Fay - Die Bürde des Blutes
Von T. J. Hudspeth
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Buchvorschau
Fay - Die Bürde des Blutes - T. J. Hudspeth
Seelenheil – Glaube an die eigene Macht
Seit dem Angriff des Schwarzblüters, waren zwei volle Tage und Nächte vergangen. Dalila befand sich nach wie vor in einem Dämmerschlaf. Niemand wusste wie lange dieser noch anhalten, und ob das Halbblut jemals wieder erwachen würde.
Daphne saß wie ein beschützender Wachhund neben dem Bett auf einem Stuhl, um ein Auge auf ihre Enkeltochter haben zu können. Dabei ließ sie gedankenverloren, den blutroten Anhänger ihrer Kette, zwischen den Fingern umherkreisen, als ob sie einen Rosenkranz beten würde. Dieser bestand jedoch nur aus einer einzigen, statt aus 59 Perlen und es war auch kein Kreuz daran zu sehen. Denn ihr Kreuz war ihre Geißel, die daher rührte, machtlos mit ansehen zu müssen, wie das junge Mädchen vor sich hinvegetierte. Einen weiteren Verlust, würde die vom Leben gebeutelte Davallia-Frau jedoch nicht mehr ertragen können. Erneut eine geliebte Person zu verlieren, würde ihr endgültig jeglichen Willen rauben weiterzuleben.
Das Schicksal hatte ihr ein Unheil nach dem anderen präsentiert. Erst wurde ihr der Ehemann viel zu früh genommen, dann verlor sie ihren Faypaten, Ziar, der nur deshalb sterben musste, weil er ihr Leben als kostbarer und lebenswerter erachtet hatte, als das seine. Und zu guter Letzt, hatte man ihr die Frucht ihrer Lenden geraubt. Ihr eigen Fleisch und Blut. Das einzige Kind, das sie je geboren und von ganzem Herzen geliebt hatte – ihre Tochter. Würde sie nun das Letzte verlieren, das ihr noch einen Sinn gab weiterzuleben, um diesen wahnsinnigen Krieg einstiger Faybrüder und Schwestern weiter durchstehen zu können, würde sie ihrem Halbblutdasein umgehend ein frühzeitiges Ende setzen. Wie dies vonstattengehen sollte, war Daphne noch nicht klar. Doch sobald Dalila den Kampf aufgeben sollte und ihr Herz keinen Schlag mehr täte, würde sie es dem jungen Mädchen gleichtun und ihr auf die andere Seite folgen, in der Hoffnung ihre Lieben dort alle wieder vereint anzutreffen.
So abwesend die leeren Augen von Dalilas Großmutter auch wirken mochten, ihrem achtsamen Verstand entging nichts. Nicht einmal der vorbeihuschende Schatten, den man unter dem schmalen Spalt der geschlossenen Zimmertür, auf den Holzdielen tänzeln sehen konnte, entzog sich ihrer Wachsamkeit.
„Komm endlich rein, Jo, oder willst du etwa noch länger wie ein gesichtsloses Gespenst vor der Tür herumlungern?", fragte sie gereizt. Einen Atemzug später öffnete sich leise die Tür. Verlegen betrat der Fay den Raum, der angefüllt war mit Daphnes traurigen Empfindungen. Jo fröstelte, als eine Woge aus Verzweiflung über ihn hereinbrach und versuchte seine Seele mit Trostlosigkeit zu infizieren. Er tat einen tiefen Atemzug und im nächsten Moment fielen sämtliche Gefühle, die nicht seine eigenen waren, von ihm ab als prallten diese gegen eine unsichtbare Barriere. Es fiel ihm überaus schwer seinen reglosen Halbblutschützling zu betrachten, ohne selbst in Kummer zu zergehen wie es bei seiner menschlichen Gefährtin zu sehen war.
„Ihr Zustand hat sich leider noch nicht gebessert.
Ab und zu ruft sie im Fieberwahn nach ihren Eltern oder redet wirr. Ansonsten ist alles unverändert", informierte Daphne Jo mit heißerer Stimme.
„Können wir den wirklich gar nichts unternehmen?
Sollten wir sie vielleicht nicht besser doch in eines eurer Krankenhäuser bringen?", fragte er besorgt. Er ertrug den Gedanken nicht, selbst ein mächtiger Fay zu sein, jedoch in diesem Fall, trotz all seiner Macht, nicht helfen zu können. Daphne warf Jo einen harten Blick zu.
„Du weißt besser als jeder andere, dass die menschliche Medizin bei den speziellen Bedürfnissen von Halbbluten versagt, es sogar noch verschlimmern könnte.
Die Menschen wissen doch gar nicht, dass wir existieren. Woher sollten sie also die Erfahrung haben, ein komatöses Halbblutmädchen wieder zurück zu den Lebenden zu bringen? Vielmehr würden sie sie endgültig ins Jenseits befördern!", zischte sie den Fay aufgebracht an.
„Ich weiß, Daphne. Verzeih mir bitte. Es ist nur… Ich kann mich nur so schwer damit abfinden, tatenlos herumzustehen und darauf zu warten ob sie leben oder sterben wird." In diesem Moment hatte Jo einen Geistesblitz. Er eilte zu seiner Patin und ergriff ihre Hand. Diese lag schlaff und kalt in der seinen, wie ein toter Fisch dem man zum Sterben auf dem trockenen Land hat liegen lassen.
„Was hältst du davon, wenn ich durch Dalilas Körper eine geballte Ladung Green-Ignis jage, ähnlich wie bei einer Schocktherapie?", wollte er wissen. Seine Augen funkelten voller Zuversicht, es zumindest auf einen Versuch ankommen zu lassen. Daphne ballte ihre Hände, die in ihrem Schoß ruhten, zu Fäusten und sah Jo verständnislos an.
„Sag mal, bist du denn von allen guten Geistern verlassen?", blaffte sie ihn erzürnt an.
„Mir ist zwar nicht entgangen, dass du dich in den vergangenen Tagen stark verändert hast. Doch ich dachte, dass du das wieder in den Griff bekommen würdest.
Wann hast du zuletzt dein Spiegelbild betrachtet?
Ist dir nicht aufgefallen wie dunkel die Schatten unter deinen Augen, und wie verhärtet deine sonst so sanften Gesichtszüge sind?
Und die dunkle Strähne, die du unter deinen Haaren zu verbergen versuchst….!" Daphne schüttelte langsam den Kopf und sah ihren langjährigen Freund eindringlich an.
„Du magst vielleicht die Anderen täuschen können. Doch nicht mich, Jo. Dafür sind wir viel zu gute Freunde, als dass du mich hinters Licht führen könntest.
Merkst du denn nicht selbst was los ist?
Das Böse hat dich infiziert! Und wenn du nicht schleunigst etwas dagegen tust, wirst auch du zu einem Schwarzblüter werden!" Ihr versagte die Stimme. Daphne sammelte sich für einen Augenblick. Anschließend richtete sie voller Schwermut einen Appell an den Fay, in der Hoffnung ihn wieder zur Vernunft bringen zu können. Sein Verstand mag zwar schon von der Dunkelheit getrübt worden sein, doch seine reine Seele war noch unbefleckt.
„Jo, wach endlich auf bevor es zu spät ist und es kein Zurück mehr für dich geben wird!
Mag sein, dass deine Absichten gut sind doch der Weg den du einschlägst ist der Falsche. Man kann eine Seele nicht zwingen etwas zu tun, was sie selbst nicht möchte. Sollte sich also Dalila für den Tod entscheiden, werden wir ihren Entschluss so hinnehmen müssen. Das sind wir ihr schuldig.
Sie aber gegen ihren Willen zu einem Versuchskaninchen zu degradieren, damit du ihr den deinigen aufzwingen kannst, ist schlichtweg nicht richtig. Was ihr widerfahren ist, ist nicht deine Schuld. Wenn du diese Bürde dennoch grundlos auf dich nehmen möchtest, ist das deine Wahl mit der du selbst leben musst. Aber solltest du dennoch so weiter machen wie zuvor, wirst du in absehbarer Zeit wie dein Bruder Edrell enden. Verbittert, zerfressen vom Hass und ohne Hoffnung!" Daphnes Standpauke schien Wirkung bei dem fehlgeleiteten Reinblüter gezeigt zu haben. Sachte legte er Dalilas Hand wieder ab und schluckte schwer. Erst durch ihren Weckruf wurde ihm bewusst wie gefährlich nahe er dem Abgrund bereits gekommen war. Einem bodenlosen Loch in dessen finsterer Unendlichkeit all das lauerte, dass er eigentlich so sehr verabscheute.
„Du hast recht, Daphne. Es tut mir leid. Ich habe mich von der Macht des Dunklen verleiten lassen. Von nun ab reiße ich mich wieder zusammen, um für Dalila der Pate zu sein, den ihre schöne Seele verdient hat", meinte er geläutert.
„Es ist nur…
Wenn ich… Mit ihr tauschen könnte… Ich würde es sofort tun!" Voller Trübsal ließ er Kopf und Schultern hängen. Seine Verzweiflung versteckte er hinter einer starren Maske aus ausdrucksloser Mimik, doch seiner Körpersprache war anzusehen wie schwer es ihm fiel, sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen.
„Ich kann verstehen welche Last es für dich sein muss, deinem Halbblut nicht beistehen zu können. Wenn ich könnte, würde ich es ebenso tun. Jedoch sind mir die Hände gebunden. Weder du noch ich haben das Recht in die Geschehnisse einzugreifen. Sich als Gott aufzuspielen wäre mehr als vermessen. Unsere Leben sind zwar miteinander verwoben, doch leben muss jeder sein eigenes. Denn jeder hat seine eigene Geschichte, seinen eigenen Lebensweg den er beschreiten muss. Sollte also Dalilas Weg hier schon zu Ende sein, müssen wir das akzeptieren.
Alles hat einen Grund. Selbst wenn wir diesen nicht sofort erkennen, müssen wir dennoch darauf vertrauen, dass alles gut wird." Daphne schenkte ihm ein müdes, kraftloses Lächeln. Ihre Worte gaben ihm zu denken.
Hatte seine alte Freundin, die er über all die Jahre so sehr liebgewonnen hatte, recht mit dem was sie sagte? Sollte wirklich niemand in die Geschehnisse eingreifen, selbst wenn er die Macht dazu hatte. Wäre es wirklich so falsch einen geliebten Menschen nicht sterben zu lassen? Vielleicht war es egoistisch von ihm Dalila nicht gehen lassen zu wollen. Doch er konnte sich auch nicht vorstellen, dass ein so blutjunges Mädchen nicht mehr leben wollte. Gab es doch noch so vieles in dieser Welt, was sie noch nicht entdeckt, gesehen und erlebt hatte.
Ihren ersten Kuss, der auf solch aufregenden und zwischenmenschlichen Weise zum Ausdruck bringt, wie sehr sich zwei Seelen begehren. Oder das unermessliche Glück einer werdenden Mutter, die ihr Neugeborenes zum ersten Mal in die Arme schließen darf. Und das Wissen darüber, dass man von Anderen geliebt und gebraucht wird.
Der Fay konnte und wollte nicht glauben, dass seine Patin auf all diese kostbaren Glücksmomente verzichten wollte. Daher verzog er seinen Mund zu einer schiefen Schnute, um Daphne zu signalisieren, dass er ihre Worte vernommen hatte. An seinem kritischen Blick war jedoch zu erkennen, dass er nicht gänzlich ihrer Meinung war. Doch die skeptisch zusammengezogenen Augenbrauen des Rebellen, waren der sonst so bedachtsamen Dame entgangen.
„Unsere Kleine hat die Lage unterschätzt.
Keiner von uns kann nachvollziehen, was sie sich dabei wohl gedacht haben muss, als sie in den Wald gegangen war. Wahrscheinlich war ihr die Gefahr, die da draußen auf sie lauerte und noch allgegenwärtig ist, nicht bewusst, denn schließlich ist das alles noch Neuland für sie. Vielleicht wollte Dalila einfach selbst ausloten wie weit sie gehen kann", sinnierte Daphne und versuchte eine Erklärung für den Leichtsinn ihrer Enkelin zu finden. Gleichzeitig bemühte sie sich dem Fay die Schuldgefühle auszureden.
„Wenn sie genug davon haben wird, sich in ihrem Inneren zu verkriechen, dann wird sie hoffentlich wieder zu uns zurückkehren. Doch solange müssen wir uns eben gedulden." Wie zur Bekräftigung tätschelte Daphne vorsichtig Dalilas kalte Hand. Ihr Handrücken wirkte erschreckend bleich und wächsern, wie die eines sterbenden Menschen. Diese Veränderung beunruhigte die äußerlich junggebliebene Großmutter ungemein. Deuteten doch die untrüglichen Vorzeichen jenes Zustandes nur auf eines hin – nämlich, dass der Tod bald bevor stand.
„Aber wie lange sollen wir denn noch darauf warten, dass sie wieder erwacht? Dalila befindet sich schon viel zu lange in diesem Zustand. Das kann doch nicht ewig so weiter gehen!", wandte Jo voller Wehmut ein, denn auch ihm war nicht entgangen, dass es eher schlecht um das Halbblut Mädchen stand. Daphne beugte sich ein wenig nach vorn, um ihrer Enkelin zärtlich eine Strähne hinters Ohr streichen zu können. Wie sie so reglos da lag, wirkte der Teenager wie eine übergroße Porzellanpuppe.
„Die Menschen verarbeiten schlimme Erfahrungen anders als ihr Lichtwesen. Manche kommen mit beklagenswerten Geschehnissen leichter klar und wiederum andere kapseln sich ein, wie eine Raupe in ihren Kokon.
Irgendwann lässt dann urplötzlich ein kleiner Impuls, innerlich oder auch äußerlich, den Dauerschläfer wieder erwachen, als sei nie etwas gewesen oder es geht endgültig zu Ende", erklärte sie ihm. Dabei schweifte ihr verklärter Blick in weite Ferne. So langsam verstand Jo wie es seinem Schützling wohl ergehen musste. Dalila hatte großes Leid durchzustehen. Erst der Schicksalsschlag, bei dem sie den Tod beider Elternteile zu beklagen hatte, und dann musste sie selbst ein Martyrium über sich ergehen lassen, dessen unermessliche Pein man sich gar nicht erst vorzustellen wagte.
In Daphnes Stimme lag eine fein-herbe Nuance von Melancholie, die dem Reinblüter bitter aufstieß. Mithilfe seiner angeborenen Feinfühligkeit kam er nicht umhin ihre Niedergeschlagenheit zu bemerken. Doch nicht nur das veranlasste ihn dazu, die derzeitige Hüterin des Portals genauer zu betrachten. Dank seiner ausgeprägten Faysensoren konnte er zusätzlich spüren, dass ihr gesundheitliches Wohlergehen massive Einbußen erlitten hatte. Ihr stand die Erschöpfung wie ein schattenhafter Schleier ins Gesicht geschrieben, als habe jemand mit einem Klecks grauer Farbe jegliches Leuchten überpinselt. Denn seit jener Nacht war sie nicht mehr von Dalilas Seite gewichen. Sie wollte um jeden Preis bei ihrer Enkeltochter sein. Falls diese aufwachen sollte, so sollte sie einen vertrauten Menschen erblicken. Und falls das Mädchen entgegen allen Erwartungen doch noch sterben würde, so sollte sie zumindest nicht alleine Väterchen Tod gegenübertreten müssen. Daphnes Gesichtsfarbe