Alles Dada? Dada ist wieder da
Von Volker Schoßwald
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Über dieses E-Book
Dieses Buch geht einer Wahrnehmung nach, deren Bezeichnung schon über hundert Jahre alt ist, die aber jedes Mal präsent erscheint. Dada als Kommentar zu dieser Welt ist präziser als je oder mindestens so präzise wie damals.
Volker Schoßwald schildert dieses Phänomen auf unterhaltsame Weise in historischer wie gegenwärtiger Hinsicht und liefert die passenden Bilder.
Volker Schoßwald
Volker Schoßwald stammt aus Schweinfurt, machte Abitur und Zivilldienst in Uffenheim, studierte in Erlangen und Tübingen und wirkte als Pfarrer und Religionslehrer in Würzburg, Nürnberg und Schwabach. Musikalisch ist er mit seiner Band "EzzedlaAbba" ("Jetzt aber" auf fränkisch) und als Kabarettist "Popenspötter" unterwegs. Hörbeispiele für alle Lieder finden sich auf http://soundcloud.com/volky-polky.
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Buchvorschau
Alles Dada? Dada ist wieder da - Volker Schoßwald
1 Zur Einführung
In der siebten Klasse stellte uns die junge, in München ausgebildete und von mir sehr bewunderte Kunsterzieherin die Aufgabe, eine Collage zu erstellen. Da mir nicht nur die Lehrerin, sondern auch die Kunst am Herzen lag, gab ich mir große Mühe, schnitt aus, legte, klebte… und war am Schluss verzweifelt: Was für ein dummes, sinnloses Geschnipsel! Frustriert, empört, wütend griff ich zum Pinsel und übermalte meine Arbeit mit brauner Wasserfarbe. Das gab ich dann ab.
Wie verblüfft war ich, als mir die Lehrerin in der nächsten Stunde eröffnete, ich hätte auf meine Arbeit eine „Eins" bekommen. Eine Eins auf so einen Mist? Das verstand ich nicht.
Mit ihrem langen, wehenden Mantel war die kleine Frau, die sehr selbstbewusst durch das Schulhaus¹ eilte, eher eine Künstlerin als eine Pädagogin, aber sie konnte mir erklären, meine Aktion wäre ein schöpferischer Akt gewesen, was zu ihrer guten Bewertung führte.
Das verstand ich. Und ich verstand: Nicht alle Papierschnipsel, die ich aufklebe und braun übermale, sind Kunst. Zur Kunst gehört der Kontext und zu diesem Kontext gehörte in diesem Prozess ich.
Das war 1968, gut fünfzig Jahre, nachdem die Dadaisten an die Öffentlichkeit traten. „Dada gehörte noch zur erlebten Wirklichkeit meiner kunstinteressierten Großeltern und blieb in meiner weiteren Entwicklung stets präsent. In „Dada
zeigte sich Kunst als provokative Innovation, ja als Aufstand gegen etablierte moderne Kunst. Dada protestiert gegen die Herrschaft von Kunstphilosophien in anarchischer Weise.
Dada protestiert gegen Herrschaft, wenn und weil sie ihre Macht missbraucht. Dada entblößt die verhüllte Macht des Bösen. Deswegen ist Dada ein Desiderat der Gegenwart. Oder anders: Fake-News der Machthaber müssen durch offensichtliche Fakes bloßgestellt werden. Dada ist ein Kampfmittel im Desinformationszeitalter.
Eine Speerspitze bildet in Deutschland der „Postillon mit seinen drei Millionen Abonnenten. Das Geniale: Man kann mitmachen. Man kann konsumieren, aber viele ergreifen die Gelegenheit zu kongenialen Kommentaren. Eine besondere Sparte ist der „Faktillon
, das Faktenportal.
Der „Postillon" ist de facto mit Fakten durchsetzt, zu denen diverse Links führen. In meiner anerzogenen Naivität versuchte ich, zu eruieren, ob die Selbstdarstellung stimmt:
es 1845, das ist ein Fake. Dadurch wird auch „Ehrliche Nachrichten als Information unglaubwürdig. Fake-News statt Fakten! Schockierend: Wenn man den Links folgt, findet man externe Ausgangsberichte, die das verspottete Faktum bestätigen. Tatsächlich ging die AfD schon mit „Berichten
an die Öffentlichkeit, die sie dem Postillon entnommen hatte und musste dann schamrot eingestehen, dass sie das Satirische nicht erkannt hatten.² Falsch: Sie waren nicht schamrot. Rot sind sie sowieso nicht. Scham kennen sie auch nicht. Sie sind im engeren Sinn des Wortes unverschämt.
Dada aus Facebook 2019:
Ab sofort bei Spotify, itunes und allen Streaming-Diensten!
Wir überspringen in diesem Buch hundert Jahre immer wieder einmal in die eine oder andere Richtung, oft genug mit Zwischenlandungen etwa bei den Beatles oder Frank Zappa. Zu Dada gehört Unterhaltsamkeit. Die kommt bestimmt nicht zu kurz.
„DADA"? Bei der Beschäftigung mit dem Dadaismus geschah etwas Wunderbares: Ich fand mich wieder. Möge es den LeserInnen auch so ergehen. Der DADA steckt tief in uns.
¹ Das Celtis-Gymnasium in Schweinfurt mit dem hervorragenden Kunsterzieher Isidor Huber. – Die Bewegung der jungen Lehrerin erinnerten mich an den Direktor der „Feuerzangenbowle", der dem Wahnsinn nahe durch das leere Schulhaus eilt!
² Als der Postillon, schrieb es würde eine Europäische Nationalmannschaft eingeführt, griff Beatrix von Storch (AfD) (Die Störche legen Wert darauf, dass sie kein langbeiniges Federvieh ist und Frösche nicht frisst, sondern küsst, um mal ein adeligen Prinzen abzubekommen) die Bundekanzlerin Merkel an, weil sie die EU-Staaten auflösen wolle. Hätte der Storch doch damals die Storch in einen Zauberkessel mit Hirn fallen lassen, aber nein…
2 Dada, als ob es heute wäre
Dada.
DADA?
Hört sich verrückt an.
Ist so gemeint.
„Dada" äußert sich in einer Welt, die verrückt ist.
Was immer „verrückt" bedeutet.
Wörtlich wird etwas von einer Stelle zur anderen gerückt. Das macht man in Wohnungen – und genug sieht die Wohnung hinterher besser aus.
Manches wird „zurechtgerückt". Das klingt positiv.
Aber „verrückt bedeutet auch: Im Denken stimmt es nicht mehr. So versteht sich Dada. Dada reagiert auf die Verrücktheit der rational argumentierenden „Welt
, die sich verstandesmäßig im Recht fühlt, wenn alles zerbricht.
„Dada heißt es, wenn der Verstand „gaga
ist. „Dada" heißt es, wenn der kollektive Verstand aus den Fugen gerät.
Sind wir damit in unserem Jahrtausend, Jahrzehnt, Jahr, Monat, Tag? Wir sind es.
„Nicht Dada ist Nonsens –
sondern das wesen unserer zeit ist Nonsens." ³
Dieses Buch wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit, ist synchron und diachron geschrieben, kann vieles nicht bringen und bringt anderes in ungewohnten Konstellationen. Es ist kein Sachbuch, wartet aber mit vielen Informationen auf. Es bezieht Stellung und bringt Wertungen. Dieses Buch verdankt sich all jenen Mächtigen in Wirtschaft, Politik, Juristerei und Journalismus, die der vernünftigen Argumentation den Boden entzogen haben und zugleich behaupten, sowohl vernünftig wie argumentativ zu sein. Wenn dabei allerdings das Leben auf der Erde, der Friede auf der Erde und die Gerechtigkeit unter den Menschen zu Schaden kommt, sind Argumente nicht mehr vernünftig, auch wenn ihre Aneinanderreihung logisch erscheint. Da hilft nur noch Dada.
Wenn ich auf die Verrücktheit unserer guten westlichen Welt und ihrer Werte aufmerksam machen will, brauche ich nur den Namen „Trump fallen zu lassen. Die Gesichter hellen sich auf: „Wir verstehen und wir fühlen uns verstanden.
Der demokratisch gewählte Präsident der mächtigen Vereinigten Staaten von Amerika⁴ wird bei uns als jemand wahrgenommen, der Widersprüchlichkeit und offensichtliche Lügen hoffähig gemacht hat und der Amoralität als Selbstverständlichkeit praktiziert. Er ist in gewisser Weise ein ehrlicher Mann: Böse, unverschämt, gnadenlos, rücksichtslos – und dabei dumm vor Egoismus. Er ist demokratisch gewählt und vertritt so die US-Amerikaner, für die diese Eigenschaften „böse, unverschämt, gnadenlos, rücksichtslos" offenbar charakteristisch oder erstrebenswert sind.⁵
Ich schreibe dies an einem Jahrestag des sog. „Nine-Eleven", jenes berüchtigten Septembertages, an dem von Terroristen gesteuerte Flugzeuge die Twin-Towers in New York zerstörten. Der Umgang mit der Wahrheit durch G. W. Bush und D. Trump macht die offizielle Version der USA zweifelhaft, obwohl ich die Bilder damals aktuell im Fernsehen verfolgte und den Flug des zweiten Flugzeuges in den zweiten Turm dadurch miterlebte. Was damals geschah, war schlimm, verbrecherisch. Aber durch diese Bewertung ist die Schuldfrage bei weitem noch nicht geklärt. Und die Zahl der Todesopfer im eigenen Land (USA) ist marginal verglichen mit der Zahl der Todesopfer jener Kriege, in denen die USA seit dem zweiten Weltkrieg eine Hauptrolle spielten – einschließlich jener Angriffskriege, die mit dem 9/11 begründet wurden.⁶ Inzwischen twittern die „Amis den Krieg oder den Frieden. Zu Deutsch hieße das „zwitschern
.
Verführerisch seriös wirkte „Loriot" ⁷. Ein Klassiker von ihm sind die Diskussionsbeiträge von Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß, die Loriot als Karikaturen darstellte. Das ist eine leichte Form von Satire. Postwendet aber präsentierte er beide Politiker im visuellen Original. Dabei hört man ihre Stimmen, erkennt ihre Tonmelodien, versteht aber nur nichtssagende Laute. Engagierte Politiker ohne Inhalte: Das ist Dada pur.⁸
Für Loriots dadaistische Persiflage gibt es einen Vorgänger noch aus den dreißiger Jahren, als Charles Chaplin in seinem „Der große Diktator Adolf Hitler nachspielte und ihm „deutsche
Diktion in den Mund legte. Er wählte ebenfalls Tonfetzen, rhythmisiert wie eine Hitlerrede. Wie später Loriot fügte Chaplin verständliche Worte ein: „Schnitzel, „Sauerkraut
, „Strafen - typisch deutsch, jedoch ohne Sinn. Dann hustet „Hitler
Töne oder Silben, rhythmisch mit ernsthafter Miene. Klassisch winkt „Hitler" den Applaus ab - und an. Die Zustimmung wird ab und angeschaltet.
Chaplin als Zeitgenosse der Dadaisten präsentierte sich in seinen frühen Stummfilmen grotesk. Beim „Diktator stellte er in einem abendfüllenden Spielfilm mit Dada-Instrumentarium das Faschistoide bloß. Freilich erreichte er so weder die Faschisten noch ihre Anhänger. Dort fehlt das Gespür für die Bodenlosigkeit ihrer Welterklärung. Die faschistoidparanoiden US-Amerikaner der McCarthy-Ära verfolgten Chaplin dann in den 50ern als „communist
. Shame on you!
Ist Dada mehr Kunst oder mehr Politik?
Dada ist Anarchie, rebelliert gegen Herrschaft als solche. In jeder Archie oder Kratie, ob Monarchie, Aristokratie oder Demokratie stecken Herrscher. Sie haben einen unterschiedlichen Werdegang – beispielsweise werden in der Demokratie die Regierenden gewählt. Aber sie sind allesamt Herrscher. Dabei wird gerade in unseren Demokratien deutlich, dass die Gewalt nicht eben vom Volk ausgeht, nicht einmal von den Regierenden, sondern von den Reichen oder noch entpersonalisierter von den Konzernen.
Doch nicht jeder, der sich anarchistisch gebärdet, versteht die Kunst, herrschaftsfrei zu agieren. Schon bei „Weltendada Huelsenbeck erleben wir, dass die Anarchie in individuelles Herrschen umschlagen kann, wo einer sich dazu aufschwingt, darüber zu richten, wer ein richtiger „Künstler
oder ein richtiger „Dadaist" sei.
„Freiheit ist stets die Freiheit der Andersdenkenden, schrieb Rosa Luxemburg als Randbemerkung. Doch die Parole ist alles andere als einfach. Luxemburg forderte die politische „Schulung
des Volkes, um „Andersdenkende auszuschließen. Sie postulierte, dass ihre Einsichten letztlich die Einsichten aller werden müssten. Gerade die erfolgreichen Sozialisten in Herrschaftsfunktionen pervertierten Luxemburgs Aussage: Andersdenkende ließ ein sozialistisches System nicht zu. Jeder, der denken kann, denkt einem Naturgesetz folgend sozialistisch. Das passt zu einer doktrinären Religion, aber nicht einer überzeugenden politischen Theorie: „Freiheit ist stets die Freiheit der Andersdenkenden. Die Andersdenkenden sind wir.
DADA.
³ „Die Dadaisten". Nach D. Elger, Dadaismus S.24
⁴ Nach wie vor: Die USA sind der kleinere Teil von Nordamerika, dem kleineren Teil von Amerika. Amerikaner? Das sind Brasilianer, Argentinier, Kanadier, Mexikaner und viele mehr. Irgendwo reihen sich auch die Yankees ein.
⁵ Allerdings leisteten sich die Deutschen einen Finanzminister, der durch freche Bestechlichkeit (Waffenhandel) auffiel und einen Kanzler, der die Namen der Leute, die ihn finanzierten, nicht preisgab. Die Herren Schäuble und Kohl haben unsere bundesrepublikanische Wirklichkeit so geprägt, dass manche von der Bananenrepublik Deutschland sprachen und damit die Wirklichkeit ziemlich genau trafen. Von der „geistigmoralischen Wende unter Helmut Kohl hat sich Deutschland bis heute nicht erholt und die von ihm geförderte Raffgier (Motto: „Leistung muss sich wieder lohnen
) führte zur Ausbeutung der Ex-DDR bei der Wiedervereinigung und ist damit eine der Ursachen des neuen Faschismus in den „Neuen" Bundesländern.
⁶ Damals kroch die aufstrebende Angela Merkel dem US-Präsidenten quasi in den Hintern, während Kanzler Schröder ihm widerstand..
⁷ Victor von Bülow, 12.11.1923-22.8.2011
⁸ Das enthält eine Parallele zu Heinrich Bölls „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen", in dem Tonbandaufzeichnungen geschnitten werden und der Schneider alle Schweigezeiten aneinanderfügt. Das ist dada-esk, enthält aber politische Assoziationen an die Nazi-Zeit, von der mehr Schweigen überliefert wird als Inhalte – was die Äußerungen der Noch-Lebenden betrifft.
3 Dada, geboren aus dem Weltkrieg
„Dada klingt wie „gaga
und ist auch so gemeint. Diese Anti-Kunstform entstand teils unabhängig in verschiedenen geographischen Brennpunkten. In Europa glühte der erste Weltkrieg und zerstörte alles, was als Kultur gilt, wenn Kultur den Menschen über das bloße Existieren hinaushebt. Als „Anti-Kunstform" verstand sich nur die organisierte oder definierte Form von Dada. Dada existiert völlig unabhängig von entsprechenden sozialen Formen als Ausdruck der Verzweiflung über die Existenz in einer sinnentfremdeten und sinnentfremdenden Gesellschaft. Als Gesellschaft fungiert alles: Familie, Dorf, Stadt, Staaten.
Im Weltkrieg zerglühte die Sinnhaftigkeit. Aber das geschah auch im dreißigjährigen Krieg wie in den Bauernkriegen und…
Im religiösen Bereich, seinerzeit noch eine relevante gesellschaftliche Dimension leistete der Schweizer Karl Barth mit seinem Römerbriefkommentar 1918 die Arbeit, radikal mit dem protestantischen Kulturpositivismus und seinen optimistischen Konzepten zu brechen. Der dialektische Theologe zerschmetterte das sogenannte „Gottesbild, die hybride „Gottesprojektion
(Feuerbach). Glauben geht nicht. Denn das würde eine Verfügbarkeit Gottes bedeuten. Wenn Menschen dennoch glauben, ist dies eine unmögliche Möglichkeit. Von Gott reden lässt sich ebenfalls nicht. Denn dadurch würde er fassbar. Den Unfassbaren kann das Fassbare nicht fassen. Diese epistemologische Wahrheit führte Barth radikal durch und zerstörte damit die bürgerlichen Gottesbilder.
Eine solche Zerschmetterung führten die Dadaisten mit den verschiedensten Methoden im Kunstbereich durch. Kunst schien Konvention und Konvention erschien in ihrer Folge als destruktiv und menschenverachtend, da sie den Ersten Weltkrieg produzierte. Zum Ersten Weltkrieg gehörten neue militärische Waffen wie Tanks, Flugzeuge und Giftgas. Der Erfinder des Giftgases, Fritz Haber erhielt später den Nobelpreis.⁹ DADA.
Dada ist ein Kriegskind – wie eine Generation später die Mitglieder der Rolling Stones und der Beatles. Ringo Starr und John Lennon kamen zur Welt, als die deutschen