Die 19 muss weg: oder Bis der Tod uns scheidet
Von Isabel Traietta
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Über dieses E-Book
Es beginnt eine Irrfahrt in das Tal des Todes, das der "Typ von oben" wohl sein Reich nennen darf und fortan als imaginärer Dritter anwesend ist. Das Paar lernt sich nach beinahe dreißig Jahren Ehe in der verbleibenden Zeit neu kennen und hat ungewohnt fremde Situationen zu bewältigen. Unbändige Emotionen und tiefgründige Gedanken begleiten die beiden in ihrer schwerste Phase des Lebens; Erinnerungen an vergangene Zeiten aus glücklichen Tagen finden eine biografische Erzählung, aber auch die bittere Seite der Erkrankung zeigt sich, bis der Tod im Juli 2019 Pino in die Welt der Unendlichkeit trägt.
In einem Brief, den Isabel an ihren verstorbenen italienischen Mann Pino verfasst hat, werden nicht nur die letzten Monate mit all seinen mannigfaltigen Facetten geschildert, sondern auch die erste Zeit als frisch gewordene Witwe wird auf anmutig humorvolle Weise wiedergegeben, die sich zusammensetzt aus teils kuriosen Begegnungen und seltsamen Erlebnissen und aber auch bewegten Momenten.
Das Verhältnis zum "Typen von oben" ist klar genannt und lässt keinen Zweifel am Bestandteil des Lebens offen. Ein jeder wird unwillkürlich aufgefordert sich hierzu Gedanken zu machen.
Dieses ist kein Ratgeber zum Umgang mit Trauer und Tod, sondern ein Auszug aus dem Leben eines Pärchens, das sich dem Schicksal stellen musste und das Leben als solches zu begreifen hatte.
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Buchvorschau
Die 19 muss weg - Isabel Traietta
Die 19 muss weg
oder
Bis der Tod uns scheidet
von
Isabel Traietta
2019
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Teil 1
Teil II
Danksagungen
Eine letzte Anmerkung:
Impressum
Texte:
Copyright by Isabel Traietta
Umschlaggestaltung:
Copyright by Isabel Traietta
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Teil 1
Lieber Pino, mein Schatz,
ich habe dir noch nie einen Brief geschrieben. Keine Sorge, dieses wird auch mein Einziger an dich sein in der Hoffnung, du wirst diese Zeilen irgendwie erhalten, da ich keine Anschrift angeben kann.
Du bist eben nicht der Romantiker, der dieses Stilmittel benutzt hat. Du hast es vorgezogen dich persönlich vor Ort mit den Menschen auszutauschen, ihnen in die Augen schauen zu können und gleichzeitig ihre Mimik zu erleben. Der persönliche Kontakt ist dir stets wichtiger als irgendwelche Telefonate oder Briefwechsel. Außerdem weiß ich, dass du nicht gerne liest und folglich hat es dieses Medium nie bei uns gegeben.
Eigentlich schade, denn so könnte ich nun deine Briefe, die du an mich geschrieben hättest, mit beiden Händen festhalten, deine Worte lesen und auf mich wirken lassen und spüren, wie du mit deinen Händen über das Papier geglitten warst, während du diese wundervollen Zeilen an mich verfasst hättest. Vielleicht wäre noch ein Hauch aus vergangenen Tagen zu erhaschen - im besten Falle dein Duft wahrzunehmen und deine Gedanken an mich, immer und immer wieder aufleben zu lassen.
Eine schöne Vorstellung.
Nun, es ist nicht so und daher bringe ich meine Gedanken einfach zu Papier. Vielleicht findest du jemanden, der dir vorliest. Du kannst dich dabei entspannt zurücklehnen, die Beine überschlagen und dich ein wenig an mich erinnern, wenn du magst.
Du antwortest mir auf deine Weise.
02.Oktober 2019
Noch konnte ich behaupten, dass vor einem Jahr die Welt für uns in Ordnung war.
Die Kinder hatten vor zwei Jahren das Haus verlassen. Erst zog unsere Tochter Céline aus und bei ihrem Freund Pierre ein. Immerhin sind die beiden schon seit einigen Jahren ein tolles Paar, so dass ihre gemeinsame Zeit gekommen war. Unser Sohn Fabio schlug seine Zelte in einer anderen Stadt auf, denn es war ungewiss, wo es ihn beruflich hin verschlagen würde. Aber gerade einmal zwei Monate später hatte auch er endgültig seine Koffer gepackt und startete in sein neues Leben.
Irgendwann ist die Zeit gekommen, da heißt es Flügel strecken und die Schwingen schlagen.
Für die beiden begann ein neuer Lebensabschnitt so wie auch für uns. Das Empty-Nest-Syndrom keimte nicht auf. So sehr man seine Kinder liebt; wir liebten auch unsere Zweisamkeit.
Es war mittlerweile Oktober. Du warst früh morgens zur Arbeit gefahren mit deinem Auto, das für dich einem fahrenden Wohnzimmer gleichkam und kehrtest am Nachmittag zurück. Du machtest dir einen Kaffee mit einem Teelöffel Zucker und hattest dich zu mir gesetzt. Hallo Schatz. Küsschen. Manchmal lagen ein paar Plätzchen bereit. Meggi, unser vierbeiniges Wollknäuel oder weitläufig auch als Hund zu betiteln, warf aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nur noch einen entspannten Blick zu dir herüber, begleitet von einem aufmunternden Gähnen, um sich erneut ihrer schlafenden Tätigkeit zu widmen. Derweil überlegten wir, was am Abend köstliches gekocht werden könnte und stellten entsprechend die Einkaufliste zusammen. Dann machtest du dich frisch, legtest deine Freizeitkleidung an und versprühtest ein wenig von deinem Parfüm. Ich rieche noch heute an dem Zerstäuber.
Eine vertraute Routine, die Rhythmus gab in unserem Leben.
Sicherlich gab es da ein paar störende Elemente in deiner Bauchregion. Etwas Übelkeit und Rückenschmerzen machten dir neuerdings zu schaffen und hin und wieder hattest du Probleme mit Sodbrennen aber manchmal auch einfach zu viel in dich hineingestopft, weil es wieder einmal so gut schmeckte. Du warst ein Genussmensch. Das Leben ist zu kurz, um sich in ewiger Enthaltsamkeit zu üben. Wie oft sollten wir noch daran denken. Doch was die Rückenbeschwerden anging, konnten wir davon ausgehen, dass das noch die Nachwirkungen aus unserem zurückliegenden Baustellenprojekt sein dürften. Die Übelkeit jedoch war neu.
Unser Wohnzimmer hattest du vor etwa zwei Monaten voller Hingabe gefliest und jede einzelne Fliese musste aus der Garage hoch getragen werden. Es waren die größten je von dir verlegten Fliesen. Auch ich hatte die ehrenvolle Aufgabe diese extra aus Italien georderten sechzig mal sechzig Teile mühselig hoch zu schleppen. Keine leichte Sache, denn diese Keramikteile waren einfach schwer und unhandlich. Du musstest sie manchmal wieder runter tragen, Trepp` auf, Trepp` ab, mit der Fliesenmaschine zurecht schneiden, dann wieder hoch bringen und sie letztlich verlegen. Stundenlang rutschtest du auf den Knien durch den Raum. Es war eine beschwerliche Arbeit, die dir dennoch Spaß machte. Ich erlebte dich abermals in deinem Element als Bob der Baumeister. Schon als junger Kerl hattest du auf dem Bau gearbeitet. Es hatte dich fasziniert, zu was ein einzelner Mann alles fähig ist. Ein bisschen Sand und Zement, ein paar Steine, das ganze vermengt mit dem Mörtel und schon stand ein fast bezugsfertiges Haus.
Draußen war es ungemein heiß. Du hattest außergewöhnlich viel geschwitzt. Das Wasser rann dir teilweise den Körper entlang, dass man zusehen konnte, wie der Schweiß tröpfchenweise aus den Poren drang. Dennoch bot sich der Sommer an unser letztes eigenes Baustellenprojekt durchzuziehen, denn so konnten wir die paar Möbel draußen auf der Terrasse zwischenzeitlich lagern. Dort ist es überdacht und tagsüber bot der Sonnenschirm zusätzlich Schutz vor der Hitze. Abends waren wir zwar völlig erschöpft und komplett erledigt, sämtliche noch bewegbaren Knochen inklusive müder Muskelmasse schmerzten, aber wir waren unendlich stolz. Du warst wie immer nicht ganz zufrieden mit deiner Leistung und hattest hier und da eine Stelle gefunden, die du hättest besser machen können. Ich hatte die vermeintlichen Fehler nicht gesehen und war - und bin es noch immer - begeistert.
Es sollte deine letzte Baustelle sein. Nicht, dass wir ahnen konnten, was kommt. Wir hatten nur noch einen Kamin in Auftrag gegeben und danach wollten wir nach vier Jahren der Renovierung und Dauerbaustellen mit unserem kleinen Heim endgültig fertig sein. Du hattest dir für das folgende Jahr zusätzliche Urlaubstage eingekauft, so dass wir im Winter planen könnten, wo die vielen Kurzausflüge und Reisen hingehen sollten. Eine schöne Zeit sollte vor uns liegen.
Nichts deutete auf unsere letzten unbeschwerten Tage hin.
Der Besuch bei deiner Hausärztin Frau Doktor Claudius im Oktober ließ zunächst hoffen, dass es sich lediglich um eine Gallenblasenentzündung handeln könnte. Doch das verabreichte Antibiotika schlug nicht an. Das Blutbild blieb eine einzige Katastrophe. Sie konnte nicht anders, als dich ins Krankenhaus zu verweisen. Es ergab sich keine andere Möglichkeit.
Wir hatten dank einer vor vielen Jahren abgeschlossenen Zusatzversicherung die Variante eines Zweibettzimmers mit Chefarztbehandlung. Eine Empfehlung die ich an dieser Stelle nur aussprechen kann.
Wie sich herausstellte, war dieser Chefarzt eine sehr kompetente Persönlichkeit mit einem guten Gefühl der Dosierung dessen, was ein Patient und die Angehörigen verkraften können. Eigentlich ein sympathischer Mann.
Nachdem aber auch im Krankenhaus die erhöhte Dosis Antibiotika nicht zum erhofften Ziel führte, weiterhin das Blutbild einem Albtraum ähnelte, wurden sämtliche derzeit möglichen bildgebenden und diagnostischen Untersuchungen aufgegriffen und vollständig durchgezogen. Innerhalb von zwei Tagen spulte das Team mit einer professionellen Routine das komplette Programm ab. Ständig warst du zu irgendwelchen Untersuchungen unterwegs. Diese sportliche Taktung rechtfertigte deine Trainingshose, die du bequemlicherweise angezogen hattest.
Schließlich gab es ein Ergebnis.
Ein niederschmetterndes Urteil traf uns wie ein Blitzeinschlag. Das Leben war von einer Sekunde zur anderen nicht mehr das, wie wir es kannten. Dieses Leben, das uns so vertraut war, mit all seinem Charme und Wohlgefallen, war wie aus dem Nichts verschwunden und unwiderruflich ausgelöscht.
Urplötzlich waren wir den Abgrund hinab gestürzt - einfach so - aus heiterem Himmel. Tränen flossen leise die Wangen herunter abgewechselt von lautem Schluchzen. Die Worte waren weg und im Hals stecken geblieben - die Stimme versagte vollends. Unsere Blicke kreisten hilfesuchend durch den Raum. Deine Augen starrten die Decke und Wände an und waren so unbeschreiblich leer und glanzlos geworden. Das Gehirn arbeitete auf Hochtouren und wusste nicht in welche Richtung sich die Gedanken zuerst entwickeln sollten. Ein einzig heilloses Chaos. Wir hatten völlig die Orientierung verloren. Eine Nebelwand türmte sich um uns herum auf. Es wurde dumpf. Wir wollten nichts mehr hören.
Eine andere neue und vor allem fremde Welt öffnete seine Arme. Eine Welt, in die wir nicht wollten, die uns aber immer mehr in ihren Bann zog. Dieser Sog war so unglaublich energiegeladen und stark wie ein schwarzes Loch, das alles rücksichtslos verschlingt. Dieser Dynamik konnten wir nicht entkommen, so sehr wir uns auch dagegen wehrten.
Es ist wie in einer Zeitreise - weg gebeamt in eine andere Dimension und verloren im Nichts.
Fassungslosigkeit. Sprachlosigkeit. Unwirklichkeit.
Außergewöhnliche Menschen haben Außergewöhnliches zu erwarten. Du machtest in diesem Fall keine Ausnahme.
Eine recht seltene Form des Krebses hatte dich heimlich befallen und nicht mehr von dir gelassen: Dünndarmkarzinom mit bereits vollständiger Metastasierung der Leber und teilweisem Befall umliegender Lymphe.
Gute Nacht.
Die Nächte waren mal Nächte gewesen. Nachts lagen wir wach, denn an Schlaf war nicht mehr zu denken. Die innere Ruhe hatte für die nächsten Monate Urlaub genommen. Unsere Gehirne aktivierten Areale, die wir bis dato noch gar nicht kannten. Die Hände waren fest miteinander verschlungen, während still und unaufhörlich die Tränen flossen. Die Bettdecken wurden ineinander verschachtelt, um noch die gegenseitige Wärme zu spüren.
Was macht man mit uns? Warum versucht man uns auseinander zu reißen?
Die Nächte wurden zum Tag - die Tage zur dunklen Nacht.
Eine Irrfahrt in das Tal des Todes begann.
Andere lassen sich scheiden oder trennen sich bereitwillig. Wir wollten weder das eine noch das andere, sondern lediglich noch ein wenig Zeit miteinander verbringen dürfen.
Anfänglich hatte ich das alles nicht so recht verstehen wollen und fragte den sympathischen Chefarzt mit Tränen gefüllten Augen:
Was ist mit der Entfernung des Primärtumors?
Die Leber ist vorrangig das Problem.
Ist keine Teilresektion der Leber möglich?
Sind sie vom Fach?
Nein, aber Krebs ist leider keine Unbekannte in unserer Familie.
Nein, in diesem Stadium nicht mehr.
Was bedeutet das?
Wir werden einen Port einsetzen und so schnell wie möglich mit der Chemo beginnen. Jeder Tag zählt.
Übermorgen ist unser Hochzeitstag. Wird das unser Letzter sein?
Na, da werde ich ihren Mann mal nach Hause entlassen. Dann können Sie ihren Hochzeitstag gemeinsam feiern.
Das war Antwort genug. Die Tränen ließen sich nicht mehr unterdrücken.
Ein gebrochener Mann - seiner Kraft und seines Lebenswillen beraubt.
Ich nahm sprachlos deine Krankenhaus-Tasche. Das Auto hatte ich in der Tiefgarage geparkt. Gerne wären wir ins Untergeschoss Abteilung Hölle durchgefahren und nie wieder aufgetaucht, doch diesen Knopf gab es bedauerlicherweise nicht im Fahrstuhl.
Zuhause.
Alles war so fremd und von nun an waren wir Gast im eigenen Heim. Nichts mehr mit Heimspiel oder Heimvorteil. Selbst das gerade renovierte Wohnzimmer mit den wunderschönen Fliesen, die wir lange gesucht hatten, sie waren so matt geworden wie unsere Seelen - die Wände kalt und farblos. Alles um uns herum wurde völlig bedeutungslos und ohne Wert. Dekorative leblose Gegenstände, auf die wir gerne verzichtet hätten, könnte man sie doch eintauschen, gegen etwas das sich Leben nennt.
Der Tod war mit eingezogen - ein Zeitgenosse, den wir nicht hier haben wollten. Leider ist das aber so ein penetranter Typ, der sich nicht an der Tür abwimmeln lässt und einfach seinen Fuß in unser Haus setzte. Ständig schwirrte dieser fortan durch alle Räume. Wir waren nicht mehr zu zweit. Das Trio hatte seine erstklassige Besetzung gefunden mit dem Ziel der Vernichtung all dessen, was wir uns einst mühselig und liebevoll aufgebaut hatten. Wir saßen ab sofort in der ersten Reihe - zu dritt.
Es ging Zug um Zug. Der Port wurde umgehend eingesetzt; ein schneller unkomplizierter Eingriff, der ambulant zu erledigen war - quasi eine Pforte to go für die ganz Eiligen. Die erste Chemo wurde angekündigt und sollte am folgenden Mittwoch beginnen.
Ich hatte nur noch den Wunsch, dich solange wie möglich