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EQUALIZER: Thriller
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eBook832 Seiten11 Stunden

EQUALIZER: Thriller

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Über dieses E-Book

Michael Sloan, der Miterfinder der Kultserie "Der Equalizer – Der Schutzengel von New York" – welche die Basis für das Kino-Remake mit Denzel Washington in der Titelrolle bildet – führt die Geschichte um den mysteriösen ehemaligen Geheimagenten Robert McCall fort, der immer dann zur Stelle ist, wenn Menschen in ausweglosen Situationen seine speziellen und oftmals tödlichen Fähigkeiten benötigen.

Haben Sie Schwierigkeiten? Wissen Sie keinen Ausweg mehr? Dann rufen Sie den Equalizer.

Robert McCall, ehemaliger Geheimagent der CIA, ist ein Mann mit einer dunklen Vergangenheit. In dem Versuch, die Sünden seines früheren Lebens abzugelten, bietet er Menschen, die in Not geraten sind, unentgeltlich seine Dienste als Problemlöser, Beschützer und Ermittler an. Wer seine Hilfe sucht, findet ihn über Anzeigen in Zeitungen und im Internet. "Haben Sie Schwierigkeiten? Wissen Sie keinen Ausweg mehr? Dann rufen Sie den Equalizer."

Unterstützt von einer Reihe mysteriöser Kontakte, die zum Teil noch aus seiner Zeit als Geheimagent stammen, sorgt McCall auf den Straßen von New York City für Gerechtigkeit.

Im diesem Roman, der auf der Fernsehserie basiert und inhaltlich kurz vor den Ereignissen des ersten Kinofilms angesiedelt ist, muss McCall eine unschuldige Frau beschützen und gegen einen alten Feind antreten – einen tschetschenischen Nachtklubbesitzer, der nun ein Netzwerk aus Elite-Attentätern betreibt.
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum4. Apr. 2024
ISBN9783958354616
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    Buchvorschau

    EQUALIZER - Michael Sloan

    Kapitel 1

    Robert McCall blieb am Eingang einer engen Gasse stehen. Sie verlief hinter einer Reihe von Geschäften in der Broome Street am Rande von Greenwich Village. Er war schon Tausende Male daran vorbeigekommen und hatte sich bisher nicht einmal die Mühe gemacht, hineinzusehen. Er wusste, was darin war: überquellende Müllcontainer, ein dünner Teppich aus Müll, zerdrückte Dosen und Wasserflaschen, gebrauchte Kondome, Zigarettenkippen, weggeworfene Zeitungen, zerknüllte Flyer, verteiltes Konfetti, als hätte jemand versucht, das trostlose Grau mit ein wenig Farbe zu versehen. Die Türen auf der linken Seite führten in die Hinterzimmer der Geschäfte, ein Copyshop, ein Blumenladen, ein chinesisches Restaurant, ein Tante-Emma-Laden. Es gab zwei eiserne Türen auf der rechten Seite, die verbogen an rostigen Angeln hingen. Am anderen Ende der Gasse war eine Landschaft aus großen, zusammengestellten Pappkartons: die Behausungen von Menschen.

    Der schwarze Zuhälter war schwarz gekleidet, damit war er nur ein Schatten unter Schatten, und er bewegte sich unvorhersehbar, während seine Faust wieder nach unten in das Gesicht des Mädchens sauste. Es sah aus, als würde er ihr den Wangenknochen brechen. Ihre Augen waren beide blau geschlagen. Blut rann ihr aus der Nase. Der vorherige Schlag hatte sie fast gebrochen. McCall sah die Furchen um die Nasenlöcher, die das Koks hinterlassen hatte. Der Zuhälter war schlank, glatzköpfig, ungefähr Mitte zwanzig. Das T-Shirt mit den abgeschnittenen Ärmeln enthüllte die Tattoos auf den Armen: Schlangen und Meerjungfrauen. Er war groß, wohl über 1,90 Meter. Er schüttelte seine weiße Prostituierte, als würde sie nicht auf die Tirade in seinem Kopf hören. Seine Hände mit den Ringen waren die einzigen hellen Punkte im Zwielicht. Die vielen Ringe und Kettchen fingen das fahle Morgenlicht ein, das die Gasse spärlich erhellte. Das Mädchen war vielleicht 17 oder 18, schätzte McCall. Sie sah dünn und ausgezehrt aus, trug eine ramponierte Jeans und ein Trägertop, das der Zuhälter ihr fast vom Leib gerissen hatte. Eine Sicherheitsnadel baumelte von ihrem Nabel. Die Jeans waren an einigen Stellen zerfetzt und man sah Einstichstellen an ihren Beinen. Sie trug Sandalen. Ihre Zehennägel waren glitzernd pink lackiert. Das Haar wirkte wie dreckiges, blondes Seegras, das über ihr Gesicht hing, aber McCall sah ihre Augen blitzen, aufgerissen und ängstlich, bevor sie sie fest zukniff in Erwartung des nächsten Schlages. Sie war schon früher verprügelt worden. Er hatte sie in der Gegend gesehen, das Make-up fachmännisch aufgetragen, um die blauen Flecken zu verdecken.

    Aber diesmal war es anders. Sie wusste es und McCall wusste es. Ihr Zuhälter war aus irgendeinem Grund rasend vor Wut. Vielleicht hatte sie ihn hingehalten. Vielleicht hatte sie das Geld eines Freiers eingesteckt und sich ein Glas Wein und ein Sandwich in einem Bistro in der Innenstadt gegönnt, nur um eine Stunde so zu tun, als wäre ihr Leben nicht ein einziger Albtraum. McCall sah sie, völlig irrational, als ein Kind, das lachend auf einem Spielplatz herumrennt, ihren zehnten Geburtstag feiert, ein Teenager, der mit seinen Freunden über Facebook chattet, die Bilder strömten alle in einem Sekundenbruchteil auf ihn ein. Klischees, das war ihm klar, aber das war es, was ihm durch den Kopf ging. Dann Bilder von ihr, wie sie älter war, jemand, der ein paar Lines Koks auslegte, ihr einen zusammengerollten Dollarschein gab, mach ruhig, das ist ein geiler Kick, das ganze Gerede von Sucht ist doch Bullshit, du entscheidest selbst, was du tust. Sie mochte es. Sie hatte es noch mal genommen. Dann hatte sie angefangen zu fixen. Heroin war wieder in Mode. Sie hatte begonnen anzuschaffen, keine große Sache, sie mochte Sex. Aber dann wurde ihr klar, dass es nicht um Sex ging, es ging um Sucht und Schmerz und darum, kontrolliert zu werden.

    All das zählte nicht mehr. McCall war es egal. Das ging ihn nichts an. Er war schon seit neun Monaten vom Radar verschwunden. Hatte sich unauffällig verhalten. Sie war nicht die erste Nutte, die auf der Straße vor seinen Augen verprügelt wurde. Und er wollte nicht zu spät kommen. Er war unterwegs, um seinen Sohn Scott zu sehen. Er würde die Linie eins in der U-Bahnstation an der 23rd Street erwischen und damit zum Columbus Circle fahren. Von dort war es nur ein kleiner Fußmarsch zur West 62nd Street. Vielleicht stieg er sogar schon an der 42nd Street aus und legte den Rest der Strecke zu Fuß zurück. In New York ging er gerne zu Fuß. Aber diesmal schien der Zuhälter es ernst zu meinen. Ein letzter Schlag, dann wäre es aus. Er zerrte das Mädchen mit einer Hand an ihrem Trägertop hoch, das bloß noch um ihren Hals geschlungen war und ihre großen, schwingenden Brüste freilegte. Er wollte sie von unten treffen. Ein brutaler Uppercut. Der würde ihr das Nasenbein ins Gehirn treiben und sie töten.

    McCall betrat die Gasse. Er hatte das Gefühl, als würden ihn Augen aus den großen Kartons beobachten, aber es rührte sich nichts. Nur eine leichte Brise, die durch die Wohnzimmer und Schlafzimmer aus Pappe strich.

    Der Zuhälter hatte die Faust geballt.

    Schwang sie nach hinten.

    McCall packte sein Handgelenk und zerrte ihn von dem Mädchen weg. Sie fiel auf die Knie und versuchte, den Blutstrom aus ihrer Nase mit dem Handrücken zu stoppen. Der Zuhälter war so in Fahrt, dass er McCall ansah, als wäre er verrückt. Das war ein schwerer Fehler. Wenn man in einer Gasse in seinem eigenen Revier gepackt wird, während man gerade einer seiner Nutten eine Lektion erteilt, dann lässt man sich nicht aufhalten. Bestimmt nicht von einem weißen alten Knacker mit Anzug und Krawatte und dunklem Mantel. Er sah aus, als wäre er gerade von der Wall Street hier reinmarschiert. McCall nutze die Schrecksekunde, um dem Zuhälter die Beine wegzutreten. Er ging auf die Knie. McCall packte seine Hände und drehte sie um, hielt ihn mit eisernem Griff. Das Mädchen krabbelte weg, kam aber noch nicht wieder auf die Beine. Sie hatte nicht genug Sauerstoff in der Lunge.

    Der Zuhälter sah zu McCall hoch und erblickte Mr. Durchschnittlich, Mr. Nobody, vielleicht um die 45, mittlere Größe, etwa 80 Kilo, gut aussehend, ausdrucksstarke Augen, grau melierte Haare. McCall hielt ihn fest, als würde er ihn daran hindern, umzufallen.

    »Was immer sie getan hat, es tut ihr leid und es wird nicht wieder passieren.«

    »Das schwöre ich«, keuchte das Mädchen und hustete, als sich Blut in ihrem Mund sammelte. Sie spuckte es aus, und als wäre es ihr plötzlich unangenehm, zog sie das Trägertop über die Brüste.

    »Ich wohne in der Gegend«, sagte McCall, als mache er nur Konversation, als würden er und der Zuhälter sich auf einen Kaffee verabreden. »Und ich kenne die Cops hier auf dem Revier. Ich plaudere gerne mal mit dem Typ, der das Leichenschauhaus leitet. Sehr belesen. Er zitiert Blake genauso wie Harry Potter. Wenn ich herauskriege, dass das Mädchen wieder geschlagen wurde, dann suche ich nach dir. Und ich finde dich. Wenn du sie umlegst, dann werde ich dich persönlich auf einem der Seziertische im Leichenschauhaus abliefern. Alles klar?«

    Der Zuhälter nickte. Sonst nichts, nur ein Nicken. McCall ließ seine Hände los. Er wandte sich an das Mädchen, das ein Stück weiter zurückwich.

    Den Fehler hätte McCall vor einem Jahr noch nicht gemacht.

    Er hatte aus dem Blick des Zuhälters die Niederlage herausgelesen. Aber er hatte ihn fehlinterpretiert. Der Typ war gewieft. Hatte gewirkt, als wäre ihm der Kampfgeist ausgegangen, als hätte er sich gefügt, würde es diesmal auf sich beruhen lassen.

    Von hinten packte er McCall, nachdem er in einer fließenden Bewegung aufgestanden war. Ein muskulöser Arm drückte McCall die Kehle zu. Der Zuhälter wollte ihm den Daumen ins Auge drücken. Typische Straßenkämpfertaktik, aber nicht sehr clever. McCall griff nach der linken Hand des Zuhälters, brach ihm den Mittelfinger und den Ringfinger mit zwei kurzen, ruckartigen Bewegungen. Der Würgegriff um seinen Hals erschlaffte. McCall packte die rechte Hand seines Gegners und brach ihm den Mittelfinger und Ringfinger, drehte ihn dann herum und trat ihm in die Eier. Der Mann ging zu Boden und krümmte sich in Fötushaltung zusammen, die Beine schützten seinen Schritt und seine Hände zitterten, als er auf die gebrochenen Finger sah.

    »Wird ein paar Wochen schwer sein, deine Nutten zusammenzuschlagen«, sagte McCall. »Die Finger sind zerbröselt. Aber die werden verheilen.«

    »Du bist ein toter Mann«, brachte der Zuhälter mit krächzender, schmerzverzerrter Stimme heraus.

    »Wenn ich dafür jedes Mal zehn Cent kriegen würde …«, seufzte McCall.

    Er zog das Mädchen auf die Beine. Sie war etwa 1,75 Meter groß. Sie schnappte sich ihre weinrote Jacke, die auf einer der Mülltonnen hinter ihr gelandet war. McCall drängte sie die Gasse entlang, an den Kartons vorbei, bis sie auf der Broome Street waren. Dort herrschte dichter Verkehr. Ein Bus und ein paar gelbe Taxis fuhren vorbei. Das übliche ungeduldige Hupkonzert. McCall bemerkte einen uniformierten Polizisten an der Ecke zum Broadway. Er sah in ihre Richtung, kam aber nicht näher. Er unterhielt sich weiter mit dem Besitzer des Computerladens an der Ecke, dessen Auslage im Schaufenster so aussah, als verkaufe er Sachen, die von diversen Trucks gefallen waren.

    Das Mädchen holte ein paar Taschentücher aus der Jackentasche und stopfte sie in beide Nasenlöcher, um die Blutung zu stoppen. Standardprozedur.

    »Danke«, sagte sie. Ihre Stimme war deutlicher. »Ich glaube, diesmal hätte er mich umgebracht.«

    »Hätte er.«

    Jetzt, wo er ihr näher war, stellte er fest, dass sie schöne Augen hatte, braun-grün. Dankbarkeit lag in ihrem Blick, aber sie wurde von blanker Not überschattet.

    »Ich schulde dir was«, sagte sie. »Ich bin Lucy. Lucy in the Sky with Diamonds.«

    »Das ist dein Straßenname. Wie lautet dein echter Name?«

    »Wen kümmert das schon? Ich benutze ihn nie.«

    »Nur zur Unterhaltung.«

    »Margaret. Langweilig, oder? Wie heißt du?«

    »Ist unwichtig.«

    Sie drückte sich an ihn und ihre Stimme bekam den heiseren Unterton, von dem sie wusste, dass er normalerweise seine Wirkung nicht verfehlte. »Sicher, verstehe schon. Ich muss deinen Namen nicht wissen. Komm einfach mit. Es kostet auch nichts. Ich will nur nicht alleine sein. Bitte.« Sie nahm seine Hand. »Ich tue alles, was du willst.«

    Sie schob seine Hand unter ihr Trägertop, bis sie auf der linken Brust ruhte, und sah dann zu dem uniformierten Cop an der Ecke. Er blickte ein bisschen interessierter in ihre Richtung.

    »Können wir irgendwo hingehen?«, fragte sie drängend. »Zu dir?«

    »Ich bin spät dran und will meinen Sohn abholen.« McCall sagte es mit sanfter Stimme und zog die Hand unter ihrem Top heraus. »Dein Zuhälter wird dabei sein, sich die Finger verbinden zu lassen. Der sucht diesen Nachmittag nicht mehr nach dir. Aber vielleicht heute Abend. Wenn du Freunde in der Stadt hast, von denen er nichts weiß, dann bleib bei denen.«

    »Du kennst ihn nicht. Der findet mich. Mit dem legt man sich nicht an. Kann ich bei dir bleiben?«

    »Nein. Im Moment solltest du ins Krankenhaus gehen. Ich rufe dir ein Taxi und komme mit. Sorge dafür, dass die dich wieder zusammenflicken.«

    »Fick dich, du Arschloch«, sagte sie und Tränen brannten in ihren Augen. »Du hast deine Heldennummer abgezogen. Hat sich bestimmt super angefühlt.«

    Sie ließ ihn stehen und ging die Broome Street entlang, schlüpfte in ihre Jacke und zog sie eng um sich, als wäre ihr plötzlich sehr kalt.

    McCall dachte kurz darüber nach, ihr hinterherzulaufen, sie zu zwingen, mit ihm in ein Taxi zu steigen und sie ins nächste Krankenhaus zu bringen, das war das Bellevue. Aber das hieß, er kam zu spät, um Scott zu sehen. Er könnte sie auch einfach in ein Taxi setzen und ihr das Geld geben, damit sie in die Notaufnahme konnte, aber er wusste, sie würde an der ersten Ampel aus dem Wagen springen. Das Geld war zu wertvoll für sie, um es für das Verarzten ihres Gesichts auszugeben. Das konnte sie selbst.

    McCall überprüfte die Gasse, warf einen Blick hinter sich. Der Zuhälter war weg. Es war nicht genug Zeit gewesen, dass er es ganz bis ans andere Ende geschafft hätte. Er musste eine der Türen benutzt haben, die jetzt links von McCall waren. McCall war auf sich selbst sauer. Er hatte die wichtigste Regel gebrochen, an die er sich die letzten neun Monate lange gehalten hatte, und sich in eine Situation eingemischt, die absolut nichts mit ihm zu tun hatte. Er hoffte, was er getan hatte, würde sich nicht eines Tages rächen.

    Sogar der Cop an der Ecke sah ihn an, als wäre er ein Idiot. McCall lächelte müde in seine Richtung. Ja, ein paar Angewohnheiten lassen sich schwer abschütteln.

    Zumindest war das Mädchen noch am Leben.

    McCall schlug den Kragen hoch gegen den scheidenden Wind, der von der Broome Street her wehte, ging an dem Cop vorbei den Broadway entlang in Richtung U-Bahnstation.

    Zur selben Zeit stand Elena Petrova im Schlafzimmer einer Suite im dritten Stock des Metropol Hotel in der Teatralny Proezd in Moskau nackt vor einem Ganzkörperspiegel. Sie war brünett, Ende 30, groß, athletisch, zwar in Russland geboren, aber seit ihrem neunten Lebensjahr eine amerikanische Staatsbürgerin. Sie betrachtete die Messernarbe, die unter ihrer linken Brust anfing und sich bis kurz oberhalb des Schambereichs erstreckte. Da war auch noch das Stück vernarbter Haut an der rechten Seite, wo sie angeschossen worden war. Die Kugel hatte sie nur gestreift, aber das Andenken war immer noch da. Sie hatte ein Engelsgesicht, große braune lachende Augen – das Mädchen von nebenan mit einem leichten russischen Akzent. Es amüsierte sie immer, wenn ein Liebhaber in spe endlich »zur Sache kam«, wie ihre englischen Freundinnen es nannten, und auf ihre Kampfnarben reagierte. Sie sagte dann, sie sei in New York überfallen worden – die Messernarbe – und von einem Freund angeschossen worden, der seine neue Smith & Wesson SD40 präsentieren wollte, während sie einen romantischen Spaziergang durch den Bois de Boulogne in Paris machten.

    Nichts davon stimmte.

    Sie nahm etwas, das aussah wie eine lange Nadel, aus einem dünnen Plastiketui auf dem Tisch. Sie steckte sie in ihre Haare und befestigte sie an einem kleinen, schwarzen Barett. Man würde nie wissen, dass sie da war, außer man suchte danach.

    Durch das große Panoramafenster konnte man auf den Roten Platz sehen. Die Dämmerung brach schnell herein. Es fiel ein wenig Schnee. Sie sah die Türme und Spitzen des Kremls. Die Aussicht wirkte wie einem düsteren Märchen entsprungen. Bei einem weiteren Blick in den Spiegel bemerkte sie den Schatten des Eindringlings in der offenen Schlafzimmertür. Sie hätte nach dem edelsteinbesetzten, schwarzen Beutel auf dem prunkvollen Tisch greifen können, in dem ihre Pistole steckte. Aber das tat sie nicht. Sie zog ein hauchdünnes schwarzes Höschen an und nahm ein kurzes, schwarzes Cocktailkleid von einer Stuhllehne. Dann schlüpfte sie in das Kleid, ließ es über den Körper gleiten. Es war hinten offen und die Hälfte ihres wohlgeformten Hinterns, vom Höschen kaum verdeckt, war zu sehen. Sie lächelte.

    »Du kannst mir den Reißverschluss zumachen«, sagte sie. »Wenn du willst.«

    Ein großer, eleganter Mann in den Fünfzigern trat ins Schlafzimmer. Er war makellos gekleidet und trug einen maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug, ein rosa gestreiftes Hemd, goldene Manschettenknöpfe, die aus kleinen, gekreuzten Golfschlägern bestanden, eine rote Krawatte mit kleinen Schachfiguren darauf und auf Hochglanz polierte Schuhe. Ein Hauch Aftershave lag in der Luft, als er hinter Elena trat. Sie betrachtete sein Gesicht im Spiegel: gut aussehend mit scharfen Gesichtszügen und hellblauen Augen. Normalerweise waren diese Augen undurchdringlich und das Gesicht eine Maske, aber im Moment sah er peinlich berührt aus. Er errötete tatsächlich. Elena kannte ihn nur als Kontrolle. Jeder in der Company nannte ihn Kontrolle. Sie wusste nicht, wie sein echter Name lautete. Sie glaubte auch nicht, dass ihn irgendeiner der anderen Agenten kannte. Er war ihr Kontrolloffizier auf dieser Mission, es war ungewöhnlich für ihn, dass er bei einem Einsatz dabei war, aber er war schon immer ein Mann voller Überraschungen gewesen. Gerüchten zufolge war er verheiratet und hatte zwei Töchter im Teenageralter, wohnte in einem ruhigen Vorort von Washington, D. C., spielte Golf mit einem Handicap von vier und trank nur gealterten Whiskey. Aber vielleicht war das auch nur eine Coverstory.

    »Ich nehme an, du hast nicht gehört, wie ich reingekommen bin«, murmelte Kontrolle und griff nach dem Reißverschluss unten an ihrem schwarzen Kleid.

    »Ich habe dich gehört. Nächstes Mal könntest du dich ja räuspern.«

    »Ich hätte auch ein feindlicher Agent sein können, der sich an dich anschleicht.«

    »Nicht mit dem Aftershave. Das ist unverwechselbar. Du kaufst es in einem winzigen Laden in Mayfair in London, der einzige Ort, wo es verkauft wird. Wenn du fertig damit bist, meinen Knackarsch zu betrachten, dann mach jetzt bitte den Reißverschluss zu.«

    Ihre Augen strahlten. Er schloss den Reißverschluss.

    »Wo hast du die Messerwunde her? Über die Schusswunde weiß ich ja Bescheid.«

    »Ich wurde im Central Park überfallen. Nicht jeder einzelne Vorfall in meinem Leben steht in der Akte. Also, du hast ja schon meinen Körper rundum begutachtet.« Sie drehte sich um und sah ihn an. »Wie, meinst du, sehe ich für alle anderen aus?«

    »Bildschön«, sagte Kontrolle. »Und du würdest außerdem niemals einen Straßenräuber im Central Park nahe genug herankommen lassen.«

    Sie lächelte und nahm die kleine juwelenbesetzte Handtasche, die zum Kleid passte. Sie nahm die Beretta 21 Bobcat heraus, überprüfte erneut, ob sie geladen war, legte sie zurück und schloss die Tasche. Kontrolle steckte ihr einen kleinen Empfänger ins linke Ohr, der völlig unauffällig war.

    »Ich werde jedes Wort verstehen können.«

    »Das ist ein beängstigender Gedanke.«

    Er nahm eine dünne Brille mit schwarzem Rahmen aus einem Metalletui und gab sie ihr. Sie setzte sie auf.

    »Wirst du mich zur Party begleiten?«

    »Nur bis zur Galerie. Ich gehe nicht mit rein. Aber ich werde in der Nähe sein.«

    »Wer deckt mir den Rücken?«

    »Masters. Er ist quasi Kunstsammler und spricht fließend Russisch. Ist heute Nachmittag in Moskau angekommen. Ich hatte noch keine Zeit, dich zu briefen.«

    Sie steckte die Füße in elegante, italienische Riemchenpumps von Dolce & Gabbana.

    »Masters ist gut. Ich bin fertig. Gehen wir.«

    Kontrolle nahm ihre Hand.

    »Elena …«

    »Sei vorsichtig, geh kein Risiko ein, hole, wofür du gekommen bist, und hau wieder ab. Und versuche, das Kleid nicht in einem von Alexei Berezovskys privaten Konferenzräumen auf den Boden fallen zu lassen.« Die Unbeschwertheit schwand aus ihrer Stimme und wurde durch eine ruhige Abgeklärtheit ersetzt. »Ich weiß schon, was ich tun muss, Kontrolle. Deswegen hast du mich nach Moskau gebracht.«

    »Ja, das stimmt.«

    Sie gingen zur Schlafzimmertür. Elenas Blick wanderte zu einem kleinen gerahmten Foto auf dem Nachttisch. Darauf war Elena, die genauso aussah wie jetzt, und ein jüngerer Robert McCall an Bord eines Segelbootes vor dem Hintergrund einer alten Stadt, die in der untergehenden Sonne hinter ihnen glitzerte. Auf dem Foto stand in ordentlicher Handschrift: Für meinen Liebling Elena – In Liebe – Robert.

    Kontrolle hatte das Foto bemerkt. »Wo wurde das aufgenommen?«

    »Kroatien. An der Küste in der Nähe von Split in der Adria. Ein viertägiger Urlaub, der auch nicht in meiner Akte steht. Und bevor du fragst, nein, ich habe nichts von ihm gehört. Seit über drei Jahren nicht.«

    »Aber du hast immer noch sein Bild überall dabei, wo du hingehst.«

    »Das muss er ja nicht wissen.«

    Kontrolle öffnete die Schlafzimmertür weiter. »Es ist besser, dass er nicht mehr Teil deines Lebens ist, Elena.«

    »Was ist passiert? Wieso ist er untergetaucht? Niemand in der Company will darüber reden.«

    »Muss auch keiner wissen.«

    »Aber du weißt, wo er ist. Du weißt, wo alle von uns sind, jederzeit.«

    »Ich weiß nicht, wo Robert McCall ist.«

    »Aber du glaubst nicht, dass er tot ist.«

    Es war eine Feststellung. Kontrolle schüttelte den Kopf.

    »Den legt man nicht so einfach um«, sagte er. »Ich sollte das Foto mitnehmen. Wir haben überhaupt keine Bilder von Robert McCall.«

    »Nicht einmal in seiner Akte?«

    »Sie wurden entfernt. Vermutlich von ihm selbst.«

    »Also, das da kriegst du nicht.« Sie ging ins Wohnzimmer der Suite. »Wir sollten unseren russischen Gastgeber nicht warten lassen.«

    Kapitel 2

    McCall setzte sich an einen Tisch im Freien beim Starbucks in der West-62nd Street. Wie üblich bestellte er den extrastarken Kaffee mit Sumatra-Bohnen. Er schüttete drei Päckchen Zucker rein und verrührte sie. Er war ein bisschen zu spät dran, aber die Pause war noch nicht vorbei. Auf der anderen Seite der Straße, auf dem Schulhof der Highschool liefen die Schüler in Grüppchen herum, plauderten, balgten sich, warfen Footballs hin und her, ein paar spielten Basketball. Scott dribbelte gerade den Ball, als McCall sich setzte. Er machte eine Finte nach links, drehte sich nach rechts, wieder nach links und täuschte seinen Gegner so geschickt, dass der nur mit den Armen wedeln konnte, als würde er auf einem Flugzeugträger einen Kampfjet bei der Landung einweisen. Scott streckte sich zu seiner ganzen Größe von 1,85 Meter und warf. Er traf den Rand des Korbs und der Ball segelte davon. Knapp. McCall sah zu, wie sein Sohn sich weiter ins Spielgeschehen stürzte, einen großen schwarzen Jungen deckte, der den Rebound erwischt hatte. Scott war schlank, hatte verwuschelte blonde Haare, und obwohl er nicht muskulös war, bewegte er sich mit einer Geschmeidigkeit, die McCall bewunderte. Der 15-Jährige war ein freundlicher Junge und offensichtlich beliebt. McCall hatte das letzte Mal mit ihm gesprochen, als er acht war. Das war an der Grand Central Station gewesen, im Juni des Jahres, als er Scott und seine Ex-Frau Cassie für fünf Minuten getroffen hatte.

    Für McCall war das 20 Missionen her.

    Er betrachtete die auf dem Pausenhof durcheinanderlaufenden Schüler und vor seinem geistigen Auge wurde das Bild schwarzweiß. Auf genau demselben Schulhof hatten ihn einst sechs Footballspieler im strömenden Regen zusammengeschlagen.

    Auf der anderen Seite der Straße entriss Scott seinem Gegner den Ball und dribbelte ihn das Feld entlang. McCall sah zu, wie er sich drehte, antäuschte, warf. Diesmal rauschte der Ball durchs Netz. McCall streckte den Daumen hoch. Scott hatte natürlich nicht die leiseste Ahnung, dass sein Vater auf der anderen Straßenseite im Starbucks saß und ihm zusah.

    Elena trat aus dem Taxi vor der Ally Bulyanskaya Gallery in der Krymsky Val Nummer zehn, die zum Central House of Artists gehörte. Sie und Kontrolle hatten sich vier Blöcke östlich getrennt. Es schneite immer noch. Zumeist junge, elegant gekleidete Männer und Frauen spazierten in dem modernen Gebäude herum. Elena schloss sich ihnen an.

    Drinnen wurden die Kunstmäzene in die Ally Bulyanskaya Gallery geleitet, die aus sieben großen Räumen bestand, gefüllt mit Gemälden und Skulpturen. Kellner in Fracks trugen silberne Tabletts voller Champagnergläser herum. Kellnerinnen in schwarzen Seidenblusen und bodenlangen schwarzen Röcken verteilten Horsd’œuvres. Eine Frau, die aussah wie eine etwas ältere Lady Gaga mit stacheligen blonden Haaren und einem offenherzigen roten Kleid, spielte auf einer erhöhten Plattform Harfe. Elena rückte ihre Brille zurecht, nahm sich eines der angebotenen Champagnergläser von einem der Kellner und mischte sich unter die Leute.

    Kontrolle saß in seinem kleinen, schwarzen Kastenwagen im Iskusstv-Park. Er hatte gegenüber der Galerie, direkt neben dem Denkmal von Jakow Swerdlow, geparkt. Gebückt saß er vor einem Monitor zwischen zahlreichem raffiniertem elektronischem Equipment. Die winzige Digitalkamera in Elenas Brille war in den oberen Rahmen eingebaut, an der Stelle, wo die beiden Gläser verbunden waren. Die bewegten Bilder, die Kontrolle empfing, waren recht gut, auch wenn das Sichtfeld begrenzt war. In der Menge suchte er nach seinem Agenten Jim Masters. Er konnte ihn noch nicht ausmachen.

    Kontrolle war nervös. Seit zwölf Jahren hatte er nicht mehr in einem solchen Lieferwagen gesessen und tatsächlich einen Agenten im Einsatz kontrolliert. Sein Fahrer, ein Angestellter der Company aus der Gegend namens Sergei, blieb hinter dem Steuer sitzen, stets bereit, den Kleinlaster umzuparken, wenn es nötig sein sollte. Hinter Kontrolle saß im Smoking Mickey Kostmayer, ein jungenhaft aussehender Agent der Company Ende zwanzig. Kostmayer hatte widerspenstiges braunes Haar und blasse grüne Augen, die manchmal ein wenig verrückt wirkten. Kontrolle konnte seine aufgestaute Energie fast körperlich spüren.

    »Ich gehe einfach rein«, sagte Kostmayer. »Ich brauche keine Einladung.«

    »Lass ihr erst einmal ein wenig Freiraum«, meinte Kontrolle.

    In der Ally Bulyanskaya Gallery suchte Elena ebenfalls nach Agent Jim Masters. Sie entdeckte ihn in einer Ecke, wo er sich angeregt mit zwei russischen Matronen unterhielt, die aussahen, als hätten sie Stalin großgezogen.

    Masters konnte man schwer übersehen. Er war ein Bär von einem Mann und trug einen schwarzen Smoking, was aussah, als hätte er sich in ein Zelt gewickelt. Ein Champagnerglas war in seiner Pranke. Er sah sich im Raum um, während eine der Matronen heftig den Kopf schüttelte, um dem zu widersprechen, was immer er über das Gemälde von Serget Bazileo gesagt, hatte, das sie sich ansahen. Es war Teil der Serie »Mann und Frau« und trug den Titel: Überall Leben – ältere Frauen, die in einem Nobelrestaurant um einen Tisch herumsaßen und -standen. Masters sah einen Moment Elena in die Augen, dann wandte er sich mit einer abwertenden Geste wieder dem Bild zu. Die Matronen wirkten leicht empört.

    Ein großer, beeindruckender Russe Ende 40 in einem Smoking schob sich durch die Menge, schüttelte Hände, lächelte höflich. Es war Alexei Berezovsky, ehemaliger FTB-Agent, nun ein Kunstmäzen und Besitzer von drei der angesagtesten Moskauer Nachtklubs sowie von zwei weiteren in Sankt Petersburg. Er wirkte kräftig, wie ein gealterter Zehnkämpfer. Elena sah ihn auf sich zukommen.

    »Hab ihn«, murmelte sie, sodass nur Kontrolle sie hörte. »Alexei Berezovsky, sehr elegant, ein Dinosaurier in einem Smoking. Er sucht nach mir.«

    Berezovsky hatte dunkle Haare ohne eine Spur von Grau.

    Mehrere Ringe glitzerten an seinen Fingern. Er hatte ein hübsches Gesicht, aber die Augen wirkten eiskalt. Er strahlte Stärke aus und Macht und eine rohe sexuelle Energie. Elena registrierte, wie er seine Magie auf den Raum ausstrahlen ließ, indem er diese Energie nutzte, seinen Charme spielen ließ, so wie er es bei ihr getan hatte. Sie hatte nicht mit ihm geschlafen – sie hatten sich nur dreimal zu ein paar Drinks getroffen –, aber sie hatte sichergestellt, dass ein sexuelles Versprechen im Raum stand. Schließlich entdeckte er sie, entschuldigte sich bei einem jungen Pärchen, durchquerte den belebten Raum und kam auf sie zu. Lächelnd ergriff er ihre Hände.

    »Elena! Du bist gekommen!«

    »Ich hab es ja versprochen.«

    »Ja, aber nicht jeder hält seine Versprechen, oder?« Seine Stimme war nahezu melodisch. »Besonders Journalisten. Schreibst du immer noch über diesen Gangster Putin?«

    »Er ist ein sehr interessanter Mann.«

    »Er ist ein Krimineller. Und seine Macht schwindet. Deine Bosse beim CNN sollten dich mal losschicken, um jemanden zu interviewen, der tatsächlich Einfluss in der Welt hat.«

    »Jemanden wie dich?«

    Er winkte ab, als hätte sie ihm viel zu sehr geschmeichelt. »Ich arbeite nicht mehr für die Regierung. Ich bin jetzt Kunstmäzen und Kapitalist, aber das weißt du ja schon alles.«

    Er trat näher an sie heran. Beäugte ihren Ausschnitt, als wolle er ergründen, ob sie wohl einen BH trug. Er kam zum Schluss, dass sie es nicht tat.

    »Wie lange dauert die ganze Chose hier?«, fragte Elena.

    »Mindestens bis Mitternacht sicher.«

    »Ich kann nicht lange bleiben. Ich hab in einer Stunde eine Konferenzschaltung nach Atlanta. Aber ich wollte dich nicht enttäuschen.«

    Berezovsky drehte sich leicht zur Seite. Jemand im Raum hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Elena folgte dem Blick. Ein dicker Mann, der sich in seinem dunklen Anzug nicht wohlzufühlen schien und eine dünne Krawatte und braune Stiefel trug, stand unbeweglich mitten im Gewusel der Kunstliebhaber um ihn herum. Er machte den Eindruck, als würde er in einer Fabrik arbeiten und Autos zusammenschrauben. Als er Berezovsky erblickte, ging er sofort auf eine der Skulpturen von Arsen Avetisian zu. Es war eine goldene Figur, die huckepack auf dem Rücken eines Skeletts mit schwarzem Anzug und ohne Kopf saß. Berezovsky wandte sich wieder Elena zu.

    »Gib mir fünf Minuten. Wir treffen uns am Eingang zum nächsten Raum.«

    Er ließ sie stehen, grüßte unterwegs weitere Freunde und Mäzene und ging auf die Avetisian-Skulptur zu. Elena schlüpfte parallel zu ihm zwischen den Leuten hindurch.

    »Hast du das alles verstanden?«, murmelte sie.

    Im Lieferwagen betrachteten Kontrolle und Kostmayer den Monitor. Sie sahen die Party in allen möglichen Blickwinkeln durch Elenas Brille, während sie sich durch die Menge bewegte. Zweimal erhaschten sie einen Blick auf Berezovsky, doch die Masse verschluckte ihn jedes Mal schnell wieder.

    »Ich verliere ihn dauernd«, sagte Kontrolle. »Pass auf, dass du ihn im Blick behältst.«

    Elenas Stimme verursachte ein leichtes Echo in dem vollgestopften Kleinlaster.

    »Keine Sorge. Er will mir an die Wäsche. Du hast schließlich die Auslage gesehen. Man kann es ihm nicht übel nehmen.«

    Kostmayer warf Kontrolle einen Blick zu.

    Er räusperte sich. »Frag lieber nicht.«

    Kostmayer sagte: »Das gefällt mir gar nicht.«

    In sein Mikro meinte Kontrolle zu Elena: »Hol dir einfach, weswegen du dort bist. Lass bloß nicht zu, dass er dich anfasst.«

    »Könnte schwer werden, sich seiner zu erwehren, Boss.«

    »Nicht für dich.«

    Elena sah zu, wie Berezovsky an dem stämmigen Arbeitertyp an der Arsen-Avetisian-Skulptur vorbeiging. Der Mann drückte dem Ex-FTB-Agenten etwas in die Hand. Etwas Kleines, das kurz das Licht reflektierte. Berezovsky steckte es in die Tasche seiner Smokingjacke und ging weiter.

    »Sie haben den Austausch gemacht«, flüsterte Elena.

    Sie ging schneller durch den Raum. Aus ihrer juwelenbesetzten Handtasche nahm sie ein iPhone, hielt es ans Ohr, tat so, als würde jemand mit ihr reden, machte es dann wieder aus und ließ es mit einem erschöpften Seufzen in die Tasche fallen. Dabei vergewisserte sie sich, dass Berezovsky ihr zusah. Am Eingang zum nächsten Raum der Galerie schloss sie zu ihm auf.

    »Meine Konferenzschaltung ist bald so weit. Ich muss gehen, Alexei.«

    »Noch nicht. Komm bitte mit. Ich wollte dir noch etwas Besonderes zeigen.«

    Er nahm ihren Arm und führte sie in den zweiten Raum der Galerie.

    Jim Masters löste sich aus den Fängen der beiden russischen Matronen und folgte ihnen.

    Auf dem Monitor im Lieferwagen sah Kontrolle, dass der zweite Raum der Galerie noch voller war als der erste. Dann zeigte Elenas Brille, dass sie durch einen Korridor ging, weg von den Kunstliebhabern und dem Lärm der Party. Elena blickte einmal über die Schulter. Kostmayer beugte sich vor, an Kontrolle vorbei, und starrte angestrengt auf den Monitor.

    »Masters sollte ihr folgen.«

    »Er ist da irgendwo. Nur nicht in ihrer Blicklinie.«

    »Frag sie, ob sie ihn sehen kann. Sag, sie soll leicht mit dem Kopf nicken.«

    Kontrolle sagte ins Mikro: »Elena, wenn du Masters sehen kannst, dann nick mit dem Kopf.«

    Es gab keine Reaktion. Die Kamera bewegte sich nicht.

    »Elena, wenn du mich noch hören kannst, dann nicke«, sagte Kontrolle.

    Die Kamera registrierte kein Nicken. Kostmayer stellte an ein paar Reglern herum.

    »Wir haben den Kontakt verloren.«

    »Sie könnte den Mini-Ohrhörer rausgenommen haben«, sagte Kontrolle.

    »Wieso zur Hölle sollte sie das tun?«

    »Sie muss Entscheidungen in Sekundenbruchteilen fällen. Sie ist im Einsatz.«

    »Nun gut, ich könnte auch ein bisschen Champagner und Kultur vertragen«, sagte Kostmayer. »Ich gehe rein.«

    »Aber nur beobachten«, warnte ihn Kontrolle. »Unternimm nichts. Sie hat die Situation unter Kontrolle. Sag mir, was du siehst.«

    Kostmayer nickte, steckte sich ein Earpiece ins Ohr und stieg aus dem Lieferwagen.

    Im zweiten Raum der Galerie betrat Masters den kurzen Korridor, in dem Berezovsky und Elena verschwunden waren. Ein junger Mann in einem dunklen Anzug, der angetrunken wirkte, stolperte gegen ihn und murmelte eine Entschuldigung. Masters stützte ihn.

    »Du solltest vielleicht besser ein bisschen frische Luft schnappen, Junge«, sagte Masters zu ihm auf Russisch.

    Ein anderer junger Mann trat links neben Masters und stieß einen langen Dolch durch seine Rippen direkt ins Herz.

    Masters taumelte, doch der erste Mann hielt ihn aufrecht. Sie trugen Masters den Korridor entlang, als wäre ihm nur schlecht geworden, und verschwanden um eine Ecke.

    Elena bekam davon nichts mit. Berezovsky führte sie zu einer Tür am Ende des Korridors. Er schloss auf und öffnete sie.

    »Das ist mein Zufluchtsort hier in der Galerie«, sagte er.

    Elena trat in das kleine, holzvertäfelte Büro. Dicke Vorhänge hingen vor dem Fenster. Zu ihrer Rechten befand sich die Tür eines Wandschrankes, und ein paar Kisten mit Gemälden waren links an der Wand gestapelt. Die Möblierung bestand aus einem enormen Schreibtisch, einem Sessel und einem Schreibtischsessel. Über dem Schreibtisch hing das große Ölgemälde eines nackten Mädchens, das mit dem Rücken zum Künstler saß und anscheinend durchsichtige, weiße Blüten auf dem Rücken und dem Hintern hatte. Ihr Haar war titanfarben. Das Gesicht war nicht zu sehen. Berezovsky zeigte auf das Bild, als sei es die Schwester der Mona Lisa.

    »Das ist ein Bruni. Aus meiner Privatsammlung«, sagte er. »Sie wollten, dass ich ihn für die Ausstellung heute aufhänge, aber manche Schätze sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.«

    Er schloss die Bürotür.

    Und drehte den Schlüssel um.

    Dann nahm er Elena die juwelenbesetzte Handtasche ab und ließ sie auf den Sessel fallen. Sanft nahm er ihr die Brille von der Nase und warf sie auf den Schreibtisch.

    »Deine Augen sind viel zu schön, um sie zu verstecken.«

    Elena dachte für eine Sekunde an Kontrolle, der vor seinem Monitor im Lieferwagen saß und sich eine unbewegte Ansicht der Zimmerdecke des Büros ansah.

    Berezovsky zog seine Smokingjacke aus und legte sie behutsam über die Lehne des Sessels. Dann zog er Elena zu sich und küsste sie. Sie wehrte sich nicht. Ihre Zungen erforschten ihre Münder. Er drückte ihre rechte Brust, schob das Kleid hoch und steckte die Hand in ihr Höschen, um ihren Hintern zu betatschen. Sie griff ihm in den Schritt. Sie küssten sich weiter, gierig nacheinander. Er nahm die Hand von ihrem Hintern, als sie beide Luft holten.

    Dann schlug er sie mit der Rückseite der Hand.

    Ein kleiner Tropfen Blut lief ihr über die Wange, wo einer seiner Ringe sie erwischt hatte. Bevor sie etwas tun konnte, außer erschreckt nach Luft zu schnappen, hatte er sie schon fest an den Schultern gepackt. Seine Stimme war tief und dröhnend.

    »Hast du wirklich geglaubt, du kannst mich verarschen, du kleine Schlampe? Hast du gedacht, ich würde dich nicht durchchecken?«

    Elena ließ Angst aus ihren Augen sprechen, aber auch Lust, als wäre sie gefangen genommen von der sexuellen Gewalt zwischen ihnen.

    »Wovon redest du, Alexei? Ich bin Reporterin für CNN. Das weißt du. Lass mich meinen Boss in Atlanta anrufen, er wird es bestätigen.«

    »Du meinst, du rufst Kontrolle an?«

    »Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich hab keine Ahnung, wer du glaubst, dass ich bin, aber du liegst falsch, Alexei. Mein Name ist Elena Petrova. Ich bin für CNN hier in Moskau, um euren Präsidenten zu interviewen. Was geht hier vor?«

    Er ließ ihre Schultern los und steckte seine Zeigefinger in ihre Ohren. Sie schreckte zurück.

    »Was machst du? Da ist nichts in meinen Ohren.«

    Sie legte die Hand ans rechte Ohr, wie aus Reflex, zog die lange, dünne Nadel aus ihren Haaren und verbarg sie in der rechten Hand. Dann stellte sie sich näher vor Berezovsky mit funkelndem Blick, als würde sie das anmachen.

    »Du willst es also grob, Alexei. Ich mag es grob. Aber lass mich mein Kleid ausziehen. Dafür hab ich Berichte im Wert von 1000 Dollar gemacht und ich will nicht, dass es zerrissen wird.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Du kannst mich schlagen. Aber nimm die Handfläche. Du hast meine Wange aufgeritzt mit einem deiner Ringe.«

    Er schlug sie ins Gesicht. Hart. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie lächelte und atmete schwer, als würde sie scharf werden.

    »Das war gut. Mach es noch mal.«

    Er schlug sie erneut. Sie griff nach hinten an den Reißverschluss und öffnete ihr Kleid. Es rutschte zu Boden. Berezovsky sah nach unten auf ihre Brüste. So wie sie es schon vorhergeahnt hatte. Sie brauchte nur eine Sekunde. Das hatte ihr Robert McCall beigebracht. Lenk deinen Gegner nur eine Sekunde ab. Wenn du weißt, was du tust, dann brauchst du nicht mehr.

    Sie stach die Nadel von links in Berezovskys Hals. Sein Körper versteifte sich, zitterte. Die Lähmung trat nicht sofort ein, aber es dauerte normalerweise nur zwei bis drei Sekunden. Bevor er überhaupt gemerkt hatte, was sie getan hatte, konnte sich Berezovsky nicht mehr bewegen. Sie machte einen Schritt nach hinten und trat ihm die Beine weg. Er stürzte schwer auf den dicken Teppich. Elena zog ihr Kleid wieder an und schaffte es, den Reißverschluss zu schließen. Berezovsky starrte zu ihr hoch, als würde er von unsichtbaren Fesseln gehalten. Sie nahm seine abgelegte Smokingjacke, griff in die Tasche, holte den silbernen USB-Stick heraus und ließ ihn in ihre Handtasche fallen.

    »Der Funkohrstecker, nach dem du gesucht hast?«, sagte sie. »Den hab ich rausgenommen. Ich wollte nicht, dass du ihn bei deinem unbeholfenen Gefummel findest.«

    Sie trat an die Schranktür und öffnete sie. Ein dunkler Anzug hing darin, ein paar Hemden, ein langer Wollmantel. Einige kleine Gemälde lehnten an einer Wand. Elena hob Berezovsky an den Schultern hoch und zerrte ihn in den Schrank. Er war nicht so schwer wie befürchtet.

    »Die Lähmung wird mindestens zwölf Stunden anhalten. Dir wird schlecht werden, versuch also, nicht auf deine Schuhe zu kotzen. Das wäre nicht so schön.«

    Sie ließ ihn in den Schrank plumpsen, ging zum Sessel, holte die Beretta Bobcat 21 aus ihrer Handtasche, kam zurück und hielt sie ihm an den Kopf. Seine Augen wirkten ruhig, als er zu ihr hochblickte. Das Einzige, was er bewegen konnte, waren die Augenlider.

    »Eigentlich sollte ich dich töten«, sagte Elena. »Aber ich hab, wofür ich gekommen hin. Wenn sich unsere Wege jemals wieder kreuzen – selbst wenn wir uns nur auf verschiedenen Straßenseiten in einer fremden Stadt wiedersehen –, dann lege ich dich um. Weil du mich angefasst hast. Du hältst dich vielleicht für einen Kunstliebhaber und einen Mann von Kultur. Weißt du, was ich sehe? Ein dreckiges Schwein, das nach russischem Tabak und Gin stinkt, mit einem Schwanz, so groß wie der eines kleinen Jungen.«

    Seine Augen funkelten.

    Sie trat ihm in die Eier.

    Hätte er sich bewegen können, dann hätte er sich zusammengekrümmt. Dann trat sie ihm gegen den Kopf, ihr Pump knallte gegen seine Schläfe. Er erschlaffte bewusstlos.

    Elena schloss die Schranktür. Sie schnappte sich ihre Brille vom Schreibtisch, aber er hatte sie kaputtgemacht. Sie ließ sie in ihre Handtasche fallen. Von draußen hörte sie ein Geräusch. Jemand war an der Tür. Sie schloss schnell auf. Ein Wachmann in Uniform stand davor, der einen Schlüsselring in der Hand hielt.

    »Entschuldigung, ich suche nur nach der Toilette«, sagte Elena auf Russisch und drückte sich an ihm vorbei aus dem Büro.

    Kostmayer konnte Elena in keinem der Galerieräume finden. Er ging in den hinteren Teil der Galerie zum Lieferanteneingang. Alles lag im Dunkeln. Nichts bewegte sich. Dann fand er die Leiche von Masters hinter ein paar großen eingepackten Skulpturen, die dort schon für die nächste Ausstellung bereitstanden. Er kniete sich hin und tastete kurz nach einem Pulsschlag am Hals des stämmigen Mannes. Es gab keinen.

    »Masters ist tot«, sagte Kostmayer, sodass Kontrolle ihn hören konnte. »Elena ist aufgeflogen.«

    Die Glocke der Highschool läutete. Die Kinder verließen den Pausenhof. McCall sah zu, wie Scott mit seinen Freunden über den Asphalt lief. Er unterhielt sich angeregt mit dem großen, schwarzen Jungen. Beide lachten. Die Kellnerin, auf deren Namensschild Dana stand, brachte ihm noch eine Tasse des extra starken Sumatra-Blends.

    »Drei Tassen heute«, meinte sie. »Sie haben anscheinend eine Menge nachzudenken.«

    »Ich wusste, dass die mir auflauern würden«, sagte er.

    »Wer wollte Ihnen auflauern?«

    »Die Sporttypen. Die haben auf mich gewartet. Auf dem Schulhof. Im strömenden Regen. Ich wollte wegrennen. Ich hatte Angst.«

    »Und sind Sie weggerannt?«

    »Nein.«

    Dana sah zum Schulhof hinüber. Die letzten Nachzügler verschwanden gerade im Schulgebäude.

    »Sie sind auf diese Highschool gegangen?«

    »Vor langer Zeit.«

    »Und ein paar Sportler haben Sie auf dem Pausenhof zusammengeschlagen?«

    »Nicht ganz.«

    »Es tut mir leid. Ich glaube, ich kann der Geschichte nicht ganz folgen.«

    McCall schüttelte den Kopf. »Es ist keine Geschichte, nur ein paar Erinnerungen«, sagte er.

    »Ist alles in Ordnung, geht es Ihnen gut?«

    »Ja, alles okay.«

    Sie lächelte und nickte und ging an einen anderen Tisch, um ein paar leere Tassen und Teller abzuräumen.

    McCall starrte den Eingang an, durch den die Kids verschwunden waren. Er empfand plötzlich eine überwältigende Traurigkeit angesichts all der Basketballspiele, die er mit seinem Sohn nie gespielt hatte.

    Elena eilte durch die überfüllten Räume der Galerie und schnappte sich ein Glas Champagner von Tablett eines vorbeilaufenden Kellners. Sie suchte nach Masters, fand ihn jedoch nicht. Auf dem kleinen Podium hatte die Harfenspielerin mit einer weiteren bezaubernden Melodie begonnen. Niemand nahm Notiz von Elena. Sie erreichte den Haupteingang.

    Draußen warteten die beiden Ex-FTB-Offiziere auf sie, die Masters ermordet hatten. Sie erkannte sie sofort von der Party. Sie wusste, wer sie waren. Also gab es keine Möglichkeit für sie, die Straße zu überqueren, um in den Iskusstv-Park zu kommen. Und sie wollte auch nicht in der Menge vor der Galerie auf Kontrolle oder Kostmayer warten. Wenn die beiden Schlägertypen sich neben sie schoben, dann war sie tot.

    Plan B.

    Elena ging rasch die Seitenstraße entlang, wo der Lada Kalina Sport geparkt war. Wenn ihr Ersatzwagen nur nicht auffällig knallgelb gewesen wäre, aber so war er nun mal geliefert worden. Den Schlüssel für den Wagen hatte sie in der Handtasche. Sie schloss ihn auf, ohne sich umzusehen, schlüpfte hinein, ließ die juwelenbesetzte Tasche auf den Beifahrersitz fallen, startete den Wagen und fuhr los.

    Im Rückspiegel bemerkte sie die beiden Ex-FTB-Agenten, die zum Eingang der Galerie zurückrannten.

    Was sie nicht sah, war der schwarze GAZ-3102 Wolga, der hinter ihr losfuhr.

    Elena beschleunigte und reihte sich in den Verkehr auf dem Maronovskiy Perevlok ein. Sie griff in die Tasche und schloss die Finger um den silbernen USB-Stick. Was darauf war, davon hatte sie keine Ahnung. Das musste sie auch nicht wissen. Sie musste ihn nur Kontrolle abliefern.

    Sie dachte zurück an den Abend in der Kunstgalerie.

    Robert McCall wäre stolz auf sie gewesen.

    Kapitel 3

    Die Detonation traf den Wagen wie eine riesige Faust und zertrümmerte das Seitenfenster auf der Fahrerseite. Der Lada schleuderte über die schmale Pflastersteinstraße in der Nähe des Tverskoy Boulevard. Kleine Glasdolche bohrten sich in die linke Seite von Elenas Gesicht. Sie spürte die Hitzewelle, als hätte jemand eine Ofentür geöffnet. Alles wirkte auf sie wie in Zeitlupe: Sie wich einem Metallpfosten am Straßenrand aus, der eine verglaste Anzeigentafel trug mit Werbung für Guerlain – Shalimar und einer rosa Parfümflasche darauf, die die Kurven einer nackten jungen Frau verdeckte. Auf dem Gehsteig stand eine große, schwarz-weiße Kuh. Sie traf sie und der hintere Teil der Skulptur wurde durch das Fenster eines Ladens geschleudert. Über der Ladentür stand: KOOEHH, ANDENKEN, WODKA UND KAVIAR AUS RUSSLAND MIT LIEBE. Ganze Reihen russischer Matroschka-Puppen mit Karikaturen darauf wurden durch die Luft gewirbelt: Mick Jagger, Putin, Obama, Prinzessin Diana, Dostojewski, Tolstoi, Stalin, der einen mahnenden Zeigefinger in ihre Richtung hielt. Alle wurden gemeinsam mit dem Glas der Scheibe zersplittert und zerstört.

    Zwei Pärchen waren aus einem Gemischtwarenladen an der Ecke getreten. Die Explosion warf sie zu Boden. Die Frau rollte sich in Fötushaltung zusammen. Der Mann hatte einen Arm verloren. Einem Straßenmusiker in einem langen schwarzen Mantel war ein Großteil des Gesichts weggefetzt worden und sein Oberkörper blutete an mehreren Stellen. Eine orange getigerte Katze, die auf seinem Verstärker gesessen hatte, wurde gegrillt. Der Knall der Explosion hallte in ihren Ohren wie ein langes, verzerrtes Echo, das man in der falschen Geschwindigkeit abgespielt hatte.

    Elena holperte über den Gehweg. Eine niedrige Wand war mit russischem Graffiti bedeckt, die Worte WWW.ROSTSPLONT.RU waren über ein paar wütend hingekritzelte Farbschmierer geschrieben. Sie riss das Steuer herum, um der Wand auszuweichen.

    Das Safehouse der Company befand sich im ersten Stock eines pinken Apartmentgebäudes. Es war das einzige Apartment mit Balkon. Das schmiedeeiserne Balkongeländer lag nun verbogen mitten auf der Straße. Ein VAZ-2107 hatte versucht, ihm auszuweichen, es aber trotzdem getroffen. Ein alter Mercedes-Benz traf das Heck des VAZ und schleuderte ihn in ein paar Tische vor dem Starbucks auf der gegenüberliegenden Straßenecke. Pärchen warfen sich auf den Boden oder hasteten aus dem Weg. Keiner wurde ernsthaft verletzt, bis auf eine junge Frau, die von herumfliegenden Glassplittern getroffen wurde.

    Elena starrte nach vorne. Hinter dem zerstörten Souvenirladen war eine riesige hölzerne Figur eines Mannes, der Einrad fuhr, eine Brille auf dem gemalten Gesicht. Er trug eine Jägermütze, ein weißes Hemd, eine rote Krawatte und eine Reiterhose und hob eine große weiße Tasse an die Lippen. Er balancierte schon seit Jahren dort auf dem Gebäude – aber heute war er vornüber gefallen, genau auf die Motorhaube von Elenas Lada. Die weiße Tasse war durch die Windschutzscheibe gekracht, als wolle der Einradfahrer sie dazu auffordern, einen Schluck zu trinken. Zitternd lehnte sich Elena nach vorne und schob die weiße Tasse durch die Windschutzscheibe. Die hölzerne Figur fiel vom Wagen, als sie das Steuer erneut herumriss und zurück auf den Gehweg holperte, dabei knapp das zweite Pärchen verfehlte, das gerade vor dem Gemischtwarenladen aufstand. Der Mann schien unverletzt. Seiner Freundin lief Blut übers Gesicht.

    Das alles passierte innerhalb von sechs Sekunden, die sie in absoluter Klarheit erlebte.

    Elena steuerte den Wagen zurück auf die Straße, als eine zweite Explosion das zerstörte, was ihr Ziel gewesen war. Mehr Glassplitter schossen über die schmale Straße. Zwei weitere Autos kamen schlitternd zum Stehen. Ein schwerer Volvo knallte in den alten Mercedes und schob ihn durch das Schaufenster eines Hutladens. Ein rotgesichtiger Russe kletterte aus dem Volvo und rannte zum Mercedes, wo er eine schreiende Frau aus dem Wagen zog und mit ihr davonstolperte, bevor der Mercedes in Flammen aufging.

    Und dann hatte Elena das Chaos hinter sich gelassen. Sie bog nach rechts auf den Boulevard. Sie fuhr am BECTTA-Gebäude vorbei, das große Kunstwerke in seinen hell erleuchteten Fenstern beherbergte. Links sah sie das VITEK-Schild, das hoch auf einem Haus auf der anderen Seite der Kreuzung thronte, weiß auf blauem Untergrund. Das große Gebäude daneben war in bunten Farben beleuchtet, die ein Bild darstellen sollten. Sie konnte nicht erkennen, was es war. Sie konzentrierte sich auf ein kleines, bedeutungsloses Detail und versuchte, mit dem Durcheinander und der Gewalt fertigzuwerden, der sie eben knapp entkommen war.

    Sie hatten gewusst, dass sie zum Safehouse der Company unterwegs war. Sie hatten es beinahe perfekt getimt. Doch offensichtlich war etwas passiert, was das Timing um ein paar Sekunden durcheinanderbrachte. Sie erinnerte sich, wieso. Sie hatte bremsen und stehen bleiben müssen, weil eine kleine Parade von Studenten in der Mitte der Bol’shaya Bronnaya die Straße überquert hatte. Es sah aus, als wären sie von einer Art Demonstration gekommen. Das hatte sie aufgehalten.

    Und ihr Leben gerettet.

    Elena steuerte eine dunkle Seitenstraße entlang, fuhr an den Straßenrand und parkte. Sie saß einige Augenblicke still, schüttelte die Glassplitter aus dem Haar und streifte sie von ihrem Kleid. Den Rest der Fensterglasscherben auf der Fahrerseite klopfte sie mit dem Griff ihrer Pistole heraus. Bezüglich der Windschutzscheibe konnte sie nichts unternehmen. Sie hatte ein rundes, sauberes Loch, wo die weiße Tasse der Figur durch die Scheibe geschlagen war. Der Rest des Glases war unversehrt. Zum Glück.

    Ihre linke Seite brannte. Sie sah, dass ihr linker Arm rot war, von der Hitze versengt. Ihr tat alles weh, als hätte sie einen Hammer in die Rippen bekommen. Ihre Augen waren zugeschwollen und unter ihrem rechten Auge tropfte etwas Blut hervor. Sie justierte den Rückspiegel und inspizierte den Schaden. Ihr Gesicht war von kleinen, glitzernden Juwelen aus Glas übersät. Vorsichtig zog sie alle aus der Haut – es fühlte sich an wie Nadelstiche. Sie wimmerte.

    Sie hatte großes Glück gehabt.

    In der Ferne hörte sie den Krankenwagen und Polizeisirenen, die näherkamen. Ein tiefes Geräusch, anders als das vertraute Tatütata der Feuerwehrautos und Streifenwagen in der Heimat. Sie konnte nicht hier sitzen bleiben. Es gab sicher noch einen Ersatzplan, um sie umzubringen. Der war bestimmt schon in Aktion getreten. Sie brauchte Verbandsmaterial und Bandagen. Und sie benötigte die Waffen und Munition, die auf sie im Safehouse gewartet hatten, zusammen mit einem neuen Pass und anderen Ausweispapieren.

    Aber sie wusste, wo sie hingehen musste. Das verdankte sie einem Gespräch mit Robert McCall. Sie hatten sich nach dem Sex unterhalten, in einer sanften, violetten Nacht, als sie nicht schlafen konnten. Er hatte ihr Dinge erzählt. Das war ungewöhnlich für ihn. Aber er hatte reden wollen. Als hätte ihm schon seit langer Zeit niemand mehr zugehört.

    Elena verstellte den Rückspiegel erneut und rechnete damit, hinter sich Autoscheinwerfer zu sehen. Aber da waren keine. Sie konnte den Krankenwagen und das Polizeiauto hören, die den Ort der Explosion zwei Straßen weiter erreicht hatten. Sie steuerte aus der Parklücke, dankbar, dass die Heckscheibe noch ganz war. Weit würde sie mit diesem Wagen nicht kommen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, aber sie konnte den Lada nicht einfach stehen lassen. Einen Wagen auf der Straße kurzzuschließen war eine weitere Option, aber das war riskant: Autoalarmanlagen, ein Anruf bei der Polizei, um ein gestohlenes Auto zu melden. Aber sie musste nicht sehr weit fahren. Nein, sie würde es riskieren, den Lada noch ein paar Meilen aus Moskau herauszusteuern. Es blieb ihr nichts anderes übrig.

    Sie fuhr auf die Verkehrsader, die in die Vorstädte von Moskau führte. Weiterhin inspizierte sie den Rückspiegel, aber es war schwer zu erkennen, ob ihr jemand hinterherfuhr. Nur Scheinwerfer in immer neuen Mustern. Es war kein einzelner Wagen zu sehen, der ihr folgte. Sie umklammerte das Lenkrad fest, versuchte, das Brennen in ihrem linken Arm und Bein zu ignorieren. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die Explosion im Safehouse, die sich über die schmale Straße hinweg ausbreitete, und wie der grelle Lichtblitz einen dunklen Fleck in ihrem Sichtfeld hinterlassen hatte. Das weckte Erinnerungen.

    Sechs Jahre zuvor war Robert McCall am Fenster eines Hotelzimmers in Serbien gestanden und hatte zugesehen, wie Explosionen den Nachthimmel erhellten. Das ganze Gebäude zitterte bei jeder einzelnen. Er trug einen Tarnanzug. Sein Blick wirkte müde, aber es war noch etwas darin zu sehen, etwas Tieferliegendes. Er hatte einfach bewegungslos dagestanden und in die Nacht hinausgestarrt. Elena war vom Bett aufgestanden und zu ihm gegangen. Sie erinnerte sich, wie ihr Körper im Fenster reflektiert worden war, auf dem die Regentropfen glitzerten.

    »Woran denkst du?«, hatte sie gefragt.

    »Ein paar alte Erinnerungen«, sagte McCall.

    »Gute?«

    »Welche, die ich nicht loswerde.«

    Er entzündete mit einem goldenen Feuerzeug eine Zigarette. Elena seufzte.

    »Schlecht für dich.«

    »Ich sehe mich gerne als Hüter der Flamme«, sagte McCall trocken.

    Sie nahm ihm die Zigarette ab, inhalierte tief, blies den Rauch aus und gab sie ihm zurück. Sie lachte wieder, aber nun hatte es einen rauen Unterton.

    »Ich mache mir Sorgen um deine Lunge und du willst dich einer Schießerei stellen. Wie wichtig ist denn Jancvic?«

    »Das kommt darauf an, was die Company mit ihm macht. Er ist eine Schachfigur. Sie werden ihn zu ihrem eigenen Vorteil einsetzen, sobald sie ihn da rausgeholt haben, oder die geben ihn zurück, im Tausch gegen einen von uns.«

    »Also hat er gar keine Bedeutung«, sagte sie tonlos.

    »Jeder hat Bedeutung«, erwiderte McCall, »aber es ist allen egal.«

    »Dir nicht.«

    »Ich tue die Arbeit, die erforderlich ist. Das ist mein Job.«

    »Ich kenne dich besser«, sagte sie leise.

    McCall drückte die Zigarette aus. Einen Moment später hörte man ein Klopfen an der Tür.

    »Hast du ihn gehört, bevor er geklopft hat?«

    »Ja.«

    Kostmayers Stimme war gedämpft. »Es ist so weit, McCall.«

    McCall sagte laut: »Gib mir noch eine Minute.«

    Elena kuschelte sich in seine Arme. Sie zitterte.

    »Kommt jetzt nicht die Stelle, wo du mir sagst, dass die Probleme von zwei Menschen in diesem Krieg völlig bedeutungslos sind?«

    McCall lächelte. »Bogart hat aber besser ausgesehen und Lauren Bacall wartete zu Hause auf ihn. Bleib bis zum Morgen in diesem Zimmer. Auf dem Schreibtisch liegt eine geladene Waffe. Benutze sie, wenn du musst. Benutze sie nicht, wenn du nicht musst.«

    »Du kommst zurück.«

    »Nicht hierher. Wenn ich diese Nacht überlebe, dann gehe ich zu einem Safehouse. Kontrolle hat sicher noch einen anderen Job für mich.«

    »Aber er wird nicht dort sein«, sagte sie bitter. »Er würde nicht sein Leben riskieren. Hat dieser Kontrolle auch einen Namen?«

    »Vermutlich, aber ich würde ihn nicht einer Journalistin erzählen. Berichte, was passiert. Bewerte es nicht. Dann bleibst du am Leben.«

    »Du kennst mich nicht so gut, wie du glaubst.«

    »Kann sein. Sperr die Tür hinter mir ab.«

    Er küsste sie zärtlich auf die Lippen, dann hob er die Sporttasche vom Boden, in der sich zwei M16-Sturmgewehre, Granaten und Munition befanden, und ging zur Tür. Elena trat nackt zum Schreibtisch, nahm die geladene Waffe und zielte. Falls McCall den Lauf im Rücken spürte, so ließ er sich zumindest nichts anmerken. Er hielt nicht inne. Er machte die Tür gerade weit genug auf, um sich hindurchzuquetschen, und schloss sie hinter sich. Elena trat an die Tür und öffnete sie einen Spalt. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie konnte McCall und diesen jungen Draufgänger – wie war noch mal sein Name? Mickey irgendwas – Kostmayer, das war es – den schäbigen, kaum erleuchteten Korridor entlanggehen sehen. Ihre Stimmen hallten aus der Ferne an ihr Ohr.

    »Wir holen sie morgen früh aus der roten Zone«, sagte Kostmayer.

    »Sie ist Reporterin. Das Aushängeschild von CNN. Das wird ihr gar nicht gefallen.«

    »Was interessiert dich daran?«

    »Nur, dass sie sicher ist.«

    Sie kamen an die abgewetzte Treppe und stiegen hinab.

    Elena schloss die Tür.

    »Leck mich, McCall«, sagte sie und warf die Pistole auf das unordentliche Bett.

    Nun, als sie auf den russischen Park zufuhr und der Fahrtwind durch das schartige Loch in der Scheibe heulte, fragte sie sich, ob das der Moment gewesen war, in dem sie beschlossen hatte, ihr Leben zu ändern. Hatte sie es getan, um sich in den Dienst eines größeren Zwecks zu stellen? Oder um sicherzugehen, dass Robert McCall sie nicht noch einmal so einfach sitzen lassen würde? Sie hatte ihn nach der Extraktion in Serbien ein Jahr lang nicht gesehen. Als sie sich wiedersahen, war sie eine frischgebackene Agentin der Company gewesen, sehr zu seinem Entsetzen, und danach redeten sie ein weiteres Jahr nicht miteinander. Aber dann kam die Mission in Wien. Sie war sein Back-up gewesen.

    Und die Dinge zwischen ihnen hatten sich verändert.

    Ihre Gefühle füreinander hatten die Oberhand gewonnen.

    Sie bog vom Boulevard auf eine geteerte Straße, die durch eine Art Niemandsland führte. Es war verlassen und irgendwie postapokalyptisch. Tod hing in der Luft, sickerte aus dem rissigen Asphalt den rostigen Stacheldraht entlang, wie glänzende Schlangen zusammengerollt im spärlichen Mondlicht, das auf verkrüppelte Bäume und schwarze Wände und Straßen schien, die ins Nirgendwo führten. Ihre Augen wanderten immer wieder zum Rückspiegel. Es waren keine Scheinwerfer hinter ihr zu sehen, nur die entfernten, verschwommenen Lichter auf dem Boulevard. Wenn sie sich noch richtig an die Google-Map erinnerte, die Robert ihr gezeigt hatte, war der Park in etwa fünf Meilen Entfernung direkt vor ihr.

    Die Straße wand und schlängelte sich durch das Niemandsland und dann sah sie die erste Katastrophe, die in der Luft vor ihr hing wie ein verletzter Vogel. Als wäre er von den Stromleitungen angelockt worden, die ihn eingefangen hatten. Er hing einfach nur dort, nahezu anmutig, lief allerdings Gefahr, jeden Moment umzukippen und die restliche Strecke zu Boden zu krachen. Der Hauptrotor war deutlich sichtbar. Es war ein blauer Mi-38-Helikopter. Das Heck und der hintere Rotor waren abgerissen. Daten gingen ihr durch den Kopf, als wäre sie Robocop, so wie es immer passierte. Mi-38, Höchstgeschwindigkeit 320 Stundenkilometer, Reisegeschwindigkeit 290 Stundenkilometer, Dienstgipfelhöhe 5.900 Meter, Schwebehöhe 3.200 Meter, GT-Turbinen, Besatzung 2, Passagiere 30. Sie fragte sich, ob er jemals geflogen war oder ob man ihn von irgendeinem Schrottplatz geholt, auf einem Tieflader zum Freizeitpark gefahren, mit einem Kran angehoben und vorsichtig auf die nachgemachte Stromleitung gesetzt hatte. Eine glitzernde Stahlleiter reichte vom Boden bis zu dem hängenden Helikopter.

    Elena bog scharf nach links ab und fuhr auf zwei Tore zu, die den Park abriegelten. Nur, dass sie nicht geschlossen waren. Eines stand einladend offen.

    Sie fuhr hindurch.

    Zu ihrer Rechten die gruselige Szenerie eines abgestürzten Flugzeuges. Dieses war echt. Sie erinnerte sich an die Einzelheiten. Es war eine Douglas C-47-DL, die von Aeroflot verwendet worden war. Am 13. April 1947 war das Flugzeug auf seinem Weg zum Flughafen Chatanga in Russland, als es aufgrund eines Maschinenschadens an Turbine Nummer eins notlanden musste. Alle Passagiere überlebten, aber neun starben, als sie in der einsamen schneebedeckten Tundra nach Hilfe suchten. Die verbliebenen 28 fand man nach 20 Tagen. Die Teile des Transportflugzeuges wurden in einem Lagerhaus in Rostow eingelagert und 60 Jahre später zum Freizeitpark transportiert. Es dauerte eine Woche und man arrangierte sie sorgfältig, sodass es aussah, als wäre der Flieger in diesem Moment abgestürzt und auseinandergebrochen. Der Flugzeugkadaver glänzte frostig in der eiskalten Luft. Elena rechnete jederzeit mit einer Bewegung, einem Überlebenden, der aus dem Wrack krabbelte, als er ihr Auto hörte. Aber wenn sich etwas bewegte, waren es höchstens die Ratten, die den krummen Rumpf bevölkerten.

    Elena schlitterte um einen kleinen, gefrorenen See herum, der im fahlen Licht schimmerte und so schwarz war wie die Nacht, die ihn umgab.

    Sie war auf dem Weg zum Zugwrack.

    Die Details davon kannte sie auswendig, aufgrund der einen Nacht mit Robert McCall im Jupiter-Hotel in Split, Kroatien, als sie in der Dunkelheit darüber geredet hatten, wie man im Einsatz überlebt. Kontrolle hatte die Lage des Katastrophenparks an diesem Tag im Metropol-Hotel in ihrem Vier-Uhr-Briefing bestätigt. Es gab auch acht Personenwaggons vom Bombenanschlag auf den Nevsky-Express im Jahr 2007. Der Intercity-Hochgeschwindigkeitszug war auf dem Weg von Moskau nach Sankt Petersburg gewesen, als eine Bombe explodierte, kurz bevor er Malaja Wischera erreichte. Niemand war getötet worden, allerdings war die Schienenverbindung mehrere Tage in beide Richtungen blockiert. Diese acht Eisenbahnwaggons konnten nicht mehr repariert werden, also transportierte man sie ab, zerstört und verbogen, wie sie waren, und gab ihnen im Park ihre letzte Ruhestätte. Es war ein unheilschwangeres Dreieck des Todes: der Helikopter, der auf den Hochspannungsleitungen zur Linken hing, der entgleiste Zug in der Mitte des Parks und das abgestürzte Aeroflot-Flugzeug auf der rechten Seite.

    Nur die Russen hielten einen Katastrophenpark für eine unterhaltsame Sache für Touristen. Sie hatte gehört, der Park war seit 2011 geschlossen.

    Aber er diente noch als Ersatz-Safehouse für die Company.

    Elena bremste und kam in der Nähe des entgleisten Zuges zum Stehen. Sie fand es amüsant, dass man die Schienen ebenfalls hierhertransportiert hatte. Die Räder mussten ja auf irgendetwas stehen. Die mittleren

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