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Der Himmel unter uns: Riveris, #1
Der Himmel unter uns: Riveris, #1
Der Himmel unter uns: Riveris, #1
eBook323 Seiten4 Stunden

Der Himmel unter uns: Riveris, #1

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Über dieses E-Book

Würdest du an deinen Prinzipien festhalten, auch wenn es dich zerstören könnte?

Jim, ein ehemaliger Ermittler der elitären Unterstadt, lebt ein eintöniges aber hartes Leben im Exil in der von extremem Wetter und Armut gezeichneten Oberstadt.
Als seltsame Dinge geschehen, die sogar zum Tod eines Kollegen und Freundes führen, ergreift er die Gelegenheit, dem tristen Alltag zu entkommen und der Sache auf den Grund zu gehen. Schnell wird klar, dass er einer riesigen Sache auf der Spur ist. Trotz der Schrecken, denen er in der Unterstadt begegnet, erkennt er die Chance für einen Neuanfang, der allen Bewohnern von Riveris mehr Gerechtigkeit bringen kann. Aber nicht alle wollen das bestehende System aufgeben, so dass sich Jim kurzerhand im Fadenkreuz der Drahtzieher wiederfindet.

Der Debütroman von Christian Grahn vereint Elemente aus Dystopie, Mystery, Krimi und Thriller zu einer düsteren, faszinierenden, fesselnden und spannenden Geschichte. Wenn du "Hunger Games", "Outer Limits" und Ähnliches magst, wirst du dieses Buch lieben.

SpracheDeutsch
HerausgeberChristian Grahn
Erscheinungsdatum4. Dez. 2017
ISBN9781393860075
Der Himmel unter uns: Riveris, #1
Autor

Christian Grahn

Christian wurde 1978 in Kiel geboren, aufgewachsen in Norderstedt, Abitur 1997, danach Grundwehrdienst bei der Bundeswehr, Ausbildung zum Tischler. Nach einem Jahr als Geselle nahm er in Detmold das Studium der Innenarchitektur auf, das er im August 2008 abschloss. Nach seinem Abschluss arbeitete Christian 2 Jahre bei einer Ladenbaufirma in Oststeinbek. Seit November 2010 arbeitet er bei einer Messebaufirma in Barsbüttel. Er zeichnet Messestände in 3D am Computer und erstellt die technischen Zeichnungen zum Bau der Stände. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Henstedt-Ulzburg, im Norden von Hamburg. Christian kam erst relativ spät zum Schreiben. Als begeisterter Rollenspieler hat er sich gerne Hintergrundgeschichten zu seinen Charakteren ausgedacht, aber immer nur im kleinen Rahmen. Jedoch wuchs allmählich das Interesse ganze Geschichten und Romane zu schreiben. Christian nutzt heute seine Zeit neben Beruf und Familie, um Science-Fiction- und Fantasygeschichten und -romane zu schreiben. Wer mehr erfahren möchte, der kann dies auf Christians Webseite www.christian-grahn.de tun. Dort kannst du dich für seinen Neuigkeitenbrief anmelden. Als Dankeschön gibt es kostenlos seine Novelle „Eindringlinge“ und seine Kurzgeschichte „Klon“.

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    Buchvorschau

    Der Himmel unter uns - Christian Grahn

    Der Himmel

    unter uns

    von

    Christian Grahn

    RIVERIS 1

    1

    ————

    Hinter mir fällt die Tür mit dem vertrauten Klicken ins Schloss. Ich drehe mich um und vergewissere mich, dass die Tür auch wirklich zu ist. Eine Marotte, die ich mir hier oben angewöhnt habe und nicht wieder loswerde. Wenn ich nicht prüfe, zermartere ich mir den restlichen Tag das Hirn, ob die Tür nun zu ist, oder nicht. Es ist ein Graus, aber es bleibt nur die Möglichkeit, es wirklich jedes Mal zu überprüfen.

    Ich gehe die kurze Treppe hinunter, schlage den Kragen hoch, hole die Schutzbrille vom Schirm meiner Mütze und setze sie auf, aber es ist zu spät. Der Sand ist schon unter meine Kleidung gekrochen und rieselt unangenehm den Rücken hinunter.

    »Du solltest dir wirklich angewöhnen, dich vor Verlassen des Hauses richtig anzuziehen, Jim.«

    David steht, wie jeden Morgen, am Fuße der kurzen Treppe auf dem alten verwitterten Bürgersteig. Den kapuzenbedeckten Kopf zwischen die Schultern gezogen, wirkt er noch kleiner, als er sowieso schon ist.

    »Man sollte meinen, das hätte ich inzwischen mal gelernt«, antworte ich.

    »Es ist ja nicht so, als ob ich dich jeden Tag daran erinnern würde.«

    »Manche Dinge ändern sich offenbar nie. So wie dieser ewige Sandsturm.«

    »Ach, das bisschen Sand. Komm, lass uns einfach schnell zur M-Bahn gehen.«

    David ist einer der Menschen, die immer gute Laune haben. Jeden Tag. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals schlecht gelaunt erlebt zu haben. Im Gegensatz zu mir, der durchaus mal morgenmuffelig sein kann.

    Wir sind kaum zehn Schritte gegangen, als David mir seinen Ellenbogen in die Rippen stößt.

    »Hast du auch die Haustür zugemacht?«

    »Ja, habe ich.«

    »Bist du dir auch ganz sicher? Geh’ lieber nochmal schnell zurück …«

    »Ja, ich bin sicher«, unterbreche ich ihn und kann das Grinsen förmlich durch das Halstuch vor seinem Mund sehen. »Die Zeiten sind vorbei, dass du mich damit ärgern konntest.«

    Je weiter wir die Straße zur M-Bahnstation entlang gehen, desto mehr Menschen stoßen zu uns. Sie kommen aus den Seitenstraßen und den Eingängen der umstehenden Gebäude heraus. Man kennt sich vom Sehen und grüßt sich knapp.

    »Hast du das von Louis gehört?«, fragt David.

    »Nein, was denn?«

    »Er hat gestern erzählt, dass die letzte Fensterscheibe in seiner Wohnung kaputt gegangen ist. Jetzt pfeift der Wind sogar ins Schlafzimmer hinein.«

    »Ach, verdammt. Hat er erzählt, wie es passiert ist?«

    »Der Wind hat offenbar irgendein Trümmerteil vor sich her gewirbelt, und das hat die Scheibe getroffen.«

    Mein Blick wandert unwillkürlich an dem nächststehenden Haus nach oben. Es ist ein dreistöckiges Mehrfamilienhaus. Die einst glatt verputzte Fassade ist mit kleinen Kratern übersät, Einschläge umherfliegender Gegenstände. An allen Ecken des Hauses nagt unablässig der Sand, schmirgelt Korn um Korn ab und der Wind trägt sie weiter in die Stadt hinein, wo sie ihrerseits an den Gebäuden fressen. Die meisten Fenster sind noch intakt. Das Haus auf der anderen Straßenseite hingegen ist viergeschossig, und im obersten Stockwerk sehe ich schon einige Fensteröffnungen mehr ohne Scheiben, notdürftig mit Laken oder alten Säcken verhängt, um wenigstens ein wenig Schutz vor dem Wind zu bieten. Je weiter man in die Innenstadt kommt, wo die Häuser immer höher werden, desto kaputter sind die oberen Stockwerke. Jetzt im Sommer ist es immerhin warm genug. Wenn im Winter die Blizzards durch die Stadt fegen, wird das Leben hier oben für viele zur Überlebensprobe.

    »Braucht er irgendwas?«, frage ich.

    »Er sagt, er käme soweit klar.«

    »Er soll sich melden, wenn er Hilfe braucht.«

    »Sag ich ihm, aber du weißt ja, wie schwierig es für ihn ist, Hilfe anzunehmen.«

    »Wir müssen sie wenigstens anbieten.«

    »Ganz deiner Meinung.«

    Der Sturm treibt uns weiter zur M-Bahn. Wir gehen die ausgetretenen und bröckelnden Steinstufen hinunter in die Haltestelle. Unten, am Treppenende, grüße ich wie immer die beiden Wächter, die in ihrer schwarzen Uniform und mit der sichtbar in ihrem Holster steckenden Betäubungspistole das Gefühl von Sicherheit vermitteln sollen. Wie immer erhalte ich keine Antwort, sie schauen mir nicht einmal mehr hinterher.

    »Ist es wirklich so schwer, einmal zurückzugrüßen? Das tut doch niemandem weh, oder?«

    »Ich muss sagen, ich bewundere deine Hartnäckigkeit. Jeden Tag versuchst du es …«

    »… und irgendwann werde ich Erfolg haben«, vollende ich Davids Satz. »Du wirst schon sehen.«

    »Ich werde vor allem sehen, wie du dann den Wächter mit offener Kinnlade anstarren wirst und gar nicht weißt, wie dir geschieht.«

    »Das bleibt abzuwarten. Ich habe mir alles schon ganz genau überlegt.«

    »Natürlich hast du das.«

    Ich nehme die Schutzbrille ab, als wir in das Halbdunkel der Haltestelle hineintreten. Einst der Stolz von Riveris, ist die alte Magnetbahn nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Haltestellen verfallen zusehends. Hier unten kann der Sand zwar nicht seine langsame und stetige Arbeit verrichten, aber auch hier fällt Putz von mit Farbe beschmierten Wänden, sammelt sich Müll in Ecken, vom Wind zusammengetragen und abgelegt. Alles ist von einer dünnen Schicht aus feinem Sand bedeckt.

    Die Bahn ist das einzige öffentliche Transportmittel der Stadt. Obwohl sie schon etliche Jahre auf dem Buckel hat, funktioniert sie tadellos. Regelmäßige Wartungen halten sie in Schuss, denn auch die Regierung weiß, dass ein funktionierendes Transportsystem alles in der Oberstadt am Laufen hält.

    David und ich reihen uns in die Wartenden ein. Wie Perlen auf einer Schnur stehen wir auf dem Bahnsteig. Der Luftzug aus dem Tunnel kündigt den herannahenden Zug an. Ich schließe die Augen, nehme die Mütze ab und konzentriere mich auf das Gefühl, wie die Luft über mein Gesicht streicht. Wind ohne Sand, der mir meine schwarzen Haare zerzaust.

    Beinahe lautlos fährt der Zug in die Haltestelle ein, nur begleitet vom leichten Brummen der Elektromagneten, die den Zug gleichmäßig bis zum Stillstand abbremsen. Er ist noch fast leer. Unsere ist erst die zweite Haltestelle der Linie. Wir setzen uns auf eine freie Sitzbank und ich hefte meinen Blick auf einen Fleck zwischen meinen Füßen. Die Bahn fährt los und augenblicklich erwachen sämtliche Glasscheiben zum Leben, zeigen die üblichen Werbe- und Propagandafilmchen. Alles wird schön geredet, dass mit genug fleißiger Arbeit ein Platz in der Unterstadt wartet. Ich höre schon lange nicht mehr hin. Noch nie habe ich von einem normalen Bürger gehört, der oben geboren wurde und dann als Belohnung für gute Arbeit nach unten ziehen durfte. Weder in meiner Zeit unten, noch in den drei Jahren, die ich inzwischen hier oben leben muss. Das passiert nur bei den Wächtern, nachdem sie lange Zeit gedient haben.

    David macht sich immer einen Spaß daraus, die Leute zu beobachten, wie sie auf die Berieselung reagieren. Einige versuchen, wie ich, sie so gut es geht zu ignorieren, aber viele sehen hin und ab und zu entstehen sogar Diskussionen. Die Meinungen können dabei ganz schön auseinandergehen, aber es kommt nie zu einem handfesten Streit. Niemand möchte einen Zwischenfall auslösen, an dessen Ende die Beteiligten an der nächsten Station von Wächtern aus dem Waggon gezerrt werden. Nicht alle kommen von diesen Befragungen zurück.

    Wieder stößt David mir seinen Ellenbogen in die Seite und deutet mit einem Nicken auf das Fenster gegenüber. Eine Nachrichtensprecherin trägt eine Meldung vor.

    »… hat es erneut eine Explosion gegeben. Ziel der Rebellen war dieses Mal die Bahnlinie vier. Soweit bekannt ist, wurden keine Menschen getötet, aber etliche wurden verletzt. Bis auf weiteres bleibt die M-Bahn zwischen …«

    »Linie vier dieses Mal. Na, ich bin froh, dass es nicht auf unserer Linie ist und wir wieder latschen müssen.«

    »Also ich bewundere die Beharrlichkeit der Rebellen«, flüstere ich, dass nur David mich hören kann. »Sie schaffen es immer wieder, mit ihren begrenzten Mitteln den Fluss des normalen Lebens zu stören.«

    »Ich weiß, aber ich finde, es bringt nichts. Mit ihren Aktionen ziehen sie doch nur den Groll der Verletzten auf sich.«

    Ich antworte nicht auf Davids letzte Bemerkung. Wir haben unterschiedliche Einstellungen zum Widerstand gegen die Regierung und schon so manche hitzige Debatte geführt, nur um zu merken, dass jeder auf seiner Meinung beharrt und sich dem jeweils anderen kein bisschen annähert. Glücklicherweise hat das nie etwas an unserer Freundschaft geändert.

    Während wir der Endhaltestelle immer näher kommen, füllt sich der Zug mehr und mehr. Bald sind alle Sitzplätze belegt und die Menschen müssen in den Gängen stehen. Einer der Passagiere tritt mir auf den Fuß, hebt aber sofort entschuldigend die Hand. Ich nehme es ihm nicht übel, bei dem Gedränge kann das passieren.

    Kurz bevor man glaubt, dass nicht noch mehr Menschen in den Zug hinein passen, erreichen wir die Endhaltestelle und alle strömen auf den Bahnsteig hinaus. David und ich lassen uns Zeit, erheben uns erst, als der Großteil ausgestiegen ist.

    »Hey Kumpel«, sage ich zum Wächter an der Treppe nach oben, ernte wieder nur Schweigen und sehe aus dem Augenwinkel, wie David den Kopf schüttelt.

    »Setz’ lieber Mütze und Brille auf«, sagt er.

    Richtig, fast hätte ich es wieder vergessen.

    Als wir das obere Ende der Treppe erreichen, weht uns der Sand mit voller Wucht entgegen. Die umstehenden Gebäude bilden hier eine Art Trichter und sorgen dafür, dass der Sturm hier viel stärker als bei uns zu Hause ist. Den Kopf zur Seite gedreht, sehe ich den Unrat, der sich an den Fassaden der umstehenden Hochhäuser stapelt. Wer glaubt, bei uns sei es schlimm, der ist noch nie hier in der Innenstadt gewesen.

    Wir erreichen das Gelände der Halle, in der wir arbeiten. Ich übersehe eine Kante im Boden, stolpere und falle gegen den Zaun. Obwohl er aus dicken Metallstangen besteht, reicht die Erschütterung aus, den Stacheldraht auf der Spitze des Zaunes zum Scheppern zu bringen.

    »Verdammte Scheiße. Au.« Dumpfer Schmerz in der Schulter.

    Sofort kommt einer der schwer bewaffneten Wächter hinter dem Zaun auf mich zu.

    »Hey, pass gefälligst auf!«

    »Schon gut, ich bin nur gestolpert, es ist mir nichts passiert.«

    »Los, sieh zu, dass du weiterkommst.«

    »Na, das ist ja ein besonders liebenswürdiges Exemplar«, zischt David durch die Zähne, nachdem ich mich wieder aufgerappelt habe. »Wo die die nur immer wieder herkriegen.«

    Wir passieren die großen Schiebetore im Zaun für die Lastwagen, biegen um eine Ecke und sehen die kleine Menschenschlange vor der Sicherheitsschleuse.

    2

    ————

    Es sind unsere vier Arbeitskollegen, die Jungs. Sven, Connor, Louis und Antonio leben in anderen Bereichen der Oberstadt, nehmen daher eine andere Bahnlinie oder gehen zu Fuß. Wir treffen sie jeden Morgen immer erst hier.

    »Guten Morgen«, begrüßt David die vier. Seine gute Laune ist ungebrochen.

    Die vier grüßen zurück und David schnappt sich gleich Louis und geht mit ihm ein paar Schritte zur Seite.

    »Morgen zusammen«, werfe ich in die Runde. Es klingt genervter, als ich es beabsichtigt hatte.

    »Hey Jim, hast du heute Morgen schlecht geschissen oder warum bist du so mies drauf?«, begrüßt mich Sven auf seine typisch rüde Art. Sein erwartungsfrohes Gesicht ob meiner Reaktion auf seinen seiner Meinung nach großartigen Spruch kehrt schnell in den Normalzustand zurück, als ich nur mit einem leichten Hochziehen meines linken Mundwinkels antworte. Sein Auftreten ist überhaupt nicht meins. Er hat kein Niveau, seine rüden Sprüche sind einer schlimmer als der andere und gehen vielfach voll unter die Gürtellinie. Müsste ich nicht mit ihm zusammenarbeiten, würde eine Schlägerei keine Bestrafung nach sich ziehen und wäre ich nicht ein friedliebender Mensch, hätte er schon das eine oder andere Mal meine Faust in seinem Gesicht gespürt. Er provoziert mich bewusst, weiß, dass ich es nie zu einer Schlägerei kommen lassen würde. Warum er das macht, weiß ich nicht. Als ich in die Oberstadt kam, war er nicht so und wir verstanden uns eigentlich ganz gut. Aber innerhalb von drei Monaten oder so änderte er sein Verhalten mir gegenüber. Ich vermute, es ist eine Art Schutzreaktion. Er hat Angst, dass ich ihm seinen Posten streitig machen will. Ihm fehlen nur noch ein paar Jahre bis zum Ruhestand und die will er in Ruhe in einem sicheren Job verbringen. Beweise habe ich nicht, aber es ist meine beste Theorie. Denn auch ich möchte einfach nur meine Arbeit hier machen, nicht mehr und nicht weniger.

    Wie immer sind wir zu früh. Erst um Punkt halb acht öffnen die Wächter das Tor im Zaun. Somit bleibt Zeit für Smalltalk, nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Glücklicherweise erledigt David das meistens. Er ist darin ein Meister und die anderen sind ein dankbares Publikum.

    »Dann mal hereinspaziert die Damen«, begrüßt uns ein gelangweilter Wächter und öffnet das schwere Gittertor. Die Wächter hier bei uns sind die einzigen, die uns begrüßen. Keine stummen Statuen wie die an den Bahnstationen.

    Ich hole meinen Ausweis aus der Jackentasche. Er ist das Wichtigste, was ich besitze und an einem Band innerhalb der Jackentasche festgemacht. Ohne Ausweis keine Arbeit und, viel wichtiger, ohne ihn kann ich nichts kaufen. Er ist Identifikationsdokument, Zugangskarte und Zahlungsmittel in einem.

    Einer nach dem anderen wird unsere kleine Gruppe abgefertigt. Die Prozedur ist jeden Tag genau gleich: Der Ausweis wird gescannt, Taschen werden durchleuchtet, wir werden abgetastet und setzen danach unseren Weg zur Halle fort. An der Laderampe steht schon der erste Laster für heute.

    Durch die Eingangstür gelangen wir direkt in den Umkleidebereich. Sofort steigt mir der Geruch von kaltem Schweiß in die Nase. Obwohl die Umkleide direkt an der Außenwand der Halle liegt, gibt es weder Fenster noch sonst eine Lüftung, was in meinen Augen eine absolute Fehlkonstruktion ist. Hartnäckig hält sich der strenge Geruch im Raum und wird die Menschheit sicherlich überleben.

    Ich öffne meinen Spind, lege meine kleine Umhängetasche, mit meinem Mittagessen darin, hinein und hole den Arbeitsoverall heraus. Ich rümpfe die Nase. »Der könnte auch mal wieder eine Wäsche vertragen«, sage ich mehr zu mir selbst. David neben mir wirft mir einen fragenden Blick zu, aber ich schüttele nur knapp den Kopf.

    Nachdem wir uns umgezogen haben, machen wir uns auf in die große Halle und verteilen uns entsprechend unseren Aufgaben. David geht zum Ende der Halle, zu den großen Schleusen, und beginnt sie eine nach der anderen zu öffnen. Sven öffnet das große Rolltor zur Laderampe. Connor und Antonio schlüpfen schon im Hochfahren des Tores nach draußen, um die Türen des Lasters zu öffnen. Louis und ich gehen zu unseren Elefanten. Die zweieinhalb Meter großen Lastenroboter stehen noch in ihren Ladestationen an der gegenüberliegenden Wand. Wie fast jeden Tag fallen mir die überproportional großen Greifer am Ende der mechanischen Arme auf. Die Maschine sieht so aus, als müsste sie bei jedem Schritt nach vorne umfallen. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall, sie ist perfekt ausbalanciert. In den sechs Meter hohen Schwerlastregalen über ihnen befinden sich noch Warenwürfel. Gestern war der Andrang sehr groß. Wir hatten sehr viele Laster. Die Würfel müssen noch geschleust werden, aber das Entladen der Laster geht immer vor. Ich steige ein und während ich mich festschnalle, sehe ich durch das Tor schon den zweiten Laster vorfahren.

    »Ich den rechten, du den linken«, rufe ich Louis zu, der gerade ebenfalls seine Sicherheitsgurte festzieht.

    »In Ordnung.«

    Ich drücke den Startknopf meines Elefanten und mit einem Brummen erwacht der Elektromotor in meinem Rücken. Ich ergreife die beiden Steuerknüppel und verlasse mit dem ersten Schritt meine Ladestation. Nach dem obligatorischen Funktionscheck der Arme und Beine der Maschine stapfe ich hinaus auf die Rampe. Connor hat die Türen meines Lasters geöffnet und ich kann anfangen zu entladen. Die ersten beiden Warenwürfel sind rot gekennzeichnet. Priorität eins. Sie müssen als erstes durch die Schleusen. Ich bekomme von David Schleuse eins zugewiesen, als ich mit dem Würfel in den Greifarmen wieder in die Halle stapfe. Der Würfel passt genau hinein. Um ihn herum ist kaum Platz. Man muss die Steuerung des Elefanten mit Gefühl bedienen, um nicht aus Versehen gegen die Schleuse zu stoßen und womöglich dabei etwas zu beschädigen. Auf meinem Rückweg höre ich hinter mir das vertraute Quäken der Alarmsirene, als David die Schleuse schließt.

    Louis und ich haben die beiden ersten Laster schnell leergeräumt, somit haben wir Zeit für eine kurze Pause. Schon merkwürdig. Man ist hier so dicht dran, aber doch unendlich weit weg. Jeden Tag arbeite ich an dem einen von überhaupt nur zwei Zugängen zu dem Ort, den alle hier oben als das Paradies empfinden, und ich weiß genau, dass ich ihn nie wieder erreichen werde. Dabei bin ich nur ein paar Meter entfernt.

    Wieder frage ich mich, wie man es überhaupt soweit hat kommen lassen. Eine eigene Stadt für die Elite, nur zwei Verbindungen nach oben um zwar Unerwünschte heraus, aber gleichzeitig, was viel wichtiger ist, niemanden aus der Oberstadt hinein zu lassen. Wenn David per Knopfdruck die Schleusen schließt, werden sie evakuiert und das Vakuum für eine Viertelstunde aufrechterhalten, um blinde Passagiere jeder Art zu töten. Danach kann die Schleuse nur von der Unterstadt aus geöffnet werden. Wenn sie geleert wurde, wird sie drüben wieder geschlossen, damit wir sie wieder öffnen und aufs Neue bestücken können. Ein verachtenswertes aber leider effektives System, um die Unterstadt sauber zu halten und mit allem zu versorgen, was hier oben hergestellt und produziert wird. Warum gab es damals nicht mehr Proteste? Es muss doch eine allmähliche Entwicklung gewesen sein. Aber vermutlich ist genau das der Grund, warum es funktioniert hat. Wenn wir Menschen aber doch alle gleich sind, warum gibt es dann diese Teilung? Weil einige eben gleicher sind als andere. Immer werden sich welche für besser und würdiger halten als andere und die halten das ganze System aufrecht. Warum versuche ich nicht etwas zu unternehmen? Aber als einzelner werde ich nichts erreichen. Sollte ich versuchen, Kontakt zu den Rebellen herzustellen? Auch wenn ich nicht weiß, wen ich ansprechen muss, um den Kontakt herzustellen, müsste ich es eigentlich versuchen. Aber andererseits möchte ich doch nur mein Leben so ruhig wie möglich leben. Und genau da liegt der Hund begraben. Das wollen alle und deswegen ändert sich nichts. Die Not ist offenbar nicht groß genug.

    »Jim, Kundschaft«, reißt Sven mich aus meinen Gedanken.

    3

    ————

    Ich durchschreite gerade das Rolltor mit dem letzten Warenwürfel von meinem Laster, als ich sehe, wie David zu Sven nach vorne an die Rampe kommt. Ich stapfe weiter zum Regal für wichtige Würfel und verstaue meinen in einer Parkposition. David und Sven sind unterdessen zur Schleuse Nummer Eins gegangen, wo David nun wild gestikuliert. Er zeigt auf die anderen Schleusen und auf die wartenden Warenwürfel. Ich runzele die Stirn, als Sven zu mir rübersieht und mich zu ihm und David heranwinkt. Ich parke den Elefanten, steige aus und gehe zu den beiden hinüber.

    Als ich mich nähere, erkenne ich einen fragenden und sorgenvollen Blick in ihren Gesichtern.

    »Was ist denn los? Ihr seht aus, als würde eine Regenwolke direkt über euch hängen.«

    »Lass den Quatsch, Jim. Irgendetwas stimmt hier nicht.« Ich habe den breitschultrigen blonden Hünen noch nie so ernst gesehen. Fragend schaue ich David an.

    »Die Schleusen werden nicht geleert«, sagt er knapp.

    »Was heißt das, nicht geleert?«

    »Stell dich doch nicht dümmer als du bist«, raunzt Sven mich an. »Die Schleusen werden von der anderen Seite nicht geöffnet und leer gemacht. David sagt, dass Schleuse eins eigentlich längst wieder offen sein sollte, aber es passiert nichts.«

    David nickt.

    Ungläubig trete ich an die Schleusentür heran und schaue durch das kleine Sichtfenster. Im Inneren ist der rot markierte Würfel zu sehen. »Tatsächlich. Der Würfel ist noch drin.«

    »Natürlich ist er noch drin. Hast du mir überhaupt zugehört?«

    »Hey, ruhig bleiben«, glättet David die Wogen und als ich etwas erwidern will, schneidet er mir das Wort ab: »Das gilt auch für dich, mein Lieber.«

    Ich sehe, wie sich Connor, Louis und Antonio unserer kleinen Gruppe nähern. »Was sollen wir tun?«, frage ich Sven. »Ist es vielleicht nur ein technischer Defekt?«

    »Was ist denn hier los? Warum steht ihr alle hier rum?«, fragt Connor, als die drei uns erreichen.

    Ohne ein Wort von Sven wendet sich David den drei Jungs zu und geht mit ihnen ein paar Schritte zur Seite, während ich bei Sven bleibe.

    »So etwas ist in den fünfzehn Jahren, die ich nun schon hier arbeite, noch nicht passiert. Eine solche Störung ist etwas völlig Neues.«

    »Solch eine Störung? Gab es denn andere? Seitdem ich hier arbeite, ist immer alles in Ordnung gewesen.« Ich spüre, wie in meinem Kopf lange nicht mehr bewegte Zahnräder ächzend wieder in Schwung kommen: Meine Neugier, Dingen auf den Grund zu gehen. Ein Verlangen, das ich seit dem Zwischenfall, der mich überhaupt erst hierher gebracht hat, mühsam unterdrückt habe. Wehe, wenn man erwischt und verpfiffen wird, weil man seine Nase in Dinge steckt, die einen nichts angehen. Hier aber scheint es möglicherweise ein Rätsel zu geben, welches es zu lösen gilt.

    »Ja, es gab schon Störungen, aber alles war immer nur im kleinen Rahmen. Dass mal an einem Elefanten etwas kaputt ging und wir dadurch in Zeitnot bei der Verschiffung kamen, dass eine Schleuse mal nicht richtig das Vakuum herstellen konnte, solche Sachen. Technische Defekte, wie du eben erwähntest.«

    Ich schaue rüber zu David, der die Jungs offensichtlich vorerst ins Bild gesetzt hat und zu uns hinüber schaut. Ich will ihn gerade wieder zum Gespräch dazu holen, da er auch schon lange hier arbeitet und die Schleusen sehr gut kennt, als Sven noch etwas hinzufügt: »Und dann war da natürlich der Sturm auf die Unterstadt.«

    Davon hatte ich gehört. Sven war direkt dabei gewesen. Er hatte schon öfter Teile davon erzählt, aber nie die ganze Geschichte.

    »Was ist damals genau passiert?«

    »Es muss jetzt ungefähr zehn Jahre her sein. Eine kleine Gruppe Männer aus dem Westviertel hatte es irgendwie geschafft, sich in einem der Laster zu verstecken. Sie hatten Knüppel dabei, und als wir, wie gewohnt, die Türen des Lasters öffneten, stürmten sie hinaus, prügelten auf uns ein und schleppten

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