Die Berge meines Lebens: Biografische Notizen
Von Sepp Forcher
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Über dieses E-Book
Das Leben des 90-jährigen Sepp Forcher war ein einziges Gipfelerlebnis, allerdings oftmals mit einem mühsamen Aufstieg verbunden. Sein erstes Geld verdiente er als Lastenträger am Großglockner, wo er seine Frau Helli kennenlernte. Den höchsten Berg Österreichs nennt Forcher folgerichtig seinen Lebensberg. Doch die Zahl der Gipfel, die er in seinem Leben bestiegen hat, geht in die Hunderte. Jeder Berg, jeder Schritt in Höhen und Tiefen hat die Persönlichkeit des Autors geformt, geprägt, geschliffen.
Forcher, der wichtigste Repräsentant kitsch- und klischeefreier Volkskultur, legt mit seinem neuesten Buch eine philosophische Wegbeschreibung durch die West- und Ostalpen vor. Ihm auf diesem Weg zu folgen bereichert und beglückt.
Sepp Forcher
Sepp Forcher war Hüttenwirt, Lastenträger, Hilfsarbeiter, liebender Ehemann, und als Radio- und Fernsehikone der Repräsentant kitsch- und klischeefreier Volkskultur in Österreich. Als Moderator der Fernsehsendung Klingendes Österreich brachte er in 200 Sendungen von 1986 bis 2020 die musikalische Tradition und landschaftliche Schönheit österreichischer und grenznaher Gegenden in die Wohnzimmer und die Herzen der Menschen. Am 19. Dezember 2021, wenige Wochen nach dem Tod seiner Lebensliebe Helli, starb er im Alter von 91 Jahren.
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Buchvorschau
Die Berge meines Lebens - Sepp Forcher
Edelweiß
Meine ersten Berggefühle entwickelten sich recht langsam. Obwohl Hüttenwirt, Bergführer und Schilehrer, erachtete es mein Vater als nicht unbedingt notwendig, mich im Klettern und Schifahren zu unterweisen. Auf diese Art erzeugten die Alten früherer Zeit Abhängigkeit und das Gefühl der Minderwertigkeit. Die Folge war, dass ich lange Zeit ein schlecht ausgerüsteter, miserabler Schifahrer gewesen bin und für das Klettern überhaupt kein Interesse aufbrachte.
Hie und da wurde mir die Ehre zuteil, dass mich ältere Hüttengäste als Begleiter duldeten, wenn sie einen der vielen Gipfel des Tennengebirges ersteigen wollten. Tiefere Spuren hinterließen diese Unternehmungen bei mir Zehn- bis Zwölfjährigem jedoch nicht.
Stattdessen befasste ich mich intensiv mit der Welt der Bergblumen. Ein Geschenk der Natur, das nur mäßiger Anstrengung und wenig Wagemut bedarf. „Es ist zum Niederknien" – dieser Ausspruch muss heutzutage für alles herhalten, ist zu einem sinnentleerten Sager geworden. Für mich war es schlichte Notwendigkeit, mich hinzuknien, wenn ich im Frühling die ersten Schneerosen und Soldanellen, die Eisglöckchen oder auch Troddelblümchen bewundern wollte. Dann kamen der Seidelbast, das unvergleichliche Blau der Enzianblüten, der herbe Duft der Alpenrosen und in den schwerer zugänglichen Schrofen die Goldprimel oder, wie wir dazu sagen, das Gamsbleaml oder Petergstamm.
Als Krönung erschien im steilen Felsgelände das alpine Löwenpfötchen, im Latein der Botaniker Leontopodium nivale subsp. alpinum genannt und Innbegriff der Bergromantik: das Edelweiß. Für unsere Nachbarn, die Bauern, die Almleute, die Sennerinnen, das einzige Symbol, das sie im Zusammenhang mit dem in ihren Augen nutzlosen Bergsteigen gelten ließen. Folglich wurde das Suchen, Finden und Pflücken schöner Edelweißsterne zu einer frühen Leidenschaft für mich, die sich allmählich steigernd in Freude am Klettern verwandelte.
Meine erste Klettertour am Seil eines guten Freundes war die Nordkante des Knallsteins im Tennengebirge. Ich besaß nur Kletterschuhe minderer Qualität und nach der ersten Seillänge waren sie schon unbrauchbar. Den Rest der Tour ging ich barfuß. Das Gipfelgefühl war überschattet von dem Gedanken an den Abstieg über grobes Geröll. Der Freund erbarmte sich und holte vom Einstieg meine festen Schuhe. Damit bewies er mir, dass Bergkameradschaft kein leerer Begriff sein muss.
Was Gipfelglück sein kann, erlebte ich als junger Spund, der einen alten Herrn auf die Bischofsmütze führte. Am Vortag hatten die Filzmooser Kriegsheimkehrer ein großes hölzernes Gipfelkreuz aufgestellt. Der alte Herr und ich waren die ersten Touristen oben beim Kreuz. Die Tränen, die seine alten Wangen benetzten, haben mich tief berührt.
Heute weiß ich, warum es mir immer wichtig war, meinen Seilgefährten das Gipfelglück zu vermitteln.
Tauernkogel
Auf dem Gipfel des Tauernkogels gedeiht der Blaue Eisenhut. Die schönblättrige Pflanze ist hochgiftig. Ihre blauen Blüten erinnern an die Form eines Eisenhelms, wie ihn vor Jahrhunderten die Ritter trugen. Ihr bevorzugter Nährstofflieferant ist Schafmist. Und solchen gibt es auf dem etwas über 2000 Meter hohen Gipfel genug. Ein sicheres Zeichen dafür, dass es Schafe waren, die den Kogel als Erste bestiegen. Für mich, damals kaum zehn Jahre alt, war es nicht allzu schwer, es den Schafen gleichzutun, und so wurde der Tauernkogel mein erster 2000er, den ich aus eigenem Antrieb und ohne Führung bestieg.
Sechs Jahre später stand ich wieder einmal oben. Im Winter. Mit meinem Begleiter Othmar Stradner, der mir als ehemaliger Fallschirmjäger ein Vorbild für Kühnheit und Wagemut war. Beides Eigenschaften, die für unser Vorhaben notwendig waren. Denn wir wollten die Ersten sein, die mit Schiern vom Gipfel über die teils sehr steilen Südosthänge zu Tal fuhren. Ein Unternehmen, das nicht ungefährlich und wahrscheinlich aus diesem Grund auch von niemandem vorher versucht worden war. Das leichtfertige Vorhaben gelang wohl auch deshalb, weil sich der Spruch vom Dummen, der das Glück hat, wieder einmal als richtig erwies. Verglichen mit den tollkühnen Steilwandfahrern unserer Tage ist unsere Tat als Kindergartenspiel zu betrachten, weil wir – gleich Kindern – kein Gefühl für die Gefahr aufbrachten.
In der Zeitung konnte man dann von den schneidigen Erstbefahrern lesen, was zu einer kurzzeitigen, sich schnell verflüchtigenden Berühmtheit führte. Geblieben ist die lebenslange Freundschaft mit Othmar.
In den folgenden Jahren ist mir das Tennengebirge mit seinen Gipfeln, Höhlen und dem karstigen Plateau, das in den kurzen Sommern von unzähligen Schafen beweidet wird, so vertraut geworden, dass ich von meiner Bergheimat sprechen kann. Jahrelang war die von meinen Eltern bewirtschaftete Söldenhütte des Österreichischen Alpenvereins mein Daheim. Von meiner Schlafkammer aus konnte ich die ganze Kette der Hohen Tauern überblicken. Dazu noch das mächtige Massiv des Hochkönigs. Diese ganze Pracht zu sehen, wirkte für mich wie eine ständige Herausforderung, eine ewige Wunschliste.
Auf dem Weg zur Söldenhütte im Tennengebirge
Und so nach und nach ging ein Wunsch nach dem anderen in Erfüllung. Hochalmspitze, Ankogel, Schareck, Sonnblick, Glockner, Wiesbachhorn, Hochtenn und Hochkönig. Sie alle konnte ich von meiner Liste streichen und sie alle füllten meinen Erinnerungsrucksack mit schönen, ernsthaften und markanten Erlebnissen.
Meine Schlafkammer gibt es nicht mehr. Die Söldenhütte ist um- und ausgebaut und in Heinrich- Hackel-Hütte umbenannt worden. Aber unausrottbar wie der Blaue Eisenhut ist meine Zuneigung zur alten Bergheimat geblieben.
Die Höhlenwelt
Der Lichtbildvortrag, den der Salzburger Höhlenforscher Gustav Abel im Jahr 1942 in meiner Klasse in der Volksschule Mülln hielt, haftet heute noch in meinem Gedächtnis. In leuchtenden Farben und im Großformat wurde uns Kindern der Zauber der Eisriesenwelt nahegebracht. Kurz darauf glückte Abel die Entdeckung der Eiskogelhöhle im Tennengebirge.
Beide Geschehnisse prägten meine Entwicklung über Jahre hinweg, weil sie meine Neugier auf die finstere, lichtlose Welt im Inneren der großen Kalkberge lenkten. Für die Erforschung und Vermessung der Eiskogelhöhle bot sich als idealer Stützpunkt die Söldenhütte an. Vom Bahnhof im damaligen Dorf Werfen, in drei Gehstunden bequem erreichbar, ging man von der Hütte in nur eineinhalb Stunden zum Höhleneingang. Die Arbeit der Forscher war nur an den Wochenenden möglich, und trotz der großen Strapazen trugen alle mit Begeisterung zum Erfolg bei. Riesige Hallen und Gänge, prächtige Eis- und Tropfsteinfiguren und schließlich eine Gesamtlänge von über 6000 Metern lohnten ihr Tun.
Mich berührte das alles nur am Rande, weil ich außer in den Ferien im Schülerheim in Salzburg meine Unterkunft hatte. Die Erzählungen der Forscher und meiner Eltern hielten jedoch meine Neugier wach. In den Ferien war es auch, dass ich die gewaltige Eisriesenwelt besuchen konnte. Der Geruch vom Acetylengas aus der Karbidlampe ist mir seither vertraut. Dann, 1947, wagte ich auf eigene Faust den ersten Erkundungsvorstoß