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Rabenschwester
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eBook281 Seiten4 Stunden

Rabenschwester

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Über dieses E-Book

Vom eigenen Vater verflucht, können Prinz Melvin de Valderna und seine Brüder nur noch im Land jenseits der gläsernen Berge in menschlicher Gestalt leben. Wann immer sie in ihre Heimat zurückkehren, müssen sie als Raben ihr Dasein fristen. Dennoch riskieren sie ihr Leben, um den König vor einer Invasion zu warnen.
Dadurch erfährt Prinzessin Sheena nach 15 Jahren, dass sie Brüder hat. Zusammen mit Ileen, Cousine und Verlobte Melvins, beschließt sie, loszuziehen und ihre Brüder von der Verwünschung zu erlösen.
Zwei Prinzessinnen alleine unterwegs, das allerdings ist eine Herausforderung für das Schicksal und ein sicheres Rezept für Schwierigkeiten. Ganz zu schweigen von der Magierin, die Sheenas Brüder für sich beansprucht.
SpracheDeutsch
HerausgeberMachandel Verlag
Erscheinungsdatum6. Juni 2014
ISBN9783939727590
Rabenschwester

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    Buchvorschau

    Rabenschwester - Monja Schneider

    Inhaltsverzeichnis

    Sieben Brüder

    Die Suche

    Gefährten

    Die Flucht

    Heimkehr

    Duell der Brüder

    Epilog

    Über die Autorin

    Rabenschwester

    Monja Schneider

     Machandel Verlag

    www.machandel-verlag.de

    Charlotte Erpenbeck

    Cover: Valentin Mosichev/John R. McNair/Susa Zoom/ www.shutterstock.com

    Rabe: Linda Bucklin /www.shutterstock.com

    Collagenarbeit: Mira Lindorm

    Haselünne

    2014

    ISBN 978-3-939727-59-0

    Für Mama-

    Danke für alles!

    Sieben Brüder

    In alter Zeit herrschte Frieden, ja Freundschaft zwischen den Königreichen Valderna und Siobhan. Ungehindert reisten die Menschen durch die Täler zwischen den gläsernen Bergen, trieben Handel und besiegelten Freundschaften. Doch vor zwei Menschenleben ließ die Herrscherin von Siobhan hohe Mauern mit engen Toren darin errichten, die von Ungeheuern streng bewacht wurden. Nur wenige Geschöpfe durften die Tore passieren, und wer dazu zählte, bestimmte alleine der Wille der Königin. Siobhan, das Reich jenseits der gläsernen Berge, wurde für die Menschen von Valderna und der anderen Völker zur Legende, verschwand mehr und mehr aus ihrem Bewusstsein.

    Bis zu dem Tag, an dem sich ein Mädchen aufmachte, um etwas schmerzlich Vermisstes zu finden.

    Dies ist ihre Geschichte.

    *

    Schreie hallten durch den Palast. Schreie einer Gebärenden. Der schlanke, kraftvolle junge Krieger mit den dunklen Locken und den bernsteinfarbenen Augen, der auf dem breiten Fenstersims in der Königshalle saß, schrak mit jedem Schrei zusammen. Wenn er doch seiner Mutter diese Schmerzen hätte abnehmen können ... Aber das Gebären der Kinder war alleinige Sache der Frauen. Die Männer konnten nur warten.

    Die Morgensonne strahlte in den Saal. Draußen glitzerte Schnee auf den Dächern. Doch in der großen Halle war es behaglich, im riesigen Kamin knisterte ein Feuer. Die Höchsten des Reiches hatten sich versammelt, eine schweigende Gemeinschaft. Drei Schritte lief sein Vater, König Peredur de Valderna, nach rechts, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ein wenig nach vorn gebeugt. Dann drei Schritte nach links. Der junge Krieger blickte sich weiter um, sah auf seine Brüder. Devin und Dewain saßen in einer Ecke zusammen. Dewain spielte mit einem Strohhalm, den er an seinem Hemd gefunden hatte. Es war ein Wunder, dass er nicht noch mehr Stroh in den Königshalle geschleppt hatte. Seine Mutter sagte immer im Spaß, Dewain hätte als Pferd zur Welt kommen sollen, so oft, wie er im Stall und mit einem seiner Pferde unterwegs war. Devin drehte die Daumen. Nolan hielt ein Buch in seiner Hand, doch er las nicht. Ewyn, der Jüngste und die Zwillinge spielten. Sie waren dabei erstaunlich leise. Selbst sie spürten die Anspannung im Raum. Drei Schritte hin ging der König, drei zurück. Die Minuten schlichen.

    Dann der Schrei eines Neugeborenen. König Peredur hielt augenblicklich inne. Weitere Minuten, die nicht vergehen wollten. Endlich öffnete die Hebamme die Tür, ein kleines, in Tücher gehülltes Bündel im Arm. Alle starrten sie erwartungsvoll an. Die Zwillinge rannten zu ihr hin, Ewyn tapste hinterher. Der König blieb würdig. Doch seine Hände hatte er hinter seinem Rücken zusammengekrallt, sein vorgereckter Kopf verriet seine Wissbegier. Die Hebamme lächelte den Buben entgegen, beugte sich zu ihnen nieder, zeigte ihnen das Kind. König Peredur räusperte sich. Schuldbewusst richtete sie sich auf.

    Verzeiht Herr! Sie trug das Bündel zu ihm. Dann die erlösenden Worte.

    Es ist ein Mädchen! Jubel brach aus.

    Auch der junge Krieger stand lächelnd auf. Nach sechs jüngeren Brüdern endlich eine Schwester.

    Keiner konnte später sagen wo sie hergekommen war.

    Die Männer und Frauen, die in der Halle anwesend waren, lachten, scherzten, drängten zum König, um ihm zu gratulieren. Draußen klangen Kanonenschüsse. 24 an der Zahl, zum ersten Mal nur 24. Und dann stand sie im Eingang der Königshalle: Avee, die Heilerin, die weise Frau, die gute Fee. Die Frauen und Männer wichen zurück, machten einen Gang für sie frei. „Ich muss Eure Freude trüben, König Peredur., sprach sie. Ja, es ist das lange ersehnte Mädchen. Doch es ist klein und schwach. Ich weiß nicht, ob es überleben wird." Schlagartig wurde es still. Der König starrte Avee entgeistert an.

    Nein, weise Frau, das darf nicht sein!

    Verzweifelt nicht, es gibt Rettung. Wenn wir das Wasser von der Quelle von Emuin rechtzeitig bekommen können … Sie muss dreimal drei Tage darin gebadet werden.

    Ich werde es besorgen lassen!

    Hoher Herr, Eile tut Not. Ihr müsst Euren schnellsten Reiter losschicken!

    Das werde ich, das werde ich ... Der König wandte sich der Wache zu. Doch ehe der Herrscher einen Befehl geben konnte, trat der junge Krieger an den König heran.

    Mein Vater, Ihr wisst, wer der beste Reiter auf dem schnellsten Pferd des Landes ist! Lasst mich reiten! Lasst mich meine Schwester retten. Der König legte ihm eine Hand auf die Schulter.

    Kennst du den Weg nach Emuin, Melvin?

    Zuerst nach Süden, bis Caer Dun und dann ... Er blickte zu Boden.

    Ich kenne den Weg, ich werde mit dir reiten! Devin stand auf.

    Das ist nicht nötig ...

    Aber sicherer. Mein Alibhe ist fast genauso schnell wie dein Aed. Vertraue deinem belesenen Bruder, Melvin.

    So sei es! Nehmt meinen Segen für den Ritt mit euch. Der König hatte gesprochen. Des Königs Wort war Befehl.

    *

    Der Krieger beugte sich über die Quelle, füllte einen Wasserschlauch. Das Wasser war eisig, seine Hände inzwischen blau und steif. Devin brachte weitere Schläuche, schritt vorsichtig über das Eis zu ihm. Plötzlich Hufgetrampel, gedämpft durch den Schnee, Jauchzen.

    „Was tut ihr denn hier?" Seine kleinen Brüder, alle fünf.

    „Wir wollten auch dabei sein. Wir sind euren Spuren gefolgt. Gib zu, dass wir das gut können, Melvin." Tanguy war stolz auf sich.

    „Ich wollte gar nicht mit, aber Cathal hat gemeint, dass ich ein Feigling wäre." Nolan versuchte, sich zu verteidigen.

    Der Krieger seufzte, füllte weitere Schläuche.

    „Ich helfe dir!" Cathal schlitterte über das Eis.

    „Lass das! Verschwinde!"

    Jäh erschienen weitere Reiter um sie, Krieger, in dunkle Mäntel gehüllt. Ihre roten Kragenaufschläge leuchteten. Schnell waren er und seine Brüder umzingelt. Immer enger wurde der Kreis. Der junge Krieger sah sich fieberhaft um. Keine Möglichkeit, zu entkommen. Es waren zu viele. Nirgends zeigte sich auch nur die kleinste Lücke. Die Krieger hatten ihre Waffen gezogen. Sein Schwert hing am Sattel. Er schaffte es noch, sein Pferd zu erreichen, dann wurde er niedergeschlagen, verlor das Bewusstsein.

    Als er wieder erwachte, war er in einem Netz gefangen. Mit ihm sechs Raben. Er schlug um sich. Doch nicht mit seinen Armen, mit schwarzen Flügeln. Sechs Raben, seine Brüder. Verzweifelt schlug er weiter, schrie.

    *

    „Ruhig, ganz ruhig! Avee beugte sich über ihn, küsste ihn. „Ruhig, Melvin. Langsam schlug er die Augen auf, fühlte den Schweiß auf der Stirn. Er zitterte.

    „Du hattest nur einen Alptraum."

    „Avee, verzeih ... ich wollte dich nicht wecken." Sie strich ihm über die Stirn. Es war dunkel im Zimmer, die Glut im Kamin leuchtete nur noch schwach, spiegelte sich auf ihrer nackten Haut, ließ ihre langen Haare in der Farbe der Kastanien schimmern. Tief atmete er ein. Er war ein Mensch, er war in Sicherheit, und er lag neben der unwiderstehlichsten Frau, die er je getroffen hatte. Dennoch ... ein Schatten blieb.

    „Es lässt mich nicht los, Avee. Immer wieder träume ich von dem Tag, an dem meine Schwester geboren wurde. Fünfzehn Jahre ... und es lässt mich immer noch nicht los."

    „Dich trifft keine Schuld, Melvin. Deiner Schwester geht es gut. Sie ist glücklich und gesund. Valderna wird in ihr eine gute Königin haben. Schlafe, Geliebter, schlafe." Immer wieder streichelte sie seine Stirn, seine dunklen Haare, bis er wieder eingeschlafen war. Ihre Fingerspitzen strichen über seine dichten Augenbrauen, seine muskulösen Oberarme. Er war als Jüngling schon anziehend gewesen. Nun war er einunddreißig und zum Mann gereift, begehrenswerter denn je. Seine Brüder, nun, das war nicht geplant gewesen. Sie musste ihre Anwesenheit in Kauf nehmen, um ihn zu besitzen. Und sie würde ihn nicht mehr hergeben! In ein paar Jahren vielleicht, wenn er alt und grau wurde. Nun, vielleicht würde sie zwischendurch einmal diesen Ewyn verführen. Ein hübscher junger Bursche, draufgängerisch und temperamentvoll. Doch nicht jetzt! Selten hatte sie mit einem besseren Liebhaber die Nächte verbracht. Es war nicht einfach gewesen, Melvin zu bekommen. Und sie würde über Leichen gehen, um ihn zu behalten.

    Weit davon entfernt, am Hofe des Königs von Valderna, saß ein Rabe in einem der Fenster der Pferdeställe. Einsam saß er dort, gab ein trauriges Krächzen von sich, sehnsuchtsvoll.

    *

    Sheena klopfte sich den Staub aus der Kleidung und eilte die marmornen Stufen des Palastes hinauf, hinterließ eine schmutzige Spur. Ihre Eltern erwarteten sie ungeduldig im Speisezimmer zum Frühstück.

    „Verzeiht, Frau Mutter, verzeiht, Herr Vater. Sie setzte sich an den Tisch und griff kräftig zu. „Ich bin heute Morgen bis Darach Dorcha geritten. Ich habe die Zeit vergessen., erzählte sie fröhlich.

    „Du sollst doch alleine nicht so weit reiten." Yseult de Valderna tadelte ihre Tochter, doch sie lächelte über ihren Eifer.

    „Das ist nicht weit, liebe Mutter. Sheena aß einige Bissen. „Heute in der Frühe saß übrigens wieder dieser Rabe im Stall. Irgendwie ist er seltsam. Er wirkt traurig. Er …

    „Sheena, schweig! Dein Unterricht wartet und ich verlange, dass du ordentlich gekleidet dort erscheinst.", wies ihr Vater sie zurecht. Er stand auf, schleuderte sein Tuch auf den Tisch und stampfte davon. Sheena starrte ihm nach.

    „Frau Mutter, warum ist mein Herr Vater so? Er verzeiht mir alles, schenkt mir alles, was ich haben möchte. Einen besseren Vater könnte ich mir nicht wünschen. Aber manches Mal …"

    Yseult legte ihre Hand auf die ihrer Tochter, lächelte sie an, doch sie erwiderte nichts.

    *

    Schloss Siobhan verfügte über ausgedehnte Parkanlagen mit Landhäusern und Jagdschlösschen. Melvin lebte mit seinen Brüdern in einem davon. Er hatte die Heimstätte für sich und seine Brüder frei wählen dürfen. Sie saßen ebenfalls bei der Morgenmahlzeit im Speisezimmer. Die Fenster reichten vom Boden bis zur Decke, ließen die gerade aufgegangene Septembersonne den ganzen Raum durchfluten. Goldene Teller, Schüsseln und Kelche funkelten. Auf Prunk mussten sie nicht verzichten, er war reichlicher vorhanden als in Valderna. Der Tisch war beladen mit weißem Brot, Fleisch, Fisch und Früchten.

    „Wo ist Nolan?" Melvin sah seine Brüder fragend an.

    „Wo wird er wohl sein? Dort, wo sein Herz ist.", erwiderte Dewain bissig.

    „Ich habe ihm oft gesagt, dass er das lassen soll. Es ist nicht gut für ihn."

    „Oh, der große Melvin de Valderna weiß natürlich am besten, was gut für uns ist. Er führt sich auf, als wäre er unser König, aber leider ist er das nicht."

    „Lass deinen spöttischen Ton, Dewain. Ich möchte wirklich nur euer Bestes."

    „Bedauerlich nur, dass dich nicht interessiert, was in uns vorgeht." Dewain flüsterte nur, aber Melvin hörte es trotzdem.

    „Dewain!" Er sprang auf. Devin hob die Hände.

    „Hört auf zu streiten! Das führt zu nichts."

    Melvin setzte sich, seufzte. „Wir müssen froh sein, dass Avee uns aufgenommen hat., sprach er in ruhigem Ton weiter. „Hier können wir als Menschen leben. Jenseits des Flusses, jenseits der gläsernen Berge – da sind wir doch nur Tiere. Hier ist unsere neue Heimat. Wir leben schon länger hier als in Valderna. Ewyn, du kannst dich noch nicht einmal mehr daran erinnern, oder?

    Der Angesprochene blickte zu Boden.

    „Wir können nicht zurück, es gibt keinen Weg. Wir müssen das annehmen. Und es geht uns gut hier. Es mangelt uns an nichts."

    „Du hast alles, was du brauchst. Du hast in all den Jahren nicht einmal den Versuch unternommen, einen Weg zu finden, obwohl du unserer guten Fee nahe stehst wie kein anderer. Dass Nolan seit unserm ersten Tag hier Heimweh hat, ist dir völlig egal." Wieder flüsterte Dewain, doch um des Friedens willen so leise, dass Melvin ihn nicht hören konnte. Nur Cathal an seiner Seite grinste.

    „Nolan, der war immer ein Mamakind. Melvin hat recht, uns fehlt hier nichts."

    „Euch war es immer egal, wo ihr Unsinn macht!"

    „Richtig! Und jetzt lache wieder, oder ich werde dich mit meinen Späßen quälen." Wider Willen musste Dewain lächeln.

    Sie hatten die Mahlzeit beendet, standen auf und gingen hinaus. Melvin nahm sich noch einen Apfel und ein Stück Brot für sein Pferd vom Tisch.

    Ein alter Mann trat an ihn heran, dünne graue Haare, klein und dürr, den Kopf gesenkt. „Herr, ich bin Bryant ap Fercha. Ich habe Euch beim Frühstück aufgewartet. Ich weiß, dass ich Eurer Aufmerksamkeit nicht wert bin. Aber ich bitte Euch, schenkt mir dennoch ein wenig Eurer Zeit. Es geht um Euch, um Eure Zukunft!"

    „Was willst du?", herrschte Melvin ihn an und betrachtete ihn abschätzig.

    „Herr, Avee, Ihr dürft ihr nicht trauen. Ich war ein Prinz wie Ihr, war ihr Geliebter wie Ihr …"

    „Erzähle mir keine Märchen, alter Mann! Der Prinz von Valderna ließ den Alten nicht ausreden. „Avee deine Geliebte, was bildest du dir ein? Verschwinde!

    „Herr, so hört mich doch an."

    „Verschwinde, sagte ich!" Melvin ließ ihn einfach stehen, wandte sich um. Ein wenig erschrak er, als er Dewain am Fenster stehen sah. Sein Bruder starrte ihn an. Warum hatte er plötzlich ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, dass der das Gespräch mit angehört haben könnte? Warum war er erleichtert darüber, dass Dewain nicht darauf einging, andere Gedanken zu haben schien?

    „Wo bleibt Nolan denn heute? Langsam mache ich mir wirklich Sorgen." Dewain wartete keine Antwort ab, schritt an Melvin vorbei.

    *

    Nolan kam erst am Nachmittag wieder. Ungeduldig gab er seinem Pferd die Sporen, obwohl sie bereits die Allee erreicht hatten. Bei den Ställen des Jagdschlosses zog er die Zügel hart an und sprang aus dem Sattel.

    Wo sind Devin und Dewain? Wo sind meine Brüder?, fuhr er einen Diener an.

    „Die Herren sind ausgeritten, Herr. Sie sagten nicht, wie lange sie ausbleiben würden." Nolan ging in seine Räume, kleidete sich um. Ungeduldig lief er danach wieder nach unten zu den Ställen. Wann kamen sie, wann endlich? Sollte er ihnen entgegenreiten? Doch nein, das machte keinen Sinn, wenn er nicht genau wusste, wohin sie geritten waren. Zudem spürte er immer stärker, wie hungrig er war. Er musste ins Schloss, etwas essen.

    Zu guter Letzt saßen alle im Kaminzimmer, wärmten sich mit heißem Wein, lachten und scherzten, schwärmten von der Jagd, die Nolan verpasst hatte, und prahlten mit ihrer Beute. Nolan versuchte, sie zu unterbrechen.

    „Würdet ihr mir zuhören!", schrie er schließlich. Mit einem Mal wurde es ruhig im Zimmer, alle starrten Nolan an. Einen solch harten Ton waren sie von ihrem Bruder nicht gewohnt.

    „Nahe an der Nordgrenze von Valderna ziehen sich Krieger zusammen., begann er, während er im Zimmer auf und ab schritt. „Wir müssen Vater warnen. Irgendwie müssen wir es schaffen, ihm eine Botschaft zukommen zu lassen.

    „Warum sollten wir das? Melvin blieb ruhig in seinem Sessel sitzen. „Vater war es, der uns verwünscht hat. Warum sollen wir ihn warnen? Er ist all die Jahre ohne uns ausgekommen!

    „Nur gut, dass Avee dir das mit der Verwünschung erzählt hat. Wir würden so manchen schweren Fehler begehen, wenn wir es nicht wüssten! Dewain blickte seinen älteren Bruder spöttisch an. Er stand auf, lief ebenfalls im Zimmer auf und ab. „Vielleicht sollten wir aber auch helfen, weil wir Prinzen von Valderna sind! Weil wir eine Verantwortung für dieses Volk haben, egal, was geschehen ist.

    „Ich kann mit Avee reden. Sie ist sicher bereit, Vater zu warnen. Melvin war bereit, einzulenken. Dewain verschränkte die Hände hinter seinem Rücken, blickte zum Fenster hinaus. „Tut mir leid, Bruder, aber da lasse ich mir lieber selbst etwas einfallen.

    „Dewain! Melvin sprang aus seinem Sessel hoch. „Ich dulde nicht, dass du so über Avee redest!

    „Ja, ja, ich weiß! Dewain wandte sich ihm zu, giftete seinen Bruder an, Hohn lag in seinen Augen. „Sie hat uns hier aufgenommen und wir müssen ihr dankbar sein. Aber ich traue ihr nun einmal nicht!

    „Sie sagt immer, dass sie uns befreit hat. Aber ich fühle mich hier gefangen." Nolan mischte sich ein, leise, nachdenklich.

    „Du bist hier nicht gefangen, Nolan, glaube mir. Melvin versuchte, ruhig zu antworten. „Warum könnt ihr Avee nicht vertrauen?

    Dewain blickte zu Boden, dachte nach. Sollte er wirklich ehrlich sein? Hatte das bei Melvin noch einen Sinn?

    „Ich kann es nicht genau sagen, warum. Es ist nur ein Gefühl … außerdem reicht es, zu sehen, wie sehr du dich unter ihrem Einfluss verändert hast. Früher hättest du dein letztes Hemd für Valderna gegeben, gegen die fürchterlichsten Feinde gekämpft. Du hattest alle Tugenden eines Kronprinzen und zukünftigen Königs. Heute denkst du nur noch an dein Vergnügen! Außerdem höre ich den Menschen zu, auch wenn es nur alte Diener sind."

    Melvin wurde blass. Dewain hatte ihn also wirklich belauscht. Und sich mit diesem nichtsnutzigen Diener unterhalten. Wer weiß, was der seinem Bruder für Lügen erzählt hatte!

    Ehe Melvin hart erwidern konnte, mischte sich Devin ein.„Verantwortung hin oder her – ich denke, es würde etwas Abwechslung in unser Leben bringen. Jeden Tag jagen wird irgendwann langweilig. Oder was meint ihr?"

    Cathal und Tanguy blickten sich an, grinsten. „Neue Abenteuer sind immer gut!"

    „Ich bin dabei!", stimmte Ewyn zu.

    „Nein!"

    Wenn seine Brüder doch sonst so einig wären. Melvin, Devin, Dewain, die Zwillinge, sie alle hatten das Wort ausgesprochen, das Ewyn fast nicht mehr hören konnte. „Nein!"

    „Aber warum? Immer nur, weil ich der Jüngste bin …"

    „Ehe wir darüber entscheiden, müssen wir einen Plan haben." Nolan hatte zumindest ein wenig Verständnis für seinen kleinen Bruder. Die Älteren behandelten ihn und Ewyn, als ob sie noch Babys wären.

    „Das ist doch nicht schwer. Wir schreiben eine Botschaft. Einer von uns bindet sie sich um und fliegt zum Palast von Valderna, sobald er sich in einen Raben verwandelt hat.", schlug Dewain vor.

    „Und wohin soll er sie sich binden? Um den Hals? Beim geringsten Unfall kann er ersticken. Um den Arm? Damit sein Flügel behindert wird? Oder um den Fuß? Damit sie beim Abheben durch seine dünnen Krallen rutscht?" Devin hielt nichts von dieser Idee.

    „Hast du einen besseren Vorschlag?"

    „Nein, ich rede erst, wenn ich etwas Sinnvolles vorbringen kann."

    „So abwegig ist Dewains Gedanke gar nicht. Dewain schaute erstaunt auf Melvin. Von ihm hätte er am wenigsten Unterstützung erwartet. Der älteste der Brüder saß in seinem Sessel, das Kinn auf die Hand gestützt, tief in Gedanken versunken. „Das Problem ist, dass wir den Knoten an den Füßen fester ziehen müssen, sobald wir uns in Raben verwandelt haben. Und das ist gar nicht schwer, wenn sich zwei von uns die Schnur um die Beine binden. Sobald sie sich verwandelt haben, müssen sie sich in gegensätzliche Richtungen bewegen, die Schnur wird sich spannen und der Knoten wird sich zusammenziehen. Wer möchte?

    „Ich denke wenn ich … ich bin am häufigsten geflogen, ich bin es gewohnt …"

    Nolan zögerte ein wenig.

    „Ich kann gerne mit Nolan zusammen …", sprach Ewyn begeistert. Doch sofort wurde er unterbrochen.

    „Nein!"

    „Ich bin kein kleines Kind mehr! Ich zähle bereits neunzehn Jahre …"

    „Cathal und ich werden gehen. Tanguy ließ ihn nicht ausreden. „Wir sind Zwillinge, wir sind vollkommen aufeinander abgestimmt. Und das werden wir bei dem langen Flug benötigen.

    Cathal nickte. „Ein paar Übungsflüge werden wir sicher benötigen, aber ich bin bereit!"

    *

    Nah dem Himmel schwebten sie, getragen von warmer Luft, umkreisten sich, flogen weit hinaus in das Land, stundenlang. Wälder zogen an ihnen vorbei, Flüsse, Felder, Siedlungen klein wie Spielzeug. Schließlich wechselte einer von ihnen die Richtung, sie flogen zurück, noch ein wenig höher, über die gläsernen Berge hinweg, landeten jenseits des Flusses. Kaum hatten ihre Krallen den Boden berührt, wandelten sich ihre Körper, nahmen menschliche Gestalt an. Tanguy lachte Cathal an, legte seinen Arm um dessen Schulter.

    „Was für ein Spaß! Warum haben wir das nicht öfter gemacht?" Cathal lächelte ebenfalls.

    „Warum haben wir damit aufgehört? Früher sind wir oft über das Land geflogen." Arm in Arm schritten sie zurück zu ihren Pferden. Verborgen zwischen Bäumen lauerte ein Späher, ein Krieger in einem langen dunklen Mantel, an dem einzig der leuchtend rote Kragenaufschlag auffällig war.

    Sie bemerkten die Späher auch nicht, als sie zu weiteren Übungsflügen aufbrachen, manches Mal in Begleitung von dem ein oder anderen ihrer Brüder.

    „Wie war das mit dem vollkommen aufeinander abgestimmt?" Ewyn warf den Zwillingen einen spöttischen Blick zu. Die Schnur um ihre Füße war herabgefallen, sobald sie sich in Raben verwandelt hatten.

    „Denkst du, du könntest es besser?" Tanguy ließ seinen Ärger an seinem kleinen Bruder aus. Der blieb ruhig.

    „Lass es mich versuchen …"

    „Für solche Spielchen haben wir keine Zeit! Devin hatte die Schnur aufgehoben und reichte sie Cathal. „Los versucht es noch einmal.

    Sie probierten es, übten tagelang. Bis alles mühelos gelang.

    *

    Gemeinsam schwebten sie gen Süden, verbunden durch den Faden, an dem die

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