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Der Nebelhengst
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eBook254 Seiten3 Stunden

Der Nebelhengst

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Über dieses E-Book

Ein Nebelhengst bringt Unglück.

Das glauben jedenfalls die Einwohner des Königreichs Fenror. Pech für den jungen Unfreien Kjell, dass sein Fohlen ausgerechnet ein solcher Graufalbe ist. Kjell weigert sich, das Tier zu töten und flieht mit ihm in den Wald der Gesetzlosen. Immer in der Furcht, von den Häschern des Königs gefasst zu werden, baut Kjell sich hier ein neues Leben auf. Drei Jahre später zwingen ihn jedoch widrige Umstände erneut zur Flucht.

Bei zahlreichen gefährlichen Begegnungen mit Sklavenhändlern, Trollen, Elben und Seedrachen erweist sich der nun ausgewachsene Nebelhengst als zuverlässiger Begleiter und treuer Kampfgenosse. Doch Kjell ahnt nicht, dass die besonderen Fähigkeiten seines vierbeinigen Freundes ihm schließlich den Weg zu seinem eigenen Schicksal weisen werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum17. Jan. 2022
ISBN9783755728177
Der Nebelhengst
Autor

Regina E.G. Schymiczek

Regina E.G. Schymiczek (*1961 in Essen) ist Kunsthistorikerin, Archäologin und Autorin. Ihre Dissertation schrieb sie über die Entwicklung der Wasserspeierformen am Kölner Dom. Sie ist Mitglied im Freien Deutschen Autorenverband, lebt und arbeitet in Essen sowie in einem Ferienhaus in den Niederlanden, ist aber auch immer wieder gern in den USA unterwegs. Neben Publikationen aus ihrem wissenschaftlichen Fachbereich hat sie auch spannende Kinderbücher sowie Historische und Fantasy-Romane veröffentlicht, in denen immer wieder Aspekte ihrer Studienfächer auftauchen. www.schymiczek.de

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    Buchvorschau

    Der Nebelhengst - Regina E.G. Schymiczek

    1. Aufbruch ins Ungewisse

    Der Atem der Stute ging rasselnd. Sie lag auf der Seite und kämpfte mit all ihrer Kraft.

    „Wird sie es schaffen?", besorgt sah Kjell den alten Oyvind an, während er den schweißnassen Hals des Pferdes streichelte, neben dem er im Stroh kniete.

    „Hm. Schwer zu sagen. Sie ist schon ziemlich erschöpft. Das Fohlen liegt verkehrt. Sehr viel länger darf es nicht mehr dauern, sonst verlieren wir beide."

    „Kannst du denn gar nichts tun?"

    Der Alte sah auf. Er hockte am Hinterteil der Stute und zog seine Hand aus ihrer Scheide.

    „Ich habe schon versucht, es zu drehen, aber es hat nicht geklappt. Jetzt liegt es in der Hand der Guten Mutter."

    Kjell seufzte. Er hatte drei Jahre lang hart gearbeitet, bis er endlich genug Gold verdient hatte, um sich auf dem einmal jährlich stattfinden Pferdemarkt in Tjöllental, dem nächstgelegenen kleinen Ort, ein Tier kaufen zu können. Ganz aufgeregt war er vor zwei Tagen am frühen Morgen mit seinem kleinen Lederbeutel voller Goldstücke losgezogen. Allen hatte er erzählt, dass heute der große Tag war und er endlich Pferdebesitzer werden würde.

    Doch Pferde waren ein kostbares Gut im Königreich Fenror, und sein so mühsam zusammengespartes Vermögen reichte schließlich nur für die magere kleine Stute, die bei der Auktion sonst niemand haben wollte. Wenn sie nicht hoch trächtig gewesen wäre, wäre sie an den Metzger gegangen. Als Kjell nach dem Vater des Fohlens fragte, wich der Besitzer aus und gab ihm noch Sattel und Zaumzeug dazu.

    Glücklich war er mit der Stute zurück zum Hof geritten. Obwohl sie hoch trächtig war, trabte sie munter mit ihm auf den großen Gutshof. Doch die Knechte und Mägde empfingen ihn mit Gelächter und Spott.

    „Seht euch den an – da kommt Kjell mit seinem Streitross! Hoffentlich wird es heute nicht zu windig, sonst weht es ihm davon!"

    „Wie viel hast du bezahlt, Kjell? Oder hat man dir noch Gold dazu gegeben, damit du die Mähre mitnimmst?" Kjell erwiderte nichts. Sollten sie doch alle reden! Er wusste, was er tat. Aber das Urteil des Gestütsbesitzers, an dem ihm viel lag, stand noch aus. Er straffte die Schultern und ritt zum Eingang des großen Herrenhauses, wo der Gutsherr mit seiner Familie gerade herausgetreten war. Dort stieg er ab. Tjorben, Herr des Gutes Eiserne Hand, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete Kjells Neuerwerbung kritisch.

    „Das ist es also? Vielleicht hättest du lieber noch ein Jahr warten sollen, dann hätte dein Gold für ein besseres Tier, vielleicht sogar für eines von meinen, gereicht."

    Dafür hätte ich noch mindestens zwei Jahre arbeiten müssen, dachte Kjell. Laut sagte er: „Bei allem Respekt, Herr, diese Stute ist ein gutes Tier. Seht Euch die Hufe an, sie sind hart und glatt wie Flusskiesel. Damit kann sie klettern wie ein Bergschaf. Und der Wirbel hier auf der Brust – ein Zeichen für Schnelligkeit. Sie wird mit dem Nordwind um die Wette laufen, wenn sie erst einmal ihr Fohlen bekommen hat!"

    „Aber was nützt dir das? In der Rossgarde werden nur Hengste geritten!"

    „Magnus, du bist ein Dummkopf! Tjorben verpasste seinem jüngeren Sohn ärgerlich eine Kopfnuss. „Weißt du nicht, dass man die Prüfung auch auf einer Stute machen kann? Wenn sie gut ist, kommt sie auf das königliche Gestüt und ihr Besitzer erhält dafür einen Junghengst aus dem Stall des Königs. Vielleicht hast du ja Glück, Kjell. Was hast du jetzt weiter vor?

    Kjell streichelte den Hals der Stute, die ruhig mit gespitzten Ohren neben ihm stand.

    „Ich möchte mit dem Training warten, bis das Fohlen geboren ist. Für das Futter komme ich natürlich auf."

    „Du kannst sie einfach in meiner Herde laufen lassen. Ob ein Pferd mehr oder weniger auf meiner Weide steht, spielt keine Rolle."

    Kjell wollte sich schon erfreut bedanken, als Magnus sich verärgert an seinen Vater wandte.

    „Vater! Du kannst doch nicht die Mähre von diesem Rollmoos mit unseren Tieren weiden lassen!"

    „Kann ich nicht? Wer sagt das? Du? Ich wünschte, du hättest nur halb so viel Pferdeverstand wie Kjell! Nur gut, dass Morton den Hof übernehmen wird, mit dir ginge unsere Zucht sicher zugrunde!"

    Magnus presste wütend die Lippen aufeinander und warf Kjell einen giftigen Blick zu. Sein älterer Bruder Morton war wie immer um Ausgleich bemüht: „Es wird sicher nur ein paar Tage dauern, bis das Fohlen kommt. Und was kann es schaden, wenn sie in unserer Mutterstutenherde grast?"

    „Siehst du? Dein Bruder ist viel verständiger! Und benutze nicht immer dieses Schimpfwort, ich habe schon tausendmal gesagt, dass ich es auf meinem Hof nicht hören will!", grollte Tjorben.

    Rollmoos war ein flechtenartiges Gewächs, das in den kargen Gebirgsgegenden von Fenror vorkam. Wenn sie zu lange trockenstand, ballte die Pflanze sich zu einer kleinen Kugel zusammen und löste sich vom Untergrund. Vom Wind ließ sie sich dann treiben, bis sie eine feuchte Stelle fand, wo ihre kurzen Wurzeln schnell wieder Halt fanden. Es war auch der Spottname für die Kinder, die im Tempel der Guten Mutter zur Welt kamen, da sie als gesetzlos galten und ähnlich wie die Pflanze haltlos in der Gesellschaft von Fenror herumtrieben.

    Wenn eine Frau in Fenror ungewollt schwanger wurde, konnte sie ihr Kind im Tempel der Guten Mutter zur Welt bringen. Die Dienerinnen der Guten Mutter kümmerten sich um sie und standen ihr bei der Geburt bei. Die Frauen hatten damit aber jedes Recht an ihren Kindern verloren. Nach der Geburt suchten die Priesterinnen des Tempels eine sogenannte Sorgstelle für die Kinder, wo sie aufgezogen wurden. Meist waren es die wohlhabenden freien Gutsbesitzer, die oft gar nicht ungern mehrere Kinder aufnahmen, da sie zu Unfreien der Gutsherren wurden und damit billige Arbeitskräfte waren, wenn sie erst einmal alt genug zum Arbeiten waren.

    Auch Kjell war im Tempel der Guten Mutter zur Welt gekommen und kurz nach der Geburt an Tjorben, den Herrn des Gestütes Eiserne Hand, vermittelt worden. Tjorben hatte ihn zusammen mit seinen Söhnen Morton und Magnus, die kaum älter als Kjell waren, aufgezogen. Er musste zwar härter arbeiten, bekam aber die gleiche Ausbildung wie die beiden. Das war kein schlechtes Los für ein Rollmoos-Kind, von denen die meisten nicht einmal Lesen und Schreiben lernen durften. Von Anfang an kam Kjell gut mit Tjorben und Morton klar, während Magnus ihn piesackte, wo er konnte. Auch Tjorbens Frau Aavet machte kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Kjell und war unnötig hart zu ihm, wenn Tjorben nicht in der Nähe war.

    Der Grund dafür lag auf der Hand: Es wurde zwar nicht offen darüber gesprochen, doch galt es als nahezu sicher, dass die meisten Rollmoos-Kinder die illegitimen Nachkommen der freien Gutsbesitzer waren. Kjell hatte allerdings keine äußere Ähnlichkeit mit Tjorben oder seinen Söhnen, die darauf hätte hinweisen können. Im Gegenteil: Sie alle waren nicht großgewachsen, etwas untersetzt und hatten die flachsblonden Haare der Einwohner des Großen Tales, während Kjell groß für sein Alter und sein Schopf dunkel war – fast so dunkel wie das Gefieder der Raben. Solch eine Haarfarbe fand man in Fenror nur bei den Leuten aus dem Gebirge.

    Als die Jungen heranwuchsen, hatte Tjorben erfreut festgestellt, dass Kjell eine große Begabung im Umgang mit den Pferden des Gestütes zeigte. Ein Talent, das seinem Sohn Magnus leider gänzlich fehlte. Tjorben selbst hatte Kjell zusammen mit seinen Söhnen das Reiten beigebracht.

    In Fenror war es bei den Landbesitzern üblich, dass das jeweils älteste Kind den Hof übernahm, während das Zweitälteste, unabhängig vom Geschlecht, in der Armee des Königs diente. Das stand auch den weiteren Kindern offen; sie konnten sich aber auch für andere Berufe entscheiden. Die Unfreien hatten keine Wahl – sie mussten das tun, was ihre Herren entschieden. Das galt auch für die Rollmoos-Kinder.

    Es gab allerdings eine einzige Möglichkeit für die Unfreien ihre Situation zu ändern: Jeder Einwohner von Fenror, ob Frau oder Mann, frei oder unfrei, hatte das Recht, sich für die Königliche Rossgarde zu bewerben, wenn sie oder er achtzehn Jahre alt war. Wer mit einem eigenen Pferd die Aufnahmeprüfung bestand, erhielt nach zehn Jahren Dienst seine Freiheit und ein Stück Land.

    Das war es, was Kjell sich als Ziel gesetzt hatte, obwohl es nur wenige Unfreie gab, die das je geschafft hatten. Für die meisten war es schon unmöglich, neben ihrer unbezahlten Arbeit noch etwas hinzuzuverdienen, um sich ein Pferd kaufen zu können. Dann brauchten Pferd und Reiter auch noch eine spezielle Ausbildung, um die Aufnahmeprüfung der Rossgarde zu meistern. Und das Futter für das Pferd musste bezahlt werden.

    Seit Kjell das erste Mal von dieser Möglichkeit, sich die Freiheit zu verdienen, gehört hatte, war sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Damals war er vierzehn Jahre alt gewesen. Die anderen Unfreien auf dem Hof hatten ihn ausgelacht oder ihn ermahnt, dass er sein Glück nicht herausfordern sollte – er hätte es schließlich gut getroffen. Doch Kjell konnte sich einfach nicht damit abfinden, sein Leben als Unfreier zu fristen, obwohl ihm klar war, dass tatsächlich viele seiner Schicksalsgenossen wesentlich schlechter dran waren als er. Auf dem Gestüt Eiserne Hand bekam jeder genug zu essen, es gab einen Ruhetag in der Woche und niemand wurde grundlos geschlagen.

    So hatte er all seinen Mut zusammengenommen und den Gutsherrn darauf angesprochen. Tjorben hörte sich sein Anliegen in Ruhe an und war weder wütend noch beleidigt, dass Kjell sein Gut verlassen wollte. Im Gegenteil, Kjell hatte fast den Eindruck, dass der Gutsherr sich über seine Initiative freute.

    Tjorben hatte ihn anschließend sogar unterstützt. Er hatte nicht nur immer neue Möglichkeiten gefunden, wie der Junge durch Sonderaufgaben etwas verdienen konnte, er hatte ihn auch dem alten Oyvind als Gehilfen zugeteilt. Der Alte war noch zu Zeiten von Tjorbens Vater als Rollmoos-Kind auf den Hof gekommen. Er war der Knecht mit dem größten Pferdeverstand. Der Gutsherr hatte Kjell sogar angeboten, sich von Oyvind für die Prüfung der Rossgarde trainieren zu lassen, wozu der Alte nur zu gern sein Einverständnis gegeben hatte.

    Die Fenror-Pferde gab es schon seit Menschengedenken im Königreich. Der Sage nach stammten die Tiere von den Pferden der Hohen ab. Sie waren ausnahmslos Goldfalben, hatten schlanke Beine, einen muskulösen Hals sowie üppiges Mähnen- und Schweifhaar.

    Die Pferde waren robust und widerstandsfähig. Sie kamen sowohl mit dem kargen Gebirgsland als auch mit den salzigen Weiden im Küstengebiet klar. Sie vertrugen den kurzen, heißen Sommer genauso gut wie die langen, schneereichen Winter in Fenror. Um die positiven Eigenschaften der Fenror-Pferde auch in Zukunft zu erhalten, gab es ein königliches Dekret zur Reinhaltung der Rasse. Jegliche Kreuzung mit anderen Pferden war verboten, jede Mutation wurde gnadenlos ausgesondert.

    Kjell hatte viel über die Fenror-Rasse von Oyvind gelernt. Nie hatte er erlebt, dass sein Lehrmeister in einer Situation mit Pferden hilflos war. Bis heute. Ausgerechnet jetzt, als es um sein eigenes Pferd ging, versagte der Alte.

    Oyvind stand auf und ging nach vorn zum Kopf der Stute, setzte sich ins Stroh und nahm den Kopf des Tieres in seinen Schoß.

    „Hast du ihr schon einen Namen gegeben?"

    „Tova. Ich habe sie Tova genannt." Kjell fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen.

    Der alte Knecht murmelte etwas in das Ohr der Stute. Sie schloss die Augen und presste mit aller Kraft. Ein Zittern lief durch ihren Körper, dann landete das Fohlen mit den Hinterbeinen zuerst im Stroh.

    Aufgeregt sprang Kjell hin.

    „Es lebt! Es ist ein Hengst!"

    Oyvind legte vorsichtig den leblosen Kopf der Stute ins Stroh.

    „Sie hat es nicht geschafft", sagte er leise. Dann warf er einen Blick auf das Fohlen und runzelte die Stirn.

    „Bei der Guten Mutter und allen Hohen – ein Nebelhengst! Am besten, du tötest ihn gleich, bevor er noch mehr Unheil stiften kann!"

    „Was?! Was redest du denn da? Warum soll ich das Fohlen töten?"

    „Sieh dir die Farbe seines Fells an! Es sollte ein helles Beige sein, nicht wahr? Stattdessen ist es lichtgrau, wie Seenebel. Hin und wieder kommt es vor, dass ein Fohlen mit dieser Farbe geboren wird. Es bringt jedem Unglück, der es besitzt. Du siehst ja, es hat sogar seine eigene Mutter umgebracht. Wenn du es nicht fertigbringst, lass mich es tun."

    „Nein! Nur weil sein Fell grau ist? Das werde ich ganz sicher nicht zulassen!" Dunkel erinnerte Kjell sich daran, einmal etwas von Nebelhengsten gehört zu haben – aber das waren doch Ammenmärchen!

    „Was …? Warum steht Tova nicht auf?"

    Erst jetzt begriff er, dass die Stute die Geburt nicht überlebt hatte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag. Tova war tot. Die tapfere kleine Stute, auf die er all seine Hoffnungen gesetzt hatte. Der Lohn von drei Jahren war dahin – seine ganze Zukunft war dahin.

    Doch er konnte sich nicht mit Trauern aufhalten. Jetzt musste er sich um das Neugeborene kümmern. Wie er es bei Oyvind gelernt hatte, kniete er sich neben das Fohlen, durchtrennte mit seinem Messer die Nabelschnur und begann, es energisch mit Stroh trocken zu reiben. Der kleine Hengst versuchte seinem Instinkt zu folgen und seine Beine so zu sortieren, dass er aufstehen konnte. Doch immer wieder knickte er ein. Mit seinem dünnen Fohlenstimmchen stieß er ein zorniges Wiehern aus und versuchte es erneut.

    Kjell lächelte, als er sah, dass der kleine Kerl nicht aufgeben wollte. Recht so – er würde auch nicht aufgeben!

    „Wir brauchen eine Amme für ihn. Gemma hat erst vor zwei Tagen gefohlt – das könnte gehen!"

    „Du brauchst die Erlaubnis des Herrn dafür. Und ich kann dir jetzt schon sagen, dass du die nicht bekommen wirst. Das Einzige, das du bekommen wirst, ist eine Tracht Prügel. Deine Stute auf seiner Weide grasen zu lassen, ist eine Sache. Eine seiner Zuchtstuten als Amme für einen Nebelhengst einzusetzen, eine ganz andere!"

    „Es braucht aber dringend etwas zu trinken, das weißt du doch selbst!"

    „Ich sage dir noch einmal, es wäre für alle das Beste, wenn du das Fohlen sofort tötest!"

    „Nein! Sieh dir das an!"

    Der kleine Hengst hatte es tatsächlich geschafft. Seine Beine zitterten zwar vor Anstrengung, aber er stand auf allen vieren.

    Kjell kniete neben ihm und deutete auf seine Brust.

    „Siehst du das, Oyvind? Er hat den gleichen Wirbel wie seine Mutter. Das heißt, er ist so schnell wie der Nordwind – das habe ich von dir gelernt. Er wird ein sehr gutes Streitross werden, wenn er erwachsen ist!"

    „Würde er vielleicht, aber einen Nebelhengst kann niemand zähmen, so ist das nun mal."

    Da lehnte sich das Fohlen bei Kjell an. Vielleicht nur, weil das Stehen und der Hunger es geschwächt hatten und es Halt suchte. Kjell fühlte sich jedoch von einer Wärme durchströmt, die er noch nie zuvor gespürt hatte. In diesem Moment wurde ein Band zwischen ihm und dem kleinen Hengst geschlossen, da war er ganz sicher. Niemand würde sie trennen – nicht, solange er es verhindern konnte.

    Entschlossen stand er auf.

    „Hilf mir, ihn zu Greta hinüberzubringen, Oyvind, bitte!"

    Der alte Mann seufzte.

    „Das wird Ärger geben, sehr großen Ärger. Und dann sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte!"

    Doch er wischte seine Hände am Stroh ab und untersuchte das Fohlen. Es war gesund und kräftig, kein Zweifel. Warum musste es nur ein Nebelhengst sein? Oyvind hatte Kjell in sein Herz geschlossen und so sehr für ihn gehofft, dass er ein brauchbares Pferd bekommen würde. Er war derselben Meinung wie der Gutsherr – Kjell hatte eine große Begabung für den Umgang mit Pferden. Der alte Mann hatte sich auch fest vorgenommen, alles zu tun, damit Kjell sein großes Ziel, die Aufnahmeprüfung der Rossgarde zu bestehen, erreichen konnte.

    Ohne ein weiteres Wort nahm er nun das Fohlen mit seinen Armen hoch und trug es hinüber zum Mutterstutenstall. Dabei handelte es sich um eine große Hütte, in der sich die Tiere frei bewegen konnten, bis die Fohlen kräftig genug waren, Tag und Nacht draußen in der großen Herde mitzulaufen. Hier waren zurzeit fünf Stuten mit ihren wenige Tage alten Fohlen untergebracht.

    Oyvind ließ Greta an dem Fohlen schnuppern und setzte es dann vorsichtig neben ihr ab. Zielstrebig steuerte der kleine Hengst ihre Milchquelle an. Er trank in langen Zügen. Gretas eigenes Fohlen sah neugierig zu. Die Stute ließ ihn gewähren und Kjell seufzte erleichtert. Sie schien das fremde Fohlen akzeptiert zu haben. Aber plötzlich bemerkte Greta ihren Irrtum und stieß den kleinen Hengst mit einem kräftigen Kopfstoß weg. Ihre gebleckten Zähne und flach zurückgelegten Ohren gaben ihm das klare Signal, es nicht noch einmal zu versuchen.

    Ihre Milch hatte dem Fohlen aber bereits genug Kraft gegeben, weiterzulaufen. Es lief einfach zur nächsten Stute und probierte dort sein Glück. Auch das ging ein paar Schlucke lang gut, bis es dort ebenfalls verjagt wurde. Doch es gab nicht auf und versuchte es weiter bei den anderen Stuten.

    Oyvind schüttelte den Kopf.

    „So etwas habe ich noch nie erlebt. Aber das wird nicht lange gut gehen. Die Stuten werden ihn schließlich tottrampeln. Glaub mir, es ist gnädiger, wenn du ihn erlöst."

    Es ging aber länger gut, als der alte Pferdekenner gedacht hatte. Der kleine Hengst entwickelte sehr schnell ein Geschick darin, bei den Stuten immer mehr Schlucke Milch zu stehlen, bis sie ihn vertrieben.

    „Was ist hier los?"

    Tjorbens sonorer Bass ließ den Jungen und den alten Mann zusammenfahren. Wie jeden Morgen machte der Gutsherr noch vor dem Frühstück eine Runde durch die Ställe. Wenn der alte Knecht hier mit seinem jungen Gehilfen bei den Mutterstuten stand, musste das einen Grund haben und den wollte er erfahren.

    Kjell schluckte und nahm dann seinen ganzen Mut zusammen.

    „Herr, das Fohlen lag verkehrt. Die Stute hat die Geburt nicht überlebt. Aber dem Fohlen geht es gut. Es ist ein Hengst, gesund und kräftig. Und er brauchte dringend

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