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Alles Liebe, deine Angst
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eBook241 Seiten3 Stunden

Alles Liebe, deine Angst

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Über dieses E-Book

Jeder hat eine Leiche im Keller, das sagt sich so leicht dahin. Doch was, wenn das gar nicht so weit hergeholt ist?

Emma landet im Krankenhaus und kann sich an nichts erinnern. Nachtschwester Anna hilft ihr, die davonfliegenden Gedächtnisfetzen
einzufangen. Weiberheldin Mila mogelt sich gekonnt in beider Leben, während sie mit bloßen Fäusten gegen die Monster aus ihrer Vergangenheit kämpft.

Wohin führt Leidenschaft? Wohin Liebe?
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum16. Jan. 2020
ISBN9783959493406
Alles Liebe, deine Angst

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    Buchvorschau

    Alles Liebe, deine Angst - Julia Dankers

    Epilog

    Prolog

    Während ich zwischen den verhedderten Laken liege, die verräterisch nach dir duften, streift dein düsterer Schatten mein Gesicht. Meine Handgelenke fühlen sich taub an. Der Schmerz, den die eiskalten, engen Handschellen auf meiner Haut hinterlassen, ist kaum spürbar.

    Behutsam streifen deine Fingerkuppen die feine Gänsehaut auf der Innenseite meiner Unterarme. Ich sinke noch ein Stückchen tiefer in die zerschlissene, weiche Schaumstoffmatratze hinein, die mich ein bisschen an die Monster aus den Albträumen meiner frühen Kindheit erinnert.

    Als dein sehniger Körper sich über meinen legt, schnappe ich mühsam nach Luft, die hier drinnen viel zu dünn ist. Staubflocken tanzen im flirrenden Licht, das durch den schmalen Spalt unter dem Vorhang hereinkriecht. Freudlos wirken sie dabei. Sie können gar nicht anders, weil sie keinen eigenen Willen haben. Beinahe wie ich, die ich nichts anderes tun kann, als den Mund zu öffnen und deine stillen, staubigen Küsse herunterzuschlucken. Einen nach dem anderen, bis ich vergesse, dass ich nicht fortlaufen kann.

    Der feine Schweißfilm auf meinem Bauch vermischt sich mit deinem. Mein Körper gehorcht den Gesetzen der Natur. Die Schwerkraft und deine Nähe machen ihn träge und benommen.

    Mein Kopf schwebt davon, hinauf in den Himmel. Ein wenig fühlt er sich an wie ein Heißluftballon auf dem Weg in ein Paralleluniversum. Unten stehst du, in leicht gebückter Haltung, mit Pfeil und Bogen in den Händen. Wenn du schießt, werde ich fallen.

    Kapitel Eins

    Emma

    Ich atme regelmäßig ein und aus. Mit geschlossenen Augen zwinge ich mich, weiterzuruhen. Der Schlaf heile alle Wunden, sagt man immer so leicht dahin. Ich bin mir sicher, dass ich verwundet bin. Mein Fuß fühlt sich wie ein dicker, formloser Klumpen an, in dem das Blut unter dumpfen Schmerzen pulsiert.

    Urplötzlich flutet gleißendes Licht den Raum. Auch ohne die Augen zu öffnen, nehme ich es wahr. Die Geräusche, die durch die geöffnete Tür hereindringen, hören sich vertraut an. Gummirollen werden quietschend über PVC geschoben und Geschirr klappert viel zu laut durch die watteweiche Decke des leichten Schlafes. Wenn ich die Augen geschlossen halte, bin ich vielleicht gar nicht da, beschließe ich, obwohl ich weiß, wie albern das ist, wenn man älter als zehn Jahre ist.

    »Guten Morgen, Frau Sütterlin«, ertönt eine sanfte Stimme mit leicht polnischem Akzent ein paar Meter von mir entfernt. »Wie geht’s uns denn heute?« Ein Blutdruckgerät wird aufgepumpt, dreimal, viermal, fünfmal. Niemand antwortet. Stattdessen kann ich jemanden schnarchen hören. Ich selbst habe das noch nie getan, erinnere ich mich, während sich der Raum mit dem Duft frisch aufgebrühten Kaffees füllt.

    »Frau Sütterlin«, drängt die Stimme beharrlich. Die Dame scheint das herzlich wenig zu interessieren, denn ihr geräuschvoller Atem wird noch ein kleines bisschen lauter.

    »Sie müssen jetzt aufwachen. Es ist Zeit für Ihr Frühstück und Ihre Tabletten. In einer halben Stunde findet die Visite statt«, schickt die unbekannte Frau hinterher.

    Ich mag ihren Akzent und die Stimmfarbe und male mir aus, wie die Person dazu wohl aussieht. Ein bisschen mollig vielleicht, aber durchaus trainiert, mit dicken, blonden Korkenzieherlocken, die ihr Gesicht einrahmen wie eine besonders gelungene Fotografie. Immer wenn sie das »R« rollt, schiebt sich ihre Zungenspitze ein klitzekleines Stückchen zwischen ihren vorderen Zähnen hindurch. Das sieht in meiner Vorstellung niedlich aus und ein bisschen frivol. In meinem Bauch gluckst es, so, als wolle sich ein Lachen darin breit machen, obwohl es vermutlich keinen Grund dafür gibt.

    Das Schnarchen hört jäh auf.

    »Waaas?«, kreischt plötzlich eine Stimme im Raum, der sich ziemlich groß und geräumig anhört. Von den Wänden herab hallt ein leises Echo.

    »Frau Sütterlin, immer mit der Ruhe«, beschwichtigt die Stimme mit dem himmlischen Akzent. »Sie haben geschlafen. Es tut mir leid, falls ich Sie erschreckt habe. Ihr Blutdruck ist in Ordnung und Fieber haben Sie auch keines. Kein Grund zur Sorge also. Ihr Frühstück steht schon bereit. Guten Appetit.« Geschäftig schreitet die Frau durch den Raum, fünf lange Schritte bis zum Fenster, um es zu öffnen. Eiskalte Nachtluft kitzelt meine Nasenspitze.

    »Kein Grund zur Sorge also, Schwester?«, entgegnet die schnarrende Stimme der Frau Sütterlin. »Wenn Sie in meinem Alter mit einem Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus lägen, hätten Sie ganz sicher einen Grund, sich ernsthaft Gedanken zu machen. Immerhin bin ich schon einundachtzig und es ist unklar, ob ich meine Genesung noch erleben werde.«

    Frau Sütterlin ist definitiv kein Morgenmensch, stelle ich fest und grinse verstohlen. Angestrengt versuche ich, mein Gesicht glattzuziehen, damit die Krankenschwester nicht bemerkt, dass ich wach bin. Immerhin werde ich mich mit dem, was passiert ist, auseinandersetzen müssen, sobald ich mich nicht mehr schlafend stelle.

    »Ja, Frau Sütterlin«, stimmt die Pflegerin zu, während sie Geschirr hin- und herräumt. Ich mag den leichten Spott in ihrer Stimme, der überhaupt nicht anmaßend wirkt.

    »Frau Seidel.« Sie tippt mir behutsam auf die Schulter. »Guten Morgen. Ich weiß, dass Sie nach der Operation letzte Nacht müde sind. Aber Sie müssten jetzt trotzdem mal wach werden!« Die Krankenpflegerin legt ihre Hand für ein paar Sekunden auf meine Wange, bevor sie die Manschette des Blutdruckmessgerätes um meinen Oberarm schlingt und pumpt. Sie ist mir so nah, dass ich ihr blumiges Parfüm riechen kann und einen leichten Hauch frischen Schweißes, der sich darunter hervorstiehlt. Ich mag ihren Geruch.

    »Guten Morgen«, krächze ich benommen, bevor ich in ihre Augen blicke, die dunkelbraun wie geschmolzenes Nougat schimmern. Die Welt dreht sich um mich, während ich versuche, einen Punkt an der Decke zu fixieren, weil mir so schwindelig ist. Nach drei oder vier konzentrierten Atemzügen wird mir klar, dass eine andere Position auch gar nicht möglich ist, weil mein Fuß in einem dicken Verband auf einer Art Schaumstoffschiene fixiert ist.

    Schräg über mir hängt ein Tropf, der mich durch eine dünne Kanüle, die in meinem Handrücken steckt, stetig mit Flüssigkeit versorgt.

    »Guten Morgen, Frau Seidel«, wiederholt die Pflegerin lächelnd. »Erinnern Sie sich daran, was passiert ist?« Geschäftig schiebt sie mir ein Thermometer ins Ohr und liest es nach dem Piepen ab. Sie ist mittelgroß und muss sich ein Stückchen herunterbeugen. Ihr dunkelblondes Haar trägt sie zu einem straffen Zopf gebunden und ein paar ihrer leicht gewellten Strähnen fallen ihr locker in die Stirn. Mühsam widerstehe ich dem Drang, sie ihr in einer beiläufigen Geste aus dem Gesicht zu wischen. Mit ihrem Aussehen habe ich mich also ein bisschen verschätzt, nicht aber mit der Tatsache, wie sie die Zungenspitze herausstreckt, wenn sie das »R« rollt.

    »Nein«, krächze ich, »im Moment kann ich mich nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin. Ich fühle mich so, als hätte ich die ganze Nacht durchgesoffen.« Das trifft es am besten, schätze ich. Mein Kopf fühlt sich an wie nach einem schweren Erdbeben und mein Fuß ist eine völlig zerbombte Version seiner selbst.

    »Sie hatten einen Unfall«, erklärt die attraktive Pflegerin. »Daran können Sie sich bestimmt noch erinnern, oder?« Resolut stemmt sie die Hände in die Hüften und mustert mich. Mit einer totalen Amnesie lässt sie mich nicht davonkommen, so viel ist sicher. Sie wird mich zwingen, mich zu erinnern, wenn ich es nicht von selbst mache.

    »Ja, so ungefähr«, gestehe ich und krame in meinem Gedächtnis. »Ich bin mit dem Auto unterwegs gewesen. Nach Hause. Da draußen hat ein Schneesturm getobt. Ein grelles Licht von vorne … Dann ist da die Leitplanke …« Ein lauter Knall, als ob Metall unsanft seinesgleichen küsst. Ich erinnere mich deutlich an die Funken vor dem Aufprall und die darauffolgende Dunkelheit, in die ich erst jetzt das Licht hineinlasse – wie einen viel zu lauten Gast, der sich selbst eingeladen hat.

    »An mehr erinnern Sie sich nicht?«, versucht die Pflegerin ein paar weitere Informationen aus mir herauszukitzeln. Wenn sie lächelt, tanzen zwei Grübchen heiter um ihren Mund herum.

    »Nein, mehr nicht«, gestehe ich achselzuckend. »Danach ist alles schwarz wie die Nacht.« Ich hasse es, einen Filmriss zu haben. Und ohne den Rausch zuvor kommt mir dieser hier noch sinnloser vor.

    »Sie haben eine Gehirnerschütterung und einen komplizierten Bruch des Sprunggelenks erlitten. Zwei Rippen sind ebenfalls geprellt. Aber sonst ist nichts passiert«, erklärt die Krankenschwester gestenreich. Ich mag es, wie sie ihre Arme durch die Luft rudern lässt, als wolle sie die Welt einfangen.

    »Wie lange muss ich bleiben?«, frage ich leise. Vielleicht möchte ich die Antwort gar nicht hören. Automatisch grabe ich meine Fingerkuppen tiefer in die dünne Krankenhausdecke.

    »Fünf oder sechs Nächte, schätze ich.« Die Schwester nickt und streicht eine ihrer störrischen Strähnen hinters Ohr. »Das wird der Arzt bei der Visite erklären. Ihr Wadenbein wurde im Bereich des Knöchels mit einer Metallplatte und fünf Schrauben fixiert. Das heißt, Sie werden mindestens sechs Wochen nicht auftreten dürfen. Ich weiß, das ist keine tolle Neuigkeit. Aber denken Sie immer daran: Es hätte wirklich deutlich schlimmer ausgehen können.« Dann hebt sie mein Kinn ein bisschen mit Daumen und Zeigefinger an und mustert mich ernst.

    »Deutlich schlimmer«, stellt sie mit Nachdruck fest. »Um acht Uhr findet die Visite statt, danach werden Sie zum Röntgen abgeholt. Ich bin Nachtschwester Anna. Mein Dienst endet jetzt und die Damen von der Tagschicht sind gleich hier.« Dann bettet sie meinen Kopf vorsichtig zurück ins Kissen und wendet sich ab, um mir Kaffee und ein Marmeladenbrötchen auf das hohe, ausklappbare Nachttischchen zu stellen.

    Kapitel Zwei

    Mila

    Sag mal, spinnst du eigentlich?«, schnauzt Eva mich an. Ihre Gesichtsfarbe ähnelt der knallroten Wand ihres Wohnzimmers. Wer zur Hölle streicht seine Wohnzimmerwand auch in dem Ton? Da ist doch klar, dass irgendwann die Stimmung kippt.

    »Du tauchst hier mitten in der Nacht mit Knutschflecken am Hals auf, als seist du vierzehn und nicht sechsundzwanzig. Und wenn ich dich frage, was der Mist soll, zuckst du allen Ernstes die Schultern, als sei dir das alles völlig egal? Mila! Jetzt rede endlich!« Evas Mimik switcht zwischen wütend und verzweifelt hin und her. Menschen in ihrer Verfassung wirken schwächer und deutlich weniger erotisch auf mich.

    Unter Evas Augen liegen dunkle Ringe und die feinen Fältchen um ihre Augen hängen müde herab. Wenn sie lacht, zeichnen sie ihr Gesicht markanter und spannender. Im Moment erinnert sie mich nicht an die Frau, die ich vor einem halben Jahr aus der Bar am Hafen abgeschleppt habe. In Ermangelung einer vorzeigbaren Bleibe sind wir bei ihr gelandet. Das war vor haargenau fünf Monaten und dreiundzwanzig Tagen. Seitdem wohne ich in ihrer kleinen, aber schicken Zweizimmerwohnung mitten in der Innenstadt.

    »Es ist mir nicht egal«, murmele ich müde und rolle mich unter der dicken Wolldecke auf dem Sofa zusammen wie ein verschmustes Hündchen. »Meine Güte, sei doch nicht so verdammt spießig!«

    »Spießig nennst du mich? Sag mal, geht’s noch?« Eva rauft sich die raspelkurzen, hellblond gefärbten Haare und baut sich vor mir auf wie ein durchgedrehter Sumoringer. Dabei ist sie total schlank. Kleine Schweißperlen bilden sich auf ihrer Stirn und rollen nacheinander in geordneter Formation ihre Wangen hinunter bis in ihren Ausschnitt. Sie trägt nur ein verwaschenes Herrenunterhemd über der Jeans. Fasziniert beobachte ich das Spiel ihrer Nackenmuskeln, während sie ihre Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Nasenflügel zittern verdächtig, so wie immer, kurz bevor ihre Stimmung kippt.

    Wut ist ein starkes Gefühl. Aber Angst ist stärker. Denn sie macht die Menschen verletzlich. Ich selbst habe mir vor etwas über zehn Jahren geschworen, sie niemals wieder zu zeigen. Mein Herz klopft verdächtig, bis hoch in meinen Hals. Gleichmäßig atme ich ein und aus, als würde ich tatsächlich schlafen und schlucke ein bisschen von dem pelzigen Geschmack auf meiner Zunge in meinen knurrenden Leib zurück.

    »Nein«, murre ich. »Eigentlich geht gar nichts. Zwischen uns, meine ich. Wann hast du das letzte Mal mit mir geschlafen? Wann hast du überhaupt mal irgendwas anderes gemacht, als zu arbeiten oder in deinem beknackten Fernsehsessel herumzusitzen? Mein Gott, du bist achtunddreißig und keine Rentnerin, die um neun Uhr abends ins Bett kriecht, weil der Pflegedienst das Licht ausmacht. Kein Wunder, wenn ich allein ausgehe, oder?«

    Ächzend richte ich mich auf und sortiere meine Gliedmaßen neu. Definitiv hätte ich die letzten zwei, drei Biere gestern nicht mehr trinken dürfen. Am liebsten würde ich auf der Arbeit anrufen und mich krankmelden. Aber das würde bedeuten, dass ich mir den ganzen Tag über Evas Schuldzuweisungen anhören müsste, denn sie hat heute ausnahmsweise frei. Da scheint mir, mit einem Mordskater zu arbeiten, das geringere Problem zu sein.

    »Das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein!«, faucht Eva mich an. Immerhin muss ich früh zur Arbeit und bin dort gerne ausgeschlafen. Und nur weil wir mal zwei Wochen lang keinen Sex haben, gehst du gleich los und lässt dich von irgendeiner Unbekannten vernaschen?« Mit schweren Schritten läuft sie im Zimmer auf und ab. Drei Schritte in die eine Richtung und drei weitere in die andere. An der roten Wand stößt sie sich für die Kehrtwende ab. Das ist ein bisschen wie beim Schwimmen, nur aufrecht und ohne Wasser in einem wirklich kleinen Becken.

    »Ich lasse mich nicht vernaschen«, seufze ich müde, »und das sollte dir nicht neu sein.« Natürlich weiß Eva, dass ich eine Jägerin bin. Ich schätze, es ist einfach ein kleines bisschen weniger schrecklich, wenn die Freundin von jemandem verführt wird, anstatt selbst der aktive Part gewesen zu sein.

    »Ja, ich weiß«, stellt Eva mit beherrschter Stimme fest und lässt sich in ihren Fernsehsessel fallen. »Es ist nicht das erste Mal gewesen, seit wir uns kennen, oder? Die ewigen Nachtdienste hast du gar nicht schieben müssen, stimmt’s?«

    Ich könnte jetzt lügen. Ich könnte heulen, mich reumütig in ihre Arme werfen und ihr ewige Treue schwören. Aber wir wissen beide, dass das auf Dauer nicht funktionieren würde. Das hier langweilt mich. Eva ödet mich an, ebenso wie ihre aufgeräumte, schicke Wohnung in bester Lage.

    »Nein«, gebe ich gähnend zu, »die ewigen Nachtdienste hat es nie gegeben.« Schwerfällig schäle ich mich aus der Decke und registriere erst jetzt, dass ich nackt bin. Meine Klamotten liegen in einem wirren Haufen auf dem Boden vor dem Sofa. Automatisch muss ich grinsen. Es ist wirklich albern, völlig unbekleidet vor jemandem zu stehen, mit dem man gerade Schluss macht. Im großen, gusseisernen Spiegel über dem Sofa mustere ich mich selbst misstrauisch. Kleine Knutschflecken und Bisswunden reihen sich einmal rund um meinen Hals herum und bis in mein Dekolleté hinein. Mein feuerrotes, schulterlanges Haar hängt strähnig herab. Damit ist nun wirklich kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Nachlässig binde ich es zu einem Zopf zusammen.

    »Mehr hast du dazu nicht zu sagen?« Eva sieht mich mit verdächtig glitzernden Augen an. »Das war’s?« Ihre Stimme kippt ins Weinerliche und ich kann hören, wie sie schwer schlucken muss, um sich zusammenzureißen. Oberflächlich betrachtet ist Eva eine starke Frau. Aber in sich trägt sie einen Kern, der weicher ist als flüssige Schokolade. Die kleinen, tätowierten Sterne in ihrem Nacken wirken farblos im grellen Licht der Wohnzimmerlampe.

    »Das war’s«, bestätige ich mit meiner heiseren Nachtschwärmerstimme von zu viel hastig gerauchten Coolnesskippen, schlüpfe in Slip und BH und hüpfe auf einem Bein, während ich versuche, möglichst elegant in meine Jeans hineinzukommen.

    »Mila«, flüstert Eva. Viel zu nah steht sie plötzlich vor mir und streckt die Arme aus. Ihr dezentes Parfüm kommt mir heute viel zu aufdringlich vor. »Du kannst das zwischen uns doch nicht einfach so wegwerfen«, schickt sie flehend hinterher.

    »Ich schmeiße gar nichts weg«, entgegne ich barsch und trete einen Schritt zurück. »Das zwischen uns gibt es schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich hat es nie etwas gegeben. Außer der Hirngespinste in deinem Kopf.«

    Es geht im Leben nicht immer um die große Liebe. Ich habe keinen Schimmer, wie sie darauf kommt, dass das hier in irgendeiner Art und Weise etwas Besonderes ist. Ich mochte Eva, klar. Und ich mochte den Sex. Aber mittlerweile langweilt mich ihre Nähe beinahe zu Tode.

    Hektisch streife ich meinen Pullover über den Kopf und zerre an der Kapuze. Mit offener Hose in einen nach Kneipe stinkenden Pullover verheddert zu sein, macht die Gesamtsituation nicht gerade besser.

    »Wenn du jetzt gehst, brauchst du nie mehr wieder zu kommen!«, beschließt Eva, obwohl wir beide wissen, dass sie das niemals ernsthaft durchziehen wird.

    Ich schon.

    Ihre Hände legen sich bleischwer auf meine Schultern. Verzweifelt versucht sie, mich mit ihrer Körperkraft und meinem eigenen, schlechten Gewissen niederzuringen. Eigentlich müsste sie es besser wissen. Ich habe schlichtweg keines. Seit zehn Jahren liegt es irgendwo zwischen ein paar alten Gameboyspielen und glitzerndem Kaugummipapier in einem etwa siebzig Zentimeter tiefen Loch vergraben. Niemand wird es finden, weil kein Mensch danach suchen wird.

    »Okay.« Ich schnappe angestrengt nach Luft und wische ihre tastenden Hände fort wie

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