Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Ich war Klaus Beimer: Mein Leben in der Lindenstraße
Ich war Klaus Beimer: Mein Leben in der Lindenstraße
Ich war Klaus Beimer: Mein Leben in der Lindenstraße
eBook291 Seiten3 Stunden

Ich war Klaus Beimer: Mein Leben in der Lindenstraße

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

"Klaus und ich - das ist eine besondere Beziehung!" Moritz A. Sachs blickt zurück auf 35 Jahre Lindenstraße

Seit 1985, da war er gerade einmal sieben Jahre alt, spielt Moritz A. Sachs den Klaus Beimer in der „Lindenstraße“. Sein ganzes Leben verbrachte er am Set der beliebten Kultserie. Im Frühjahr 2020 wird sie nun abgesetzt und für Moritz beginnt ein neuer Lebensabschnitt, dem er mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegenblickt. Was könnte ein besserer Zeitpunkt sein, sein bisheriges Leben Revue passieren zu lassen?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. März 2020
ISBN9783960939405
Ich war Klaus Beimer: Mein Leben in der Lindenstraße
Autor

Moritz A. Sachs

<p>Moritz A. Sachs, geboren 1978, stand im Alter von nur sieben Jahren zum ersten Mal am Set der Lindenstra&szlig;e. 34 Jahre lang, bis zum Aus der Serie im Jahr 2020, verk&ouml;rperte er die Rolle des Klaus Beimer. Heute arbeitet er neben der Schauspielerei als Moderator, Autor, Produktionsleiter und Regieassistent. Er lebt in K&ouml;ln.</p>

Ähnlich wie Ich war Klaus Beimer

Ähnliche E-Books

Biografie & Memoiren für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Ich war Klaus Beimer

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Ich war Klaus Beimer - Moritz A. Sachs

    Prolog

    Moritz, hast du deine Mails in den letzten Minuten gelesen? Die Lindenstraße wird abgesetzt! Die ARD wird gleich eine Pressemitteilung rausgeben."

    Es war Moritz Ziehlke, der mich am 16. November 2018 um 11 Uhr vormittags aufgeregt anrief. Man kennt ihn auch als Momo Sperling, langjähriger Protagonist ebender Serie, die nun eine Ende finden würde und deren Teil auch ich seit meinem siebten Lebensjahr war.

    Die Nachricht kam aus heiterem Himmel.

    Kurze Stille.

    „Hallo, fragte Moritz mich, „bist du noch da?

    Ich war noch da.

    Und wie ich da war. Meine Gedanken rasten, und ich versuchte, das schlagartig aufkommende Chaos in meinem Kopf zurückzudrängen. Ich würde nun bald arbeitslos sein. Wir alle! Und viel schlimmer: Meine zweite Familie würde aus meinem Leben verschwinden. Mein berufliches und in großen Teilen auch emotionales Zuhause würde ab 2020 der Vergangenheit angehören. Kein Weg mehr ins Studio nach Köln-Bocklemünd, kein Kaffee in der Kantine. Keine Wohnung Beimer mehr. Kein „Klaus – oh, Entschuldigung, Moritz natürlich …" seitens der Kollegen am Set. Nach 34 Jahren, die ich in der Lindenstraße verbracht hatte, war nun also Schluss. Wie es weitergehen würde, war mir nicht klar. Nur, dass alles kopfstehen würde, sobald die Presse­mitteilung rausging. Und das würde noch maximal eine Stunde auf sich warten lassen.

    Ich fasste mich schnell, dankte Moritz für den Anruf, schaltete mein Telefon vorsichtshalber ab und machte mich wie immer mit dem Rad auf den Weg ins Studio. Ich wollte so schnell wie möglich sehen, wie es allen ging. Dringend musste ich mit unserer Presseabteilung und den Produzenten Hans und Hana Geißendörfer sprechen. Ohne Informationen aus erster Hand konnte und würde ich mich in der Öffentlichkeit nicht zu einer Absetzung der Lindenstraße äußern. Was sollte ich auch sagen? Dass ich es schade fand?

    Vor Ort wurde ich von blassen Gesichtern empfangen. Alle schauten konsterniert und waren fassungslos, einige der Kolleginnen und Kollegen weinten sogar. Ich umarmte jeden, den ich sah, und landete schließlich mit unserem Produktionsleiter, der Pressechefin und mit Jack-Darstellerin Cosima Viola im Büro von Hans Geißendörfer. Seine Tochter Hana war ebenfalls anwesend. Gemeinsam berieten wir über das weitere Vorgehen.

    Zeit, die Nachricht zu verdauen, würden wir nicht haben. Cosima und ich sollten einen Interviewmarathon hinlegen, der sich gewaschen hatte. Egal ob Radio Bremen, die Bild, Hier und heute, die Aktuelle Stunde oder die Tagesthemen, die Fragen waren immer die gleichen: Warum wird das Format abgesetzt? Warum jetzt? Wer hat das entschieden? Bis wann läuft die Lindenstraße noch? Wie erklärt man das den Fans? Und immer wieder: Wie wir uns fühlen würden.

    All das war nicht leicht zu beantworten. Ich hatte keinen Schimmer, warum die Lindenstraße gerade jetzt abgesetzt werden sollte. Einiges hatten wir zwar im Gespräch mit den Produzenten erfahren können, aber Details kannten Cosima und ich nicht. Um ehrlich zu sein, stand ich auch etwas unter Schock. Immerhin hatten wir unser Format in den letzten Jahren im Rahmen von Qualitätskontrollen und Umstellungen im Sinne des Senders angepasst und stark modernisiert, die Zuschauerzahlen stabilisiert und sogar etwas steigern können. Ein passendes Jubiläum, das ein fulminantes Ende rechtfertigen würde, stand auch nicht an. Unsere Antwort war also immer die gleiche: Die Lindenstraße abzusetzen war eine Entscheidung der ARD. Wir begrüßten sie nicht, hatten aber keinen Einfluss darauf.

    So erstaunlich wie traurig fand ich, dass niemand fragte, was denn mit den Mitarbeitern passieren würde. Bei Firmen- oder Standortschließungen ist das in der Presse sonst immer das Hauptthema. Bei uns interessierte dies erst mal niemanden. Dabei arbeiten auch bei einer Fernsehserie Menschen. In unserem Fall viele seit Jahrzehnten.

    Erst um etwa 21 Uhr strichen Cosima und ich die Segel und gesellten uns zu unseren Kollegen in den Innenhof des Studiogebäudes, um auf uns alle anzustoßen. Wir feierten bis in den Morgen. Dass mein Leben sich nun umfassend ändern würde, war offenkundig. Aber das sollte mir, uns allen, an diesem Abend noch einmal egal sein.

    Und nun sitze ich hier in meinem kleinen Garten am Rande von Köln an einem vermosten Holztisch, dort, wo ich Sommer wie Winter, mal in kurzen Hosen, mal im Schneeanzug, Drehbücher gelesen habe, und schreibe über mein Leben mit Klaus. Wenn ich mit dem letzten Kapitel fertig bin, wird er bereits zu meiner Vergangenheit gehören.

    Ich bin mit und als Klaus Beimer erwachsen geworden. Seit ich sieben war, spielte er in meinem Leben eine Hauptrolle. Ich bin aufgewachsen in der Öffentlichkeit; alle beruflichen und viele private Entscheidungen in meinem Leben sind sehr eng mit meiner Rolle Klaus verbunden, wenn nicht sogar direkt und ausschließlich dem Job in der Dauerserie Lindenstraße geschuldet.

    Es gibt mich zwar als private Person. Es gibt mich aber auch und untrennbar als Klaus, als Schauspieler, als Person, die sich nicht erinnern kann, einmal nicht in der Öffentlichkeit gestanden zu haben. Ich bin mir sicher, dass es mir sehr schwerfallen wird loszulassen. Umso mehr freue ich mich darauf, beim Schreiben all die Jahre und Erlebnisse nochmals durchleben zu können. Mich an Situationen zu erinnern, die längst verblasst sind. Ich habe vergilbte Fotos herausgekramt, mit Kollegen und Familie gesprochen, alte Folgen geschaut und vergilbte Drehbücher nochmals zur Hand genommen.

    Klaus und ich, wir sind eins. Nun steht er an seinem Lebensende. Ihn zu verlieren wird für mich ebenso einschneidend sein, wie ihn 1985 in mein Leben gelassen zu haben.

    Kapitel 1 Gesucht

    Meine Schwester Susanne muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein, ich war fünf, als eine Fotografin durch den Kölner Volksgarten, einen Park mit See und Spielplatz, lief und auf uns aufmerksam wurde. Sie war auf der Suche nach Kindern, die sie in eine Kartei für Model- und TV-Auftritte aufnehmen konnte.

    Anfang der 80er-Jahre gab es noch nicht allzu viele Schauspielagenturen, und für Kinder existierten gar keine, denn der Bedarf an Jungschauspielern war eher gering. Die Fernsehsender konnte man an einer Hand abzählen. Sonderlich viel TV-Werbung wurde auch noch nicht gezeigt. Also wurden Eltern auf der Straße angesprochen, ob ihre Kinder fotografiert und als Polaroid mit Namen und Kontakt in einem Karteikasten gesammelt werden dürften. Dort konnten Produzenten und Caster suchen und fündig werden, wenn doch mal ein Kind gebraucht wurde. Auf so einer Mission war auch besagte Fotografin.

    Wer denn das Mädchen da hinten im Sandkasten sei und zu wem es gehöre, fragte sie auf dem Spielplatz herum. „Die kleine Süße dahinten mit den goldenen Locken, die aussieht wie eine Miniaturversion eines blonden Jackson-Five-Mitglieds?"

    Das war meine Schwester. Und meine Mutter meldete sich stolz. Das süße Kind dahinten? Da sagt man doch gerne mal, das ist meins. Und weil die Freude meiner Mutter über ein offensichtlich besonders süßes Kind groß genug war, sagte sie auch dazu Ja, das Foto meiner Schwester für eine Gebühr von zwei Mark in die Kartei aufnehmen zu lassen.

    „Sagen Sie, der Junge dahinten auf dem Klettergerüst, zu wem gehört der? Wissen Sie das?, fragte die Fotografin, nachdem sie die Münzen weggesteckt hatte. „Den würde ich auch gerne fotografieren.

    „Auch mein Kind", antwortete meine nun noch stolzere Mutter.

    Mutter Beimer hätte zu Hause wohl umgehend ein Dutzend Spiegeleier in die Pfanne gehauen. Denn egal, ob gut oder schlecht, jede aufregende Lebenssituation führte bei ihr unweigerlich zu den berühmten Spiegeleiern. Aber Helga Beimer, über Jahrzehnte die Mutter der Nation, existierte unvorstellbarerweise zu dieser Zeit noch nicht. Und auch der Junge, der dann im Park fotografiert und archiviert wurde, war nicht Klausi. Er war ich.

    Denn die Lindenstraße lebte 1983 noch einzig im Kopf von Hans Geißendörfer, ihrem Erfinder und Produzenten. Weder Finanzierung noch Sender, geschweige denn ein Sendeplatz standen fest. Nicht einmal ihren Namen hatte die Serie.

    Hätte es damals schon Kinderschauspielagenturen gegeben, wäre ich sicherlich nie zur Lindenstraße gekommen. Denn dort muss man sich aktiv bewerben, und das wäre meinen Eltern niemals in den Sinn gekommen. So aber sollte mein Leben eine besondere Wendung nehmen. Welche Folgen diese schicksalhafte Begegnung haben würde, war damals aber noch nicht im Entferntesten absehbar.

    Für meine Mutter war es ein gelungener Tag. Dabei hielt sich die Aufregung, anders als es bei Helga gewesen wäre, sehr in Grenzen. Ihre Kinder wurden als süß angesehen. Das Mutterherz freute sich. Punkt. Also, Foto, noch mal zwei Mark – danke und tschüss. Das Ereignis geriet schnell in Vergessenheit, und tatsächlich meldete sich lange Zeit niemand.

    Logisch. Es müssen Hunderte, wenn nicht Tausende Kinder gewesen sein, die in solche Karteien aufgenommen wurden. Sonst hätte sich der Aufwand für die Fotografen nicht gelohnt.

    Keinesfalls also rechneten meine Eltern damit, was diese Fotos auslösen würden. Hätte meine Mutter geahnt, wie sehr dieser Tag mein Leben und das Leben meines Umfelds beeinflussen würde, sie hätte sich sicher zweimal überlegt, ob sie die zwei Mark investieren sollte.

    Ich selbst kann mich kaum an eine Zeit vor der Lindenstraße erinnern. Was diesen Lebensabschnitt betrifft, muss ich den Erzählungen und Erinnerungen meiner Eltern vertrauen. Geboren wurde ich als Sohn zweier Juristen, Dagmar und Michael, als kräftiges Kerlchen am Sonntag, den 13. August 1978 in Köln.

    Dorthin waren meine Eltern einige Jahre zuvor für ihr Jurastudium aus Duisburg und Moers gezogen. Zum Zeitpunkt meiner Geburt war meine Mutter noch mit ihrem Ersten Staatsexamen beschäftigt, während mein Vater keine vierzehn Tage zuvor zum wissenschaftlichen Assistenten ernannt worden war. Ganz klassisch also für eine damalige Familie. Der erste richtige Job ist da, das Kind kann kommen.

    Wäre ich ein Mädchen geworden, hätte ich Patrizia geheißen. Aber ich wurde ein Junge. Ursprünglich fiel damit die Wahl meiner Eltern auf Maximilian. Frei nach dem Motto „Ein mieser Reim, der ist nicht fein", haben sie sich dann aber dagegen entschieden. Max Sachs erschien ihnen doch etwas gewagt. Wobei ein solcher Name für einen Schauspieler ja durchaus hätte zuträglich sein können. Aber wer denkt schon über so etwas nach, wenn man den Namen für sein erstes Kind auswählt?

    Maximilian durfte es also nicht werden.

    Max und Moritz, damals wie heute ein recht bekanntes Frechdachsduo, boten sich aus offensichtlichen Gründen zur Anlehnung an. Und so wurde aus Max eben Moritz. Der Name erwies sich als passend, denn frech, das war ich. Mit ein Grund dafür, dass ich in der Lindenstraße gelandet bin. Aber ich greife vor.

    Zu dieser Zeit hießen nur sehr wenige Kinder Moritz. Dafür aber umso mehr Dackel und andere Haustiere. Auf den Anruf meines Vaters bei seiner Schwiegermutter, meiner Oma Inge, der Moritz sei nun da, kam prompt die Antwort: „Ach wie schön, wie heißt er denn?"

    Was folgte, war betretenes Schweigen.

    Und dann: „Na, Moritz!"

    Meine Oma war ganz und gar nicht begeistert von der Wahl. Für den Fall, dass der Name mir irgendwann mal Schwierigkeiten bereiten könnte, entschied man sich also für einen zweiten Vornamen. Nur zur Sicherheit. Und so wurde ich dann Moritz Alexander Sachs. Den Alexander habe ich nie verwendet, denn Schwierigkeiten hatte ich durch meinen Namen nicht. Heute freue ich mich trotzdem über den zweiten Vornamen, macht er doch im digitalen Zeitalter das Leben ein wenig leichter, zum Beispiel, wenn man eine neue E-Mail-Adresse braucht.

    Da Moritz mir aber gut gefällt und nur selten zu Verwunderung, geschweige denn zu Problemen führte, ist er mein Rufname geblieben. Einem kleinen Spaß geschuldet, war ich seit der ersten Folge für die Öffentlichkeit trotzdem Moritz A. Sachs. Das kam so: Im Abspann hatten nur wenige Personen eine Mittelinitiale, die ja immer eine gewisse Wichtigkeit suggeriert: Hans Geißendörfer, Horst D. Scheel (unser Caster) und Joachim H. Luger (mein Filmvater). Unser damaliger Aufnahmeleiter und meine Mutter fanden den Gedanken, einen Siebenjährigen in diese Reihe zu stellen, höchst amüsant, und so kam es zu Moritz A. Sachs. Dass ich diese Variante meines Namens nun immer benutze, wenn ich in der Öffentlichkeit stehe, kam wiederum durch die Ansagen bei „Let’s Dance, wo ich im Jahr 2010 mitmachte, zustande: „Moritz A. Sachs und Melissa Ortiz Gomez mit einem Cha-Cha-Cha wurde dort zum Beispiel angekündigt. Offenbar war mein Name einfach aus dem Abspann der Lindenstraße übernommen worden. Mir war es recht, denn ich fand, es machte bei den Ansagen ordentlich etwas her.

    Von alldem wussten meine Eltern bei meiner Geburt jedoch noch nichts. Obwohl mein Vater gerade seinen ersten Job angetreten hatte, war es in den Anfangsjahren nicht ganz leicht. Viel Geld war nicht im Hause, allerdings – und das erscheint mir aus heutiger Perspektive noch wichtiger als damals – war zumindest viel gemeinsame Zeit vorhanden.

    Papa konnte den überwiegenden Teil der Woche von zu Hause aus arbeiten. Er saß zwar an mindestens sechs Tagen pro Woche um die zehn Stunden am Schreibtisch, aber er war anwesend.

    An ruhiges Arbeiten war mit mir allerdings nicht zu denken. Meine Mutter berichtet bis heute gerne und regelmäßig von ihren kläglichen Versuchen, für das Staatsexamen zu büffeln. Ich schlief zwar viel, anfangs bis zu 18 Stunden am Tag, allerdings natürlich nicht, wenn Mami oder Papi etwas anderes tun wollten, als mich zu bewundern. Im Mittelpunkt stand ich schon damals gern. Wie meine Mutter es trotzdem schaffte, ein gutes Examen zu machen, ist mir ein Rätsel.

    Allzu viel von größerem Interesse dürfte ich in meinen ersten Lebensjahren ansonsten nicht vollbracht haben. Das meiste, was ich damals von mir gab, war etwas für den Wickeltisch und nichts für die Öffentlichkeit, und das Interesse an einem Klaus Beimer aus der Lindenstraße war vor 1985 nicht mal eine einzige Windel wert. Ihn gab es ja noch nicht.

    Besonderheiten gibt es aus der Zeit nicht zu vermelden, außer, dass ich schon mit acht Monaten meine ersten freien Schritte machte. Nur, um mir danach nochmals zwei Monate Zeit zu lassen, bis ich mich endgültig und immer noch recht früh aus dem krabbelnden Stadium erhob. Selbstverständlich erweiterte dieser Umstand meine Bewegungsfreiheit, während er den Betreuungsaufwand meiner Eltern rasch noch mal deutlich erhöhte.

    Abgesehen davon ist noch festzuhalten, dass ich damals schon gut und ausdauernd rumhängen konnte. Den kleinen Moritz an eine Hangelstange im Kölner Volksgarten zu hängen war, so wird es mir berichtet, sowohl mir als auch meinem Vater eine wahre Wonne.

    Mein Schwesterchen Susanne folgte mir eineinhalb Jahre später. Ein Spielkamerad, wie mir vor der Geburt versprochen wurde, war Sanne, wie ich den Namen damals aussprach, zu meiner größten Entrüstung aber vorerst nicht. Sie lag die ersten Lebensmonate hauptsächlich rum.

    Wir wohnten damals in einer schönen kleinen Wohnung in der Kölner Innenstadt direkt neben dem Volksgarten, in dem wir, begleitet von unserer Mutter, so gut wie täglich spielen und toben konnten. Am Ufer des Sees im Lehm zu buddeln oder auf einer umgestürzten Trauerweide waghalsige Klettermanöver zu vollbringen wurde meine und meiner Freunde Lieblingsbeschäftigung. Sehr zum Leidwesen der anwesenden Erziehungsverpflichteten, die immer wieder nasse und prustende Nachkommen aus dem See fischen durften. Mit dem Volksgarten verbinde ich zahlreiche solcher Kindheitserinnerungen. Bis heute bin ich zu Hause, sobald ich ihn betrete.

    Unsere Straße war eine Platanenallee, und von unserem gemeinsamen Kinderzimmer aus sahen wir die Baumwipfel dieser wunderschönen und riesigen Bäume, die ihre Blätter auf den Balkon abwarfen. Ihn sauber zu halten wurde bald meine Lieblingsbeschäftigung. Kaum konnte ich mich recht ordentlich auf den Beinen halten, fegte und schrubbte ich, was das Zeug hielt. Meine Leidenschaft fürs Putzen hält sich heutzutage eher in Grenzen. Die majestätischen, großblättrigen, sich schälenden Platanen aber sind meine Lieblingsbäume geblieben. Wo immer sie eine Straße säumen, fühle ich mich wohl.

    Für Pflanzen scheine ich sowieso schon früh ein Faible gehabt zu haben: Laut Erzählungen saß ich lange Zeit am liebsten hinter einem Ficus im Wohnzimmer, von wo aus ich, auf dem Pinkel-Töpfchen thronend, alles im Blick hatte. Das hat sich geändert. Als Erwachsener eignet sich ein Töpfchen hinter einem Ficus nicht wirklich als Wohlfühlfaktor. Und selbst wenn, böte sich diese Situation in der Fremde wohl kaum als Möglichkeit zu sentimentaler Heimeligkeit an. Vielleicht hat sich damals meine Begeisterung für Wald und Natur entwickelt – und meine Vorliebe, alles im Blick zu haben.

    Vielleicht war es aber auch nur das erste Aufblinken des Bedürfnisses nach Abgeschiedenheit und Ruhe während der Verrichtung eines gewissen Geschäftes. Wer weiß so etwas schon. Mein Verständnis für Mitmenschen, die sich im Reality-TV selbst auf dem Klo noch öffentlich beobachten lassen, hält sich jedenfalls in Grenzen. Was Menschen alles tun, um ins Fernsehen zu kommen, ist immer wieder ein Quell des Staunens für mich. Und wer schaut sich das bloß an und vor allem warum?

    Als meine Schwester 1980 geboren wurde, war meine Mutter im Referendardienst. In dieser Zeit kümmerte sich auch mein Vater verstärkt um uns. Nach ihrem zweiten Staatsexamen entschloss sich meine Mutter, mit zwei kleinen Kindern zu Hause erst einmal nicht arbeiten zu gehen und sich stattdessen um uns zu kümmern. Auch in den frühen 80ern wurde eine solche Entscheidung schon kritisch beäugt, ist doch auch eine hoch qualifizierte Frau als Hausfrau eben nur Hausfrau. Dass Kindererziehung neben viel Arbeit eben auch viel Verantwortung, beizeiten sogar Freude, bestenfalls Erfüllung bedeutet, wird dabei bis heute leider oft vergessen. Als Kind fand ich den Umstand, meine Mami bei mir zu haben, selbstredend gut. Dass ein Elternteil, egal ob Mutter oder Vater, in den ersten Lebensjahren zu Hause bleibt, erscheint mir nach wie vor erstrebenswert, wenn nicht gar notwendig.

    Ich verbrachte also eine recht normale und gut behütete Kleinkindheit. So wie Klaus Beimer wohl auch. Mein Leben bestand aus vielen Ausflügen, Toben im Park und natürlich dem Besuch des Kindergartens. Eigentlich wäre es der konfessionslose Waldorfkindergarten im besagten Volksgarten gleich vor der Tür geworden, wären dort nicht jegliches Treten, auch das gegen einen Ball, als aggressiver Akt tabu gewesen. Kinder ohne einen Fußball aufwachsen zu lassen kam für meinen Vater auf keinen Fall infrage. So lange ich denken kann, spielt er für sein Leben gern. Noch heute kickt er jeden Sonntagvormittag auf einer Wiese im Grüngürtel. Dass ich bei seinem Versuch, mir den Fußball näherzubringen, gleich den ersten bereitgestellten Ball, statt wie gewünscht in Richtung Tor zu schießen, in die Hand nehmen und damit gemütlich zur Mittellinie spazieren würde und auch danach nie ein gutes Verhältnis zu irgendeiner Ballsportart entwickelte, konnte damals noch keiner ahnen.

    Erst als Klaus Beimer musste ich mich mit Fußball wieder auseinandersetzen. Einmal sollte er einen fußballerischen Wettkampf zwischen den Lindenstraßenfiguren Erich Schiller, Hajo Scholz und Andy Zenker moderieren. Den Text dafür habe ich sogar persönlich zusammengeschustert. Da ich selbst nicht mitspielen musste, lief das gut.

    Als Klaus Beimer mit seiner Tochter Mila dann Jahre später aber im lindensträßlichen Mini-Park hinter den Pappfassaden der Außenkulisse kicken sollte, legte ich mich ordentlich auf die Nase. Mein Sturz war an Eleganz und Anmut kaum zu überbieten, brachte ich zu dieser Zeit doch etwa 125 Kilogramm auf die Waage. Ich schlug nieder wie eine gefällte Linde.

    Als Kind stürmte ich noch flink und beschwingt durch den Park. Obwohl wir, wie gesagt, in der Kölner Innenstadt lebten, verbrachten wir Kinder fast unsere gesamte Zeit draußen, hatten Dreck an den Händen und aufgeschlagene Knie, tobten und lärmten. Wenn das Wetter es zuließ, waren wir am Wochenende im Bergischen Land wandern. Ich habe eine Fülle von Waldweg-Wanderungs-Wurzelkletter-Jetztsindwirabermüde-Erinnerungen, die zwar in der Regel diffus, aber doch bis heute positiv präsent sind.

    In der Nachbarschaft hatte sich eine Gruppe

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1