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Gefangen auf der Insel vor dem Wind
Gefangen auf der Insel vor dem Wind
Gefangen auf der Insel vor dem Wind
eBook212 Seiten3 Stunden

Gefangen auf der Insel vor dem Wind

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Über dieses E-Book

Die Autorin Ida Winter und ihr Mann Ben haben diesen Urlaub auf der einsamen dänischen Insel in einer Tombola gewonnen. Als eine Sturmflut praktisch alles lahmlegt, findet Ida ein seitenlanges Manuskript, das sie vor langer Weile zu lesen beginnt. Bald sieht es danach aus, als habe die Besitzerin des Hofes ihr eigenes Leben geschildert, das in einem Rache-Verbrechen endet, in dem ihnen eine fise Rolle zugedacht ist. Ida will etwas unternehmen, aber ihr Mann Ben ist anderer Meinung.
Auf ihrer heimlichen Suche findet sie tatsächlich deutliche Anzeichen …
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum27. Dez. 2021
ISBN9783754180037
Gefangen auf der Insel vor dem Wind

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    Buchvorschau

    Gefangen auf der Insel vor dem Wind - Maxi Hill

    PEDERSAND

    Draußen wird es langsam dunkel. Jetzt viel früher als mir lieb ist. Zu dieser Zeit würden die Tiere heimkommen von der Weideinsel. In diesem Jahr kommen sie nicht. Ich müsste Mads beim Überholen helfen, aber er kann nicht riskieren, dass ich einen Fuß von der Insel setze.

    Der Wind heult ums Haus und schlägt die Stalltür auf und zu, was Mads völlig kalt lässt. Die letzten Blätter der Kastanie tanzen wie volltrunken vor den Fenstern und wirbeln unter den Dachfirst, wo sie sich im Reet verfangen. Dieses Wetter treibt Mensch wie auch Tier zurück zwischen schützende Wände.

    Was für ein Leben? Kein Leben! Nur ein ständiges Warten. Worauf?

    Seit Kurzem weiß ich, worauf ich warte. Endlich. Und es lohnt sogar, den richtigen Moment selbst zu zelebrieren. Er wird kommen, dieser passende Moment. Und dann? Dann ist nichts mehr wie es war, all die Jahre hier in der Einsamkeit von Pedersand, dem Eiland, das seit Generationen den Pedersens gehört.

    Ich habe mich im letzten Herbst und im Winter jeden Tag aufs Neue auf den Abend gefreut, wenn ich am Tisch sitzen und mir meinen Frust von der Seele schreiben konnte, von dem Mads nichts ahnt, nie geahnt hat. Es gibt solche Menschen, die rein gar nichts verstehen, nichts verstehen wollen von den Dingen, die in uns liegen. Was Mads nicht sieht oder hört, das ist nicht.

    Er ist so durchschnittlich. Durchschnittlich schlecht, wie auch durchschnittlich gut. Aber er tut nichts dafür, das Gute zu pflegen. Könnte er seinen Verstand auf die inneren Werte eines anderen Menschen ausrichten, wenigstens auf den einzigen Menschen, den er hat — mich —wäre die Welt eine andere. Er ist der Mann, und der Mann hat seit Generationen das Sagen, da können die Feministinnen Kriege anzetteln, wie sie wollen. Das bleibt so bis in alle Ewigkeit.

    Nicht auf Pedersand. Nicht mehr lange, mein lieber Mads. Nicht mehr lange.

    Seit ich mein Werk fast vollendet und minutiös durchexerziert habe, weiß ich genau, wie es mit uns weitergehen kann. Und es wird genauso weitergehen, wie es auf dem Papier steht. Das alles hätte längst passieren sollen, aber der Sommer hatte mich abgehalten, mein Werk in die Tat umzusetzen. Zuerst wollte ich noch, dass alles glimpflich ausgeht — für Mads. Ich dachte: Für die Heimkehr der Tiere braucht er mich. Zugleich wusste ich auch: Wenn meine Flucht von hier nicht klappen sollte, sieht es schlecht für mich aus. Die zweite Idee, war: Ich muss ihn überzeugen, das Boot zu Wasser zu lassen, das er bewacht wie den Schatz von Fort Knox. Einen guten Grund dafür zu finden, den er mir auch abnimmt, ist nicht leicht, aber was ist noch leicht für eine wie mich?

    Es ist ruhig wie zuletzt immer hier im Haus auf Pedersand. Zu ruhig. Ich schlage die dicht beschriebenen Seiten zu. Ein beachtlicher Stapel, den mein Leben hergab. Das Beste ist, ich konnte bei der Wahrheit bleiben, auch wenn sie hart ist und weh tut. Mads wird das Papier nicht anrühren. Seine Fantasie bewegt sich in exakt den Grenzen der verhassten Insel, auf der er mich gefangen hält. Niemand wird mein Werk anrühren, weil auf diesem öden Eiland keine Menschenseele mehr lebt, die lange Texte liest. Keine, seit Eltje unter der Erde liegt…

    Mads sitzt seelenruhig im alten Lehnstuhl, in dem seine Mutter Eltje so gerne gesessen hatte, als sie krank wurde und uns bald verlassen musste. Danach beanspruchte sein Vater Villads den Platz, und jetzt ist es Mads. Sein Kopf lehnt auf dem speckigen Polster, er döst nur noch dahin. Nicht einmal das ebenso öde Fernsehprogramm fesselt seine verkümmerten grauen Zellen. Kann es auch nicht bei dieser miesen Auswahl. Nur noch Krimis und Liebesfilme in allen Schattierungen. Die Höhepunkte: Geld oder Liebe und die ewigen Wiederholungen der holländischen Heiratsshow, die ohnehin gestellt daherkommt.

    Wenn die Arbeit getan ist, könnte Mads doch ein Buch lesen. Das habe ich ihm tausendmal vorgekaut. Und ich habe mich tausendmal erregt, wenn er abschätzig wurde und das Bücherlesen als Zeitverschwendung abtat. Bei uns zuhause — meine Heimat gibt es nicht mehr — wurde immerzu gelesen. Jeden Abend kam einer der Eltern in unser Zimmer und las uns eine Geschichte vor. Später prügelten wir drei Geschwister uns um den begehrten Lesestoff, den es in der Ausleihe gab — gratis, wohlgemerkt. In meiner Heimat gab es vieles gratis oder für wenige Groschen.

    Mein Fünf-Pfennig-Brötchen-Land, deine Bürger haben nichts geachtet, den größten Vorteil nicht. Dieser Vorteil hat die Heimat kaputtgemacht, genau wie der größte Nachteil sie letztlich zu Fall brachte. Wer wüsste das besser als ich, eine Verführte aus dem untergegangenen Land. Damals, da wusste ich nichts von alldem, aber die Erinnerung ist immer richtig. Die Heimat liegt einem so tief im Herzen, dass man daran krank werden kann, wenn man sie verloren hat. Ich habe sie verloren, und ich trage daran die Schuld. Nur daran. Nicht daran, was in den Jahren hier im fremden Land, hier auf dieser gottverlassenen Insel, hier mit Mads und mit seinem Vater Villads, mit dem ständigen Wind und der latenten Angst vor der Flut aus mir geworden ist.

    Das alles und noch viel mehr steht jetzt schwarz auf weiß auf beinahe dreihundert Seiten. Ob es mir hilft, mit mir selbst ins Reine zu kommen, wenn geschehen ist, was geschehen muss, das weiß keiner. Ich kenne ein gutes Versteck für Papier, aber ich werde es nicht brauchen. Mads hat keinen Sinn für Lesestoff. Wenn er etwas kann, dann ist es, den Tieren und mir seinen Willen aufzuzwingen.

    Nicht mehr lange mein Freund. Nicht mehr lange…

    Ich werde es tun. Bald. Mein Plan ist gut und er verspricht viel. Auf dieses Eiland wird es ohnehin nie wieder einen Menschen verschlagen. Nie wieder. Darin hat Mads — darin hatte schon sein Vater Villads — vermutlich Recht. Das Klima leidet, und die Vadehavsoer, wie man hierzulande sagt, werden verschwinden. Alle. Und Mads‘ Überreste werden mit Pedersand untergehen.

    Ich werde mir jetzt einen Cognac genehmigen und dann zu Bett gehen. Wir schlafen getrennt. Nur wenn Mads betrunken ist und nicht mehr weiß, wie es zwischen uns steht, kommt er angekrochen. Bisweilen schlägt er dann mit der Tür und stampft siegessicher auf. Dann macht er nicht lange Federlesen.

    Ein Cognac reicht nicht. Gleich wird er mich missbilligend anschauen und ich werde schadenfroh zurückgrinsen. Warte nur ab, du wirst dich noch wundern.

    Was also macht es aus, wenn ich seinen Cognac leere. Er braucht ihn bald nicht mehr…

    Wenn geschehen sein wird, was geschehen muss, werde ich sein Boot bei Flut hinaus aufs Meer steuern und dort wie herrenlos treiben lassen. Ich werde jammern, wenn jemand kommt und es zurückbringt. Ich werde zetern, er sei ertrunken. Ihn aber werde ich hier auf dieser einsamen Insel, auf der niemals wieder einer leben möchte, in Tiefschlaf bringen, ihn ersticken und anschließend vergraben. Und niemand wird es je erfahren…

    Aber was, wenn er das Boot nicht zum Ufer bugsiert, weil er nie mehr etwas zu meinem Gefallen gemacht hat in letzter Zeit. Nie mehr.

    Ich grabe meine verschüttete Intelligenz heraus, die mit den Jahren soweit gediehen ist, dass sie neue Zweifel gesät hat: Was, wenn jemand Lunte riecht, wenn sie mit Spürhunden kommen…?

    Verflucht sei das Boot. Besser wäre gleich die Jauchengrube, in die steckt kein Hund seine Nase, und Spuren hinterlässt eine Leiche auch nicht…

    EINE OSTDEUTSCHE STADT – IM MAI 2008

    Die Schatten auf der Veranda werden länger. Doktor Benjamin Winter sitzt in die Zeitung vertieft mit dem Rücken zu seiner Frau Ida. Vermutlich war es ihm heute in der UNI nicht geglückt, sein Tagesblatt zu lesen.

    Ida läuft in der Küche hin und her, setzt Wasser für den Tee auf und garniert Wurst, Schinken und Käse auf eine Platte. Obwohl sie beide ganz verschiedene Bedürfnisse haben, hält sie verbissen an den alten Ritualen fest. Früher mit den Kindern haben sie stets zur selben Zeit gegessen, und es waren angenehme Minuten zu viert am Tisch mit liebvollen Gesprächen über den Tag eines jeden. Heute erfährt sie kaum noch etwas davon, wie Bens Tag verlaufen ist, und ihn interessiert es nicht, wie ihr Tag war. Vermutlich bringen das Alter und die Gewohnheit mit sich, dass man gleichgültig wird. Womöglich hat er nicht mehr Fantasie, als zu glauben, sie sitzt ohnehin nur stundenlang am Computer und schreibt. Es interessiert ihn nicht, was dazu gehört, einen Roman zu veröffentlichen.

    Sie fragt sich seit Langem, wann sich diese Gleichgültigkeit zwischen sie geschoben hat. Sie hat in der Regel eine gute Wahrnehmung, mitunter eine viel zu gute, als dass sie das Leben kaltlassen könnte. Es kann nur so schleichend geschehen sein, dass auch sie es nicht gespürt hat — jedenfalls nicht sofort. Als es ihr dann bewusst geworden ist, beschloss sie, wenigstens die guten alte Rituale nicht zu vernachlässigen, ihrer Ehe zuliebe. Auch wenn daraus keine neue Leidenschaft erwächst, sie wird ihren Teil Verantwortung leben, so deprimierend es auch ist, wenn der Partner nie Anteil am Erfolg wie auch am Misserfolg nimmt. Immerhin gab es einmal die übergroße Liebe. Diesen Teil von sich, von ihrem Leben, will sie nicht verlieren. Man verliert in dieser Zeit schon viel zu viel an Werten, die mal etwas bedeutet haben. Die Zeiten werden immer feindseliger, fast bedrohlich. Vermutlich steht davon wieder allerhand in der Zeitung, weshalb sich Ben nicht losreißen kann, obwohl sie schon lange mit dem Geschirr klappert.

    Ihr Blick fällt auf die Zeitung vor Bens Brust. Er hat seinem Stuhl eine leichte Drehung gegeben, vermutlich, um die letzten Sonnenstrahlen noch auszunutzen. Über die Blätter hinweg spürt sie seinen Blick, der sofort verschwindet, sobald ihre Augen ihn finden.

    Der Wasserkessel sprudelt über. Sie gießt das heiße Wasser über die Teebeutel in zwei Gläser — sie trinken seit Jahren verschiedene Teesorten, genau wie sie verschiedene Sorten Kaffee bevorzugen. Ben tritt fast lautlos ins Zimmer. Schwungvoll landet die Zeitung auf dem Wohnzimmertisch.

    »Der Artikel steht drin«, sagt er und setzt sich auf seinen Essplatz. Fast gelangweilt wandert sein Blick über Teller und Platten. Beinahe mechanisch schiebt er das Schälchen gemischten Salat beiseite. Sie weiß, dass er kein Grünzeug mag, aber sie achtet seit Jahren darauf, dass er genug Vitamine und wichtige Ballaststoffe zu sich nimmt.

    »Hat sie ganz gut geschrieben.« Ben räuspert sich umständlich, was bei ihm heißt, er habe es noch vergessen zu erwähnen.

    Ida schaut ihn an, fragend, aber sie fragt nicht mehr. Wenn er ihr etwas erzählen will, soll er es tun, ohne dass sie ihn dazu auffordert. Es ist ohnehin besser, wenn sie die große Politik unerwähnt lassen. Sie ändern daran nichts, reiben sich nur auf. Erst recht, seitdem ihr Sohn bisweilen mit ziemlich verqueren Einstellungen bei ihnen aufkreuzt und damit die Familienidylle erheblich stört.

    »Woher kanntest du eigentlich die Geschichte um diesen …, der der Euthanasie zum Opfer gefallen ist? «

    »Wie? Ich meine, woher weißt du…?«

    Ben hat seit Jahren keines ihrer Bücher mehr gelesen. Seine Argumente sind zwiespältig. Zum Teil leuchten sie ein, zum Teil klingen sie wie Ausreden.

    »Der Artikel«, sagt er mit einer Spur von Vorwurf und dreht seinen Kopf wie beiläufig zur Zeitung hin.

    »Ach«, sagt sie. »Ist er heute drin?«

    »Eigentlich kannst du zufrieden sein. Die Dame schreibt doch sehr wohlwollend.«

    »Okay. Ich lese ihn nachher. Jetzt essen wir erst einmal in Ruhe. «

    Wiedermal gibt sie die Gelassene, die gute Hausfrau, die so tut, als gebe es nichts Wichtigeres für sie als sein Wohl, bestenfalls beider Wohl. In Wahrheit brennt sie darauf, zu lesen, was die Presse schreibt.

    Solange sie isst, denkt sie darüber nach, warum sich das Leben immer wiederholt und warum sie nichts dagegen tun kann. …hat sie gut geschrieben…kannst du zufrieden sein.

    Diese Worte fliegen durch ihren Kopf und finden keinen Widerhall. Warum kann er alle Menschen richtig einschätzen, nur für sie findet er nie die passenden Worte. Wie schön wäre es gewesen, er hätte nur ein Wort geändert. Hast du gut gemacht.

    Dafür hätte er leider das Buch erst einmal lesen müssen.

    In den ersten Jahren ihrer Autorenkarriere war sie bisweilen frustriert, weil sie den Eindruck hatte, von ihm alleingelassen zu werden. Unterbewertet. Aber es lag noch der Glaube in ihr, dass sich daran etwas ändern würde, sobald sie erfolgreich sei. Sie hatte sich geirrt. Später wollte sie ihn nichtmehr darum bitten, eines der Bücher mal zu testen, bevor es veröffentlicht wird. Was man erzwungenermaßen tut, wird mit gleicher Münze bezahlt. Das wollte sie sich ersparen. Also legt sie lediglich jedes fertige Buch offen im Arbeitszimmer hin, lässt es zwei Tage liegen und legt es dann, zumeist von ihm unberührt, in den Schrank. Umso berührter ist sie an diesen Tagen in ihrem Gemüt. Bisweilen denkt sie, sie könnte den erfolgreichsten Bestseller landen, ohne ein Wort von ihm zu hören. Kein Wunder, dass ihr dabei selbst die Puste ausgegangen ist und sie sich im Selbstmitleid lange Zeit gut gefiel. Ist es verwunderlich, dass sich eine lange unterdrückte Enttäuschung bei der ersten Lappalie entlädt, was auch mal in einem handfesten Streit endet?

    Leider tut es ihr danach nie so gut wie erhofft, wenn sie sich selbst versichert, dass sie es mit Ben schlechter getroffen hat, als alle Welt glaubt. Immerhin gelten sie nach außen als unzertrennliches Paar, liebevoll und umsichtig füreinander. Am deutlichsten hören sie diese Meinung von ihrem Bankberater, einem freundlichen, aber sehr redseligen jungen Mann, der es geschickt versteht, aus seinen Kunden heraus zu kitzeln, wohin sie ihr erspartes Geld zu tragen gedenken. Eine bessere Marktforschungsmaschine kennt Ida Winter kaum. Morgen schon steht bei diesem Jens Wegener ein Termin an.

    IN DER BANK

    Erst vor wenigen Jahren war das Bankgebäude inmitten der Stadt errichtet worden, schon ist es als Prestigeobjekt zu klein und man muss noch einen Flügel anbauen. Wie günstig, dass der Laden nebenan, der lange Zeit Farben, Lacke und allerlei Sortimente für die Renovierung von Wohnungen verkaufte, schließen musste. Ein nachfolgendes Matratzengeschäft überlebte ebenso nicht und schloss schließlich auch, weil das schäbige Gebäude saniert werde sollte. Im Handumdrehen gehörte es zur Bank. Inzwischen ist das triste Gemäuer mit der bröckelnden Fassade nicht mehr erkennbar hinter dem teuren Marmor zwischen den großen, blau schimmernden Fensterfronten.

    »Schön war es ja wirklich nicht«, flüstert Ida Ben zu, als sie in der kleinen Sesselgruppe vor einem riesigen Fernsehbildschirm sitzen und auf Jens Wegener warten, ihren Bankberater. Idas Blick geht zum neuen Innenhof zwischen den Gebäudeflügeln, der mit plätschernden Springbrunnen und edlen Gehölzen ebenso edel anmutet wie alles hier. Der feine Regen glitzert auf dem Marmorbrunnen und den teuren Bodenplatten und lässt alles wie blank poliert erscheinen. Auch Ben schaut in dieselbe Richtung.

    »Jeder denkt, die Banken sind für die Rettung der Unternehmen da. Hier rettet man offenbar lieber sein Prestige.«

    Sie erwartet von Ben keine Antwort. Eigentlich spricht sie viel zu oft mit sich selbst. In der Nähe von Menschen, die Ben nicht einschätzen kann, spricht er nur selten und wenn, dann sehr leise. Vielleicht ist das ein Erbe aus jener Zeit, als man noch fürchten musste, wegen eines falschen Zungenschlags in Misskredit zu rutschen.

    Solange sie still nebeneinander sitzen, geht es ihr durch den Kopf: Sie gehen jedes Jahr hierher. Noch nie hatte sie — auch nicht in ihrem Inneren — den Bau in seiner Vollkommenheit einer Verkommenheit gleichgesetzt, aber die Zeiten wollen nicht, dass man sie gutheißt. Ben muss ähnliches durch den Kopf gehen, wie sie vernimmt.

    »Schau es dir nur gut an, damit du weißt, wo dein Geld steckt«, sagt er leise. Vermutlich hatte er ihren Blick verfolgt. »Bei diesen Investitionen werden für uns wohl bald Minuszinsen herauskommen.«

    »Wenn er uns das anbietet, lege ich mein Geld in den Safe«, entfährt es Ida ein wenig lauter als gewünscht. Ein kleiner Stich durchfährt sie. Mein Geld, hatte sie gesagt. Mein Geld. Natürlich haben sie ein gemeinsames Konto und das ist der bedeutende Unterschied zu ihrer Art, Tee zu kochen oder Kaffee zu trinken. Die wirklich hochgradigen Dinge verstehen sich noch immer als ihre gemeinsamen. Dazu

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