Herzstücke in München: Besonderes abseits der bekannten Wege entdecken
Von Christine Metzger und Franz Marc Frei
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Buchvorschau
Herzstücke in München - Christine Metzger
IMMER
EINE SÜNDE WERT!
MEINE LIEBLINGSADRESSEN ZUM ESSEN & TRINKEN, EINKAUFEN & ÜBERNACHTEN
01Mundgerechter Augenschmaus
02Die hohe Kunst des Ausziehens
03Dreh- und Angelpunkt – die Schraube
04Gegen alles ist ein Kraut gewachsen
05Bierkrüge hinter Schloss und Riegel
06»Für den, der’s mag, is des as Höchste«
07Schweinsbraten mit Muscheln
08Wo der Krimifan aufs Glatteis geführt wird
09Stadtblick von der Krone der Eiche
10Römer, Iren und eine Eiserne Jungfrau
11Die Sucht des Selbermachens
12Schlemmen wie Gott in Haidhausen
13Tante Emma, gestylt von Marion
14Und ewig rauscht der Wildbach
15Eine Hommage: Bayern meets Africa
16Rüstzeug für den Biergarten
17Hier möchte man Puppe sein
18Kaffeepause in der Antike
19Der Himmel hängt voller Lüster
20Auf den Hund gekommen
21Trinken – mal nicht gegen den Durst
01
MUNDGERECHTER AUGENSCHMAUS
Wenn Sie als Kind Hemmungen hatten, Ihrem Schoko-Osterhasen den Kopf abzubeißen, kann es sein, dass Sie im Sama Sama ein Déjà-vu-Erlebnis haben: Diese wunderschönen kleinen Kunstwerke mit Goldflitter, kandierten Veilchen, Rosenblättern – die kann man doch nicht oral vernichten!
Zum Glück haben wir unseren Geruchssinn, der direkt mit dem Emotions-zentrum im Gehirn verbunden ist. Nase schlägt Auge, der Schokoladenduft löst Erinnerungen aus: heißer Kakao an kalten Wintertagen, elterliche Belohnung fürs brave Kind, Geborgenheit – Schokolade macht glücklich.
Eine Praline muss mindestens 25 Prozent Schokolade enthalten und mundgerecht sein. Um wie viele Prozentpunkte Wilhelmine Raabe dieses Maß überschreitet, bleibt ihr süßes Geheimnis, wie auch alle anderen Schritte, die jede Praline bei der aufwendigen Produktion in Handarbeit durchläuft. Was die Mundgerechtigkeit betrifft, liegt Frau Raabe sicher an der Obergrenze: 35 bis 40 Gramm wiegt so eine Köstlichkeit, und Sie müssen sich entscheiden, wie Sie sie genießen. Kleine Stücke abknabbern und im Mund zergehen lassen oder die ganze Praline in den Mund stecken und die Geschmacksexplosion erleben. Als Wilhelmine Raabe 1996 begann, sich der Königsdisziplin der Chocolatierkunst zu widmen, hatte sie zehn Sorten im Angebot, heute sind es 250. Ihre Kreativität scheint keine Grenzen zu kennen. Wie bei jedem künstlerischen Prozess steht am Anfang die Vision. Wenn sie ein Rezept entwerfe, sagt sie, wisse sie schon in ihrer Fantasie, wie die Praline schmecken werde.
250 Sorten! Welche Dramen müssen sich in diesem kleinen Laden abgespielt haben? Schokolade, Marzipan, Nugat, Krokant, exotische Früchte und Gewürze, kandierte Blüten – alles so schön und so verlockend. Wie gut, dass es sich um Schokoladenprodukte handelt. Doch sobald man die erste Praline in den Mund steckt, sind die Qualen der Wahl beendet, und man ist nur noch glücklich.
Sama Sama · Mo–Sa 10–18 Uhr · Westenriederstr. 21 · Altstadt Tel. 089/29 16 33 79 · www.sama-sama-pralinen.de · Haltestelle: S Isartor
02
DIE HOHE KUNST DES AUSZIEHENS
Wenn Sie länger in München leben, werden Sie sich gewiss erinnern: Die »Schmalznudel« hat früher um 5 Uhr aufgemacht und war damals Schnittstelle für Menschen aus zwei Welten. Die einen tranken nach durchzechter Nacht hier den letzten, die anderen, deren Tagwerk früh begann, den ersten Kaffee.
Heute öffnet das »Café Frischhut« – das niemand so nennt, weil es vulgo »Schmalznudel« heißt und nicht anders – die schwere Holztür um 8 Uhr. Sonst hat sich nichts geändert. Das Publikum ist noch immer gemischt, der Kaffee kommt aus dem Haferl und nicht aus dem Pappbecher und schon gar nicht aus dem Land Togo. Die Einrichtung ist altmodisch gemütlich, die naiven Bilder an den Holzwänden stammen von der Mutter Frischhut, und im Sommer lädt die Terrasse ein.
Im nahen Biergarten Viktualienmarkt wird alle sechs Wochen das Bier einer anderen Münchner Brauerei ausgeschenkt. Immer passend: köstliche Fischsemmeln von Fisch Witte (www.fisch-witte.de).
Das Schmalzgebäck gibt es seit fast 50 Jahren in gleichbleibender Qualität: Stritzerl, »Ausgezogene«, Krapfen und Rohrnudeln mit diversen Füllungen. Wenn in der Gastronomie Schmalz zum Einsatz kommt, können Sie sich ganz auf Ihre Nase verlassen: Riecht’s ranzig, nix wie raus. In der »Schmalznudel« duftet es nur nach Kaffee. Und es brutzelt. Im heißen Butterschmalz tanzen die Ausgezogenen, schwimmen Krapfen und die länglichen Stritzerl. Erst sind sie blass wie der eierreiche Hefeteig, dann nach dem Wenden leuchten sie goldbraun. Im Eingangsbereich können Sie zuschauen, wie man Schmalznudeln macht, und lernen, warum sie »Ausgezogene« heißen: Die Hefeteiglinge werden gezogen. Wenn der Meister das mit einer flotten Handbewegung macht, sieht es einfach aus, es ist aber eine hohe Kunst. »Ausgezogene« müssen nämlich im Zentrum ganz dünn und außen wulstig sein. Frischer und köstlicher als in der »Schmalznudel« können Sie sie in München nirgendwo bekommen.
»Café Frischhut«, vulgo »Schmalznudel« · Mo–Fr 7–18, Sa 5–17 Uhr · Prälat-Zistl-Str. 8 Altstadt · Tel. 089/26 82 37 · Haltestelle: U/S Marienplatz
03
DREH- UND ANGELPUNKT – DIE SCHRAUBE
Stock-, Terrassen-, Justierschrauben. Halbrund-, Linsensenk- oder Senkholzschrauben. Bohrschrauben mit Rippensenkkopf, gewindefurchende Schrauben. Sicherheitsschrauben, Spanplattenschrauben – Edelstahl oder verzinkt? Wer blickt da noch durch? Die Fachkräfte beim Schrauben-Preisinger.
Wer gewohnt ist, in Baumärkten hinter Männern herzulaufen, die perfekt in der Kunst der Kundenabwehr ausgebildet sind, wird die Wartezeiten beim Schrauben-Preisinger gern in Kauf nehmen. Hobby-Heimwerker und Profis in Arbeitsoveralls stehen diszipliniert in der Schlange – wie die zu verlaufen hat, zeigt ein roter Pfeil auf einem handgeschriebenen Schild. »Bitte nur in einer Reihe« steht da, das »einer« ist zweimal unterstrichen. Die Atmosphäre ist ruhig und konzentriert. Schließlich finden hier ernsthafte Beratungsgespräche rund um die Schraube statt. Nur manchmal, wenn ein Kunde ein technisches Problem hat, diskutieren die Wartenden mit und sparen nicht mit Ratschlägen. Die Verkäufer sind Männer, der überwiegende Teil der Käufer ebenso. Aber auch Frauen werden respektvoll und sachkundig beraten. Es scheint, als verleihe ihnen allein die Tatsache, dass sie es wagen, diesen testosterongeschwängerten Ort zu betreten, den Heimwerker-Ritterschlag.
Der Verkaufsraum ist klein, da wird keine Ware zur Schau gestellt oder beworben. Weitaus größer das einsehbare Lager, in dem der Verkäufer nach dem Kundengespräch verschwindet und nach erstaunlich kurzer Zeit mit dem gewünschten Artikel zurückkehrt. Das Ordnungssystem haben die Mitarbeiter im Kopf – und das bei 40 000 Artikeln. Seit 1921 gibt es den Schrauben-Preisinger schon – der Familienbetrieb konnte sich in Bestlage unweit vom Viktualienmarkt halten, während andere Fachgeschäfte längst verschwunden sind. Das Erfolgsgeheimnis? Kompetenz, Sortiment und eine Kleinigkeit: Wer eine Schraube braucht, muss nicht 30 in der Plastikbox kaufen. Er erhält eine, überreicht in einem Papiertütchen.
Schrauben-Preisinger · Mo–Do 8–17, Fr 8–16 Uhr · Utzschneiderstr. 5 · Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt/Gärtnerplatz · Tel. 089/236 84 60 · www.schrauben-preisinger.de Haltestelle: S Isartor
04
GEGEN ALLES IST EIN KRAUT GEWACHSEN
Auf den ersten Blick scheint es, als habe einer, der die Kunst des Jodelns ausübt, nichts gemein mit einem Professor. Und doch gehören beide Berufsgruppen zur Klientel des Wurzel-Sepps. Denn – ob dozieren oder von der Brust- in die Falsettstimme wechseln – die Atemwege wollen gepflegt sein.
Und da kennt der Wurzel-Sepp sich aus und fertigt für jeden das rechte Getränk: Der »Jodlertee« zur Pflege des Halses enthält Stockrosenblüten, Salbeiblätter, Riesengoldrute, Vogelknöterich, Königskerzenblüten, Vogelbeeren, Bibernellwurzel, Holunderbeeren, Echtes Labkraut und Johanniskraut. Der »Professorentee« zur Pflege der Atemwege hingegen wird gemischt aus Silbermantel, Hohlzahn, Nelkenwurz, Pfefferminze, Schlüsselblume, Kapuzinerkresse, Quecke, Anserine und Spitzwegerich.
Der Wurzel-Sepp ist auch eine Fundgrube für Hobbyköche. Hier findet man sämtliche Gewürze von Anis bis Zitronengras sowie Gewürzmischungen für Lebkuchen und vieles andere mehr.
Wie alle Mischungen, die sich hier gegen jedes erdenkliche Zipperlein im Angebot finden, werden auch diese beiden Tees nach Rezepturen gemixt, die seit Generationen überliefert sind. Den »Original Oberbayerischen Kräuter- und Wurzel-Sepp« in der Blumenstraße gibt es schon seit 1887, er ist das älteste deutsche Spezialgeschäft für Heilkräuter, vegetabile Drogen, Diätetik und Naturkosmetik.
Altmodisch wirkt der Laden auch von außen, kein Neon, kein Chichi. Öffnet man die Tür, übernimmt die Nase die Regie und schwelgt in Erinnerung an Waldspaziergänge und Kräutergärten. Dann erfreut sich das Auge: Da ist noch eine alte Waage in Betrieb, in den Regalen stehen Holzfässer, die speziell für die Lagerung von Kräutern angefertigt wurden. Die ist artgerecht, wenn das Behältnis kein Licht durchlässt, aber atmungsaktiv ist. Neben rund 400 Kräutern – von Abbisskraut bis Zistrose – führt der Wurzel-Sepp Säfte, Öle, Balsame, Kosmetika, Bonbons, Honig, Marmelade und Tees.
Kräuterhaus Lindig · Mo–Fr 9–18.30, Sa 9–13 Uhr · Blumenstr. 15 · Altstadt www.phytofit.de · Haltestelle: U Sendlinger Tor
05
BIERKRÜGE HINTER SCHLOSS UND RIEGEL
Was sich wohl die vielen Touristen denken, die täglich durchs »Hofbräuhaus« strömen, wenn sie das sehen: Krüge hinter Gittern! Alkoholiker, deren Drogenlieferanten einsitzen müssen, bis sich die Leberwerte ihrer Besitzer gebessert haben? Corpora delicti wilder Wirtshausschlägereien?
Nichts von dem. Die Krüge warten auf ihre Besitzer, sie sind hinter Schloss und Riegel, damit kein Unbefugter sie greife. 616 Stammgäste besitzen solche Schließfächer, für den Preis von zwei Euro pro Jahr können sie gepachtet werden. Die Warteliste für so einen privilegierten Platz an der Bierquelle ist lang, nur wenn ein Trinker den Löffel und mit ihm den Maßkrug abgibt, kann ein anderer nachrücken.
Die Existenz dieser Regale widerlegt ein Vorurteil, das viele Münchner hegen und das sie daran hindert, auch nur einen Fuß ins »Hofbräuhaus« zu setzen: Da gingen nur Fremde hin, heißt es. Falsch. Im »Hofbräuhaus« finden 200 Stammtische statt, hier treffen sich Brauer, Jäger, Stadtgärtner, Polizeipensionisten, Straßenbahner, Richter – alles Einheimische. 3500 Stammgäste sind registriert, die alle gern einen Maßkrug im Tresor hätten, denn durch den könnten sie ihren Status kundtun und sich von