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Die Heroldin von Istra - Die Statuen von Terhilian: FANTASY-ROMAN, #2
Die Heroldin von Istra - Die Statuen von Terhilian: FANTASY-ROMAN, #2
Die Heroldin von Istra - Die Statuen von Terhilian: FANTASY-ROMAN, #2
eBook509 Seiten7 Stunden

Die Heroldin von Istra - Die Statuen von Terhilian: FANTASY-ROMAN, #2

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Über dieses E-Book

Trilogie 1 Teil 2 – Die Statuen von Terhilian.

Catrins Reise ins Ungewisse geht weiter und führt sie nach Glorlande, wo sie die kathurischen Mönche finden will, um mehr über ihre Fähigkeiten und die letzte istranische Periode herauszufinden. Neue Herausforderungen und Gefahren erwarten die Gefährten, aber auch neue Freunde.

SpracheDeutsch
HerausgeberAuthorLoyalty
Erscheinungsdatum20. Juni 2021
ISBN9781649470638
Die Heroldin von Istra - Die Statuen von Terhilian: FANTASY-ROMAN, #2

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    Buchvorschau

    Die Heroldin von Istra - Die Statuen von Terhilian - Brian Rathbone

    Besonderer Dank

    gilt den fleißigen Korrekturleser*innen

    Sieglinde, Katharina und Axel

    Ein Bild, das Karte enthält. Automatisch generierte Beschreibung

    Die Heroldin von Istra – Die Statue von Terhilian (Trilogie 1 Teil 2)

    Aus dem Englischen von David Hollmer

    Prolog

    Die Finsternis in den Kalten Höhlen war so undurchdringlich, dass Wendel die eigene Hand vor Augen nicht mehr sah. Ihn fror nicht direkt, doch gegen die feuchte Kälte, die ihm bis in die Knochen zog, war nicht viel zu machen. Bereits vor mehreren Stunden hatte er sich schlafen gelegt, doch seine Gedanken weigerten sich, zur Ruhe zu kommen. Seit Tagen stand er vor demselben unlösbaren Problem.

    Und dann war auch noch Catrin fort, während er noch immer wie ein Feigling in diesen verfluchten Höhlen festsaß. Dass Benjin sich ganz gewiss gut um sie kümmerte, war nur ein schwacher Trost. Vielleicht hatte sich Elsa vor all den Jahren doch geirrt; vielleicht hätte sie sich besser für ihn entscheiden sollen.

    Wendel lenkte seine Gedanken zurück auf das Dilemma, das es zu lösen galt. Catrin hatte ein Land hinterlassen, in dem die Machtverhältnisse nicht ungeklärter hätten sein können. Der Versuch seiner Tochter, die zjhonischen Männer mit nur ein paar Worten zu integrieren, war leider mehr als nur optimistisch gewesen. Unter den gegeben Umständen Frieden herzustellen, war ganz einfach zu viel, als dass es ein einzelner erreichen konnte. General Dempsy hatte sich mit den meisten seiner Männer zum Pinnukhafen zurückgezogen, was hieß, dass sie aus den an Land gespülten Wracks ein Schiff zusammenflickten und auch an Gütern retteten, was es zu retten gab.

    Im Meisterhaus sah es deswegen trotzdem nicht viel rosiger aus. Großmeister Grodin verlor allmählich völlig den Verstand, sodass es jetzt Meister Edling und seine Anhänger waren, die tatsächlich das Ruder in der Hand hatten. Ein arroganter Haufen war das, ebenso unberechenbar wie der General und vielleicht sogar noch durchtriebener. Und dass die Meister sich geweigert hatten, die übergelaufenen zjhonischen Soldaten als Bürger oder zumindest als Flüchtlinge zu akzeptieren, sorgte nun dafür, dass Wendel und die anderen Geflohenen ebenfalls nicht wieder zurückkonnten.

    Seine Tochter, die Heroldin von Istra? Selbst jetzt konnte er das noch nicht so recht fassen. Quasi im Alleingang hatte sie eine ganze Flotte zerstört. Diese Vorstellung kam ihm einfach surreal vor. Sie war doch sein kleines Mädchen und kein Vorbote des Untergangs.

    Wendel wusste, dass er seine Tochter so schnell nicht wiedersehen würde. Sie beide waren in Führungspositionen gefangen, die sie gar nicht innehaben wollten. Sie als Heroldin, und er als Anführer des Widerstands. Seine Versuche, die Macht abzugeben, waren erfolglos geblieben; niemand war bereit, seinen Platz einzunehmen.

    Diese Bürde zu tragen, brachte ihn an den Rand der Erschöpfung, doch ihm wollte beim besten Willen keine akzeptable Lösung einfallen. Wenn der Widerstand sich dem Willen der Meister, die Pierbor jetzt wieder kontrollierten, unterwerfen würde, dann würden die zjhonischen Überläufer vertrieben oder an General Dempsy ausgeliefert und als Deserteure gehängt werden. Beides konnte Wendel nicht zulassen.

    Dann kamen noch die Streitereien mit seinem Bruder hinzu. Jensen bestand darauf, dass sie das Ackerland und das Hochland zurückerobern sollten, aber Wendel fand es mehr als fahrlässig, den Schutz der Kalten Höhlen jetzt schon aufzugeben. Gleichzeitig mussten sie unbedingt die Ernte einholen, die noch zu retten war, fischen, jagen und einige Dutzend Fässer Salz gewinnen, um gemeinsam mit den übergelaufenen Soldaten den Winter überleben zu können.

    Wie lange konnten sie noch warten? Wendel seufzte und versuchte, den Kopf freizubekommen. Er seufzte erneut, drehte sich auf seinem Lager um und schloss die Augen. Dadurch, dass er weiter mit offenen Augen ins Dunkel starrte, würde sich ihm auch kein Ausweg offenbaren.

    Fauliger Gestank weckte ihn, und als er dazu kalten Stahl an seiner Kehle spürte, war er mit einem Mal hellwach. Wendel versuchte, zu schreien, doch eine Hand presste sich auf seinen Mund. Mit aller Kraft versuchte er, die Klinge mit seinen bloßen Händen wegzudrücken, doch gegen das Gewicht des Angreifers auf ihm kam er kaum an.

    Ein Lächeln formte sich auf Wendels Lippen, während seine Arme immer schwächer wurden und sein Schicksal unausweichlich wurde.

    Elsa, ich komme!

    Kapitel 1

    Hoffnung ist oft töricht oder vergebens, aber ohne sie lohnt der Kampf gar nicht erst.

    -Ebron Rall, Heiler

    Das Kielwasser schäumte die See auf und hinterließ einen weißen Streifen, der sich erst in weiter Ferne gänzlich verlor. Die Gischt war wie eine Straße, auf der ihr Verfolger sie jagte. Der Verstohlene Hai schaffte es, mit dem Tempo des Schlüpfrigen Aals mitzuhalten, war zugleich aber nicht schnell genug, um die Lücke merklich zu schließen.

    Der Aal war noch immer stark beschädigt, was bedeutete, dass der Großteil der Männer notdürftige Reparaturen vornahm, sich an der Bilgepumpe zu schaffen machte, oder eimerweise Wasser über die Reling kippte, anstatt sich darauf konzentrieren zu können, fortwährend die Segel richtig auszurichten und dem sich drehenden Wind anzupassen. Schon bevor sie aus dem Pinnukhafen ausgelaufen waren, hatte das Schiff eine beträchtliche Menge Wasser aufgenommen, und bisher hatte die Mannschaft lediglich die Zeit gefunden, die größten der Lecks zu schließen. Der unermüdliche Einsatz der Mannschaft war der einzige Grund, warum sie noch nicht gesunken waren.

    Hinzu kam, dass Kenwards Besatzung wegen der Toten, die sie zu beklagen hatten, seit sie geentert worden waren, stark unterbesetzt war. Der einzige Segen war der klare Himmel und der moderate Wind, der ihnen gerade so die Segel füllte und dafür sorgte, dass ihr Bruderschiff, der Verstohlene Hai, nicht schneller aufholen konnte und ihnen auch das Segeltuch nicht weiter einriss.

    Catrin, deren Haar von dem Energieblitz versengt worden und nun ungleichmäßig kurz war, stand neben Kenward am Heck und beobachtete das Schiff, das sie verfolgte.

    »Ich verstehe es nicht«, sagte Kenward. »Der Hai ist in viel besserem Zustand als der Aal; er hätte uns eigentlich längst einholen müssen. Die Zjhon, die das Schiff meiner Schwester gekapert haben, müssen blutige Landratten sein.«

    »Es tut mir leid um deine Schwester«, sagte Catrin und berührte seinen Arm.

    »Fasha ist der hartnäckigste und zähste Mensch, den ich kenne«, sagte er mit großem Stolz. »Ganz sicher hat sie sich nicht von solchen Amateuren töten lassen. Sie ist also noch irgendwo da draußen und wartet nur auf den richtigen Moment, um zurückzuschlagen. Würde mich nicht wundern, wenn sie gerade ihrem Schiff hinterherschwimmt – und es dabei sogar noch einholt.«

    Seine Übertreibung brachte Catrin zum Lächeln. Wieder einmal dachte sie darüber nach, wie es wohl gewesen wäre, mit einem Bruder oder einer Schwester aufzuwachsen. Jago kam so etwas wie einem Bruder definitiv am nächsten, aber es war gewiss nicht dasselbe. Sie fühlte Kenwards Verlust. Noch bestand zwar Hoffnung, dass seine Schwester am Leben war, doch es lag auf der Hand, wie unwahrscheinlich das eigentlich war. Catrin verstand, wie es ihm ging, denn dieselbe aussichtslose Hoffnung hatte sie in Bezug auf ihren Vater, Benjin und ihre teuren Freunde. Nicht zu wissen, ob sie noch am Leben waren, brachte sie der Verzweiflung nahe.

    »Da, siehst du?«, rief Kenward plötzlich. »Die Segel stehen doch im völlig falschen Winkel. Sieh dir das an! Die sind sogar dabei, vom Kurs abzukommen. Wenn uns diese Dummköpfe tatsächlich erwischen sollten, dann werfe ich mich höchstpersönlich den Haien zum Fraß vor!« Mit wutentbranntem Gesicht stapfte er davon. Catrin schaffte es kaum, hinterherzukommen, so erschöpft war sie noch immer. Zwar hatte sie für einige Momente die Augen schließen können, doch ein wirklich erholsamer Schlaf war es nicht gewesen.

    »Was kann ich tun, um zu helfen?«

    »Du hast bereits mehr getan, als ich hätte erwarten können. Ohne deine Magie hätten wir nicht die geringste Aussicht auf Erfolg gehabt. Jeder, der jetzt noch atmet, verdankt dir sein Leben.« Catrin stutzte bei diesem Wort. Magie. Natürlich war es keine Magie, die sie da wirkte, sondern lediglich Energieströme, die sie in begrenztem Maße mit ihrem Geist formen und lenken konnte. Oder machte sie eben genau das doch zu so etwas wie einer echten Magierin? Catrin verwarf den Gedanken und entgegnete Kenward: »Genau wie ich mein Leben dir und deiner Mannschaft verdanke. Ihr habt euer Leben riskiert, um uns zu retten, und dafür werde ich euch für immer dankbar sein.«

    »Das hätte doch jeder getan«, wehrte Kenward ab. »Aber wenn du dich wirklich nützlich machen willst ... Arbeit gibt es zu genüge, und zu wenige Männer, die sie ausführen können. Ich habe Bryn zum Bootsmann befördert, da Jimini den Sturm nicht überstanden hat. Jimini war ein guter Mann – der beste –, aber Bryn hat den Posten verdient. Du kannst für den Anfang einige von Bryns alten Aufgaben übernehmen. Am besten lässt du dich von ihm persönlich einweisen.«

    Nachdem Catrin einen Großteil des Schiffes durchsucht hatte, entdeckte sie Bryn hoch über ihrem Kopf dabei, wie er methodisch jeden Teil der Takelage nach Schäden, die einer dringenden Reparatur bedurften, absuchte. Taue, Rollen, Segeltuch, Masten, Knoten – nichts entging seinen kontrollierenden Augen. Als er einen Moment nach unten sah, bemerkte er sie und winkte.

    »Bryn, hast du einen Moment Zeit?«, rief sie zu ihm hinauf.

    »Freie Momente, Fräulein Catrin? So was gibt's für mich nu nich mehr. Tut mir leid«, rief er hinab. »Aber weilses Ihr seid, komm ich natürlich trotzdem kurz runter.« Im Gegensatz zu seinen gewohnten akrobatischen Bewegungen, kletterte er nun langsam und vorsichtig. »Mein Kopf tut noch immer weh, und mein Gleichgewichtssinn is irgendwie noch nich wieder ganz richtig. Ich komm mir vor wie'n richtiger Tölpel.«

    »Das geht sicher bald vorbei, und dann bist du wieder ganz der Alte. Ich weiß, dass du zu tun hast und wir nicht genug Leute haben. Weißt du, wie ich mich nützlich machen könnte? Und hatte ich dir nicht eigentlich gesagt, dass du mich einfach nur Catrin nennen solltest?«

    Einen Moment lang sah es so aus, als wäre er beleidigt, weil sie als Passagier Hand anlegen wollte, doch als sie ihre Hände in die Hüften stemmte, lächelte er. »Gut, Catrin, 's erste, was du lernen musst, is, wie man 'n paar saubere Knoten macht. Eigentlich sollt ich dir sogar alle Knotenarten zeigen, wenn du dich hier wirklich nützlich machen willst.«

    »Ist das alles?«

    Bryn sagte, dass sie kurz warten sollte, und kam wenig später mit einem großen, zusammengerollten Pergament und einem dünnen Stück Seil zurück. Er reichte ihr beides. »Melde dich wieder, wenn du die allesamt gemeistert hast«, sagte er. Catrin freute sich, dass sie eine Aufgabe bekommen hatte, die nicht zu viel Kraft kosten würde, denn sie fühlte sich noch immer etwas schlapp. Lernbegierig breitete sie das Pergament auf dem Deck aus und fixierte es mit zwei leeren Fässern. Was sie da vor sich hatte, waren Instruktionen zu einer großen Anzahl von Knoten inklusive ihrer Namen. Eine ganze Menge Information auf so wenig Raum. Nie im Leben hätte sie vermutet, dass es so viele unterschiedliche Arten gab. Es hatte zuerst nicht danach ausgesehen, doch dies würde definitiv eine Herausforderung sein.

    Entschlossen begann sie mit dem obersten Knoten. Er war im Grunde ganz simpel, doch das Seil verhedderte sich in ihren Händen und ließ nicht zu, dass sie diesen ganz einfach aussehenden Palstek hinbekam. Hartnäckig versuchte sie es wieder und wieder, bis es schließlich klappte. Stolz bewunderte sie ihren ersten Seemannsknoten, als Nat sich näherte.

    »Es freut mich, dass du wieder einigermaßen bei Kräften bist, und es ist schön, dass du dich nützlich machen willst, aber wir müssen dringend reden.«

    »Gut«, antwortete Catrin, auch wenn ihr weder sein Blick noch sein Tonfall gefiel.

    »Ich weiß, dass Benjin vorhatte, einige Dinge mit dir zu bereden, weiß aber nicht, ob er sich tatsächlich dazu überwinden konnte«, sagte er. »Habt ihr in den vergangen Wochen über deine Mutter gesprochen?«

    Catrin wandte sich ihm blitzschnell zu und starrte ihm direkt in die Augen. Mit einer so persönlichen Frage hatte sie nicht gerechnet. Auch verstand sie nicht, was er mit dieser Frage bezweckte. Die meisten Erinnerungen an ihre Mutter waren verblasst und glichen eher verschwommenen Bildern, aber trotzdem gab ihr der bloße Gedanke an sie ein wohliges Gefühl von Geborgenheit. Manchmal bildete sie sich ein, dass es nach Rosen roch, wenn sie an ihre Mutter dachte. Rosen hatte sie geliebt, besonders die wilden weißen. Als Catrin gerade antworten wollte, hängte Nat eine weitere Frage an.

    »Hat dein Vater dir jemals von der Familie deiner Mutter erzählt?«

    »Nein. Er hat nie gern über sie geredet, weil ihn die Erinnerung an sie so sehr geschmerzt hat, und ich wollte ihn ja nicht unglücklich machen, also habe ich nie nachgebohrt«, antwortete Catrin.

    »Hat Benjin dir erzählt, was deine Mutter für ihn bedeutet hat?«, fragte er weiter. Catrin sah ihm an, dass es ihm ganz und gar widerstrebte, über dieses Thema zu reden, was nur bedeuten konnte, dass sie gleich etwas erfahren würde, das wirklich wichtig war.

    »Benjin und ich haben aus denselben Gründen nie über meine Mutter gesprochen«, antwortete Catrin.

    Nat seufzte. »Sie hätten es dir sagen sollen, aber da sie es nicht getan haben, werde ich es jetzt wohl tun müssen. Es tut mir leid. Es wäre wirklich besser gewesen, wenn Benjin oder dein Vater derjenige gewesen wäre, der damit ins Reine gekommen wäre.«

    Catrin war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie überhaupt hören wollte, was Nat wusste. »Ich denke ... Ich weiß nicht ... Ist es denn wirklich notwendig, dass ich es erfahre?«

    »Es tut mir leid, Catrin, aber da Glorlande unser Ziel ist, ist es unabdingbar, dass du Bescheid weißt. Dein Leben könnte von diesem Wissen abhängen«, gab er entschlossen zurück, und sie nickte. »Du hast wahrscheinlich gehört, dass mein Vater geistesgestört war, und die Leute sagen, ich hätte seine Krankheit geerbt. Mein Vater hatte Visionen. Er hat Dinge gesehen, die ihn dazu zwangen, viele Opfer zu bringen, und seinen Weg leiteten. Viele Male wusste er selbst nicht, was er tat. Eine Vision gleicht oft eher einer überwältigenden Intuition.« Nat betrachtete sie eine Weile lang, als ob er eine Reaktion erwartete.

    Natürlich hatte sie die Gerüchte gehört. Jeder hatte das. Aber Catrin war egal, was alle dachten, und beurteilte Nat lieber selbst – auch wenn das nicht immer so gewesen war. Immerhin hatte er ihr Informationen gegeben, die ihr bei der Flucht geholfen hatten. Ohne seine Hilfe wäre sie vermutlich längst in Gefangenschaft oder tot. Im Grunde verdankte sie ihm also ihr Leben.

    Als sie an das zurückdachte, was Kenward vorhin gesagt hatte, wurde ihr klar, dass sie alle einander ihr Leben verdankten. Keiner von ihnen hätte allein durchstehen können, was sie gemeinsam zu überdauern hatten.

    »Woher wusstest du eigentlich diese Dinge, die du mir in deiner Botschaft geschrieben hast? Es war alles so verworren. War das wirklich das Ergebnis einer deiner Visionen?«, fragte sie geradeheraus. »Ich meine zum Beispiel den Teil über Land und Wasser? Wie konntest du über meine Zukunft Bescheid wissen?«

    Jetzt war Nat derjenige, der dumm aus der Wäsche guckte. »In die Zukunft sehen meinst du? Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Diese Worte flossen einfach durch mich hindurch in den Federkiel. Als ich sie gelesen hatte, wusste ich selbst nicht, was sie zu bedeuten hatten.« Er schaute einen Moment lang nachdenklich drein. »Habe ich denn tatsächlich etwas vorhergesagt?«

    Seine Worte waren ihr seltsam erschienen, als sie sie gelesen hatte, weil sie keinen Sinn ergeben hatten. Doch als sie Inspiration gebraucht hatte, hatten sie plötzlich in ihrem Kopf geläutet.

    Wasser formt das Land.

    Seine seltsame Poesie hatte den Lauf der Geschichte verändert. Als sie erzählte, was auf dem Plateau geschehen war, wurden seine Augen immer größer.

    Nachdem sie fertig war, saß er fassungslos da und starrte auf seine Hände. »Meine Worte haben also dafür gesorgt, dass Hunderte ihr Leben verloren haben.«

    »Ich hatte keine andere Wahl«, entgegnete Catrin.

    »Ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Ich weiß ja, dass du dein Bestes gegeben hast. Ich war einfach nur erstaunt über die Wirkung meiner Worte. Du hast deine Heimat beschützt, und das macht dich zu einer wahren Heldin.«

    Catrin sah sich nicht als Heldin. Eher als verängstigtes, kleines Mädchen, das nicht auf die bevorstehenden Herausforderungen vorbereitet war, denen sie sich stellen sollte. Kenward und Bryn, die indessen beobachtet hatten, wie ihr Verfolger, der Verstohlene Hai weiter vom Kurs abgekommen war, kamen gerade auf sie zu und rissen sie aus ihren Gedanken.

    »Ich denk nicht, dass die überhaupt in der Lage sin', uns einzuholn«, stellte Bryn fest. »Die ham ja kaum nen Schritt gutgemacht, während wa noch am Repariern warn, aber nu, wo wa mehr Tempo an den Tag legen wie vorher, werdn wa die aber so was von abhängen.«

    Kenward nickte. »Wenn wir nicht verhungern wollen, sollten wir uns ans Fischen machen. Leider können wir aber auch nicht den gesamten Laderaum mit Fisch füllen, denn das würde uns zu sehr verlangsamen. Wenn dieser Haufen Landratten doch noch herausfinden sollte, wie man den Wind in seiner vollen Gänze nutzt, könnten wir in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.«

    »Falls die wie durch'n Wunder Wind in ihre Segel bekommen sollten, können wa den Fang ja wieder zurück ins Meer werfen, aber ich für mein' Teil würd lieber nich verhungern, wenns auch 'ne Alternative gäb«, sagte Bryn, und Kenward lächelte. »Lasst zwei der Netze los, Männer! Lasst uns fischen!«

    Zwei mittelgroße Schleppnetze wurden mit mehreren Leinen, Haken und Ködern versehen. Catrin erschrak, als ein smaragdgrüner Teppich begann, die Gewässer um das Schiff herum zu bedecken – abgesehen von der dunklen Spur aus Kielwasser, die sie hinterließen.

    »Das kommt vom Sturm«, erklärte Kenward. »Wir nennen so was Sturmoase. Die pure Gewalt des Sturms reißt Nährstoffe aus dem Meeresboden heraus, wodurch große Mengen an Plankton in sonst unfruchtbaren Gewässern gedeihen können. Das Plankton lockt Fische an, die wiederum noch mehr Fische anlocken – und Vögel.« Er zeigte auf die Steuerbordseite. Catrin war gespannt, was sie dort erwarten würde. Erschreckt machte sie einen Satz rückwärts, als plötzlich eine gewaltige Kreatur durch die Oberfläche brach.

    »Wale. Es werden noch mehr kommen. Halt deine Augen auf das Meer gerichtet. Wer weiß, was sich sonst noch zeigt.«

    Catrin hatte ohnehin nicht vorgehabt, die Augen abzuwenden, denn sie hatte fürchterliche Angst, dass diese blauen Riesenfische das Schiff angreifen würden. Kenward versicherte ihr zwar, dass sie keine Bedrohung darstellten, aber wirklich wohl fühlte sie sich deswegen trotzdem nicht.

    Nur wenig später schlossen sich ihnen einige Tümmler an und spielten im Kielwasser. Sie grüßten mit schrillen Geräuschen und fröhlichen Possen. Einige sprangen hoch in die Luft, während andere auf dem Schwanz über das Wasser tänzelten. Die natürliche Schönheit ließ Catrin all das, was sie beunruhigte, vergessen und so unbekümmert werden wie lange nicht mehr.

    Später, als die Besatzung die ersten Schleppnetze einholte, wurde die Freude noch größer, denn drei riesige Thunfische wanden sich im Netz.

    Umgehend wurden große Salzkassetten und Kiefernholzkisten an Deck gebracht. Der gereinigte Fisch wurde in die Kisten gelegt und dann mit getrocknetem Meersalz bedeckt, damit er länger haltbar war. Catrin und Nat halfen, so gut sie konnten. Nat erntete respektvolle Blicke und lobende Worte, als die Mannschaft Zeuge davon wurde, wie geschickt er mit dem Filetiermesser umgehen konnte, doch Nat wehrte nur ab, dass das doch jeder könne. Bald schon lachten sie alle zusammen und klopften ihm auf die Schulter, während sie sich über ihre Techniken austauschten.

    Catrin hatte keine besondere Begabung für das Ausnehmen von Fischen, aber auch wenig Lust, sich in dieser Fertigkeit zu üben, also gab sie sich damit zufrieden, beim Salzen zu helfen. Der Salzvorrat ging schnell zur Neige, aber die Mannschaft hatte bereits damit begonnen, große Töpfe mit Meerwasser abzukochen, um neues zu gewinnen. Es war ein langsamer und mühsamer Prozess, doch der Haltbarkeit wegen zwingend notwendig.

    Kenward beobachtete aufmerksam, wie Catrin, Nat und Vertukk an der Seite seiner Mannschaft arbeiteten.

    »Ich möchte die neuen Mitglieder offiziell in der Besatzung willkommen heißen. Sie mögen zwar vielleicht nicht den Bug vom Heck zu unterscheiden wissen, aber arbeiten können sie, als ob ihr Leben davon abhinge«, sagte er und lächelte breit. Catrin fand, dass es ein seltsames Kompliment war, die Mannschaft jedoch jubelte und stampfte mit den Füßen. Catrin lächelte verlegen, war aber froh, sich ihren Respekt verdient zu haben. Noch mehr freute sie sich aber darüber, dass Nat so gut aufgenommen wurde. Noch nie zuvor hatte sie ihn so glücklich erlebt.

    Die See meinte es sehr gut mit ihnen. Als der Tag sein Ende nahm, war fast die Hälfte des Laderaums mit gesalzenem Thunfisch, Rundaugen und zwei Haien gefüllt. Grubb, der Koch des Schiffes, bereitete ein Festmahl aus frischem Fisch für das Abendessen zu. Der Duft, der bereits jetzt aus der Kombüse kam, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.

    Catrin war zwar erschöpft, aber sie fühlte sich großartig. Die harte Arbeit hatte sie ihre Sorgen vergessen lassen, oder sie zumindest realisieren lassen, dass es Dinge gab, die sie nun mal nicht ändern könnte.

    Nachdem sie das Übungsseil und die Pergamentrolle in ihrer Kabine verstaut hatte, suchte sie Nat. Ihr Gespräch war noch nicht beendet gewesen, und sie musste wissen, was er ihr noch zu sagen hatte. Seine Kabinentür war geschlossen, aber sie konnte hören, wie er sich im Inneren bewegte. Sie klopfte behutsam und wartete.

    Nat öffnete die Tür und seufzte, als er sie sah. »Na komm schon rein. Ich nehme an, du willst den Rest hören«, sagte er, während er in seine Hängematte kletterte. Er starrte die Decke an und überlegte einen Moment, wo er stehengeblieben war.

    »Als dein Vater, Benjin und ich in etwa in deinem Alter waren, hatte mein Vater eine Vision, die ihn davon überzeugte, dass die Zjhon die Härrenfaust angreifen würden. Ich habe ihm damals nicht geglaubt. Soweit ich wusste, hatte unsere Stadt seit Hunderten, wenn nicht Tausenden von Jahren keinen wirklich Fremden mehr gesehen. Deswegen hatte ich begonnen, Wahrheit in dem zu sehen, was andere über ihn behaupteten. Ich glaubte, er sei vom Wahnsinn befallen.

    Er hatte versucht, mich dazu zu bringen, nach Glorlande zu reisen, um Gewissheit zu finden. Ich hatte mich jedoch geweigert. Ich hatte damals nur Augen für Julet und wollte sie davon überzeugen, mich zu heiraten. Er sagte, dass schreckliche Dinge passieren würden, wenn ich nicht ginge, und dass ich jung, stur und töricht sei.«

    Er hielt inne. Trauer lag in seiner Stimme, als er fortfuhr. »Er gab mich auf und wand sich stattdessen an deinen Vater. Wendel war jung, stolz, abenteuerlustig, und hätte fast alles getan, um seine Tapferkeit zu beweisen. Als mein Vater ihn herausforderte, schluckte dein Vater den Köder mitsamt Haken und Schnur. Sobald sein Entschluss gefasst war, hätte ihn niemand mehr von seiner Entscheidung abbringen können – nicht, dass viele Bescheid gewusst hätten.« Nat holte tief Luft. »Benjin hat die Reise für absoluten Wahnsinn gehalten. Er hat lange mit deinem Vater darüber gestritten und versucht, ihn davon abzubringen, aber irgendwie hat Wendel es letztendlich geschafft, stattdessen Benjin davon zu überzeugen, mit ihm zu kommen.«

    Nats Tonfall hatte sich verändert. Mittlerweile kam es Catrin mehr so vor, als ob er mit sich selbst spräche, als ob er völlig vergessen hätte, dass sie überhaupt da war, so sehr vereinnahmten ihn seine Erinnerungen.

    »Vater hat die entsprechenden Vorkehrungen getroffen. Benjin und Wendel gingen umgehend an Bord eines kleinen Piratenschiffes, das entlang der Südküste der Härrenfaust unterwegs war. Eigentlich war geplant, mit diesem Schiff nur bis zu den Falkeninseln zu segeln, aber irgendwie schafften sie es, darauf bis zur Glorlande zu kommen. Es ist ein wahres Wunder, dass sie nicht untergegangen sind.« Nat wurde still. Seine Hände ballten sich zur Faust, und Catrin glaubte, ein leises, kehliges Knurren zu hören. Er setzte mehrmals zum Sprechen an, stoppte jedoch abrupt wieder, bis er den Faden wieder aufnahm.

    »Nicht lange darauf habe ich bereits versucht, diese beiden Narren und den Wahnsinn meines Vaters zu vergessen. Ich tat einfach so, als wäre nichts davon real, verrückter Humbug – bis meine Julet plötzlich verstarb.« Er stockte und rang nach Atem. »Sie wurde von einer Glasviper gebissen. Die sind extrem giftig, kommen hier aber eigentlich nicht vor. Wie dieses Unglück passieren konnte, wie dieses Mistvieh in ihr Bett gelangen konnte, ist bis heute ein ungeklärtes Rätsel, aber es hat mich alles gekostet. All meine Hoffnungen, all meine Träume sind an diesem Tag mit Julet gestorben. Möge ihre Seele frei sein.«

    Keine Worte hätten das Beileid, das Catrin fühlte, angemessen ausdrücken können. Es gab nichts, was sie hätte sagen können, das nicht absolut abgedroschen geklungen hätte. Catrin legte ihre Hand auf Nats Schulter und drückte sanft zu. Sie gab ihm alle Zeit zum Trauern, die er benötigte.

    Nach einer Weile räusperte er sich, murmelte eine Entschuldigung und fuhr fort: »Mein Vater hat mir die Schuld dafür gegeben. Er sagte, ich hätte das Schicksal beleidigt, und daher habe mich das Schicksal in gleicher Weise behandelt. In meiner völligen Verzweiflung meiner geliebten Julet gegenüber, flehte ich das Schicksal an, sie mir wiederzugeben, und dass ich im Gegenzug versuchen würde, die Dinge richtigzustellen. Ich wusste, dass es nie funktionieren würde, aber das konnte mich nicht davon abhalten, es zumindest zu versuchen. Und den Anblick meines Heimatlands konnte ich ohnehin nicht mehr ertragen. Noch in derselben Nacht, in der Julet starb, verließ ich Härrenfaust. Mit einem Fischerboot zog ich los, in der Hoffnung, Wendel und Benjin schon bald einzuholen. Es war eine schreckliche Reise, die schwer an mir zehrte, und ich erspare dir die Details, aber es sollte über ein Jahr dauern, bis ich sie schließlich fand. Doch ich habe nicht nur sie gefunden. Denn außerdem hatte ich die Ehre, deine Mutter kennenlernen zu dürfen. Leider war ich jedoch in eine schwierige Zeit hineingeplatzt«, stellte er betrübt fest und sah ihr zum ersten Mal, seit er zu erzählen begonnen hatte, direkt in die Augen. »Es tut mir leid, dass ich nun derjenige sein muss, der dir diese Geschichte erzählt«, sagte er und hielt inne, als wäre er nicht sicher, wo er ansetzen sollte.

    »Deine Mutter hatte nicht nur das Herz deines Vaters erobert, Catrin, sondern auch das von Benjin. Sie war sich allerdings lange Zeit nicht über deren Gefühle bewusst gewesen, wodurch die Anspannung ins Unermessliche gewachsen war. Wendel und Benjin waren immer verbitterter zueinander geworden und beide waren unglücklich. Eines Tages hatten sie, wie Wendel mir später erzählte, Elsa gemeinsam aufgefordert, dass sie sich zwischen ihnen entscheiden müsse, aber da sie keinen der beiden verletzen wollte, hatte sie abgelehnt. Es wäre vermutlich das Beste gewesen, wenn sie sich an diesem Tage zu einer Entscheidung durchgerungen hätte, denn nur einige Tage später begann Benjin mit Wendel erneut einen Streit deswegen – das war kurz nachdem ich zu ihnen stieß, was mich wohl zu einem Vorboten des Unglücks macht. Sie stritten sich so sehr, dass es schließlich eskalierte und sie mit bloßen Händen aufeinander einschlugen. Elsa und mir war es fast nicht möglich gewesen, sie auseinanderzuziehen, und auch wenn wir es schließlich schafften, die beiden zu trennen, musste wir schwere Hiebe einstecken. Blind vor Liebe haben sie gekämpft und um sich getreten.

    Als dieser Wahnsinn vorüber war, waren es jedoch Wendels Wunden, die Elsa zuerst umsorgte. Ich bin mir nicht sicher, ob ihn der Verlust seines Freundes dazu getrieben hatte, oder Elsas stille Entscheidung, aber Benjin ging fort, ohne ein Wort zu sagen.«

    Catrin fühlte, wie ihr Herz brach, als sie der Geschichte lauschte. Den Gedanken, dass ihr Vater und Benjin so gestritten hatten, konnte sie nicht ertragen. »Warum erzählst du mir all das? Warum jetzt?«

    »Ich erzähle dir das, weil es Leute in Glorlande gibt, die sich an deine Eltern und die Geschehnisse rund um ihre Abreise nur zu gut erinnern werden. Weißt du, deine Mutter war die Tochter eines sehr wohlhabenden Adligen, eines Barons, um genau zu sein. Er hielt einen Moment inne, um Catrin direkt anzusehen. »Du bist deiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, weißt du das?«

    Tränen trübten ihre Sicht. Catrin konnte es nicht mehr ertragen. Sie stieß die Tür auf und ergriff die Flucht.

    Nat war nicht stolz auf sich, aber er hatte begonnen, das Richtige zu tun. Dennoch fürchtete er, was als Nächstes kommen würde, und bezweifelte, dass Catrin es verstehen würde, welche Worte er auch wählte. Er seufzte und schloss die Augen. Es hätte keinen Sinn. Wie viel Zeit auch verstrich, das Land der Träume wollte ihn nicht zu sich holen und ihn von seinen Schuldgefühlen befreien.

    Ein unangenehmes, aber vertrautes Gefühl, begann mit einem Mal stetig zuzunehmen, egal, wie sehr er sich dagegen sträubte. Der Geschmack von Blut füllte seinen Mund. Seine Muskeln versteiften sich, als seine Sinne von einer Vision vereinnahmt wurden.

    Das Land erzitterte unter der Last eines krankhaften, grünen Lichts. Ein böser Dämon mit Augen aus Eis spaltete die Luft, und der Himmel fing Feuer. In der Richtung, die der Dämon unaufhaltsam einschlug, stand, verlassen und allein, Catrin, die Arme weit ausgestreckt, mit Energieströmen, die ihren gesamten Körper durchflossen und sie sanft umwogten. Mit lautem Brüllen fegte der Dämon über sie hinweg und verschlang sie mehr und mehr in seinen Flammen, bis sie vollständig in der unbändigen Feuersbrunst verschwunden war.

    Nat atmete tief ein, als der Anfall ihn wieder losließ, und er seine Glieder wieder bewegen konnte. Er fühlte sich erschöpft – erschöpft von der Vision, seiner Bürde und dem Zorn, der nicht der seine war, der ihm aber dennoch innewohnte.

    Kapitel 2

    Die Vergangenheit ist unveränderlich, doch die Handlungen des Augenblicks weben das Tuch der Zukunft.

    -Enoch Giest, Gelehrter der Ersten

    Catrin hatte Nat in den nächsten Tagen gemieden und sich stattdessen mit ihren Knoten beschäftigt. Stolz darauf, sie schließlich alle zu beherrschen, suchte sie Bryn auf und demonstrierte eifrig, was sie gelernt hatte.

    »Nich übel«, stellte er fest, »aber auf nem Schiff muss man die auch ohne Hinsehen knoten können. Komm wieder, wenn du se alle mit geschlossenen Augen hinkriegst.«

    Catrin war enttäuscht, doch keineswegs bereit, aufzugeben. Fest entschlossen, diese Aufgabe zu meistern, setzte sie sich im Schneidersitz aufs Deck und schloss die Augen. Nach einer Weile der Ruhe war es, als ob ihre anderen Sinne geschärfter als üblich waren. Als Nat über das Deck lief, erkannte sie ihn allein an dem rhythmischen Tocken seines Stabes gegen die Planken. Sie konnte sich so genau vorstellen, wo er sich gerade befand, und wie er sich bewegte, als ob sie ihn tatsächlich sehen könnte. Daher war sie auch nicht überrascht, als die Geräusche vor ihr zum Stillstand kamen, und Nat zu sprechen begann.

    »Es tut mir leid, Catrin. Ich wollte dir nicht wehtun.«

    »Und warum hast du es dann? Hättest du mir nicht einfach sagen können, dass ich wie meine Mutter aussehe und mich deswegen Leute erkennen könnten?«, entgegnete sie trotzig und erkannte, dass ihre Worte unüberlegt gewesen waren. Nat war nicht schuld an dem Schmerz, den seine Botschaft in ihr ausgelöst hatte.

    »Es tut mir leid«, sagte er erneut.

    »Nein, mir tut es leid. Ich habe überreagiert und mich wie ein kleines Kind benommen. Bitte setz dich doch zu mir«, sagte sie und klopfte auf die Stelle neben sich. Nat ließ sich langsam nieder und ächzte schwerfällig.

    »Ich werde alt.«

    »Mir brennt schon seit Ewigkeiten eine Frage auf der Zunge«, sagte Catrin und wechselte das Thema. »Wie hast du es eigentlich geschafft, den Stab nicht zu verlieren? Beschlagen mit all dem Metall ist er doch viel zu schwer, als dass er hätte schwimmen können, oder?« An den eigenen Sturz ins Meer und den nachfolgenden Kampf ums Überleben konnte sie sich nur zu gut erinnern.

    Catrin blickte zu ihm hinüber. Sein Rücken versteifte sich und sein Gesicht wurde kalt wie Stein. »Ich hatte eine Wahl, die ich zu diesem Zeitpunkt zu treffen hatte«, sagte er. »Ich musste zwischen meinem eigenen Leben und dem letzten Wunsch meines Vaters wählen. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich mich mit dem Stab in der Hand in der wüsten See nicht lange über Wasser halten können würde. Aber den Stab untergehen zu lassen, wäre ein Verrat meinem Vater gegenüber gewesen. Und die Konsequenz davon habe ich nicht zulassen können – nicht noch einmal. Nein, das konnte ich einfach nicht.« Einen Moment lang spürte Catrin die Abscheu, die Nat gegenüber sich selbst verspürte, weil er es auch nur für einen kleinen Moment erwogen hatte, den Stab loszulassen. »Die Männer, die mich gerettet haben, meinten auch schon, was ich denn für ein hirnverbrannter Dummkopf sei, und dass nur ein Verrückter versuchen würde, lieber an einem eisenbeschlagenen Stock festzuhalten und zu ertrinken, als beide Hände zum Schwimmen freizuhaben.«

    »Ich verstehe«, sagte Catrin und blickte ihm direkt in die Augen.

    Nat schüttelte den Kopf. »Sie müssen tatsächlich angenommen haben, dass ich von allen guten Geistern verlassen war, weil ich bereit war, für meinen Stab zu sterben. Wie hätten sie es auch verstehen können. Ohne ihre sofortige Hilfe wäre ich jedenfalls tatsächlich sehr schnell ertrunken.«

    Nat seufzte, brach den Blickkontakt zu Catrin ab und sah beschämt zu Boden. »Es tut mir leid, aber ich muss dein Gewissen noch mit weiteren Informationen belasten. Du bist davongestürmt, bevor ich überhaupt zum Punkt kommen konnte. Ich kann dich nicht nach Glorlande begleiten«, stellte er geradeheraus und gleichzeitig widerwillig fest.

    Catrin stutzte. Unfähig, eine Antwort zu formulieren, starrte sie ihn nur ungläubig an.

    »Es ist ja nicht so, dass ich nicht mit dir kommen will. Bitte habe Verständnis. Ich weiß, dass ich einen Eid geleistet habe, dich zu beschützen, und das werde ich auch tun, solange ich kann. Aber nach Glorlande kann ich dich ganz einfach nicht begleiten. Es ist mir nicht möglich. Ich wusste, dass diese Zeit kommen würde, und ich habe sie gefürchtet, aber nun ist sie da, und ich muss meiner Pflicht gegenüber meinem Vater nachkommen«, stellte er entschlossen fest.

    Catrin war sich nicht sicher, wie viel mehr sie noch ertragen konnte.

    »Auf seinem Sterbebett musste ich schwören, dass ich nie wieder einen Fuß in dieses Land setze. Er versicherte mir, dass ich, wenn ich es doch täte, noch weitaus Schrecklicheres verursachen würde als Julets Tod.«

    Er sah Catrin direkt an. »Mir scheint, als ob ich mehr Eide geleistet habe, als ich halten kann, denn nun kann ich unmöglich beide erfüllen. Würdest du, Catrin Volker, Heroldin von Istra und meine liebe Freundin, mich daher bitte von meinem Gelübde entbinden?«, fragte er und verbeugte sich so tief, dass sein Haupt das Deck berührte.

    »Nein, kann ich nicht«, entgegnete sie mit so viel Nachdruck in der Stimme, dass sein Kopf überrascht nach oben zuckte. Bestürzt sackte er in sich zusammen. Schließlich überwand er sich, Catrin wieder anzusehen und war verwirrt, sie mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht vorzufinden.

    »Du kannst sehr wohl beide Versprechen halten. Du brauchst dich also nicht zu entscheiden. Du musst mich nicht begleiten, um mich und meine Interessen zu schützen, denn ich brauche ohnehin jemanden, der in Härrenfaust nach dem Rechten für mich sieht.«

    Nat lächelte, als ihm klar wurde, dass sie sein Dilemma geschickt gelöst hatte. Catrin bekam allerdings ein ungutes Gefühl dabei in der Magengrube. Nun hatte sie nur noch Vertukk, der sie auf die Glorlande begleiten würde, und sie war sich ziemlich sicher, dass dieser davon ebenso eingeschüchtert sein würde wie sie selbst. Vielleicht wäre es das Beste, wenn sie sich den Zjhon alleine stellte.

    »Für deine Überfahrt von den Falkeninseln aus ist bereits gesorgt, und ich habe noch etwas zusätzliches Gold für dich. Außerdem versichere ich dir, dass Mitglieder der Vestrana dir in Glorlande bei deiner Suche zur Seite stehen werden.«

    »Ich danke dir«, sagte Catrin und nickte, doch gleichzeitig spürte sie, dass sich ihre Beziehung verändert hatte. Das Wissen darum, dass er sie nicht begleiten würde, war wie ein Keil, der sich zwischen sie getrieben hatte. Noch eine ganze Weile lang saßen sie still nebeneinander und spendeten sich

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