Hariol und Hildegard
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Buchvorschau
Hariol und Hildegard - Wilhelm Wiesebach
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Die beiden Seelchen.
Die Sternenäuglein blinzelten gar traulich und lieb auf die Erde hinunter. Da unten war Frühling, und sein Duft und seine Lieder stiegen schier bis zum Himmel hinauf. Die Blümlein auf den Wiesen und in den Gärten flüsterten und lispelten sich leise liebe Worte zu. Die Grillen zirpten im nachtfeuchten Grase, und den Fluss entlang tanzten lichte, weisse Nebelfrauen ihren Reigen dazu.
Am Waldesrand, weit draussen vor der Stadt, leuchteten zwei weisse Häuser aus blühendem Flieder heraus. Das eine, mit herrlichen, breiten Balkonen und Marmortreppen, war das Schloss des reichen Grafen; das andere, kleine, bewohnte ein armes Taglöhnerpaar. Aber die beiden Häuser schienen sich lieb zu haben und in der stillen, lichten Nacht ihren Standesunterschied zu vergessen. Denn das kleine winkte mit seinem winkeligen Giebel unter der buschigen Strohdachhaube gar zutraulich zu dem grossen hinüber, und das Grafenhaus neigte sich wie eine grosse Schwester zur kleinen zu ihm hinunter. Der Flieder, der über dem vergoldeten Zaun des Schlosses blühte, reichte sogar den Büschen am wackeligen Nachbarzaun die Hand und stand mit ihnen so die ganze Nacht. Und sie flüsterten und neigten sich zueinander, bis der Morgenstern über den Tannenwipfeln des Waldes aufging.
In den beiden Häusern und in den Gärten war tiefe, heilige Stille.
Im Himmel droben sass der liebe Gott an seinem Erkerfenster und arbeitete, wie er es immer tut. Der Frühlingswind spielte mit seinem langen Silberbart. Seine grossen lieben Augen schauten immer auf die Erde nieder und ruhten doch zu gleicher Zeit auf seinen Händen.
Die hielten etwas Wunderfeines. Was es war, Konnte ein Menschenauge nicht sehen, weil es für die himmlischen Dinge nicht klar und rein genug ist. Es war ein Gewebe aus den goldigsten Sonnenstrahlen. Diamanten blitzten wie Sterne darin, und ein Duft ging davon aus wie von Lilien und Rosen. Und wie der liebe Gott es bei der Arbeit berührte, klang und sang es mit Stimmen so fein, dass man meinen sollte, die Engel mit den schönsten und hellsten Stimmen sängen ihr allerschönstes Lied.
Jetzt ging ein Lächeln über das Antlitz des lieben Gottes, viel sonniger als das Lächeln eines Vaters über der Wiege seines Kindchens. Und wie er lächelte, schienen die Sterne am ganzen Himmel mit einem Male tausendfach heller als sie bisher geleuchtet hatten.
Der liebe Gott war mit seiner Arbeit fertig. Er stand von seinem goldenen Tisch auf und lehnte sich zum Fenster hinaus. In dem Augenblick war es den Menschen drunten auf der Erde, die noch wach waren, als wehe ein warmer, weicher Blumenduft um ihre Stirnen und als sängen alle Glocken von den Türmen mit wundersamem, leisem klang wie in der heiligen Weihnacht.
Nun hielt der liebe Gott seine lichtweissen Hände zum diamantenen Fenster hinaus. Er hauchte hinein und öffnete sie.
Da schwebten, so schnell wie nur der schnellste Engel fliegen kann, zwei kleine Geisterchen wie Lichtlein, viel heller als die Sonne und blitzender als die herrlichsten Diamanten zur Erde nieder.
Wie sie den blauen Himmelsraum durchflogen, verblassten die Sterne.
Der liebe Gott schaute ihnen nach und lenkte ihren Flug mit seinen Augen.
Sie schwebten gerade auf die beiden Häuser am Waldesrande zu und auf einmal waren sie darin verschwunden.
Aber der liebe Gott schaute ihnen noch immer lächelnd nach.
Die Menschen in den Häusern, in denen sie eingekehrt waren, sahen sie nicht. Und doch lebten sie.
Es waren zwei kleine, kleine lichte Menschenseelchen.
Obschon sie zusammen in den Händen des lieben Gottes entstanden waren und zusammen die weite Reise vom Himmel zur Erde gemacht hatten, wussten sie jetzt auf einmal nichts mehr voneinander. Auch des lieben Gottes und des Himmels erinnerten sie sich nicht mehr. Sie wollten weinen vor Weh, aber konnten es nicht, da sie keine Äuglein hatten. Ach, sie fühlten sich so einsam! Und doch war es so wohlig warm um sie her. Ihre Bettchen und Kleidchen, in die sie der liebe Gott gelegt hatte, waren soviel weicher als das zarteste Engelfederkissen. Und sie fühlten, dass das Bettchen und ihr Kämmerlein immer grösser um sie her wuchs. Aber es war immer dunkel ringsum; das Himmelslicht war erloschen.
Wie lange sie so in dem warmen Bettchen und doch mit dem grossen Heimweh nach dem Licht gelegen hatten, wussten sie nicht.
Da eines Tages – es war für beide wieder dieselbe Stunde, aber sie wussten es nicht – verwandelte sich die finstere Nacht mit einem Schlage in strahlendes goldenes Licht. Vor freudigem Schrecken schrien sie laut auf wie Kinder, die aus dem dunklen Wartezimmer zum lichterstrahlenden Christbaum geführt werden.
Und nun sahen sie auch – und konnten nicht genug staunen darüber – ihr Kämmerlein, in das sie der liebe Gott geschickt hatte, oder vielmehr ihr Häuschen, das sie bewohnten.
Schnell huschten sie, so schnell wie der Blitz, dem Licht entgegen, das sie beschien. Sie wollten wissen, woher das käme. Da fanden sie oben im obersten Stockwerk ihres Häuschens zwei kleine allerliebste Fensterchen. Durch die schien die goldene Sonne in breiten warmen Strahlen. Und sie lehnten sich weit zu den kleinen Guckfensterchen hinaus, so weit als sie eben konnten, ohne hinauszufallen. Da sahen sie ihr Häuschen von aussen. Das war ganz wunderschön, so weiss und rosig. Und wenn sie schauen wollten, wie es unten oder an der Seite aussah, dann kam ihnen das Stück, das