Damals im Café Heider: Die Potsdamer Szene in den 70er und 80er Jahren
Von Martin Ahrends und Renate Wullstein
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Über dieses E-Book
Martin Ahrends
Martin Ahrends wurde 1951 in (West-)Berlin geboren,1957 mit den Eltern nach Kleinmachnow (DDR). Abitur 1970 in Potsdam, Studien der Musik, Philosophie, Theaterregie in Berlin, Nach einem politisch begründeten Arbeitsverbot stellte er 1982 einen Ausreiseantrag. In Hamburg zwischen 1986 und 94 Redakteur und freier Mitarbeiter der Wochenzeitung DIE ZEIT,
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Buchvorschau
Damals im Café Heider - Martin Ahrends
Einleitung
chapter1Image1.jpegZu DDR-Zeiten war es das einzige privat betriebene Café Potsdams, es gab Kuchen aus der hauseigenen Backstube, Bedienung, die persönlich am Gewinn interessiert war. Kein sozialistischer Biedermeier, sondern ein bisschen mondän. Geige und Klavier, Live-Caféhaus-Musik. Als wäre man nicht ganz so aus der Welt, wie man es nach dem Mauerbau tatsächlich war. Das Heider war eine Insel, ein Refugium, das bald verschiedene Szenen beherbergte. Das Angebot, an diesem etwas anderen Ort „anders sein zu können, war sehr verlockend. Geradezu zwingend. Zumal sich dafür ringsum wenig Gelegenheit fand. Im Heider konnte man glauben, der uniformen DDR entronnen zu sein. Hier konnte das Leben ausnahmsweise etwas bunter sein, war extra knallbunt und blieb doch in der Ausnahme befangen. Es gab radikale Gespräche, Kunst- und Lebensentwürfe, die nur in diesem Café leuchteten, dafür um so greller. Die Luft war voller wunderbarer Ideen und übler Gerüchte. Man konnte hier den „vollen Durchblick
kriegen oder dem Alkohol anheimfallen. Oder beides. In exzessiver Selbstdarstellung konnte man an diesem Ort gut damit zurechtkommen, draußen, hinter den Scheiben ohnmächtig zu sein. Das Heider war die Kontaktbörse Nr 1, hier wurden aber nicht nur Gedanken und Blicke und Partner getauscht, sondern zum Beispiel Trabantteile und Antiquitäten. Und die raren, die verbotenen Bücher; es war eine heimliche Universität. Und weil man für sein Heider-Studium außer diversen Stasi-Akteneinträgen nie ein Zeugnis bekam, war das Café auch ein Wartesaal, in dem man Kind bleiben konnte, während man erwachsen wurde, ein Erwachsenenspielplatz und eine Seelenwärmestube.
Plätze waren immer knapp, man saß bunt gemischt beieinander: Beamte, Militärs, Ärzte neben Schülern, Studenten, Künstlern. Und die Dauergäste, die man nur mit dem Vor- oder Spitznamen kannte. Es gab Besucher, die noch heute sagen, dieses Café sei ihr eigentliches Zuhause gewesen. Existenzen, die sich hier beheimateten, die hier Wurzeln schlugen, um sie nicht da draußen schlagen zu müssen. Eine DDR-Bohème hatte da ihren Ort gefunden, obschon in Gedanken oft drüben, hinter der nahen Grenze, sogar ernsthafte Fluchtpläne schmiedend und in Alkohol wieder ersäufend. Im Frühling 1989 schreit in diesem Café plötzlich einer los, ohne ersichtlichen Grund: „Ich halt es nicht mehr aus, ich kann nicht mehr, ich will da jetzt durchrennen, jetzt, jetzt!", und er rennt wirklich los zur Glienicker Brücke. Zwei, die an seinem Tisch saßen, erheben sich rasch und eilen zu den nächsten Telefonen, einer telefoniert vom Tresen, der andere von der Zelle am Nauener Tor. Ein Dritter bleibt einfach sitzen. Er hätte sich nicht auch noch enttarnen wollen, sagt er später zu seinem Führungsoffizier.
Am 7.Oktober 89 wird das Heider von Volkspolizisten geräumt. Viele der Gegendemonstranten hatten sich hierher geflüchtet.
„Das von Heider in Potsdam geleitete Café bildet einen Sammlungs- und Konzentrierungspunkt negativ dekadent eingestellter intellektueller Kreise, wobei es sich in erster Linie um Künstler, Studenten, Oberschüler und ähnlich gelagerte Personenkreise handelt…" – Als ein Stasi-Leutnant dies notierte, Anfang der Siebziger, ging ich auf die Helmholtzoberschule und oft am Heider vorüber. Das Heider und seine Bohème hatte mit Erwartungen zu tun, die ich mir so nicht einlösen wollte. Ich hielt dieses Café für einen Trug, für eine Kulisse. Für einen Ort, wo man jene Frau Welt vergessen konnte, die sich unseren jugendlichen Ambitionen als lederne alte Genossin darbot. Hier konnte man seine besten, seine ungestümen Jahre abwarten. Unter einer Aufsicht, die sich immerhin nicht auf den ersten Blick zu erkennen gab. Und als mir jetzt Karl Heider von einer flächendeckenden Abhörlage in der Decke seines Cafés erzählte, fand ich mich bestätigt in meiner Aversion gegen das Nichtauthentische dieses Ortes. Dass dieser Ort aber ein besonders authentischer war, dass es dieses Café-Heider-Leben nirgends sonst als in diesen Jahren, in diesem östlichen Nachkriegsdeutschland geben konnte, dass es also ein Ausdruck dessen war, was uns alle mehr oder weniger betraf: mit der ganzen Biographie gefangen, befangen zu sein in dieser DDR, gleichviel, ob man ihr früher oder später entkam oder zu entkommen glaubte – das habe ich erst viel später verstanden. Ich bin nie ein Heiderianer geworden. Doch die Lebensgeschichten, die sich hier kreuzten und verbanden, sind die Geschichten meiner Generation. Vom Kreuzpunkt dieses Cafés aus lassen sie sich gut erzählen. Und ich bin froh, dass man mich als Geschichtensammler doch noch in die Heider-Szenen einließ, nachträglich.
Martin Ahrends
Es geht um nichts
Rainer Eckert, Historiker
Ich bin Potsdamer, hab dort Abitur gemacht, 1968 an der Humboldt-Schule, ein Jahr im Staatsarchiv gearbeitet, das war in der Orangerie in Sanssouci, und zum Studium nach Berlin gegangen: Geschichte und Archivwissenschaft, drei Jahre. Im vierten Studienjahr bin ich relegiert worden. Aus politischen Gründen. Und das hat auch mit dem Heider zu tun. Es gab einen OV (operativen Vorgang bei der Staatssicherheit) „Demagoge", das war eine Gruppe von überwiegend Potsdamern, eine Diskussionsgruppe. Einige haben Flugblätter gemacht, einige sind später in den Westen gegangen... Wir trafen uns relativ oft im Heider. Das ging in der Schulzeit los. Das geistige Erwachen oder die kritische Einstellung hatte drei Quellen: die junge Gemeinde in Potsdam, in der Heiliggeistgemeinde, die keine eigene Kirche hatte, der Turm wurde noch extra gesprengt. Wir saßen in den Gemeinderäumen in der Nähe der Reste des Neustädtischen Tores. Die zweite Quelle waren Treffen im Hause von Peter Huchel, dessen Sohn in meine Klasse ging. Wir sind als Schüler zu den Huchels nach Wilhelmshorst gefahren, nahmen an den Diskussionskreisen als Zuhörer teil, wo viele ostdeutsche Intellektuelle, auch Ausländer zu Gast waren. Eine dritte Quelle war die Familie. Mein Vater ist früh gestorben als überzeugter Kommunist, ich bin in einer eher sozialdemokratischen Ausrichtung ausgewachsen. Meine Großeltern wohnten in West-Berlin, und wir konnten sie nach dem Mauerbau nicht wiedersehen. Als das Passierscheinabkommen kam, war mein Großvater schon tot. Ich bin also in dem Zwiespalt aufgewachsen, als Potsdamer nicht zu den Großeltern nach West-Berlin zu können.
Die Zeit im Heider begann, als ich 17 war, 1967 war das, ich bin damals fast täglich im Heider gewesen. Das Heider war der einzige Ort in Potsdam, wo wir uns treffen konnten, wenn wir uns nicht privat trafen. Im Kern waren das Leute aus Babelsberg, die in irgendeiner Beziehung zur DEFA standen oder zur Filmhochschule über ihre Eltern. Eine oppositionelle Diskussionsgruppe, die sich im Heider traf. Es gab sonst wenig Möglichkeiten in Potsdam. Und wir hatten dort relative Freiheit. Wir konnten Stühle zusammenstellen und uns in großer Menge an einen Tisch setzen. Das wäre in anderen Gaststätten nicht möglich gewesen. Das enge HOG-Reglement: „Sie werden platziert" – das gab es dort nicht. Dem Normalpublikum kamen wir schon etwas unheimlich vor, aber das hat nie dazu geführt, dass wir da Schwierigkeiten hatten. Der Heider hat das toleriert. Im Hintergrund hat die Stasi gestanden. Das war für die eher bequem, die kritischen Geister an einem Ort unter Kontrolle zu haben. Im Heider gab es die bürgerliche Kaffee-und-Kuchen-Klientel, etliche Künstler, und eben oppositionell gesinnte Studenten und Oberschüler. Es war ein Treffpunkt, um den weiteren Abend zu verabreden. Nach dem Heider ist man nicht nach Hause gegangen, sondern es schlossen sich die privaten Partys an.
Unsere Gruppe war zunächst eher locker gefügt und hat ihre Konsistenz erst durch die Staatssicherheit erhalten, als sie zusammengefasst wurde zum OV „Demagoge". Ich war der Demagoge. 68 spielte bei uns eine große Rolle. Ich war selbst am 21. August in Prag. Das hat unser Denken erheblich beeinflusst: eine Mischung zwischen anarchistisch-linksradikalem und sozialdemokratischem Denken. Wir wollten einen demokratischen Sozialismus, ohne das theoretisch ausgeformt zu haben, jedenfalls nicht den in der DDR mit einer Politbürokratie an der Spitze.
A: Wenn ein Ostler „68" sagt, meint er Prag, der Westler meint zumindest nicht nur Prag.
Die denken an Rudi Dutschke, Berkeley / Kalifornien und Paris. Ein zweigesichtiges Jahr. Für uns war nach diesem Jahr die letzte Reformchance des Realsozialismus vergeben.
Als Student hab ich jedes Wochenende in Potsdam verbracht und war abends im Heider. Bis Mitte der Siebziger. Ich hatte meine Treffpunkte in Berlin, das Café Burger zum Beispiel, das war etwa das Entsprechende. Eine Zeit lang das „Posthorn am Alexanderplatz, „Tute
genannt. Die Potsdamer waren in Berlin zusammen, das war sozusagen landsmannschaftlich organisiert. Die Potsdamer Gruppe hat lange gehalten. Der Vorgang „Demagoge wurde später von der Stasi abgelegt, ein Freund war im Gefängnis gelandet, mehrere waren von den Universitäten relegiert worden, der Zusammenhang zerbrach durch diese Repressionsmaßnahmen. Es war ein tiefes Misstrauen entstanden, auch durch lancierte Verdächtigungen, das hat mich einmal getroffen, was tödlich war, man konnte das Gegenteil nicht beweisen. Das hat Zusammenhänge gestört oder zerstört. Einige waren inzwischen in den Westen gegangen, „abgehauen
. Das war in den 70ern relativ schwer, manche hatten es versucht, zum Beispiel nachts durch die Havel zu schwimmen, nackt, schwarz angemalt, waren eingesperrt worden und dann abgeschoben. Ein Freund hat versucht, in einer amerikanischen Offiziersuniform über den Checkpoint Charlie zu kommen, in der Annahme, er würde nicht kontrolliert werden...
Unser Vergehen war eigentlich dieser diskursive Zusammenhang, die Kritik am System. Am Rande gab es immer Leute, die mehr wollten, bis hin zu solchen Fantasien des bewaffneten Aufstandes. Das war aber irreal. Zwei aus unserem Kreis, die in Babelsberg in der Stubenrauchstraße nahe der Mauer wohnten, schafften es, über die Mauer zu steigen. Eine berühmte Geschichte. Sie meldeten sich drüben im Notaufnahmelager und versuchten, Kontakt zum SDS aufzunehmen. Sie fanden an diesem einen Tag dort keinen Gesprächspartner und sind wieder zurückgekommen.
A: Sie wollten einen politischen Draht knüpfen...
In ihrem Selbstverständnis als Linke oder Sozialisten wollten sie mit den entsprechenden Partnern in West-Berlin Kontakt aufnehmen. Die sind da aber abgeblitzt als Spinner, es packte sie das große Heimweh, und sie sind unerkannt zurückgekommen. Hatten die Klopfstange an die Mauer gelehnt... So erzählten sie es. Der eine ging prompt ins Heider, erzählte: gestern war ich auf dem Kudamm. Der andere kam zu mir nach Hause, erzählte die Geschichte, hatte einen behelfsmäßigen BRD-Pass dabei, seinen Notaufnahmeschein. Wir verbrannten alles im Badeofen, und ich sagte: Wenn du jetzt ruhig bleibst, und Dings nichts sagt, kann euch nichts passieren. Aber der saß derweil schon im Heider und hat erzählt, was dann parallel von mehreren IM weitergegeben wurde. Die Stasi schlug schnell zu, am nächsten Morgen sind alle verhaftet worden. Alle, die auf dieser Party waren, von der aus die beiden in den frühen Morgenstunden des Vortages in den Westen gegangen sind. Ich war die einzige Ausnahme, weil ich an diesem Morgen, am Morgen der Verhaftungen, sehr früh ins Zivilverteidigungslager aufgebrochen war. Das war in Johanngeorgenstadt. Also um sechs, als die zuschlugen, saß ich schon im Zug. Die sind allerdings nach einem Tag wieder rausgekommen, weil sich offenbar der Onkel des einen, der damals noch im Politbüro saß,[Mückenberger] eingemischt hat. In den Akten, dem OV mit dem Namen „Anarchist findet sich eine handschriftliche Bemerkung von Mielke, wo er schreibt: Keine Verhaftungen im OV „Demagoge
, aus politischen Gründen. Man fürchtete den Skandal, dass der Neffe eines Politbüromitgliedes mal eben zu Besuch durch die Mauer geschlüpft ist. Seine Eltern verloren allerdings ihre Arbeit. Sein Vater war damals Chef der DEFA und wurde nun Chef der Schlösser und Gärten. Seine Mutter war Kaderchefin bei der DEFA und musste den Job aufgeben. Bei dem zweiten. war der Vater Dozent an der Kleinmachnower Parteihochschule, auch der hat seinen Job verloren. Der hat dann seinen Sohn verleugnet, hat behauptet, der Junge wäre nicht von ihm, der die DDR verrät.
Eine Frau, die zu unserem Umkreis gehörte, kam eines Tages zu mir und sagte: Bei mir wohnt ein Mädchen, in deren Tasche ich Durchschläge von Berichten an die Staatssicherheit gefunden habe. Das hat sie uns gezeigt. Dieses Mädchen gehörte zu unserer Gruppe. Wir überlegten nun, ob wir ein Untergrund-Tribunal abhalten wollen. Ich war dagegen, konnte mich durchsetzen mit dem Argument, dass statt ihrer ein anderer käme. Besser für uns war es, das zu wissen und uns entsprechend zu verhalten. Die Stasi wußte sofort von unserer Entdeckung, das Mädchen verschwand aus Potsdam, ich hab sie später in Magdeburg wiedergesehen. Die uns diese Berichte gezeigt hat, stieg in unserm Vertrauen, bei Akteneinsicht stellte ich fest, dass sie ebenfalls IM war. Die Stasi hat also bewusst eine IM geopfert, um die andere in eine Vertrauensstellung zu bringen. – All das hat das Misstrauen wachsen lassen, was dazu führte, dass die Gruppe in sich zerfiel. Oder besser: auseinander fiel. Der Neffe des Politbüromitgliedes wurde vor dem eigentlichen Termin zur Armee gezogen, der andere kam in einen Baubetrieb nach Brandenburg. Ein Dritter, eine wichtige Figur der Intellektuellenszene, versuchte zu flüchten, ist geschnappt worden, saß in Haft. Wie der rüberkommen wollte, weiß ich gar nicht. Ich weiß, dass wir uns am Abend vorher fürchterlich betranken im Heider. Wir waren nicht mehr Herr unserer Sinne; in dieser Nacht hat er es versucht. Der hat seine Zeit im Knast abgesessen, wollte aber in der DDR bleiben und hat sich mit verschiedenen Jobs durchgeschlagen. Vor zwei Jahren hat er Selbstmord begangen.
Skurrile Typen tauchten im Heider auf. Einer mit dem Spitznamen „Sülze kam rein, saß da, sagte den ganzen Abend nichts, trank vor sich hin, erhob sich plötzlich, zitierte Stirner, seine anarchistische Losung: „Es geht um nichts!
, und ging. Am nächsten Abend das Gleiche.
Der verleugnete Sohn war dann im Westen und wurde zum „Mauerspringer von Berlin". Peter Schneider hat diese Erzählung daraus gemacht.
A: In der Erzählung von Stephan Heym gehen die beiden Jungs mehrmals über die Mauer.
Das stimmt eben nicht. In beiden Geschichten nicht. Die sind einmal rüber und nicht wieder. Der eine ist hier geblieben, der andere in den Westen gegangen und wurde der „Mauerspringer". Er hat die DDR-Führung vom Westen aus erpresst: Wenn ihr meine Schwester nicht raus lasst, spring ich am 7. Oktober, dem Nationalfeiertag der DDR, über die Mauer, vor den Kameras der westlichen Welt. Die sind darauf eingegangen. Seine Schwester und dieser Anarchist, der versucht hatte, durch den Teltowkanal zu schwimmen, sind wirklich beide rausgekommen auf diesem Weg.
Nach der Wende nahm ich Akteneinsicht in den OV „Demagoge", habe einige Klarnamen der IM’s herausbekommen. Ich hab viel zur Staatssicherheit publiziert, die Namen aber nicht preisgegeben, das hätte ich, wenn jemand versucht hätte, auf hohem Niveau wieder politisch tätig zu werden. Meine IM’s waren nicht die engsten Freunde. Klaus Behnke, der Psychologe, hat als