vor Augen geführt.

    Ihr Blick schweifte erneut über das Zitat, dann zur Kerze in ihren Händen und letztendlich wieder zur alten Dame, die unter der Last ihrer Vergangenheit, fast zu zerbrechen drohte. Nein, sträubte sich etwas in ihr, keinesfalls möchte ich mich ihr verbunden fühlen und erst recht nicht die Hälfte meines Lebens hier auf dem Friedhof verbringen. „Nein!, kam es leise und resolut über ihre Lippen, „alles hat schließlich mal ein Ende, schob sie zähneknirschend hinterher. Abrupt stand sie auf, strich mit beiden Händen fest über ihre Kleidung und streifte somit ihre Vergangenheit, zumindest symbolisch, ab. Fest entschlossen ein neues Leben zu beginnen marschierte sie mit energischen Schritten zu Gustavs Grab. Sie zündete die Kerze an, stellte sie in die dafür vorgesehene Grableuchte, atmete tief durch und sagte laut: „So, mein lieber Gustav, das ist die letzte Kerze die ich dir bringe – genieße sie also! Das Ende unserer Ehe begann schon zu Lebzeiten, um es genauer zu sagen, mit deinen vielen Affären und hat sich schon viel zu lange hingezogen, als dass es jetzt noch eine Fortführung geben würde. Ab sofort werde ich meine regelmäßigen Besuche einstellen! Nur, damit du Bescheid weißt!" Danach folgte ein befreiender Seufzer der ihr ganzes Eheleben zu beinhalten schien – endlich war es vollbracht! Nach all den Jahren hatte sie das erste Mal die Stimme gegen ihn, den großen und dominanten Gustav Grafenberg, erhoben. Und gerade als sie ihm gedanklich noch einige klärende Worte hinterherschicken wollte, hörte sie ihren Namen.

    „Charly? Ich meine, Charlotte? Bist du es? Bist du es wirklich?"

    Charlotte sah sich erstaunt um und entdeckte einen Mann, der in der zweiten Grabreihe hinter ihr stand und erwartungsvoll zu ihr hinsah. Oh, er wird dir doch nicht zugehört haben, schoss es ihr durch den Kopf, in Erinnerung ihrer Worte zog sogleich eine leichte Verlegenheitsröte über ihr Gesicht.

    „Doch, du bist es!", sagte der Mann und schien auch noch sichtlich erfreut sie zu sehen.

    Während sie ihn erst einmal kritisch beäugte, ihn systematisch nach Wiedererkennungsmalen abscannte, lief ihr Langzeitgedächtnis bereits auf Hochtouren, verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern. War das etwa …? Nein! … Oder doch? … NIEMALS!

    Aber der Mann schien es besser zu wissen. Er hielt die Hand an seine linke Wange, lachte laut und sagte: „Ja verflucht noch mal – du bist es wirklich! Ich fass es nicht. Das Letzte an das ich mich erinnern kann ist deine schallende Ohrfeige bei unserem Abschied. Während er sich zwischen den Grabsteinen zu ihr hindurchschlängelte, fügte er augenzwinkernd an: „Wow … und die war nicht von schlechten Eltern.

    Und just in dem Moment, als er vor ihr stand, kam ihre Erinnerung zurück. „Henning … der Henning Bleibtreu?", fragte sie, und mit dem zweiten Blick in seine dunklen, fast schwarzen Augen spürte sie tief in ihrem Herzen einen kleinen, stechenden Schmerz des Wiedererkennens. Sie wusste nicht wieso, aber unbewusst trat sie sofort einen Schritt zurück, um eine gebührende Distanz zwischen ihnen zu schaffen.

    „Ja, genau, der Henning", antwortete er mit einem schelmischen Grinsen.

    „Du Schuft du … na, du traust dich was", gab sie barsch zurück. Zeitgleich sieht sie vor ihrem geistigen Auge wie sie ihn ohrfeigt. Aber warum? Weshalb hatte sie ihm damals eigentlich eine gescheuert? Bevor sie weiter in ihrer Erinnerungsschatulle stöbern konnte, hatte er das Wort wieder ergriffen.

    „Ja, ja … ich weiß, du sagtest damals, dass ich dir nie wieder unter die Augen treten soll. Dabei war alles, aber wirklich alles ganz anders …"

    Charlotte unterbrach ihn mit einem kurzen Verlegenheitslachen und sagte: „Ja, jetzt … jetzt weiß ich’s wieder! Ich erinnere mich aber auch, dass du das öfter sagtest, nachdenklich sah sie ihn an, „hm … ich glaube mich sogar zu erinnern, dass es dein Standardspruch war, und mit dieser Aussage kehrte sukzessive ihr Erinnerungsvermögen – samt dem ohnmächtigen Gefühl des Betrogen-Werdens, auch des Gekränkt-Seins – an die damalige Zeit zurück und ohne, dass sie es wollte, schoss eine bissige Bemerkung aus ihr heraus: „Aber sag, mein lieber Henning Bleibtreu, liebst du noch immer die Vielweiberei oder …"

    „… ich, meine liebe Charly, ich liebe nur noch Greta", unterbrach er sie augenzwinkernd, dann steckte er Daumen und Zeigefinger zwischen die Lippen und pfiff.

    Charlotte sah sich neugierig um, doch es regte sich nichts.

    „Greta, komm her", befahl er nun in einem scharfen Ton.

    Endlich kam die besagte Greta hinter einem Grabstein hervorgewackelt. Es war eine in die Jahre gekommene Hundedame, ein grau-brauner und zerzauster Rauhaardackel, der schon beim Anblick Mitleid erregte.

    „Darf ich vorstellen, das ist Greta, das einzige Wesen mitten im Satz stoppte er, Trauer überzog sein zuvor noch lachendes Gesicht „das mir noch geblieben ist, fügte er schließlich bedächtig und leise an.

    Obwohl Charlotte seinen Stimmungswechsel registriert hatte, musste sie beim Anblick der Hundedame schmunzeln. Ja, keine Frage, Greta war eine bedauernswerte Kreatur. Während ihr Blick zwischen den beiden hin und her wechselte, dachte Charlotte – nicht ganz ohne Ironie: wie ähnlich sich doch Herr und Hund sind, sowohl Hennings Frisur als auch seine Haarfarbe – die zwischenzeitlich mehr grau als braun war – ähnelte Gretas Fell, und beide schienen vom Leben nicht gerade verwöhnt worden zu sein: seine Kleidung war nicht mehr ganz aktuell, der braune Lederblouson wirkte zwar jugendlich, aber stark abgetragen, nur das Hemd war blütenweiß und ließ das Braun seiner Haut noch intensiver erscheinen. Ach Gottchen! Verwaschene Jeans trägt er noch immer, stellte sie nun mit einem süffisanten Lächeln fest. Und je länger sie ihn in Augenschein nahm, desto deutlicher traten Bilder aus der Vergangenheit hervor, mit ihnen erwuchs Rache – Rache für das, was er ihr damals angetan hatte.

    „So ist das, lieber Henning", sagte sie, „wenn Mann sich nicht für eine Frau entscheiden kann", ihr Blick wechselte zur Hundedame, „dann kommt Mann zwangsläufig auf den Hund. Ihr seid wirklich ein entzückendes Paar!", fügte sie verächtlich hinzu.

    Seinem gedanklichen Tief wieder entrissen, konterte er mit nachsichtigem Schmunzeln: „Ja, ja … ganz die alte Charly … und wie immer sehr charmant! Wenn ich mich recht erinnere, fand ich deinen Zynismus schon damals sehr prickelnd. Dann trat er einen Schritt zurück, musterte sie ebenfalls vom Kopf bis zu den Füßen und sagte: „Du, meine liebe Charly, das kann ich dir ja heute sagen, warst die einzige Frau, die mich mit wenigen Worten, manchmal auch nur mit einem herablassenden Blick in den Wahnsinn treiben konnte.

    Sie lächelte erneut und kramte währenddessen noch etwas tiefer in ihrer Vergangenheit, und je intensiver sie in dort stöberte, desto aufdringlicher stolzierten längst vergessene Gefühle durch sie hindurch, erinnerten sie an das, was man damals Liebe nannte.

    „Gut siehst du aus! Wie eine Dame, die es zu etwas gebracht hat, stellte er bewundernd fest, dabei glitt sein Blick nochmals an ihr herunter, diesmal bewusst langsamer, „sehr gut sogar, schob er mit einem Augenzwinkern hinterher.

    Leichte Röte stieg ihr zu Kopf. Sie wusste nicht wieso, aber sie fühlte sich irgendwie nackt unter seiner Beschauung. „Danke für die Blumen", antwortete sie irritiert, wobei bereits jede Sehne ihres Körpers leicht vibrierte, auch in ihrem Oberstübchen herrschte bereits Chaos, und zu allem Überfluss gesellten sich nun auch noch poetische Zeilen aus Rilkes Liebes-Lied hinzu:

    Auf welches Instrument sind wir gespannt?

    Und welcher Geiger hat uns in der Hand?

    Ja, damals war es ihr Lieblingsgedicht und fast, ja fast wären ihr die Zeilen über die Lippen gesprudelt. Doch im letzten Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie vor Gustavs Grab standen. Großer Gott, ich muss hier weg, schoss es ihr durch den Kopf, wobei die neue Situation ihrem eh schon aufgekratzten Inneren Zündstoff gab.

    Doch dem nicht genug. Eine ganze Weile stand er regungslos da und sah sie mit großen Augen verzückt an, er sah sie so an, als ob er sein Glück – sie, endlich, nach all den Jahren wiederzusehen – noch immer nicht fassen konnte.

    „Was ist?, fragte sie und kramte verlegen in ihrer Handtasche. „Warum siehst du mich so an?, hakte sie schließlich nach, wobei ihr Herz – ganz im Gegensatz zu ihrem Kopf – bereits leise jubilierte.

    Mit einem bezaubernden Lächeln antwortete er: „Sieh an, Komplimente verunsichern dich noch immer. Süß!"

    Charlotte fühlte sich von ihm, von seiner Art wie er so dastand, auch von dem was er sagte, völlig überrumpelt und so brach es nur schnippisch aus ihr heraus: „Nun, wie du weißt, mein lieber Henning, bekommt jeder das im Leben, was er verdient. Aber was machst du eigentlich hier?, fragte sie das Thema wechselnd, „wenn ich das überhaupt fragen darf!

    „Du darfst. Was ich hier mache?, wiederholte er verwundert. „Ja weißt du das denn nicht? Mein Vater verstarb im letzten Jahr und liegt genau hinter …, mitten im Satz stoppte er, um die Inschrift auf dem Grabstein zu ihren Füßen zu lesen: „Gustav Grafenberg, fragend sah er sie an. „Wer war Gustav Grafenberg?

    „Er? … Ach, er war mein treusorgender Ehemann. Wobei treusorgend auf viele Arten interpretiert werden kann", fügte sie ironisch leise, vielmehr für sich an, wobei ihr Gustavs ausschweifendes Liebesleben wieder in den Sinn kam, und just in diesem Moment verspürte sie erneut Rachegelüste – diesmal gegen ihren Ehemann.

    Rache, die sie zu seinen Lebzeiten nur gedanklich ausüben durfte, da diese, bevor sie sich zur vollen Blüte entwickeln konnte, schon im Vorfeld durch das diplomatische Geschick ihrer Schwiegermutter heruntergespielt wurde.

    Mittlerweile hatte Greta neben Gustavs Grab ihre Notdurft verrichtet. Eine biologische Regung, die Greta in diesem Moment, Pluspunkte einbrachte.

    „Brav Greta, kam es in Anbetracht der immer noch sehr lebhaften Erinnerung an Gustavs Affären und überhaupt an all das was er ihr angetan hatte, über die Lippen, „hm, offensichtlich ist sie ein sehr sensibles Wesen, das Gedanken lesen kann, ergänzte sie ironisch.

    Henning verstand, grinste übers ganze Gesicht und sagte: „Jaaa das ist meine Charly, so wie ich sie damals liebte."

    Diese Aussage brachte sie nun endgültig auf die Palme. Was erlaubt er sich!

    Mit vorgespieltem Erstaunen fragte sie: „Oh, wir liebten uns? Nein, das kann nicht sein … das, lieber Henning … das wüsste ich!"

    Doch sie wusste, dass es die Wahrheit war. Mit seiner Aussage war alles wieder präsent! Es war als hätte er das Liebesband, das beide einst verbunden hatte, wieder zusammengeführt.

    Ein warmes, kribbelndes Gefühl kroch langsam und beharrlich in ihr hoch.

    Ich muss hier weg, weg von dem Liebesgesäusel und seinen Anspielungen, weg von längst vergangenen Gefühlen, weg von – dann fiel ihr Blick auf Gustavs Grab – auch weg von ihm, weg von all den verletzenden Erinnerungen.

    Nach einer raschen Bekreuzigung des Grabes warf sie den Kopf in den Nacken und eilte Richtung Ausgang.

    Ganz offensichtlich hatte sie nun endgültig Hennings Interesse geweckt, denn er folgte ihr auf dem Fuße und war dabei bemüht die Konversation weiter aufrechtzuerhalten. „Und du, Charly, rief er der Flüchtenden hinterher „du bist also Witwe?, wobei er nochmals, nur um seine Frage bestätigt zu wissen, zurück zum Grab blickte.

    Plötzlich machte sie auf dem Absatz kehrt, sah ihn eindringlich an und sagte: „Bilde dir bloß nicht ein, dass wir unsere alte Liebe wieder auffrischen könnten. Nie und nimmer", anschließend machte sie eine abweisende Geste, um das äußerst sensible Thema, das unaufgefordert ihr Denken und Handeln zu manipulieren versuchte, zu beenden.

    Erstaunt und mit einem spitzbübischen Lächeln antwortete er: „So, so, wir liebten uns also doch!"

    Ihrer eigenen Worte erneut überführt, wandte sie sich abrupt um, sie eilte den Friedhofsweg hinunter und hatte dabei das Gefühl, dass sein Lächeln ihr hinterherlief.

    Von ihrer Empörung nicht im Geringsten beeindruckt, hatte er sich, genüsslich grinsend, an ihre Fersen geheftet.

    Mittlerweile war Charlotte an ihrem Wagen angelangt. Während sie mit zitternder Hand in ihrer Handtasche nach dem Schlüsselbund suchte, konnte sie aus den Augenwinkeln beobachten, wie Henning langsam um ihren Wagen schritt.

    Als er ihn schließlich in aller Ausführlichkeit begutachtet hatte, kommentierte er: „Ahhh … Madame fährt einen Porsche! Respekt, Respekt! Es nicht-glauben-wollend umrundete er nochmals das Luxusgefährt, nickte mehrmals bewundernd mit dem Kopf, schenkte ihr dann einen verführerischen Augenaufschlag und sagte: „Meine kleine Charly ist ja eine richtig gute Partie!

    „Ach Henning", antwortete sie, dabei versuchte sie so gelassen wie nur irgend möglich zu bleiben, „du bist ein unverbesserlicher Macho. Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen, so schlecht kann es mir gar nicht gehen, dass ich dir wieder eine Chance geben würde – und im Übrigen, auch wenn wir uns damals liebten, so war ich nie dein! Niemals", zischte sie.

    Woraufhin er erstaunt die Augenbrauen hochzog und lächelte.

    Es war dieses besondere Lächeln dem man sich, wenn man es einmal erfasst hatte, nicht mehr entziehen konnte.

    Ihre Gefühle ein weiteres Mal bestätigt zog eine leichte Verlegenheitsröte sympathisch über ihr Gesicht.

    Was ihn sichtlich zu amüsieren schien. Breitgrinsend sagte er schließlich: „Warte, ich hab etwas für dich, er griff in seine Jackeninnentasche, zog eine Visitenkarte hervor und überreichte sie ihr mit den Worten: „Hier … nur für alle Fälle.

    Etwas widerwillig, mit spitzen Fingern, nahm sie das Kärtchen entgegen, und als sie es ungeachtet in ihre Tasche stecken wollte, flüsterte er hinter vorgehaltener Hand: „Hey, du darfst sie gerne lesen – es ist gewiss nichts Unanständiges! Im nächsten Moment sah er zur Hundedame und sagte: „Greta komm, wir gehen, erneut glitt sein Blick an ihr herunter, „wir sind der Lady zu gewöhnlich." Anschließend schlenderte er in gemäßigten Schritten davon, wobei Henning bemüht war, das Tempo der alten Hundedame anzupassen.

    Charlotte las die Visitenkarte auf der in großen Lettern stand: HENNING BLEIBTREU der MANN FÜR ALLE FÄLLE! Darunter waren Anschrift und Telefonnummer aufgeführt.

    „Tsss" allein sein Nachname Bleibtreu sprach schon Bände und Mann für alle Fälle, das erinnerte sie an den Henning von damals. Na, ganz offensichtlich hat er seine Vorliebe für die Damenwelt zum Beruf gemacht. Doch dann las sie das Kleingedruckte: Geschickte Hände erledigen Ihre Gartenarbeiten. „Tsss Henning und Gartenarbeit!, grummelte sie vor sich hin, „dass ich nicht lache. Mit Sicherheit ist das nur eine Tarnung und in Wahrheit verdient er sein Geld als Lover-Boy? Wie waren noch seine Worte? Ich wäre eine richtig gute Partie! Beim Einsteigen in den Porsche kam ihr ein Gedankenblitz: Vielleicht war er ja ein Heiratsschwindler! Erst neulich hatte sie in der Tageszeitung einen Bericht darüber gelesen, dass der Friedhof der ideale Platz sei, um einsame und betuchte Witwen kennenzulernen. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, sah ihm nach und dachte, jedenfalls versprüht er noch immer diesen gewissen Charme. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, startete den Motor und ließ den Wagen, bewusst langsam, an ihm vorüberrollen.

    Er fühlte sich sogleich animiert und winkte ihr mit einem bezaubernden Lächeln nach.

    Und plötzlich, sie wusste nicht wie ihr geschah, zogen Bilder, aus längst vergangenen Tagen, an ihr vorüber: ganz deutlich sieht sie, wie er ihr nach jedem Liebesakt einen Kuss gibt und sich bei ihr bedankt. Schmunzelnd dachte sie, ob er noch immer diese perfekte männliche Ausstattung besaß? Ups, jetzt gehst du aber zu weit, ermahnte sie ihr nüchterner Verstand, der ihr auch sogleich den damaligen Trennungsgrund – diese super Blondine, die Brigitte Bardot für Leichtmatrosen – vor Augen führte. Wie war noch gleich ihr Name? „Nein", fluchte sie und stoppte somit den vorbeiziehenden Bilderstrom. Darüber solltest du dir jetzt wirklich nicht den Kopf zerbrechen. Außerdem ist das alles lange vorbei. Kopfschüttelnd schob sie die Nachwirkungen dieses kurzen Gedankentrips beiseite – jedenfalls hatte sie es versucht, doch so einfach war das nicht.

    Während der ganzen Heimfahrt bemerkte sie, wie Henning sich unaufgefordert ein kleines Plätzchen in ihrem Kopf zu erobern versuchte und immer dann, wenn sie ihn verdrängen wollte, kamen neue Details zum Vorschein. Nein, sie wollte nicht mehr an ihn denken und keinesfalls wollte sie an den Herzschmerz, den er ihr damals zugefügt hatte, erinnert werden. Voller Wut drückte sie das Gaspedal einmal voll durch, sodass der Porschemotor vor Wonne aufheulte, sie in den Sportsitz drückte und ihr ein berauschendes Gefühl von Macht, ja Freiheit gab. Leider war diese Befreiungsaktion nur eine Momentsache, denn ein Lichtblitz erinnerte sie an die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Landstraße – zu spät, viel zu spät, denn der Zeiger auf dem Tacho zitterte auf einhundertfünfzig. „Mist, fluchte sie und drosselte sofort das Tempo, das gab sicherlich Fahrverbot. Gustav würde ihr jetzt eine Szene machen, aber die Gewissheit, dass er es nicht mehr tun konnte, ließ sie zufrieden schmunzeln. Auch wenn sie nun die Geschwindigkeit dem Limit der Straßenverkehrsordnung wieder angepasst hatte, so hatte ihre Erinnerung an Henning – ihre erste große Liebe – wieder an Fahrt zugelegt. „Tsss … Henning … Henning … Henning, zischte sie.

    Während der restlichen Autofahrt wurde ihr ganz allmählich bewusst, dass er nicht nur in ihrem Kopf wieder aktiv war, sondern auch heftig an ihre Herzenspforte klopfte.

    Kurze Zeit später parkte sie den Porsche – der zu Gustavs Lebzeiten, neben seinen Affären, zu seinem Lieblingsspielzeug gehörte – in der Garage. Nachdem die Wagentür mit einem sonoren Klack ins Schloss gefallen war, blieb sie einen Moment neben dem sportlichen Gefährt stehen. In Gedanken sieht sie Henning um den Porsche gehen: sie sieht seine bewundernden Blicke über den Wagen gleiten und mit einem Augenzwinkern bei ihr enden.

    „Tsss … gute Partie", zischte sie, dann trat sie einen Schritt zurück und dachte, eigentlich ist der Porsche viel zu groß, zu protzig und in Anbetracht der Tatsache, dass sie gerade eben geblitzt wurde, auch viel zu schnell für sie, außerdem hatte sie immer das Gefühl, dass der Wagen mit ihr fuhr und nicht sie mit ihm. Sie sollte ihn verkaufen. Ja! Entschlossen wandte sie sich von dem Hochgeschwindigkeits-Geschoss ab und ging mit festen Schritten ins Haus.

    „H a l l o … ich bin wieder d a a a!", rief sie in die Eingangshalle was, wie sie jetzt empfand, eine völlig überflüssige Handlung war. In all den Jahren, in denen sie hier lebte, war es ihr zur lieben Gewohnheit geworden, ihr Kommen auf diese Weise anzukündigen und immer kam von ihrer Schwiegermama Frida ein freudiges Hallo zurück, doch seit ihrer Demenzerkrankung schien die Begrüßung in der Halle auf eine verlorene und einsame Welt zu treffen. Für einen Moment hielt Charlotte inne, bewusst ließ sie nun die Umgebung auf sich wirken. Mit einem Male schien ihr alles fremd, das sonst so Vertraute meilenweit entfernt. Irgendetwas war mit ihr geschehen – nur was? War es der endgültige Abschied von Gustav? Hatte der Gedanke an ein neues Leben nun auch ihrem Umfeld ein neues Gesicht verpasst? Oder war es die Begegnung mit Henning? – Nein, auf gar keinen Fall. Eine Frage die sie sofort wieder verdrängte. Erneut ließ sie ihren Blick durch die prunkvolle Eingangshalle schweifen. Meine Güte, wie groß der Eingangsbereich war, alles, das ganze Drumherum war seit Gustavs Tod eigentlich viel zu groß für sie und die achtzigjährige kranke Frida. Mein Gott, die arme Frida! Was wird nur aus ihr? Wenn sie Gustavs Letztem Willen nachgekommen wäre, so wäre Frida schon längst in einem Pflegeheim – nein, korrigierte sie sich, es war eine Seniorenresidenz mit integriertem Pflegeheim – darauf hatte ihr Sohn besonders großen Wert gelegt. Für seine Mutter nur das Beste! Wie auch immer, sie brachte es einfach nicht übers Herz Frida abzuschieben wie einen unbequemen Gegenstand – schließlich hatte sie ihr viel zu verdanken.

    Mitten in ihre Gedankengänge drang unvermittelt Fridas Stimme.

    „Ich hab dich gesehen!", rief sie in singendem Ton. Im nächsten Moment stand Frida neben Charlotte, tippte ihr mit dem Zeigefinger mehrmals auf den

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