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Katastrophen
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eBook184 Seiten2 Stunden

Katastrophen

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Über dieses E-Book

Wolf Strickmann – ein desillusionierter Einzelgänger Ende 40, der sein Geld als Kurierfahrer verdient und als Single im Dreiländereck Deutschland/Frankreich/ Schweiz lebt – hilft einer Freundin, eine Bekannte zu suchen, die vor zehn Jahren ihr Elternhaus verlassen hat und auf Trebe gegangen ist. Ein Besuch bei deren Mutter liefert mit einem Gruppenfoto erste Anhaltspunkte für die Suche. Als die Personen auf diesem Foto eine nach der anderen ermordet werden, gelingt es schließlich, Bernhard Hausler, den Hauptverdächtigen, zu stellen. Der Besuch bei ihm endet aber in einem Blutbad und bei einem kurzen Urlaub in Südfrankreich wird seine neue Freundin erschossen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Apr. 2021
ISBN9783753186030
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    Buchvorschau

    Katastrophen - Rolf Obergfell

    1 Rückkehr von Marseille

    Ein führerloses Boot signalisiert Gefahr, vor allem wenn es einen Fluss hinuntertreibt und sich dabei um sich selbst dreht. Es ist außer Kontrolle und fällt jedem auf, der das Leben am Wasser kennt. Wolf Strickmann erging es nicht anders, obwohl er von einer Fahrt nach Marseille zurückkam und deshalb müde war und nur wenig aufmerksam. Er hatte bei seinem Basler Auftraggeber gerade die Formalitäten der Fahrt erledigt und beeilte sich nun, über die Mittlere Brücke zu seinem Wagen im Oberen Rheinweg zu kommen. Die dunklen Wolken im Westen verhießen nichts Gutes, in wenigen Minuten würde der leichte Sommerregen an Kraft gewinnen. Bis dahin wollte er geschützt in seinem Wagen sitzen. Als der herrenlose Kahn näherkam, konnte er deutlich erkennen, dass das Boot leck geschlagen sein musste, denn das Heck hing schwer im Wasser. Unmittelbar vor der Brücke war dann ein weiblicher Körper zu sehen, der stark blutete. Die Decke, die darübergelegt war, ließ nur den Kopf frei und war von der Hüfte an vollgesogen mit Blut.

    Strickmann wechselte auf die flussabwärts gelegene Brückenseite. Während er wartete, bis der Weidling¹ wieder zu sehen war, machte er sein Handy bereit. Sobald das Boot unter der Brücke hervorkam, nahm er eine Videosequenz auf und versuchte außerdem, so viele Details wie möglich direkt zu erfassen. Die Frau in dem Boot lag auf dem Rücken, ihr Gesicht war blutleer. Der Körper wirkte leblos, der Kopf seltsam verdreht – kein gutes Zeichen, falls jemand zugeschlagen hatte. Über ihren Körper war eine Decke gebreitet, auf der sich die Umrisse eines länglichen Gegenstandes abzeichneten – vielleicht eine Machete oder sonst ein langes Messer. Bevor Strickmann realisieren konnte, was geschah, versank das Heck mit einem Gurgeln. Dabei rutschte die Decke nach unten und gab die Sicht auf ein gelbes T-Shirt und den Oberkörper frei. Nach wenigen Sekunden war das Boot vollständig verschwunden und der Fluss wieder friedlich, wie wenn Strickmann eine Fata Morgana gesehen hätte.

    Er schaute sich um. Keiner der wenigen Fußgänger verhielt sich auffällig: Offensichtlich war der versinkende Weidling außer ihm niemandem aufgefallen. Obwohl er Mühe hatte sich wach zu halten, rief er die 112 an, um die Polizei zu informieren. Die war aber schon längst alarmiert und hatte die Rettungsmaschinerie angeworfen, wollte lediglich seine Anschrift für eventuelle Rückfragen. Strickmann wusste, was das bedeutete: Innerhalb kürzester Zeit würden der rote Feuerwehrschlepper erscheinen, eine Gruppe professioneller Taucher der Wasserrettung und ein oder zwei Helikopter mit speziellen Suchscheinwerfern. Sie würden Schlauchboote aus grauem Gummi einsetzen, wie sie sie beim Schweizer Militär verwenden, und Weidlinge aus Aluminiumblech, dazu lange Stangen aus Holz, mit denen sie im ganzen Fluss herumstochern konnten. Schließlich würde noch ein Boot der Polizei kommen. Aber trotz des stundenlangen Aufwandes, den die Basler üblicherweise betreiben, standen die Chancen schlecht: Je nach Wasserstand war der Rhein an dieser Stelle zwischen fünf und acht Meter tief und hatte an diesem Tag eine beträchtliche Strömung.

    Im Gegensatz zu den vielen Gaffern, die den technischen Aufwand bestaunten und den Nervenkitzel genossen, würde er zuerst einmal nach Hause fahren und schlafen. Er rechnete nicht damit, dass die Suchaktion Erfolg haben würde und für eine Schwerverletzte käme eh jede Hilfe zu spät.

    Wie sich später herausstellte, stieg etwa zur selben Zeit in Lörrach ein junger Mann an der Haltestelle beim Röttler Schloss aus dem öffentlichen Bus und ging die Straße zur Ruine hinauf.

    Die Burgruine Rötteln – heute ein Wahrzeichen der Stadt und von den Einheimischen Röttler Schloss genannt – wurde um 1100 erbaut und unter Ludwig XIV. 1678 zerstört. Der Fußgänger, der unterwegs zur Ruine war, machte aber nicht den Eindruck, als ob ihn das interessierte. Er schaute weder rechts noch links und hielt den Kopf gesenkt. Offensichtlich nahm er auch den Geruch von gegrilltem Fleisch nicht wahr, der von einer Gartenparty zu ihm herüberwehte. Die Musik und die Bierfröhlichkeit der Gäste prallten an ihm ab, ihre Sprüche und ihr Lachen erreichten ihn nicht. Die Schrebergärtner ihrerseits bemerkten nicht, dass der junge Mann seltsam gekleidet war für einen lauen Sommerabend: Er trug eine dicke, dunkle Daunenjacke, hatte sich die Kapuze über den Kopf gezogen und seine Augen hinter einer Sonnenbrille versteckt. Bekleidet war er außerdem mit einer leichten Stoffhose und billigen Schuhen aus Leinen, wie sie in jedem Kaufhaus zu haben sind. Auffälliger waren da schon eine wollene Mütze und selbstgestrickte Fäustlinge, die ebenfalls nicht richtig in die Jahreszeit passten. Der schwarze Rucksack, den er bei sich trug, war prall gefüllt und offensichtlich schwer, denn er ging langsam und vornübergebeugt.

    Er war völlig anonym: Niemand konnte ihn erkennen oder gar der Polizei Angaben machen, um ein Phantombild zu erstellen. Als diese seltsame Gestalt auf die Zurufe der feiernden Anwohner nicht reagierte, sich auch nicht zu einer Grillwurst einladen ließ, wandten sie sich anderen Dingen zu. Es gab genug Interessantes:

    Die Musik dröhnte laut und stampfend, Steaks und Würste waren reichlich vorhanden und die Salate, die die Gäste mitgebracht hatten, vom Feinsten. Die Stimmung war überschwänglich, ihr Bierfass gerade erst angestochen. Die Party war in vollem Gange und es würde eine lange Nacht werden.

    Der Fußgänger ging unbeirrt seines Weges die Steigung zur Ruine hinauf, wie ein programmierter Roboter. Nicht einmal die Wolken, die am Himmel aufzogen, hatten etwas zu tun mit ihm. Seine dicke Kleidung trieb ihm den Schweiß ins Gesicht. Auch die Intimgeräusche aus der einen oder anderen Erdgeschosswohnung reichten nicht bis zu ihm, er trug Kopfhörer. Wenn er sie wahrgenommen hätte, hätte ihn auch das nicht interessiert, so etwas berührte ihn nicht mehr.

    Trotz seines seltsamen Äußeren fiel er niemandem weiter auf – oben am Schloss treffen sich oft Gruppen junger Leute, auch nachts. Als er nur noch ein paar Meter vom Parkplatz an der Burg entfernt war, bemerkte er im letzten Licht das drohende Unwetter und ging etwas schneller. Wind und Regen konnte er jetzt nicht gebrauchen. Über die alte hölzerne Zugbrücke erreichte er den Eingang. Er wusste, dass dort ein Bewegungsmelder angebracht war, mit dem ein lautloser Alarm ausgelöst würde. Sobald er den massiven Zaun aus Stahldraht überwunden hatte, musste er sich beeilen, denn in wenigen Minuten würden die ersten Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes auftauchen. Sein Weg führte ihn vorbei an der Zisterne und dem Burgfried im oberen Teil. Auf dieser Ebene befindet sich ein kleiner Raum, dessen Fensteröffnung nach Westen zeigt und durch ein Absperrgitter gesichert ist. Dort holte er eine Flasche Strohrum² aus seinem Rucksack, nahm ein paar große Schlucke, rang nach Atem und schüttelte sich. Dann blickte er durch die alte Fensteröffnung an der Mauer hinunter. Mit dem, was er sah, war er zufrieden: An ihrem Fuß verläuft ein schmaler Streifen Gras, direkt dahinter befindet sich ein Geröllfeld mit scharfkantigen Steinen. Die Sprunghöhe entspricht ungefähr dem vierten Stock.

    Während er immer wieder mit deutlichem Widerwillen große Schlucke Rum hinunterwürgte, las er noch einmal den Text durch, den er zu Hause auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. Schließlich setzte er das Datum und seinen Namen darunter und versuchte, das Blatt zu den anderen Papieren in eine Prospekthülle zu schieben. Das gelang ihm nicht sofort – er hatte den ganzen Tag nichts gegessen und der Alkohol wirkte bereits. Nun steckte er die Plastikhülle zusammen mit seinem Ausweis in eine Innentasche seiner Jacke, nahm eine der dünnwandigen Glasflaschen aus dem Rucksack und stellte sie griffbereit auf die Umfassungsmauer. Nachdem er seine Jacke ausgezogen, sorgfältig zusammengefaltet und ebenfalls auf die Mauer gelegt hatte, schulterte er den Rucksack vor seiner Brust, öffnete den Reißverschluss ein bisschen und übergoss sich mit der bräunlichen Flüssigkeit aus der Flasche. Noch ein letzter Blick nach Westen, wo sich in der Weite ein wolkenverhangener Horizont erstreckte. Nach kurzem Zögern überwand er das Fenstergitter, riss ein Streichholz an und sprang mit einem Schrei als lebende Fackel ins Nichts. Beim Aufprall unten auf den Steinen zerbarsten die Glasbehälter in seinem Rucksack. Das Benzin darin tränkte seine Kleidung und spritzte in alle Richtungen. Der entstehende Feuerball und die damit verbundene Explosion waren so gewaltig, dass nicht nur die inzwischen eingetroffenen Sicherheitsleute aufmerksam wurden, sondern selbst die Partygäste im angrenzenden Wohngebiet Verdacht schöpften und Alarm schlugen. Aber der enorme Aufwand von Polizei und Feuerwehr kam zu spät: Dass das Feuer schnell gelöscht werden konnte, spielte keine Rolle mehr, der Mann war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Der niedergehende Regen löschte die letzten Glutreste, der Rettungswagen fuhr ohne Blaulicht zurück, leer.

    2 Nellie Nashorn

    Als Strickmann nach ein paar Stunden Schlaf kurz nach Mitternacht ins Nellie Nashorn kommt, spielt kein Kind mehr im großen Sandkasten vor dem Haus, die beiden hölzernen Nashörner stehen einsam in der Nacht, groß und massig, wissen nicht, wen sie bewachen sollen.

    Das Nellie ist eine der wenigen Szenekneipen in Lörrach. Betrieben wird sie von einem iranischen Paar, das schon seit 20 Jahren in der Stadt lebt und gut Deutsch spricht. Es ist Teil eines Kulturzentrums mit einem Theater und einem Freien Kino in einer Gruppe von Fachwerkhäusern, deren dunkelbraune Balken mit roten Backsteinen ausgemauert sind. Die Vorstellungen sind um diese Nachtzeit längst vorbei und es würde kein Problem sein, einen freien Sitzplatz zu finden. Auf den ersten Blick ist alles wie immer.

    Im Innern hängt über der Eingangstür der überlebensgroße Kopf eines Nashorns aus Pappmaché, wuchtig, bedrohlich, überzogen mit einer goldenen Rettungsfolie. Als Strickmann ihn zum ersten Mal sah, erinnerte er ihn sofort an Ionescos Nashörner, Symbol für eine alles überrollende Gewalt, die plötzlich aus dem Nichts auftaucht, der man hilflos ausgeliefert ist. Gerade jetzt kann er solche aggressiven Assoziationen nicht vermeiden: Vor ein paar Stunden war auch über die Frau im Weidling eine solche Welle der Gewalt hinweggefegt und hatte sie das Leben gekostet.

    Die Gäste sitzen an zwei Dutzend kleiner Tische auf einfachen Holzstühlen und reden miteinander. Man hört Geschichten, Gelächter, Geklapper von Geschirr. Im Winter spielen tagsüber Kinder mit Bauklötzen oder Eltern lesen ihnen vor, im Sommer sind sie draußen im Sandkasten. Manche Stammgäste haben eigene Sitzkissen mitgebracht. Nirgendwo in der Stadt kann man mehr selbstgestrickte Kleidung sehen, lila Latzhosen oder Rastalocken. Die Wände leuchten in Anthroposophengelb, der Fußboden besteht aus alten Bohlen, durch die vielen Gäste im Laufe der Jahre längst blank gescheuert. Gegenüber dem Eingang steht ein kleiner Tisch mit schwarzen Thermoskannen für Kaffee und heißes Wasser, dazu verschiedene Sorten Teeblätter in silberfarbenen Büchsen: Pai Mu Tan oder Vervenne, die Strickmann nicht einmal dem Namen nach kennt, oder südafrikanischer Rooibos, durch Fermentierung rot gefärbt und koffeinfrei. Hier stehen sie zusammen mit einem Schild, dass diese Getränke nicht berechnet würden und man so viel trinken dürfe, wie man möchte. Natürlich gibt es auch Besteck, Tassen und Teeschalen, frische Milch vom Bauern. Die Spielzeugkiste am Boden daneben ist zu dieser Tageszeit randvoll und unberührt. Im Wandregal darüber liegen mehrere Tageszeitungen aus sowie die gängigen alternativen Blättchen. Über allem thronen eine alte Bahnhofsuhr, die immer eine gute Viertelstunde vorgeht, und ein Kronleuchter, an dem einige Tropfen aus Glas fehlen und die eine oder andere Kerze schräg steht. Ebenfalls unverzichtbar ist die Hintergrundmusik. Das Programm wird am Schwarzen Brett ausgehängt und manche Gäste kommen nur deswegen. Sie wollen wieder einmal zusammen mit Freunden Jazz hören oder Songs aus ihrer Jugendzeit, auch einzelne Interpreten, die im Radio nicht so oft gespielt werden. An diesem Tag gab es Folk: die naivpathetische Joan Baez, Peter, Paul and Mary, und Donovan versuchte immer noch, den Wind einzufangen³.

    Trotzdem fühlt sich Strickmann hier wohl, wenn es auch einen Umstand gibt, der ihn immer wieder nachdenklich werden lässt: Alle Gäste kommen mit Freunden, wer allein da ist, wartet auf jemanden, mit dem er sich verabredet hat. Strickmann kennt zwar die meisten und viele kennen ihn, aber er fühlt sich keiner Gruppe zugehörig. Oft ist er ganz froh darüber, aber es gibt auch Situationen, in denen seine Einsamkeit bedrückend wird und seine Brust eng.

    Nachdem er am Tresen sein Bier bekommen hat, spricht ihn eine sorgfältig zurechtgemachte Frau an, sie habe einen Job für ihn. Er lehnt ab und als sie sich nicht abwendet, wird er laut. Dadurch fühlen sich die Gäste gestört und sofort drehen sich einige Köpfe in seine Richtung. Das genügt und die Frau verschwindet. Dann sieht er Sara, eine frühere Nachbarin, allein an einem Tisch. Sie sieht nicht gut aus, hat ein paar Kilogramm abgenommen und wirkt jetzt extrem schlank, fast schon schmächtig, zu dünn für eine Frau von Ende 20. Ihre Jeans sind zerschlissen, die blonden Haare strähnig und fettig. An manchen Fingern ist der rote Nagellack abgesplittert, ihr T-Shirt ist zwar sauber, aber zerknittert und am Hals ausgeleiert. Strickmann ist überrascht: also doch

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