Wasser – überall: Drachenblut 11
Von Wolf Awert
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Über dieses E-Book
Für die Welt hat Tamalone nichts erreicht. Sie taumelt weiterhin dem Untergang entgegen. Die Geister der Toten gieren danach, sie in die Dunkelheit zu reißen. Nur eines gibt Hoffnung. Bald betreten die Kinder der Drachentöchter die Welt. Doch kann die nächste Generation es richten?
Wer sollte sie unterweisen können?
Der Hintergrund:
Unerwartet tauchen auf der Welt Halva Gestaltwandler auf. Dem Aussehen nach wilde Tiere, doch mit Vernunft gesegnet und der entsetzlichen Fähigkeit, biologische Grenzen zu durchbrechen und sich mit anderen Arten fortzupflanzen. Bereits ihre bloße Gegenwart bringt in den anderen vernunftbegabten Arten, den Drachen, Elfen und Menschen, die finstersten Seiten zum Vorschein. Die Elfen versuchen deshalb, die Gestaltwandler und ihre Mischlings-Nachkommen einzufangen und wegzusperren, doch der Keim des Zerfalls breitet sich unaufhaltsam aus. Unter den Elfen droht ein Bürgerkrieg, die Menschen dringen in den Siedlungsraum der Elfen ein und die Drachen scheinen unschöne Geheimnisse zu haben. Am Ende beginnt sogar Halva, sich selbst zu zerstören.
In dieser Welt macht sich die Viertelelfe Tamalone auf, ihre Ziehmutter wiederzufinden und die Rätsel ihrer Herkunft zu lösen. Niemand rechnet mit dem, was ihre Suche auslösen wird – sie selbst am wenigsten.
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Buchvorschau
Wasser – überall - Wolf Awert
Was bisher geschah
Der Krieg zwischen den Waldelfen und den Soldaten Centrells ist beendet. Pando hat ihren Anführer Barionstab getötet und dessen Stadt zerstört. Sorge bereiten die Gerüchte, dass Geister ihre Hände mit im Spiel hatten, aber außer Tamalone kennt niemand deren Macht. Sorge bereitet auch Altvater Godwin, der gedroht hat, sich an der Drachenmutter zu rächen. Deshalb muss Godwin sterben, bevor er anderen schaden kann. Doch Tama behauptet, dass Godwin unsterblich ist. Meister Treibgut kehrt nach langer Zeit der Abwesenheit zum Haus der Vier Winde in Centrell zurück, um dort die Führung zu übernehmen. Außerdem möchte er das Haus Barion auslöschen, um endlich einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Durch einen Unfall wird die gesamte Führungsgruppe des Hauses Barion ausgelöscht, und im Haus der Vier Winde sieht sich Treibgut einem Widerstand in der eigenen Familie gegenüber. Mit Hilfe des Hauses Blau und den Drachentöchtern setzt er eine neue Stadtregierung ein und bestraft die Verräter.
Die Waldelfe Lufthauch und ihre Mutter Bork geraten in Streit mit der Führung der Waldelfen und können sich einer Verhaftung gerade noch entziehen.
Tamalone hat Angst um ihre Familie, die den Kampf mit Godwin nicht überleben kann, und sucht Hilfe bei Halva, die sie für eine Göttin hält. Ihr gelingt der Kontakt mit diesem Wesen, aber eine Verständigung erscheint unmöglich. Endlich kommt es zum Kampf der Drachentöchter gegen Godwin. Godwin wird besiegt, aber nicht getötet, weil Tama ihm hilft zu entkommen. Zsardyne wirft ihr daraufhin Verrat an der eigenen Sache vor, obwohl sie keine Beweise für ihre Anschuldigung hat.
Personae dramatis
GODWIN, Altvater aller Drachen
KRIECHER, Drache mit einem gelähmten Flügel
TAMALONE, genannt Tama, ein Dreiviertelmensch mit einigen rätselhaften Fähigkeiten
PANDO, ein Gestaltwandler in Tierform und Freund Tamalones
DORMAN, Pando in Menschengestalt
CHAMSIANA, Pando in Elfengestalt
ZSARDYNE, Pandos schwarze Schwester
DIE UNAUSSPRECHLICHE, Eine rätselhafte Frau unklarer Rasse. In Centrell nennt sie sich Blauer Schlafmohn, sie war Tamas Pflegmutter
Waldelfen
SUMPFWASSER, bis zu seinem Tod Erster Berater der Waldelfen und Tamas Auftragsgeber
STARKBAUM, Drachentochter der Gewalt und selbsternannte Beschützerin von Lufthauch
LUFTHAUCH, Waldläufer
BORK, Truppführerin der Waldelfen
LIND und MAITRIEB, zwei ihrer Jäger
IMMERGRÜN, Ein Diener vieler Herren
ZIMTCHEN, Offizier der Wehrhüter und angeblich Sumpfwassers Tochter
SONNENKRANZ, Sprecher des Elfenrates
Stadtelfen
TREIBGUT, Magier der Komposits und Hersteller von Artefakten
KÖNIG NACHTNEBEL, Artefakthändler und Treibguts Partner, arbeitet später unter Barionstab
WILLJA, Viertelelfe, arbeitet an Artefakten
STEINDORN, ehemaliger Stadtkommandant von NA-R
RÄTSELKRAUT, der eigentlich GRÜNKELCH heißt, ein Verkäufer Nachtnebels
BARIONSTAB, Familienältester des Hauses Barion und Anführer der Stadtelfen im Krieg gegen die Waldelfen
Menschen in NA-R
MERJINA, Frau, reinrassiger Mensch, arbeitet an Artefakten
SCHLANGENAUGE, Führer der Unterwelt
Familie in NA-R
ALTWI, Tamalones leibliche Mutter
HOGGER, ihr Sohn und Tamas Halbbruder
BAERBEN, ihre ältere Tochter und Tamas Halbschwester
NEVEN, ihre jüngere Tochter und Tamas Halbschwester
AUREON und ARGENTON, Tamas Halbbrüder
PALUDA, Tochter von Torso
POLA-POLON, Merjinas Sohn
Sonstige
TORSO, Gestaltwandler und Froschmensch von gewaltiger Sprungkraft
AUFPASSER, Verwalter der Bergbausiedlung
SEELE DES AUSGLEICHS, seine Begleiterin (dritte Drachentochter der Rache)
ANIMACHRON, erste Drachentochter der Rache
HORNFINGER, (hist.) vergessener Expeditionsleiter der Waldelfen
CILLIA, (hist.) Hornfingers Frau
DER WANDERER, ein Wesen aus der Welt der Toten
ZWEI GEISTER, Wesen der Vergangenheit im Dunklen Viertel
GALMEI, Magier der Menschen und Minenbesitzer
FEUERBLÜTE, Godwins Enkelin aus Animachron
Personen in Centrell
BLAUER DREISPORN, Bewohnerin des Hauses Blau und zweite Tochter der Rache
BLAUER SCHLAFMOHN, die Unaussprechliche und Freundin von Blauer Dreisporn
Die Drachentöchter
DIE TOCHTER DER GEWALT, lebte bei Godwin, heißt nun Starkbaum
DIE DREI TÖCHTER DER RACHE, wurden von der Drachenmutter in die Welt geschickt
DIE ZWEI TÖCHTER VON LIEBE UND VERGEBUNG, Pando trägt das Weiß der Unschuld, Zsardyne das Schwarz der Fruchtbarkeit
Tamalone und die Drachentöchter
Zsardyne beendete ihre Tirade mit den Worten: „Du hast uns verraten. Du hast mich und du hast die Drachenmutter verraten. Ich hasse dich!"
Tamalone schien unter den Anschuldigungen ihrer Geliebten immer kleiner zu werden. Ihre Hände streichelten über ihren Bauch, als müsste sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihr ungeborenes Kind vor diesen Worten schützen. Sie murmelte etwas, und nur Pando, der sich direkt hinter ihr befand, konnte sie hören und flüsterte ihr Trost ins Ohr.
„Hör nicht zu, mein Liebling. Das ist nur das Getöse eines verletzten Geschöpfes, das Geschrei ihres Schmerzes, der selbst keine Worte findet. Du hast großartig mit mir zusammen gekämpft. Wir haben alles erreicht, was wir erreichen wollten. Ich bin so stolz auf dich."
Tamalones Gestalt straffte sich unter Pandos Worten. Sie richtete sich auf und schaute ihre Geliebte aus feuchten Augen an. Ganz ruhig nun antwortete sie der dunklen Schwester der Liebe und Vergebung:
„Es tut mir weh, dass du mich so siehst. Aber ich werden deinen Hass ebenso ertragen, wie ich deine Liebe ertrug und all deine anderen Launen auch. Mir hilft das Wissen, dass du irgendwann den Schmerz deiner Geburt überwinden wirst. Du trägst das schwerste Gepäck von uns allen hier, aber du wirst am Ende auch am reichsten belohnt werden."
Seele des Ausgleichs stellte sich neben Tama, und auch sie sah die andere Drachentocher an. „Ich denke du bist zu streng zu ihr, Zsardyne. Ihr Plan hätte gelingen können. Unser Plan hätte uns nur einen heldenhaften Tod geschenkt. Vergiss nicht, sie hat immer von Godwins Unsterblichkeit gesprochen. Dass du ihr nicht geglaubt hast, kannst du ihr nicht zum Vorwurf machen."
Pando umarmte Tama von hinten und zog sie an seine Brust. „Hast du vergessen, dunkle Schwester, dass du versprochen hast, allen Streit zu begraben und dich unserer gemeinsamen Sache anzuschließen? Und jetzt, bei dem ersten Rückschlag, kommst du mit Wut und Hass und keiner besseren Idee als der einer Spaltung. Wie ist dein neuer Plan? Du und unsere Mutter gegen alle anderen Drachentöchter und allein gegen Godwin?"
Zsardyne blies sich zur alten Drachengröße auf und fauchte: „Von dir lasse ich mir nichts sagen. Ich fliege zu unserer Mutter zurück. Einer muss sie ja vor Godwin beschützen."
Sie warf sich von der Klippe in den Wind, entfaltete ihre Flügel und ließ sich von der Luft forttragen, ohne einen einzigen Flügelschlag zu benötigen.
„Sie wird zurückkommen", sagte Pando.
„Sie meint es nicht so", sagte Seele des Ausgleichs.
„Endgültigkeit riecht anders, aber in einem Punkt hat sie recht. Wie schützen wir die Drachenmutter vor Godwin?", fragte die Unaussprechliche.
Das Schweigen der Drachentöchter verriet, dass niemand auf diese Frage eine Antwort hatte.
„Und nun?" Starkbaum stellte diese Frage. Die Antwort darauf würde entscheiden, wer sich als Anführer oder Sprecher der kleinen Gruppe betrachtete.
„Es gibt derzeit nicht viel für uns zu tun, sagte die Unaussprechliche. „Seht euch Tamas prallen Bauch an. Ein Wunder, dass sie hier Seite an Seite mit uns gekämpft hat. In NA-R wartet Merjina auf ihren Mann und dürfte ihn sich sehnlichst herbeiwünschen. Pando und mir sieht man unseren Zustand nicht an, zumindest nicht in unserer Drachengestalt. Aber auch wir sollten nach einem geschützten Platz suchen. Starkbaum, du magst dorthin gehen, wo du deine Aufgabe siehst. Für Animachron sieht es ähnlich aus. Du, Blauer Dreisporn wirst wohl nach Centrell zurückkehren. Tama und ich, Hogger und Argenton fliegen nach Hause. Und du, Seele des Ausgleichs, es steht mir nicht zu, dir etwas zu befehlen. Deshalb bitte ich dich, mit mir nach NA-R zu fliegen. Drei Menschenkinder könnten etwas viel sein für meinen geschundenen Rücken.
„NA-R war ohnehin mein Ziel", sagte Seele des Ausgleichs.
„Meines auch, sagte Pando. „Ich nehme Tama mit und liefere sie sicher bei ihrer Familie ab.
„Ich habe auch in NA-R zu tun, sagte zur allgemeinen Überraschung aller Animachron. „Wenn du willst, Tochter-Tochter, trage ich Hogger und Argenton für dich.
„Argenton übernehme ich, sagte Seele des Ausgleichs. „Wir sollten die Lasten gerecht verteilen.
„Hast du gehört?, sagte Pando. „Für Seele bist du eine Last.
Argenton wurde rot. Die Unaussprechliche nahm ihren Sohn in den Arm. „Er meint das nicht so."
Argentons Rosenfarbe verdunkelte sich noch ein wenig mehr.
„Hört auf, rief Tama. „Er ist der Jüngste von uns allen. Und du, Pando, solltest dich schämen.
Pandos vorgespielte Schwermut löste ein allgemeines Gelächter aus, das alle dunklen Gedanken für ein paar Atemzüge lang vertrieb.
Mit Ausnahme von Starkbaum, Blauer Dreisporn und Zsardyne flogen die Drachentöchter nach NeuAllerdamm-Rot und brachten Tama, Hogger und Argenton zu ihrem Familiensitz. Seele des Ausgleichs, Pando und Animachron flogen anschließend weiter zur Wunderwelt der Artefakte.
Im Haus der Unaussprechlichen erwartete die Heimkehrer ein herzliches Willkommen. Tee wurde serviert, und alle setzten sich in einen großen Kreis um die Schildkröte herum.
„Unsere Helden, sagte Altwi, und niemand wusste zu sagen, ob in ihrer Stimme Bewunderung oder ein unterdrückter Spott erklang. „Sie sind zurück. Allein das zählt. Aber wie soll es nun weitergehen?
„Wollen wir sie nicht erst erzählen lassen, was passiert ist und wie der Kampf ausgegangen ist?", fragte Aureon.
Baerben antwortete für die Helden: „Sie haben überlebt. Godwin hat überlebt. Die Einigkeit der Drachentöchter dauerte nur einen Kampf lang."
„Woher weißt du …? Ist schon gut. Altwi kennt die Zukunft und du, Baerben, warst in Gedanken dabei. Entschuldigt meine dumme Frage."
„Sie ist nicht dumm, mein Sohn, sagte die Unaussprechliche. „Was passiert ist, kann man nur wissen, wenn man beteiligt war, und wahrscheinlich wird jeder von uns eine etwas andere Geschichte erzählen. Wir haben unserer Tamalone zu danken, dass wir überlebt haben. Godwin war nicht zu besiegen.
„Danke, Mutter, sagte Tama. „Bedeutet das, dass du mir die Unsterblichkeit Godwins glaubst?
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Aber meine Augen konnten den Sturz Godwins aus großer Höhe sehen und auch seinen Aufprall auf dem Felsen. Dass er das überlebte und kurz danach einfach davonflog, ist für mich nicht anders zu erklären. Ob es nun seine Unsterblichkeit oder eine andere Magie ist, spielt keine Rolle. Wir Drachentöchter werden Godwin niemals besiegen können. Mit tut die Drachenmutter leid. Ich weiß auch nicht, wie wir ihren Schutz bewerkstelligen könnten. Andererseits wehrt sich alles in mir, sie tot zu sehen."
„Wir können nur hoffen, dass Godwin sich beruhigt, sagte Tama. „Im ersten Zorn sagt man leicht Dinge, die man eigentlich gar nicht tun möchte. Und gerade Godwin traue ich immer eine Überraschung zu. Im Guten wie im Schlechten.
„Hogger, wie ist es dir ergangen?", fragte Altwi ihren Sohn. Sie wollte nicht länger über Godwin sprechen, wo sich die Gedanken nur im Kreis drehen konnten. Aber für die eigene Familie konnte man etwas tun, und Hogger tat die Frage seiner Mutter gut. Er strahlte, als er das Wort ergriff.
„Ich sah den Flug der Drachen und den Altdrachen höchstpersönlich. Er ist größer als ein Haus, und wenn er brüllt, übertönt er jeden Sturm. Ich hielt mich gut versteckt und tat nicht viel. Ich nutzte meine Zauberkraft, um seinen Sturz zu beschleunigen, auch wenn sie nichts war im Vergleich zu der von Pando. Trotzdem bin ich sehr stolz, dass ich bei diesem Kampf dabei sein durfte."
Altwi nickte zufrieden. „Und du Argenton?"
Argenton hatte ein auffallend blasses Gesicht bekommen, und er murmelte mehr, als dass er sprach. „Es war fürchterlich. Wenn ich will, kann ich für jeden zu einer tödlichen Gefahr werden. Außer für Godwin vielleicht. Mit einem solchen Wissen zu leben, ist nicht einfach. Ich hatte nie vor, einmal ein Krieger zu werden."
„Du warst nicht nur ein Krieger, du warst auch ein Held, sagte Tama. „Du hast Pando beschützt.
„Und dabei möglicherweise einen Drachen getötet. Das ist nichts, worauf ich stolz sein könnte. Er stand auf, wischte sich geistesabwesend mit der Hand über den Kopf, auf dem das Haar kürzer stand als das Getreide nach dem Schnitt, und sagte: „Ich muss euch jetzt verlassen, aber keine Angst, ich gehe nicht weit weg.
Vor den Augen seiner Familie löste er sich auf und verschwand.
Godwin
Der Himmel verdunkelte sich unter den ausgebreiteten Schwingen des Altvaters aller Drachen. Als er landete, erzitterte das Gebirge.
„Bist du endlich gekommen, um mich zu töten?", fragte die Drachenmutter.
„Dich zu töten? Was hätte ich davon? Ich habe dir gezeigt, zu was ich fähig bin und dass du nur ein Fehler der Natur bist. Mir gefällt, dass du nun mit dieser Erkenntnis leben musst. Dich zu töten, würde mir diesen Spaß verderben. Nein, du bist sicher vor mir. Nur deine Brut werde ich vernichten, wo immer ich sie finde. Aber solange sie sich in Menschengestalt unter den Menschen versteckt und die Drachenberge meidet, ist sie vor mich sicher. Sie haben mich geärgert, diese Wesen, die nur durch ihr Aussahen noch an Drachen erinnern und Blut der Menschen oder Waldelfen mit deinem gemischt haben. Ein zweites Mal wird ihnen das nicht gelingen, aber letztlich sind sie machtlos einem Gott und seiner Unsterblichkeit gegenüber."
„Das waren viele Worte, Godwin. Wenn es nicht dein Wunsch nach Rache ist, was treibt dich dann zu mir?"
„Es ist dieser Winzling. Deine Freundin. Das Kind der Menschen. Sie ist so schwach, dass ich aufpassen muss, wenn ich in ihrer Gegenwart ausatme, und so kurzlebig, dass ich nicht einschlafen darf, wenn ich mich mit ihr beschäftigen will. Und doch geht sie mir nicht aus dem Kopf, weil sie Gedanken denkt, die krauser sind als Kräuselkraut und fremdartiger als eine Purzelblume. Ich verstehe sie nicht, ich verstehe nicht, was sie sagt, nicht, was sie will, und schon gar nicht, warum es sie überhaupt gibt. Sie allein sucht meine Nähe, und sie hat keinerlei Angst vor mir."
„Wegen ihr kommst du zu mir? Dann solltest du wissen, dass sie mich verraten hat und sich hüten wird, zu mir zurückzukommen. Das würde sie nicht überleben."
„Sicher würde sie das. Mit Leichtigkeit. Sie verfügt über eine eigene Art von Magie, die dir die Gedanken vergiftet und dich zögern lässt, das zu tun, was getan werden sollte. Wenn du sie siehst, sage ihr, Godwin will sie sprechen."
Eine Antwort wartete der Altvater nicht mehr ab. Schließlich hatte er auch noch andere Dinge zu tun.
Immergrün
Er hatte weniger erreicht, als er erhofft, aber mehr, als er gefürchtet hatte. Er war zurückgefallen in jedweder Gunst und weit entfernt von den Ansprüchen, die ihn auszeichneten. Doch das war ihm egal, solange er noch mit im Spiel war. Er würde den anderen schon zeigen, was es hieß, mit Immergrün zu tun zu bekommen. Die Leiche der toten Waldelfe aus NeuAllerdamm-Rot abzuholen, würde ein Leichtes sein. Doch bevor er sich darum kümmerte, brauchte er Frieden hinter seinem Rücken, denn da gab es noch eine unerledigte Angelegenheit. Immergrün lenkte seine Schritte nach Neustadt oder dem, was davon noch übriggeblieben war.
„Du hier?", fragte er, als er zu seiner Überraschung auf Steindorn traf.
„Ich erbaue hier eine neue Siedlung", sagte Steindorn.
Immergrün verdrehte die Augen ob dieser Torheit und murmelte nur etwas von „vergessen, „schnell noch etwas nachsehen
oder „gleich wieder da" und beeilte sich, zu dem kleinen Steinhaus zu kommen, welches nie fertig gebaut worden war. Das gegrabene Loch war wieder zugeschüttet worden und überall zeigten sich Spuren des Brandes. Sonst hatte sich wenig verändert.
Was suchte er eigentlich hier? Konnte er ernsthaft annehmen, dass der wahre Heerführer des Krieges sich ihm noch einmal zeigte? Konnte er ihn rufen?
Dieser Gedanke hatte sich gerade erst gebildet, als die ihm gegenüberliegende Wand in ihren Konturen verschwamm und ein Kopf in der Luft schwebte, der durch nichts gestützt wurde.
„Ich habe auf dich gewartet. Alle möglichen Leute haben sich hier herumgetrieben, aber Barionstab und du, ihr habt mich warten lassen. Es war deine Aufgabe, mir zu erzählen, wie die Dinge in Centrell stehen. Du kamst nicht zurück. Es ist gefährlich, mich zu erzürnen."
„Ich bin ja jetzt hier", sagte Immergrün in einem Ton, der ihm geeignet erschien, den Geist zu beschwichtigen. „Barionstab