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CASPAR IM FAHRWASSER DER GESCHICHTE: Es begann, wie eine normale Walfangfahrt nach Grönland ...
CASPAR IM FAHRWASSER DER GESCHICHTE: Es begann, wie eine normale Walfangfahrt nach Grönland ...
CASPAR IM FAHRWASSER DER GESCHICHTE: Es begann, wie eine normale Walfangfahrt nach Grönland ...
eBook514 Seiten7 Stunden

CASPAR IM FAHRWASSER DER GESCHICHTE: Es begann, wie eine normale Walfangfahrt nach Grönland ...

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Über dieses E-Book

Ein glücklicher Umstand machte Caspars erste Walfangfahrt möglich, die sich im Verlauf zu einem lebensbedrohlichen Abenteuer entwickelte ... Inzwischen plante Lisa in Hamburg die Verlobungsfeier mit Caspar, während dieser unter Britischen Beschuss in Neufrankreich strandete. Wie sollten nun die Walfänger rechtzeitig den Heimathafen anlaufen können, wenn eine Blockade des "Spionageschiffes" dies verhinderte? Der Britisch-Französische Kolonialkrieg breitete sich aus und wurde mit zunehmender Dauer immer heftiger geführt.
War es wohl möglich, von Quebec quer durch die Wildnis nach Nouvelle Orleans zu gelangen? Dort waren die Wasserwege noch frei, doch wie lange noch? Nur so wäre die Verlobung mit Lisa noch zu schaffen!
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum2. Juni 2015
ISBN9783737547000
CASPAR IM FAHRWASSER DER GESCHICHTE: Es begann, wie eine normale Walfangfahrt nach Grönland ...

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    Buchvorschau

    CASPAR IM FAHRWASSER DER GESCHICHTE - Carsten Hoop

    CASPAR

    IM FAHRWASSER DER GESCHICHTE

    Abb. 1 Hamburg um 1750

    Caspar im Fahrwasser der Geschichte ist ein historischer Roman, der die Lebensumstände einer Hamburger Kaufmannsfamilie im Jahre 1755 erzählt. Im Zeitalter der Aufklärung hatten einige Menschen schon sehr früh verstanden, warum eine Veränderung in der Gesellschaft unumgänglich wurde. In immer größerer Zahl wurden Bücher und Zeitungen in Europa publiziert, so dass einer breiten Schicht der Bevölkerung die Informationen zugänglich gemacht werden konnten. Die außergewöhnliche Reise Caspar Kocks, die als Walfangfahrt für Kock & Konsorten nach Grönland begann, entwickelte sich zunehmend als gefährliche Tortour für die zusammen gewürfelte Mannschaft des Walfängers. Die Vorboten des tatsächlichen 1. Weltkrieges, der als Siebenjähriger Krieg in unsere Geschichte eingegangen war, sind Reibereien in den Kolonien der Seemächte in Indien und Amerika gewesen. So kam der Walfänger Konstanze zwischen die Fronten und sah sich in einer fast ausweglosen Situation ausgesetzt. Doch dann entschieden sich die Seeleute für einen spektakulären Plan...

    Inhalt des Buches:

    1.Walfang

    2. Grönland

    3. Neufrankreich

    4. Nouvelle Orléans

    5. Vater der Ströme

    6. Heimweh und Wehmut

    7. La Rochelle und danach

    8. Personen

    9. Nachbetrachtung

    10. Danksagung

    11. Quellenliteratur

    Abbildungen:

    Abbildung 1 Blick auf Hamburg vom Südufer der Elbe um 1750

    Abbildung 2 Hamburger Binnenhafen und Umgebung um 1755

    Abbildung 3 Reiseroute Caspars im gleichen Jahr

    1.Walfang

    Die neue Geschäftsidee

    Es war ein heißer Sonntag im Juli des Jahres 1755. In unserem Haus in der Katharinenstraße war nur noch die Dienstmagd Maria anwesend. Sie saß mit ihrem Strickzeug in der gläsernen Kammer der großen Diele. Sie hatte alles im Blick, wenn die Bewohner des Hauses ausgeflogen waren. Meine Eltern verbrachten den Sonntag wie gewöhnlich im Gartenhaus in Billwerder vor den Toren Hamburgs und entzogen sich der staubigen stickigen Stadt, sowie es viele andere auch taten. Mein Bruder Hinrich, meine Schwester Josephine und auch ich, waren schon lange nicht mehr mit ihnen dorthin gefahren. Vater, einstmals ein dunkler Typ mit mächtigen Augenbrauen, gewöhnte sich langsam, Mutter allerdings sehr langsam daran, dass wir unsere eigenen Wege gingen. Meine Mutter Charlotte, eine schmächtige Person mit freundlichem Gesicht, war der ruhende Pol der Familie, zugleich hielt sie alle Fäden zusammen. Hinrich wollte sich nach dem anstehenden Walfang mit Konstanze verloben, mit der er schon lange befreundet war. Mein großer Bruder hatte die braunen Augen meines Vaters, aber die Gestalt eines Leuchtturmes. Josephine, die ebenfalls älter ist als ich, konnte sich bei vielen Bewerbern kaum für einen Mann entscheiden. Sie hatte eine quirlige fröhliche Natur, die überall gute Laune verbreitete. Wem das noch nicht genügte, der schaute in ihre großen braunen Augen und auf ihr langes kastanienbraunes Haar. Derweil suchte ich neben der großen Diele im Kontor von Kock & Konsorten, dem Familienunternehmen, nach speziellen Plänen für den Schiffsneubau. Der fast fertig gebaute Walfänger hielt unsere Familie seit einiger Zeit in Atem. Mein Bruder Hinrich hatte vorgestern mit Vater die letzten Einzelheiten vor der Schiffstaufe besprochen und die Pläne nicht zur Werft mitgenommen. Das sollte ich jetzt nachholen. Die Unterlagen waren nicht dort wie vermutet, wo sie hätten sein sollten. Nach einer Weile hatte ich sie woanders endlich gefunden.

    Kurzum verließ ich unser Haus. Ein letzter grüßender Blick zu Marie. Sie schaute mir lange mit ihren wässrigen Augen nach, ohne dabei ihren Strickrhythmus ändern zu müssen. Sie genoss die stillen Sonntage im Sommer. So viel Ruhe zur Handarbeit gab es nur an diesen Tagen, wenn niemand zuhause war und sie mit der Katze Katinka als Herrin wachte.

    Die Sonne arbeitete sich aus einer Riesenmenge aufgetürmter Wolken heraus, als ich durch die Katharinenstraße schlenderte, die im Herzen von Hamburg lag. Die Schnitzereien und Verzierungen der Giebel in unserer Straße waren bei Sonnenschein besonders eindrucksvoll. Leuchtende Farben hatten die holländischen Baumeister verwand, um die Fassaden der Kaufmannshäuser prachtvoll erscheinen zu lassen.

    In einer halben Stunde war ich mit meiner Freundin Lisa verabredet, an unserem Lieblingsplatz im Hafen. Ich erhöhte mein Tempo und bog in die Mattentwiete ein, die als Straße kaum erkennbar war, weil die gegenüberliegenden Häuser sehr eng zueinander standen. Hier konnte die Sonne mir nicht folgen, da die Twiete außerdem hoch bebaut war. Seitliche Gänge führten in gedrängte Hinterhöfe. Hier passte kein Pferderücken mehr durch, wie man so sagte. Wäscheleinen wurden über die Gänge gespannt, dadurch wirkten sie noch enger. Ich hörte ein kleines Kind wimmern und schaute in die verwinkelte Gasse eines Ganges. Es saß auf dem blanken Kopfsteinpflaster im Unrat und wurde mit Fischabfällen von größeren Kindern beworfen. Eine Frau, mit einem Säugling auf dem Arm, kam schimpfend aus einem Hauseingang und klärte die Situation, so dass ich mich auf den Weg machen konnte.

    Obwohl ich mich darauf freute, Lisa zu sehen, war meine Stimmung dennoch getrübt. Bis vor einiger Zeit hatte ich die Hoffnung, den anstehenden Walfang als Besatzungsmitglied unseres neu gebauten Schiffes zu begleiten. Doch meine Eltern, Charlotte und Johann Ludwig Kock, hatten sich anders entschieden. Hinrich und unser Cousin Jacob aus La Rochelle sollten die Fahrt nach Grönland bestreiten. Vater hatte es vermieden, mir zu sagen warum ich nicht fahren durfte. Er ging derartigen Schwierigkeiten mit der Familie gerne aus dem Weg. Doch insgeheim wusste ich, dass einer der Gründe dafür mein Alter in Verbindung mit dem mangelnden Zutrauen meiner Eltern war. Dabei gehörten auch andere Männer mit 22 Jahren zur Besatzung! Der Schiffsjunge war gerade 15 Jahre alt geworden. Die Mutter, die schon öfter meine vom Kurs abweichenden Vorhaben ausbremste, argumentierte mit fadenscheinigen Begründungen, warum ich nicht mitfahren sollte. Auch sie vermied es, die ehrlichen Gründe zu nennen. Ich bin deshalb ziemlich enttäuscht gewesen. Sie verwiesen mich auf ein weiteres Jahr, bis zur nächsten Walsaison eben, wenn nichts dazwischen kommen würde. So hieß es. Dabei hatte ich genau wie Hinrich meine Seefahrer-Ausbildung mit guten Leistungen beendet. Uns fehlte nur noch die Praxis, die auf der Fahrt ins Eismeer vermittelt werden konnte.

    Meine Schritte in der hohlen Gasse empfand ich besonders laut, da hier jedes Geräusch durch den Halleffekt verstärkt wurde. Dabei versuchte ich den Krach meiner Sohlen zu dämpfen, indem ich nur noch mit den Zehen auftrat, ohne langsamer zu werden, denn die Zeit drängte. Mein Bruder erwartete mich vor Ort mit den Plänen des Schiffes. Seine Aufgabe an Bord war die Lagerung und der Transport der Speckfässer. Mit unserem Böttcher entwickelte Hinrich neue Verschlüsse, um den Walspeck länger haltbar zu machen und vor allem die Verluste in Grenzen zu halten. Besondere Sorgfalt war hier von Nöten, damit bei stürmischer See die Ladung nicht verrutschte. Sonst wäre unser neuer Unternehmenszweig „Walfang" gefährdet gewesen. Die Abfahrt des Schiffes hatte sich nunmehr um 3 Monate verzögert, da es nicht rechtzeitig zu Saisonbeginn fertig wurde. Doch in 3 Tagen sollte die Jungfernfahrt des Walfängers beginnen.

    Die Gewinnaussichten waren beim Walfang sehr gut, entsprechend hoch lag das Risiko im Verlust des Schiffes, der Mannschaft und oder des Fanges. Piraterie, Eisgang, Unwetter, Unfälle, Kriege und Krankheiten machen den Walfängern das Leben schwer. Mein Onkel Clemens aus La Rochelle und mein Vater hatten sich gegenseitig zu Teilhabern von Kock & Konsorten, Hamburg und Kock & Konsorten, La Rochelle gemacht, um das Risiko bei Verlusten zu verringern. Da die Brüder sich wechselseitig mit den jeweils hiesigen Handelswaren belieferten, hatten sie auch regelmäßigen Kontakt, um die nötigen Informationen auszutauschen. Den brauchten die beiden Kaufleute auch. Nicht nur wegen des Geschäfts, sondern weil sie sich sehr gut verstanden und auch unsere Familien ein sehr enges Verhältnis zueinander entwickelt hatten.

    Mein Onkel war damals nach La Rochelle gegangen, weil er dort auf Reisen die Tochter eines Weinbauers kennen lernte und sogleich heiratete. Tante Nathalie spricht nicht nur zwischenzeitlich ziemlich gut Deutsch. Zu unserer aller Freude beherrscht sie auch Hamburger Besonderheiten der norddeutschen Sprache. Wenn Tante Nathalie Worte mit den Anfangsbuchstaben ST oder SP aussprach, dann hielten wir uns alle vor Lachen den Bauch. Das sorgte stets für unterhaltsame Tage der Zusammentreffen. Onkel Clemens und Tante Nathalie hatten ihren Sohn Jacob, der 2 Jahre älter war als ich, zweisprachig in La Rochelle aufwachsen lassen. Seit kurzer Zeit kümmerte sich Jacob ganz alleine um den Hamburg- Handel, während Onkel Clemens eine neue Amerika-Verbindung aufgebaut hatte.

    Jetzt erreichte ich den Neuen Kran, die Straße mit der gleichnamigen Gerätschaft. Mit einer riesigen Eisenkralle hievt der Kran besonders schwere Lasten aus den Bäuchen der Schiffe oder umgekehrt. Auch hier war heute alles wie ausgestorben. Wochentags dagegen pulsierte das Leben. Geschäftig ging jeder seiner Tätigkeit nach, als kleiner Teil des großen Ganzen. Und es drehte sich eigentlich immer nur um das Eine: Be- und Entladen der Schiffe. Der Binnenhafen lag voller Segler, die nur darauf warteten, endlich wieder auf große Fahrt zu kommen. Der Hafen platzte aus allen Nähten. Inzwischen gingen die Schiffe schon vor dem Niederbaum auf Reede. Doch das Unterfangen wurde immer schwieriger, weil auch dort der Platz begrenzt war. Schließlich konnte die Fahrrinne der Elbe nicht blockiert werden. Der Handel blühte in den letzten Jahren des Friedens weiter auf. Diese Zeiten wurden von den Kaufleuten zum eifrigen Warenaustausch genutzt. Die politische Lage in Europa konnte schon bald wieder eine andere sein. Die Landesfürsten und Könige änderten gelegentlich ihre Bündnisse mit den europäischen Mächten, freien Städten oder Fürstentümern.

    Wir Hamburger versuchen uns in bewährter Tradition aus diesen Konflikten möglichst herauszuhalten und schauten der neuen Situation meistens gelassen ins Auge. Das hatte der Stadt in den letzten Jahrhunderten Wohlstand und Frieden eingebracht. Auch wenn wir uns unsere Sicherheit oft teuer erkaufen mussten, als militärisches Leichtgewicht war es jedes Mal eine kluge Wahl. Zuweilen waren die Speicher voll. Wenn ich meiner Zeitung, dem Hamburger Korrespondenten, Glauben schenken darf, sind die friedvollen Zeiten bald erst einmal wieder vorbei. Das Blatt genießt den Ruf, die Wahrheit auch drucken zu dürfen. Über den Tellerrand zu schauen, war für den einfachen Bürger bislang schwer gewesen. Durch den Hafen und den damit verbundenen Austausch an Informationen war es der Zeitung jedoch möglich, ein vielschichtiges Meinungsbild zu erhalten, zu vertreten und letztlich zu publizieren. Zumal die Verbreitung von neuen Ideen in der Gesellschaft neuen Zulauf gewann und verbesserte Drucktechnik ihren Anfang nahm.

    Endlich hatte ich den Hafen passiert und den südlichen Wall erreicht. Die Stadtwachen standen im Schatten des trutzigen Sandtores, das nochmals deutlich über den Stadtwall hinaus ragte. Die Sonne befreite sich nun endgültig aus den Wolken und die Juli-Hitze dieser Tage brannte unaufhörlich. Ansonsten sah ich auch hier keinen Menschen. Wer nicht unbedingt ins Freie musste, blieb wo es etwas kühler war, an diesem Tag im Sommer des Jahres 1755.

    Das Sandtor der Stadtmauer verbannt die südlich vorgelagerte Insel Großer Grasbrook durch eine Holzbrücke über den Stadtgraben. Auf dem Grasbrook lagen die Schiffsneubauten wie die Perlen an der Kette. Dort hatte sich die Werft ständig vergrößert und ein Ende der Ausbreitung war nicht abzusehen, da die Insel groß genug war. Durch ein Meer von Schiffsaufbauten konnte ich unseren Walfänger dennoch erkennen und ich näherte mich ihm auf dem staubigen Grund mit großen Schritten. Morgen wollten Onkel Clemens, Tante Nathalie und Jacob aus Frankreich hier sein. Natürlich mit den üblichen Handelswaren ihrer Region. Das normale Geschäft ging schließlich weiter. Nur das Jacob diesmal mit einem anderen Schiff den Hafen verlassen sollte...

    Wie gern wäre ich auch dabei gewesen!

    „Hallo Hinrich!", rief ich schon von weitem, denn er war unschwer auszumachen. Mein Bruder überragte meistens alle mit mindestens einer Kopflänge. Er war zurzeit allerdings in eine intensive Unterhaltung mit dem Schiffszimmer-Meister verstrickt. Hinrich wollte heute die letzten Änderungswünsche mit dem verantwortlichen Meister besprechen. Im Laderaum und an Deck sollten ein paar technische Details verbessert werden.

    Nachdem mich mein Bruder womöglich nicht gehört hatte, wartete ich mit meiner Ungeduld, bis ich ihnen näher gekommen war.

    „Darf ich euch kurz stören, Meister Schulz?"

    „Hallo, Caspar! Hast du die Pläne mitgebracht?", sagte Hinrich erwartungsvoll, ohne den Meister zu vernehmen.

    „Deswegen bin ich doch gekommen, weil du die Pläne vergessen hast", entgegnete ich ihm heraus fordernd.

    „Und warum kommst du so spät? Ich wollte schon einen Fuhrmann zu Marie schicken."

    „Die Pläne lagen nicht da, wo du sagtest dass sie liegen würden!", antwortete ich und er verdrehte die Augen. Er wollte es scheinbar nicht allzu genau wissen.

    Ich gab ihm die Pläne, er bedankte sich knapp und drehte mir den Rücken zu. Nun war er wieder eingetaucht in das Gespräch mit dem Meister, der für den Neubau verantwortlich war. Hinrich war ein sehr gewissenhafter Mensch. Er setzte alles daran, seine Vorstellungen haargenau umsetzen zu lassen. Deswegen betrachtete ich sein barsches Auftreten mir gegenüber nicht als ungewöhnliche Manier. Ich schaute mir die Baufortschritte auf dem Oberdeck an und stand den Zimmerleuten schon bald im Weg, bis mir das Läuten der Hamburger Kirchtürme klar machte, dass Lisa bei unserem Treffpunkt auf der Bastion Georgius auf mich wartete.

    Ich verließ unseren Walfänger, der rein äußerlich eigentlich schon jetzt vollkommen aussah. Dabei war selbstverständlich, dass einige Deckarbeiten aus Zeitgründen erst auf der Jungfernfahrt vollendet werden sollten. Dennoch arbeitete die ganze Werft auch sonntags.

    Nun beeilte ich mich. Ich wollte Lisa nicht länger warten lassen. Als das Sandtor wiederum erreicht war, brauchte ich die übliche Kontrolle der Wachmannschaft nicht nochmals über mich ergehen zu lassen. Viele Wachleute kannte ich, da das Nadelöhr mehrmals täglich zwischen unserem Haus und der Schiffswerft passiert werden musste. Noch nie gab es von ihnen etwas zu beanstanden. Es war während dessen so drückend geworden, dass ich jeden erdenklichen Knopf meiner Kleidung öffnete. Ich erreichte über die Treppen die oberen Wallanlagen. Hinter dem Gemäuer, dessen Schießscharten nie ernsthaft von Nöten waren, wartete eine breite Promenade, die zu ausgiebigen Spaziergängen von der Bevölkerung genutzt werden konnte. Über diesen Weg konnten rund um Hamburg alle 22 Bastionen erreicht werden. Die Bastionen, gewaltige Plattformen der Verteidigung, die über die Stadtmauern in ihrer Tiefe heraus ragten und so besonders strategisch nutzbar waren. Außerdem führte Einschüchterung durch die besonders wuchtige Bauweise schon vorab zur Einstellung von Kriegshandlungen. Leicht erhöht gebaut, boten sie zu Friedenszeiten außerdem einen wunderschönen Ausblick. Wenn die Dänen aus der benachbarten Stadt Altona nicht gelegentlich mit den Säbeln rasseln würden, wären die Wallanlagen vielleicht schon längst reine Spazierwege geworden.

    „Caspar, Caspar! Ich bin es", rief eine vertraute weibliche Stimme aus der Ferne. Ich sah Lisa nicht, aber ich erkannte sofort ihre liebliche Stimme. Meine Augen waren nicht die Besten, trotz der Brille auf der Nase. Als ich Lisa dann sah, war sie noch wirklich weit weg. Sie kam mir auf den Wallanlagen entgegen. Sie konnte sich denken, dass ich von der Schiffswerft kam. Sie wusste eigentlich vieles immer ein wenig eher als andere. Kurzum, sie hatte einen siebten Sinn für alles Erdenkliche. Selbst das was ungedacht blieb, wusste sie bereits. Eine leichte Brise erreichte zur rechten Zeit meine Stirn. Das erfrischende Lüftchen zeichnete das spazieren gehen bei großer Hitze auf den Wallanlagen aus.

    Ich kontrollierte den Sitz meiner Kleidung und entschloss mich, die unüblich geöffneten Knöpfe, wieder zu schließen. Allein schon deshalb, damit Lisa nicht gleich anfing, an mir herum zu zubbeln. Das konnte ich nicht leiden. Sie war zwischenzeitlich so gut zu erkennen, dass ich ihr erfrischendes Lächeln sehen konnte. Ihre dunkelblonden Haare flatterten im leichten Wind, obwohl ein großer Sommerhut den größten Teil der Haarpracht gefangen hielt. Lisa hatte ihr türkisgrünes Kleid an, passend zu ihrer Augenfarbe. Ihre schlanken Hände hatten den großen Hut fest im Griff, da der Wind nun zunahm. Wir waren hier oben auf der Promenade die einzigen Besucher, so dass Lisa sich traute, besonders überschwänglich zu winken. Ich versuchte sie noch zu überbieten, wohl wissend, dass wirklich niemand zuschaute.

    „Caspar, schön dich zu sehen! Aber du bist spät dran", rief sie und schaute mich fragend an. Ich nahm sie in die Arme und gab ihr einen dicken Kuss.

    „Tut mir leid, die kleine Verspätung. Toll siehst du aus! Bist du etwa die kleine Lisa vom Schaarmarkt? Kaum zu glauben."

    „Hör auf! Sag mir lieber warum du zu spät kommst?"

    „Ich war noch zum Schiff geeilt. Hinrich brauchte mich dort als Laufbursche, weil er die Pläne vergessen hatte. Wollen wir erst spazieren gehen oder gleich eine Limonade trinken gehen?", fragte ich Lisa.

    „Mir ist so heiß. Ich würde gerne zum Blockhaus spazieren gehen und dort eine Limonade trinken!"

    „Schön, dass du dich so eindeutig entschieden hast, ganz wie ich es von dir gewohnt bin!"

    „ Sag du nicht immer kleine Lisa. Das mag ich nicht hören!", schmollte sie.

    „Übrigens - du kannst ruhig 2 Knöpfe mehr aufmachen, Caspar. Nicht alle Knöpfe die vorhanden sind, müssen auch unbedingt geschlossen werden!"

    Ich war wie immer „Herr der Lage" und sie fummelte nun doch an meinen Rockknöpfen herum. Aber es ging vorüber und ich erzählte ihr, wie mein Tag bisher verlaufen war. Sie hakte sich bei mir unter und wir gingen im Schlenderschritt zur Bastion Georgius. Jede Bastion hatte einen Vornamen der damaligen Ratsherren erhalten, als die Wehranlage vor über 100 Jahren von einem holländischen Baumeister erschaffen wurde. Zuerst erreichten wir allerdings die Bastion Hermandus. Wie das bei unseren Wallspaziergängen so üblich war, gingen wir zum äußersten Rand der Bastion und genossen für eine Weile den Ausblick. Vor uns lag der Stadtgraben, den man auch als östlich fließenden Arm der Alster ansehen konnte. Jedenfalls war er damals bei dem Bau der Festungsanlagen entstanden. Ursprünglich hatte der kleinere Fluss Alster, von Norden kommend mehrere Arme, die aufgrund der Entwicklung der Stadt, auch öfters von Menschenhand verändert worden waren. Der Arm hatte den Charakter eines Stadtgrabens, obwohl die Fließgeschwindigkeit der Alster erkennbar war. Dieses Gewässer trennte den Großen Grasbrook vom eigentlichen Festland. Der westliche Teil der Insel wurde von den Werften der Schiffszimmerer vereinnahmt. Wie ich schon erwähnte, breitete sich die Werft immer weiter aus. Der östliche Teil wurde allmählich bebaut. Gewerbebetriebe, Handwerkerbehausungen, Fischerhütten und private Häuser entstanden dort und ließen den Abstand zur Werft kleiner werden. Wir guckten von Hermannus direkt auf die Werft. Die Elbe floss gemächlich dahin. Wir hatten Niedrigwasser. Der Strand vom Grasbrook hatte jetzt die doppelte Tiefe. Alte Frauen sammelten Flusskrebse, die sie morgen auf den Märkten der Stadt verkaufen werden. Eine große Anzahl Kinder badete in der Elbe, während einige Mütter den Schatten der Elbweiden in Ufernähe suchten. In der Kürze des Hochsommers war dieser Spaß für die Mädchen und Jungen der Stadt eine besondere Attraktion. Das schöne Wetter machte dieses Szenario möglich und man wusste nie, wie lange es anhalten würde. Lisa erzählte mir, wie ihr Vormittag verlaufen war. Sie weiß, dass mich die Gottesdienstgeschichten nicht so unbedingt interessieren. Dennoch hörte ich zu und machte trotzdem ein freundliches Gesicht. Unausweichlich musste ich immer noch mit meiner Stimmung kämpfen. Lisa wusste nur zu gut, wie gern ich mit auf Walfangtour gefahren wäre. Sie ist ebenso vertraut mit meinem unendlichen Fernweh, das in mir brodelte. Ich konnte es nicht verbergen. Wir kannten uns seit unserer Kindheit. Wir waren damals Nachbarn am Schaarmarkt, bis Kock & Konsorten größere Räumlichkeiten benötigten. Mein Vater hatte den Handel immer weiter ausgedehnt, so dass mehr Lagerraum notwendig wurde. Der wirtschaftliche Erfolg verhalf uns, in eine „feinere Gegend umzuziehen. Ein Kaufmannshaus mit Fleetanbindung machte „wohnen und arbeiten unter einem Dach komfortabel. Unserer Freundschaft hatte die räumliche Trennung nie geschadet.

    „Warum kannst du dich nicht mit der Arbeit bei deinem Vater zufrieden geben? Verstehst dich doch gut mit deiner Familie. Und du hast ein gutes Salär. Außerdem hast du - mich!", platzte es aus Lisa plötzlich heraus. Dabei entstanden kleine Fältchen auf ihrer Stirn, die wieder verschwanden und sich anschließend mit Gesichtsröte abwechselte. Ihre Spontaneität überraschte sie selbst. Ich schaute ihr lange in die Augen. Die reflektierenden Sonnenstrahlen der Elbe funkelten in ihren Augen. Dann passierte eine Weile nichts. Auf Antwort wartend, stand sie bewegungslos da. Ich hatte nach einer griffigen Formulierung gesucht und musste nun langsam etwas dazu sagen.

    „Lisa, du weißt... ich möchte erst etwas von der Welt sehen, die mir jeden Tag im Hafen durch unglaubliche Geschichten schmackhaft gemacht wird. Wo kommen die Waren her, die durch meine Hände gehen und wie leben und denken die Menschen, die uns beliefern? Ich habe zwar viel gelernt, hingegen passiert hier derweilen wenig. Wir sind doch noch jung. Können wir mit der Heirat nicht noch warten?"

    „Was interessieren dich andere Menschen? Du wirst doch unterwegs nur Wale sehen!"

    „Möchtest du nicht wissen, wie andere Völker organisiert sind? Vielleicht können wir vieles von Ihnen lernen. Auf Grönland gibt es die Inuit, die Urbevölkerung, die von uns bezeichnenderweise Rohfleischfresser genannt werden. Allerdings benutzen die Seefahrer das übersetzte Wort Eskimo, so dass auf dem ersten Blick die Beleidigung der Menschen nicht wahrgenommen wird. Jedenfalls sieht man nicht nur Wale und Robben beim Walfang."

    Sie schaute mich enttäuscht an. Mit weiblicher Intuition hatte Lisa versucht, diesen romantischen Augenblick zu nutzen. Wenn ich nicht aufpasse, gelingt ihr demnächst ein solcher Vorstoß, dachte ich. Ich flüsterte ihr ins Ohr, dass ich sie liebe und drückte sie an mich. Nunmehr waren vorerst keine weiteren Einwände zu hören und wir schauten uns vom Stadtwall das emsige Treiben auf der Werft an. Wie in einem Ameisenhaufen liefen die Arbeiter hin und her. Sie trugen Gegenstände aus Holz oder hatten Werkzeug in den Händen. Selbst an diesem schönen Sonntag. Doch die Verspätung des Schiffsneubaus rief zur Eile. Der elbabwärts kommende Wind sorgte wiederum für Kühlung. Der vertraute Duft der Elbe sorgte für eine angenehme Atmosphäre. Am Elbstrand war derweil noch mehr Leben entstanden. Viele Menschen suchten Abkühlung am Strom. Hundegebell und Kindergeschrei wechselten sich ab. Größere Jungen schwammen auf alten Schiffsplanken. Selbst Ältere gingen mit den Beinen ins Wasser, um ein wenig Erfrischung ringend.

    „Wollen wir jetzt eine Limonade trinken gehen?", fragte ich Lisa. Sie nickte zustimmend. Wir wendeten uns von der Elbseite ab. Plötzlich und unverhofft gab es einen lauten Knall. Was war geschehen? Wir schauten erschrocken zur Schiffswerft.

    Über der Werft breitete sich eine große Staubwolke aus. Mit Unbehagen stellte ich fest, dass die Wolke in der Nähe von unserem Walfänger ihren Ursprung nahm. Dort liefen einige Schiffbauer wild gestikulierend und schreiend durcheinander.

    „Caspar, da ist was schlimmes passiert! Da ruft jemand ganz laut nach Hilfe", sagte Lisa ängstlich.

    „Las uns schnell hinlaufen und helfen", antwortete ich.

    Wir hasteten Richtung Sandtor und ich überlegte noch, ob die Stadtwache inzwischen alarmiert wurde.

    „Sieh mal, die Bürgerwachen laufen zur Werft und dort andere spannen die Pferde an", sagte Lisa. Ohne Zweifel es gab auf der Werft einen Unfall, der die Männer zum raschen Handeln veranlasste. Lisa hielt kurz an und zog sich die Schuhe aus. Sie griff nach ihren Schuhen und lief barfuß flinken Fußes weiter. Schnell hatte sie mich wieder eingeholt. Nun schickte auch die Feuerwehr noch eine Mannschaft zur Werft, die den sonntäglichen Frieden der Stadt endgültig verabschiedete. Auf dem Wall hatte man zu beiden Seiten den Überblick.

    Derweil hatten wir die Treppen des Sandtores erreicht. Ein zweites Gespann der Wache machte sich auf den Weg zur Werft. Wir nutzten die Gelegenheit und stiegen schnell auf, sowie die aus allen Richtungen herbei geeilten Männer der Bürgerwache. Dann fuhr der mit Helfern gefüllte Wagen im rasanten Tempo zur Werft. Wir stellten dort fest, dass wie vermutet unser Schiff betroffen war. Die Neigung des Rumpfes hatte sich verändert und ein erheblicher Teil des angebauten Gerüstes war nicht mehr da. Von allen Seiten kamen jetzt Helfer herbei und zogen die Schiffshandwerker aus den Trümmern.

    „Hinrich!", schrie ich und blickte suchend in die Menge. Ich nahm Lisa an die Hand. Erschrocken blickten wir uns an. Hatte Hinrich das Unglück unbeschadet überstanden? Wir suchten ihn, aber fanden meinen Bruder nicht.

    Bald darauf sah ich den Schiffzimmer-Meister Schulz, mit dem mein Bruder noch vorhin intensiv sprach. Er hatte einen Verband um den Kopf gewickelt und redete mit dem Hauptmann der Bürgerwache. Wir liefen direkt auf ihn zu und fragten, ob er Hinrich gesehen hatte.

    „Ich weiß nicht wo er jetzt ist. Kurz vor dem Knall war er noch in meiner Nähe, sagte der Meister, „geht doch mal um das Schiff herum. Dort wurden eben einige Verletzte in Sicherheit gebracht.

    „Danke!", erwiderte Lisa mit leiser Stimme.

    Lisa und ich stiegen über Trümmerteile um den Rumpf des Schiffes herum und sahen die Verunglückten, die bereits von Helfern versorgt wurden. Dann erblickte ich Hinrich. Sein Gesicht war kaum zu erkennen. Er blutete stark am Kopf und lag bewegungslos auf einer Planke, die vorher ein Teil des Schiffskörpers gewesen war.

    „Bruder, kannst du mich hören?" Er antwortete nicht und ich schaute Lisa ratlos an. Lisa versuchte nochmals ihn zu einer Reaktion zu bewegen und nahm seine Hand. Hinrich atmete schwer. Immerhin!

    Er hatte einen Schlag auf den Kopf bekommen oder ähnliches und war jetzt bewusstlos. Neben ihm lag einer der Reepschläger, die das Tauwerk dem Schiffsneubau beisteuerten. Er war ebenfalls am Kopf verletzt und bewusstlos.

    „Lisa, bleib du bei Hinrich. Ich besorge eine Trage und ein Fuhrwerk", rief ich hastig.

    Sie versorgte die blutende Wunde am Kopf von Hinrich und die des Reepschlägers. Ich lief auf die andere Seite und sah ein Fuhrwerk ankommen. Hektisch orderte ich den Wagen mit Händen und Füßen und wies dem Kutscher den Weg um den Rumpf des Schiffes herum. Wir luden so viele Verletzte wie möglich auf den Wagen. Lisa blieb auf der Ladefläche bei Hinrich. Der Kutscher bot mir den Platz neben sich auf dem Bock an und wir fuhren Richtung Sandtor. Inzwischen kamen uns weitere Hilfswillige entgegen, die unsere Staubwolke schlucken mussten. Wir fuhren zum Hopfenmarkt in die Stadt. Dort wurde nicht nur der meiste Hopfen verkauft. Eine Krankenanstalt und ein fähiger Doktor der Medizin waren am Hopfenmarkt zu finden. Ich hatte schon viel „Gutes" über den Doktor gehört. Ob er sonntags Dienst hatte? Dr. Limbacher hieß er und er war Gott sei Dank anwesend. Der Doktor hatte bereits vom Werftunfall gehört und stand wartend im Eingang seiner Krankenanstalt.

    Er sagte nur knapp und leise: „Gehirnerschütterung, das wird wieder". Sein grauer Vollbart machte es unmöglich, seine Lippenbewegungen auszumachen. Doch seine Geste war eindeutig.

    „Auf der Werft, da… ", sagte ich und er unterbrach mich.

    „Haben wir schon gehört. Es ist alles vorbereitet. Aus dem Kloster kommen gleich noch zusätzlich Schwestern, damit wir alle zügig versorgen können." In der Kürze der Zeit waren alle Verletzten von ihm und seinen Schwestern abtransportiert worden. Hinrich war immer noch nicht ansprechbar. Die Krankenanstalt Limbacher war erste Anlaufstation bei Unfällen im Hafen und hatte bisher einen guten Ruf genossen.

    „Lisa, bitte bleibe bei Hinrich. Ich muss zurück zum Schiff. Ich komme, so schnell ich kann zurück", sagte ich und gab ihr einen flüchtigen Kuss, den sie Geistes abwesend nicht wahr nahm. Der Unfall auf der Werft hat die Stadt aus dem Schlaf geweckt. Schnell sprach sich die Neuigkeit in den Gängen der Stadt herum. Inzwischen liefen viele Bewohner auf die Wallanlagen, um den Wissensdurst zu stillen. Unterdessen fand ich eine Fahrgelegenheit zurück zur Werft.

    Während dessen organisierte Meister Schulz die Aufräumarbeiten und die weitere Arbeit am Schiff.

    „ Können wir unseren Termin einhalten?", fragte ich ihn.

    Er kratzte sich am Kopf und sagte: „1 bis 2 Tage Verspätung sind möglich, aber ich überprüfe erst den Rumpf auf Dichtigkeit, bis ich genaueres sagen kann."

    „Eine weitere Verzögerung würde möglicherweise die ganze Fahrt des Walfängers infrage stellen, da die Saisonmitte schon überschritten ist, und das Schiff vor dem Winter die Rückreise antreten sollte. Tun sie ihr Bestes!", gab ich entschlossen zurück.

    „Ich werde mein Möglichstes tun, Caspar!", erwiderte Schulz.

    „Die verunglückten Schiffszimmerer und Werftarbeiter wurden alle zu Dr. Limbacher gebracht. Zwei Schwerverletzte hatte das Unglück hervor gebracht. Soweit man es jetzt sagen kann. Hoffentlich überstehen alle ihre Verletzungen", berichtete ich dem Meister abschließend.

    Dann sprachen wir über die Ursache des Unfalls. Befestigungen und Holzbohlen hatten sich gelockert. Wie konnte das geschehen? Die Schuldfrage ist offen. Wenn mein Vater morgen wieder aus Billwerder da ist, werden wir die Einzelheiten besprechen und die Sache aufklären. Muss Vater seine Pläne ändern? Kann der Walfänger noch in dieser Saison auslaufen? Kann Hinrich noch mitfahren? Oder werden meine Eltern mich aus diesem Grund mitfahren lassen?

    Ich blieb noch so lange bis klar war, dass der Rumpf durch die Verlagerung nicht beschädigt wurde. Immerhin eine gute Nachricht. Dann machte ich mich auf den Weg zu Lisa und Hinrich in die Krankenanstalt. Inzwischen war es Abend geworden. Die Menschen strömten von ihren Sonntagsausflügen zurück in die Stadt. Der Fußweg zur Krankenanstalt am Hopfenmarkt entspannte mich von aufregenden Stunden und ließ mir Zeit, über alles in Ruhe nachzudenken. Unterwegs traf ich den Kutscher, der den Krankentransport vorhin übernommen hatte. Ich hielt ihn an und gab ihm ein großzügiges Trinkgeld für seine tatkräftige Hilfe. Trotz aller Sorge um Hinrich und um die anderen Verletzten, musste für diesen Mann noch Zeit zur Anerkennung sein. Die Möglichkeit mit auf Walfang zu fahren, weckte in mir neue Kräfte und ich spürte so etwas, wie ein Glücksgefühl. Das dürfte Hinrich niemals erfahren und Lisa erst recht nicht. Es war mir selber peinlich, doch so schnell wie der Gedanke gekommen war, verschwand er im hintersten Stübchen des Erinnerungsvermögens. Ich hatte auf die Vorgänge des Tages keinen Einfluss gehabt und würde mich dem unausweichlichen Schicksal fügen müssen. So oder so. Einerseits konnte Vater auch andere Seeleute zur Vertretung für Hinrich finden, andererseits war es ihm wichtig, einen aus der Familie dabei zu haben. Jemand der Vater in seiner Heimat verfügbar war, deshalb zählte Jacob als Franzose nicht. Als sein verlängerter Arm sozusagen, um die Erfahrungen des ersten Walfanges in die Vorbereitungen des Folgejahres einbringen zu können. Es war wie immer im Leben, einiges sprach dafür und anderes dagegen. Oder würde er gar selbst fahren wollen? Das war wohl wirklich eher ein abwegiger Gedanke.

    Nein, dann würde er hinterher sein Kontor nicht wieder erkennen und der gelieferte Rotwein wäre auf den Böden unseres Hauses, statt im Keller. Nein, nein - das wäre auch nie ernsthaft in Betracht gezogen worden, das hätte Mutter nicht hingenommen.

    Der Kirchturm der St. Nikolaikirche schallte zum Abendgottesdienst. Der vertraute Klang der Glocken war schon weit vor den Toren der Stadt zu hören. Aus den Seitenstraßen kamen die Menschen herbei geeilt, um über den Hopfenmarkt die Kirche zu erreichen. Die Nikolaikirche war jetzt die schönste Kirche in Hamburg, seitdem der Turm des Michels vom Blitz getroffen wurde und restlos abbrannte. Der Kirchturm wurde neu gebaut, nach zähen Streitereien der Ratsherren und Architekten. Doch eine ganze Weile verging, bis erste Anfänge sichtbar wurden.

    Hinrich war wieder bei Bewusstsein, als ich dort eintraf. Es fielen mir schwere Brocken von der Schulter und Lisas Gesichtszüge hatten sich ebenfalls entspannt. Ich fragte ihn, wie das passieren konnte. Aber das Reden fiel ihm noch schwer.

    „Danke, Caspar. Mein Kopf brummt. Ich… ", murmelte er bemüht.

    „Hinrich, schlaf` jetzt Seemann. Wir besuchen dich morgen früh und bringen deine Konstanze mit", sagte Lisa und streichelte ihm über den Kopf. Schließlich wendete sie sich mir zu und meinte:

    „Besser er erzählt dir morgen die Einzelheiten. Einige Dinge hatte er Scheibchenweise gesagt. Das erzähle ich dir auf dem Heimweg. Es ist schon sehr spät!"

    Wir verabschiedeten uns und brachen auf zum Schaarmarkt, wo Lisa noch immer wohnte.

    „Meine Eltern werden bestimmt schon besorgt sein", prophezeite Lisa.

    „Aber die Umstände werden alles erklären und übrigens... die Limonade trinken wir nächstes Mal", entgegnete ich und bemerkte meine trockene Kehle. Lisa berichtete nun von Hinrichs Äußerungen, während wir die Deichstraße verließen und den Binnenhafen erreichten. Torkelnde Matrosen kamen uns entgegen, auf dem Weg zwischen Logishaus und Seemannskneipe oder umgekehrt. Es war für Seeleute alles ganz normal. Lisas Informationen von meinem Bruder brachten mir keine neuen Erkenntnisse. Ich hatte schon auf der Werft den Unfallhergang mit dem Schiffszimmerer Schulz besprochen und Hinrichs Angaben deckten sich mit denen des Meisters.

    „Nun, es wird eine Untersuchung geben und dann werden wir vielleicht mehr wissen", sagte ich zu Lisa. Dann entdeckte ich Blut an ihrem schönen Kleid.

    „Las mich das blutverschmierte Kleid mit nachhause nehmen. Vielleicht kann Gretchen sich dem Problem annehmen, damit deine Mutter nicht die Arbeit hat. Schließlich ist es Hinrichs Blut."

    „Das Unterkleid ist sowieso kaputt, Caspar. Weil ich daraus Verbände machte und ich bin ziemlich müde. Können wir morgen darüber reden? Ich bin doch ganz früh bei euch", schlug Lisa überzeugend vor.

    Ich stimmte ihr nicht ganz zufrieden zu. Hätten Lisas Eltern genug zu tun mit ihrem Krämergeschäft am Schaarmarkt, aber so war es eben nicht.

    „Das Wichtigste ist, dass Hinrich wieder gesund wird und denn schenkt er dir ein neues Kleid", beschloss ich.

    „Und Konstanze irgendwann einen vollständigen Mann heiraten kann, ergänzte Lisa schmunzelnd. Eine Weile schwiegen wir beide. Welche Vorstellungen sie wohl mit dem Begriff „vollständig entwickelte, die letztlich zum Schmunzeln führten. Lisa schaute sehnsüchtig der Schaartorstraße entgegen, die in den Schaarmarkt überging. Dort am Eck war ihr Elternhaus. Wir wohnten damals gegenüber. Ich machte immer Faxen aus den Fenstern des 1. Stocks, wenn sie aus dem gegenüber liegenden Fenster guckte. Sie saß am Fenster und kicherte, bis meine oder ihre Eltern die Vorstellung beendeten.

    Lisa war gedanklich schon bei ihrer Rechtfertigung ihres zu späten Kommens und hatte den „vollständigen Mann" sicher wieder vergessen. Sie hatte wieder die kleinen Fältchen auf der Stirn, wie immer, wenn es schwierig für sie wurde.

    Nun hatten wir unser Ziel erreicht. Ich nahm sie in den Arm und dankte ihr, weil sie die lange Zeit in der Krankenanstalt warten musste und auf Hinrich aufpasste. Den Nachmittag stellten wir uns ganz anders vor. Wir verabschiedeten uns und ich ging nachhause in die Katharinenstraße. Die Füße taten weh und ich nahm mir vor, ein Fußbad zu nehmen. Daheim erzählte ich meiner Schwester Josephine von den Ereignissen des Tages. Die dramatischen Momente ließ ich weg. Sie hatte von dem Unfall auf der Werft nichts mitbekommen, da sie mit ihren Freunden an der Alster war.

    „Auf dem Rückweg von Lisa war ich noch bei Konstanze gewesen. Sie ist sofort zu Dr. Limbacher aufgebrochen, obwohl Hinrich doch inzwischen schlief", sagte ich.

    „Dann werden Kock & Konsorten wohl die Planungen ändern müssen. Ich bin gespannt wie Vater und Onkel Clemens sich entscheiden werden. Wann kommt den das Schiff aus La Rochelle?", fragte sie mich.

    „Am späten Vormittag mit der Flut, wenn alles gut läuft."

    „Dann gehe ich vor der Arbeit zu Hinrich!"

    Nachdem ich Josephine mit den Neuigkeiten ziemlich aufgewühlt hatte, was ich eigentlich vermeiden wollte, gingen wir schlafen. Meine Kammer lag im 1. Stock, sowie auch die Kammern meiner Geschwister und das Gemach meiner Eltern. Neben den Wirtschaftsräumen im Erdgeschoß lagen die Kammern der Bediensteten. Die Dienstmagd Maria hatte ihre Arbeit vor eine Stunde beendet und war schon schlafen gegangen. Sie hatte von allem nichts mitbekommen. Montags hatte sie frei und besuchte immer ihre Schwester, die mit einem Bauern an der Oberalster verheiratet war. Ich guckte aus meinem kleinen Fenster und in diesem Moment läutete St. Katharinen und verkündete die Zeit. Ich zählte mit. Als ich beim zehnten Schlag angekommen war, wurden meine Augenlider immer schwerer und ich schlief fast am Fenster ein. Mein Bett rief mich und ich hatte keine Zeit mehr zum Nachdenken. Wird sich mein Leben morgen eine Zeit lang ändern?

    Am nächsten Morgen fiel mir das Aufstehen schwer. Der Sonntag war anstrengend gewesen. Doch wir waren mit dem Schrecken davon gekommen. Ich ging die knarrende Treppe hinunter, die stets die gleiche monotone Melodie abspulte und ich sah alle um den großen Esstisch versammelt sitzen. Meine Eltern waren aus dem Wochenende zurück, Lisa hatte schon die Strecke vom Schaarmarkt hinter sich, Josephine kaute schon und das Personal war pünktlich von den Sonntagsausflügen zurückgekommen. Nachdem meine Eltern die ganze Geschichte gehört hatten, reagierte mein Vater gewohnt gelassen. Mutter konnte nicht mehr ruhig sitzen und wollte sofort zur Krankenanstalt zu Hinrich. Doch wir besprachen den gesamten Tagesablauf und jeder bekam eine Aufgabe zugewiesen. Das Personal kümmert sich um die Herrichtung der Gästezimmer für die Kocks aus Frankreich. Josephine und Mutter gingen zu Hinrich. Vater und ich suchten die Werft auf. Die Bediensteten vom Kontor sollten die Lieferung für La Rochelle bereitstellen, damit das ankommende Schiff nach dem Löschen der Ladung sofort wieder beladen werden konnte. Zumindest mit den robusten Waren. Nach dem Frühstück machten sich alle an ihre Aufgaben. Der Chef und ich, wir bewegten uns Richtung Sandtorwache, wie so oft in letzter Zeit nach dem Frühstück. Mein Vater war diesmal sehr schweigsam. Innerlich rotierte es in ihm. Ich gab ihm noch ein wenig Zeit, doch dann konnte ich es kaum abwarten ihn zu fragen, ob ich den Platz von Hinrich auf dem Walfänger einnehmen dürfte. „Da kann ich jetzt noch gar nichts zu sagen. Vielleicht ist Hinrich wieder gesund. Wir müssen schauen, was auf der Werft passiert und dann spreche ich mit Onkel Clemens und selbstverständlich mit deiner Mutter. Du weißt, Walfang ist ein hartes Geschäft mit vielen Risiken", sagte mein Vater mit fester Stimme.

    Gerade wollte er Luft holen, um noch weitere Gründe, von der mir bekannten Sorte auf die Waagschale legen, da platzte es aus mir heraus:

    „Für Hinrich wären das die gleichen Risiken, wie für mich, Vater! Ich kann die Aufgaben auf See genauso bewältigen. Wir haben die gleiche Ausbildung, auch in der Navigation durchlaufen." Ich atmete einmal kräftig durch, um für das weitere Wortgefecht gewappnet zu sein, aber mein Vater verharrte in Schweigen. Nach einer Weile hatte er endlich ein neues Thema gefunden und meinte:

    „Wenn wir von der Werft zurückkommen, müssen wir wegen der Sylter Matrosen zum Logishaus."

    Daran hatte ich nicht mehr gedacht. Die Sylter Seeleute, die auf dem Walfänger mitfuhren, brauchten bis zur Abfahrt ein Quartier. Dazu wollten wir sie im Logishaus Gelber Engel unterbringen, wo wir lange Stammkunden waren. Logishäuser waren spezielle Unterkünfte für Seeleute. Sie machten einen beträchtlichen wirtschaftlichen Faktor in Hamburg aus. Die Sylter Seeleute wurden über den Hamburger Kapitän Broder angeheuert, den mein Vater von der Seefahrt ewig kannte. Er wird das erste Kommando auf dem Walfänger haben.

    Walfang ist ein Spezialgebiet für Seeleute, da kann man nicht jeden Kapitän und jeden Matrosen gebrauchen. Derweil fährt jeder zweite Walfänger aus Hamburg mit größtenteils Besatzungen aus Friesland. Besonders die Nordfriesischen Inseln Föhr und Sylt

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