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Der Traktormann
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eBook444 Seiten5 Stunden

Der Traktormann

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Über dieses E-Book

Ein brutales Attentat. Ein entschlossener Ex-Polizist. Ein unberechenbarer Psychopath. Ein grausames Ereignis erschüttert die beschauliche Kleinstadt Königsdorf. Will Gaudoff schwört sich, den Täter zur Strecke zu bringen. Dabei ahnt er noch nicht, wie schmerzhaft die Wahrheit hinter dem Verbrechen ist. Oder wie der Traktormann sagen würde: "Die Hölle wartet."

SpracheDeutsch
HerausgeberMalte Hartwieg
Erscheinungsdatum4. Dez. 2020
ISBN9781393842576
Der Traktormann

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    Buchvorschau

    Der Traktormann - Malte Hartwieg

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    DER TRAKTORMANN

    Malte Hartwieg

    Table of Contents

    TEIL I

    Kapitel 1 – Donnerstag 17:30 – Altes Theater, Königsbach

    Kapitel 2 – Donnerstag 20:01 – Alexander-Flemming-Straße 17, Königsbach

    Kapitel 3 – Freitag 8:03 – Marktplatz Königsbach

    Kapitel 4 – Freitag 10:45 – Baronsdorf

    Kapitel 5 – Freitag 11:50 – Polizeiwache Königsbach

    Kapitel 6 – Freitag 15:20 – Baronsdorf

    Kapitel 7 – Freitag 16:15 – Polizeiwache Königsbach, Verhörraum 1

    Kapitel 8 – Freitag 19:05 – Baronsdorf

    Kapitel 9 - Samstag 9:35 – Baronsdorf

    Kapitel 10 – Samstag 10:15 – Marcy’s Bistro, Königsbach

    Kapitel 11 – Samstag 10:45 – Rothensteiner Holz

    Kapitel 12 – Samstag 12:17 – Baronsdorf

    Kapitel 13 – Samstag 15:45 – Hurtererhof, Rothenstein

    Kapitel 14 – Samstag 18:15 – Fahrt nach Baronsdorf

    Kapitel 15 – Sonntag 09:00 – Neubaugebiet Am Wiesengrund, am Ortsrand von Königsdorf

    Kapitel 16 – Sonntag, 11:25 – Polizeiwache, Königsbach

    Kapitel 17 – Sonntag 16:30 – Hurtererhof

    Kapitel 18 – Sonntag 19:45 – Polizeiwache Königsbach

    Kapitel 19 – Sonntag 20:45 – Polizeiwache Königsbach

    Kapitel 20 – Sonntag 20:55 – Hurtererhof, Rothenstein

    Kapitel 21 – Sonntag 20:55 – Polizeiwache Königsbach

    Kapitel 22 – Mittwoch 9:30 – Friedhof Königsbach

    Kapitel 23 – Mittwoch 10:00 – Friedhof Königsbach

    TEIL II

    Kapitel 1 – Vier Monate und zwei Tage vor dem Attentat

    Kapitel 2 – Vier Monate und ein Tag vor dem Attentat

    Kapitel 3 – Vier Monate vor dem Attentat

    Kapitel 4 – Drei Monate und zwei Wochen vor dem Attentat

    Kapitel 5 – Drei Monate vor dem Attentat

    Kapitel 6 – Zwei Monate vor dem Attentat

    Kapitel 7 – Ein Monat und ein Tag vor dem Attentat

    Kapitel 8 – Ein Monat vor dem Attentat

    Kapitel 9 – Etwa zur gleichen Zeit

    Kapitel 10 – Zwei Wochen vor dem Attentat

    Kapitel 11 – Eine Woche und sechs Tage vor dem Attentat

    Kapitel 12 – Eine Woche und zwei Tage vor dem Attentat

    Kapitel 13 – Eine Woche und ein Tag vor dem Attentat

    Kapitel 14 – Eine Woche vor dem Attentat

    Kapitel 15 – Zwei Tage vor dem Attentat

    Kapitel 15 – Ein Tag vor dem Attentat

    Kapitel 16 – Eine Stunde vor dem Attentat

    Kapitel 17 – Wenige Minuten vor dem Attentat

    Kapitel 18 – Wenige Sekunden nach dem Attentat

    Kapitel 19 – Vier Tage nach dem Attentat – Vormittag

    Kapitel 20 – Vier Tage nach dem Attentat – Nachmittag

    Kapitel 21 – Vier Tage nach dem Attentat – Abend

    Kapitel 22 – Fünf Tage nach dem Attentat

    TEIL III

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45 – Zwei Jahre später

    Kapitel 46

    Nachwort des Autors

    Copyright © Jeder Tag zählt e.V.

    Covergestaltung: VercoDesign, Unna

    Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages und des Autors untersagt. Alle Übersetzungsrechte vorbehalten.

    TEIL I

    Kapitel 1 – Donnerstag 17:30 – Altes Theater, Königsbach

    Untitled 3

    Trotz seines Selbstbewusstseins machte er den Anschein, als ob er sich in dieser Welt allein nicht zurechtfinden würde. Ein Psychologe würde vielleicht diagnostizieren, dass seine Unsicherheit nur Schauspielerei war, die dem Wunsch entsprang, sein auffälliges Auftreten noch zu unterstreichen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, obwohl bei seinem heutigen Vorhaben genau das Gegenteil ratsam gewesen wäre.

    Nur drei Zuschauer saßen weiter vorne in der Nähe der Bühne und drehten sich zu ihm um, als Will, wie ihn seine Freunde nannten, das Auditorium betrat.

    Die goldverzierten Logenbalkone lagen im Dunkeln, genauso wie die Zuschauerreihen, und schienen auch leer zu sein, zumindest soweit er das vom Eingang aus sehen konnte. Hell erleuchtet war nur die Bühne, auf der ein Musiker gerade seinen Kontrabass stimmte, während die anderen in ihren Noten blätterten oder sich am Kopf kratzten.

    Die Feuerschutztür war peinlich laut hinter Will zugeschnappt und das Klacken der Absätze seiner Slipper auf dem Vollholzparkett schallte lauter als das Gemurmel der drei Zuschauer und das Rascheln der Notenblätter. Es roch nach Bohnerwachs und vielleicht war es der purpurrote Vorhang links und rechts der Bühne, der einen Modergeruch absonderte, obwohl die Klimaanlage die Luft gefriergetrocknet zu haben schien. Hin und wieder zitterte ein Violinenstrich durch den Saal.

    »Kann ich mich da hinsetzen?«, raunte Will dem dicken, livrierten Mann zu, der im hinteren, dunklen Teil des Saales stand, der vielleicht ein Platzanweiser war oder ein schaulustiger Künstler, und deutete auf die hinterste der vielleicht dreißig Zuschauerreihen. Bei etwa tausend Plätzen, von denen nur drei besetzt waren, eine ziemlich überflüssige Frage, die der Mann mit einem gelangweilten Schulterzucken quittierte.

    Will versprühte die Aura eines erfolgreichen Schauspielers. Oder vielleicht die eines gepflegten Zuhälters. Auf jeden Fall war er eine imposante Erscheinung und zog stets die Blicke auf sich, obwohl er nicht groß war.

    Sein pechschwarzer Pferdeschwanz schwang mit jedem seiner wippenden Schritte wie ein Pendel hin und her, als er auf einen Platz in der Mitte der Reihe zusteuerte. Er federte dabei wie ein Gymnastikschüler, der seine Waden trainierte. Mit manikürten Händen trug er die leere Louis-Vuitton-Tasche. Die dunkelblau gefärbte Cazal-Brille auf seiner Nase diente keinem Zweck. In dem alten Theater schien weder die Sonne noch hatte er einen Sehfehler.

    Er schwang die Tasche auf einen der Zuschauersitze, drehte sich zur Bühne, hob die goldberingte Hand zum Mund und warf Isabell einen Luftkuss zu. Doch die schien seine Anwesenheit gar nicht bemerkt zu haben. Er strich über den Dreitagebart seines gelifteten Gesichts, das sich anfühlte wie die Zunge einer Katze, und überlegte, ob er die ganze Sache abblasen sollte.

    »Nein«, sagte er zu sich selbst und nahm so behutsam Platz, als würde er sich auf eine Palette Eier setzen. Dann legte er das iPhone auf den Sitz neben sich, drückte die Kopfhörer ins Ohr und wippte zum Rhythmus der Platters, die sich gerade durch The Great Pretender quälten.

    Will schlug die Beine übereinander und lehnte sich weit zurück. Immer wieder griff er zu den Ohrstöpseln. Wer ihn beobachtete, wäre zu dem Schluss gekommen, dass er nervös war, vielleicht wegen eines geplatzten Geschäftstermines oder eines erfolglosen Dates. Tatsächlich drehten sich die drei anderen Zuschauer immer wieder zu ihm um, obwohl er im dunkelsten Bereich des Saales saß. Dort hätte man ihn in seiner schwarzen Kleidung nicht gesehen, wenn nicht seine Goldkette oder die Ringe an seiner Hand aufgeblitzt wären, als er sich immer wieder an die Nase fasste.

    Wenige Minuten später öffnete sich erneut ein Flügel der Doppeltür zum Auditorium und ein stiernackiger Mann mit tätowierten Armen wie Totempfähle trat in den Raum. Er trug ein weißes T-Shirt und Jeans, die sich eng um die muskulösen Beine spannten. Über die rechte Schulter geworfen schleppte er eine pralle, abgenutzte Sporttasche aus Leinen, die früher wohl einmal weiß gewesen sein musste. Jetzt jedenfalls war sie schmierig grau. Während die Tasche immer wieder an den Sitzlehnen anstieß, steuerte er direkt auf Will zu.

    »Ist hier noch frei?«, bellte er mit rauer Stimme, was die Zuschauer wieder dazu brachte, sich umzudrehen.

    Will zog die Ohrstöpsel heraus und griff nach seinem iPhone, um den Platz freizumachen. Doch ehe er es wegziehen konnte, hatte sich der Mann schon fallen gelassen und die Tasche vor sich auf den Boden gestellt. Will zerrte an dem Kopfhörer, bekam das Telefon frei und steckte es ein.

    »Hast du das Geld?«, flüsterte der Tätowierte.

    »Erst die Ware.«

    Der Tätowierte öffnete die Sporttasche eine Handbreit. Dabei machte der widerspenstige Reißverschluss ein Geräusch wie eine Schallplatte, die plötzlich angehalten wird.

    »Psst!«, machte Will.

    »Schon gut«, sagte der Tätowierte, nahm einen kleinen weißen Karton mit blauer Aufschrift heraus und reichte ihn Will. Der warf einen verstohlenen Blick in den Saal wie ein Junge, der verbotenerweise einen Lolli eingesteckt hatte. Der dicke Platzanweiser, oder was er auch immer war, starrte unbeirrt zur hell erleuchteten Bühne. Die anderen Anwesenden taten es ihm gleich.

    Will nahm den Karton und betrachtete ihn von allen Seiten, als wäre er ein Archäologe, der gerade einen lang ersehnten Fund gemacht hatte. Dabei spreizte er den kleinen Finger mit dem Goldring ab, wie eine Adlige beim Teetrinken. Dann öffnete er den Karton und warf einen Blick hinein. Er blies die Backen auf und atmete laut aus. Gleichzeitig verstummten für einen Moment alle Geräusche von der Bühne, dann setzte die Musik ein.

    »Sehen echt aus. Wie viele davon hast du dabei?«, sagte Will jetzt nicht mehr flüsternd.

    »Tausend. Das Stück für drei Euro, wie besprochen. Einige in Kartons, die anderen liegen lose in der Tasche, sonst hätten sie nicht reingepasst«, antwortete der Tätowierte und begann, den klemmenden Reißverschluss weiter zu öffnen.

    »Hör auf!«, zischte Will. »Oder willst du, dass man uns hier erwischt?« Will fasste ihn am Handgelenk und blickte sich wieder um. Der Dicke an der Tür starrte weiter wie versteinert auf die Bühne.

    Will griff in seine Hosentasche und holte einen Packen Fünfhunderter hervor. Dann zählte er sechs ab, faltete sie zweimal und reichte sie dem Tätowierten unter der Handfläche. Der grinste, steckte das Geld schneller als ein Close-up-Magier ein, zwinkerte Will zu, stand auf und verschwand.

    Wie aus weiter Ferne hörte Will die Violinenklänge.

    Ist das Beethoven? Oder Mozart? Keine Ahnung.

    Er hatte Isabell gesagt, dass er nicht kommen wolle, doch sie hatte darauf bestanden. Dass er zwar ihren Körper und ihr hübsches Gesicht, nicht aber ihr Gefiedel mit der Violine liebte, hatte er ihr nicht gesagt. Nun saß er in der hintersten Reihe des Fidelios, wie das alte Theater am Marktplatz in Königsbach genannt wurde, und zog sich eine weitere Line Kokain in die Nase, die dritte an diesem Abend. Und während Isabell auf der Bühne für das große Konzert am Samstag der kommenden Woche probte, hatte er einen lukrativen Deal abgewickelt.

    Ich lass’ mich doch durch die Konzertprobe der Ehefrau nicht vom Geschäft abhalten.

    Während Isabell engagiert die Klänge aus der Violine zauberte, stopfte Will die Trainingstasche des Stiernackens mit den Ampullen in seine Louis Vuitton, verließ das Auditorium und machte sich auf den Weg.

    Kapitel 2 – Donnerstag 20:01 – Alexander-Flemming-Straße 17, Königsbach

    Untitled 3

    Will hatte kalt geduscht, frische Sachen angelegt, die Sporttasche in einem der unteren Küchenschränke verstaut und war dann wieder nach Königsbach zurückgekehrt. Jetzt trat er an das schlichte Eingangsportal des Siebzigerjahrebaus in der Alexander-Flemming-Straße 17 und drückte auf den schwarzen Klingelknopf, der die Form eines eckigen Vivil Pfefferminzbonbons hatte. Er war eine Minute zu spät und wartete.

    Wie würde es sein, den eigenen Vater nach so vielen Jahren wiederzusehen? Was würden sie sich zu erzählen haben? Ein Gefühl von freudiger Erwartung und namenlosem Unwohlsein stieg in ihm auf. Hatte Vater die Verabredung vergessen und war am Ende gar nicht zu Hause? Das wäre vielleicht sogar besser so. Will drehte sich um und stieg vom Eingangssockel auf den Gehsteig herab.

    »Ja, bitte?«, krächzte es aus der Gegensprechanlage, wie der Funkruf eines Militärflugzeuges.

    Will hätte am liebsten geschwiegen und wäre gegangen. Doch dann beugte er sich zum Mikrofon der Sprechanlage.

    »Ich bin’s, Will.«

    »Ja. Ich mache auf. Es ist der dritte Stock.«

    Der Öffner summte, Will drückte die Tür auf und betrat das Behördenflair verströmende Treppenhaus. Drei DIN-A4-Blätter waren mit Reißzwecken an der Korktafel neben den Briefkästen angebracht: Die Hausordnung mit dem Briefkopf der Hausverwaltung Hurterer. Ein Kalender mit den Markttagen der Gemeinden des Landkreises. Angestrichen war hier mit neongrünem Filzmarker: freitags, Joseph, Marktplatz Königsbach. Und ein Flyer mit dem Hinweis auf ein Violinkonzert mit Isabell Palietti im Fidelio am Samstag der kommenden Woche. Den Konzertflyer betrachtete Will mit einem Anflug von Stolz. Die schöne Violinistin hatte bei ihrer Hochzeit vor sechs Monaten Wert darauf gelegt, ihren Namen zu behalten, weil er in der Künstlerszene schon bekannt war. Für Will war das kein Problem.

    Er hangelte sich am schwarzen Gummiüberzug des Treppenlaufes nach oben. Als Will an einer Wohnungstür im ersten Stock vorbeikam, vermischte sich der Essig-Chlorgeruch des Treppenhauses mit dem Dampf gekochter Pilze oder ausgenommener Hühner. Im zweiten Stock kam ein Gemisch aus verschüttetem Alkohol und kaltem Zigarettendunst dazu und als er den dritten Stock erreichte und Ernesto Gaudoff die Wohnungstür öffnete, übertrumpfte das Aroma von gebratenen Zwiebeln und Braten alle anderen Gerüche. Will sah den Duft geradezu hinter seinem Vater im Türrahmen in den Flur strömen. Ein Langhaardackel hopste in den Flur und bellte Will an. »Herkules!«, rief Wills Vater scharf.

    Augenblicklich kehrte der Dackel in die Wohnung zurück, rollte die Augen nach oben und setzte sich neben die Füße seines Herrchens, die in abgenutzten dunkelroten Lederpantoffeln steckten.

    Wills Vater war groß, vielleicht eins fünfundachtzig, dunkler Teint, wallende weiße Haare. Er musste um die siebzig sein und sah für sein Alter erstaunlich fit aus. Seine beige Stoffhose und das weiße Leinenhemd wurden zur Hälfte von einer schwarzen Küchenschürze verdeckt, auf der ein weißes Fadenkreuz abgebildet war, in dessen Mitte das Wort BRATORT.

    Da stand Will nun und wusste nicht, ob er ihm die Hand schütteln oder ihm um den Hals fallen sollte. Doch die Entscheidung nahm ihm sein Vater ab, der Will die rechte Hand auf die linke Schulter legte und sagte:

    »Komm’ rein, Junge.«

    »Junge ist gut«, lachte Will und ging an seinem Vater vorbei in die Wohnung. »Ich habe gerade meinen Fünfzigsten gefeiert.«

    Vater nickte nur, während seine Mundwinkel ein kaum merkliches Lächeln umspielte, schloss die Tür und wies Will mit einer Handbewegung den Weg ins Wohnzimmer.

    »Setz dich doch schon mal.« Ernesto Gaudoff verschwand in der Küche.

    Will zog einen Stuhl zu sich heran und sah sich um. Eine typische Rentnerwohnung. Dunkle, schwere Schränke, dicke Perserteppiche, unter dem Porzellan und dem Silberbesteck auf dem Esstisch war eine weiße, bestickte Decke ausgebreitet. Vor dem Fernseher stand ein vielbenutzter Relaxsessel mit elektronischer Aufstehhilfe. Daneben ein Korb, der mit einer karierten Wolldecke ausgelegt war. Vermutlich für den Dackel. Auf dem Deckchen der Anrichte neben dem Esstisch stand ein einziger Bilderrahmen. Will erkannte seine Mutter, Vater, seine italienischen Großeltern väterlicherseits und sich selbst als Teenager. Das Foto musste älter als 37 Jahre sein, denn solange war es her, dass die Familie das letzte Mal zusammen war.

    »So, da wären wir schon«, Wills Vater schreckte ihn aus seinen Gedanken hoch, als er die Wohnzimmertür mit dem Rücken aufdrückte und mit roten Ofenhandschuhen eine Auflaufform auf die Untersetzer auf dem Tisch stellte. Er streifte die Handschuhe ab, öffnete hinter seinem Rücken den Knoten der Schürze und legte sie ans andere Ende des Tisches. Es war bereits Rotwein in eine Karaffe gefüllt und er schenkte erst Will ein Glas ein, dann sich selbst. Sie prosteten sich zu. Der Wein hatte eine holzig blumige Note. Lecker, dachte Will, trank das Glas in einem Zug aus und bedeutete Vater, dass er gerne Nachschub hätte.

    Es tat gut, die Zunge zu lösen, denn Will kam die ganze Situation surreal vor. Und das nicht nur, weil er heute wieder einmal zu viel Kokain konsumiert hatte. Vater legte ihnen beiden von dem Auflauf auf die Teller, sie wünschten sich für Wills Begriffe etwas zu feierlich und förmlich guten Appetit und begannen zu essen.

    »Mmmh. Das ist lecker«, nuschelte Will mit vollem Mund. »Was ist das?«

    »Königsbacher Filettopf à la Ernesto.« Vater lachte. »Das Rezept habe ich vom dicken Jason, dem Koch und Hausschlächter vom Carnero, du weißt schon, dem Steakhaus in der Ludwigstraße.«

    Will nickte. Er kannte das Steakhaus zwar vom Namen her, war schon oft an dem Logo mit dem roten Bullenkopf vorbeigefahren, doch weder kannte er den Koch, noch hatte er dort je gegessen.

    »Die Spare Ribs dort sind ein Traum.« Ernesto Gaudoff prostete Will zu.

    An diesem Abend erzählte Vater nicht viel von sich. Doch Will erfuhr, dass er gerne zum Angeln und zum Jagen ging, schon eine ganze Zeit in Königsbach lebte und er sich wunderte, warum sie sich nicht früher schon einmal über den Weg gelaufen waren. Aber was hätte das geändert? Nach so vielen Jahren hätten sie sich auf der Straße bestimmt nicht erkannt.

    Will kämpfte damals mit Akne, einer krummen Nase, für die er von den Mitschülern gehänselt wurde, einem großen Muttermal auf der Backe und versuchte vergeblich, seinen puddingähnlichen Armen Konturen zu verpassen. Seine heutige Erscheinung war eine ganz andere, als wäre er gerade der Werbebroschüre eines extravaganten Herrendesigners entstiegen. Und auch Vater hatte sich verändert. Doch statt von sich zu erzählen, löcherte er Will mit Fragen.

    »Was machst du eigentlich beruflich?« Ernesto Gaudoff tupfte sich mit der Serviette die Lippen ab.

    Aber Will wollte heute Abend nicht über seine verzwickte Arbeitssituation sprechen.

    »Ach, der Job«, Will machte eine wegwerfende Handbewegung. »Lass uns lieber über andere Dinge sprechen.« Gleichzeitig zog er das iPhone heraus und scrollte durch die Fotos. »Schau, wir waren im Winter auf den Malediven, zum Tauchen. Das waren unsere Flitterwochen.«

    Er hielt Vater das Telefon vor die Nase. Der fingerte in seiner Hemdtasche, zog eine Lesebrille heraus und setzte sie auf. Dann ging er ganz nah an das Display heran, bis er es mit der Nase berührte und dort einen Fettfleck hinterließ.

    »Das ist Isabell, meine Frau.«

    Auf dem Bild war Will zu sehen in Vilebrequin Shorts mit bunten Schildkröten und weißem T-Shirt. Im Arm hielt er eine eisblonde Frau, die etwa zwanzig Jahre jünger war als er selbst und mindestens einen Kopf größer. Sie trug einen weißen Sonnenhut und ein schlichtes Strandkleid. Ihre porcellanweiße Haut war an den Oberseiten der Arme rotgepunktet. Auch die zarten Gesichtszüge hatten schon zu viel Sonne abbekommen. Auf diesen Bildern erinnerte sie Will ein bisschen an die unschuldig wirkende Schönheit einer Grace Kelly.

    »Du hast geheiratet?«

    »Ja, vor einem halben Jahr. Sie ist übrigens Violinistin.«

    Ohne darauf einzugehen, fragte Vater:

    »So ein Urlaub muss ja ein Vermögen kosten. Wie kannst du dir so etwas leisten?«

    »Sie unterrichtet auch. Manchmal geht mir ihr ständiges Fiedeln ganz schön auf die Nerven«, lachte Will, sich dessen bewusst, dass dies keine zufriedenstellende Antwort sein konnte. »Sie tritt übrigens nächste Woche Samstag im Fidelio auf. Ich habe hier unten im Treppenhaus sogar eine Werbung dazu gesehen. Violinkonzert mit Isabell Palietti.«

    »Jaja, die Frauen.« Vater machte eine Handbewegung, als ob er eine Fliege verscheuchen wollte. Ohne auf Wills Bemerkung einzugehen, fragte er: »Was hältst du davon, wenn wir nächstes Wochenende zum Jagen gehen? So wie in alten Zeiten. Nur du und ich. Keine Frauen. Dann können wir weiterreden. Mir fallen schon langsam die Augen zu. Ich bin nicht mehr der Jüngste. Du verstehst?«

    Will verstand nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er im Alter von einem Abendessen und einer angeregten Unterhaltung müde werden würde. Trotzdem nickte er. Tatsächlich hatte Vater ihn damals, als sie noch eine Familie waren, als kleinen Jungen zum Jagen mitgenommen und Will liebte das Abenteuer. In Tarnkleidung durch die Wälder streifen. Und Waffen. Waffen liebte Will auch.

    »Einverstanden. Ich schreibe dir noch meine Adresse und Telefonnummer auf.« Will kramte einen Zettel und einen Stift heraus und reichte Vater die Notiz, der sie faltete und in die Hemdtasche steckte.

    »Wann und wo treffen wir uns?«, fragte Will.

    »Sonntag, sechs Uhr morgens, an der Einfahrt zur Forststraße zum Rothensteiner Holz. Du weißt, wo das ist?«

    Will wusste es.

    Er bedankte sich für das Essen und den Wein und versprach, sich dafür zu revanchieren. Beim nächsten Mal sollte Vater zu ihm zum Essen kommen, dann könnte er auch Isabell kennenlernen. Zum Abschied ging Will auf seinen Vater zu und drückte ihn an sich. Trotz vieler vergangener Jahre war er ihm doch so vertraut, als hätten sie sich nie aus den Augen verloren. Ein Gefühl der Erleichterung und Geborgenheit durchfuhr ihn. Er war glücklich, seinen Vater wiedergefunden zu haben. Und an den wässrigen Augen Ernesto Gaudoffs sah Will, dass er es auch war.

    Kapitel 3 – Freitag 8:03 – Marktplatz Königsbach

    Untitled 3

    An diesem Morgen erhob sich Ernesto Gaudoff um halb sieben aus dem Bett, duschte abwechselnd heiß und kalt, aß ein Müsli mit einem geschnittenen Apfel und warmer Vollmilch aus dem Milchautomaten eines Bauernhofes und machte sich auf den Weg.

    Obwohl das Kopfsteinpflaster an einigen Stellen noch vom Morgentau glänzte, spürte er schon die warme Luft unter sein weißes Leinenhemd strömen. Die Melodie von Beethovens Fünfter Symphonie vor sich hin pfeifend, schlenderte er die abschüssige Ludwigstraße hinab. Von hier oben konnte er schon die bunten Stände des Josephs sehen. Joseph nannten sie den Wochenmarkt, wegen der Josephskirche am Marktplatz in Königsbach. Der Markt war Ernesto Gaudoffs Ziel an diesem schwülen Freitagmorgen. Neben ihm an der Leine lief Dackel Herkules, scheinbar auch zufrieden mit der Welt und sich, und hielt hier und da inne, um den hinterlassenen Duft seiner Artgenossen zu inhalieren. Um Zeitung zu lesen, wie Ernesto Gaudoff das Schnüffeln seines Hundes zu nennen pflegte.

    Er hörte schon von weitem das Stimmengewirr am Marktplatz. Dort angekommen, betrat er den Mittelgang zwischen den Ständen mit ihren rot-weiß gestreiften Schirmen, Wachstischdecken und Körben voller Obst und Gemüse.

    »Eier, frische Eier«, schrie die Marktfrau mit der blauen Blümchenschürze hinter der Theke des Verkaufshängers. GUNDULA VOGLERS HÜHNERHOF stand auf dem Schild über der aufgeklappten Seitenwand. Daneben ein bunter Comic-Hahn und ein braunes Huhn, stolz posierend vor einem Nest mit Eiern.

    »Hallo Gundi!«, Ernesto Gaudoff zwinkerte ihr zu.

    Dabei drängelte er sich an einer älteren Dame vorbei, deren geflochtener Einkaufskorb überquoll von Sellerie, dem Grünzeug der Möhren und einem Kopfsalat. Sie trug den Korb seitlich am Körper über dem Arm und rammte damit Ernesto Gaudoffs Hüfte. Für eine Entschuldigung war Fernanda Huber an diesem Morgen offensichtlich aber schon zu sehr in Gedanken bei ihrer nächsten Station, dem würzig riechenden Käsestand.

    Dackel Herkules schnüffelte mit seiner feuchten Nase an dem nackten haarigen Bein der alten Dame. Das Wasser in ihren Beinen schien die Nerven abgedrückt zu haben, denn sie reagierte nicht darauf. Gaudoff zerrte den Hund an der Leine hinter sich her.

    Vom Imbissstand wehte der Geruch frisch gegrillter Hähnchen herüber. Ein paar Meter weiter vermischte sich der Duft mit dem der frischen Schnittblumen von Georg Bachleitner, dessen bunter Stand seit Jahren zum Bild des Marktes gehörte.

    Zwar dauerte der Freitagsmarkt immer bis vierzehn Uhr, aber heute war die halbe Stadt schon früh auf den Beinen, um noch vor der unerträglichen Mittagshitze die Besorgungen zu erledigen.

    Gaudoff steuerte zielsicher auf einen großen Stand in der Mitte des Marktplatzes zu.

    Obwohl die Sonne noch tief stand, leuchteten selbst im Schatten des großen Kirchturms und der Fachwerkhäuser die Äpfel, Möhren, Erdbeeren, Gurken und all das andere Obst und Gemüse bunt wie die Garderobe der Malerin Frida Kahlo.

    Ernesto Gaudoff hörte das Geschrei der Marktfrauen, das Gemurmel der Kunden und das Gegacker der Lebendhühner in ihren Käfigen, die auf dem Markt feilgeboten wurden. Irgendwo blökte sogar ein Schaf. Den dumpfen Motor und die klebrigen Abrollgeräusche des Traktors, der langsam die Ludwigstraße hinab Richtung Joseph rollte, nahm er hingegen nicht wahr. Es war auch nichts Ungewöhnliches an diesem Morgen. Schließlich hatten viele Bauern einen Stand hier.

    »Sind die aus der Region?«, fragte eine junge Mutter mit schütterem Haar, dunklen Ringen unter den Augen und Kinderwagen und zeigte auf die große Kiste mit den Süßkartoffeln, die vor dem Markttisch am Boden stand. Die Bäuerin mit gegerbtem Gesicht und grünem Kopftuch nickte.

    »Alles eigener Anbau«, antwortete die Frau, die keinen Hals, dafür aber einen Oberlippenbart zu haben schien. Genau in diesem Moment läutete die schwere Bronzeglocke im Kirchturm der Josephskirche zweimal. Halb neun.

    »Morgen, Erika!« Gaudoff hob die Hand zum Gruß in Richtung der Bäuerin und nickte gleichzeitig der Mutter zu, die jetzt neben ihm stand. Ein wohlwollender Blick auf den Sprössling mit den roten Bäckchen im Kinderwagen erweichte ihre ernsten Züge sofort.

    Sie nickte freundlich zurück, bewegte ihre Lippen, doch sie verschluckte die Begrüßung und errötete. Herkules schnüffelte am Kinderwagen und wedelte mit dem Schwanz, wobei sein ganzer Körper mitwedelte. Die Mutter musterte Ernesto Gaudoff. Er trug heute Morgen einen hellen Leinenanzug, Slipper, Panamahut.

    Sie muss mich für einen Dandy halten und liegt damit gar nicht mal so verkehrt, dachte er.

    »Schau mal, Emma, was für ein netter Wauwau, der ist aber süß«, sagte sie mit weicher Stimme. Sie streckte die Hand aus und ließ den Dackel an ihren dünnen Fingern schnüffeln und schlecken.

    »Herkules heißt er.« Gaudoff lockerte die Leine.

    Mit einem Hund im Schlepptau ist es doch immer wieder einfach, mit den Frauen ins Gespräch zu kommen.

    Er hatte nie wieder geheiratet. Wozu auch? Die Frauen flogen auf ihn, doch nach einer Weile langweilte er sich mit ihnen. Allein lebte es sich besser. Ungezwungen, ungebunden und doch hin und wieder ein Abenteuer. Obwohl er zugegebenermaßen in den letzten Jahren weniger Affären hatte. Er war ja schließlich nicht mehr der Jüngste.

    »Aha, Herkules. Was für ein nettes Tier.« Die Mutter richtete Emma im Kinderwagen auf, zog das hochgerutschte T-Shirt wieder über den kleinen dicken Bauch ihrer Tochter und zeigte auf den Hund.

    Emma gluckste und strampelte wie ein Frosch im Wasser. Herkules stellte sich auf die Hinterläufe und scharrte an Emmas Beinen, die vorne aus dem Kinderwagen hingen und in einer dünnen mit Störchen bedruckten Strumpfhose steckten.

    »Herkules!«, rief Gaudoff und zog ihn wieder zu sich heran.

    »Gar kein Problem.« Die Mutter ließ sich neben dem Kinderwagen auf ein Knie nieder. »Im Gegenteil, Emma liebt Tiere. Wir hatten selbst eine Katze zu Hause. Eine getigerte. Tigerchen hieß sie.«

    Sie rückte Emmas Sonnenkappe zurecht und kraulte Herkules den Kopf. Emma gluckste wieder.

    »Und haben Sie die Katze jetzt nicht mehr?«, fragte Gaudoff.

    »Lagerstraße.« Die junge Mutter flüsterte, hob die Hand vor den Mund und senkte den Kopf. »Wir sind am Wochenende eingezogen.«

    Mehr musste sie nicht sagen. Gaudoff wusste, dass in der Lagerstraße das Frauenhaus war. Von ihren Männern verlassene, geschlagene oder vergewaltigte Frauen, auch viele Drogenabhängige. Ernesto Gaudoff hatte dort selbst einige Zeit als ehrenamtlicher Hausmeister gearbeitet, nachdem er in den Ruhestand gegangen war.

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