Das Artefakt von Himmel und Erde: Drachenblut 6
Von Wolf Awert
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Über dieses E-Book
Aber bereits der Gedanke daran lässt sie erschaudern.
Oder muss sie zurück zu Pandos Mutter, um ihr diesen Plan auszureden? Wie will sie denn einen unsterblichen Drachen töten?
Der Hintergrund:
Unerwartet tauchen auf der Welt Halva Gestaltwandler auf. Dem Aussehen nach wilde Tiere, doch mit Vernunft gesegnet und der entsetzlichen Fähigkeit, biologische Grenzen zu durchbrechen und sich mit anderen Arten fortzupflanzen. Bereits ihre bloße Gegenwart bringt in den anderen vernunftbegabten Arten, den Drachen, Elfen und Menschen, die finstersten Seiten zum Vorschein. Die Elfen versuchen deshalb, die Gestaltwandler und ihre Mischlings-Nachkommen einzufangen und wegzusperren, doch der Keim des Zerfalls breitet sich unaufhaltsam aus. Unter den Elfen droht ein Bürgerkrieg, die Menschen dringen in den Siedlungsraum der Elfen ein und die Drachen scheinen unschöne Geheimnisse zu haben. Am Ende beginnt sogar Halva, sich selbst zu zerstören.
In dieser Welt macht sich die Viertelelfe Tamalone auf, ihre Ziehmutter wiederzufinden und die Rätsel ihrer Herkunft zu lösen. Niemand rechnet mit dem, was ihre Suche auslösen wird – sie selbst am wenigsten.
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Buchvorschau
Das Artefakt von Himmel und Erde - Wolf Awert
Was bisher geschah
Nach ihrer Begegnung mit der Drachenmutter hat Tama drei große Aufgaben zu erledigen. Stark muss sie werden auf des Drachen Wunsch hin. Doch nur die Vergangenheit, die ihr immer wieder vorenthalten wurde, kann ihr den Sinn all ihrer Handlungen erklären. Und dann gibt es jenen ominösen Plan für die Zukunft, den nur die Frau kannte, die von ihr immer Mutter genannt wurde. Doch war Mutter kein Mensch, sondern ein Halbdrache. Bei einer Begegnung mit ihr im Haus der Familie erfährt sie, dass dieser Plan nur in einigen Zukunftsbildern ihrer leiblichen Mutter Altwi existiert. Wie soll man mit kaum mehr als nichts den Untergang der Welt aufhalten können? Aber die Alternative ist noch schrecklicher. Die Drachenmutter will den unsterblichen Altvater töten.
Personae dramatis
GODWIN, Altvater aller Drachen
KRIECHER: Drache mit einem gelähmten Flügel
TAMALONE, genannt Tama, ein Dreiviertelmensch mit einigen rätselhaften Fähigkeiten
PANDO, ein Gestaltwandler in Tierform und Freund Tamas
DORMAN, Pando in Menschengestalt
CHAMSIANA, Pando in Elfengestalt
Waldelfen
SUMPFWASSER, Erster Berater der Waldelfen und Tamas Auftragsgeber
LUFTHAUCH: Waldläufer
BORK, Truppführerin der Waldelfen
LIND und MAITRIEB, zwei ihrer Jäger
IMMERGRÜN: Ein Diener zweier Herren
ZIMTCHEN: Offizier der Wehrhüter und angeblich Sumpfwassers Tochter
SONNENKRANZ, Sprecher des Elfenrates
Stadtelfen in NA-R
TREIBGUT, Magier der Komposits und Hersteller von Artefakten
KÖNIG NACHTNEBEL, Artefakthändler und Treibguts Partner
WILLJA, Viertelelfe, arbeitet an Artefakten
STEINDORN, ehemaliger Stadtkommandant
GEFLECKTER GELBZAHN, sein Sohn und Ratsmitglied
SCHWIMMENDES SCHWERT, Leiterin der Bürgerwehr und Ratsmitglied
ZAUBERTÄSCHL, Ratsmitglied verantwortlich für Handel und das Viertel des Handwerks
ZWEI-ARTEN-GRAU, Ratsmitglied verantwortlich für Fragen der Magie
WIND-ÜBER-DEN-DÄCHERN, neuer Stellvertreter von Schwimmendes Schwert
SCHMUTZWASSERLINSE, verantwortlich für Erweiterung der Stadt
WEGERICH, Truppführer und Kommandant über einen kleinen Bezirk im Handwerkerviertel
RÄTSELKRAUT, der eigentlich GRÜNKELCH heißt, ein Verkäufer Nachtnebels
Menschen in NA-R
MERJINA, Frau, reinrassiger Mensch, arbeitet an Artefakten
SCHLANGENAUGE, Führer der Unterwelt
Familie in NA-R
ALTWI, Tamalones leibliche Mutter
HOGGER, ihr Sohn und Tamas Halbbruder
BAERBEN, ihre ältere Tochter und Tamas Halbschwester
NEVEN, ihre jüngere Tochter und Tamas Halbschwester
„MUTTER" oder die Unaussprechliche. Eine rätselhafte Frau unklarer Rasse
AUREON und ARGENTON, ihre Söhne
POLA-POLON, Merjinas Sohn
Sonstige
TORSO, Gestaltwandler und Froschmensch von gewaltiger Sprungkraft
PALUDA, Tochter von Torso
AUFPASSER, Verwalter der Bergbausiedlung
SEELE DES AUSGLEICHS, seine Begleiterin
HORNFINGER, (hist.) vergessener Expeditionsleiter der Waldelfen
CILLIA, (hist.) Hornfingers Frau
GALMEI, noch nicht mehr als ein Name, aber vielleicht Tamalones Vater
DER WANDERER, ein Wesen aus der Welt der Toten
EIN GEIST, Wesen der Vergangenheit im Dunklen Viertel
Personen in Centrell
BLAUER DREISPORN, Bewohnerin des Hauses Blau
BLAUER SCHLAFMOHN, Freundin von Blauer Dreisporn und die Unaussprechliche in einer ihrer Gestalten
BARIONSTAB, Familienältester des Hauses Barion
Tamalone
Tamalone hielt die Luft an.
„… Godwin angreifen und ihn töten."
Diese wenigen Worte blieb in der Luft hängen, ließen sich durch nichts vertreiben und lösten in Tama ein Entsetzen aus, das ihr die Kehle zuschnürte. Sie konnte nicht glauben, was sie soeben gehört hatte.
„Damit wird sie uns alle umbringen. Weißt du das?" Tama rief sich ein Bild von ihrer bisher einzigen Begegnung mit der Drachenmutter zurück, die niemandem vertraute außer der Frau an, die sie aufgezogen hatte, die für alle außer ihr die Unaussprechliche hieß. Nur für sie allein hieß sie Mutter. Kriecher nannten die Elfen die Drachenmutter, weil sie mit ihrem lahmen Flügel nicht fliegen konnte. War die Verkrüppelung der Grund für einen so grenzenlosen Hass? Und Mutter saß da, gab kein einziges Wort von sich und rührte sich noch nicht einmal. Als hätte ein böser Zauber sie eingefroren.
„Hat Godwin ihr die Fähigkeit zu fliegen genommen?"
„Nein, sie wurde mit diesem verkrüppelten Flügel geboren. Was Godwin ihr angetan hat, war schlimmer, weil es mit Absicht und Plan geschah. So etwas würde ihm auch keine andere Frau unseres Volkes jemals verzeihen. Da sie aber nicht darüber spricht, gibt es niemanden, der mehr darüber weiß, als dass es geschah."
„Niemand außer dir und ihr selbst."
„Außer ihr. Ich weiß nur, was sie mir erzählt hat, aber das kann nicht alles gewesen sein.
„Und selbst das war schon schlimmer als die Unfähigkeit zu fliegen."
Mutter nickte.
„Aber weiß sie denn nicht, dass Godwin ein unsterblicher Gott ist? Wie kann sie hoffen, ihn zu vernichten?"
„Ich weiß nur, dass Godwin das von sich selbst behauptet, aber niemand glaubt es ihm. Dass ihn viele für einen Aufschneider halten, ist ein Teil seines Zorns, doch ist das nicht alles, was zwischen den beiden steht. Ihr Zerwürfnis geht tiefer. So tief, dass er sie für alle Zeiten gedemütigt sehen wollte und auch mehrfach versucht hat, dieses Ziel zu erreichen. Aber sie ist eine stolze Frau, die sich nicht demütigen lässt. Deshalb wird er sie irgendwann töten müssen, wenn er vor sich selbst weiterbestehen möchte. Ein Gott kann nicht an sich selbst zweifeln. Aber er wird darauf achten, sich dabei nicht zu beschmutzen. Er selbst tötet nur im Zorn oder im Kampf. So wie es einem Gott zusteht. Für Rache oder Neid wird er sich jemanden suchen. Das wird einfach sein. Er braucht nur zu warten, bis sie zu einem Mann geworden ist, und dann jemandem gegenüber anzudeuten, dass der lahme Drache nicht mehr unter seinem Schutz steht. Früher oder später wird eines der Jungmännchen seinen Stolz vergessen und seine Spielchen mit ihm treiben. Er wird ihn aus der Luft angreifen, und dagegen kann Kriecher sich nicht wehren. Du siehst, der Wunsch Godwin zu töten, entspringt nicht nur dem Wunsch nach Rache, sondern ist auch eine Frage des Überlebens."
„Ich glaube an Godwins Unsterblichkeit."
„Es ist dein gutes Recht, daran zu glauben, aber wir müssen es trotzdem versuchen."
„Jetzt sprichst du von wir. Willst du ihr bei diesem Irrsinn etwa helfen?"
„Sicher. Ich verdanke ihr alles, was ich habe und was ich bin. Sie ist der Sinn meines Lebens. Es fällt mir leicht, für sie zu sterben, wenn die Zeit kommt."
Tama vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Was redete Mutter denn da? Wer lebte, hatte doch auch ein Recht auf ein eigenes Leben. Sollte das nicht mehr gelten? Hörten denn die Schwierigkeiten und Missverständnisse überhaupt nicht mehr auf? Tamas Stimme war nur noch ein Hauch, als sie weitersprach: „Und weil du gesagt hast, ich sei wichtig, hofft sie nun, dass auch ich ihr helfen werde."
„Das würde sie niemals von dir verlangen. Was sollte ein Mensch gegen einen Drachen ausrichten können? Und dann ausgerechnet auch noch gegen Godwin, den Altvater unseres Volkes. Nein, mach dir keine Sorgen. Sie wird dich niemals darum bitten, auf ihrer Seite gegen Godwin zu kämpfen. Aber es besteht die Möglichkeit, dass du auf irgendeine Art und Weise das Schicksal zu ihren Gunsten beeinflussen wirst."
„Das Schicksal lässt sich nicht beeinflussen. Das weiß doch jedes Volk. Nein, das kann es nicht sein. Und trotzdem frage ich mich, was ich überhaupt tun kann, wenn ich doch so wichtig sein soll."
„Deine allererste Aufgabe ist es, am Leben zu bleiben."
„Ich will mich aber nicht verstecken."
Mutter lachte auf. „Jetzt denkst du wie ein Drache. Dann werde so stark, dass niemand dich töten kann."
„Da könnte ich ja gleich versuchen, wie Godwin unsterblich zu werden."
„Das ist eine gute Idee."
„Mutter! Das war ein Scherz. Tama war sich sicher, dass ihr Gebrüll die Tür des kleinen Zimmers durchdrungen hatte. Sie riss sich zusammen und wurde wieder leise. „Gut, dann machen wir das, Mutter. Ist ja kein großes Ding. Hast du noch irgendwelche Ratschläge für mich, wie ich das mit der Unsterblichkeit hinbekomme?
Tama hob herausfordernd den Kopf und hätte sich am liebsten selbst verwünscht, als sie den Schmerz in Mutters Gesicht sah. „Es tut mir leid, Mutter, sagte sie, „ich wollte dich nicht verletzen, aber ich bin kreuzunglücklich. Auch wenn du es mir vielleicht nicht glaubst. Ich habe als kleine Viertelelfe nichts gemein mit deiner Mentorin, oder was sie auch immer für dich ist. Und trotzdem liebe ich sie. Kannst du dir das vorstellen? Ich bin ihr doch nur ein einziges Mal begegnet.
„Vielleicht lernst du sie einmal besser kennen. Dann wirst du merken, wie einzigartig sie ist. Auch unter den Drachen. Man kann sie nur lieben oder hassen. Es gibt nichts dazwischen. Und noch eines. Ich bin froh, mit dir gesprochen zu haben. Ich werde dich jetzt wieder verlassen. Irgendwann komme ich zurück. Mach dich in der Zwischenzeit mit meiner Schildkröte vertraut. Lass dir von Neven dabei helfen. Über meine Schildkröte kannst du mich erreichen."
Neven? Na, das würde was geben. „Ich habe noch eine letzte Frage, Mutter. Weißt du, über welche Fähigkeiten deine Kinder verfügen?"
Mutter schüttelte den Kopf. „Nicht von allen. Aureon liebt das Dunkel, Argenton reist gerne. Du hast Zugang zu den Köpfen der Wesen, denen du begegnest, Neven ebenso, doch ist sie stärker als du. Mehr weiß ich nicht."
„Baerben weiß Dinge. Wer wo ist und so etwas. Und Hogger wirft mit Gegenständen, ohne sie anzufassen. Was Paluda kann, weiß ich nicht. Niemand hier spricht hier gern über seine Fähigkeiten. Aber du solltest wissen, was deine Kinder können. Und noch etwas, bevor du wieder fortfliegst. Könntest du nicht wenigstens deine beiden Söhne noch einmal in den Arm nehmen? Dann hier oben ein wenig Lärm machen und als der Vater meiner Halbgeschwister zurückkommen? Sie alle sehnen sich nach dir."
„Sie sind Abkömmlinge der Drachen. Sie müssen lernen, ohne ihre Eltern auszukommen."
„Das wissen sie nicht. Sie ahnen es vielleicht, aber nicht mehr. Altwi hat ihnen versprochen, darüber zu sprechen. Sie alle sind mehr Mensch als Drache. Und mir würdest du meine Besuche etwas leichter machen. Zu mir hast du gesprochen. Aber deine eigenen Kinder sind dir weniger wert als ich. Jedenfalls würden sie das alle so sehen."
„Als wenn dir das etwas ausmachen würde, Tama. Aber sag mir, wo du diese Sprache der verdrehten Zunge gelernt hast. Was soll so wichtig daran sein, dass sie Menschen sind?"
„Wenn du das nicht weißt, Mutter, kann es sein, dass in deinen Adern kein Menschenblut fließt?"
Mutter schwieg lange, schaute durch das Dachfenster in den Himmel. Dann gab sie sich einen Ruck.
„Ich werde tun, was du sagst. Schick mir Aureon und Argenton. Es wird die Welt nicht in den Abgrund treiben, wenn ich mir einige Augenblicke Zeit für meine Söhne nehme."
Tama wartete bei ihren Geschwistern darauf, dass die beiden Brüder zurückkamen, und überlegte mit ihnen, was sie gegen die Räumung des Hauses tun konnten.
„Kämpfen", sagte Hogger.
„Die werden sich wundern", sagte Neven.
Baerben schwieg und strahlte plötzlich, als Aureon und Argenton eintraten.
„Ist eure Mutter weg?", fragte Hogger mit viel Bitterkeit in der Stimme.
„Ja, sie wollte fort sein, bevor euer Vater kommt. Es ist ihr zu wenig Platz in dem kleinen Zimmer für alle zusammen."
„Man könnte meinen, die beiden wären miteinander verfeindet", sagte Hogger.
„Das sind sie ganz bestimmt nicht", sagte Baerben, die wie immer mehr wusste als ihre Geschwister.
„Vater kommt wirklich?, fragte Neven. „Ganz bestimmt?
Das Leuchten auf ihrem kindlichen Gesicht hätte ausgereicht, ein ganzes Stadtviertel von NA-R mit Licht zu versorgen.
Tama war nicht mehr neugierig darauf, welche Gestalt Mutter für die Rolle als Vater ihrer Halbgeschwister gewählt hatte. Das hatte auf ihre eigenen Dinge keinen Einfluss. Jetzt war es Zeit, sich um wirklich wichtige Dinge zu kümmern. Da drohte die Räumung des Hauses, das ihre Familie bewohnte. Die musste sie sofort verhindern. Dann der Auftrag von Pandos Mutter: Werde stark! Sie würde ein Artefakt der Stärke erschaffen müssen. Das erschien ihr nicht völlig unmöglich. Der universelle Magieverstärker, einst nicht mehr als die Idee eines überreizten Gehirns, war jetzt eine ernst zu nehmende Möglichkeit. Blieb noch das ungelöste Problem, jemanden zu finden, der die Zukunft weiter und klarer sah als Altwi. Wenn jemand die Vergangenheit schaute, wie Pandos schwarze Schwester es vermochte, und es mit Baerben jemanden gab, der die Gegenwart kannte, dann musste auch jemand die Zukunft lesen können. Sie brauchte nur nach Menschen zu suchen, durch deren Adern Drachenblut floss. In ihrer Familie war das vor allen anderen Altwi. Und außerhalb ihrer Familie? Da fiel ihr niemand ein. Wahrscheinlich musste ein Seher erst noch geboren werden.
Nur kurz überlegte sie, ob sie das Elfenviertel durch die Tür verlassen sollte, durch die sie es betreten hatte. Doch dann beschloss sie einen kleinen Umweg zu machen. Durch das Viertel des Todes, von dort in das Viertel der Gestaltwandler, um da kurz nach dem Rechten zu sehen, und dann zu Treibgut. Sollten die Komposits sich doch wundern, wo sie abgeblieben war. Sie ließ sich von Aureon und Argenton bis zu jener Grenze bringen, die das Licht vom Dunkel trennte, verabschiedete sich von ihnen mit einem Kuss und tauchte in die Schwärze ein, in der niemand überleben konnte außer den Toten, den Geistern und den beiden jungen Männern, die sie mittlerweile als ihre Brüder ansah, auch wenn Aureon für sie einmal mehr als nur ein Bruder gewesen war.
Es dauerte immer ein wenig, bis sich die Augen an die Schwärze gewöhnt hatten und sie die ersten vorsichtigen Schritte tun konnte. Aber dann schritt sie zügig aus. Jetzt hatte sie es eilig.
„Liebe Grüße von mir und all meinen Freunden. Ich habe mehrfach versucht, eine Verbindung zu dir herzustellen, weiß aber nicht, ob es mir gelungen ist. Sag, konntest du mich spüren oder gar hören?"
Tama blieb stehen, weil sie nur die Stimme vernahm, ihr aber die Gestalt, die zu dieser Stimme gehörte, verborgen blieb. Versteckte er sich oder hatte er seinen Glanz verloren? Seine Anwesenheit ahnte sie mehr, als dass sie sie sah. Ja, da war er. Groß und dunkel stand er vor ihr, auf dem Kopf der unverkennbare Hut, dessen breite Krempe tief hinunterhing und das Gesicht verbarg. Als sie seinen Umriss sah, erkannte sie ihn wieder, und mit dem Erkennen kamen auch die Erinnerungen zurück. Sie war sich sicher, in der Zwischenzeit nichts von ihm gehört zu haben. Doch diese Sicherheit verschwand, je länger sie sich davon zu überzeugen suchte.
„Ich weiß nicht, sagte sie. „Einmal hielt ich einen Knochenring in der Hand, der mir nicht für eine Frau gemacht schien. Mir war, als wenn sein früherer Träger zu mir sprach, denn ich sah die Gestalt eines Mannes vor mir. Groß und kräftig. Mehr konnte ich nicht erkennen. Aber ich musste sofort an meinen Freund denken.
„Der ebenfalls groß und kräftig ist."
„Nein, er ist nur mittelgroß und schlank, besitzt aber die Fähigkeit, mit mir gemeinsam durch die Dunkelheit zu gehen. Du müsstest ihn kennen. Seine Augen leuchten in der Farbe reinen Goldes."
„Ich danke allen Mächten, die mir zuhören, sagte der Ledermann. „Ja, ich erinnere mich an deinen Begleiter. An ihn wandte ich mich. Und an die alte Magie wandte ich mich. An alle Gegenstände der Vergangenheit, deren Verbindung zur alten Magie noch nicht zerrissen ist. An sie alle wandte ich mich. Und gemeinsam haben wir dich erreicht. Das ist ein gutes Zeichen und ein Tag der Freude für mich.
Tama staunte über die unerwartete Begeisterung. Was konnte ein Geist von ihr wollen, dass er einen solchen Aufwand betrieb? „Sag, man nennt dich den Wanderer zwischen den Welten, nicht wahr? Die Gestalt, die versucht, in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Was kann so dringend sein, dass du glaubtest, mich unbedingt erreichen zu müssen?"
„Das weißt du nicht mehr? Du hattest mir etwas versprochen, und ich wollte wissen, ob du noch an mich denkst oder mich bereits vergessen hast. Denn du musst wissen, dass das Vergessen einer