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Von stürmischer See in ruhige Gewässer
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eBook397 Seiten5 Stunden

Von stürmischer See in ruhige Gewässer

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Über dieses E-Book

Die Welt hat sich verdunkelt und der Himmel seine Schleusen geöffnet. Es gießt wie aus Kübeln, dazwischen donnert es immer wieder. Blitze erleuchten für Sekunden den schwarzgrauen Himmel und das tosende Meer.

Der Wind heult übers Meer und zerrt mit lautem Getöse an Schlössern und Türen vom Innenschiff. Es knarrt und klappert im Innenschiff, die Stühle hat der Koch mit Spanngurten am Tisch befestigt. Einer löst sich und kracht gegen die Schotten. Die „Sheila“ rollt immer schneller von Backbord nach Steuerbord.

Plötzlich, wie von einer Riesenhand gestoppt, liegt sie mit leichter Schräglage eine gefühlte Stunde, obwohl es nur Minuten sind, bewegungslos im Wasser. Unvermittelt, wie von einer Megafaust getroffen, kippt das Schiff nach Steuerbord, dass selbst die Nocken Wasser schöpfen.
SpracheDeutsch
HerausgeberRomeon-Verlag
Erscheinungsdatum15. Okt. 2021
ISBN9783962297879
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    Buchvorschau

    Von stürmischer See in ruhige Gewässer - Volker Nagel

    Fünf Uhr und fünfundvierzig Minuten. Die Wecker rappeln. Der Koch öffnet die Augen, lauscht einen Moment dem wohlbekannten monotonen Geräusch der Schiffsmaschinen, schlägt die Bettdecke zur Seite, steigt aus der Koje, stellt die drei Wecker einen nach dem anderen ab und schlurft unter die Dusche. Frisch geduscht und fit für den Tag schlüpft er in seine Arbeitsklamotten. Weißes T-Shirt, weiße Jeans.

    Fünfzehn Minuten später ist er bereits in der Kombüse tätig und bereitet das Frühstück für die Crew vor. Es ist ein strahlend heller, etwas kühler Herbstmorgen,1986, auf dem Nordatlantik. Die See ist ruhig, kleine Wellen kräuseln sich an der Oberfläche. Abgesehen von der Bugwelle, die das große Containerschiff verursacht, weist das Meer kaum Bewegung außer der natürlichen Dünung des Ozeans auf. Es ist Donnerstag, auch „Seemanns Sonntag" genannt.

    Als der Tisch fürs Frühstück mit Konfitüre, Honig, Wurst, Nutella, Käse und Brot gedeckt ist, und der Speck und die Zwiebeln für die Spiegeleier, die jedes der noch verbliebenen zehn Crewmitglieder von ehemals vierzehn bekommt, vorbereitet sind, macht er sich an den Kuchenteig. Heute wird es Marmorkuchen geben. Der ist schnell gebacken.

    Jeden Donnerstag und Sonntag gibt es Kuchen oder Kekse zum Kaffee.

    Sieben Uhr. Zeit, die Mannschaft zu wecken und dem Kapitän das Frühstück auf die Brücke zu bringen.

    Nachdem die Crew geweckt ist, bringt der Smutje dem Kapitän sein verdientes Frühstück hoch. Eine Treppe im Innenschiff führt in die Kommandozentrale. Damit die gebratenen Eier nicht kalt werden, hat er das Frühstück mit einer Kunststoffglocke abgedeckt. Mit beiden Händen hält er das Tablett fest. Seit sechs Uhr steuert der Chief das große Containerschiff. Bis zwölf Uhr wird er diese Tätigkeit fortführen, um dann vom Steuermann abgelöst zu werden, der jetzt in seiner Koje friedlich schläft.

    „Moin, Captain, ruhige See heute, scheint ein schöner Tag zu werden."

    „Ja, aber der Wetterbericht hat für heute Nachmittag Wind vorausgesagt. Du weißt ja, wie schnell sich das Wetter hier im Atlantik ändern kann."

    „Okay, dann bis heute Mittag." Der Koch verlässt die Brücke und begibt sich wieder in die Kombüse, die durch eine Zwischenwand vom Mannschaftsraum getrennt ist. Der größte Teil der Matrosen und Matrosen ohne Brief sitzen schon am Tisch und warten auf ihr Frühstück.

    Auch Henning setzt sich gerade auf seinen Platz. „Smutje, wo bleiben die Eier?", ruft er mit seiner rauen Stimme. Er ist ein großer Mann von 1,96 m mit breiten Schultern und einem kantigen Kinn, blonden kurz geschorenen Haaren und Hamburger Dialekt. Eigentlich hätte er längst in seiner Koje liegen sollen, um sechs Uhr löst ihn sein Kollege Rolf jeden Morgen von der Schicht ab. Heute kommt Henning zum Frühstück, weil er nicht schlafen kann, wie er meint. Es ist die letzte Fahrt der beiden Motorenanwärter, den Nachfolgern der Maschinisten. Sobald das Schiff nach dieser Reise wieder in Hamburg anlegt, werden die beiden von einem Schiffsmechaniker ersetzt. Eineinhalb Stunden hat Henning sich auf seiner Koje ausgeruht. Nach dem Frühstück wird er schlafen gehen.

    „Kommen sofort", antwortet der Koch. In zwei großen Bratpfannen, sechs Eier pro Pfanne, sind die Spiegeleier schnell angerichtet. Separat in einer kleinen Pfanne werden die Eier für Ismael gebraten, weil der kein Schweinefleisch isst.

    Es ist eine wild durcheinandergewürfelte Mannschaft aus fünf verschiedenen Nationen. Aber dazu später. Zurück zu den Spiegeleiern, die der Koch jetzt auf die Teller verteilt, zwei bis vier Eier je nach Wunsch der Leute, wobei er sehr schnell sein muss, damit die letzten nichts anbrennen. Das Gelbe sollte, wenn möglich, nicht auslaufen, das mögen einige gar nicht. Alles ist reine Übungssache. Er schiebt die fertigen Gerichte durch die Durchreiche, einer nach dem anderen holt seinen Teller. Man isst und unterhält sich. Die Gespräche behandeln den letzten Aufenthalt in Hamburg, der schon drei Monate zurückliegt, aber auch den vorherigen Abend an Bord. Manche erzählen auch von zu Hause.

    Um acht Uhr geht jeder an seinen Arbeitsplatz. Der Koch räumt den Tisch ab, holt das Geschirr von der Brücke, nicht ohne einen Small Talk mit Kapitän Hansen, einem alten erfahrenen Seemann, der schon mehr als 20 Jahre zur See fährt, zu halten.

    Alles in allem ist es ein normaler Morgen auf See. Vier Tage sind sie seit Hamburg unterwegs, der letzte Stopp in dem großen Hafen dauerte drei Stunden. Keine Gelegenheit, auch nur einen Fuß an Land zu setzen. Verschiedene Container waren abgeladen worden, neue aufgeladen. Dann ging die Reise weiter. Die Elbe hoch, in die Deutsche Bucht, durch die Nordsee und den englischen Kanal, auch Ärmelkanal genannt, in den Nordatlantik. Sehr früh am Mittwoch passierten sie die irische Küste und ließen damit Europa hinter sich. Der Koch sah den Küstenstreifen gerade noch hinterm Horizont verschwinden. Bis New York, ihrem nächsten Hafen, werden die Seeleute kein Land mehr zu sehen bekommen. Um sie herum nur Wasser, der endlose Ozean, über ihnen der Himmel.

    Wer einmal an Deck stand und die unendliche Weite des Ozeans, den unbegrenzten Himmel sah, wird es nie vergessen, wie sich Himmel und Meer am Horizont vereinen. Ein Gefühl absoluter Freiheit.

    Jonny, 1961 geboren, wuchs in Ostfriesland auf. Er träumte seit seiner Schulzeit von fernen Ländern. Nach seiner Ausbildung als Bäcker arbeitete er zwei Jahre als Geselle, dann zog es ihn zur Kirmes, wo er von Stadt zu Stadt reiste, meist in Norddeutschland. Der Job war hart, aber das Vagabundenleben gefiel ihm. So zog er mit den Schaustellern durch Niedersachsen, Bremen und Hamburg. Doch er wollte mehr. Seine Sehnsucht war gigantisch. Er wollte hinaus in die weite Welt und heuerte auf gut Glück bei mehreren Reedereien entlang der Nordseeküste an. Bei einer Hamburger Reederei hatte er 1984 Glück. Seitdem kocht er auf deren Schiffen. Er ist 1,78 m groß und schlank, hat dunkle halblange Haare, ein ovales Gesicht mit feinen Zügen, und einen Schnauzbart, den er akribisch pflegt.

    Seit drei Jahren durchquert er mit diesem Koloss, der Ocean Star, einem Containerschiff von dreihundertzwanzig Metern Länge, die sieben Weltmeere, und seit nunmehr vier Jahren ist Jonny bei dieser Reederei beschäftigt. Das erste Jahr fuhr er auf dem Frachter Margret. Das bedeutete, Stückgut und Schüttgut zu transportieren. Nach seinem ersten Urlaub nach sechs Monaten auf See stieg er noch einmal auf die Margret, um dann nach drei Monaten in Liverpool auf das Containerschiff Ocean Star zu wechseln. Diesmal haben sie an die zehntausend Container geladen, was gleichzeitig so viel wie kaum oder gar keine Liegezeiten in den jeweiligen Häfen bedeutet.

    Der Tag verläuft ruhig, wie die meisten auf See. In den Fitnessraum, der ein Deck tiefer liegt, wird der Schiffskoch heute Abend nicht gehen, er zieht es vor, seine Kammer aufzusuchen, um ein wenig zu lesen. Später will er dann noch in die Messe schauen, dort gibt es ein TV und ein Videogerät. Auch Gesellschaftsspiele sind reichlich vorhanden.

    Jonny sitzt also in seiner Kammer, hat sich eine Flasche Bier geöffnet und liest. Heute hat er ein Feierabend Bier vorgezogen. Oft trinkt er Saft oder Mineralwasser, damit er fit für den nächsten arbeitsreichen Tag ist. Etwa dreißig Minuten sind vergangen, als jemand an seine Türe klopft. „Herein", ruft er. Es ist Salvatore, einer der Matrosen. Die beiden verstehen sich sehr gut, daher ist Jonny nicht überrascht, dass der Matrose ihn um eine Partie Schach fragt. Beide spielen das Brettspiel gleich gern. Die letzten zwei Spiele gingen auf den Koch, jetzt will der Matrose Revanche. Jonny bejaht seine Anfrage und sagt, dass er in etwa zehn Minuten im Aufenthaltsraum ist. Salvatore ist ein etwa 1,70 m großer drahtiger Mann mit dichten, schulterlangen schwarzen Haaren. Vor ca. einem Jahr machten sie mit der Margret, dem Schwesterschiff der Ocean Star und nicht zur Verschiffung von Containern geeignet, in seiner Heimatstadt Lissabon fest. Zwei Tage lag das Schiff damals mit Stückgut im Hafen der portugiesischen Hauptstadt. Salvatore lud den Koch ein, mit ihm in seine Wohnung zu kommen. Jonny sagte zu und sie setzten ihr Vorhaben am Abend in die Tat um. Der Portugiese telefonierte unterwegs mit zwei Frauen, die kurz nach den Männern ebenfalls in der Wohnung eintrafen. Es wurde ein sehr vergnügter Abend und eine heiße Nacht. Auch heute erinnert sich Jonny noch gern an die temperamentvolle Maria.

    Er schiebt die Erinnerung zur Seite und macht sich auf den Weg in den Aufenthaltsraum, wo sein Mitstreiter schon wartet. Sie spielen zwei Runden Schach, wobei die erste Runde Salvatore gewinnt, die letzte jedoch wieder an den Schiffskoch geht.

    Die kommenden fünf Tage verlaufen ohne besondere Vorfälle. Das Wetter hält sich, an Bord geht alles seinen normalen Gang. Am Himmel zeichnen sich in der Frühe beeindruckende Sonnenaufgänge ab. Die abendlichen Sonnenuntergänge sind nicht weniger ergreifend. Wale kreuzen den Frachter, ab und an auch mal ein anderes Schiff. Die verkehrsreiche Nordsee und der stark befahrene englische Kanal liegen weit hinter ihnen. Hier, in der Weite des Atlantischen Ozeans, verteilen sich die Dampfer, Frachter und Tanker. Außer Kapitän Hansen, den beiden Motorenanwärtern Henning und Rolf und den Matrosen Salvatore arbeiteten noch der Steuermann Arnold Süttgen aus Bremen, der Bootsmann Karl-Heinz, die Matrosen José, Hagen, Rodrigo und die Matrosen ohne Brief Ismael, Coco und natürlich der Koch Johannes, genannt Jonny auf der Ocean Star.

    Der Koch ist einer der wichtigsten Männer an Bord. Mit ihm steht und fällt die Gemeinschaft, die viele Monate auf engstem Raum zusammenarbeitet und -lebt. Ist das Essen gut, so ist die Mannschaft zufrieden. Jedoch nicht nur Kochen und Backen gehören zu seinen Aufgaben. An Feiertagen wie Ostern und Weihnachten sorgt der Smutje für Ostereier und Christbaum. Er bemüht sich besonders in dieser Zeit um eine warme Atmosphäre an Bord. Gelegentlich ist er auch Psychologe, oder anders ausgedrückt, der moralische Abfalleimer. Nicht selten kommt es vor, dass ein Crewmitglied seinen seelischen Kummer, meistens Heimweh in der Weihnachtszeit, beim Koch abbaut. Aber Jonny hat alles bestens im Griff. Er liebt die See, seinen Job und die Menschen, mit denen er die lange, manchmal einsame Zeit an Bord verbringt.

    Am zehnten Tag zieht ein Sturm auf. … Morgens ist der Himmel noch klar, die See ruhig, als sich während der Vormittagsstunden plötzlich der Himmel verdunkelt. Dichte schwere Wolken ziehen auf, der Wind wird stärker und entfacht zum Sturm. Nach einer knappen halben Stunde schlagen meterhohe Wellen gegen den Cargo-Liner.

    Die Ocean Star beginnt zu rollen, was den Kapitän veranlasst, den Kurs zu ändern, er gibt hart Steuerbord, das das große Containerschiff die schwere See von vorne nimmt. Damit wird die Angriffsfläche des Schiffes verringert. Es hört auf zu rollen und beginnt zu stampfen. Für das Schiff und seine Besatzung bedeutet das Rollen keine Gefahr, jedoch für die Container, die sich durch heftige Seitwärtsbewegungen womöglich lösen können. Mittlerweile sind die Wellen bis zu fünfzehn Meter hoch. Das Meer tobt. Der Ozeanriese stampft durch die schwere See.

    Der Koch schiebt gerade den Bräter mit dem Gulasch in den Backofen, als der Frachter zu rollen beginnt. Erst langsam, dann schneller. Jonny hat den sich zuziehenden Himmel beobachtet und vorgesorgt. Die metallene Halterung, die bei gutem Wetter im Winkel zum Herd steht und durch zwei Riegel an der Kombüsen Wand befestigt ist, liegt nun als Rahmen entlang der Herdplatten, der etwa 10 cm hoch ist. Dazu gehören noch zwei ebenfalls aus Metall bestehende Stangen, die man als Kreuz innerhalb der Umrandung befestigen kann, um zu verhindern, dass die Töpfe auf dem Herd verrutschen. Zusätzlich bindet der Koch die Töpfe mit stabilen Hanfstricken an dem Sicherheitsrahmen fest. Er sieht sich in der Kombüse um, ob irgendwelche Teile noch unbefestigt herumstehen, und achtet darauf, dass alle Schränke geschlossen sind. Dem Smutje, so der geläufige Name für den Schiffskoch im Seemannsjargon, ist klar, dass der Kapitän den Kurs ändert. Er weiß, das Rollen wird noch zunehmen, aber enden, sobald das Schiff die See von vorne hat.

    Nach einigen Minuten kommen die Matrosen herunter. An Deck kann im Moment nicht mehr gearbeitet werden. Sie trinken Kaffee. Solange sich das Schiff in dieser Wetterzone befindet, ist es für die Matrosen zu gefährlich, ihre Arbeiten draußen an Deck fortzuführen. Fürs Erste haben sie frei, bis sich das Wetter beruhigt. Anders der Koch. Er macht sich wieder an die Arbeit. Schließlich muss das Mittagessen um elf Uhr dreißig für den Steuermann auf dem Tisch stehen, damit der zweite Nautiker seine Mahlzeit einnehmen und um zwölf Uhr den Kapitän auf Wache ablösen kann. Der wird dann zusammen mit der Crew das Essen genießen. Es gibt zwei Speiseräume im Wohnbereich des Cargo Liners, jeweils einen für Offiziere und einen für die Crew, wobei der Speiseraum der Crew gleichzeitig als Aufenthaltsraum genutzt wird, der der Offiziere jedoch nur für die Mahlzeiten. Da der Kapitän aber nicht allein speisen möchte, ebenso wie der Steuermann, nehmen beide ihre Mahlzeiten im Mannschaftsraum mit der Crew ein. Aber auch der Motorenanwärter führt seinen Dienst in der Maschine fort. In den unteren Schiffsbereichen spürt man die Bewegung nicht so heftig wie in den oberen Etagen. Sollte der Sturm länger anhalten, müssen die Matrosen im Inneren der Schiffsaufbauten Reinigungsarbeiten verrichten. Mit der Zeit gewöhnt sich jeder Seemann daran, auf einem schaukelnden Schiff zu gehen und zu arbeiten, trotzdem passieren kleinere Missgeschicke, wie es an diesem Tag Rolf eins widerfährt.

    Rolf, ein schlanker, hochgewachsener Mann mit kurz geschnittenen blonden Haaren aus Hamburg, will sich eben einen Kaffee aus der großen Thermoskanne genehmigen. Er hält seine Muck unter die Fünfliter-Kanne und drückt auf den Auslöser. Im selben Moment holt der Frachter so abrupt über, dass der Arm des Matrosen abschwenkt und der Kaffee nicht in die Muck, sondern knapp daneben auf den Tisch läuft. Rolf schreit laut: „Scheiße, verdammt."

    Durch seinen Schrei aufmerksam geworden, dreht die Crew sich ihm zu, sieht den Pechvogel und fällt in schallendes Gelächter. „Gleichgewicht verloren", dröhnt Hagen, ein Mann von fast 1,90 m mit dunkelblonden Haaren, breiten Schultern, einem hageren, wettergegerbten Gesicht und mit schmalem Schnauzer.

    „Halts Maul, du Arsch", erwidert der Matrose in nicht ganz so aggressiven Ton, da dessen Ärger schon wieder verraucht ist. Er ärgert sich mehr über sich selbst als über seine Kameraden. Hagen nimmt seine Worte nicht ernst, er kennt ihn ja. Nun lachen alle, inklusive der Koch, der schon dachte, wieder einmal in einen handfesten Streit diplomatisch eingreifen zu müssen. Es gibt sehr wenige handfeste Auseinandersetzungen. Doch es kommt mitunter vor. Der Sturm hält den restlichen Tag und die darauffolgende Nacht an.

    Am Morgen hat sich das Wetter beruhigt, der Atlantik zeigt seine schönste Seite und einen hervorragenden gelborangenen Sonnenaufgang. Jonny bringt dem Alten (der unter der Mannschaft geläufige Name für den Kapitän, wenn dieser nicht zugegen ist), das Frühstück hoch. Ein gut gewürztes saftiges Kotelett, drei Schnitten Graubrot mit Wurst und Käse belegt. Dazu eine Kanne Kaffee.

    „Moin, Kapitän, alles überstanden?", fragt er leutselig.

    „Moin, Smutje. Na klar. So`n lütter Sturm haut uns doch nicht um. Wenn das Wetter nun so bleibt, kommen wir auch noch pünktlich in New York an. Unten denn alles heil geblieben?"

    „Ja. Wie geht es nach Big Apple weiter?" Jonny stellt diese Frage, weil die Ocean Star keine Linienfahrt betreibt, sondern Schütteltrip fährt. Bei Linienfahrt werden immer dieselben Häfen angesteuert, also die gleiche Route gefahren. Beim Schütteltrip ist jede Tour anders. Beim Anheuern erfährt der Seemann nur grob die Fahrtroute, oft wird nur große, kleine, oder mittlere Fahrt angegeben. So war es auch bei Jonny.

    Der Kapitän lacht. „Von New York wirst du wohl nicht viel sehen, wir liegen maximal drei Stunden im Hafen."

    „Ich weiß, trotzdem interessiert es mich, wie die Reise weitergeht, die Crew möchte das übrigens auch gerne erfahren."

    „Na gut. Der Kapitän überreicht dem Koch ein Blatt Papier, auf dem die folgenden Häfen der Reihe nach aufgelistet sind. „Der Steuermann hat sie für euch ausgedruckt, so wie es von der Reederei durchgefaxt wurde. Aber Änderungen sind jederzeit möglich.

    „Alles klar, super, ist doch `n netter Kerl, unser zweiter Offizier."

    „Da seht ihr mal, und jetzt zieh Leine", entgegnet der Kapitän gut gelaunt.

    Jonny nimmt das Stück Papier und verlässt die Brücke. Während des Frühstücks will er die restliche Crew über die weitere Reise aufklären. Er spurtet sich. Der Talk mit dem Kapitän hat doch was länger gedauert. Für das Frühstück ist zwar alles bereit, der Tisch gedeckt, das Fleisch fertig im Backofen, aber er möchte die Leute nicht unnötig warten lassen. Wieder in der Kombüse beginnt Jonny sofort, die Koteletts zu verteilen. Bis auf Coco ist die Crew abgesehen vom Steuermann komplett in der Messe eingetrudelt. Einige Minuten später betritt auch der letzte Matrose den Speiseraum, holt sich sein Kotelett und beginnt zu essen. Coco stammt aus Ghana und gehört mit seinen nicht mal 1,70 m zu den Kleineren der Mannschaft. Wegen seiner dunklen Hautfarbe wirken seine Zähne weißer, als sie tatsächlich sind. Sein rundes Gesicht mit der breiten Nase und den schwarzem Kraushaar geben ihm ein angenehmes Aussehen, was seinem Typ entspricht. Der Steuermann, der kurz nach sechs Uhr seine zwei Stücke Fleisch vertilgt hat, schläft bereits wieder. Der Bremer, ein aufgeschlossener Mann von 1,93 m unterhält sich gern, wenn die Zeit es zulässt.

    „Männer, ich weiß wie die Reise von New York aus weitergeht", meldet sich Jonny.

    „Spuks schon aus", sagt der Motorenanwärter.

    „Okay, spitzt die Lauscher. Also, von New York aus geht es nach Boston, dann Halifax, Philadelphia, Sao Paulo, Rio de Janeiro, Salvador, Cartagena,

    Vina del Mar in Chile, und dann direkt Kurs nach Sydney, Melbourne und Perth. Apropos Perth, da kann ich euch `ne Story erzählen …"

    „Halt uns nicht mit deinen Weibergeschichten auf , wendet Hagen sich an den Koch, „wir haben nicht ewig Zeit.

    „Schlecht geschlafen, oder was?", entgegnet Jonny.

    „Hagen hat recht," meint Karl-Heinz, auch Kalle genannt, der korpulente Bootsmann. Er hat schulterlanges braunes Haar, trägt einen Vollbart und misst 1,78 m.

    Alright", lenkt der Koch ein. „Also, von Perth fahren wir dann nach Manila, Hongkong, Schanghai, Bombay, Karachi, Alexandria, Piräus, Livorno, Taranto, Palermo, Marseille, Sete, Le Havre, Antwerpen, Rotterdam, und wieder nach Hamburg.

    „Also sind wir in fünf bis sechs Monaten wieder in Deutschland." Hagen ist ein stiller Zeitgenosse, der nur wenig redet. Er wohnt in Cuxhaven, wo seine Frau und Tochter auf ihn warten.

    „Das kommt in etwa hin, antwortete Kalle, hoffentlich geraten wir nicht noch mal in so einem verfluchten Sturm." Der zu Fülle neigende Kalle besitzt freundliche Gesichtszüge und ist meistens gut gelaunt.

    „Ist mir egal, erklärt Hagen, „dies ist meine vorerst letzte Reise, danach habe ich Urlaub.

    „Dann bist du Weihnachten zu Hause, du Glückspilz", stellt Jonny fest.

    „Seit drei Jahren wieder einmal, hoffentlich geht es diesmal klar."

    Zu dieser Zeit weiß niemand von der Besatzung, dass es für alle Beteiligten die letzte Reise auf der Ocean Star sein wird.

    Kapitän Hansen und der Steuermann sind ebenfalls verheiratet mit je zwei erwachsenen Kindern. Der Kapitän, ein gemütlicher Mann Ende fünfzig mit rundem Bauch hat schon drei Enkelkinder. Kurz geschnittene weiße Haare und ein ebenso weißer Vollbart vermittelten das typische Erscheinungsbild eines Kapitäns, wie das gemeine Volk ihn sich vorstellt. Sein gut durchtrainierter Körper trägt positiv dazu bei. Zum Steuermann gehören zwei Jungen, die im Berufsleben stehen. Coco wohnt mit seiner Frau, seinem fünfjährigen Sohn Nelson und den Töchtern Kyshandra und Eleonore im Alter von drei und zwei Jahren in Ghana. José und Ismael haben ebenfalls Familie. Die restlichen Crewmitglieder sind entweder noch nicht verheiratet oder geschieden. Nur wenige Seemannsehen bleiben auf Dauer bestehen. Ein Seemann ist sechs Monate durchgehend auf den Meeren dieser Welt unterwegs, das ist eine lange Zeitperiode insbesondere für die Frau, die viele Dinge selbstständig bewerkstelligen muss. Jonny gehört zu jenen, die noch nicht verheiratet sind, und hat auch nicht vor, sich in nächster Zukunft standesamtlich zu binden. Er genießt sein momentanes Leben und seine Freiheit.

    Freitagmorgen um drei Uhr dreißig ertönt der laute durchdringende Ton der Sprechanlage. Jonny wacht auf, realisiert den Ton, und drückt verschlafen den Knopf der Gegen-Sprechanlage. „Ja?"

    Die Stimme des Steuermanns. „Koch, raus aus der Koje, die Nacht ist vorbei, mach `ne Kanne Kaffee und wecke die Mannschaft. In zwanzig Minuten kommt der Lotse an Bord."

    Sofort ist Jonny hellwach. „Alles klar."

    Rasch zieht er sich an, schlägt sich kaltes Wasser ins Gesicht und weckt zuerst Hagen, weil der Matrose den Lotsen in Empfang nehmen soll. Die anderen haben noch etwas Zeit. Die Fahrt mit dem Lotsen bis zur Containerpier wird knapp eine halbe Stunde dauern. Der Koch setzt Kaffee auf und weckt die restlichen Matrosen einen nach dem anderen. Hagen ist bereits im Gang Bord und lässt die Lotsenleiter herunter. Gang Bord werden die beiden Gänge längs des Schiffes genannt. Sie liegen zwischen Laderaum und Außen Reling.

    „Good morning", begrüßt Hagen den Lotsen.

    Dieser erwiderte den Gruß und macht sich auf den Weg zur Brücke. Als der Matrose in die Kombüse kommt, ist der Kaffee fertig. Die anderen Matrosen haben sich in der Messe versammelt und trinken Kaffee. Auch Hagen nimmt sich eine Muck und bedient eine der großen Thermoskannen.

    „Gleich könnt ihr mit dem Endlaschen loslegen", sagt der Bootsmann.

    Kurz danach gehen die Matrosen an Deck, um die Container zu lösen, die in New York gelöscht werden sollen.

    Der Koch beginnt, Brötchen für das Frühstück zu backen. Es lohnt auch nicht, sich jetzt noch einmal hinzulegen. Er denkt daran, wie sie mit der Margret damals ein ganzes Wochenende im New Yorker Hafen lagen. Mit vier Mann hatten sie sich eines der gelben Taxen bestellt und waren in die City gefahren. Damals, 1986, vor zwei Jahren. Sie waren auf dem Empire State Building gewesen, hatten sich Getränke gekauft und genossen die hervorragende Aussicht vom 102. Stockwerk. Danach bestaunten sie die Twin Towers und die New Yorker Oper. Anschließend besuchten sie noch China Town und waren fasziniert vom Gewusel der vielen Menschen und der ostasiatischen Atmosphäre. Der Überlegung, mit der Fähre von Manhattan nach Staten Island überzusetzen, ließen sie keine Taten folgen. Dennoch war es ein toller Ausflug gewesen.

    Diesmal war an Landgang nicht zu denken. Jonny kam es vor, als wäre das eine andere Ära der Seeschifffahrt gewesen. Seit er auf der Ocean Star arbeitet, gibt es keine Liegezeiten mehr. Die Containerterminals liegen meist weit draußen, es bedarf nur einiger Stunden zum Löschen oder Laden der Container, und in den großen Seehäfen wird rund um die Uhr gearbeitet. Die Seemannsromantik ist mit der Containerfahrt vorbei. Aber auch die Schütt- und Stückgutfrachter haben nur selten noch längere Liegezeiten. Nichtsdestotrotz liebt Jonny diesen Job.

    Mittlerweile hat das große Containerschiff im Hafen festgemacht. Die riesigen Kräne haben die ersten Container abgeladen. In etwa zweieinhalb Stunden wird der Dampfer den Hafen wieder verlassen und heute Abend in Boston einlaufen. Auch dort werden sie nur einige Stunden im Hafen festmachen.

    Außerhalb der geschäftigen Häfen schwelgt Jonny oft in Erinnerungen an sein erstes Schiff, die Margret, wo die Liegezeiten meistens länger und die Chancen für einen Landgang größer waren. Er erinnert sich daran, wie er einmal in Boston das Schiff verpasste, weil er zu lange bei einer schönen Bostonerin gewesen und die Zeit vergaß.

    Am Abend zuvor hatte er sie in einer Kneipe mit dem einladenden Namen „The pearl of Boston" kennengelernt. Jonny sah die junge Frau gleich beim Eintreten in die Pinte am Tresen sitzen. Geradewegs steuerte er auf sie zu. Sie war allein und so erkundigte sich der Schiffskoch, ob er neben ihr Platz nehmen könne.

    Sie lächelte und nickte Jonny zu. Nach gegenseitiger Bekanntmachung spendierte Jonny Rachel einen Cocktail. Für sich selbst bestellte er ein Bier. Rachel Green war zweiundzwanzig, also zwei Jahre jünger als er. Sie hatte bis auf die Schultern langes braunes lockiges Haar, ein schmales Gesicht, tiefblaue Augen, lange Wimpern und einen wohlgeformten Mund mit vollen Lippen. Beide verstanden sich auf Anhieb. Sie tranken, lachten und redeten die ganze Zeit. Später, es war mittlerweile kurz vor Mitternacht, fragte Rachel, ob Jonny sie nach Hause begleiten wolle. Er stimmte zu, weil sein Schiff erst am nächsten Vormittag auslaufen sollte. Arm in Arm verließen die beiden die Kneipe, die etwas außerhalb des Hafens lag. Sie winkten ein Taxi heran und gelangten zu Rachels Adresse. Mrs. Green hatte eine behaglich eingerichtete Drei-Zimmer-Wohnung im vierundfünfzigsten Stock. Bei gedämpftem Licht tranken sie noch eine Flasche Wein, dann gingen sie ins Schlafzimmer. Den Wecker stellte Jonny auf fünf Uhr. Er hatte Rachel gesagt, dass er um sechs Uhr wieder an Bord sein musste. Ihre Antwort lautete, er solle die Türen abschließen und den Schlüssel in den Briefkasten werfen.

    Aber Jonny hörte keinen Wecker, und als er schließlich aus einem tiefen Schlaf erwachte, wunderte er sich, dass es schon so hell war, er schaute auf die Uhr, gleich zwanzig nach neun, da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Verdammt, mein Schiff , rief er. Rachel schlief noch. Durch seinen plötzlichen Aufschrei leicht, aber nicht wirklich wach, murmelte sie: „What the matter.

    Jonny kümmerte sich nicht darum und sprang aus dem Bett, zog sich an. Spätestens um zehn sollte die Margret auslaufen. Er nahm den Wohnungsschlüssel vom Wohnzimmertisch, den Hausschlüssel fand er nicht und hoffte, dass die Tür unten nicht verschlossen war. Mit dem Lift fuhr er nach unten und hatte Glück, die Tür war nicht abgeschlossen. Er warf den Wohnungsschlüssel in den Briefkasten und verließ den Wolkenkratzer. Schnell bekam er ein Taxi und fuhr zum Hafen. Auf dem Weg dorthin entspannte sich Jonny und seine Gedanken klärten sich. Okay, die Zubereitung des Frühstücks war vertan. Ärgerlich, aber nicht mehr zu ändern. Das Mittagessen packte er noch locker. Einen Anschiss vom Captain würde er sich wohl abholen. Kurz nach zehn stand Jonny an der Pier, doch es lag kein Schiff mehr dort. Wo der Frachter Margret hätte liegen sollen, war eine Lücke entstanden, nur das Wasser plätscherte an die Pier. Jonny schaute über das Hafenbecken, sah aber weit und breit kein Schiff fahren.

    „Mist", dachte Jonny im ersten Anflug von Wut. Wut auf sich selbst, weil er den Dampfer verpasst hatte. Doch alles Fluchen half nichts, das Schiff war weg.

    Jetzt hieß es überlegen. Der nächste Hafen war Sao Paulo in Brasilien, das hieß sechzehn bis siebzehn Tage See Törn. Was sollte er machen? Hinterherschwimmen geht nicht, dachte Jonny mit Galgenhumor. Er sah nur eine Möglichkeit, er musste zum Schiffsmakler gehen. Vielleicht konnte er das Schiff mit einem Lotsenboot noch erreichen. Dort erläuterte er Howard Hayes, dem Makler, seine Situation, und fragte, ob noch eine Möglichkeit bestand, das Schiff zu erreichen. Jedoch erfuhr er, dass die Margret schon um acht Uhr fünfundvierzig ausgelaufen und jetzt auf offener See sei. Da war nichts mehr zu machen. Jonny bedankte sich bei Mr. Hayes und verließ das Büro. Kurz darauf betrat er eine Telefonzelle, um mit Kapitän Hansen zu sprechen, der jetzt Schicht hatte und infolgedessen auf der Brücke sein musste.

    Der Anpfiff war unvermeidlich, schließlich hatte es ein ziemliches Chaos am Morgen gegeben. Der Kapitän hatte den Matrosen Hagen geweckt, der dann die übrige Crew weckte. Michael wurde vom Bootsmann zum Herrichten des Frühstücks eingestellt, das wegen des fehlenden Kochs einige Zeit später als sonst auf dem Tisch stand. Der normale Schiffsbetrieb wie Luken auffahren, Laderaum fegen, nach Beendigung der Löscharbeiten Luken zufahren, das Schiff seefest machen und den Laderaum waschen musste schließlich auch noch erledigt werden und war im Moment wichtiger als das Frühstück. Das Schiff musste pünktlich auslaufen. Dies alles, und noch einiges mehr den Koch betreffend, verkündete der Kapitän lautstark und nicht ohne Groll in der Stimme. Zudem waren die Hafenarbeiter mit den Löscharbeiten früher fertig als angenommen. Das war nichts Besonderes. Lade- oder Löschzeiten waren um ein oder zwei Stunden variabel. An diesem Tag kam natürlich alles zusammen, wie es oft der Fall ist. Viel Stress und schlechte Laune hatten also an Bord Einzug genommen.

    Inzwischen hatte sich die Lage wieder beruhigt, der Kapitän war einerseits froh, von seinem Koch zu hören, nachdem er alle Krankenhäuser und die Polizei angerufen hatte, ob Jonny in einer dieser Institutionen gelandet war. Andererseits flammte sein Zorn über Jonnys Nichterscheinen und den damit verbundenen Komplikationen wieder auf. Jonny hatte nun doch ein ungutes Gefühl im Magen. Ein schlechtes Gewissen der Crew gegenüber, die wegen ihm zusätzliche Arbeit hatte und die kommenden Tage noch haben würde.

    Endlich kam er zu Wort und ließ eine Entschuldigung verlauten. Prompt folgte die Antwort des Captains: „Steck dir deine Entschuldigung sonst wohin und sieh zu, dass du in 14 Tagen in Sao Paulo bist, oder du kannst gleich in den Staaten bleiben." Es klickte in der Leitung, Hansen hatte aufgelegt.

    Die Lage war fatal, aber nicht aussichtslos. Das miese Gefühl im Magen verschwand, die Leute an Bord würden sich wieder beruhigen, und Jonny war nicht der erste Seemann, der sein Schiff verpasst hatte. Der Steuermann hatte einmal Derartiges erzählt. Nach kurzer Überlegung ging er zurück ins Maklerbüro in der Hoffnung, Mr. Hays dort immer noch anzutreffen. Jonny hatte Glück.

    „Hallo, ich habe Sie schon erwartet!, rief der Makler aus. „Ich werde mich um das Ticket nach Sao Paulo kümmern. Das läuft dann über die Reederei, die meldet sich später bei dir. Brauchen Sie einen Vorschuss?

    „Ja, so 500 $."

    „Okay, wann wollen Sie fliegen? Gleich heute oder in den nächsten Tagen? Es bleiben ihnen ja einige zur Auswahl."

    „In zwölf Tagen, bis dahin werde ich in Boston bleiben."

    „Okay, um das Visum kümmere ich mich auch. Wo wollen Sie übernachten?"

    „Im Seemannsheim, da gehe ich gleich hin."

    „Brauchst du nicht, ich rufe dort an, dann bekommst du eine Zimmernummer und kannst jetzt wieder zu deinem Mädchen gehen."

    Jonny sah den Makler erstaunt an.

    Dieser lächelte und meinte: „Warum sonst hast du wohl dein Schiff verpasst?"

    Jetzt lächelte auch Jonny. „Okay, sollte ich nicht dort sein, hinterlassen Sie bitte eine Nachricht, sollte irgendwas sein."

    „Alright, hier hast du schon mal die 500 $, dafür benötige ich eine Unterschrift." Jonny nahm die Geldscheine und unterschrieb den Zettel.

    Nun, da alles geklärt war, verließ Jonny gut gelaunt das Maklerbüro. Die 500 $ würden wahrscheinlich nicht reichen, aber Jonny besaß eine Visa Card und machte sich keine Sorgen um Geld. Er lief jetzt schnurstracks zum Seemannsheim und quartierte sich für die kommenden zwölf Tage dort ein. Da der Makler schon angerufen hatte, ging das sehr zügig. Sein Zimmer war ein kleiner Raum mit einem Bett nebst Nachtkommode, einem Stuhl und einem Tisch, auf dem ein kleiner Fernseher stand. Vor dem Bett stand ein Kleiderschrank und gegenüber befand sich eine Tür, dahinter verbargen sich Dusche und WC. Er inspizierte es nur kurz, dann nahm er ein Taxi und ließ sich in die City von Boston bringen. Jonny kaufte einige Klamotten für die nächsten Tage ein. Bepackt mit einer Jeans, drei T-Shirts, vier Oberhemden, Socken und Unterwäsche und Hygieneartikeln rief der Schiffskoch erneut ein Taxi. Zurück im Seemannsheim warf er die beiden Tragetaschen aufs Bett und ging duschen. Jonny war

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