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Aspora-Trilogie, Band 1: Das Herz der See
Aspora-Trilogie, Band 1: Das Herz der See
Aspora-Trilogie, Band 1: Das Herz der See
eBook520 Seiten7 Stunden

Aspora-Trilogie, Band 1: Das Herz der See

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Über dieses E-Book

Ein Fantasy-Epos um Liebe, Macht und Unsterblichkeit

Unheilvolle Plagen suchen die ferne Welt Aspora heim und zwingen die vier Völker, ihre Zwistigkeiten und kulturellen Barrieren zu überwinden. Die kriegerischen U'hiyaka verbünden sich mit den seefahrenden Natong, und Kriegsherrin Sylanna macht sich mit ihrem Heer auf die Suche nach dem sagenumwobenen Gelobten Land. Fern der heimatlichen Wälder muss sie sich den Tücken der Seefahrt stellen, aber auch ihren Vorurteilen und ihren Gefühlen für Akolo, den Kommandanten der Natong-Flotte.
Indes folgt ihr Bruder Tharek auf eigene Faust einer gefährlichen Spur in Asporas Wüstengebiete. Doch der Kampf gegen die allmächtig erscheinenden Magoo hat gerade erst begonnen ...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum3. Dez. 2019
ISBN9783750464520
Aspora-Trilogie, Band 1: Das Herz der See
Autor

Cornelia Eden

Cornelia Eden - 1972 in Vorpommern geboren. Leseratte, Weltenbummlerin, Träumerin und leidenschaftliche Autorin, am besten alles gleichzeitig und am liebsten sofort. In ihren Romanen geht es in ferne Gefilde und in fantastische Reiche. Große Gefühle machen jede dieser Reisen mit, in frühen Jahren noch in Science Fiction Abenteuern, später in dem erotischen Roman "Rausch der Unterwerfung", heute ist Cornelia Eden in der Welt der Fantasy und Science Fantasy angekommen. "Bedingungslos - Mit Blut und Seele" ist ihr erster Fantasy-Roman, der als Taschenbuch und Kindle-Version erschien, gefolgt von der "Aspora-Trilogie". www.cornelia-eden.com

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    Buchvorschau

    Aspora-Trilogie, Band 1 - Cornelia Eden

    Unsterblichkeit.

    Kapitel 1

    Tharek atmete auf, als das fremdländische Geläut der Instrumente verklang und die halbnackten Tänzer ihre Arme ein letztes Mal in die Luft warfen, um ihren Hymnus mit schrillem Geträller zu beenden. Von der Seite hörte er ein Knirschen. Sylannas Zähne malmten aufeinander, als wolle sie einen Sattelgurt zerkauen. Mit starr geradeaus gerichtetem Blick rammte sie die Stahlspitze ihrer Standarte in den sandigen Boden der Ebene und schob ihr Kinn nach vorn, was Tharek dieser Tage oft zu sehen bekam.

    „Sieh es dir an, Bruder! Dafür haben wir uns gerüstet, haben unsere Wälder verlassen und sind tagelang marschiert, nur um diesen Anblick ertragen zu müssen, der das Auge eines jeden Kriegers beleidigt."

    „Das sind Natong, liebe Schwester, gab er grinsend zurück. „Sie wollen dich nicht beeindrucken, sondern erfreuen. Also sei erfreut! Genieße ihren lieblichen Gesang und das Flattern ihrer bunten Röcke. Er neigte seinen Kopf näher an ihr Ohr. „Ist dir aufgefallen, dass sie nichts darunter …"

    „Pff!, zischte sie abfällig. „Bei jedem Windstoß fällt es mir auf, und nicht nur mir. Diese Zusammenkunft ist eine Farce … eine Demütigung. Schau dich doch nur um!

    Tharek ließ seinen Blick über die gewaltige Ansammlung von Kriegern, wehenden Bannern und geschärften Lanzen schweifen. Die Krieger der U’hiyaka beherrschten die Szenerie wie Bäume einen Wald. Für einen Herrscher wie König Valin wäre es undenkbar gewesen, mit weniger als seiner gesamten Streitmacht von fünftausend kampfbereiten und bis an die Zähne bewaffneten Kriegern vor die Könige von Aspora und ihre Gesandtschaften zu treten und ab der ersten Stunde eindrucksvoll zu demonstrieren, wer von ihnen die größte Kampfkraft aufbrachte. Auch wenn das Unheil, das die Welt überzog, sie zu Bündnissen zwang, wusste Tharek nur zu gut, dass sein Vater sehr nah an den Grenzen seines Stolzes wandelte. Er konnte nur hoffen, dass dies den anderen Herrschern zu jeder Zeit gegenwärtig war, allen voran dem Anführer der Vhisi, die sich in einer über Generationen andauernden Blutfehde gegen die U’hiyaka aufgerieben hatten und erst seit der Großen Schlacht um die Nebelwälder neue Angriffe unterließen.

    Prinz Ragor, der seinen seither vergreisenden Vater bei der Zusammenkunft vertrat, war vor zwei Stunden mit fünfhundert Vhisireitern eingetroffen, hatte sie den U’hiyaka gegenüber am nördlichen Rand des ausgedehnten Lagers in Schlachtformation aufgestellt und seinen Männern befohlen, von ihren Pferden abzusteigen. Er selbst verharrte weiter hoch zu Ross und beobachtete das Geschehen, als hätte er nicht vor, sich daran zu beteiligen.

    König Damianos der Ameer war ihm als Gastgeber entgegengetreten, hatte sich jedoch auf eine knappe Begrüßung aus einigem Abstand beschränkt.

    Der ameerische Herrscher war die treibende Kraft gewesen, welche die Zusammenkunft möglich gemacht hatte, aber er würde auch der ruhende Pol und das Bollwerk sein müssen, wenn die Gemüter sich erhitzten. Tharek schätzte den bedachtsamen Mann, den er seit seiner Kindheit kannte, doch er fragte sich nicht ohne Zweifel, ob Damianos die Mächte zu lenken vermochte, die er heute auf der Ebene zusammengeführt hatte. Der Ameer war mit einem kleinen, kaum zweihundert Mann starken Gefolge erschienen, obwohl sein Volk das gesamte westliche Küstenland und die Grasebenen bis weit in den Norden besiedelte und ihre Zahl angeblich die Hunderttausend überschritt. Damianos war ein König, der über ein riesiges, aber schwaches Land regierte, der Hirten und Bauern seine Untertanen nannte, die bestenfalls zu Mistgabeln griffen, um sich einer Gefahr zu erwehren. Ameer war arm. Karges Land und dürstendes Vieh gaben zu wenig her, um des Königs Truhen zu füllen, und diese bescheidenen Mittel unterhielten nicht etwa ein stehendes Heer, sondern flossen in Klöster, um den einzigen Reichtum zu mehren, der Ameer bedeutsam machte und König Damianos zu einem Herrscher, der in allen vier Landen hohes Ansehen genoss … Wissen.

    Gelassen blickte Tharek in die Augen seiner Schwester, die sich wie zwei blattgrüne Späher unter dem scharfen Knick ihrer Brauen duckten.

    „Ich sehe nur das, was wir alle insgeheim erwartet haben, sagte er, „die grauen Gelehrtenköpfe der Ameer, ein paar hochmütige Vhisi und närrische Natong, ansonsten nur die unbestreitbare Übermacht unserer fünftausend Krieger. Ein erfreulicher Anblick, wenn du mich fragst. Also beruhige dein Gemüt und denk an Vaters Worte.

    Was Sylanna so vehement ablehnte, war ein lange Zeit undenkbares und schon deshalb historisches Ereignis, die erste Zusammenkunft aller Könige von Aspora, all ihrer Berater und Gelehrten, und - wollte man König Valin Glauben schenken - auch all ihrer Krieger.

    Sylanna blieb stur. „Die U’hiyaka haben es noch nie nötig gehabt, sich mit Bauern, Possenreißern und Abschaum an ein und dasselbe Feuer zu setzen. Es sind wahrhaft düstere Zeiten."

    Auf diese Worte erwiderte Tharek nichts. Er beneidete seine Schwester um ihre unerschütterlichen Überzeugungen. Sylanna tat sich nie schwer, eine klare Position zu beziehen, sowohl in politischen Fragen als auch in persönlichen Dingen, und sie pflegte ihre einmal gefasste Meinung durch alle Zweifel hinweg zu verteidigen. So auch an diesem Tag.

    Ihre Altraya war perfekt geflochten und schmiegte sich straff an ihren Kopf wie ein verschnörkelter, rotblonder Helm. Der dicke Zopf, der auf Sylannas Rücken fiel, war ein ganzes Stück kürzer als sein eigener, und natürlich hatte sie nur deshalb dünne Lederbänder in die traditionelle Haartracht der Krieger geknüpft, damit deren lose Enden ihren Zopf um eine ganze Handspanne verlängerten. Es war keine Eitelkeit, sondern purer Stolz. Sylanna würde ohne Zögern aus ihrem schönen Gesicht ein Schlachtfeld machen, wären Narben auf Stirn und Wangen bei den U’hiyaka ein Kriegersymbol. Anders als die meisten Kriegerinnen trug sie eine Rüstung, die jede weibliche Form verbarg, und ihre Stiefel waren so dick mit Nieten beschlagen, dass man die Füße eines Hornbullen darin vermuten könnte. Ihre Schenkel versteckten sich unter einem knielangen Waffenrock, und die Spitze ihres Lieblingsschwerts kam dem Boden so nah, dass es ihn fast berührte.

    Bisweilen bedauerte Tharek, dass er der Ältere war und die väterliche Krone ihm vor ihr zufallen würde. Sylanna schien wie dafür geboren, das Goldlaub der U’hiyaka zu tragen.

    Er konzentrierte sich wieder auf das Geschehen, das mit König Tamatoas Ankunft soeben einen neuen Höhepunkt erreichte.

    Der Herrscher der Natong war in einen farbenfrohen Federumhang gehüllt. Auch auf seinem Haupt wippten lange Federn und darüber hinaus das rötlich geäderte Blattwerk einer unbekannten Palmenart, als er fächerwedelnd durch das Spalier der leicht bekleideten Musikanten tänzelte und vor Damianos stehenblieb.

    König Tamatoa war im erlauchten Kreis der versammelten Herrscher die unbekannte Größe. Zwar wurde viel erzählt und spekuliert über die sonderbaren Wilden mit ihrem freizügigen Wesen und ihrer nahezu kindlichen Naivität, aber manches davon klang zu absurd, um glaubhaft zu sein, wie etwa das Gerücht, dass sie auf den Inseln überhaupt keine Kleidung trugen und ihre olivfarbenen Körper nur mit Muschelketten und bunten Malereien bedeckten.

    Die Natong lebten auf dem Archipel, fern von allem, was zivilisiert und kampferfahren war. Es war bekannt, dass sie das große Wasser bereisten, dem sie alles abgewannen, was sie zum Leben brauchten, und das war offenbar nicht viel. Damianos tauschte mit ihnen Getreide gegen das übel riechende Fleisch der Meerestiere und den primitiven Perlenschmuck, für den sich die adligen Frauen der Ameer begeisterten. Valins Angebot, ihnen erstklassige Rüstungen aus gehärtetem Leder zu liefern, hatten sie hingegen abgelehnt. Wenn es überhaupt etwas gab, für das die Natong eine – wenn auch zweifelhafte – Berühmtheit erlangt hatten, so waren es ihre Frauen, anmutige, exotische Schönheiten, die keine andere Bestimmung kannten, als einem Mann jeden klaren Gedanken auszutreiben. Valin nannte den Archipel das Königreich der Huren und Affen. Wie viele Untertanen das Volk des Inselkönigs zählte, war bei den U’hiyaka nicht bekannt.

    Von der Seite erreichte Tharek ein neues abfälliges Schnauben, als Tamatoa seinen Federumhang schwungvoll öffnete und dem König von Ameer sein Gastgeschenk präsentierte, eine große, silberglänzende Muschel, welcher man einen hornartigen Ton entlocken konnte, was er nach einem tiefen Atemzug höchstselbst demonstrierte.

    Tharek schüttelte den Kopf und lachte. Er konnte sich Sylannas unverhohlener Ablehnung nicht gänzlich anschließen. Die Natong waren letztendlich ein Volk, das auf dem – seiner Ansicht nach – lebensfeindlichsten aller Herrschaftsgebiete überlebte, dafür hatten sie sehr wohl etwas Respekt verdient. Sie besaßen nicht die ausgedehnten Äcker und Weiden der Ameer, keine rohstoffreichen Berge wie die Vhisi und keine üppigen Wälder voller Jagdwild und nahrhafter Früchte, die dem Volk der U’hiyaka einen wertvollen Lebensraum boten, und doch strahlten sie neben den stolzen Kriegern König Valins, den grimmigen Reitern hinter Prinz Ragor und den klapperdürren Gelehrten, mit denen Damianos sich umgab, die meiste Lebensfreude aus, die Tharek faszinierte und neugierig machte. Denn dass sie dem Ruf des ameerischen Königs gefolgt waren, ließ keinen Zweifel offen, dass das Unheil auch die fernen Inseln erreicht hatte, und dass Tamatoas strahlendes Lachen die Sorge um sein Volk nur verbarg. Bald würde sich zeigen, ob die Natong tatsächlich dem Ruf entsprachen, der ihnen vorausgeeilt war.

    Was Sylannas Blick mutwillig ignoriert und Tharek sehr wohl beeindruckt hatte, das war der Anblick der dreißig Schiffe gewesen, die wie ein Vogelschwarm über das Wasser geflogen und in die ausladende Bucht westlich der Ebene gerauscht waren. Jedes einzelne Schiff maß dreißig oder vierzig Meter Länge und reckte zwei hohe Masten in die Luft, an denen sich wolkenweiße Segel blähten. Dies allein hätte schon genügt für eine imposante Demonstration, aber auch die Natong wollten sich anscheinend von ihrer besten Seite zeigen und hatten sich nicht mit der Darbietung von Schiffsbaukunst, Geschwindigkeit und Eleganz begnügt, sondern ihrer Ankunft mit der Kraft von hunderten, gleichförmigen Ruderschlägen die Krone aufgesetzt.

    Nachdem die Anker nahe der Küste ins saphirblaue Wasser gefallen waren, hatten sie die Segel eingeholt und die baumlangen Ruder in die Bäuche der Schiffe gezogen. Eine Vielzahl bunt bemalter Boote hatte die Natong anschließend ans Ufer gebracht.

    Ja, das war beeindruckend gewesen. Die Musikanten, die als erste die Dünen hinaufgestürmt waren, um mit wilden Tänzen und trällerndem Geheul die bis dahin ungesellige Atmosphäre der Zusammenkunft aufzubrechen, hatten die erste Ernüchterung gebracht. In anstößiger Kleidung, mit grotesken Verrenkungen und noch absurderem Gesang unterschieden sich diese jungen Burschen kaum von den heimischen Gauklern oder den umherziehenden Barden der Ameer. Auf dem freien Platz zwischen den Vhisi und dem Heer der U’hiyaka waren sie herumgeflattert wie bunte Vögel bei der Frühjahrsbalz und erst zur Ruhe gekommen, als König Tamatoa mit seinem Gefolge erschien und sein Geschenk übergab.

    Just in diesem Moment stieß Tamatoa einen melodischen Schrei aus, der für einen Kriegsschrei zu verspielt und für eine freundschaftliche Begrüßung zu eindringlich war. Unmutig hob Tharek seine Rechte, um mit spitzem Finger das plötzliche Summen im Ohr zu vertreiben. Als er merkte, dass das halbe Heer es ihm gleichtat, ließ er die Hand schnell wieder sinken und beobachtete stattdessen das hektische Durcheinander in der Formation der Vhisi. Nicht wenige ihrer Pferde hatten sich nach dem königlichen Willkommensruf aufgebäumt, andere protestierten mit Gewieher oder stampften mit den Hufen.

    „Mein lieber Freund!", rief der König der Natong und schloss Damianos in die Arme.

    „Seid begrüßt und willkommen auf dem Land der Ameer", gab der ältere König gesetzter, aber nicht weniger herzlich zurück.

    Thareks Aufmerksamkeit richtete sich derweil zum Strand, wo ein neuer Pulk Boote anlandete. Eine dritte, größere Gruppe Natong kam die Dünen herauf. Er blinzelte gegen die Sonne. Schon die Silhouetten der Neuankömmlinge machten deutlich, dass die Inseln nicht nur Gaukler hervorbrachten, sondern auch Männer, die einer rauen See zu trotzen vermochten. Ihre Bekleidung war genauso spärlich wie die der Gaukler, aber ihre kurzen Röcke bestanden aus derbem, salzfleckigem Leder. In den breiten, mit runden Metallscheiben beschlagenen Gürteln steckten lange Messer und kurze Äxte. Einige hielten Speere in ihren Händen, Wurfspieße vielmehr, mit eisernen Widerhaken am einen und einer aufgerollten Leine am anderen Ende. Handbreite Schulterriemen zogen sich quer über die ansonsten nackten Oberkörper der Männer hinweg, ebenfalls aus Leder und mit Metallbeschlägen verstärkt. Allen voran schritt ein wahrer Hüne, der seinen Kopf mit einer silbrig schimmernden Tierhaut umwunden hatte, um sich das schwarze, schulterlange Haar aus der Stirn zu halten.

    „Gewiss der Kriegsherr der Natong", hörte Tharek neben sich ein beifälliges Murmeln.

    Er schüttelte den Kopf. „So weit würde ich nicht gehen. Sieh dir ihre Waffen an! Das sind Seefahrer, keine Krieger. Sie wirken schwerfällig, als würden sie sich unwohl fühlen an Land, fast wie die tollpatschigen Bären, die man auf unseren Jahrmärkten sieht. Zieh ihnen Ringe durch die Nase, und sie fangen an zu tanzen, so wie alle Natong."

    Sylanna lachte. „Du hast vermutlich recht. Besonders gefährlich wirken sie nicht, aber du musst zugeben, dass sie beeindruckender sind als alles andere, was wir bislang gesehen haben."

    Erstaunt schaute Tharek seine Schwester an. Ein rötlicher Hauch hatte Sylannas hohe Wangenknochen gefärbt. Ihre Lippen waren entspannt und voll, sogar ein kleines Stück geöffnet.

    „Mir scheint, du hast deine Vorbehalte gegen Männer im Lendenschurz schnell abgelegt, raunte er ihr anzüglich zu. „So viel unbedeckte Muskelmasse habe ich zuletzt bei den Ringkämpfen im Südlichen Krag gesehen.

    „Mmh." Ihr Blick verfolgte den Hünen, ihre Ohren hatten Tharek kaum zugehört.

    „Gefällt er dir?"

    Da wurde sie wach. „Pff!, schnappte sie sofort zurück. „Das ist kein Bär, sondern ein Fisch, der auch noch den Eindruck erweckt, als könnte er keiner Maus etwas zuleide tun. Ein weichherziger, halbnackter Riesenfisch! Ich wette, er ist nicht einmal so groß wie du. Kein Mann ist so groß wie du.

    Tharek schluckte, seine Heiterkeit verflog. „Das ist nicht wahr, widersprach er rau. „Beginnst du auch schon, Padraig zu vergessen?

    „Nein, verdammt!"

    Er konnte hören, wie sie scharf die Luft einsog, doch er wusste, dass sie nun nichts mehr sagen würde. Um seinen Unmut schnell niederzuringen, nutzte er die seltene Gelegenheit, das letzte Wort zu behalten. „Im Übrigen würdest du diese Wette verlieren, liebe Schwester, dein Riesenfisch ist sogar größer als Padraig."

    Inzwischen hatten die Seefahrer die beiden Könige erreicht. Der Hüne trat an Tamatoas Seite.

    „Akolo-Nalu!", rief Damianos erfreut und begrüßte ihn mit einer Umarmung, die in den Reihen der U’hiyaka für hörbare Belustigung sorgte, weil Akolo die Umarmung zu erwidern versuchte und den König der Ameer dabei unbeabsichtigt vom Boden hob. Auch Tharek gluckste leise, was ihm einen Rippenstoß einbrachte.

    „Denkst du, bei dir hätte es eleganter ausgesehen?, zischelte Sylanna ihm zu. „Sei froh, dass Vater dir diese Peinlichkeit erspart hat.

    „Bei Cailyns Stern! Dieser Natong schleicht drei Atemzüge lang durch dein Blickfeld, und schon ergreifst du Partei für ihn. Hat der Wind seinen Lendenschurz gehoben, oder ist mir etwas anderes entgangen, was meiner brüderlichen Ermahnung bedarf?"

    „Akolo-Nalu und seine Männer sind die einzigen, die unsere Anwesenheit nicht gänzlich entwürdigen, erwiderte sie spitz. „Vielleicht ist meine Mission nicht annähernd so schwierig, wie Vater glaubt. Mit diesen Seefahrern lässt sich durchaus etwas anfangen.

    „Vorhin waren sie noch Fische für dich."

    „Das sind sie auch jetzt noch. Dummerweise brauchen wir sie, und deshalb bin ich froh, dass sie wenigstens …" Sylanna verstummte. Unter dem Baldachin im Zentrum der Ebene hatte König Valin sich erhoben. Die Formationen der U’hiyaka-Krieger wurden augenblicklich noch starrer, jedes Flüstern erstarb.

    Obwohl Tharek seinen Vater ein gutes Stück überragte, fragte er sich, ob er jemals die Größe dieses Mannes erreichen würde, der die U’hiyaka drei Jahre zuvor in die Große Schlacht gegen eine Übermacht Vhisi geführt und diese so vernichtend geschlagen hatte, dass sie nie wieder eine Bedrohung sein würden. Heute galt er als der mächtigste der vier Könige, und er schien von dieser Macht umhüllt zu sein wie von dem edlen Lederharnisch, der sich um seinen Oberkörper wölbte. Den schweren, bodenlangen Umhang aus dunkelgrüner U’hiyaka-Seide hatte er zurückgeschlagen, weshalb die feinen Stickereien, die ihn bedeckten, nicht in ihrer ganzen Pracht erkennbar waren. Doch das war typisch für ihn. Valin nannte derlei Dinge ‚Tand’. Er holte den Umhang genauso ungern wie das Kronenlaub aus der Truhe, in der die Insignien seiner Würde ein unbeachtetes Dasein fristeten. Aber wenn der König sie trug, dann wusste jeder, dass der Anlass bedeutsam war.

    An seinem Gürtel hing das leicht gebogene, einschneidige Schwert, welches er König Norwin der Vhisi abgenommen hatte, eine einzigartige Waffe, die nicht nur durch ihre prachtvolle Scheide bestach, sondern auch durch ihren Symbolgehalt. Wie sehr sich Valin dessen bewusst war, zeichnete sich auf seinem ernsten Gesicht ab, in dem sein schon leicht angegrauter Bart seine Würde nur unterstrich.

    Prinz Ragor war indes von seinem Pferd gestiegen und näherte sich in Begleitung eines Mannes im groben Wollzeug der vhisinischen Bergleute und einer Frau, die das Gewand einer Schamanin trug.

    „Verdammt! Wenn König Tamatoa sich einen Begleiter herausnimmt und Ragor sogar zwei, dann werden wir Vater nicht allein dort stehen lassen!", schimpfte Sylanna und stieß die Standarte so tief in die sandige Erde, dass sie steckenblieb.

    „Das sehe ich genauso", antwortete Tharek und setzte sich im gleichen Moment in Bewegung.

    Sie erreichten das zu allen Seiten offene Zelt zeitgleich mit dem Prinzen der Vhisi und ließen sich neben ihrem Vater auf dem mit weichen Teppichen und Polstern ausgelegten Boden nieder.

    Auf einen Wink ihres Gastgebers eilten junge Mönche und Nonnen der Ameer herbei, die ihnen Erfrischungen reichten und Schalen mit Früchten und Gebäck in ihrer Mitte abstellten.

    Damianos breitete einladend seine Arme aus. „Die Könige von Aspora an einem Ort versammelt zu sehen, das ist ein Anblick, der meine alten Augen mit Tränen zu füllen vermag, ergriff er das Wort. „Wir sind zusammengekommen, um zu beraten und gemeinsam den Übeln zu begegnen, die unsere Völker bedrohen. Aber von Sorgen und Unheil zu sprechen, das hat bis morgen Zeit. Wir wollen uns bekannt machen, Zerwürfnisse beilegen, alte Freundschaften stärken und neue schließen. In der kurzen Pause, die entstand, wanderten die Blicke umher, manche zustimmend, manche versonnen, andere wie gezielte Pfeile. „So lasset uns Trank und Speise teilen an diesem großen Tag, fuhr Damianos fort, „und die Regeln der Gastfreundschaft achten, so wie es in ganz Aspora Sitte ist.

    Er wies auf den Gelehrten, der ihm zur Linken Platz genommen hatte und an dem alles grau und nichtssagend war, selbst sein Alter war schwer zu bestimmen. Seine Augen blickten abgeklärt in eine unbestimmte Ferne, doch sein Gesicht war makellos. Tharek fand keine einzige Scharte, kein hervorspringendes Merkmal und auch keine Mimik darin. Allein die schwere Kette, die von seinem Hals herabhing, Runen aus massivem Gold, kunstvoll geschmiedet und mit Edelsteinen besetzt, wich von diesem blassen Bild ab. Die Juwelen wirkten fehl am Platz, als würden sie nicht zu dem Mann gehören, der wie alle Gelehrten der Ameer eine schlichte, graue Kutte trug.

    Damianos legte seine Hand auf die Schulter des Mannes und fuhr fort: „Ich selbst bin jedem der hier Versammelten bekannt, seit ich alle Länder bereiste und zu allen Königen sprach. An meiner Seite seht ihr den Ehrwürdigen Gelehrten Madhin. Er wird die Pläne der Ameer darlegen und umsetzen, so wir zu einer Einigkeit gelangen."

    Tharek neigte seinen Kopf zur Seite. „Wie du es vorhergesagt hast, Vater. Die Ameer wollen den Tempel bauen … und mich nennst du vermessen!"

    Valin nickte knapp. „Ja, aber im Gegensatz zu deinen Ambitionen bescheren mir die Pläne der Ameer keine unruhigen Nächte. Wenn sie diesen Steinhaufen errichten wollen, werde ich keine Einwände erheben."

    Thareks Aufmerksamkeit richtete sich auf den Vhisiprinz, der als nächster das Wort ergriff.

    „Mein geachteter Vater, König Norwin, lässt durch mich seinen Dank ausrichten und auch sein Bedauern, dieser Zusammenkunft nicht beiwohnen zu können. Seine Gesundheit ließ die beschwerliche Reise nicht zu. Ich bin Prinz Ragor, sein ältester Sohn, Erbe seiner Krone, Kriegsherr der Vhisi und Mitregent über das rohstoffreiche Bergland und unser starkes, für seine Tapferkeit berühmtes Volk. Meine Begleiter sind mein jüngerer Bruder, Prinz Edon von Ralenhar, und unsere Oberste Schamanin, Dame Valvara. Als Gastgeschenke bringen wir den Ameer einhundert Pferde aus der ruhmvollen Zucht der Vhisi, zwei Truhen Silber und eine Truhe gemünztes Gold. Es ist der Wunsch unseres Königs, den Ameer jede Unterstützung zuzusichern, derer sie bedürfen. Er verneigte sich in Damianos’ Richtung und ein zweites Mal König Tamatoa zugewandt. „Auch möchte ich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, meinem hoch geachteten Schwiegervater, dem König der Natong, meine besondere Wertschätzung auszusprechen und ihm die frohe Kunde zu überbringen, dass seine Tochter Eloni unser erstes Kind erwartet.

    Auf diese Ankündigung folgten zuerst ein Moment der Stille und dann die lautstarken Freudenrufe der Natong, die wie eine Welle durch die Reihen der Gaukler und Seefahrer schwappten. Die bunte Schar war auf einige Hundert schwarzhaariger Köpfe angewachsen, und ihr Lärmen gellte schmerzhaft in den Ohren derer, die in das Geschrei nicht einstimmen mochten. Erst nach einigen Minuten endete es wie abgeschnitten, als Tamatoa seine Linke samt Fächer erhob und diesen mit einer schnellen Bewegung schloss.

    Daraufhin sprachen auch die beiden Ameer ihre Glückwünsche und ihren Dank für die Geschenke aus, während Tharek die Rede des Vhisi noch zu verdauen suchte.

    Schon lange vor der Zusammenkunft hatte er sich gefragt, welche Politik die streitbaren Bergbewohner verfolgen würden. Nun offenbarte sich, dass Prinz Ragor - ganz im Gegensatz zu seinem Vater - mit diplomatischen Winkelzügen antrat, um die U’hiyaka zu isolieren oder zumindest in den Hintergrund zu drängen. Was der Vhisi als Gastgeschenke bezeichnet hatte, war reine Großspurigkeit, viel zu üppig für eine symbolische Gabe, noch dazu in barer Münze, was an keinem Königshof üblich war. Aber noch schwerer wog die Neuigkeit, dass er offenbar schon längst auch mit Tamatoas Inselreich Beziehungen aufgenommen hatte und durch die Heirat mit einer Prinzessin der Natong zu beunruhigend großem Einfluss gekommen war. Ragor hatte vorausgeplant und sich mit den ersten Worten Damianos‘ Dankbarkeit und Tamatoas Loyalität gesichert. Auch dass er Valin vollkommen ignorierte und geschickt jede persönliche Begrüßung vermied, sollte nur dazu beitragen, die Bedeutung der U’hiyaka herabzusetzen.

    Gespannt wartete Tharek auf die Antwort seines Vaters, der diesen Affront ganz sicher nicht auf sich sitzen lassen würde. Doch Valin schaute nur in die Runde, als wolle er sehen, wer als nächstes sprach. Offenbar zog er es vor, seine Rede ganz am Schluss zu halten.

    „Besonnen und klug, hatte er am Morgen gesagt, als sie zur letzten Etappe der Reise aufgebrochen waren, „so werden wir unsere Worte wählen, egal an wen wir sie richten. Die Stärke unserer Krieger ist nicht nur Legende, sie ist auch ein Argument. Seit Norwins Niederlage verfügt unser Volk über das größte … das einzige kampfbereite Heer. Wenn Damianos auf die Stärke der U’hiyaka zählt, und das muss er, dann sollte er besser dafür sorgen, dass Tamatoa unser Vorhaben unterstützt. Diese Wilden sind die einzigen, die uns etwas anzubieten haben, für das sich der Marsch in die Ebene lohnt. Alles andere braucht uns nicht zu kümmern.

    König Tamatoa klatschte noch einmal in die Hände, blies seine vollen Wangen auf und wackelte vor Freude über die bevorstehende Niederkunft mit dem Kopf, wobei sein ausladender Kopfputz im Gleichtakt wippte.

    „Was mehr könnte unsere Zusammenkunft segnen, als diese frohe Kunde?, rief er wohlgelaunt und streckte beide Hände in Ragors Richtung aus. „Neues Leben aus den glorreichen Lenden dieses großen Kriegers und dem Schoss meiner geliebten Tochter Eloni, die mein Herz mit neuem Stolz erfüllt.

    Tharek verkniff es sich, mit den Augen zu rollen und dem Krieger mit den ‚glorreichen Lenden’ einen spöttischen Blick zuzuwerfen. Stattdessen senkte er den Kopf und musterte ihn durch halb geschlossene Lider.

    Äußerlich war Norwins Erbe ein Abbild seines Vaters, markante Gesichtszüge, wachsam umherschweifende, hellgraue Augen, der schmallippige Mund von einem schwarzen Bart umrahmt. Man könnte glauben, der alte Vhisikönig wäre aus der Zeit der Belagerungen zurückgekehrt. Aber hinter diesem Abbild versteckte sich ein völlig anderer Mann, von dem Tharek bislang nur wusste, dass er existiert. Wie aus dem Nichts emporgeklommen, saß er nun vor den Königen aller Länder, ausgestattet mit Befugnissen, die ihn praktisch schon jetzt zum König über das Volk der Vhisi machten, was nichts darüber aussagte, wer er wirklich war.

    Hatte Ragor je in einer Schlacht gekämpft? Er machte durchaus den Eindruck, sich einer Klinge erwehren zu können, aber Tharek erinnerte sich nicht, dass sein Name im Kriegsrat der U’hiyaka je Beachtung gefunden hatte. Es kam ihm so vor, als wäre der Erbe der Vhisikrone heute erstmals hinter König Norwins gewaltigem Schatten hervorgekrochen.

    Tamatoa fuhr fort: „Auch ich möchte unserem Gastgeber, König Damianos, für sein Willkommen danken. Die Natong sind stolz auf ihre Freundschaft mit dem großen Volk der Ameer und erwidern sie mit Respekt und mit Liebe. Er wandte sich Valin zu und reichte ihm eine Schatulle, die mit weißen Korallen und Perlmutteinlagen verziert war. „Verzeiht meine Kühnheit, König Valin, aber meine Freude, Euch endlich persönlich kennenzulernen, erlaubt es mir nicht, Euch nur die leere Hand zu reichen. Der Ruhm der U’hiyaka ist längst bis in den letzten Winkel meiner abgelegenen Ländereien gedrungen. Seine Linke beschrieb einen ausladenden Bogen, als wäre der Archipel eine üppige Weite, welche die Bezeichnung ‚Ländereien’ tatsächlich verdiente.

    Ein Ameer trat hinzu, nahm die Schatulle entgegen und trug sie die wenigen Schritte zu Valin, der sie mit stummem Dank entgegennahm.

    Der Natong erwiderte das Nicken und hob seine Stimme würdevoll an. „Erlaubt mir, mich vorzustellen. Ich bin König Tamatoa der Natong, Vater von fünf Söhnen und drei Töchtern, die dem Leib meiner bezaubernden Ersten Gemahlin entsprossen sind, der edlen Dame Neyla aus der Familie der Dho; Vater von dreizehn Kindern, die meiner Saat in die fruchtbaren Nährböden meiner vier angetrauten Nebenfrauen entstammen; Vater von sechsundzwanzig Söhnen und Töchtern, die ich in die Schöße meiner Konkubinen pflanzte; Stammvater von zweiunddreißig Enkelkindern und in froher Erwartung des Erstgeborenen meiner legitimen Tochter Eloni und dem Erben der Vhisilande. Zu meiner Rechten seht Ihr Akolo-Nalu, Captan unseres Flaggschiffs und Kommandant der Flotte, ebenfalls von meinem Blut."

    Sprachlos zog Tharek die Brauen hoch. Kein Wort von Titeln, Kriegern, Reichtümern und Ländereien. Aller Stolz des Inselkönigs schien auf der Schar seiner Nachkommenschaft zu ruhen, wobei er nicht einmal davor zurückschreckte, sich seiner Vielweiberei zu rühmen.

    „Mögen die Götter Eure Lenden auch in der Zukunft segnen und Eure Frauen mit Fruchtbarkeit", antwortete Valin mit einem Ernst, den Tharek in diesem Moment nicht zustande gebracht hätte. Es kostete ihn all seine Willenskraft, nicht augenblicklich in Gelächter auszubrechen. Lautlos zollte er seinem Vater Respekt, weil dieser die Bedachtsamkeit, die er gepredigt hatte, so mühelos umzusetzen vermochte.

    König Tamatoa schien mit der Antwort überaus zufrieden zu sein, denn er verbeugte sich und unterbreitete ohne weitere Einleitung das Angebot, seine schönste noch unverheiratete Tochter zum Krag des Königs der U’hiyaka zu entsenden, wo sie Valin eine gute Nebenfrau sein möge.

    Im Augenwinkel sah Tharek eine schnelle Bewegung, mit welcher der Vater Sylannas Hand ergriff. Eine kluge Voraussicht, wie Tharek fand, der das Temperament seiner Schwester kannte. Aber Valin war vorgewarnt gewesen. Er hatte die Schatulle des Natong geöffnet und hineingesehen, nun zog er den bestickten Stoffstreifen hervor, der sich darin befand.

    Das Hochzeitsband, mit dem der Vater eines Mädchens sein Einverständnis für die Eheschließung erklärte, war weder ein Brauch der U’hiyaka noch der Natong. Trotzdem war es nicht verwunderlich, dass Tamatoa sich seiner bediente. Sie befanden sich auf ameerischem Land, was einem ameerischen Brauch wie dem Hochzeitsband ein besonderes Gewicht verlieh, zudem war es ein in allen Landen anerkanntes Ritual. Es wurde in einem solchen Fall herbeigezogen, um die sehr verschiedenen Sitten der vier Völker zu überbrücken. Insbesondere die Gebräuche der U’hiyaka waren mit denen der Natong kaum in Einklang zu bringen. Das Hochzeitsband besiegelte somit ein bindendes Arrangement, allerdings setzte es für gewöhnlich die Werbung um eine Braut voraus.

    Tharek verzog keine Miene, als der Blick des Natong sich hob. Das Lächeln des Inselkönigs ließ kleine Fältchen um seine Augen sprießen, in deren Glanz lag jedoch ein Zug, der eine stille Erwartung verriet … und List. Tamatoas Angebot war keineswegs so töricht und unbedacht, wie es ihm über die Lippen gekommen war. Nach Prinz Ragors Heirat hatte er sich offenbar veranlasst gesehen, den U’hiyaka ein gleichwertiges Angebot zu machen, und natürlich hatte er es ihrem Herrscher unterbreitet, der im Gegensatz zu Ragors Vater noch gesund und rüstig war. Doch ihm musste klar sein, dass Valin unmöglich darauf eingehen konnte. Das Funkeln in seinen Augen streifte Tharek wie der Hieb eines Schwerts. Ja, Tamatoa hatte sein Vorgehen wohl durchdacht. Er mochte ein Wilder sein, aber er wusste, wie man an Einfluss gewann. Wie man es auch wenden mochte, seine Tochter würde eines Tages Königin der U’hiyaka sein, Valin hatte das Hochzeitsband angenommen, unter den bezeugenden Augen aller Könige, offizieller ging es nicht.

    „Ihr seht mich zutiefst gerührt, König Tamatoa, antwortete Valin. „Lasst uns die nötigen Formalitäten in einem privaten Rahmen besprechen. Mit Eurem Einverständnis heiße ich Euch heute Abend in meinem Zelt willkommen.

    Prinz Ragors scharfer Blick entging Tharek ebenso wenig wie die Zufriedenheit in der Stimme seines Vaters. Dass er den König der Natong noch vor Beginn der eigentlichen Beratung zu einem persönlichen Gespräch empfangen würde, war für Valin eine höchst erfreuliche Entwicklung. An die anstehende Hochzeit schien er keinen Gedanken zu verschwenden.

    Tamatoa stimmte der Einladung zu und hob seine Hand, um das Recht der Rede an König Valin abzugeben. Dieser ließ sich Zeit. Bedachtsam setzte er die Schatulle auf dem Boden ab, trank einen Schluck Wasser und wandte sich dann wie alle anderen zuerst an den Herrscher der Ameer.

    „Die U’hiyaka danken König Damianos für seine Gastfreundschaft und senden ihm einhundert Ballen gegerbtes Leder und einen Wagen feinstes Horn. Wir begrüßen unsere alten Freunde und neuen Verbündeten. Mit einer schwungvollen Kopfbewegung nickte er den beiden Ameer und danach Tamatoa und dessen Sohn Akolo zu, wobei sein Blick den ihm gegenübersitzenden Vhisi nur streifte und nicht erkennen ließ, ob er Prinz Ragor in seine Worte einschloss oder nicht. „Ich bin König Valin, Herrscher über alle Wälder von den Ufern des Vierstroms bis zum südlichen Steppenland, von den Ebenen der Ameer bis zur östlichen Wüste und über den … nordöstlichen Nebelwald. Seht zu meiner Rechten Prinz Tharek, meinen ältesten Sohn und Erben meiner Krone, und zu meiner Linken Prinzessin Sylanna, Kriegsherrin über das ungeschlagene Heer der U’hiyaka. Möge die Stärke meines Volkes und unserer fünftausend Krieger in diesem Bündnis von Nutzen sein.

    Als die letzten Worte verklangen, hörte Tharek schon nicht mehr zu. Er hatte eine durchweg formelle Rede erwartet, trotzdem fühlte er sich einen Moment lang wie betäubt.

    Valin hatte klug gesprochen, besonnen und auffallend schlicht, dennoch hatte er alles gesagt. Mit wenigen Worten hatte er die wertvollen Ländereien und die kriegerische Macht der U’hiyaka ins gewünschte Licht gerückt. Zugleich hatte er Ragors Rede den Glanz genommen, indem er mit einer überlegten Pause die Nebelwälder erwähnte, die in der letzten Schlacht an die U’hiyaka gefallen waren. Aber dass er Tharek als seinen ältesten Sohn und Erben vorgestellt hatte, war ihm in die Glieder gedrungen wie Stahl. Mit diesen Worten hatte Valin seinen Erstgeborenen, Thareks älteren Bruder Padraig, nun vor aller Welt für tot erklärt, und seine Stimme hatte nicht einmal gewankt.

    Gewiss, ganz Aspora wusste um Padraigs Verschwinden, er galt seit Monaten als verschollen, doch es war noch zu früh, seinen Tod offiziell zu machen. Für Tharek fühlte es sich an, als hätte der Vater Padraig soeben getötet, um seinen Zweitgeborenen aufzuwerten und als Erben seiner Krone vorzustellen, und das aus einem lächerlich banalen Grund.

    Ein Blick in die Runde sagte Tharek, dass er nicht allein mit seinen Gedanken war. Sylanna blickte verwirrt in seine Richtung, auf Ragors Lippen lag ein dünnes Lächeln, das nicht erkennen ließ, ob es Mitleid barg oder Spott.

    König Damianos bedankte sich in aller Form, dann erhob er sich schnell, als fürchte er, Valin würde seinen Worten noch etwas hinzufügen wollen. „Wir alle sind erschöpft von der langen Reise. So lasset uns nun die Lager errichten, Mensch und Tier versorgen und ruhen, auf dass unsere morgige Beratung fruchtbar sein möge."

    Kapitel 2

    „ Das ist unerträglich! Vater! Es fehlte nicht viel, und Sylanna hätte vor Wut mit dem Fuß aufgestampft. „Es gab einmal Zeiten, da haben die U’hiyaka nicht höflich gefragt oder kniefällig verhandelt, sondern sich einfach genommen, was unser Volk zum Überleben brauchte.

    „Diese Zeiten …, sinnierte Valin vor sich hin und kratzte mit einem Finger über sein bärtiges Kinn, „… als unser Volk noch umherwanderte, auf Bäumen schlief und man uns ‚Barbaren’ nannte … diese Zeiten meinst du, ja?

    Sylanna schnaubte. „Der Vhisi ist eine einzige Beleidigung! Tamatoa ist eine Beleidigung, selbst jedes Wort, das er sagt, ist eine Beleidigung. Wie kann er es wagen, mit seinem lasterhaften Lebenswandel vor uns zu prahlen, und dir dann auch noch seine Tochter unterzuschieben wie ein Kuckucksei? Gib mir freie Hand, Vater, und morgen früh gehören die Schiffe da draußen dir."

    „Und wer wird sie dann für mich über das Wasser lenken? Du?"

    „Meine Klinge wird das tun", gab sie zurück, ihre Stimme vibrierte vor Angriffslust.

    Valin trat auf sie zu, entwand ihr das Schwert, das sie am Ende ihrer glühenden Rede gezogen hatte, und rammte es in den Boden. „Du wirst zu den Grünen Ebenen reisen, Sylanna, auf diesen Schiffen, mit den Natong … als ihr Gast!"

    Ihr Blick wanderte Hilfe suchend zu Tharek, der dem Gespräch mit verschränkten Armen und grimmiger Miene folgte, dann wieder zu Valin zurück. „Wenn du dich auf diesen Handel einlässt, dann verlierst du dein Gesicht. Du kannst Tamatoas Tochter nur dann zur Frau nehmen, wenn du unsere Mutter verstößt, aber ich will verdammt sein, wenn ich seelenruhig dabei zusehe. Ihr Geist mag sich im Dunkel ihres Kummers verloren haben, umso grausamer wäre es, sie fortzuschicken und damit auch vom Rest ihrer Kinder zu trennen. Das würde ich dir nie verzeihen, Daris auch nicht, und …" Sie ließ den Satz offen und blickte Tharek auffordernd an.

    Er schüttelte den Kopf. „Du sorgst dich unnötig, liebe Schwester. Vater hat nicht vor, Tamatoas Angebot anzunehmen."

    „Er hat das Hochzeitsband angenommen! Vor aller Augen!"

    „Ja. Tharek musterte seinen Vater mit unverhohlenem Groll, Valin hatte es sich auf einer gepolsterten Liege gemütlich gemacht. „Weil er längst weiß, wie er seinen Kopf aus der Schlinge zieht.

    „Weil er weiß, was er seinem Volk schuldig ist, erwiderte der König ernst. „Weil er akzeptieren muss, dass sein Erstgeborener ihm nicht nachfolgen wird, dass sein Jüngster kränklich ist und niemals die Stärke seiner Brüder erreicht, und dass nur ein Sohn übrig ist, auf den er all seine Hoffnungen setzen kann. Endlich blickte er auf, und zum ersten Mal sah Tharek, wie müde die Augen seines Vaters waren. Wurde er schon alt? „Setzt euch zu mir und hört euch an, was ich zu sagen habe."

    Schweigend ließen sie sich auf den Polstern vor dem Lager des Vaters nieder. Valin füllte einen Becher mit ameerischem Wein, trank und reichte ihn Sylanna, die ihn nach einem zögerlichen Schluck an Tharek weitergab.

    „Trink, mein Sohn!, forderte Valin ihn nachdrücklich auf, weil Tharek keine Anstalten machte. „Ich werde nicht sprechen, bevor wir nicht einen Becher geteilt haben.

    Tharek verzog das Gesicht. „Bedarf es dieses Weins, um dich von meiner Wertschätzung zu überzeugen?"

    „Nein, gab Valin lächelnd zurück. „Aber da du längst weißt, welche Bitte ich aussprechen werde, kannst du getrost einen Schluck trinken, denn egal, wie du darüber denkst, ich werde darauf bestehen.

    Daraufhin stürzte Tharek den Wein in einem Zug hinunter und stellte den Becher hart auf dem Boden ab.

    Der König streckte zufrieden seine Beine aus und legte eine Decke über seine Knie. „Ich bin nicht mit meinem ganzen Heer bis an die Meeresküste marschiert, um mit einem schleimigen Vhisiwurm Frieden zu schließen oder beim Bau eines Tempels mitzuhelfen, dessen Fertigstellung ich vermutlich nicht einmal erlebe."

    Sylanna pflichtete ihm bei. „Der Tempelbau ist eine reine Verzweiflungstat, weil den Ameer nichts anderes mehr einfällt, als die Götter um Hilfe zu bitten. Wenn die Vhisi sie dabei unterstützen wollen, kann uns das nur recht sein. Die U’hiyaka werden weiterziehen, sobald ich das Gelobte Land gefunden habe. Dafür brauchen wir die anderen Völker nicht."

    „Aber Schiffe", sagte Valin und neigte bedeutsam den Kopf.

    „Nein, nicht einmal das, brummte Tharek, obwohl er wusste, wie zwecklos dieser Einwand war. „Ostwärts und durch die Wüste, das ist unser Weg! So wie Padraig es plante. Dass er bis heute nicht zurückgekehrt ist, bedeutet noch lange nicht, dass er im Osten scheiterte, und es ist auch kein Beweis für seinen Tod.

    Die letzten Worte sagte er schärfer, als er beabsichtigt hatte, doch er bereute sie nicht. Der Schmerz, der in Valins Augen aufflammte, tat ihm gut, beruhigte ihn, aber vielleicht war das auch nur Sylannas Hand zuzuschreiben, die sich auf seine Schulter legte und sein zorniges Herz beschwichtigte.

    „Padraig hatte einen Traum, sagte sie. „Und du und ich und Vater und jeder einzelne unserer fünftausend Krieger hält an diesem Traum fest, unbeirrt. Die Alten Sagen können nicht lügen. Wenn sie so glaubhaft ein Paradies zu beschreiben vermögen, dann existiert es auch. Wir wissen, wo diese fruchtbaren Ebenen zu finden sind. Alles was uns fehlt, um unser Volk gefahrlos ins Gelobte Land zu führen, ist ein Weg dorthin.

    Tharek nickte. „Du weißt, dass ich mich nicht dagegen sträube, es auch auf dem

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