Erinnerungen von Kurt Lambrecht
Von Kurt Lambrecht
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Kurt Lambrecht
Kurt Lambrecht verbrachte seine Jugend in Potsdam-Babelsberg. Dort heiratete er 1944 Ilse Wesener und Sohn Roland wurde geboren. Da er nach dem Krieg als Maschinenbau-Ingenieur keine berufliche Zukunft in Deutschland sah, wagte er den Sprung ins Ungewisse und wanderte 1949 nach Indien aus. In Bombay kam seine Tochter Karin zur Welt. 1952 kehrte er mit seiner Familie nach Deutschland zurück wo er nach mehreren beruflichen Stationen in Hamburg sesshaft wurde. Nach dem Tod seiner Frau Ilse heiratete Kurt Lambrecht 1997 Elfriede Mier und genoss seinen Lebensabend. Mit ihr teilte er seine große Leidenschaft, die Amateur-Filmerei.
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Buchvorschau
Erinnerungen von Kurt Lambrecht - Kurt Lambrecht
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Flucht und Heimkehr
Krieg in Berlin
Flucht nach Westen
Die Amerikaner
Aufenthalt in Schwerin
Neuer Aufbruch Richtung West-Hannover
Aufbruch zurück in die Heimat
Unter Besatzung
Nachtrag
Erinnerungen 1945 – 1949
Reise ins Wunderland
Mit dem Flugzeug ins Ungewisse
Die Ankunft
Eine lange Seefahrt
Das neue Leben in Bombay
Karin
Zurück in Deutschland
Wie es weiterging (1952 – 1959)
Vorwort
In liebevoller Erinnerung an Roland, Ilse und meinen
Schwiegervater Kurt, der mir seine Tagebuchaufzeichnungen
anvertraut hat, um sie für die Nachwelt zu bewahren.
Flucht und Heimkehr
Zwei Punkte möchte ich in meinen Erinnerungen voranstellen, weil ich glaube, dass der Leser danach Fragen könnte: 1. Nach der „Machtübernahme" im Januar 1933 wurden alle Pfadfinder-Verbände aufgelöst und die Mitglieder geschlossen in das Jungvolk oder in die Hitler Jugend überwiesen. Ich war bei den Christlichen Pfadfindern und so kam auch ich zum Jungvolk. Da hier dieselben jungen Leute wie vorher zusammen waren und sich auch an den Heimabenden oder Fahrten zunächst nichts änderte, war das nur die Fortsetzung von dem, was vorher war; lediglich die Tracht hatte sich geändert.
Mit 14 Jahren wurde ich in die Hitlerjugend überwiesen. Hier war es schon viel zackiger und es gab eine spürbare Hierarchie. Es war viel langweiliger und ich ging immer seltener hin.
Mit 18 wurde ich dann ohne mein Wissen zur SA überwiesen. Dort habe ich mich von Anfang an entzogen und bin endlich am 15. Februar 1941 wegen „Ungeeignetheit" (Original in der Akte) entlassen worden.
2. Von April 1942 bis Oktober 1943 war ich Soldat bei der Wehrmacht. Ich hatte es mühsam bis zum Gefreiten gebracht und befand mich zuletzt in Tripolis im Zentrum des Peloponnes auf einer Schreibstube, als mich ein Marschbefehl des Oberkommandos des Heeres (OKH) nach Wilhelmshaven beorderte. Dort wurde ich entlassen. Das war ein unglaublicher Vorgang, so mitten im Krieg. Ich war 23 Jahre alt und kerngesund. Des Rätsels Lösung war, dass die Industrie dringend technisches Personal benötigte. Die Personaldecke war durch ständige Rekrutierungen so dünn geworden, dass nicht mehr pünktlich geliefert werden konnte. So wurde beim Heer nach Technikern (ich hatte ein Ingenieur-Examen) gesucht, die an nicht wichtigen Positionen saßen. Diese wurden an die Marine überwiesen und von dort entlassen. Vorher wurden alle in kriegswichtigen Betrieben dienstverpflichtet. So kam ich zu Siemens nach Berlin-Marienfelde.
Krieg in Berlin
Das vorletzte Kriegsjahr 1944 brachte für die Bevölkerung immer größere Belastungen. Die Lebensmittel wurden noch knapper und nächtliche Fliegeralarme zur Regel. Die meisten dieser Angriffe richteten nicht allzu großen Schaden an, da oft nur wenige Flugzeuge, üblicherweise britische Moskitos, beteiligt waren. Aber die Menschen wurden von den Luftschutzsirenen aus dem Schlaf gerissen, mussten sich anziehen, das Notgepäck nehmen und in den Keller gehen. Dort hörten wir im Radio: Feindlicher Verband im Anflug auf Hannover-Braunschweig. Dann wussten wir, dass wieder, wie fast immer, Berlin das Ziel war. Fünf Minuten später war das Dröhnen der Flugzeugmotoren über unseren Köpfen zu hören. Nach 1-2 Stunden war der Spuk vorbei und wir konnten wieder nach oben ins Bett gehen; mit dem Erfolg, dass wir oft unausgeschlafen zur Arbeit kamen.
27. Mai 1944. Ilse und ich hatten geheiratet. Vom Hochzeitstag an hatte ich Urlaub beantragt. Nach dem letzten Arbeitstag im Werk Siemens Apparate und Maschinen – sie stellten hauptsächlich Feuerleitanlagen für Torpedos und Artillerie her – war ich noch zum Luftschutzdienst eingeteilt. Das war eine Anwesenheitsverpflichtung, damit im Notfall immer genügend Männer zur Schadensbegrenzung (z.B. Feuer löschen) zur Verfügung standen. Normalerweise konnte man auf Pritschen im Luftschutzkeller schlafen, wenn nicht Fliegeralarm war. Der kam aber auch diese Nacht und sogar etwas schlimmer. Denn als ich am frühen Morgen schnell nach Hause wollte fuhr die S-Bahn erst gar nicht und später unregelmäßig. Als ich in Babelsberg ankam war hier alles in heller Aufregung, weil der Termin beim Standesamt schon nahe war. In Windeseile sprang ich in den Festtagsanzug und mit der S-Bahn ging es nach Potsdam. Der Standesbeamte hatte eine andere Trauung vorgezogen und so hatte ich meine Ilse doch noch bekommen, wenn auch eine Stunde später. Die Feier verlief zu Hause in Babelsberg recht lustig und laut. Beim unvermeidlichen Fliegeralarm in der Nacht sang die ganze Gesellschaft im Kellern das schöne Lied vom Seemann, den nichts erschüttern kann.
20. Juli 1944. Attentat auf Hitler. Er überlebte. Als Folge davon wurde überall Jagd auf verdächtige Personen gemacht. Auch unsere Firma Siemens Apparate und Maschinen (SAM) wurde durchkämmt und von mindestens einem Kollegen, ein sehr sympathischer Mann aus der Arbeitsvorbereitung, wussten wir, dass er sang- und klanglos verschwand. Er soll Sozialdemokrat gewesen sein. Partei und Gestapo hatten noch alles fest im Griff.
Um zur Firma zu kommen fuhren wir beide täglich mit der S-Bahn von Babelsberg nach Marienfelde. Im Herbst hatte es mal einen schweren Fliegerangriff gegeben und die S-Bahn war unterbrochen. Wir mussten zu Fuß weitergehen und kamen durch brennende Straßenzüge. Die Straßen lagen voller Schutt und Trümmer und rechts und links standen noch die Ruinen in Flammen. Wir mussten oft einen respektvollen Bogen machen, um der größten Hitze zu entgehen. Es war ein makabres Bild. Nur wenige Menschen und keine Fahrzeuge waren auf der Straße, die sowieso nicht befahrbar war; niemand löschte die Brände. Es brannte einfach zu viel und es gab auch kein Wasser.
Ilse hatte wegen ihrer Schwangerschaft ihre Arbeit am 30. Oktober aufgegeben, aufgeben können! Denn auch sie war dienstverpflichtet und da brauchte man eben für alles eine Genehmigung.
Im Dezember wurde sie von der NS-Volkswohlfahrt nach Bad Freienwalde verschickt, um dort Ruhe vor den ständigen Luftangriffen zu haben. Aber bei meinem ersten Besuch dort musste ich sie wieder mit nach Hause nehmen, weil sie Angst vor der Entbindungsstation im gleichen Ort hatte. Von der hatte sie nichts Gutes gehört. Auf der Heimfahrt gerieten wir in einen Fliegeralarm und mussten am Lehrter Bahnhof in einen Luftschutzkeller. Wir befanden uns wohl genau im Zielgebiet und einige Luftminen kamen herunter. Das Pfeifen der Luft durch die eigentlich luftdichten Schutztüren war so unheimlich und dazu kam das spürbare Schwanken des gesamten Kellers, dass die Menschen vor Angst wimmerten.
Auch die Tagesangriffe nahmen zu. Daran waren nun sehr viel mehr amerikanische Flugzeuge beteiligt, meist mehrere Hundert, die in mehreren Wellen kamen und sogar Begleitschutz mitbrachten. An einem klaren Tag erlebte ich einen solchen Angriff auf den Berliner Westen. Ich war beim Alarm in der Firma in Marienfelde und mit einigen Kollegen gingen wir auf die Straße und beobachteten, wie sogenannte Pfadfinder-Flugzeuge mit vier Leuchtfallschirmen die Ecken eines riesigen Quadrates markierten. Es war weit genug von uns entfernt, um uns nicht zu gefährden, aber nah genug, um das Ganze zu beobachten.
Das Dröhnen von vielleicht hundert großen Bomberflugzeugen der ersten Welle war zu hören und dann waren sie auch schon zu sehen.