Gedichte in Prosa
Von Iwan Turgenev
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Buchvorschau
Gedichte in Prosa - Iwan Turgenev
LUNATA
Gedichte in Prosa
Iwan Turgenev
Gedichte in Prosa
© 1852 Iwan Turgenev
Originaltitel Stichotvorenija v proze
Aus dem Russischen von Th. Commichau
Umschlagbild Thomas Gainsborough
© Lunata Berlin 2021
Inhalt
Das Dorf
Ein Zwiegespräch
Die Alte
Der Hund
Der Widersacher
Der Bettler
Erfahren wirst du noch, wie Toren richten ...
Ein Zufriedener
Eine Lebensregel
Das Ende der Welt
Mascha
Der Dummkopf
Eine Legende des Morgenlandes
Zwei Vierzeiler
Der Sperling
Die Totenschädel
Die Tagelöhner und der Weißhändige
Die Rose
Letztes Wiedersehen
Ein Besuch
Necessitas – Vis – Libertas
Das Almosen
Das Insekt
Die Kohlsuppe
Die Gefilde der Seligen
Zwei Reiche
Der Greis
Der Berichterstatter
Zwei Brüder
Dem Andenken an Fräulein J. P. Wrewskaja
Der Egoist
Das Fest beim höchsten Wesen
Die Sphinx
Die Nymphen
Freund und Feind
Christus
Der Stein
Die Tauben
Morgen! Morgen!
Die Natur
Hängt ihn!
Was ich wohl denken werde
Wie frisch und duftig waren doch die Rosen ...
Eine Seefahrt
N. N
Halt inne!
Der Mönch
Noch wollen wir kämpfen!
Das Gebet
Die russische Sprache
Das Dorf
Der letzte Tag im Juli; auf tausend Werst im Umkreise rings Rußland – der heimatliche Boden. Der ganze Himmel strahlt in einfarbigem Blau; droben ein einzelnes Wölkchen – halb schwimmend, halb zerfließend. Windesstille, brütende Hitze ... die Luft – würzig wie frischgemolkene Milch!
Die Lerchen trillern; die Turteltauben gurren; lautlos gleiten die Schwalben umher; die Pferde schnauben und kauen; die Hunde bellen nicht, stehen da und wedeln friedfertig mit dem Schwanze.
Und nach Rauch riecht es, und nach Gras – und auch nach Teer ein wenig – und ein wenig nach Leder. – Der Hanf auf den Feldern ist schon hoch aufgeschossen und strömt seinen schweren, aber süßen Duft aus.
Eine tiefe, jedoch sanft absteigende Schlucht öffnet sich. An beiden Abhängen mehrere Reihen dickbuschiger, zerborstener Weiden. In der Tiefe der Schlucht rieselt ein Bach; kleine Kiesel auf seinem Grunde blinken wie zitternd durch seine klaren Wellen hindurch. – In der Ferne, am Saume zwischen Erde und Himmel – schimmert der bläuliche Streif eines großen Stromes.
Dem Zuge der Schlucht folgend – hier auf dieser Seite saubere kleine Speicher und Scheunen mit dichtverschlossenen Türen; dort auf jener fünf bis sechs aus Fichtenstämmen gezimmerte Häuschen mit gehobelten Bretterdächern. Auf jedem Dache an hoher Stange ein Starkasten; über jeder Haustür ein aus Blech geschnittenes kleines Rößlein mit flatternder Mähne. Die Fensterscheiben, uneben und blasig, schillern in Regenbogenfarben. Krüge mit Blumensträußen sind auf die Fensterläden gemalt. Vor jedem Häuschen steht säuberlich eine derbe Bank; auf kleinen angeschütteten Erdhaufen liegen Katzen, zu einem Knäuel zusammengerollt, und spitzen die durchsichtigen feinen Ohren; hinter der hohen Türschwelle winkt einladend der kühle, dunkle Hausflur.
Ich liege hart am Rande der Schlucht auf einer ausgebreiteten Pferdedecke; ringsumher lauter Haufen frischgemähten, betäubend duftigen Heues. Die fleißigen Hauswirte haben es vor ihren Hütten auseinandergestreut: dort mag es noch eine Weile an der Sonne durchtrocknen; dann aber in die Scheuern damit! Wie prächtig wird sichs darauf schlafen lassen!
Kraushaarige Kinderköpfchen lugen aus jedem Haufen hervor; großschopfige Hühner scharren im Heu nach Fliegen und Käferchen; ein junger Hund mit noch hellfarbiger Schnauze wälzt sich in einem Gewirr von Halmen herum.
Blondlockige Burschen in sauberen Gürtelhemden und schwerfälligen, umsäumten Stiefeln hänseln sich mit Scherzworten, die Brust gegen einen unbespannten Wagen gestemmt – und zeigen lachend ihre weißen Zähne.
Aus dem Fenster schaut ein junges Weib mit vollem, rundem Antlitz; sie lacht, halb über die Scherze der Burschen, halb über die in den Heuhaufen sich balgenden Kinder.
Ein anderes junges Weib zieht mit kräftigen Armen einen großen nassen Eimer aus dem Brunnen herauf ... Der Eimer wippt und schaukelt am Seile, so daß langgezogene, blitzende Tropfen an ihm herabgleiten.
Vor mir steht ein greises Hausmütterchen in einem neuen, karierten Leinenrock und neuen Schuhen.
Drei Schnüre dicker, hohler Glasperlen schlingen sich um ihren braunen, faltigen Hals; ihr ergrauter Kopf ist mit einem gelben, rotpunktierten Tuche umwunden, welches tief über ihre trüben Augen herabhängt.
Freundlich aber lächeln diese greisenhaften Augen; ihr ganzes runzliges Antlitz lächelt. Hoch in den Siebzigern muß sie sein, das alte Mütterchen ... aber auch heute noch ist es zu erkennen: eine Schönheit war sie zu ihrer Zeit!
Mit den sonnenverbrannten, auseinandergespreizten Fingern der rechten Hand hält sie mir einen Krug kalter, unabgerahmter Milch hin, die frisch aus dem Keller kommt; der Krug ist außen mit Reif bedeckt, der wie Perlen glitzert. Auf der linken Handfläche reicht mir die Alte eine große Schnitte noch warmen Brotes. – »Iß nur, sei dirs gesegnet, willkommener Gast!«
Mit einem Male kräht der Hahn und schlägt heftig mit den Flügeln; ihm zur Antwort blökt nach einer Weile ein eingesperrtes Kalb.
–