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Aspora-Trilogie, Band 2: Der Geist der Wälder
Aspora-Trilogie, Band 2: Der Geist der Wälder
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eBook531 Seiten7 Stunden

Aspora-Trilogie, Band 2: Der Geist der Wälder

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Über dieses E-Book

Seit sieben Jahren wartet Kalea auf ihren verschollenen Ehemann. Erst als alle Hoffnung schwindet, hält sie plötzlich ein Lebenszeichen in der Hand, und sie steht vor einer Aufgabe, die nicht nur über ihr Glück, sondern auch über Sieg oder Niederlage im Kampf gegen die Magoo entscheidet. In der Wildnis der U'hiyaka-Wälder ringt sie um den Erben der Krone und ihre unerfüllte Liebe zu ihm. Indes rücken die Armeen der Unbeseelten vor, und Daris enthüllt die Geheimnisse seines Meisters. Fernab stechen Sylanna und Akolo mit ihrer neuen Flotte in See, doch auch sie stehen bald vor einer unsterblichen Magoo und einer schicksalhaften Entscheidung ...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum3. Dez. 2019
ISBN9783750464537
Aspora-Trilogie, Band 2: Der Geist der Wälder
Autor

Cornelia Eden

Cornelia Eden - 1972 in Vorpommern geboren. Leseratte, Weltenbummlerin, Träumerin und leidenschaftliche Autorin, am besten alles gleichzeitig und am liebsten sofort. In ihren Romanen geht es in ferne Gefilde und in fantastische Reiche. Große Gefühle machen jede dieser Reisen mit, in frühen Jahren noch in Science Fiction Abenteuern, später in dem erotischen Roman "Rausch der Unterwerfung", heute ist Cornelia Eden in der Welt der Fantasy und Science Fantasy angekommen. "Bedingungslos - Mit Blut und Seele" ist ihr erster Fantasy-Roman, der als Taschenbuch und Kindle-Version erschien, gefolgt von der "Aspora-Trilogie". www.cornelia-eden.com

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    Buchvorschau

    Aspora-Trilogie, Band 2 - Cornelia Eden

    41

    Kapitel 1

    Bedächtig hob der König seine Hand und spähte am ausgestreckten Finger entlang. „Da ist er wieder. Siehst du ihn?"

    Kalea zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihren Bogen an. „Ich sehe ihn."

    Der Pfeil schoss davon, zischte ins Laub der Baumkrone und traf sein Ziel, das mit einem schrillen Schrei aus dem Geäst fiel und zu Boden stürzte. Eine Wolke taumelnder Blätter rieselte hinterher.

    „Ein Meisterschuss, Prinzessin", rief Othak, der sich vom Krag kommend dem Dunstfelsen näherte.

    „Ein Meisterbogen", rief sie zurück und schwenkte die wertvolle Waffe, die der Hauptmann ihr vor wenigen Tagen zu ihrem neunzehnten Geburtstag geschenkt hatte, dann ging sie auf den Baum zu, um den Pfeil aus dem toten Tier zu ziehen.

    „Schon wieder eins von diesen … Dingern?", fragte Othak, als er den Felsen erreichte und aus dem Sattel seines Pferdes stieg.

    Der König nickte. „Als wären die Seelen der Patock in andere, noch abstoßendere Körper gewandert, um uns von neuem heimzusuchen."

    „Nur werden diese hier nicht so leicht zu bezwingen sein."

    „Leicht? Valins Stimme klang bitter. „Wir haben Jahre gebraucht, bis wir die Patock bis zum letzten aufgespürt und zur Strecke gebracht hatten. Aber ganz unrecht hast du nicht. Im Vergleich zu den Patock sind diese Kreaturen eine wirkliche Plage. Unsere Krieger durchstreifen täglich die Wälder und jagen alles, was einen Kopf zu viel oder ein Bein zu wenig hat, trotzdem werden es immer mehr.

    Kalea kehrte zurück und hielt das Tier an einem verkrüppelten Arm in die Höhe. Er endete in einer einzigen Kralle, von der sich eine nackte, rotbraune Haut bis zu seinem unnatürlich abgewinkelten Bein spannte.

    „Was ist das? Ein … Drache?", fragte sie.

    „Es sieht aus, als hätte sich eine Fledermaus mit einer Feuchtechse gepaart, knurrte Othak angewidert. „Gebt es mir, Prinzessin. Ich werde es verbrennen.

    Er nahm ihr das Tier aus der Hand und stopfte es in einen Ledersack, dann wandte er sich dem König zu und reichte ihm eine Botenrolle, auf der König Damianos’ Siegel prangte. „Warum ich eigentlich gekommen bin: Nachricht aus Ameer."

    „Das wird auch Zeit, dass der alte Bauernkönig wieder etwas von sich hören lässt, brummte Valin und gab die Rolle an Kalea weiter. „Sei so gut und lies es, Kind.

    „Du hast versprochen, mich nicht mehr so zu nennen", sagte sie vorwurfsvoll, presste aber sogleich die Lippen zusammen, weil sie ahnte, welche Antwort sie nun hören würde.

    Zwei Töchter hatte Valin begraben, zwei Söhne waren vor Jahren in der Großen Wüste verschollen, Sylanna und Daris waren ihm geblieben, doch beide waren sie unerreichbar für ihn, fern wie die nächtlichen Gestirne.

    „Es ist niemand mehr da, den ich noch ‚mein Kind’ nennen kann, nur du. Also gönne deinem König diese kleine Freude", murmelte er und tätschelte ihre Wange, als wäre sie noch immer elf Jahre alt, wie an dem Tag, an dem sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Kalea zwang sich zu einem Lächeln und verdrängte die Erinnerung, die ihr nur vor Augen hielt, wie viele Jahre sie schon bei den U‘hiyaka lebte und wie viele Nachtgebete sie schon für ihren verschollenen Ehemann gesprochen hatte.

    „Kalea!, fuhr Valin eindringlich fort, als hätte er ihre Gedanken gehört. „Du weißt, dass ich Tharek niemals aufgeben werde. Ich habe schon einmal einen Sohn für tot erklärt, ein zweites Mal bringe ich das nicht über die Lippen.

    „Er lebt", antwortete sie knapp, so wie immer, wenn das Gespräch auf Tharek kam.

    Wie oft hatte sie diese Worte schon gesagt und jedem Appell an ihre Vernunft mit unverbrüchlicher Überzeugung widersprochen. Im ganzen Krag gab es nur noch einen Mann, der hernach nicht in betretenes Schweigen verfiel.

    „Natürlich ist er am Leben!, gab der König ihr auch diesmal recht und strich erneut über ihre Wange. „Solange du nicht daran zweifelst, bin auch ich mir gewiss.

    Schwerfällig ließ er sich auf einem verwitterten Felsblock nieder. Kalea setzte sich neben ihm ins Gras und zog ihre Röcke züchtig über die nackten Beine, um Valin keinen neuen Anlass für Kummer zu geben. Nach sieben Jahren im Krag hatte sie sich zwar daran gewöhnt, ständig von Kopf bis Fuß bekleidet zu sein, aber es gab immer noch Momente, in denen sie die komplizierten Kleiderregeln der Festländer vergaß. Mal war es völlig in Ordnung, ein nacktes Bein zu zeigen, mal war es als unangemessen verpönt. Es kam immer darauf an, wo man mit wem zusammen war, auch die Tageszeit spielte bisweilen eine Rolle oder was man gerade tat. Auf den Inseln hatte sie sich zu jeder Zeit und überall so nackt zeigen können, wie sie wollte. Im Krag war dies nur in den Baderäumen und auch nur im Beisein von Frauen erlaubt.

    Damit ihr keine Fehler unterliefen, hatte Kalea sich schon als Kind damit abgefunden, schlichtweg zu jeder Zeit all die Kleidungsstücke zu tragen, die bei den Frauen im Krag die Regel waren, beginnend mit einem dünnen, weißen Mieder, mit dem sie jeden Morgen ihre Brüste bedeckte, gefolgt von einer eng anliegenden, kurzen Hose aus dem gleichen Stoff. Darüber trug die anständige Frau ein knöchellanges Unterkleid von meist heller Farbe und Ärmeln, die mindestens bis zum Ellenbogen reichten. Als dritte Schicht wurde das Ganze mit einem dunkleren, ärmellosen Überkleid bedeckt, das an allen möglichen Stellen etwas kürzer sein durfte und das Unterkleid hervorblitzen ließ, was die Männer der U’hiyaka als reizvoll empfanden. Schlussendlich hielt ein Gürtel die Stoffmengen zusammen, oft aber auch eine Schürze mit vielen kleinen Taschen, in denen man allerlei Nützliches mit sich herumtragen konnte. Diese Schürze war das einzige Kleidungsstück, mit dem Kalea sich schnell angefreundet hatte, und wäre es nach ihrem Kopf gegangen, dann hätte sie sich mit der Schürze begnügt. Dame Shela, ihre überbesorgte Kammerfrau, rang auch nach all den Jahren noch die Hände, wenn ihr Schützling solche heimlichen Herzenswünsche zum Besten gab. Sie sparte auch nicht mit Ermahnungen und zupfte ständig an ihr herum, obwohl Kalea längst gelernt hatte, was bei den U’hiyaka als vorzeigbar galt und was nicht.

    Valin hatte ihr nie Vorwürfe gemacht, wenn ihr doch einmal eine Unachtsamkeit unterlief, dennoch war gerade die Anwesenheit des Königs stets und überall ein sicheres Zeichen für allerhöchste Aufmerksamkeit, und deshalb nahm sie sich die Zeit, alle nackte Haut bis zum Knöchel zu bedecken, bevor sie Damianos’ Zeilen vorzulesen begann.

    „Grüße und Segen dir Valin, König der U’hiyaka. Ich habe am heutigen Tage …"

    Sie brach ab, als Valin seine Hand erhob.

    „Nein, lies es leise und fasse es mir in deinen eigenen Worten zusammen. Ich bin heute in zu guter Stimmung für die Probleme am Tempel und Damianos’ endlose Klagen. Wenn der Brief zur Abwechslung eine gute Nachricht enthält, dann möchte ich diese zuerst hören."

    Kalea lehnte sich mit dem Rücken an den Stein und gab keinen Laut mehr von sich. Der Vorschlag war ihr recht, denn das, was der König ‚gute Stimmung’ nannte, war in der Tat das Beste, wozu er sich in den letzten Monaten hatte aufrappeln können. Er war alt geworden, viel zu schnell. Der Kummer hatte sein Haar gebleicht und seinen Augen den Glanz genommen. An manchen Tagen war er wortkarg und starrte verdrießlich vor sich hin, an anderen wiederum brüllte er plötzlich los, griff nach seinen Waffen und führte eine Schar seiner Krieger in die Wälder, um sie vom Ungeziefer zu befreien, wie er es nannte, doch dann jagte er alles, was ihm vor die Lanze kam, oft auch gesundes Getier.

    Es war die Hilflosigkeit, die ihn dazu trieb, das wusste Kalea, das hilflose Zusehen und Warten und Hoffen, auch wenn letzteres sich immer mehr verlor, aber der Anlass war immer der gleiche, neue üble Kunde.

    „Die Brunnengräber vom Nördlichen Krag sind keinen halben Tagesmarsch entfernt auf Wasser gestoßen, sauberes Wasser", hörte sie Othak sagen, während sie Damianos’ Zeilen überflog.

    „Gut, es fragt sich nur, wie lange es sauber bleibt", gab der König zurück.

    „Die Ameer haben uns zugesichert, uns auch weiter jeden Monat zwölf Wagen Schälbeeren zu schicken, die das Regenwasser genießbar machen."

    „Das werden die Ameer auch tun … solange sie noch können."

    Othak unterließ weitere Versuche, die königliche Laune zu heben. Er setzte sich ins Gras und wartete, bis Kalea das Papier wieder zusammenrollte.

    „Gute Nachrichten, sagte sie und lächelte Valin an. „Die beste zuerst?

    „Nur zu! Deinem Gesicht nach zu urteilen, ist auf dem Archipel der jährliche Stichling eingetroffen. Hat es meine Kolonie auf dieser verdammten Insel endlich geschafft, eine neue Flotte zu bauen?"

    „Sie ist so gut wie fertig. Binnen weniger Wochen wollen sie wieder in See stechen. Aber das ist nicht die Nachricht, die ich meine."

    „Hat Sylanna schon wieder ein Kind bekommen?" Valin zog die Schultern zusammen, sichtlich bemüht, sich gegen jeden unköniglichen Gefühlsausbruch zu wappnen.

    Kalea schmunzelte. „Ja, und diesmal einen Jungen. Das Königreich der U’hiyaka kann sich über einen gesunden männlichen Erben freuen."

    Der König seufzte mit geschlossenen Augen. „Auf Sylanna war schon immer Verlass, aber wenn dein Bruder sie nicht langsam in Ruhe lässt, werde ich ein ernstes Wort mit ihm reden müssen, sobald sie zurück sind."

    „Sie haben jetzt zwei Mädchen und einen Jungen. Drei Kinder in sieben Jahren sind nicht viel, sagte Kalea zu Akolos Verteidigung. „Allerdings … sie kommen nicht zurück. Sie wollen die Mission fortsetzen und weiter Richtung Westen segeln.

    „Das ist doch …, brauste der König auf. „Irrsinn!

    „Sie haben gute Schiffe gebaut, bessere, schnellere Schiffe, zweiundzwanzig Dreimaster, die sich allesamt mit der Südstern messen könnten. Und werden sie nicht noch immer von unseren Hoffnungen begleitet?"

    „Ich sagte nicht, dass sie die Mission nicht fortsetzen sollen, erwiderte Valin. „Natürlich sollen sie das tun! Aber das östliche Land im Westen zu suchen … das nenne ich Irrsinn. Selbst wenn du es mir noch hundert Mal erklärst, die Vorstellung, wir alle würden hier auf einer riesigen Kugel hocken, will mir einfach nicht in den Kopf.

    Kalea legte eine Hand auf sein Knie und lächelte. „Ich spüre neue Zuversicht. Wenn die Flotte wieder unterwegs ist, könnte uns jeden Tag die Nachricht erreichen, dass Akolo und Sylanna das Gelobte Land gefunden haben, und die Menschen bräuchten ihre Hoffnungen nicht länger nur auf den Tempel und in die Götter zu setzen."

    „Und wie stehen die Dinge am Tempel?", fragte er.

    „Wie immer. Du hattest recht, Damianos schreibt von unzähligen Problemen, angefangen bei der Versorgung der vielen Arbeiter, über Stockungen während der Erntezeit oder weil es an Baumaterial fehlt, bis hin zu …"

    Valin hob die Hand. „Schon gut, das kenne ich zur Genüge."

    „Trotzdem kommen sie gut voran. Sie haben den letzten Bauabschnitt begonnen, den Götterturm. Damianos schreibt, er könnte noch vor Ende des Jahres fertig sein."

    „Vor Ende des Jahres, brummte der König. „Den Südlichen Krag werden wir noch vor Ende des Sommers verlieren. Erst gestern erreichte uns die Kunde, dass man das Schwarze Land nun schon vom höchsten Wehrgang aus sehen kann.

    „Chiron wird helfen. In Daris’ letzter Nachricht …"

    Diesmal unterbrach Valin sie mit schroffer Stimme. „Kein Wort von Daris und diesem Käfer-Unsinn! Wir haben schon genug Plagen am Hals. Ich will davon nichts hören."

    „Mein König, mischte Othak sich ein. „Wenn die Prinzessin so überzeugt ist, dass der Eremit und Euer Jüngster uns helfen können, dann würde ich gern mehr darüber erfahren. Bisher weiß ich nur, dass sie versuchen, die Nebelwälder zu retten, damit die Vhisi wieder mehr Bauholz für den Tempel liefern können.

    „Bei allen Göttern! Schicksalsergeben hob Valin die Hände und nickte Kalea zu. „Was schreibt Daris?

    „Sie haben ihren Käfern das Fliegen beigebracht", erzählte sie.

    „Da hörst du es!" Bedeutungsvoll blickte der König seinen Hauptmann an.

    „Aber das ist etwas Gutes, fuhr Kalea fort. „Daris schreibt, dass einige der Käfer nun lernen, Schwärme zu bilden, die so lange auf einem erkrankten Baum verharren, bis alle Schwarze Flechte abgefressen ist. Dann wandern sie weiter zum nächsten Baum. Er nennt es das ‚Weiße Glimmen’.

    „Ein solcher Schwarm ließe sich einfangen und zum Südlichen Krag bringen?", fragte Othak.

    „Genau! Noch sind sie zu klein und … Sie verdrehte die Augen und suchte angestrengt nach dem ungewöhnlichen Wort, das Daris gebraucht hatte. „… instabil.

    „Wer hätte gedacht, dass die U’hiyaka einmal auf eine Käferplage in ihren Wäldern hoffen", meinte Othak.

    „Daris‘ Armee, lachte Kalea und drehte die Schriftrolle in ihren Händen. „Das waren die guten und die üblichen Nachrichten.

    „Wie viele schlechte?", fragte der König.

    „Nur eine … eine einzige, aber sie ist …"

    „Na komm! Erzähl es uns! Begütigend strich der König über ihr Haar, plötzlich lächelte er. „Eine Käferplage, eine Flotte, die im Westen nach dem Osten sucht, und ein Tempel, der den Menschen von ganz Aspora die Haare vom Kopf frisst … was soll uns da noch erschüttern?

    „Die Vhisi berichten von seltsamen Kreaturen."

    Unbeeindruckt wies Valin in den Wald. „Seltsame Kreaturen haben wir hier auch in Hülle und Fülle. Es stand zu erwarten, dass sie sich nach Norden ausbreiten würden, aber sie sind nicht annähernd so gefährlich, wie die Patock es einst waren. Sie sind nur unheimlich, und sie vermehren sich schneller, als meine Krieger sie jagen können."

    Kalea schaute auf ihre Hände. „Diese Kreaturen kommen nicht aus dem Süden, nicht aus unseren Wäldern, sondern aus dem Inneren der Berge, aus den Stollen, die die Vhisi in Generationen gegraben haben. Und sie sind … bewaffnet."

    „Was?" Valins Gesicht wurde blass.

    „Es sind … Sie stockte kurz. „… menschenähnliche Wesen, primitiv, wie auch ihre Waffen, und noch können die Vhisi sie daran hindern, die Stollen zu verlassen und in das offene Land vorzudringen, aber auch diese Kreaturen scheinen sich rasend schnell zu vermehren.

    „Die Vhisi können kämpfen, das wissen wir besser als jedes andere Volk, sagte Othak, der ebenfalls bleich geworden war. „Aber seit Norwins Niederlage zählt ihr sogenanntes Heer nur noch fünfhundert Reiter.

    Valin knurrte. „Sie sind schwach geworden. Ragor hat sich nie bemüht, die alte Streitmacht seines Vaters wieder aufzubauen."

    „Weil er die Blutfehde für alle Zeit beenden wollte, warf Kalea vorsichtig ein. „Doch wie beendet man eine Fehde, die sich seit Generationen in den Köpfen der Menschen eingebrannt hat? Die Wunden mögen vernarbt sein, aber sie sind noch lange nicht vergessen. Beinah jede vhisinische Familie hat in der letzten Schlacht gegen die U‘hiyaka einen Sohn oder den Vater verloren. Eine neue Streitmacht hätte dem alten Hass nur wieder Nahrung gegeben. Deshalb unterhält Ragor nur so viele Krieger, wie er braucht, um auf seinem eigenen Land für Ordnung zu sorgen und sein Volk zu befrieden, aber er hat es keineswegs geschwächt! Seine Bündnisse mit den Ameer und den Natong haben den Vhisi in den letzten Jahren einen guten Ruf, florierenden Handel und nicht zuletzt einigen Wohlstand eingebracht, der auch die unversöhnlichsten Zungen schnell verstummen ließ.

    Der König lachte, sagte aber nichts.

    Othak lächelte milde in ihre Richtung. „Ihr habt schon recht, Prinzessin, Ragor hat in erstaunlich kurzer Zeit aus seinen wilden Horden angesehene und wohlhabende Vhisi gemacht. Doch nun kann er sie nicht mehr beschützen. Keins seiner Bündnisse ist von Nutzen, wenn sein Volk von bewaffneten Kreaturen angegriffen wird."

    Kalea nickte und entrollte den Brief ein zweites Mal. „Die Vhisi haben schon ein gutes Dutzend ihrer Stollen aufgeben müssen und sich bis vor die Eingänge zurückgezogen. Sie haben Palisaden und Wachtürme gebaut, manche Stollen zum Einsturz gebracht oder sie auf andere Weise verbarrikadiert. Trotzdem weiten sich die Angriffe aus. Lange können sie die Stellungen nicht mehr halten. Sie räusperte sich, bevor sie ihre Zusammenfassung beendete. „König Ragor der Vhisi bittet die U’hiyaka um Hilfe.

    Auf diesen Satz folgte ein langes, stählernes Schweigen, das nur von den Geräuschen des Waldes gebrochen wurde.

    „König Ragor der Vhisi … bittet die U’hiyaka um Hilfe, wiederholte Valin dumpf. „Ich hätte nie gedacht, dass ich solche Worte jemals hören würde, noch hätte ich erwartet, dass sie mir kalte Schauer über den Rücken jagen. Norwins Kriegserklärung hat mir seinerzeit nicht mal ein Kribbeln im Gedärm beschert.

    Othak blickte zum Himmel hinauf, der sich allmählich verdunkelte. „Wir haben achthundert Krieger im Nördlichen Krag, der zudem die wenigsten Probleme hat, vom Wasser abgesehen. Die Vhisi … haben Wasser."

    Valin nickte, den Blick in eine Ferne gerichtet, die nur er zu sehen schien. Die Schatten der Dämmerung drangen mit Macht auf die Lichtung ein, und das Abendrot tauchte sie in geheimnisvoll schimmernde Farben. Die Stille wurde gespenstisch und zog sich schier endlos dahin.

    „Mein König", sagte Kalea leise und berührte seine Hand.

    Er zuckte zusammen, als hätte sie ihn aus einem Traum geweckt, doch als er sie ansah, blitzten seine Augen vor Lebendigkeit.

    „Schick Nachricht in den Norden, Othak. Die U’hiyaka kommen den Vhisi mit achthundert Kriegern aus dem Nördlichen Krag zu Hilfe. Sie dürften die Berge in weniger als einem Monat erreichen. Ich selbst werde mit weiteren tausend Schwertern aus unserem Krag folgen. Er lachte grollend. „So eilen wir denn gen Norden, um unserem Blutfeind beizustehen. Als was für ein König werde ich in die Geschichte unseres Volkes eingehen?

    „Als der König, der unser Volk durch die Dunklen Zeiten führte, sagte Othak. „Was sonst hätten unsere Geschichtsschreiber zu berichten? Glückliche Zeiten haben noch nie Könige hervorgebracht, deren Namen unvergessen sind, weil sie mit ihren Entscheidungen die Geschichte änderten.

    Kalea hörte schweigend zu, als die beiden Männer noch einmal alle Für und Wider der Entscheidung abwägten und den Feldzug in groben Zügen planten. Das letzte Tageslicht schwand, bis ihre Gesichter nur noch Schatten waren, da ging ein Ruck durch Valins Gestalt. Seine Linke umfasste den Knauf seines Schwerts, seine Schultern strafften sich. „Othak, solange ich weg bin, übertrage ich dir …"

    Der langgezogene Ton des Königshorns hallte zu ihnen herüber und die restlichen Worte, die Valin an seinen Hauptmann hatte richten wollen, blieben ungesagt.

    Kalea sprang auf die Beine und musterte die Gesichter der beiden Männer, die verwirrte Blicke wechselten.

    „Das Signal des Königs? Bei Cailyns Stern! Was hat das zu bedeuten?, fragte Othak. „Warum kündigt es Eure Rückkehr an? Ihr seid hier!

    „Noch war ich in den letzten Tagen fort. Valin erhob sich von dem Stein und schaute mit starren Augen zur nächtlichen Silhouette des Krags. Er tastete nach Kaleas Hand und drückte sie. „Unsere Geschichtsschreiber werden heute wahrlich Geschichte niederschreiben! Was für ein Tag! Die Götter haben uns herausgefordert, aber sie haben uns auch erhört.

    Kalea wagte kaum zu atmen, als sie Valins Worte begriff. „Wenn das Königshorn nicht für den König erschallt …", begann sie leise, dann versagte ihr die Stimme.

    Valin nickte. „… dann kann es nur einem gelten: Meinem ältesten Sohn, dem Erben der Krone. Er wandte den Kopf in ihre Richtung. „Deinem Ehemann.

    Kapitel 2

    Der Luftzug brannte in Kaleas Augen, als sie ihr Pferd über den gewundenen Weg den Krag hinauftrieb. Im Rücken hörte sie den dumpfen Hufschlag der Pferde, auf denen Valin und Othak ihr folgten. Vor ihr schien die Luft zu einer halbfesten Masse zu gelieren, gleich einer unsichtbaren Wand, gegen die sie anstürmte, ohne voranzukommen.

    Es wunderte sie nicht, dass ihre Sinne sie im Stich ließen und ihr Körper der Welt zu entrücken schien, je näher sie den Stallungen kam. Sie hatte dergleichen erwartet, und doch fühlte es sich nicht richtig an.

    Kalea hatte immer gewusst, dass dieser Tag einst kommen würde, und die bedauernden Blicke ertragen, wenn sie von Thareks Rückkehr sprach. Nie hatte sie gezweifelt, aber nun, als das Königshorn des Krags die Erfüllung ihres einzigen und sehnlichsten Wunsches verkündete … tat sie es. Sie jauchzte nicht vor Glück, sondern zitterte vor Angst. Sie verstand nicht warum. Aber als sie den Torbogen des oberen Innenhofes passierte und um sich herum nur bestürzte Mienen sah, wusste sie sofort, dass ihre Angst begründet war. Im Hof herrschte Stille, ein greifbares, lähmendes Schweigen, das ihr auf die Brust drückte und das Atmen erschwerte.

    Als Valin und Othak den Hof erreichten, sprang der König schwungvoll von seinem Pferd, wie er es seit Jahren nicht mehr getan hatte.

    „Mein Sohn! Wo ist mein Sohn?", rief er laut und schien erst jetzt zu bemerken, dass die Stimmung unter den Versammelten nicht einer triumphalen Rückkehr des Erben der Krone entsprach. Die Krieger hielten ihre Köpfe gesenkt und die Frauen hatten ihre Hände in die Mieder gegraben oder rangen sie an ihren Schürzen, doch alle traten sie schweigend beiseite, als der König näherkam.

    Kalea erblickte einen kleinen, aus groben Brettern zusammengeflickten Karren. Zwei Männer in knielangen Jagdröcken luden etwas Schweres ab, ein längliches Bündel, gänzlich in Lumpen eingehüllt und mit festen Stricken verschnürt, zweifellos der Leichnam eines Mannes, der einst von stattlicher Größe gewesen war.

    „Wer ist das?", fragte Valin barsch, ohne das Bündel aus den Augen zu lassen.

    „Euer Sohn und Erbe, mein König", sagte ein Fremder, offensichtlich ein Bettelmönch, der neben dem Karren stand und die Zügel eines Maultiers hielt, das in der gabelförmigen Deichsel eingespannt war.

    Er war groß, grobknochig, doch von Entbehrung und Schwäche gebeugt. Am Leib trug er eine graue Mönchskutte der Ameer, die an vielen Stellen löchrig war. Der zerfranste, schmutzige Saum schliff über den Boden und über zwei bloße, von getrocknetem Schlamm verkrustete Füße. Ein zottiger Bart hing dem Fremden bis zum Gürtel hinab, sein Haupt wurde von der Kapuze der Kutte eingehüllt, die ihn offenbar schon vor mehr als einem giftigen Regen geschützt hatte, denn sie glänzte speckig von den Rückständen, die dieser Regen hinterließ.

    Othak war zu Kalea getreten, die dankbar seinen Arm umklammerte.

    „Bitte sagt, dass das nicht Tharek ist", flüsterte sie dem Hauptmann furchtsam zu. Sie konnte den Blick nicht von dem Bündel abwenden, das im Staub des Hofes lag. Othak antwortete nichts.

    Auch der König machte keinen Schritt auf seinen toten Sohn zu. „Wer seid Ihr?", fragte er stattdessen den Fremden, der Anstalten machte, den Hof mit seinem Maultier und dem leeren Karren zu verlassen.

    „Euer Erbe war dem Tod schon näher als dem Leben, als ich ihn fand, sagte er. „Er hegte nur den einen Wunsch, in den Krag und zu seiner Familie zurückzukehren. Aber sein Körper war zu krank und zu schwach, und so ist er den Strapazen der Reise erlegen … vor weniger als zwei Tagen.

    „Vor zwei Tagen", flüsterte Kalea, dann konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Schluchzend warf sie sich an Othaks Brust.

    „Hebt ihn auf!, befahl der König seinen Kriegern. „Mein Sohn soll in der Halle unserer Ahnen aufgebahrt werden. Wir wollen diese Nacht um ihn trauern. Morgen früh werden wir ihn mit allen Ehren bestatten.

    Als der Karren sich in Bewegung setzte, streckte Valin eine Hand aus und hob seine Stimme. „Wartet, Mönch!"

    „Wollt Ihr mich aufhalten, König der U’hiyaka? Ich bin ein freier Mann und niemandem verpflichtet", sagte der Fremde, ohne sich umzudrehen.

    Die Worte brachten Valin sichtlich in Bedrängnis. Trotz ihrer Armut genossen die wandernden Mönche in allen Landen hohes Ansehen. Sie galten als weise und unantastbar, als heilige Männer, die in ihrer Einsamkeit mit den Göttern sprachen.

    „Nehmt Anteil am Schmerz eines trauernden Vaters. Valin ging die wenigen Schritte und trat ihm in den Weg. „Ihr müsst mir berichten, unter welchen Umständen Ihr meinen Sohn gefunden habt.

    „Es gibt nichts zu berichten, erwiderte der Mönch. „Ich habe ihn gefunden, und ich habe mein Versprechen gehalten, ihn zu Euch und in den Krag zurückzubringen. Vergebt mir, dass ich nicht schnell genug war.

    „Hat er noch irgendetwas gesagt, bevor er starb?"

    „Er sprach nicht viel, nur von Euch und seinem Wunsch, Euch noch einmal zu sehen."

    Kalea löste sich von Othak und trat neben den König.

    „Sprach er auch von seiner Frau?", fragte sie.

    Der Fremde schwieg eine Zeitlang und musterte sie aus müden, entzündeten Augen. „Nein, über eine Frau hat er nie etwas gesagt."

    „Und … Der König holte mühsam Atem. „… das Gelobte Land? Wisst Ihr etwas darüber? Hat Tharek die Wüste durchquert?

    „Ja."

    Ein Raunen setzte ein, das die nächste Frage des Königs beinahe verschluckte.

    „Hat er die Grünen Ebenen gefunden?"

    „Er hat den Tod gefunden, mehr kann ich Euch nicht sagen. Nun lasst mich gehen!"

    Der König trat beiseite. „Ihr habt uns einen großen Dienst erwiesen, guter Mann. Es wird allmählich dunkel. Wir bieten Euch gern Obdach und Essen, so dass Ihr morgen gestärkt und im Licht eines neuen Tages weiterziehen könnt."

    „Fürchten die U’hiyaka die Dunkelheit?", fragte der Fremde.

    „Nein."

    „Ich auch nicht." Der Karren zog wieder an.

    „Lasst mich Euch wenigstens entlohnen, versuchte der König ein letztes Mal, den Mönch aufzuhalten. „Lasst uns ein paar Säcke Maniokmehl und gutes Wasser auf Euren Karren laden.

    „Ich brauche nichts."

    „Ihr habt mir meinen Sohn zurückgebracht!, rief Valin ihm nach. „Wie könnte ich Euch gehen lassen ohne ein Zeichen meines Danks?

    Da blieb der Mönch noch einmal stehen und sah sich suchend im Hof um. In einer Ecke stand ein grober Hackblock, in den jemand eine Axt getrieben hatte. Er zog die Axt heraus und warf sie auf seinen Karren. „Diese Axt ist mir Dank genug."

    Der Karren rollte davon.

    Kalea lief zu Othak. „Zieht Eure Stiefel aus!"

    „Prinzessin?"

    „Ich verlange, dass Ihr mir Eure Stiefel gebt. Sofort!"

    Da schien der Krieger zu verstehen. Er winkte einem Stallburschen, der ihm half, die schweren Stiefel von seinen Füßen zu ziehen. Kaum waren sie in den Staub des Hofes gefallen, griff Kalea zu und lief dem Karren nach, der über den abwärts führenden Spiralweg rumpelte.

    „Wartet! Sie überholte das Gespann und stellte sich dem Bettelmönch in den Weg. „Nehmt das und meinen Dank, dass Ihr meinen Ehemann zu mir zurückgebracht habt. Sie drückte die Stiefel gegen seine Brust und versuchte den Geruch zu ignorieren, den sein ungewaschener Körper verströmte.

    Er zögerte, die Stiefel anzunehmen, doch als sie ihn bittend ansah, nickte er und warf sie neben die Axt auf den Karren.

    „Euer Gatte ist nicht zurück, sagte er. „Der Prinz ist tot. Es tut mir leid!

    „Hat er wirklich kein Wort über mich gesagt?, fragte sie noch einmal. „Gar nichts? Nicht einmal meinen Namen?

    „Nein, sagte er, dann hob er seine rechte Hand und berührte die kleine Muschel, die an einem Lederband von ihrem Hals herabhing und seit ihrer Hochzeit eine blonde Haarsträhne barg. „Das habe ich schon einmal gesehen. Er seufzte und griff in eine Tasche seiner löchrigen Kutte. „Ich wollte es behalten, fuhr er mit gesenktem Blick fort. „Aber es steht mir nicht zu. Es gehört Euch. Er öffnete seine Hand.

    Kalea starrte die Mandala an, die der ihren glich, doch sie wusste, dass darin eine Locke ihres eigenen schwarzen Haars verborgen war. Stumm nahm sie die Muschel an sich.

    „Ich danke Euch", sagte sie, als sie sich wieder gefangen hatte.

    „Lebt wohl, Prinzessin Kalea. Möge Euer Leben lang und glücklich sein."

    Sie sah ihm lange nach, rührte sich nicht, bis er hinter der Biegung der Kragmauern verschwunden war, dann wandte sie sich hastig um und lief in den Hof zurück.

    Das Bündel mit Thareks Leichnam war verschwunden, aber der König stand noch an der gleichen Stelle, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte. Er sprach mit Othak.

    „Wo ist mein Ehemann?, fragte Kalea und bemühte sich um eine feste Stimme. „Ich möchte ihn waschen und in das Gewand kleiden, in dem er vor seine Ahnen treten wird.

    „Warum willst du dir das antun, Kind? Der König schüttelte den Kopf. „Du hast sieben Jahre lang von ein paar Erinnerungen gelebt, und du solltest Tharek so in Erinnerung behalten, wie er war.

    „Hast du ihn schon gesehen?", fragte sie.

    „Nein. Er blickte an ihr vorbei. „Ich wage es noch nicht. Aber ich werde ihm in dieser Nacht noch meine Ehre erweisen und von ihm Abschied nehmen.

    „Wo ist er?, fragte sie erneut. „Ich bin seine Ehefrau. Es ist meine Pflicht, ihn für seine letzte Reise zu betten … es ist auch mein Recht.

    Der König seufzte leise. „Er ist in der Halle unserer Ahnen. Die Salbfrauen werden dir zur Seite stehen."

    „Ich danke dir … Vater."

    Auf dem Weg zur Ahnenhalle begegnete sie Kriegern, Frauen und Bediensteten, die bei ihrem Anblick das Haupt senkten und ihre Anteilnahme bekundeten, sich dann jedoch rasch abwandten. Der ganze Krag wusste, wie viele Jahre sie voller Hoffnung auf Thareks Rückkehr gewartet hatte. Die bedauernden Blicke waren oft eine Last gewesen, aber das Mitleid, das ihr nun entgegenschlug, war doppelt schwer zu ertragen. Kalea zog ihre Schultern zurück und wappnete sich für die Aufgabe, die vor ihr lag.

    In der Ahnenhalle wurde sie von zwei Salbfrauen empfangen, die Schüsseln mit Wasser, Leinentücher und Werkzeuge für die Totenpflege bereitgelegt hatten.

    Zuerst entzündete Kalea die Kerzen, die in den Halterungen an den Wänden und in vielarmigen Gestellen aus Eisen steckten und den fensterlosen Raum mit ihrem flackernden Schein erhellten, dann griff sie nach einer kurzen, gebogenen Klinge, um die Seile und die Lumpen zu zerschneiden, in die der leblose Körper eingewickelt war. Sie ließ sich von den Salbfrauen helfen, ihn auf den weißen Marmorsockel zu heben, auf dem die Toten aufgebahrt wurden, dann schickte sie die Frauen weg.

    „Darf ich bleiben?", fragte eine leise Stimme, die aus dem Halbdunkel zwischen zwei hohen Säulen drang.

    „Othak!"

    „Er war mein Freund! Ich werde Euch nicht im Weg stehen, ich möchte nur an Eurer Seite sein, wenn Ihr ihn wascht."

    „Es tut gut, Euch bei mir zu wissen", gab sie zurück, dann wagte sie den ersten Blick in die totenbleiche Maske, aus der ihr halb geöffnete Augen entgegensahen. Sie betrachtete den ausgemergelten Leib, der einst so stattlich gewesen war, die Narben, die ihn bedeckten, und die Furchen in dem bärtigen Gesicht, das vertraut und fremd zu gleichen Teilen war. Sie umfasste seine Schläfen und musterte seine Augen. Thareks Augen! Gebrochen und leer blickten sie zu ihr auf. Das strahlende Grün, das ihr einst so lebendig entgegengefunkelt hatte, war nur noch ein sanfter Hauch auf grauem Grund. Aber es waren unverkennbar die Augen, an die sie sich erinnerte. Sie schluckte und drückte die Lider zu.

    Leise sang sie die Totenlieder der Natong, während sie den Körper wusch und in ein weißes Leinengewand hüllte, das an den Säumen mit goldenen Stickereien verziert war. Sie würde später noch eine Rüstung auswählen müssen, in der er die Reise zu seinen Ahnen antrat, aber zuerst wollte sie ihm ein würdiges Aussehen verleihen. Sie wusch sein verfilztes, blondes Haar und kämmte es so lange, bis es glatt und beinahe trocken war, dann flocht sie es zu einer schlichten Altraya, die eng an seinem Kopf anlag, und letztendlich zu einem langen Zopf, den sie mit einer Lederschnur zusammenband. Sie wusste, dass die traditionelle Haartracht der Krieger nicht nur ihren Stolz, sondern auch ihren Rang wiederspiegelte, und dass Tharek eine weit kunstvollere Form des Flechtwerks zustand, eine Kriegsherren-Altraya, die ihre Fertigkeiten überstieg. Aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, ausgerechnet die Altraya fremden Händen zu überlassen. Als der Zopf wie eine schwere, goldene Kette auf seinem Brustkorb lag, schnitt sie das Barthaar von seinem Kinn und strich Seifenschaum auf die dichten Stoppeln.

    „Ich wünschte, er wüsste, dass er eine gute Ehefrau hatte", hörte sie Othak im Halbdunkel sagen.

    „Ich wünschte, ich hätte Gelegenheit gehabt, ihm eine gute Ehefrau zu sein", gab sie zurück, während sie behutsam den Schaum von seinen Wangen schabte.

    Als sie fertig war, strich sie mit einem Tuch über sein Gesicht und musterte es erneut. Sie hatte in Thareks Augen gesehen, und sie sah vertraute Züge in dem Gesicht, das nach der Rasur zum Vorschein gekommen war. Aber dieses breite Kinn …?

    Mit einem Keuchen trat sie von ihm fort und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht Tharek!"

    „Was redet Ihr denn?, fragte Othak bedrückt, dann kam er zwischen den Säulen hervor und nahm sie in die Arme. „Ich weiß, wie schwer es für Euch sein muss, seinen Tod nach all den Jahren doch noch akzeptieren zu müssen.

    Sie machte sich von ihm los und ging noch einen Schritt von dem weißen Sockel weg. „Dieser Mann … Sie deutete energisch auf den Leichnam. „… ist nicht mein Ehemann.

    Othak musterte ihr Gesicht, dann ging er auf den Toten zu, um ihn ebenso forschend zu betrachten. Einen Augenblick später wandte er sich ab und rannte in den dunklen Gang, der in den Krag hinaufführte.

    „Holt den König! Er muss sofort kommen!", hörte Kalea den Krieger rufen. Sie war noch immer wie erstarrt. Ihre Hand glitt in eine ihrer Schürzentaschen und zog das Lederband hervor, an dem die Muschel mit ihrer Haarlocke hing. Alle Kraft schien aus ihr herauszufließen und im Steinboden unter ihren Füßen zu versickern.

    Othak kehrte zurück und riss sie aus ihrer Lethargie. „Ihr habt Recht, Prinzessin, das ist nicht Tharek."

    „Er hat seine Augen."

    „Ja … Parcias Augen. Valins Kinder haben allesamt die grünen Augen ihrer Mutter geerbt. Er wandte sich um, beugte das Knie und erwies dem Toten seinen Respekt. „Der Erbe der Krone ist zurückgekehrt! Prinzessin Kalea, Ihr steht vor Thareks Bruder, König Valins Erstgeborenem, der lange vor Tharek in die Wüste zog. Tharek hat ihn immer den wahren Erben genannt und einst geschworen, ihn zurückzubringen, was es ihn auch kosten mag.

    Der König stürzte in die Halle. Er warf nur einen einzigen Blick auf den Toten, dann brach er vor dem Sockel zusammen. „Padraig! Mein Sohn! Padraig!"

    Kaleas Blick fiel ein letztes Mal auf den ausgezehrten Leib des Mannes, dann in ihre offene Hand und auf das kleine Anhängsel darin. Sie fröstelte, als das Gesicht des Mönchs sich wie von selbst in ihre Gedanken schlich, seine verhärmten Züge und all die Schatten darin, seine Augen, so unendlich müde … so abgründig grün.

    Im nächsten Augenblick machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ die Ahnenhalle, so schnell es der Anstand erlaubte. In den Gängen zum Hof raffte sie ihre Röcke und rannte los. Als sie den Stall erreichte, zog sie ihr Pferd aus seiner Box und begann es zu satteln.

    „Könnt Ihr mir sagen, was Ihr da tut?, fragte Othak von der Stalltür her, noch atemlos von dem Lauf, mit dem er ihr gefolgt war. „Es ist mitten in der Nacht!

    „Fürchten die U’hiyaka die Dunkelheit?", fragte sie, während sie ihrem Pferd das Gebiss des Zaumzeugs zwischen die Kiefer schob.

    „Nein", knurrte Othak.

    „Ich auch nicht." Kalea führte das Pferd aus dem Stall, setzte einen Fuß in den Steigbügel und wollte mit Schwung in den Sattel steigen. Der Hauptmann hinderte sie daran.

    „Tut mir leid, Prinzessin, aber ich habe einst geschworen, auf Euch aufzupassen, und das schließt ein, dass ich nicht dabei zusehe, wie Ihr Euch in Gefahr begebt."

    Sie legte beide Hände auf seine Brust. „Bitte, Othak! Versteht doch! Ich muss ihn finden. Er kann noch nicht weit sein."

    „Der Mönch?"

    „Das war kein Mönch!"

    „Einverstanden, das habe ich mir auch schon gedacht, als er Valins Angebot ausschlug. Er war nur ein Bettler, der sich unter dem Gewand der Frömmigkeit versteckt, deshalb hatte er allen Grund, sich schnell wieder zu entfernen. Lassen wir ihn ziehn! Was wollt Ihr noch von ihm?"

    „Er wusste genau, wer ich bin! Kalea wand sich in den ungewohnt hart zupackenden Händen des Kriegers. „Er hat mich bei meinem Namen genannt! Woher kannte er meinen Namen? Padraig hat mich nicht gekannt!

    „Viele kennen Euren Namen. Denkt Ihr etwa, in den anderen Krags hätten die U’hiyaka noch nie etwas von Prinzessin Kalea gehört?"

    Sie gab auf, gegen ihn zu kämpfen und hob stattdessen den Anhänger vor sein Gesicht. „Und wie erklärt Ihr das?"

    Verwirrt blickte er von der Muschel zu ihrem Hals, an dem das Lederband mit ihrer eigenen Mandala hing. „Das …"

    „Das hat Tharek gehört!, vollendete sie seinen Satz. „Ich selbst habe es ihm am Tag unserer Hochzeit umgebunden.

    „Ihr glaubt also, dass dieser Mönch auch Tharek begegnet ist?"

    „Nein!"

    „Warum wollt Ihr ihm dann folgen?"

    „Weil er Tharek ist!, schrie sie ihn an und schlug mit beiden Fäusten auf seine Brust. „Und ich habe ihn nicht erkannt … Ich habe ihn nicht erkannt!

    „Götter! Das kann nicht sein, Kalea. Beruhigt Euch! Das war nur ein zerlumpter, halb verhungerter Landstreicher, der Padraig zufällig irgendwo aufgelesen hat. Tharek hätte sich doch zu erkennen gegeben, er hätte ganz anders mit seinem Vater gesprochen, und er wäre hiergeblieben, im Krag und bei Euch."

    Kaleas Arme wurden schlaff, aber ihre Stimme klang hart. „Was muss ich tun, damit Ihr mich gehen lasst? Ihr wisst, dass Ihr mich hier anketten müsstet, um mich aufzuhalten."

    Othak fluchte unterdrückt, entschuldigte sich im nächsten Atemzug und schaute betreten drein. „Ja, ich weiß. Also gut. Ich lasse Euch gehen, wenn eine Eskorte unserer Krieger Euch begleitet."

    „Einer", schränkte sie ein.

    „Wenigstens zwei!"

    „Einer! Ich brauche in den Wäldern der U’hiyaka keine Eskorte, und ich glaube nicht, dass Tharek diese Wälder verlässt."

    „Vermutlich nicht, gab Othak ihr Recht, „wenn er wirklich unter dieser Mönchskutte steckt. Es ist doch immer noch möglich, dass Ihr Euch irrt.

    „Das werde ich herausfinden, sobald ich ihn eingeholt habe. Jetzt haltet mich nicht länger auf!"

    „Ihr wisst, dass ich Euch nur zu gern begleiten würde."

    „Ich weiß das, Othak. Aber der König braucht Euch hier, wenn er mit dem Heer nach Norden zieht, und mit Eurem Bein könnt Ihr nicht so lange reiten, wie es vielleicht nötig ist."

    „Nach welchem Krieger soll ich schicken?", fragte er und gab sie endlich frei.

    Sie überlegte nicht lang. „Nach Asban. Er ist der beste Späher, den ich kenne, und der einzige hier, der nicht ständig versucht, mich vor jedem umherfliegenden Sandkorn zu beschützen. Er weiß besser als andere, wann seine Hilfe

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